Der Luftkrieg

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3.
Der Ballon
I

Bert Smallways war ein gewöhnliches, kleines Menschenkind genau die Art von unverschämter, beschränkter Seele, die die alte Zivilisation des frühen zwanzigsten Jahrhunderts in jedem Land der Welt zu Millionen erzeugte. Er hatte seiner Lebtag in engen Straßen zwischen häßlichen Häusern gelebt, über die er nicht wegblicken konnte, und in einem engen Ideenkreis, aus dem es kein Entrinnen gab. Er glaubte, die ganze Pflicht des Menschen bestünde darin, gerissener zu sein als seine Mitmenschen, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen und sich's wohl sein zu lassen. Kurz, er war die Sorte Mensch, die England und Amerika zu dem gemacht hatten, was sie waren. Das Glück war bisher gegen ihn gewesen; aber das war eine Sache für sich. Er war ein bloßes ewig forderndes, ewig kämpfendes Individuum, ohne Sinn für den Staat, ohne eingewurzelte Loyalität, ohne Aufopferung, ohne Ehrenkodex, ja sogar ohne Tapferkeitskodex. Jetzt fand er sich, durch einen seltsamen Zufall, für einige Zeit aus seiner wundervoll modernen Welt mit all ihrem Getriebe und ihren verworrenen Anforderungen herausgehoben und gleich etwas Totem, Entkörpertem zwischen Meer und Wolken schwebend. Es war, als wolle der Himmel mit ihm ein Experiment machen, habe gerade ihn als Beispiel aus all den englischen Millionen ausgesucht, um ihn sich genauer zu betrachten und zu sehen, was nun mit dieser Menschenseele geschehen würde. Aber was der Himmel in diesem Fall aus ihr machte, darüber kann ich mich zu keinerlei Vorstellungen bekennen; denn ich habe längst alle Theorien über die Ideale und Segnungen des Himmels hinter mir gelassen.

Allein zu sein in einem Ballon – in einer Höhe von vierzehn- oder fünfzehntausend Fuß – (denn zu dieser Höhe sollte Bert bald steigen) ist ungleich jeder andern menschlichen Erfahrung. Es ist eine von den erhabensten Möglichkeiten, die dem Menschen beschieden ist. Keine Flugmaschine kann das je übertreffen. Es heißt, wie durch ein Wunder den menschlichen Dingen entrückt sein. Es heißt, still und allein sein wie noch nie. Es heißt Einsamkeit, ohne auch nur den leisesten Gedanken an Unterbrechung; es heißt Schweigen ohne auch nur einen fremden Hauch. Es heißt den Himmel sehen. Kein Laut dringt zu uns von all dem Lärm und Mißklang der Menschheit; die Luft ist so rein und süß, daß nicht einmal der Gedanke einer Entweihung sich ausdenken läßt. Kein Vogel, kein Insekt kommt so hoch. Kein Wind bläst jemals in einen Ballon, kein Lufthauch fächelt; denn er bewegt sich mit dem Wind und ist selber ein Teil der Atmosphäre. Ist er erst einmal gestiegen, so schaukelt und schwankt er nicht mehr; man kann nicht fühlen, ob er steigt oder fällt. Bert zitterte vor Kälte; aber er war nicht höhenkrank. Er zog den Rock, den Überzieher und die Handschuhe an, die Butteridge von sich geworfen hatte – zog sie über das Wüstenderwischlaken, das seinen billigen Sonntagsanzug bedeckte – und saß lange Zeit ganz still, überwältigt von der neuentdeckten Ruhe der Welt. Über ihm war die leichte, durchscheinende, wogende Kugel aus leuchtender, brauner geölter Seide und das flammende Sonnenlicht und der große, tiefe, blaue Himmelsdom. Unten, tief unten war ein zerfetzter Boden von sonnenbeschienenen Wolken, gespalten durch ungeheure Risse, durch die er das Meer sah.

Wer ihn von unten beobachtet hätte, hätte seinen Kopf wie einen unbeweglichen, kleinen, schwarzen Knopf erst eine lange Weile auf der einen Seite des Korbes herausschauen und dann verschwinden und nach einiger Zeit an einer andern Stelle wieder auftauchen sehen.

