Die Göttinnen

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Sie rief überrascht:

"Die kenne ich ja! Sie ist von Lissa, meiner schönen Insel. Ich schreibe dem Bischof; Sie werden mir erlauben, Eminenz, Ihnen mehr von diesen Dingen anzubieten."

"Können Sie das denn noch?" fragte die Cucuru. "Ihre Länder sind Ihnen ja weggenommen."

"Sie haben recht, ich dachte nicht mehr daran."

Sie musste sich besinnen.

"Nun, der Bischof wird mir die Münze aus Gefälligkeit schicken," meinte sie lächelnd.

"Nein, nein, lassen Sie das lieber!"

Die Greisin war unzufrieden. Sie nahm ihr Gebiss wieder an sich und sprach ohne Mummeln.

"Freund Anton gibt sich viel zu viel mit solchen Dummheiten ab, bestärken Sie ihn nicht darin! Er sinnt nur darauf, sein Geld wegzuwerfen, und nichts hat er übrig für tatkräftige Unternehmungen, wobei Familien reich werden. Haben wir Geld, so haben wir Verpflichtungen!"

Der Kardinal wandte leise ein:

"Alles zu seiner Zeit, liebe Freundin."

Er achtete nicht weiter auf die alte Dame, die sich bei Monsignor Tamburini eine Bestätigung ihrer Ansicht holte. Er hauchte auf einen geschnittenen Stein und glitt mit zärtlichem Finger darüber hin. Sie schrie höhnisch:

"Wie er putzt! Wie er verliebt ist in den Firlefanz! Freund Anton, Ihr wart immer nur ein Frauchen!"

Tamburini machte sich von neuem an Lilian Cucuru heran:

"Singen Sie doch etwas," sagte er, und unter dem süßen Schleim, worin er seine Aufforderung einwickelte, grollte etwas Plumpes, wie die Drohung eines Herrn und Besitzers. Sie wand sich, ohne ihn anzusehen. Ihre Mutter rief scharf:

"Du hörst doch, Lilian, man bittet dich zu singen. Wozu bekommst du die teuren Stunden?"

Das Mädchen blickte hilflos auf die Herzogin. Diese fragte:

"Wollen Sie mir eine Freude machen, Prinzessin Lilian?"

Sie erhob sich sofort und ging langsam die Galerie zu Ende. Dort blieb sie stehen und sang irgendetwas. Man sah sie undeutlich. Ihre Stimme huschte ängstlich und wie vom Schatten erstickt, durch den Raum. Die schimmernde Figur des Marmorknaben hinter ihr legte einen Finger auf den Mund. Man klatschte; darauf kam sie zurück, müde und ohne eine Spur von Erwärmung in Wangen und Augen.

Es ging auf Mitternacht, die Herzogin brach auf. Sie sollte den Wagen des Kardinals benutzen, und als sie die Lange der Fahrt beklagte, bot sich ihr die Contessa Mil zur Begleitung an.

Die beiden Frauen fuhren die Lungara zu Ende. An der Ecke des Borgo entstiegen dem Hintergrunde flüchtig ein paar Säulen von den Kolonnaden Sankt Peters. Vor den Osterien saß das Volk bei Windlichtern und trank Wein. Einige spielten schreiend Morra.

"Die arme Lilian sieht aus wie ein Opfer ohne Rettung," bemerkte die Herzogin. Die Blà erklärte:

"Ein Opfer der mütterlichen Politik. Die Cucuru hat ihr Vermögen verloren. Sie ist überaus geschäftskundig und zieht Wechsel auf die Zukunft ihrer Töchter; aber doch wohl zu hohe Wechsel, es wird nichts übrig bleiben. Haben Sie nie etwas von dem verstorbenen Fürsten gehört?"

"Doch. Er soll das seinige an Schauspielerinnen verschenkt haben."

"Man tut ihm Unrecht, er gab es ebenso gern den Schauspielern. Er war ein heftiger Verehrer des Brettl, und wo immer in Neapel oder im ganzen Königreich ein solches Institut mit Schwierigkeiten kämpfte, da half er aus. In späteren Jahren reiste er selbst mit einer Truppe. Er saß allabendlich im Frack und mit schwarzer Perücke, steif und tiefernst, unter einem schofeln, lärmenden Publikum. Am Schluss stieg er auf die Bühne und verbeugte sich. Die Mimen waren seine Kinder, er verheiratete sie und stattete sie aus, schlichtete ihre Eifersüchteleien und nahm ihnen ihre Liebesbeichten ab. Seine Familie hatte schon bei seinen Lebzeiten nichts. Die Fürstin ist seit vierzig Jahren die Maitresse des Kardinals Burnsheimb."

