Die Göttinnen

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"Wirklich?"

"Nur im Harem, da leidet er's nicht, da darf nichts vorkommen."

"Ach nein," meinte Phili, aufs neue angeregt.

"Drum möcht' ich so gern einen Mann in den Harem bringen."

"So gern," wiederholte sie mit gefalteten Händen.

"Ach gehn's, nehmen's mi mit," bat der Prinz.

"Der Pascha hat wohl einen krummen Säbel?" fragte lächelnd die Herzogin.

"Das ist es ja," bestätigte Fatme, mit weit geöffneten Augen.

Der Thronfolger wollte etwas sagen, schloss aber eilig den Mund. Seine Gemahlin war aus den Tiefen ihres Sessels aufgetaucht, sie glitt lang und lautlos auf die Plaudernden zu. Fatme zog sich mit Phili zurück. Die Prinzessin legte ihre kalte, magere Hand auf den Arm des Gastes, sie begann merklich verlegen.

"Wie befinden Sie sich, meine liebe Herzogin? Ist es hier nicht kalt? Wie mich im Süden friert! Die Zugluft aus den Kaminen! Und dieser steinerne Prunk!"

Sie warf trostlose Blicke über die vergoldete Dutzendeinrichtung für Königsschlösser, die den Raum halbleer ließ.

"Und dann die geistige Ode! Wenn wir über die höchsten Probleme debattieren, — Sie dürfen nicht meinen, liebe Herzogin, dass ich mich mit den hohlen Phrasen begnüge, die hier in der Luft schwirren. Verwechseln Sie mich nicht mit meiner Umgebung…"

"Wie könnte ich! Euere königliche Hoheit haben so viel nachgedacht…"

Aber die Prinzessin schien noch nicht erleichtert.

"Wenn das Volk wüsste, — wir Großen sind auch nicht immer glücklich," versetzte sie schleppend, und dann leise, hastig, mit überstürztem Entschluss:

"Sehen Sie meinen armen Mann … Wir beide sind recht sehr zu bedauern. Jeder nutzt seine Schwäche aus, ich glaube Percossini verkauft ihm Kognak. Der Baron ist gar zu industriös veranlagt … Und die Frauen! Alle werfen sich dem Thronfolger an den Hals. In Stockholm ahnte mir nicht, dass es solche Sitten gebe … Er weint manchmal in meinem Schoß und klagt mir, — aber was wollen Sie, er ist schwach. Sehr schwach…"

Sie grub ihren starren, blassen Blick in das Gesicht der anderen. Flehentlich, mit versagender Summe wisperte sie:

"Ich weiß, er stellt Ihnen nach. Bleiben wenigstens Sie kalt und standhaft! Eine anständige Frau … Wie wollte ich Sie achten!"

Der Herzogin blieb keine Zeit zu antworten. Sie spürte noch einmal den Druck von kalten Fingern auf ihrem warmen Arm, dann hatte Friederike sich ihren horchenden Höflingen zugewendet. Phili war sogleich bei der Herzogin.

"Hat sie Ihnen über mich vorgejammert?" flüsterte er. "Natürlich! So ein Kreuz mit der Frau. Kann sie denn gar nicht gemütlich sein? Soll sich doch ein Beispiel an meiner Mama nehmen! Die hat erst neulich dem Papa das lebensgroße Porträt von der Beate geschenkt. Aber meine Mama ist auch nobel, wirklich äußerst nobel, finden Frau Herzogin nicht?"

"Ah! Die Königin hat Seiner Majestät das Porträt seiner Freundin geschenkt!"

Sie sah weg; unvermutet empfand sie es, wie weit sie getrennt war von diesen Menschen und ihrem Seelenleben.

"Sie waren heute Abend still, königliche Hoheit?" fragte sie. "Hoffentlich nicht in trüber Stimmung?"

"Was denn sonst! Hier bei meiner Frau bekomme ich ja nur Tee, das ist doch zum Weinen. Wenn ich keinen Kognak habe, Frau Herzogin, dann denk' ich gleich an meinen unbefriedigten Ehrgeiz, und was für ein verfahrener Karren ich bin. Dann möchte ich meinen weißen Kragen umlegen."

"Ihren weißen Kragen?"