Er fühlte sich nicht im geringsten unbehaglich oder ängstlich. Er dachte, wie dies unbeherrschbare Ding so mit ihm in den Himmel hinaufgeschossen war, könnte es auch bald wieder mit ihm hinunterschießen; aber diese Betrachtung machte ihm weiter keine große Sorge. In der Hauptsache war er in einem Zustand des Erstaunens. Es gibt weder Furcht noch Sorge in Ballons – bis sie fallen.

»Alle Wetter!« sagte er endlich aus einem Bedürfnis zu sprechen heraus. »Das ist besser als ein Motorkarren! Einfach tipptopp! Wahrscheinlich telegraphieren sie jetzt überall rum von mir!«

Die zweite Stunde fand ihn bei einer äußerst genauen Untersuchung der Einrichtung des Korbes. Über ihm war der Hals des Ballons, zusammengepreßt und -geschnürt, aber mit einer Öffnung, durch die Bert in ein ungeheures, leeres, stummes Innere emporsah und aus der zwei dünne Leinen von unbekannter Bedeutung, eine weiße und eine rote, zu zwei Beuteln unter dem Ring herabhingen. Das Netz um den Ballon endete in Leinen, die an dem Ring befestigt waren und die eine riesige, stahlverbundene Schleife bildeten, an der der Korb mit Tauen befestigt war. Auch das Ankertau und der Anker waren daran befestigt, und über den Wänden des Korbs hing eine Anzahl von Säcken, die, wie Bert entschied, der Ballast sein mußten, den man »hinunterschubste«, wenn der Ballon fiel. (»Merk' nichts von Fallen bis jetzt!« sagte Bert.)

Ein Aneroid und ein anderes kastenartiges Instrument hingen von dem Ring herab. Das letztere zeigte eine Elfenbeinplatte, worauf »Statoscope« und andere französische Worte standen, und ein kleiner Zeiger zitterte und schwankte zwischen »Montée« und »Descente« hin und her. »Stimmt!« sagte Bert. »Das zeigt an, ob man aufwärts oder abwärts geht!« Auf dem rotgepolsterten Sitz des Ballons lagen ein paar Decken und eine Kodak, und auf dem Boden des Korbs standen in zwei entgegengesetzten Ecken eine leere Sektflasche und ein Glas. »Erfrischungen!« sagte Bert gedankenvoll, indem er die Flasche umstülpte. Dann kam ihm ein glänzender Gedanke. Die beiden gepolsterten, bettartigen Sitze mit ihren Decken und Matratzen waren, wie er bemerkte, Truhen; und in ihnen fand er, was augenscheinlich Mr. Butteridges Begriff von einer angemessenen Ausrüstung für einen Ballonaufstieg war: einen Speisekorb, der eine Wildbretpastete, eine römische Pastete, kaltes Geflügel, Tomaten, Salat, Schinkenbrötchen, Sardellenbrötchen, einen großen Kuchen, Messer und Gabeln, Papierteller, Selbstkocherbüchsen mit Kaffee und Kakao, Brot, Butter und Marmelade, verschiedene sorgfältig verpackte Flaschen Sekt und Mineralwasserflaschen enthielt, ferner eine große Kanne Waschwasser, eine Brieftasche, Karten und einen Kompaß und einen mit allerhand Bequemlichkeiten, worunter eine Brennschere und Haarnadeln, eine Mütze mit Ohrklappen usw. angefüllten Rucksack.

»Daheim in der Fremde!« sagte Bert, während er die Vorräte betrachtete und sich die Ohrklappen unter dem Kinn zusammenband. Er blickte über die Wand des Korbs. Tief unten waren die glänzenden Wolken. Sie hatten sich so verdichtet, daß sie die ganze Welt verbargen. Im Süden türmten sie sich zu großen, schneeigen Massen, so daß er fast geneigt war, sie für Berge zu halten; im Osten und Norden lagen sie in wellenförmigen Flächen und blendendem Sonnenlicht da.

