Die Göttinnen

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"Kommt zurück!"

Sie löste ihr Haar, mit zwei tapferen Griffen. Sie hielt es in den Händen, es entfloss ihr, lang und schwer. Da fiel ihr die Cucuru ein. "Das ist der Schlusseffekt," dachte sie. "Was für ein Theater!"

Ich nächsten Augenblick sagte sie: "Trotzdem," und sie warf den beiden Seltsamen ihre schwarzen Flechten zu, wie vorher ihr Gold. Sie stürzten sich darauf, mit Lippen und Zähnen. Die Herzogin sah auf sie herab, erbleicht, den Kopf zurückgelehnt, wie aus der starren Höhe des Turmes, von dem nach dem Glauben dieser Geschöpfe ihr Haar herunterhing.

"Geht nun!"

Ihre Stimme drang matt in die mit Dämpfen von Sinnlichkeit erfüllten Köpfe. Sie fand sich überwältigt von einem Auftritt, den sie nicht überlegt hatte. Sie durchsuchte das Dunkel, ratlos und fast blind vor jäher Angst. Sie war nahe daran um Hilfe zu rufen. "Warum?" fragte sie, und gestand sich: "Weil ich mich schäme." Und dabei fühlte sie, dass sie diese sonderbare Feierlichkeit nicht hätte missen wollen.

Sie stampfte auf:

"Geht!"

Die beiden taumelten, erschraken und verschwanden. Sie wartete, abgewendet, bis sie allein war. Endlich erreichte sie, fast flüchtend und unterwegs ihr Haar zusammenraffend, ihren Wagen. Sie warf sich in eine Ecke und schloss die Augen, voll wilder Bilder, die sie schwindeln machten. Nach einer Weile fand ihr Finger im Winkel des Lides eine Träne.

Beim Kardinal erzählte sie alles, kühl und anschaulich. Dabei formte sich ihr erst der Vorgang; sie ergänzte ihn durch Züge, die nicht hätten fehlen dürfen. Sie waren grausam, und die Herzogin lächelte dabei nur noch zurückhaltender. Ehe sie die Hingabe ihres Haares eingestand, ward es ihr heiß zu Mute. Sie fügte rasch hinzu, die beiden Wilden hätten ihr mit den Zähnen große Stücke herausgerissen. Da sie gleichzeitig vor wütendem Eifer sich selbst in die Hände gebissen hätten, so sei das Blut ihr über die Haare geronnen. Man fand ihre Stimme vollkommen gefühllos. Die Blà zweifelte vorübergehend an ihr, die Cucuru fühlte sich unbehaglich.

Zu Hause in ihrer Vigne, über der duftenden Stille des Frühlingsgartens, bebte sie bei der Erinnerung an jene Nacht.

"Wer waren die beiden Seltsamen? Menschen und Freunde, die zu mir den Weg fanden und keine andere Bedeutung hatten als andere Menschen und andere Freunde?"

"O nein, was ich damals sah, es muss ein Stück meiner eigenen Seele gewesen sein, mir unversehens entsprungen, rot, warm und pochend. Vor meinen Augen hat es sich geregt und gespielt, ein wunderbares Spiel, eine Maskerade, beängstigend und bezaubernd."

Sie blieb stehen und lächelte sich zu.

"Das hätte ich ihnen am Mittwoch sagen sollen! Aber du bleibst immer das Kind auf dem Felsenriff im Meer, — dein Leben lang, kleine Violante. Mit Monsieur Henry verspottest du Gott und die Weltgeschichte, und dann legst du dich an das Ufer deines Sees und träumst mit Farren und mit Eidechsen."

Man ließ sie träumen.

Am Abend nach ihrer erstaunlichen Erzählung blieb Monsignor Tamburini länger als sonst beim Kardinal. Seine Eminenz war angeregt und wissbegierig, er näherte einige Münzen dem Lichte der dreiarmigen Ampel und sah darüber weg.