"Frau Herzogin wissen noch nicht? Meinen Infantenkragen, weiß mit Goldstickerei und Hermelinfutter. Ja, Frau Herzogin, ganz wie der Don Carlos. Ah! Den Don Carlos lieb' ich wie meinen leiblichen Bruder. Sind wir nicht Brüder? Sein Schicksal ist doch meines. Der unbefriedigte Ehrgeiz, die Pfaffen, alles gerade so. Ich hab' meinen Hinnerich, er seinen Roderich. Nur mit der Stiefmama hapert's. Ich will die Beate ja gar nicht; sie will bloß mich … Aber das Infantenkostüm ist wirklich chic, finden nicht, Frau Herzogin? Wenn ich mich Ihnen mal darin zeigen könnte. Da hätt' ich eine Bitte…"

Er hob sich auf die Fußspitzen und hauchte ihr seine zitternde Sehnsucht ins Gesicht.

"Frau Herzogin, gewähren's dem Don Carlos den Schlüssel zu Ihrem Kabinett!"

Sie zog den Kopf aus dem Bereiche seines Atems. Sie hatte seine Werbung nicht verstanden und redete gleichgültig den Baron Percossini an, der herzutrat. Der Thronfolger versank in Sinnen.

Der Kammerherr sagte:

"Bei unserm ernsten Meinungsaustausch über die Behandlung des Volkes werden Hoheit sich allerlei gedacht haben. Nicht wahr, jedes Wort schmeckte nach seiner Provinz. Alles so wichtig und so zweifellos. Nun, man tut eben mit … aber heimlich lächelt man, wie in Paris gelächelt wird."

Er lächelte fein.

"Hoheit werden mich mit meinen hiesigen Freunden nicht verwechseln."

Sie erwiderte:

"Natürlich nicht. Und sagen Sie bitte auch den Herren Paliojoulai und Tintinovitsch, sowie den Damen dieser Herren, dass ich sie mit niemand verwechsele."

Darauf verabschiedete sie sich von der Prinzessin. Phili wollte hinter ihr aus der Tür schlüpfen, doch ein schwerer Blick seines Adjutanten lähmte ihm den Fuß.

Die Herzogin war kaum draußen, als die eben verlassenen Gesichter ihr entfielen, wie zurückgetaucht in einen dicken Nebel von Langerweile und Beschränktheit. Sie erinnerte sich, müde und verstimmt, einiger unbestimmt lungernder Gestalten, zwischen denen Lakaien umherschlichen mit Teetassen und Bonbons. Während der folgenden Tage dachte sie mit Vergnügen an Pavic: seine Worte kehrten ihr ins Ohr zurück, sie klangen fast bedeutend. Sie schrieb ihm.

Er stellte sich sogleich ein, im strenggeschnittenen Salonrock. Sein Schlapphut war draußen geblieben. Sie meinte: "Er könnte ein Staatsmann sein."

"Sie haben schon einmal im Kerker gesessen," sagte sie. "Das können Sie leicht wieder erleben. Man will Ihnen gar nicht wohl."

Er beschrieb, während er sich setzte, eine wuchtige Gebärde, alles zermalmend unter einer Last von Verachtung.

"Nein, kein Staatsmann," überlegte die Herzogin. "Aber beinahe ein Künstler."

Pavic versetzte:

"Hoheit, in der Gefahr bin ich am stärksten. Bevor damals die Schergen Hand an mich legten, lebte ich in einem Rausch von Kraftgefühl. Ich redete täglich mindestens zweimal zum Volke, ich wies keinen der Mühseligen und Beladenen von meiner Schwelle, — und dennoch hatte ich gerade damals meine todkranke Frau zu pflegen. Ich kann sagen, Hoheit, von Dolchen umzückt, habe ich mein Weib beweint."

Er machte einige feste Schritte; es ward ihm schwer, stille zu sitzen. Sein Organ mäßigte sich in der intimen Umgebung. Draußen tönte es weit ins Land hinein, hier schmiegte es sich behutsam in Stofftapeten und verlor sich in schattigen Winkeln. Nur seine Bewegungen blieben groß, als würden sie am Meeresstrande, in weiten Ebenen vollführt und sollten von den hintersten der zehntausend Zuschauer erkannt werden:

"Ihre Frau ist gestorben?"

"Von ihrer Leiche rissen sie mich fort. Ich las in der Bibel. Denn —"

Er nahm Platz.

"Denn ich pflege in der Bibel zu lesen."

"Warum eigentlich?"