"Noch immer?" rief die Herzogin, ganz erschrocken.

"Beruhigen Sie sich, Hoheit. Sie haben gehört, was der Kardinal sagte: Alles zu seiner Zeit. Jetzt ist es nicht mehr an der Mutter, für den Unterhalt der Ihrigen zu sorgen: Lilian muss dies tun."

"Auf dieselbe Art?"

"Schlimmer, finde ich. Denn eine feingeborene Frau sträubt sich auch noch in der letzten Not gegen einen Tamburini."

Sie ließen das Kastell und die Engelsbrücke hinter sich und rollten durch den Korso Vittorio. Zwischen dem trotzigen Cäsarengrab und den kläglichen Ruinen der unfertigen Straße tanzten in Flatterröcken über den blinkenden Fluss die späten, fleischesfrohen Genien. Aus den scharfen Schatten der Neubauten schlichen unbestimmte Gestalten, mager und faul, hinaus ins Mondlicht. Sie reichten den Dirnen, die ihnen ohne Hut, mit geöffnetem Brusttuch, schlenkernd und wiegend entgegenkamen, die weichen Verbrecherhände und gähnten.

"Wirklich … Tamburini?" wiederholte die Herzogin. "Er hat den Anstand, den sie in den Sakristeien lernen. Zu Hause muss er gemein sein."

"Er ist Sohn eines Bauern und ein Bauer mit allen bäuerlichen Eigenschaften. Die stärkste ist der Geiz. Die arme Lilian wird von ihren Sünden nicht satt."

"Und wozu diese Barbarei, wozu?"

"Vor drei Jahren liebte Lilian den Prinzen Maffa. Ich sage nicht, dass sie ihn nicht auch jetzt liebt. Er brauchte Geld. Nach einer Weile hochmütiger Koketterie hat sie, bei der Nachricht von seiner Verlobung, den Kopf verloren und sich ihm schriftlich angeboten. Der Brief ist im Klub des Prinzen herumgereicht worden, und die alte Cucuru hat ihre Tochter, um von der armen Jugend zu retten, was zu retten war, dem Tamburini zugeführt."

"Einem kleinen Priester! Wie genügsam."

"Auch Mousignor Burnsheimb war ein kleiner Priester, als die Fürstin ihn erhörte. Seitdem ward aus ihm ein Kardinal. Die Mutter hofft, der Purpur werde der Tochter nachfolgen in das Bett ihres Monsignore. Was wollen Sie, an so etwas glaubt man eben. Überdies ist für ein verunglücktes Mädchen das Bett eines Monsignore ein wahres Reinigungsbad. Ich weiß nicht, Frau Herzogin, ob Ihnen diese Anschauung frommer Leute bekannt ist?"

"Ich bin glücklich über diese Anschauung, falls sie der armen kleinen Lilian zugutekommt."

"O, manche sehen ihren Fehltritt schon jetzt als gesühnt an, und in einiger Zeit könnte sie sich standesgemäß verheiraten, wenn…"

"Wenn sie nicht so traurig wäre, die traurige Prinzessin."

"Nicht bloß traurig. Zu ihrem Unglück scheint sie Wert zu legen auf Menschenwürde. Ich fürchte fast, sie lebt innerlich in Empörung!"

"Sie weiß wenigstens warum. Und der Kardinal? Er hat das alles geschehen lassen?"

Ihr Wagen lenkte ein, sie befanden sich bei der Kirche Gesu. Vom Korso her bewegten sich Gruppen heimkehrender Theaterbesucher. Rauschende Frauen näherten ihre geschminkten Gesichter den Schnurrbärte« von Stutzern, an den Tischen vor den strahlenden Kaffeehäusern. Dem Lachen und Summen die Trottoirs entlang, dem Klappern von Geld und Kristallen, den mutlosen Rufen der Alten und der Kleinen mit Zeitungen und wächsernen Zündstäben gesellten sich ferne Orchesterklänge, als käme ein Nachtvogel herbeigeflattert zu andern.

"Der Kardinal," sagte die Blà, "er war immer nur ein Frauchen, wie seine Freundin sich ausdrückt. In den Duetten der beiden hat die Cucuru die Männerstimme gehabt. Jetzt ist ausgesungen, er hat sich den Vergewaltigungen durch ihr hartes Organ entzogen. Einzig seine Leidenschaft für teures altes Gerümpel war imstande, ihm dazu Kraft zu verleihen. Nun genießt er seine Selbständigkeit und gibt, mit dem Eigensinn der Schwachen, der alten Freundin nicht einmal das, was er ihr anständigerweise geben müsste."

