Nora oder Ein Puppenheim

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Nora oder Ein Puppenheim
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LUNATA

Nora oder Ein Puppenheim

Nora oder Ein Puppenheim

Schauspiel in drei Akten

© 1880 Henrik Ibsen

Originaltitel Et Dukkehjem

Aus dem Norwegischen von Marie von Borch

Umschlagbild Johansen Viggo

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Personen

Helmer, Advokat

Nora, seine Frau

Doktor Rank

Frau Linde

Krogstad, Anwalt

Die drei kleinen Kinder Helmers

Anne-Marie, Kinderfrau

Ein Hausmädchen bei Helmers

Ein Dienstmann

Das Stück spielt in Helmers Wohnung.

Erster Akt

(Ein gemütlich und geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtetes Zimmer. Rechts im Hintergrund führt eine Tür in das Vorzimmer; eine zweite Tür links im Hintergrund führt in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen diesen beiden Türen ein Pianino. Links in der Mitte der Wand eine Tür und weiter nach vorn ein Fenster. Nahe am Fenster ein runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. Rechts an der Seitenwand weiter zurück eine Tür und an derselben Wand weiter nach vorn ein Kachelofen, vor dem ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl stehen. Zwischen Ofen und Seitentür ein kleiner Tisch. An den Wänden Kupferstiche. Eine Etagere mit Porzellan und anderen künstlerischen Nippessachen; ein kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden; Teppich durchs ganze Zimmer. Im Ofen ein Feuer. Wintertag.)

(Im Vorzimmer klingelt es; gleich darauf hört man, wie geöffnet wird. Nora tritt vergnügt trällernd ins Zimmer; sie hat den Hut auf und den Mantel an und trägt eine Menge Pakete, die sie rechts auf den Tisch niederlegt. Sie läßt die Tür zum Vorzimmer hinter sich offen, und man gewahrt draußen einen Dienstmann, der einen Tannenbaum und einen Korb trägt; er übergibt beides dem Hausmädchen, das ihnen geöffnet hat.)

Nora.

Tu den Tannenbaum gut weg, Helene. Die Kinder dürfen ihn jedenfalls erst heut Abend sehen, wenn er geputzt ist. (Zum Dienstmann, indem sie ihr Portemonnaie hervorzieht.) Wieviel –?

Dienstmann.

Fünfzig Öre.

Nora.

Da ist eine Krone. Nein – behalten Sie den Rest. (Der Dienstmann dankt und geht. Nora schließt die Tür. Sie lacht noch immer stillvergnügt vor sich hin, während sie den Hut und Mantel ablegt. Sie zieht eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und ißt ein paar; dann geht sie vorsichtig an die Tür ihres Mannes und lauscht.) Ja, er ist zu Hause. (Trällert wieder leise vor sich hin, indem sie rechts an den Tisch tritt.)

Helmer (in seinem Zimmer.)

Zwitschert da draußen die Lerche?

Nora (während sie einige Pakete öffnet.)

Ja, das tut sie!

Helmer.

Poltert da das Eichhörnchen herum?

Nora.

Ja!

Helmer.

Wann ist das Eichhörnchen nach Hause gekommen?

Nora.

Diesen Augenblick. (Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab.) Komm, Torvald, und sieh Dir mal meine Einkäufe an.

Helmer.

Nicht stören! (Bald darauf öffnet er die Tür und sieht herein, mit der Feder in der Hand.) Einkäufe, sagst Du? Diese vielen Sachen? Ist das lockere Zeisiglein wieder ausgewesen und hat Geld verschwendet?

Nora.

Aber Torvald, dies Jahr dürfen wir doch wirklich ein bißchen über die Stränge schlagen. Sind es doch die ersten Weihnachten, wo wir nicht zu sparen brauchen.

Helmer.

Hör' mal, Du, Luxus dürfen wir auch nicht treiben.

Nora.

Doch, Torvald, wir dürfen jetzt schon ein bißchen Luxus treiben. Nicht wahr? Nur ein ganz, ganz klein bißchen. Du bekommst ja nun ein großes Gehalt und wirst viel, viel Geld verdienen.

Helmer.

Ja, von Neujahr ab. Aber dann vergeht noch ein ganzes Quartal, bis das Gehalt fällig ist.

Nora.

Bah! Bis dahin können wir ja borgen.

Helmer.

Nora! (Geht hin zu ihr und zupft sie scherzhaft am Ohr.) Geht schon wieder der Leichtsinn mit Dir durch? Gesetzt den Fall, ich borgte mir heute tausend Kronen, und Du brächtest sie in der Weihnachtswoche durch, und am Silvesterabend fiele mir ein Ziegelstein auf den Kopf, und ich läge da –

Nora (hält ihm den Mund zu.)

Pfui, laß die garstigen Reden!

Helmer.

Ja, nimm mal an, daß so was passierte, – was dann?

Nora.

Wenn so was Gräßliches passierte, dann wär' es mir ganz gleichgültig, ob ich Schulden hätte oder nicht.

Helmer.

Und die Leute, von denen ich das Geld geliehen hätte?

Nora.