Er sah sie an, tief erstaunt; er stotterte:

"Warum … Warum … Nun … es beglückt mich … und es hilft, Hoheit, es hilft. Wie oft habe ich in Gefahren gebetet, bei Wanderungen durch die Felsschlünde des Velebit und über seine steilen Mauern. Noch ganz kürzlich, während einer Überfahrt mit dem Baron Nustschuk. Wir fuhren in Geschäften, es war der wütende Nordwind: Hoheit erinnern sich. Unser Boot wollte umschlagen, eine übermächtige Woge rollte auf uns zu. Ich sah sie nicht an, ich sah zum Himmel auf. Die Welle überschlug sich, dicht bevor sie uns erreicht hatte. Ich wandte mich nach dem Juden um, er war fahl. Ich sagte nur: ich habe gebetet."

Sie betrachtete ihn.

"Von Ihnen, Herr Doktor, erfahre ich lauter neue Dinge. — Und lauter Dinge, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte."

Er lächelte schmerzlich:

"Nicht wahr? Der Revolutionär darf kein Herz, der Tribun kaum ein Privatleben haben? Ich aber bin der fromme Sohn armer Leute, ich liebe mein Kind und spreche mit ihm das Nachtgebet. Das Gemütsleben meines Volkes, Hoheit, das ist's, was sie niemals verstehen werden, die Fremden, die unter uns wohnen."

"Schon wieder die Fremden. Sagen Sie, war Pierluigi von Assy, der Proveditor der Republik Venedig, in diesem Lande ein Fremder?"

Er stutzte, er erkannte seinen Fehler.

"Ich bin weder Italienerin noch Morlakin. Ihr Volk interessiert mich nicht, lieber Doktor."

"Aber … Die Liebe eines ganzen Volkes! Hoheit, Sie wissen nicht, was das bedeutet. Sehen Sie mich an, um mich spinnt sich ein gutes Stück Romantik."

"Das sagten Sie schon einmal … Wofür ich mich erwärmen konnte, das wäre der Gedanke, in diesem Lande die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Aufklärung, den Wohlstand einzuführen."

Sie machte lange Pausen zwischen diesen vier Worten. Diese vier Begriffe schienen, während sie redete, in ihr zu entstehen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie setzte hinzu:

"Das ist meine Idee. Ihr Volk ist mir, wie gesagt, gleichgültig."

Pavic war wortlos.

"Hier herrscht eine Clique von kleinen Leuten," sagte die Herzogin, "Provinzadeligen, die in Paris lächerlich wären. Bei Hofe begegnen sich Halbwilde mit bürgerlichen Pendanten und überbieten sich an Rohheit. Es ist ein unerquicklicher Anblick, darum möchte ich's abschaffen."

Sie sprach immer entschiedener. Plötzlich ordneten sich in ihrem Geiste eine Menge Einfälle, und einer zog den andern nach sich.

 

"Was tut der König? Man sagt mir, er gibt Almosen. Im Kreise der Prinzessin ist viel die Rede von Suppen und wollenen Westen, was ich zu billig finde. Übrigens ist ein König fast überflüssig, — oder wird überflüssig werden. Ein freies Volk (sehen Sie nach Frankreich!) gehorcht sich selbst. Selbst Gesetze, — ich weiß nicht, ob sie notwendig sind, aber sie sind verächtlich."

Pavic sagte ganz erstarrt:

"Hoheit sind Anarchisten."

"Ungefähr. Meinetwegen soll jemand da sein, der über der Freiheit wacht. Nur deswegen also ein König. "

Er atmete tief auf vor Genugtuung, denn er meinte, er habe ihre Menschlichkeit entdeckt.

"Oder eine Königin." versetzte er bedeutsam.

Sie wiederholte, die Schultern hebend:

"Oder eine Königin."

Dann stand sie auf.

"Kommen Sie wieder, Herr Doktor. Wir haben uns noch mehr zu sagen."

"Hoheit, ein Befehl von Ihnen genügt zu jeder Stunde, mich herzuführen."

"Durchaus nicht. Sie haben zu arbeiten, ich sitze untätig. Kommen Sie, sobald Sie Zeit haben."

Er ward von einer freudigen Regung erfasst. Das Gefühl, gewürdigt zu werden, machte ihm Mut zu einem langen, dankbaren Handkuss. Und er entfernte sich, wie auf Wolken getragen von dem Bewusstsein, er habe mit den Lippen das Fleisch der Herzogin von Assy berührt.

Sie erfuhr von Pavic, dass ihre Pläne viel Geld kosten würden, und erstaunte darüber.

"Es wird eine unerhörte Agitation nötig sein und klingende Ermunterungen nach allen Seiten."

"Das muss eine neue Eigentümlichkeit des Volkes sein. Dafür, dass man ihm Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand gibt, verlangt es auch noch Trinkgeld."