»Wie lang ein Ballon wohl oben bleibt?« sagte Bert. Er glaubte still zu stehen, so unmerkbar trieb das Ungeheuer mit der Luft rings umher. »Es hat keinen Zweck, wenn er hinuntergeht, ehe wir nicht ein bißchen die Richtung verändert haben«, sagte Bert. Er sah nach dem Statoskop.

»Immer noch ›Montée‹!« sagte er.

»Was wohl werden möcht', wenn man eine Leine zöge?«

»Nein!« entschied er. »Ich laß die Finger davon.«

Später zog er an der Reißleine und an den Ventilleinen; aber, wie schon Mr. Butteridge entdeckt hatte – sie hatten sich in eine Seidenfalte im Füllansatz verwickelt. Nichts geschah. Wäre nicht dies kleine Hindernis gewesen, so hätte die Reißleine den Ballon aufgeschlitzt wie mit einem Schwertstreich und hätte Mr. Smallways mit einer Geschwindigkeit von ein paar tausend Fuß pro Sekunde in die Ewigkeit befördert. »Kein Zug drin!« sagte er mit einem letzten Ruck. Dann frühstückte er.

Er öffnete eine Flasche Sekt, aber, sowie er den Draht durchschnitt, schleuderte sie mit unglaublicher Heftigkeit ihren Kork hinaus, und der größte Teil des Inhalts folgte diesem in den Luftraum nach. Immerhin ergatterte Bert noch ein Glas voll. »Atmosphärischer Druck!« sagte er. Endlich konnte er die Elementarphysik seiner Schultage verwenden! »Nächstesmal muß ich besser aufpassen. Es hat keinen Zweck, das edle Naß zu vergeuden!«

Dann stöberte er nach Streichhölzern umher, um sich Mr. Butteridges Zigarren nutzbar zu machen; aber auch diesmal war ihm das Glück hold, und er fand nichts, womit er das Gas über seinem Kopf hätte anzünden können. Andernfalls wäre er in einem Aufflackern niedergegangen, ein großartiges, aber flüchtiges Feuerwerk … »Der Kuckuck hol den alten Schafskopf von Grubb!« sagte Bert, an seine unfruchtbaren Taschen schlagend. »Was braucht er auch meine Schachtel zu behalten! Immer klaut er einem die Streichhölzer!«

Er ruhte eine Weile. Dann erhob er sich wieder, stöberte ein bißchen herum, stellte die Ballastsäcke auf dem Boden um, beobachtete eine Weile die Wolken und blätterte in den Landkarten. Bert liebte Landkarten; und er verbrachte eine geraume Zeit mit dem Bemühen, eine von Frankreich oder dem Kanal zu finden; aber es waren lauter Generalstabskarten englischer Grafschaften. Das lenkte seine Gedanken auf Sprachen; und er versuchte, sein Schulfranzösisch wieder auszugraben. »Je suis Anglais. C'est une méprise. Je suis arrivé par accident ici.« Das schienen ihm die passendsten Phrasen. Dann fiel ihm ein, er könnte sich damit unterhalten, daß er Mr. Butteridges Briefe las und seine Brieftasche untersuchte; und auf diese Weise vertrieb er sich den Nachmittag.

II

Er saß auf der gepolsterten Truhe, sehr sorgfältig eingehüllt, denn die Luft war, wenn auch ruhig, aufreizend kalt und klar. Zuunterst trug er einen bescheidenen blauen Baumwollanzug und die anspruchslose Unterkleidung eines eleganten Vorstadtjünglings, mit sandalenartigen Radlerschuhen und über die Hosenenden gezogenen Strümpfen. Darüber das zum Wüstenderwisch gehörige durchlöcherte Bettuch. Darüber die Weste und den Rock und den großen, pelzgefütterten Überrock Mr. Butteridges. Darüber einen weiten Damenpelzmantel und um seine Knie eine Wolldecke. Auf seinem Kopf thronte die Wergperücke und über ihr Mr. Butteridges große Mütze mit herabgezogenen Ohrklappen. Ein Paar Pelzschlafschuhe von Mr. Butteridge wärmten seine Füße. Der Ballonkorb war klein und behaglich; ein paar Ballaststücke waren das einzige Unordentliche in der Einrichtung; er hatte einen leichten Klapptisch gefunden und neben sich gestellt; darauf stand ein Glas Sekt. Und rundumher, oben, unten, war Raum – die klare Leere und Stille des Raums, wie nur der Aeronaut sie kennt.