"Mit der Gesellschaft, die wir uns für unseren Mittwoch geschaffen haben, bin ich recht zufrieden. Was wir soeben wieder gehört haben, war durchaus merkwürdig und unterhaltend. Aber nun sagt mir einmal, lieber Sohn, was ihr mit diesen so liebenswürdigen Versammlungen für eine Absicht verfolgt. Ich gestehe, dass ich mich noch gar nicht darum bekümmert habe, warum Ihr eigentlich mit der schönen Herzogin Politik treibt. Mir selbst, — Ihr wisst, wie ich genügsam bin, — ist sehr an den schönen, alten Geldstücken gelegen, die sie mir verehrt. Aber Ihr, ein so wirklichkeitsliebender Mann…"

"Eminenz, das Ganze ist ein Zufall, und mein Verdienst beschränkt sich darauf, dass ich ihn nicht ungenützt gelassen habe. Ich fand die Herzogin von Assy im Klostergarten zu Palestrina —"

"Wie ein Blümchen! Und Ihr brachet es mir, Ihr Guter!"

"Ich nahm sie mit, — ursprünglich nur aus Spekulation, weil eine Herzogin von Assy der Kirche stets nützen kann. Ich dachte an eine Bekehrung der allzu weltlichen Frau, an ihr großes Vermögen, auch an eine interessante und nutzbringende Verbindung mit ihrem Geschäftsmanns dem Baron Rustschuk…"

"Ein großes Licht unter euch praktischen Leuten, nicht wahr?"

"Ein hoch bedeutender Mann. All das Geld! All das Geld! … Leider ist die Bekehrung der Herzogin unmöglich; ich musste mich davon überzeugen. Diese Heidin verschließt sich der Gnade. Auch wurden ihre Besitzungen eingezogen. Ich gestehe, dass mich das anfangs gegen sie einnahm."

"Ich begreife Euch, mein Sohn."

"Dann aber erkannte ich, dass uns gerade die Konfiskation ihrer Güter die erfreulichste Aussicht eröffne, nämlich sie ihr wiederzugewinnen und dafür belohnt zu werden."

"Sie ihr wiedergewinnen? Ihr müsst mir das Kunststück zeigen. Ich habe nicht genug Genie, es selbst zu finden, doch reizt es mich gewissermaßen."

"Sehr einfach. Die dalmatinische Regierung ist erzürnt wegen der revolutionären Umtriebe, die im Namen der Herzogin von Assy stattfinden. Wir verhandeln also mit der Negierung wegen Unterdrückung der Revolten. Alles kommt auf den Preis an, den sie uns bietet. Nach Beruhigung des Landes muss man das Assysche Vermögen freigeben, es wird keinesfalls möglich sein, die Konfiskation aufrecht zu erhalten. Die Herzogin hat zu mächtige Verbindungen, ihr Kredit bei den Höfen ist größer als der des Königs Nikolaus … Sie erhält alles zurück und zeigt sich natürlich gleichfalls gegen uns erkenntlich."

"Belohnung von zwei Seiten! Ihr seid stärker als ich dachte, Tamburini. Nur möchte ich noch wissen, weil ich's ganz kurios finde, — wie Ihr's anstellen wollt, dass die Revolten aufhören."

"Aber mir scheint … da wir sie anzetteln, können wir sie auch aufhören lassen."

"Das ist … Das übersteigt, ich gestehe es, meine Voraussicht. Also man erregt Aufstände; die dalmatinischen Bischöfe, die Kirche, — sagen wir: wir…"

"Jawohl, sagen wir: wir."

"Wir erregen in jenem Lande Aufstände, dann gehen wir zu den Machthabern und sagen: Gebt uns Geld, so hört es auf. Das ist gut erdacht, mein Sohn. Und sollte es fehlschlagen, so war es darum doch eine höchst sinnreiche Sache."

Der Kardinal kehrte bereits zu seinen Altertümern zurück. Eine Frage machte ihm noch zu schaffen.