Der Tribun senkte den Kopf.

"Aber ich habe nichts dagegen," erklärte die Herzogin.

Darauf schlug er ihr für alle finanziellen Operationen den Baron Nustschuk vor.

"Dieser Rustschuk ist bereits in sämtlichen Donaustaaten verkracht und in Wien, wo es ihm ebenso erging, auf geradezu glänzende Weise freigesprochen. Jetzt schätzt man ihn auf zehn Millionen."

Die Herzogin machte eine Bewegung. Pavic besann sich; die Bewunderung des Advokaten für den erfolgreichen Financier wurde rasch unterdrückt durch die sittliche Missbilligung, die er bei dem Volksmanne erregte.

"Ich lasse Sie, Hoheit, über die Moralität des Rustschuk nicht im Zweifel. Nur ungern bringe ich unsere Sache, die heilige Sache meines Volkes in Berührung mit dieser anrüchigen Persönlichkeit. Ich mache mir schwere Gewissensbisse … indessen…"

"Warum denn. Er scheint fähig zu sein."

"Fähig und gefährlich. Zurzeit hält er sich ruhig, aber ich, der ich geschäftlich mit ihm zu tun habe, weiß, welcher Ehrgeiz an ihm zehrt. Er will Minister werden, Minister in einem der Länder des europäischen Asiens, wo er in contumaciam verurteilt wurde: sie sollen sich vor seinem Glanze beugen. Wenn Hoheit mich ermächtigen wollen, ihm inzwischen einen Ministerposten hier in diesem Lande anzubieten … Er ist ja allerdings ein höchst verwerflicher Charakter…"

"Was macht das?" so entschied sie. "Wenn er uns nur nützen kann. Die ihn verurteilt haben, sind natürlich nicht besser als er. Wen sollte man schließlich verwenden?"

Sie ließ ihn sich vorstellen. Rustschuk war ein unendlich eleganter Herr mit stark gerötetem, aufgeblättertem Gesicht, dick bedeckt von wolligem schwarzen Haar. In seiner schön gemusterten Hose schüttelte ein weicher Bauch hin und her, und seine dünnen Arme zerteilten behände und eckig die Luft. Er begann, sobald er der Herzogin gegenüber saß, vom Jammer des armen Volkes zu reden, und von glücklichen Ländern unter weisen und schonen Königinnen, und er duftete dabei nach Moschus. Als sie nichts erwiderte, rieb er sich die Hände und ließ merken, dass sie mit Kölnischem Wasser gewaschen waren. Sodann öffnete er sein Schnupftuch; es war, als habe er einen Veilchenstrauß aus der Tasche gezogen. Er klopfte sich auf die Weste und schwenkte den Bauch wie ein Räucherfass: es entstieg ihm eine Patschuliwolke.

"Gefährlich?" dachte sie. "Er ist ja grotesk."

Um durch eine schnelle Laune ihr Glück zu erproben, betraute sie ihn auf der Stelle mit der obersten Aufsicht über die Verwaltung aller ihrer Besitzungen, der weiten, über ganz Dalmatien sich erstreckenden Domänen des verstorbenen Herzogs, der Inseln Busi, Lissa, Curzola mit ihren wertvollen Fischereirechten. Und an die Spitze dieses ungeheuren Vermögens getreten, gewann Rustschuk sofort an Sicherheit. Beim Fortgehen sagte er, freundlich belehrend:

"Das Geld muss also immer mehr werden und uns immer mehr Freunde machen."

Bevor das Jahr zu Ende ging, hörte man von einer bedeutenden Zunahme des Räuberwesens. Die Malviventi waren in größerer Anzahl als sonst von den Bergen gestiegen. Den Italienern wurden die Ernten angezündet und die Ölbäume gefallt. Wenn ihre Weinbeeren noch klein und hart waren, fanden sie eines Tages alle Reben zerschnitten. Im Winter 72 brachen zwei Regimenter Landesschützen von Zara nach Süden auf: in den Bocche, zwischen den Klippen und auf den Felseninseln kämpften die aufständischen Slaven für die Freiheit, die eine unbekannte Frau ihnen versprach, eine ferne, nie erblickte Königin, von der sie träumten, über die sie betrunken in den Wirtshäusern einander vorlogen, und an die sie ihre klagenden Gebete richteten. Auf der Straße fühlte die Herzogin, wie gespannte, ernst gewordene Blicke zu ihr in den Wagen drangen. Unter ihren Fenstern vernahm sie häufig schlürfende Tritte. Es waren die Bundschuhe von acht oder zehn mageren, braunen Kerlen, die die Hände in den Ziegenfellhosen, scheu und gebannt an ihren Säulen hinaufstarrten.