 

Er wußte nicht, wohin er trieb und was werden würde. Er schickte sich in diesen Stand der Dinge mit einer Heiterkeit, die sehr für den Mut Smallways sprach, obgleich man fast mit Recht hätte vermuten dürfen, daß dieser aus degenerierterem und schlechterem Holz geschnitzt sein müßte. Seine Überzeugung war, daß er irgendwie landen müsse und daß, wenn er dabei nicht zerschellte, irgendjemand, vielleicht eine »Gesellschaft«, ihn und seinen Ballon nach England zurückschicken würde. Wenn nicht, so würde er ganz energisch nach dem englischen Konsul fragen. »Le consuelo Britannique« – würde das heißen. »Apportez-moi à le consuelo Britannique, s'il vous plaît«, würde er sagen. Denn er war keineswegs des Französischen unkundig. Mittlerweile fand er die intimere Bekanntschaft mit Mr. Butteridge ein interessantes Studium.

Da waren an Mr. Butterigde adressierte Briefe ganz privaten Charakters, unter anderen verschiedene Liebesbriefe verzehrendster Art in einer großen, weiblichen Handschrift. Diese gehen uns nichts an und wir bemerken mit Bedauern, daß Bert sie las.

Nachdem er sie gelesen hatte, sagte er in überwältigtem Ton: »Alle Wetter!« Und dann nach einer langen Pause: »Ob sie das war?«

»Himmlischer Vater!«

Er sann eine Weile nach.

Hierauf fuhr er in seiner Untersuchung des Butteridgeschen Innern fort. Es enthielt eine Anzahl von Zeitungsausschnitten, ferner einige deutsche Briefe und einige weitere in der gleichen deutschen Handschrift, aber englisch. »Hallo!« sagte Bert.

Einer der letzteren, der erste, den er zur Hand nahm, begann mit einer Entschuldigung, daß der Schreiber nicht schon eher Englisch geschrieben und dadurch Mr. Butteridge Unbequemlichkeiten und Zeitverlust verursacht habe. Dann ging er auf einen Gegenstand über, der Bert im höchsten Grad aufregte: »Wir verstehen vollkommen die Schwierigkeit Ihrer Stellung, und daß Sie vielleicht augenblicklich überwacht werden. Aber wir glauben nicht, werter Herr, daß man Ihnen ernstliche Hindernisse in den Weg legen wird, wenn Sie Ihr Land zu verlassen wünschen, um auf einer der üblichen Routen – via Dover, Ostende, Boulogne oder Dieppe – mit Ihren Plänen zu uns kommen. Es fällt uns schwer zu glauben, daß Ihre Vermutung, man versuche, Sie Ihrer Erfindung wegen zu ermorden, auf Richtigkeit beruht.«

»Komisch!« sagte Bert und dachte nach.

Dann las er die andern Briefe.

»Es scheint, sie möchten ihn drüben haben«, sagte er. »Aber augenscheinlich strengen sie sich nicht gerade besonders an deswegen. Vielleicht tun sie aber auch nur so, damit sie seine Preise drücken können.«

»Es scheint nicht so recht, als ob's die Regierung wäre«, überlegte er nach einer Pause. »Es ist mehr wie das Papier einer Firma. All das gedruckte Zeug da oben: ›Drachenflieger‹, ›Drachenballons‹, ›Ballonstoffe‹, ›Kugelballons‹. Böhmische Dörfer! Jedenfalls hat er versucht, sein verdammtes Geheimnis ans Ausland zu verkaufen. Das stimmt. Dabei ist nichts Böhmisches. Alle Wetter! Da ist das Geheimnis!«