"Also ein einfacher Egoist?"

"Kein einfacher: ein feiner, der unter Umstanden auch fähig wäre, Gutes zu tun, bloß aus Neugier, und ohne an das Gute zu glauben. Wenn man seine weibliche Neugier kitzelte, so könnte er vielleicht sogar Teilnahme fassen für den Freiheitskampf der Völker!"

"Aber die Freiheit lieben…?"

"Niemals. Sie wird ihm so gleichgültig bleiben wie die Frage, ob es in zwanzig Jahren noch Kirchenfürsten geben wird. Es genügt ihm, dass er selbst einer ist."

"Dieser alte Mann ist unheimlich eisig. Gehört er nicht zu den böhmischen Burnsheimb?"

"Er stammt von säbelrasselnden Draufgängern mit Stallduft, vor denen er sich verstecken musste in seiner Zartheit und Geistigkeit. Ich kann mir es denken, als Jüngling hat er viel geheuchelt, ist scheu geworden und krankhaft eigensüchtig. Das geistliche Gewand nahm er bloß, weil das in jener Umgebung für ein Wesen wie das seinige die einzige Art war, um anerkannt zu werden. Der neue Papst hat ihn recht gern, sie helfen einander beim Dichten von lateinischen Oden auf den Segen der Taubheit oder Episteln über die Bereitung von Radichiosalat. Haben Sie bemerkt, Frau Herzogin, wie er seine Medaillen und Gemmen anschaut? Mit tief beunruhigter Liebe, nicht wahr, und fast mit Neid."

"Mit Neid?"

"Weil sie ihn überleben werden."

Nach einer Pause setzte die Blà, etwas leiser, hinzu:

"Schließlich ist er von uns allen, die heute Abend beisammen waren, doch vielleicht der einzige, den man glücklich nennen kann."

"Sie vergessen Vinon Cucuru?" meinte die Herzogin.

"O, Vinon: ein Mädel, ahnungslos und hochgemut. Bei Tische, in der Pension zu sechs Lire, wo die fürstliche Familie Cucuru der Reklame wegen für fünf Lire wohnen darf, macht sie sich lustig über die Deutschen."

"Aber San Bacco?"

"Ganz glücklich ist er wahrscheinlich nur bei den parlamentarischen Duellen, von denen er allerdings jährlich zwei oder drei hat. Seine geredete Begeisterung, die Sie kennen, dient ihm nur als Ersatz für die gehauene und gestochene. Zwar liebt er die hohen Ideen und glaubt an sie, denn er ist ja Christ und Ritter. Aber sie müssen ihm auch die Berechtigung geben zu Handlungen, denen es einigermaßen an … wie soll ich sagen, an bürgerlicher Solidität gebricht,"

 

"Er ist arm. Wie lebt er eigentlich?"

"Er lebt von Freiheit und Patriotismus. Da er sein Vermögen dem Lande geschenkt hat, so hält er jeden Landsmann für seinen Schuldner. Seit Jahren wohnt er im Hotel Roma, beim Essen umringt ihn immer ein Schwarm von Deputierten, Journalisten, Neugierigen und Leuten, die es nötig haben, sich von dem alten Kämpen ihre Vaterlandsliebe oder ihren Radikalismus bescheinigen zu lassen. Ein einziges Mal hat der Wirt es gewagt, ihm eine Rechnung zu schicken. San Bacco hat ihn rufen lassen. ,Ist das für mich?' hat er stirnrunzelnd gefragt. ,Wie, Sie wollen Geld haben von mir … von mir? Verlange ich denn Geld von Ihnen dafür, dass täglich eine Menge Leute Ihr schlechtes Diner hinunterschlucken, die es nur mir zuliebe tun?' Und zorngerötet ist er hinausgegangen, mit Hinterlassung von fünf Lire für den Kellner."

Die Herzogin sagte, ohne zu lachen:

"Seine Ehre hängt ihm von Gesinnungen ab, nicht von Handlungen. Das ist das Vorrecht einiger."

"Einiger … die keine Bürger sind," sagte die Blà.