Eines Tages verkündete Pavic mit feierlicher Miene die Ankunft des Marchese di San Bacco. Einen Augenblick klopfte ihr Herz stärker; denn wo immer in der Welt der alte Sturmvogel erschien, da drohte ein Aufstand, eine Umwälzung, ein politisches Abenteuer. Er hatte seine Begeisterung und seine Faust den Griechen geliehen, den Polen und den Unabhängigkeitskämpfern Südamerikas, der französischen Kommune, Jungrussland und der italienischen Einheit. "Freiheit" war das Stichwort, auf das er losbrach, so oft es erscholl. Er hatte es als Knabe vernommen und war der Familie entlaufen, für das junge Italien eingekerkert und über Gefängnismauern nach Amerika entkommen, zu Garibaldi, seinem Helden. Er hatte als Korsar die kaiserlich brasilianischen Schiffe geplündert und als Diktator über exotische Republiken geherrscht, er hatte von raffinierten Barbaren lächerliche Torturen erduldet, in den Lagunen von Riesenflüssen ein vogelfreies Brigantenleben geführt, Kühe geraubt und Reiche herausgefordert: alles im Namen der Freiheit. In Italien, wohin er seinem Meister folgte, bewahrte noch jeder Fußbreit Landes die Spuren des Ringenden. Um sie für den Samen der Freiheit zu pflügen, hatte er jede Scholle seiner Heimaterde mit seinem Schwerte umgewendet.

Jetzt, mit fünfzig Jahren, focht er in der Kammer zu Rom, hitzig und gebieterisch, für den Willen des roten Generals. Er war schlank und spannkräftig, mit großen türkisblauen Augen. Das rote Kinnbärtchen tanzte bei allen Grimassen der ungeduldigen Lippen, das Haar wirbelte schlohweiß über der schmalen Stirn in die Höhe.

Er lud sich bei der Herzogin zu Gaste; die Hotels passten ihm nicht, sagte er. Er war sehr arm, denn er hatte die Freiheit des Menschengeschlechtes ebenso gut mit seinem Vermögen bezahlt wie mit seiner Jugend.

Sofort begann er, Pavic auf seinen Agitationsfahrten über Land zu begleiten. Er gebrauchte größere Worte als der Tribun, schrie noch lauter, schäumte, warf die Glieder, reizte zum Aufruhr, veranlagte Prügeleien und wanderte, nach einem Widerstande auf Tod und Leben, zwischen zwei Dorfpolizisten auf irgendeinen Gendarmerieposten, wo er mit verächtlich gekrümmten Lippen seinen Namen hinwarf: Marquis von San Bacco, Oberst der italienischen Armee, Commendatore des Ordens der Krone von Italien, Abgeordneter zum Parlament in Rom. Ein Telegramm aus Zara befreite ihn. Er kehrte heim und stieß, vor der Herzogin rastlos hin und her schreitend, mit hoher gequetschter Kommandostimme zerhackte Reden aus:

"Es lebe das freie Wort! … Worte sollen locker sitzen wie Schwerter! … Feige sind stumm! … Tyrannen und verbundene Mauler!"

Allmählich beruhigte er sich, und immer auf den Beinen, mit dem Rücken am Kamin, erzählte er friedlich und mit maßvollen Gesten die Eroberung einer großen brasilianischen Sumaca. Es verstand sich, dass er gegen die Passagiere und besonders gegen die Frauen die ritterlichste Haltung beobachtet hatte. Unglücklicherweise hatte man ihn festgehalten, als er in der Stadt den erbeuteten Kaffee verkaufen wollte. Er wurde halbnackt vor den Gouverneur geführt. "Ich spie dem Elenden ins Gesicht, und er ließ mich mit den Händen an ein schwebendes Seil binden, woran ich zwei Stunden lang hängen blieb."

Nach drei Wochen reiste er ab, und die Herzogin verlor ihn ungern.