Er taumelte von seinem Sitz, öffnete den Deckel und legte die Brieftasche offen vor sich auf den Klapptisch. Sie war voll von Zeichnungen in dem eigentümlich flachen Stil und den konventionellen Farben, wie Ingenieure sie anwenden. Außerdem lagen ein paar unterbelichtete, augenscheinlich von einem Amateur aufgenommene Fotografien der Maschine, die Butteridge gemacht hatte, in ihrer Halle beim Kristallpalast bei. Bert fühlte, wie er zitterte. »Himmlischer Vater!« sagte er. »Und da sind wir nun, ich und das ganze verdammte Fluggeheimnis, futsch – über alle Berge!«

»Laß sehen!« Er begann, die Zeichnungen zu studieren und sie mit den Fotografien zu vergleichen. Sie setzten ihn in Verlegenheit. Die Hälfte davon schien zu fehlen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie wohl ineinanderpassen könnten, fand aber die Anstrengung zu groß für seinen Geist.

»Dumm!« sagte Bert. »Ich wollt', ich hätt' Ingenieur gelernt! Wenn ich's doch herauskriegte!«

Er ging nach der Wand des Korbs und starrte eine Zeitlang mit Augen, die nichts sahen, auf eine ungeheure Gruppe großer Wolken hinab – eine Gruppe von sonnenbeglänzten, langsam zerfließenden Monte Rosas. Ein sonderbarer schwarzer Fleck, der sich darüberhin bewegte, fesselte seine Aufmerksamkeit. Er erschrak. Es war ein schwarzer Fleck, der sich tief unten langsam mit ihm fortbewegte, ihm unermüdlich da drunten über die Wolkenberge weg folgte. Warum folgte ihm das Ding? Was mochte es sein? …

Eine Erleuchtung kam ihm. »Versteht sich!« sagte er. Es war der Schatten des Ballons. Aber eine ganze Weile beobachtete er es noch zweifelnd.

Dann kehrte er zu den Plänen auf dem Tisch zurück.

Einen ganzen langen Nachmittag verbrachte er zwischen seinen Bemühungen, sie zu entziffern und Anfällen von Nachdenken. Er konstruierte einen denkwürdigen, neuen französischen Satz. »Voici, Mossjeh! – Je suis un inventeur Anglais. Mon nom est Butteridge. Beh. oo. teh. teh. eh. arr. E. deh. ghe. eh. J'avais ici pour vendre le secret de le flyingmachine. Comprenez? C'est le machine à faire l'oiseau. Comprenez? Balancer? Qui, exactement! Battir l'oiseau en fait, à son propre jeu. Je désire de vendre ceci à votre governement national. Voulez-vous me directer là?«

»Bißchen komisch, glaub' ich, was Grammatik betrifft!« sagte Bert. »Aber sie müßten's schon verstehen.«

»Aber wenn sie nun verlangen, ich soll das verdammte Ding erklären?«

Er kehrte mit sorgenvoller Miene zu den Plänen zurück. »Ich glaub's nicht, daß das alles ist!« sagte er.

Er wurde immer unsicherer da oben unter seinen Wolken, was er mit seinem wundervollen Fund anfangen sollte. Wer weiß, jeden Augenblick konnte er unten landen – unter wer weiß was für fremden Menschen …

»Es ist die Chance meines Lebens!« sagte er.

Und es ging ihm immer deutlicher auf, daß es das nicht war. »Sobald ich drunten bin, telegrafieren sie – setzen's in die Zeitung. Und Butteridge erfährt's – und ist hinter mir her!« Butteridge mußte fürchterlich sein, wenn er hinter einem her war! Bert dachte an den großen, schwarzen Schnurrbart, die dreieckige Nase, das durchdringende Gebrüll, den funkelnden Blick. Sein Nachmittagstraum von einer wunderbaren Besitzergreifung und Verwertung des großen Butteridgeschen Geheimnisses schrumpfte zusammen, zerfloß und entschwand. Er erwachte wieder zur Vernunft.