Die Umgebung des Forums schlief lichtlos und ohne Geräusche. Die langen Zeiten entrückten diese Steine um Welten aus dem Dasein des ehrsamen Volkes bei Wein und Morraspiel, der schleichenden Geächteten in den Neubauten, der blassen Genießer vor den Kaffeehäusern. Zuweilen wandelte über schattenhafte Tempelstufen eine hagere Säule, in Mondstrahlen gekleidet, dicht vorüber an den Wagenfenstern der Frauen. Am dunkel starrenden Mauerwall des Kolosseums, unter dem Konstantinbogen weckten die Hufe und die Räder einen Widerhall, so mühsam, als fei er von einem längst verschollenen Echo der verspätete Rest. Dann erstieg der Weg, weiß zwischen den schwarzen Wänden von Klöstern und Zypressen, den Caelius. Die Herzogin lehnte sich tiefer zurück.

"Und Sie selbst? Alles was ich von Ihnen erfahre, klingt mir offen und vertraulich wie ein Selbstgespräch. Aber wie wollen Sie, dass ich über Sie selbst denke? Was sind Sie, Contessa?"

"Keine Contessa. Mein Vater war ein Franzose und Kapitän bei den päpstlichen Zuaven. Noch nach seinem Tode litt meine Mutter unter seiner verjährten Untreue. Sie war schwach und launisch, und ich ertrug ihre Launen mit einer krankhaften Bereitwilligkeit. Kaum war sie gestorben, so heiratete ich einen schwindsüchtigen Engländer, ich hätte sonst das Leiden in meiner Nähe entbehrt."

"So gerne leiden Sie?"

"Für jemand zu sorgen und zu dulden, ist mir unglücklicherweise ein Bedürfnis, dessen ich mich schäme."

"Und Sie selbst, Contessa, Sie möchten nicht in die Arme genommen und getröstet werden?"

"Wenn ich mich nach einer Vergeltung meines Mitleids sehnte, wäre es dann noch etwas wert?"

"Sie haben recht. Und so haben Sie also gelebt?"

"Mein Mann, der Schriftsteller war, konnte wenig mehr arbeiten. Er lehrte mich diesen Erwerb, und ich schrieb als Contessa Blà anfangs Modebriefe, dann Plaudereien, schließlich sogar Politik, ich weiß nicht warum mit katholischem Anstrich. Man sucht sich seinen Geist nicht immer selbst aus. Der Kardinal fördert gern Talente, er gibt mir jeden Mittwoch eine Portion Gefrorenes oder eine Tasse Tee, und wenn ich darum bäte, würde er mir anstandslos beides gleichzeitig verabfolgen."

Wie sie ankamen, äußerte die Herzogin lächelnd:

"Wir sprechen miteinander, als ob wir uns lieb hätten."

"Gleich in den ersten Minuten unseres heutigen Abends sind Sie mir lieb geworden," erwiderte die Blà.

"Wie ist es gekommen?"

"Weil Sie lachten, Herzogin, weil Sie nach allem, was Ihnen begegnet ist, noch lachen konnten über die heuchlerischen, wichtigen Gebärden und Mienen der Bürger."

"Jetzt verraten Sie mir noch, was Sie mit ,Bürgern' meinen."

"So nenne ich alle, die hässlich empfinden und ihre hässlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken."

"Sie wollen mich lieb haben, das macht mir wahre Freude."

"Hoffentlich wird es Ihnen niemals Kummer machen. Von mir geliebt zu werden, ist ein fragwürdiger Vorzug. Bis jetzt haben eine leidende Grillenfängerin ihn genossen und ein englischer Phthisiker."

Noch in ihrer Gartenpforte, zwischen den beiden zueinander geneigten Zypressen wiederholte die Herzogin:

"Wir wollen recht oft einander sehen."

Sie empfing den Besuch des Monsignor Tamburini, der ihr sagte:

"Der Kardinal ist von der Ankunft Eurer Hoheit ganz entzückt."

"Ich danke Seiner Eminenz aufrichtig."

"Er unterhält jeden, der zu ihm kommt, von der berückenden Persönlichkeit der Herzogin von Assy. Ja, Herzogin, er ist begeistert von Ihnen und Ihrer Sache."

"Begeistert?"

"Und wie sollte er es nicht sein? Eine so edle Frau, und eine so große Angelegenheit! Die Freiheit eines Volkes! Dafür hegt der Kardinal das wärmste Mitgefühl. Er betet für Sie."

"Betet?"

"Und auch ich bete," fügte er hinzu und gab sich Mühe, sein Organ des weltlichen Fettes zu entkleiden.

Sie verstummte. Er sagt stärkere Unwahrheiten, dachte sie, als die Höflichkeit ihm vorschreibt. Warum? Er rechtfertigte sich.