Pavic unterrichtete sie im Morlakischen, er las ihr Lieder von bunten Hirschkälbern und von der goldhaarigen Sosa, von Haiduken, von Berggeistern auf umbrandeten Klippen und von Müttern, weinend unter Orangenbäumen. Diese unklare, weich schwärmende Poesie, die sie halb verstand, und in die er sie einwickelte Tag für Tag, betäubte ihre ruhige Vernunft; die slawischen Wörter, von seinem Organ zärtlich gewiegt und verführerisch dargeboten, erregten und ermatteten sie. Sie fühlte sich wie im warmen Bade, wo eine Frau unter erhitzten Locken aus müden Augen den Perlen zublinzelt, die im Wasser aufsteigen. Pavic ward immer feuriger, je stiller er sie sah. Er pries stürmisch sein Voll und starrte entzückten Blicks in das schöne Gesicht der Dame auf den Kissen neben ihm. Er küsste ihre Hand, er berührte ihr Kleid, ihr Haar sogar, und es war immer noch, als liebkoste er sein Volk.

Sie sah ihn in der Ehrlichkeit seines Herzens erröten, zittern, verstummen. Dabei gedachte sie der Geständnisse, die sie in Wien und in Paris empfangen hatte, all des Flehens und Drohens, das in ihrem Schoß erstickt und von ihrem Panzer abgeprallt war, — und sie fand Pavic weniger lächerlich als die andern. "Was konnte ich jenen geben? Sie wussten es selbst nicht, die Narren. Dieser hier verlangt etwas von mir: ich soll ihm helfen seine Feinde zu besiegen."

Anfangs brachte er seinen Knaben mit. Das kränkliche, unschöne Wesen saß, von der Herzogin niemals beachtet, in einem Winkel. Eines Tages kam Pavic ohne das Kind.

Im Vorfrühling, an einem Kirchenfeste, fuhr sie mit ihm nach Benkowaz. Vom Meere her brauste die bittere, aufstachelnde Luft über baumlose Steinfelder. Goldene Lichter warfen sich aus jagenden Wolken in das erwartungsvolle Land, jäh entzündet und gleich wieder erloschen. Im Dorfe bewegte sich ihr Gefährt mühsam über vorspringende Felskanten. Die kotigen Höfe lagen verödet zwischen ihren mit Dornen bepflanzten Mauern.

Die Bauern warteten beim Wirtshause. Pavic sprang sofort auf einen Tisch, sie drängten sich um ihn, bunt und faul glotzend.

Pavic redete. Nach der Stille seiner ersten Sätze schlug ganz vorn sich einer klatschend aufs Knie. Hinten brach ein erfreutes Feixen los. Einige Morlaken ließen den frostig zusammengerafften Mantel im Winde flattern und griffen mit den Händen durch die Luft. Kroaten mit Gemüsekarren blieben neugierig stehen. Es traten mit feindlichen Mienen zwei Sicherheitswachen herzu, rot angezogene Kerle, ganz mit Silbertalern behangen, und stellten die Gewehre hart auf den Boden. Die Herzogin blickte hinter der Gardine hervor aus dem geöffneten Wagenfenster.

Pavic redete. Ein Esel riss sich los, stieß einige Leute um und rannte gegen den Tisch des Tribunen. Pavic verglich ihn, ohne sich zu besinnen, mit allen seinen Widersachern. "Steht fest wie ich!" Er drohte und fluchte mit gesträubtem Bart und gerungenen Fingern, er segnete und verhieß mit einem Angesicht, von dem beseligendes Licht troff. Ein unsicheres Gemurmel ging durch die Hörer, die starren Augen fingen zu glänzen an. Zerlumpte Schafhirten gaben ungeformte Laute von sich. Drei Viehhändler in geblümten Turbanen rasselten mit Pistolen und Dolchen. Pavic senkte sich, mit wild ausgreifenden Armen, so tief nach vorn ins Leere, als wolle er über die Versammlung hinwegfliegen. Gleich darauf schwebte er, leicht und federnd, am jenseitigen Rande des Tisches. Sein lechzender Blick und alle seine Glieder schmiegten sich um das bezwungene Volk: jeder einzelne fühlte mit angehaltenem Atem seine Umschlingung. Wohin er sich wendete, dahin taumelten die weich gewordenen, willenlosen Leiber all dieser Geschöpfe. Sie lächelten weinerlich.

 

Pavic redete. Er stand in einem Qualm von Seelen. Die Sicherheitswachen hielten die Gewehre nur noch in lässigen Händen, sie hingen mit entwaffneten, dümmlichen Mienen an des Tribunen Atemzügen. Die Dynastie Koburg hatte zwei Stützen weniger. Plötzlich breitete er die Arme aus, den Kopf im Nacken. Sein breiter Bart stand rot besonnt, keilförmig in die Luft. Die Augen sanken ein unter den gequälten Lidern und erloschen, in einem letzten Krampf zuckten die grauen Lippen. Er war Christus. Weiber schlugen das Kreuz, packten sich bei der Brust und heulten lange Klagetöne. Verwünschungen und Beschwörungen grollten tief. Die Herzogin sah ihm zu wie einem Spiel, einem Aufwallen und einem Sturz von Elementen, ohne Urteil und ohne einen Vorbehalt ihres Geistes dem Schauspiel des Mannes hingegeben. Mit ihm atmete, stöhnte, sehnte sich, röchelte, schrie und verschied die ganze Natur.