»Es geht nicht. Was hat's für einen Zweck, dran zu denken?« Er begann, die Papiere langsam und widerstrebend wieder in die verschiedenen Taschen zu legen, so wie er sie gefunden hatte. Dann sah er ein herrliches, goldenes Licht auf dem Ballon und fühlte eine neue Wärme im blauen Dom des Himmels. Er erhob sich und erblickte die Sonne, die wie ein großer Ball blendenden Goldes auf einem wilden Meer goldumsäumter, roter und purpurner Wolken thronte. Wundervoll und seltsam war es, über alle Begriffe. Gen Osten erstreckte sich endlos, in dunkelndem Blau, das Wolkenland; und Bert schien es, als läge die ganze runde Hemisphäre der Welt vor seinen Augen …

Da bemerkte er, fern über dem Blau, drei lange, dunkle Gebilde, gleich eilenden Fischen, die hintereinanderher glitten, wie Delphine im Wasser hintereinanderher schwimmen. Sie waren ganz wie Fische – mit Schwänzen. Es war – in dieser Beleuchtung – kein ganz überzeugender Eindruck. Bert blinzelte, starrte wieder hinüber. Sie waren verschwunden. Noch lang durchforschten seine Blicke jene fernen, blauen Gefilde. Er sah nichts mehr …

»Möcht' wissen, ob ich überhaupt was gesehen hab'!« dachte er. »So was gibt's ja nicht …«

Tiefer und tiefer sank die Sonne, nicht senkrecht, sondern sachte gen Norden gleitend. Dann plötzlich war das Tageslicht und seine allumfassende Wärme verschwunden und der Zeiger des Statoskops zitterte hinüber nach Descente.

III

Na, was jetzt?« sagte Bert.

Weit, langsam, stetig stieg die kalte, graue Wolkenwildnis gegen ihn empor. Und während er zwischen sie hinabsank, hörten die Wolken auf, schneebedeckten Berggipfeln zu gleichen, wurden körperlos, zu einem uferlosen, stummen Treiben und Wogen. Einen Augenblick, als er schon fast zwischen ihren Dämmermassen war, hielt der Ballon im Fallen inne. Dann plötzlich war der Himmel fort, die letzten Spuren des Tageslichts verschwunden, und er fiel schnell, in einem Abenddämmerlicht, durch einen Wirbel von feinen Schneeflocken, die an ihm vorüber dem Zenit zu fluteten, die auf alles, was ihn umgab, herein wehten und schmolzen und sein Gesicht mit Geisterfingern berührten. Ihn schauderte. Sein Atem kam dampfend von seinen Lippen, und im Handumdrehen war alles betaut und naß.

Er hatte den Eindruck eines Schneesturms, der mit beispielloser und immer wachsender Heftigkeit aufwärts fegte. Und er begriff, daß er immer schneller und schneller sank.

Unmerkbar erwachte in seinen Ohren ein Geräusch. Das große Schweigen der Welt war zu Ende.

Was war dies unklare Geräusch?

Er reckte den Hals über die Korbwand – besorgt – verwirrt.

Erst war ihm, als sähe er, und dann, als sähe er nicht. Dann sah er deutlich kleine Schaumkämme, die einander verfolgten, und eine weite Wüste wogender Wasser unter sich. Weit in der Ferne war ein Lotsenboot mit einem großen Segel, auf dem undeutliche, schwarze Lettern standen, und mit einem kleinen, rot-gelben Licht. Und das Boot rollte und stampfte – rollte und stampfte im Sturm, während er überhaupt keinen Wind spürte. Bald klang das Geräusch der Wasser laut und nah. Er sank – sank – ins Meer.

Er entwickelte plötzlich eine fieberhafte Tätigkeit.

»Ballast!« schrie er, hob einen kleinen Sack vom Boden und warf ihn über Bord. Er wartete die Wirkung gar nicht erst ab, sondern sandte sogleich einen zweiten hinterher. Jetzt blickte er hinunter und sah gerade noch einen winzigen, weißen Schaumfleck in den Wassern unter sich. Dann war er wieder im Schnee und in den Wolken.

Er warf – ganz unnötigerweise – noch einen dritten und vierten Ballastsack über Bord und bemerkte auch bald mit unendlicher Genugtuung, daß er aus Frost und Feuchtigkeit wieder in die klare, kalte, obere Luft flog, in der das Tageslicht noch säumte. »Gott sei Dank!« sagte er aus tiefstem Herzen.

Ein paar Sterne funkelten durchs Blau. Im Osten schien klar ein flacher Mond.

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