"Die Kirche begünstigt bekanntlich jede Art werktätiger Liebe, und wie viele schöne Gesinnungen treten hier in den Dienst eines unglücklichen, von Tyrannei und Armut darnieder gedrückten Volkes. Sie, Frau Herzogin, sind die hehre Liebe selbst. Uneigennützige Gotteskämpfer wie der Marquis von San Bacco tragen das Feuer ihres Mutes herzu. Und darf der christliche Priester fehlen, wo Staatsmänner wie Pavic und Finanzleute wie Rustschuk eine wahrhaft biblische Gesinnung hegen? Sind sie doch klug wie die Schlangen und unschuldig wie die Tauben."

"Besonders Rustschuk," meinte sie, ohne das Gesicht zu verziehen.

"Rustschuk ist ein hochbedeutender Mann! Wir verfolgen seine Tätigkeit seit langem. Das Übergewicht, das ihm seine Geschicklichkeit unter den Kapitalisten des südöstlichen Europa verschafft hat, beschäftigt uns."

"Also so wichtig ist mein Hausjud'?"

"Hoheit! Ohne ihn oder gar gegen ihn ist in Dalmatien nichts auszurichten. Bedenken Sie, all das Geld!"

Er wiederholte aus vollen Backen:

"All das Geld! … Wer wirken und herrschen will unter den Menschen, braucht Mut, Klugheit und Geld: diese drei. Das Geld aber ist das höchste unter ihnen."

"Monsignore, jetzt vergessen Sie die Liebe!"

Eben war er ehrlich, sagte sie sich, und hörte ihn wieder süß werden. Er schwelgte in den seelischen Reizen einer großen Dame, die noch im jugendlichen Alter den Eitelkeiten der Welt den Rücken wendet.

"Standen Sie nicht in der Fülle alles Glanzes, den eine vornehme Geburt, Reichtum, Schönheit und Anmut verleihen? Sie aber, Frau Herzogin, erachteten das alles für nichts. Noch in sehr jugendlichem Alter entsagten Sie und wurden Mutter, Trösterin und Fürsprecherin der Witwen, Verlassenen, Waisen und Bedrückten, der Darbenden und Hilflosen … Speiserin und Stillerin der Hungernden und Dürsten den, Schwester der Siechen…"

Er nannte alle Zustände des menschlichen Elends, die ihm einfielen, und alle evangelischen Tugenden, zu denen sie Gelegenheit gaben. Seine Finger mit quadratischen Nägeln hoben und senkten sich nachzählend auf seinem schwarzen Gewande. Endlich hat er seine Gefühle genügend aufgemuntert, um auszurufen:

"Am Krankenbett der Menschheit stehen Sie, Frau Herzogin, als dienende Magd, in der Glorie christlicher Demut!"

Sie fand sich angewidert:

"Ich bin weniger demütig als Sie glauben. Auch handle ich ohne Vorschrift, also unfromm."

Er sah sie an, mit offenem Munde und stockendem Verständnis. Doch fasste er sich gleich.

"Daher Ihre Prüfungen!" erklärte er triumphierend.

"Sie tun viel Lobenswertes, ich leugne es nicht. Aber Sie tun es ohne den rechten Glauben. Und Gott sieht auf das Herz allein. Erkennen Sie dies, solange es noch Zeit ist!"

Staunend horte sie ihn in einen barschen, landläufigen Predigerton verfallen.

"Er ist ein Bauer," bemerkte sie im stillen. "Man kratze den Prälaten, und zum Vorschein kommt ein Landpfarrer."

"Noch hat er Sie nicht verworfen, denn er ist überaus langmütig. Verbannung, Armut, Verlassenheit sind seine sanften Lockungen, dass Sie ihm folgen sollen. Folgen Sie ihm! Unterwerfen Sie sich der Gnade! Tun Sie es schon aus Klugheit! Sie sollen sehen, wie Ihnen dann alles gelingt! Ein wie reicher Lohn winkt Ihnen alsdann!"

Sie warf dazwischen:

"Wer hat ein Recht mich zu belohnen?"

Doch überhörte er es. Er sang jetzt und wimmerte und warb, in der schulmüßigen Abstufung und unter der mimischen Begleitung, die ihn für seinen Beruf gelehrt war. Sie kannte Tamburini kaum noch. Seine Augen rollten, aus schiefem Kopf, verdreht und weiß zur Decke. Seinem sehr irdischen, noch kürzlich mit guten, gehaltvollen Speisen angefüllten Leibe entstieg eine völlig unvorhergesehene Verzückung. Auf die Dauer erfasste sie bei seinem Anblick eine Art Scham und etwas wie Verschüchterung. Sie folgte seinen Blicken: dort oben hing eine Muttergottes, ältlich, mit grellblauem, weit ausgebreitetem Mantel. Fromme Frauen und Heilige knieten verkleinert darunter, gleich untergekrochenen Küchlein.