Unversehens war er am Wagenschlag. Er sprang hinein, sie fuhren im Galopp davon. Der wütende Aufschrei der Menge vergellte hinter ihnen. Sie ließen die Wagendecke herab und hielten die Gesichter dem Wind und der Sonne hin. Die Herzogin schwieg mit ernsten Augen, Pavic schnaufte. Vor und hinter ihnen rollte durch das Steinland der blendende Fluss der Landstraße. Von einer ihrer Erhöhungen sahen sie fern einen blinkenden Streifen: das Meer.

Da sprang aus einem Schutthaufen etwas heraus, etwas Zerlumptes, Tolles, wovor die Pferde scheuten. Es war ein Weib in grauen Zottellocken, sie schwenkte mit der Hand einen langen Haarschopf, daran flog im Kreise ein Totenkopf. Sie kreischte etwas Unverständliches, immer dasselbe, und klammerte sich an die Wagenräder. Pavic rief hinaus.

"Bist du schon wieder da! Ich kann dir nicht helfen, so geh' doch und werde vernünftig!"

Die Herzogin ließ halten.

"Was schreit sie? Heißt es nicht ,Gerechtigkeit'?" Die Alte war mit einem Satze bei ihr, sie hob ihr den Schädel dicht vors Gesicht.

"Hoheit, es ist eine Närrin!" murmelte Pavic. Das Weib zeterte:

"Gerechtigkeit! Sieh, das ist er, das ist Lazika, mein Söhnchen. Sie haben ihn ermordet und leben noch! Mütterchen, ich liebe dich, hilf mir doch zu meiner Rache!"

"Schweige endlich!" befahl Pavic. "Es ist dreißig Jahre her, und sie haben Zwangsarbeit getan."

"Aber sie leben!" heulte die Mutter. "Dürfen sie leben, und er ist gemordet! Gerechtigkeit!"

Die Herzogin starrte den gebleichten Kopf an. Pavic bat:

"Hoheit, gestatten Sie mir, den Auftritt zu beenden."

Er winkte, die Pferde zogen an. Das Kleid der Alten verfing sich in den Speichen, sie fiel um. Ein scheußliches Knirschen entstand: das Rad war über den Schädel gegangen. Sie waren schon weit; dahinten wälzte sich mit Wimmern im weißen Staube ein Haufen Lumpen über den Splittern vom Haupte des Sohnes. Die Herzogin lenkte erblasste den Blick weg.

"Dreißig Jahre," sagte Pavic, "und noch immer rachedürstend! Wir sind Christen, wir verlangen nach Gnade."

Die Herzogin erwiderte:

"Nicht Gnade. Ich bin für Gerechtigkeit."

Sie sprach nichts weiter. Sie versuchte darüber zu lächeln, wie heute alles so tragisch erscheinen wollte, doch beängstigte sie diese Stunde, die schwanger aussah von Fremdartigem. Sie mochte sich nicht umsehen nach dem Manne neben ihr.

Pavic dachte zurück an den armen Studenten, der zu Padua scheu und gedrückt, als Angehöriger der unterworfenen Rasse umhergegangen war. "Jetzt halte ich euch!" so frohlockte er. "Denn für mich habe ich die Herzogin von Assy." Er dachte an den wunden Ehrgeiz des kleinen Advokaten, dem man zuweilen einige kühne Worte erlaubte. Dann zogen die Gewalten das Seil an; er hungerte, er saß im Kerker, er hörte seine Drohungen verlachen. Heute lag das Atlasfutter seines schwarzen Havelocks über einem in Wien gefertigten Salonrock. Wo er vorbeikam, ward man tiefernst, denn er lehnte im Wagen der Herzogin von Assy. Was war in diesem Augenblick noch unmöglich? Ah! schon manche Frauen, auch schöne, auch reiche, waren, von seiner Rede im Blute aufgepeitscht, zu ihm geschlichen, bettelnd um das Almosen einer Umarmung. Es ward ihm plötzlich sehr heiß in den Augen, er meinte die Besinnung zu verlieren und sprach es sich zum ersten Male aus, er begehre die Herzogin von Assy.