"Solch ein gelungenes Spiel, wie nennt man es nur? Erpressung, vielleicht? Mir scheint, ja, Erpressung."

Und er nahm die Lupe zur Hand. Tamburini entrüstete sich ehrlich.

"Es ist eine der heiligen Kirche durchaus würdige Angelegenheit, einer unglücklichen Verbannten ihr irdisches Gut zurückzugewinnen."

"Um dafür belohnt zu werden."

"Das ist nicht unmoralisch."

"Ich sage ja nichts, lieber Sohn."

Die Cucuru fragte ebenso wenig nach den Träumereien der Herzogin. Vinon musste ihr Schreibgerät ordnen und über die nächtliche Zusammenkunft beim Wechslerbogen einen reinlichen Bericht aufsetzen für den dalmatinischen Gesandten.

"Stets auf Französisch, meine Vinon. Es ist die Diplomatensprache."

"Und, Maman, wenn wir nicht so gut französisch schrieben, dann würden sie vielleicht noch weniger dafür geben."

"Noch weniger! Die Schufte! Eine saubere Regierung, die einer armen, alten Frau für ihre mühsame Arbeit solche Hungerlöhne zahlt. Ihr könntet sticken für Geschäfte und würdet noch ebenso viel verdienen."

Man warf rasch eine Handarbeit über das angefangene Schriftstück; Lilian betrat das Zimmer.

"Gebt euch keine Mühe," sagte sie. "Ich habe es vorausgewusst, ihr würdet euch heute wieder mit eurem schmutzigen Gelderwerb befassen."

"Schmutziger Gelderwerb? Vinon, hat sie schmutziger Gelderwerb gesagt? Aber das Geldausgeben, wenn man keines auszugeben hat, das ist wohl sauberer, mein Töchterchen? Da seht mir einmal die hochmütige, weiße Jungfrau an! Diesen Winter hat sie vier Promenadenkostüme angeschafft und keines bezahlt!"

"Ich wohne in einem Stall, und ich würde, wenn es sein müsste, Käse essen und nichts weiter. Aber ich muss beim Korso in seidenen Kissen liegen und trage auf der Straße ein Kleid keinen Monat lang. Ich kann es nicht, ich bin eine Dame."

"Sie ist eine Dame! Hörst du's wohl, Vinon? Aber sorgt sie wohl dafür, dass ihr Schatz die Schneiderin bezahlt? Und wenn ihre Mutter ihr sagt, wir brauchen in der Familie einen zweiten Mann, für die Schneiderin und den Konditor, dann vergisst sie sich fast und lasst es an Ehrerbietung fehlen gegen ihre alte Mutter."

"Jetzt kommt Raphael Kalender! O mein Gott, erfinde etwas neues. Es ist langweilig, auch die Schande wird langweilig."

Lilian warf sich in ein Sofa; es ächzte schwach.

"Herr Raphael Kalender, was hat sie denn gegen ihn ? Vinon, Töchterchen, kannst du dir denken, warum sie ihn nicht will? Herr Kalender ist ein Fremder aus Berlin, ein steinreicher Herr. Er ist hergekommen, um Geschäfte zu machen, weil die Römer dazu zu dumm sind. Jetzt gründet er ein riesiges Varietétheater, ein anständiges, in das auch Familien gehen können. Darauf war hier noch niemand verfalle», Geld zu verdienen mit Anständigkeit. Welch kluger Mann!"

"Ein Jude mit einer Glatze, der mir bis an die Brust reicht. Ich werde ihn und den Priester sich abwechseln lassen und der eine wird mich absolvieren von den Sünden, die ich mit dem andern begehe."

"Jetzt scherzt sie schon! Sie wird schon noch Vernunft annehmen!"

"O ja, Maman, sei unbesorgt, schließlich nehme ich doch immer Vernunft an. Du bewegst mich auch noch zu der allerschmutzigsten Sache. Du hast dafür ein so einfaches Geheimnis: du wiederholst sie mir hundertmal. Beim ersten Mal halte ich sie für vollständig unmöglich, bin noch guter Dinge und lache. Beim fünfzigsten Male weine ich. Ich will in den Tiber laufen — vor Ekel. Und beim hundertsten tue ich, was du verlangst — vor Ekel."