"Sub tuum praesidium refugimus!" rief Tamburini aus, und die Herzogin musste zugeben, er habe die begleitenden Umstände für sich. Die hässliche, dunkelgrüne Tapete mit ihrem leisen Weihrauchduft, die schwarzen, vom Gebrauch geglätteten Möbel, die zusammengestoßen nur noch gedämpft rumpelten, — alle die dumpfigen Erinnerungen in den geflossenen Zimmerchen dieser Priesterwohnung berechtigten seine Aufführung. "Er ist an seinem Platze," sagte sie sich. "Ich weniger."

Er fühlte dasselbe. Seine Hände trafen ganz von selbst die Gegenstände, über die sie bei Andachtsübungen hinzugleiten pflegten. Über einem Betschemel hing ein Rosenkranz. Tamburini ließ sich nieder, beinahe unbewusst. Seine Finger legten sich ineinander, das lange Kleid schleppte hinter ihm. Ohne seiner Rede weiter zu folgen, betrachtete die Herzogin ihn, mit neu angeregter Teilnahme. Er erinnerte sie an das Bild manches jesuitischen Heiligen, der steif aufgepufft und starkknochig, himmlischen Gesichten unterlag. Das gallige, muskulöse Antlitz des Glückseligen deutete auf einen tüchtigen Verwalter und Geschäftsmann, einen hohen Ordensbeamten, der Übung besaß im harten Umspringen mit Menschen und im Handhaben großer Gelder. In freien Stunden unterhielt er sich manchmal, so wie man ihn gemalt hatte, mit schönen, reich entwickelten Engeln. Sie schwebten über dem Erdboden, doch mit Mühe, denn ihre Reize waren derb und sinnlich. Der Heilige erfreute sich dieser Sendlinge seines Paradieses mit Ernst und Zurückhaltung. Seine frommen Hände tasteten nicht einmal nach dem Untersten, Beleibtesten. Nur feuchteten sich die gen Himmel fliehenden Blicke, und die Lippe fiel wulstig aufs Kinn.

Die Herzogin gab, in der Lebhaftigkeit ihrer Einbildung, einer seltsamen Versuchung nach. Plötzlich trat sie vor den Knieenden hin; sie erhob einen gerundeten Arm, sie streckte einen Fuß nach hinten, gleich dem größten der Engel auf jenen Altartafeln, und sie lächelte. Sogleich verzerrte Tamburini den Mund, ganz so wie am Abend, als er Lilian Cucuru den Orangensaft anbot, der über seine Finger geronnen war. Diese Wirkung genügte ihr. Sie ließ ihn, laut auflachend, allein.

Nach Verlauf von drei Minuten kehrte sie ins Zimmer zurück und sagte:

"Wenn es Ihnen recht ist, Monsignore, so teilen wir uns jetzt als vernünftige Menschen mit, was wir voneinander wollen."

Er stand ein wenig betreten da, doch im Grunde nicht unzufrieden mit dem Ausgang der Sache. Der Versuch, die Herzogin von Assy für den Glauben zu gewinnen, musste gemacht werden. Dass er aussichtslos sei, daran hatte der kluge Priester kaum gezweifelt. Er hatte einfach einer Gewissenspflicht genügt. Nun durfte er, endgültig beruhigt, zu sachlichen Verhandlungen schreiten, die seinem Geschmack und Wesen besser entsprachen als ekstatische Bekehrungsversuche, Er bot ihr in schlichten Worten für die dalmatinische Staatsumwälzung die Bundesgenossenschaft der Kirche an.

"Endlich erkenne ich Sie wieder, Monsignore," entgegnete sie. "Sie sind ja ein viel zu starker Mensch, als dass Sie ein überzeugender Bußprediger sein könnten. Ich bitte Sie, mit einem römischen Profil spricht man nicht von Gnade und Jenseits."

Er verbeugte sich, merklich geschmeichelt. Sie saßen sich höflich gegenüber und Tamburini erklärte ihr, sie habe ihre Unternehmungen romantisch, also falsch begonnen. Es gelte nun, sie nüchternen Sinnes fortzuführen. Die Kirche sei wesentlich praktisch, überstürzte Wagnisse lehne sie ab. Der Tropfen Öl, der jeden Sonntag von der Kanzel fließe, der bereite ein fernes, doch sicheres Feuerbad vor.