Den ganzen Weg entlang ruhte Pavic im Gefühl seiner seltenen, romantischen Persönlichkeit. Er bebte und schmolz darin.

Bei ihrer Ankunft gingen sie sogleich zu Tische. Nach der geleisteten schweren Lungen- und Muskelarbeit aß und trank der Volkstribun stark. Die Herzogin sah in die Kerzen. Später, in ihrem Zimmer, kam er, satt und sanguinisch, auf den Triumph des Tages zurück. Er wiederholte ihr einzelne Glanzstellen, und die Huldigungen, die ihnen gefolgt waren, rauschten ihr wieder im Ohr. Sie sah ihn aufs neue, ragend groß in furchtbarer Stellung von jagenden Wolken abgehoben, ein Held, gegen den sie keinen Einwand wusste, ein Held, staunenswert und übermächtig. Nun jubelte und befahl er zu ihren Füßen: seine stolzen Freiheitsrufe stiegen zu ihr herauf aus seinen feuchten, roten, verlangenden Lippen.

Und endlich, zwischen zwei Liebeserklärungen an sein Volk, bemächtigte er sich ihrer. Das Sofa, auf dem es geschah, trug mitten über seiner Lehne eine große goldene Herzogskrone. In den Sekunden seiner Seligkeit hafteten Pavic' Gedanken unverwandt an dieser Herzogskrone.

Gleich darauf packte ihn namenloses Staunen über das, was er gewagt hatte. Er stammelte:

"Dank, Hoheit, Dank, Violante!"

Und sich selbst rührend, immer inniger:

"Dank, Dank, Violante, dass du das für mich tatest! Herrliche, gütige Violante!"

Aber ihr Blick floh, von blauen Schatten umzogen, teilnahmslos an ihm vorbei. Ihr Haar war in Unordnung geraten; es hing in starren, dunklen Wellen um das erschreckend bleiche Gesicht. Sie stützte sich mit hart gestreckten Armen auf den Polsterrand. Ihre spitzen Finger zerrissen den gewirkten Stoff. Pavic wand sich in Angst und Reue: "Was habe ich getan!" schrie er sich selbst zu. "Ich bin nur ein Vieh! Jetzt ist alles verloren!" Er verdoppelte seine Anstrengungen:

"Verzeih' mir, Violante, verzeih'! Ich bin ja nicht schuldig, es ist das Schicksal … Jawohl, das Schicksal, das mich dir zu Füßen warf. Ich soll dir dienen … Wie will ich dir dienen! Violante! Ich will den Staub von deinem Saume küssen und sterbend den Kopf unter deine Absätze legen, Violante!"

Er rang, berauscht von den eigenen Worten, um einen ihrer Blicke. Sie strich sich, nach langen Minuten, mit zwei Fingern über die Stirn und sagte:

"Lassen Sie mich, ich möchte allein sein."

"Du verzeihst mir nicht? O Violante, sei gnädig!"

Sie zuckte die Achseln. Er flehte mit Tränen in der Stimme:

"Nur ein Wort, dass du mich nicht verdammst! Violante! Du verdammst mich nicht?"

"Nein, nein."

Sie wendete, unfähig den Auftritt länger auszuhalten, den Hals hin und her.

"Gehen Sie jetzt."

Er ging endlich, mit schwerem Tritt, weichen Gliedern, aufgelöst in Gefühl und immerfort murmelnd:

"Dank … Verzeih' … Verzeih' … Dank."

Sie begab sich sogleich in ihr Schlafzimmer. Sie schickte die Kammerfrau hinaus und begann selbst sich zu entkleiden. Nach dem Erlebten war jede Berührung mit einer menschlichen Haut ihr widerlich. Aber ihre Hände waren schlaff; sie verlor sich immer wieder in Gedanken. Ihre Verwunderung war so mächtig wie seine, doch ganz unvermischt mit Genugtuung.

Also das war alles? Das war alles, was sie hatte erfahren sollen? "Ich wollte lieber, ich hätte es nicht erfahren … Übrigens ist es zum Lachen." Sie wollte den Mund verziehen, aber in die Kehle stieg ihr eine Übelkeit. Dann fiel ihr ein, dass Pavic sie immerfort Violante genannt hatte. Wie kam er dazu? Bildete er sich auf das Geschehene etwas ein? Solch' ein untergeordneter Vorgang, gab er denn ein Recht zu Zärtlichkeiten der Rede und zu seelischem Nahekommen?

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