 

Vinon hatte vor sich hin gekichert. Plötzlich sah sie auf, ihre Brauen, dunkler als das Haar, grenzten aneinander. Aufmerksam und trotzig betrachtete sie ihre Schwester. Sie sagte:

"Jawohl, Lilian, so bist du."

Darauf machte sie sich wieder an ihre Schreibarbeit.

Die Blà hätte wohl mit ihrer Freundin geträumt; doch beschäftigte ihr Geliebter jeden ihrer Augenblicke. Er war häufig übler Laune.

"Ich verliere, verliere, verliere. Das war nicht immer so."

"Und warum ist es jetzt so, mein Orfeo?"

"Mir bringt jemand Unglück."

"Wie kann sie denn noch, die arme Herzogin! Du fasst, sobald du sie siehst, an deine Hornbreloques und streckst zwei Finger gegen sie aus. Was soll sie dir also anhaben?"

"Nichts. Sie ist es gar nicht, es ist eine andere."

"Wer denn, ich bitte dich."

"Du selbst. Denn du liebst mich zu sehr, das bringt Unglück."

"O Himmel!"

Sie war bestürzt bis zur Sprachlosigkeit. Also ihre Liebe kostete ihn Opfer! Wenigstens glaubte er es.

"Wie tief bin ich in seiner Schuld!"

Sie entäußerte sich ihres bescheidenen Schmucks. Als eine sicher erwartete Einnahme ausblieb, hatte sie einen Augenblick der Schwäche und der Auflehnung gegen alle ihre Mühsal. Piselli entnahm die Summe, deren er bedurfte, der herzoglichen Kasse.

"Sind wir denn Pedanten?" meinte er. "Du hättest das tun sollen, ehe du deine armen Colliers drangabst. Versteht es sich etwa nicht von selbst, dass du von deiner Freundin stillschweigend ein Darlehen entnehmen darfst? Musst du ihr davon erst sprechen? Dann ist es mit euerer Freundschaft nicht weit her."

Sie hatte nicht nötig, der Herzogin davon zu sprechen. Denn schon tags darauf war das Geld zurückerstattet; Piselli hatte gewonnen. Er gewann immer. Täglich griff er in die Schatulle, und täglich brachte er den dreifachen Betrag nach Hause. Er war stets überaus gnädig und großherrlich heiter. Sie zitterte vor der Zukunft und liebte sie. Es war eine Zeit des schönen Einklanges. Orfeo gab ihr prächtige Diamanten, wie sie nie welche besessen hatte. "Da hast du deine Juwelen zurück. Ich könnte es nicht ertragen, dass du meinetwegen etwas entbehrst."

Sie verkaufte sie heimlich und bereicherte mit dem Erlös den dalmatinischen Agitationsfonds. Es war eine schwere Viertelstunde, als sie sich gestand, das sei eine Sühne.

"Du verlierst überhaupt nie mehr," sagte sie. "Jetzt wirst du nicht wieder behaupten, meine Liebe bringe dir Unglück."

"Sie würde es tun, wenn sie könnte. Aber etwas anderes wirkt dagegen," erklärte er geheimnisvoll. "Und zwar viel stärker."

"Was denn, mein Orfeo?"

Sie fragte leise. Es erregte sie süß und angstvoll, in die Tiefe seiner abenteuerlichen Seele hinabzublicken. Dort war alles voller Wunder.

Er ließ sich bitten. Endlich verriet er etwas:

"Wir sind ja keine Pedanten. Aber es ist nun einmal Tatsache, dass der Einsatz, womit ich spiele, nicht uns gehört. Und die Eigentümerin weiß nichts davon! Das ist von höchster Wichtigkeit, du magst mir glauben oder nicht. Ich habe in den Spielhäusern oftmals die Bekanntschaft von Leuten gemacht, denen ich zutraute — wenn ich's nicht sogar wusste —, dass sie mit fremden Gelde spielten. Du verstehst: Muttersöhne, die den Schreibtisch des Papas erbrachen, oder Bankiers, die das Depot eines Kunden wagten. Nun…"

Er stellte sich vornehm vor einen lackierten Paravent und erhob belehrend den Zeigefinger.