 

"Noch besser, es wird alles milde und unvermerkt verlaufen. Ich wundere mich, dass es Euerer Hoheit bisher entgehen konnte, wie unwiderstehlich die Teilnahme der niederen Geistlichkeit Ihre Sache machen muss. Das Volk ist mit kleinen Abbaten durchsetzt, es sind seine Söhne, Brüder, Vettern und Schwäger. Jede größere Familie hat einen, und ordnet sich ihm unter bei allem was nicht Ernte oder Vieh ist. Überlassen Sie uns die Propaganda, Frau Herzogin, und nach einigen Jahren wird der Wille Ihres Volkes so klar sein und so zwingend, dass der jetzige Monarch den vom Marquis San Bacco erwähnten Reisesack ungebeten wieder zur Hand nimmt."

Schließlich erklärte sie sich mit allem einverstanden.

"Es erübrigt nur, uns über unsere Forderungen zu einigen. Ich brauche gegen meine Feinde die Hilfe der Kirche. Und Sie, was brauchen Sie."

Er sah aus, als wüsste er nichts.

"Ihre Bekehrung, Hoheit … wäre zu schön gewesen," fügte er rasch hinzu, angesichts ihres spöttischen Blickes.

"Wir würden uns begnügen mit der des Baron Nustschuk."

"Rustschuks Bekehrung! Ist er Ihnen unbekehrt noch nicht grotesk genug?"

"Unterschätzen Sie ihn nicht. Wir halten ihn für den Berufenen, um im Osten das katholische Kapital zu organisieren gegen…"

"Gegen?"

"Gegen die Juden … Das wäre eine seiner würdige Aufgabe."

"Allerdings," meinte sie. "Und das ist alles, was Sie verlangen?"

Er redete lange, um sie zu überzeugen, dass das alles sei, und sie glaubte ihm nicht ungern. Es belustigte sie beträchtlich, am Horizont ihrer Zukunftspläne als den begehrtesten, ansehnlichsten Gegenstand ihren alten, treuen Hausjuden heraufsteigen zu sehen, mit weich schüttelndem Bauch und aufgeblättertem, roten Gesicht. Noch als Tamburini sich verabschiedete, wiederholte sie:

"Jawohl, er muss bekehrt werden. So oft er auch schon getauft ist, — bekehrt ist er nicht. Und er muss bekehrt werden."

"Es wäre ein großes Glück — für ihn und uns. Ich verehre den Herrn von Rustschuk hoch, sehr hoch. All' das Geld … All' das Geld!"

Und Tamburini entfernte sich mit vollen Backen.

Die Herzogin schuldete der Fürstin Cucuru einen Besuch. Die BN ging mit. Als sie in der Pension Dominici, Via Quattro Fontane, erschienen, schrie die Cucuru über die Köpfe der achtungsvoll verstummenden Gäste hinweg:

"Sagen Sie der Herzogin von Assy, dass ich bei Tisch sitze und sie zu warten bitte."

Die beiden Damen betraten den vom Speisezimmer durch einen schmutzig braunen Vorhang getrennten Salon. Er war voll von Plüschmöbeln, deren Lehnen durch die Arme und die Rücken ungezählter Fremdlinge hart und fuchsig gescheuert waren, und von Teppichen mit widerspenstig nach oben gerollten Ecken. Von der Decke hingen Festons, an den Wänden die Bildnisse des Wirtes und seiner Gattin. Vor Spiegeln in den Winkeln standen auf Konsolen aus grünem Blech gedrungene, neckische Biskuitfiguren, inmitten von Papierblumen, und trugen in vergoldeten Körbchen Rosen aus Seife. Alle diese Gegenstände schützte dicker Staub.

Aus dem Nebenzimmer drang der Duft billiger Fette. Man hörte Bestecke klappern und das Kichern von Vinon Cucuru. Die Mutter heulte der an gewidert von ihrem Teller wegsehenden Lilian zu, sie solle sich pflegen. Tüchtig essen und täglich auf geordnete Verdauung halten, das sei die ganze Lebensweisheit.

"Ich habe die kranken Knie und kann mir keine Bewegung machen. Aber ich trinke mein Vichywasser und verdaue ganz prächtig!"

Sie versenkte sich in die liebevolle Beschreibung ihrer körperlichen Verrichtungen und kaute dabei unablässig, keuchend und nach Luft schnappend. Sie goss glucksend ein Glas Wein hinab, die Wangen der Greisin erblühten rosig unter ihrem weißen Scheitel. Sie faltete die Hände in gestrickten Halbhandschuhen über dem unförmlich vorgestreckten Bauche und genoss einen Augenblick der Abspannung und des Friedens. Dann nahte der fettige Kellner mit einem frischen Gericht, und die Begierde nach möglichst langer Erhaltung zwang die Lebenslustige zu neuer angestrengter Arbeit. Jeder Zugwind, der den braunen Vorhang aufflattern ließ, enthüllte den Besuchern nebenan das scheußliche Bild der sich nährenden Alten.