"Nun, diese gemeinen Schufte gewannen immer, — ausnahmslos immer."

Da bemerkte er, dass sie mit geschlossenen Augen dunkel errötete. Die Unehre stand vor ihr und sie hatte nicht den Mut, ihr ins Gesicht zu sehen. Piselli lachte herzlich und umarmte sie.

"Bin ich etwa ein diebischer Bankier? Kleine Närrin! Solange ich keinen Orden bekomme, darfst du ruhig sein."

Sie wagte eine Bitte.

"Wenigstens solltest du sparen. Du bist so leichtsinnig, mein armer Geliebter."

"Ich verdiene, nicht wahr? Wer verdient, hat auch das Recht, Ausgaben zu machen."

Er saß auf dem Korso vor den reichen Caféhäusern, den linken Fuß auf den rechten Schenkel gestützt und den Torso leicht und fein darüber geneigt in der Haltung des Dornausziehers. Eine Schar eleganter Damen und Herren umringte ihn, und er bewirtete alle. Er war glücklich und versagte sich keine Laune. Zwei Schwestern aus England, die abenteuernd das Festland durchzogen und manchem Millionär zu teuer waren, — Piselli gönnte sie sich. Nächsten Tages gab er seiner Freundin einen ausführlichen Bericht, zu Ungunsten der Inselbewohnerinnen.

"Man fällt auf ihre gelben Schöpfe hinein und auf ihre Länge, und weil sie englisch sprechen. Wie sind wir Männer dumm!"

So oft er sie warten ließ, benutzte sie es als Vorwand, um bei ihrer Arbeit die Nacht zu durchwachen. Er kam in der Dämmerung, schwankend und aufschluckend, doch marmorschön. Sie legte ihn hin, bettete seinen Kopf in ihrem Schöße und behütete, zärtlich und weihevoll, den Schlaf eines Gottes. Das Lampenlicht ward gelb und erlosch. Die Sonne sprenkelte die beschriebenen Blätter, die den Tisch bedeckten. Die Blà berechnete, erschöpft und sorgenvoll, was sie für das Werk dieser langen, fiebernden Stunden bekommen werde. Piselli reckte sich, er sprang auf, gut ausgeruht. In seinen Taschen klimperte der Gewinn der Nacht, er rief fröhlich:

"Was für ein Frühlingstag! Heute habe ich wieder Glück!"

Pavic genoss auf Pisellis Kosten manches gute Frühstück, aber er genoss es, in der Menge der Gäste versteckt, als namenloser Mitläufer. Auf die Frage nach dem dicken Herrn in abgetragenem Anzug und schwärzlichem Hemd erklärte Piselli, der Name sei ihm entfallen. Pavic war in seinen Schmerz vertieft, er merkte es nicht, wenn junge Gecken, die ihn gestreift hatten, sich mit dem Schnupftuch den Ärmel betupften, oder wenn ein feines Fräulein, dessen Vater den Rinnstein kehrte, ihm unter angewiderten Fratzen mit Maiglöckchensträußen vor dem Gesicht umherwedelte.

Eines Abends befand er sich in der Gesellschaft der Pariser Diva Blanche de Coquelicot. Raphael Kalender hatte sie für seine Bühne gewonnen; ihre Bewunderer gaben ihr ein Souper. Auf dem Absatz der flachen Treppe, die zum Speisesaal emporleitete, erhob sich ein Prachtstück von einem Spiegel, wundervoll geschliffen, in gemeißeltem Rahmen, den schwebende Putten umkränzten. Kerzenlicht und Farben glühten höher in diesem Spiegel, als in der Wirklichkeit. Er war wie ein Haus der Wonnen, das sich weit auftat, strahlend und lockend: man musste hineinsehen. Jeder der vorbeikam, zögerte und unterdrückte ein Lächeln der Befriedigung; denn der Spiegel zeigte ihm nur das, was er an sich liebte.

Der Tribun näherte sich dem Spiegel zwischen zwei Klubleuten. Der eine bewunderte sich hauptsächlich wegen seiner Favoris und seiner schmalen Lackschuhe, der andere wegen seines neuen Fracks. Pavic erkannte dies mit einem plötzlich grell erleuchteten Blick.

"Warum bin ich denn zerknittert von Falten, als ob ich jede Nacht auf dem Sofa schliefe? Sind meine Stiefel heute gewichst? Wann war ich zum letzten Male beim Coiffeur?"

"Er kann sich nicht losreißen," sagte hinter ihm eine Dame. Pavic merkte, dass er stehen geblieben war. Er zog seine Hose hinauf, doch sie rutschte gleich wieder; und er enteilte errötend.

Er aß verzweifelt und stumm. Gegen Ende des Festes benahm Blanche de Coquelicot sich gegen ihn ausgelassen. Sie behauptete, den inneren Rand seines Hutes bedecke eine Schicht Schweinefett. Sie versuchte sogar, ihn zu reinigen, indem sie Champagner darauf goss.

Pavic war weit entfernt von den Gänsen, die ihn bewitzelten. Er dachte an seine Photographie, die ehemals in den Schaufenstern zu Jara aushing. Wer weiß, vielleicht hing sie noch dort. Die Frauen schwärmten noch immer vor dem Bildnis des edelgeformten Freiheitshelden. "Und ich sitze hier!" Plötzlich fiel ihm, mit leidenschaftlicher Deutlichkeit, ein perlgraues Beinkleid ein. Er war einmal mit ihm im Triumph spazieren gefahren, im Wagen der Herzogin von Assy.

Er ging erst, als die Rechnung bezahlt war und ihm kein Wein mehr gereicht wurde. Darauf besuchte er eine Weiberkneipe. Gegen Morgen erreichte er sein Zimmer, es lag im vierten Stockwerke eines von Handlungsreisenden benutzten Hotel meublè. Er hielt sich für todmüde, aber als er an dem gelben Stück Glas vorbeikam, vor dem er sich zu kämmen pflegte, begann er unversehens vor Wut zu zittern. Er wandte sich drohend um nach einer unsichtbaren Person.

"So hast du mich aussehen gemacht! Ruchlose! Die Holle erwartet dich, das glaube nur! Du Vornehme! Eine Herzogin gehört in die Hölle! Sie hat ja nie gelitten!"

"Du! Spielt man so mit Menschenleben?" schrie er, und sein Hass und seine Gier quollen auf in Thronen. Eine Sucht quälte ihn, nach der Herzogin und der perlgrauen Hose, beide auf immer verloren. Wären beide vor ihm gelegen, so wäre Pavic in ohnmächtigem Verlangen an ihnen zerflossen.

Er begab sich nicht zu Bette, er redete bis an den Morgen mit der Herzogin.

"Du bist nun vogelfrei, denn du bist zu böse! Dir darf man antun, was man will! Schlecht? Nein, schlecht ist nichts, wenn es zu deinem Schaden geschieht!"

Nachmittags traf er Piselli im Café Venezia. Er winkte ihn in die Ecke und überreichte ihm eine um ein halbes Jahr zurückdatierte Schuldverschreibung der Herzogin von Assy. Pisellis Haut verlor ihren Glanz, sie ward fahl.

"Dieser Mensch bringt mir Unglück," dachte er. Er zahlte sofort aus seiner Tasche und begann dabei schon nachzusinnen, wie Pavic. falls er sein Stückchen wiederholte, zu beseitigen sei.