Eine Magd zeigte sich in der Tür.

"Carlotta!" schrie die Fürstin, "hast du den Rosenkranz gebetet? Gleich tust du es, sonst sage ich deinem Beichtvater, dass du heute Nacht wieder den Joseph in deinem Zimmer gehabt hast!"

Die Magd verschwand.

Endlich befahl sie: "La bouche!" Das Gebiss knackte, der Kautschukkolben ihres Stockes stieß auf den Boden.

"Meine Leute!" rief sie den Bediensteten der Pension zu, "ihr kocht recht ordentlich, ich habe gut gegessen!"

Sie ging auf die Herzogin los und wiederholte:

"Man wird hier satt. Gesteh es, Lilian, man wird satt."

"Schon vom Ansehen!" erklärte Lilian.

Stöhnend fiel die Greisin in einen Sessel.

"Machen Sie sich nichts aus dem Trödel hier in dem Lokal. Ich mache mir auch nichts daraus. Da, schaut die Reiterfigur auf dem Tischchen nicht aus wie schwere Bronze? Und nun stoß ich sie um, passt auf, mit einem einzigen Finger stoß ich sie um. Das ist kein Kunststück, es ist ja hohle Pappe! Ich pfeife drauf! Unsereiner, nicht wahr, Herzogin, nimmt in die elendeste Bude doch immer die große Welt mit."

"Auch ins Bett des Tamburini?" dachten die Blà und die Herzogin gleichzeitig. Sie sahen sich an und errieten sich. Vinon lachte, und Lilian blickte, voll leidenden Hochmutes, über das ganze Zimmer hinweg, worin sie nur dem winzigen Stück eines Stuhlrandes und dem schmalen Raum unter ihren Füßen die Berührung mit ihrer Person gestattete. Die Greisin stampfte mit dem Krückstock.

"Aber ich gedenke hier durchaus nicht mein Leben zu beschließen. Einen Palast will ich mir noch erobern durch meine Tätigkeit, und reich und groß soll meine Familie wieder werden. Ich arbeite, und meine Kinder lohnen es mir mit Undank. Mein Sohn, der in Neapel ich weiß nicht wie lebt, kommt und macht mir Szenen und wirft mir meine Geschäfte vor. Kümmere ich mich etwa um die seinigen? Ich glaube fast, er lässt die Frauen zahlen!"

Sie greinte halberstickt.

"Und niemals unterstützt er davon die Seinigen!"

"Und Ihre Geschäfte?" fragte die Herzogin.

"Ah! Geschäfte! Unternehmungen! Bewegung! Ich will hundert Jahre alt werden! Ich werde eine Pension gründen, oh, ein bisschen feiner als diese hier. Fünfhundert Zimmer, Preis mit Verpflegung nur vier Lire, und dabei hochfein. So mache ich alle andern tot! Glauben Sie's mir?"

"Es scheint…"

"Haha! Alle andern mache ich tot! Und werde hundert Jahre alt! Nur fehlt mir das Geld, um etwas anzufangen, und mit wie viel Niedertracht muss ich kämpfen, bis ich welches bekomme! Ich will Ihnen mein Geschäft mit der Versicherung erzählen. So eine Versicherung hab' ich gedacht, ist eine wunderschöne Sache. Man versichert sich recht hoch, dann veräußert man die Police und hat Geld, um eine Pension zu gründen. Ich bin schon vierundsechzig, aber man nennt mir eine Gesellschaft, die statutengemäß bis zu fünfundsechzig aufnimmt. Der Arzt dieser Gesellschaft untersucht mich, ich sage ihm noch, er soll in seinen Bericht schreiben: .Diese Dame wird hundert Jahre alt werden", und er tut es auch."

"Herzlichen Glückwunsch."

"Danke. Aber jetzt kommt die Niedertracht. Sie sollen selber sehen. Vinon, geh und hole meine Geschäftsmappe!"

Das junge Mädchen brachte ein hoch angeschwollenes schwarzes Portefeuille.

"Da sind die Briefe des Agenten und die Abschrift des ärztlichen Berichtes, und alles übrige. Nun lassen die Leute mich sechs Wochen warten und dann, würden Sie's für möglich halten, schreibt man nur, ich sei zu alt!"

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