Doch hatte er von Pavic nichts mehr zu befürchten. Der Tribun ließ sich die Hose anfertigen, aber als sie über seinem Stuhl hing, verkroch er sich ins Bett. Ihn schauderte vor ihr und vor seiner Tat. Die Bettwärme erweichte endlich seine grausame Reue und er durfte weinen. Er schluchzte dermaßen, dass sein Bauch umherkollerte und das Tuch, das ihn bedeckte, Wellen schlug. Das Morgenrot fand Pavic auf den Steinfliesen im Gebet.

San Bacco ging oft im Zimmer der Herzogin auf und nieder. Unter Fechterbewegungen und mit hoher Kommandostimme erklärte er:

"Diesen Tamburini liebe ich nicht, er ist ein Wolf. Und gar die Fürstin Cucuru und ihre Tochter, — ha! Was für Wölfinnen."

"Die armen Frauen!" meinte die Herzogin.

"Arm? oh, ich glaube, dass es für jede weibliche Schande Verzeihung gibt, nur nicht für die Wölfinnen von Priestern."

"Die Familie Cucuru ist also verdammt?"

"Ich glaube es. Dann die Contessa Blà, sie ist mir viel zu witzig. Der Doktor Pavic, ich weiß nicht, warum er ganz verblödet."

"Der eine hat zu wenig Geist, der andere zu viel. Lieber Freund, Sie sind grämlich."

San Bacco verstand seine Gefühle nicht zu deuten, doch wurde ihm im Verkehr mit allen diesen Leuten nicht wohl. Sie berührten ihn gerade so unheimlich, wie manche unter seinen Kollegen im Parlament: beträchtliche, weltkundige Herren, deren zahlreiche Ordensbänder als Fahnen aufgepflanzt waren auf einem Wall von Diebereien und Gesinnungslosigkeiten. Er konnte ihnen nichts davon nachweisen, und wenn der alte Garibaldianer, unterstützt von den geraden Draufgängern und den ahnungslosen Philosophen seiner Partei, einmal losbrach gegen die gewandten Regierungsfreunde, dann hatte er sie zum Schluss verleumdet, sich lächerlich gemacht und vom Präsidenten drei Rügen erhalten.

Gerade jetzt forderte er mit Ungestüm von Land und Volksvertretung, man solle den Bulgaren im Kampfe um ihre Unabhängigkeit zu Hilfe kommen, und zwar nicht bloß gegen ihre Unterdrücker, die Türken, sondern erst recht gegen die Russen, ihre Freunde, die schlimmer feien. Er ging in besonders kriegerischer Stimmung umher, zu höhnischen Reden aufgelegt und zu Revolte.

"Taten! Woher kommt nur die allgemeine Angst vor Taten? Ich verlange nicht, dass man sie tun soll, — wie dürfte ich denn? Aber sie zuzugeben und mit anzusehen, auch dazu findet niemand den Mut: Herzogin, nicht einmal Sie! Hätten Sie sonst meinen Plan verworfen, als ich mit tausend Tapferen Ihr Land befreien wollte?"

 

Sie vertröstete ihn jedes Mal.

"Ihre Stunde kommt, Marquis, — vielleicht kommt sie. Vorläufig tragen meine Soldaten keine roten Hemden, sondern schwarze Soutanen. Aber ich bitte Sie, bleiben Sie der Meinige!"

"Ich könnte ja doch nicht anders, wenn ich auch wollte," sagte er zum Schluss, besänftigt, schüchtern fast, und mit einem Handkuss.

Es geschahen Umwälzungen in San Bacco, die ihn tief erregten, ohne dass er wusste warum. Eines Morgens ward es ihm dennoch klar, und in einer der Wallungen, aus denen sich sein Leben zusammensetzte, schrieb er seiner Freundin einen Brief.

"Frau Herzogin!

"Ich habe die Ehre, Sie um Ihre Hand zu bitten.

"Sie werden sagen, dass Sie darauf nicht vorbereitet waren. Ich kann nur erwidern, dass auch ich bis heute früh es nicht vorausgesehen habe.

"Mir ist zu Mute, als kämpfte ich wie ehemals, auf einem der Riesenflüsse Südamerikas, als Pirat im Dienste der Republik von La Pinta gegen den Kaiser von Brasilien. Mein Schiff fahrt vor einer grünen Insel vorbei, es steht ein einsames Blockhaus darauf, und in den klaren Morgen hinaus tritt ein junges Weib. Ich lehne am Mast und erblicke sie. Ich lasse die Segel reffen und steige ans Land. Ich bitte das junge Weib in schwarzen Haaren, die meinige zu sein, und führe sie auf mein Schiff, und wir kämpfen fortan Seite an Seite. Die Erde, die' ich erobere, gehört ihr.

"So, Frau Herzogin, wie eine Unbekannte, und ohne mich zu besinnen, möchte ich Sie auf mein Schiff geleiten. Unsere Segel schwellen, wir dringen gemeinsam in das Reich der Freiheit ein, das Sie erträumen; unsere Degenspitzen uns voran.

"Warum ich Ihnen meine Werbung nicht selbst überbringe? Ich schäme mich, — und ich sage Ihnen warum. Ich lasse die Sache der Bulgaren im Stich, für die ich so viel geworben habe, und werfe mich ganz auf diejenige Dalmatiens. Sie ist mir wichtiger, weil sie Ihnen wichtiger ist. Und ich erwarte meinen Lohn nicht mehr, wie bisher noch stets, von der Göttin der Freiheit, sondern, Herzogin, von Ihnen.

"Die Freiheitsgöttin hat mir mit Ehre gelohnt. Ich, der ich den Völkern so viel freie Erde gewonnen habe, bewohne mit fünfzig Jahren ein Gasthauszimmer. Kein Gärtchen ist mein, aber ich dachte noch nie daran.

"Alle meine Taten tat ich ohne das Verlangen nach irdischem Gewinn. Für eine einzige und vielleicht letzte begehre ich nun auf einmal alles, und das Allerherrlichste: das Weib, das ein klarer Morgen vor meinen Blick auf eine Insel hingezaubert hat, und ohne das ich meine nicht mehr weiterfahren zu können. Ich bin selbstsüchtig geworden und gesunken; aber nun habe ich es Ihnen wenigstens gestanden: richten Sie nun.

"Sagen Sie mir, ob ich bleiben darf und für Sie rüsten, zum Zuge in Ihr Land! Wenn nicht, dann breche ich unverzüglich, mit den Selbstlosesten meiner Landsleute, auf nach Bulgarien.

"Und gehöre trotzdem immer Ihnen.

San Bacco."

Sie antwortete:

"Mein lieber Marquis!

"Sie dürfen reisen und — der Meinige bleiben. Ihnen folgen, darf ich nicht. Wir sind uns zu ähnlich, merken Sie nicht, dass wir alle beide mutige Phantasten sind? Wie Sie sich meine Revolution denken, so habe ich sie ja schon zu machen versucht: sanguinisch, offen und mit Gewalt. Jetzt bescheide ich mich und lasse die Priester gewähren. Sie tun es, wie sie's verstehen, nämlich unterirdisch, langsam und mit Misstrauen nach allen Seiten. Das erste Mal musste ich flüchten. Jetzt will ich aushalten; überreden Sie mich nicht zum Wankelmut. Wie meine Sache jetzt geführt wird, sieht sie viel weniger schön aus. Aber, nicht wahr, Marquis, unter uns kommt es auf Gesinnungen an; nicht auf Werke.

"Sie gehören trotzdem immer mir: ich nehme Ihr Wort an, in tiefem Ernst. Wann immer ich Sie rufen mag — und ich weiß jetzt nicht einmal, wann und wozu ich einen Ritter und einen braven Mann nötig haben werde —, dann werden Sie ohne Zögern kommen.

"Ich entlasse Sie nicht, ich beurlaube Sie nur nach Bulgarien. Sie dürfen reisen.

Ihre

Violante von Assy."

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