Die? Wen gingen die was an? Das sind ja Fremde.

Helmer.

Nora, Nora, Du bist ein Weib! Aber im Ernst, Nora: Du weißt, wie ich in diesem Punkt denke. Keine Schulden! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und damit auch etwas Unschönes über ein Hauswesen, das auf eine Borgwirtschaft gegründet ist. Bis auf den heutigen Tag haben wir beide tapfer ausgehalten, und das wollen wir nun auch noch die kurze Zeit tun, wo es nötig ist.

Nora (geht zum Ofen hin.)

Na ja; wie Du willst, Torvald.

Helmer (geht hinter ihr her.)

Ei, nun darf aber die kleine Lerche auch nicht die Flügel hängen lassen. Wie? Das Eichhörnchen steht und mault? – (Zieht das Portemonnaie.) Nora, was mag ich da wohl haben?

Nora (wendet sich schnell um.)

Geld!

Helmer.

Da nimm! (Gibt ihr einige Banknoten.) Du lieber Gott, ich weiß, daß zu Weihnachten im Hause eine ganze Menge draufgeht.

Nora (zählt.)

Zehn, – zwanzig, – dreißig, – vierzig. Schönen Dank, Torvald, schönen Dank; damit behelfe ich mich lange.

Helmer.

Ja, das mußt Du aber auch!

Nora.

Ja, ja, das werde ich schon. Aber nun komm und laß Dir alle meine Einkäufe zeigen. Und so wohlfeile Einkäufe. Schau her, – ein neuer Anzug für Ivar – und dazu ein Säbel. Hier ist ein Pferd und eine Trompete für Bob, und da eine Puppe und Puppenwiege für Emmy. Es ist freilich recht einfach, aber sie macht doch immer gleich alles entzwei. Und hier Kleiderstoff und Taschentücher für die Mädchen. Mutter Anne-Marie müßte eigentlich viel mehr haben!

Helmer.

Und was ist in dem Paket da?

Nora (schreit.)

Weg, Torvald! Das bekommst Du erst am Abend zu sehen!

Helmer.

Ach so! – Aber nun sag' mir, Du kleiner Verschwender, womit hast Du denn Dich selbst bedacht?

Nora.

Ach geh, – ich mich? Ich wüßte wirklich nicht, was –

Helmer.

Du sollst aber! Nenne mir etwas Vernünftiges, was Dir ganz besondere Freude machen würde.

Nora.

Ich wüßte wirklich nichts. – Doch, Torvald, hör' –

Helmer.

Na?

Nora (spielt an seinen Knöpfen, ohne ihn anzusehen.)

Wenn Du mir ein Geschenk machen willst, so könntest Du ja –; Du könntest –

Helmer.

Na also – heraus damit!

Nora (hastig.)

Du könntest mir Geld schenken, Torvald. So viel nur, wie Du meinst entbehren zu können. Ich kann mir dann gelegentlich später etwas dafür kaufen.

Helmer.

Aber Nora, –

Nora.

Ach ja, tu's, lieber Torvald, ich bitte Dich recht sehr; ich wickle mir dann das Geld in schönes Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht reizend?

Helmer.

Wie nennt man doch die Vögel, die alles Geld durchbringen?

Nora.

Ja, ja, lockere Zeisige, – ich weiß schon. Aber wir wollen es so machen, wie ich sage, Torvald: dann habe ich Zeit zu überlegen, was ich am notwendigsten brauche. Ist das nicht sehr vernünftig, Torvald, wie?

Helmer (lächelnd.)

Ei freilich –, das heißt, wenn Du das Geld, das ich Dir gebe, wirklich festhalten und Dir selbst etwas dafür kaufen könntest. So aber geht es im Haushalt und für allerhand unnütze Dinge drauf, und dann muß ich wieder herausrücken.

Nora.

I bewahre, Torvald –

Helmer.

Läßt sich nicht leugnen, meine kleine liebe Nora! (Legt den Arm um ihre Taille.) Mein lockerer Zeisig ist entzückend, aber er braucht eine schwere Menge Geld. Man sollte es nicht glauben, wie hoch einem Mann solch ein Vögelchen zu stehen kommt.

Nora.

Aber nein! Wie kannst Du nur so was sagen? – Ich spare doch wirklich, wo ich kann.

Helmer (lacht.)

Ein wahres Wort! Wo Du kannst. Aber Du kannst absolut nicht.

Nora (trällert und lächelt stillvergnügt.)

 

Hm! Du solltest nur wissen, wie viele Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.

Helmer.

Du bist ein sonderbares Dingchen. Ganz wie Dein Vater. Auf jede Art bemühst Du Dich, Geld in die Hand zu kriegen, und sobald Du es hast, verschwindet Dir's zwischen den Fingern; Du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, aber man muß Dich nehmen, wie Du bist. Das liegt im Blut. Ja, ja, ja, Nora, so was vererbt sich.

Nora.

Nun, ich wünschte, ich hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.

Helmer.

Und ich möchte Dich gar nicht anders haben, als Du bist, meine liebe, kleine, singende Lerche. Doch – da fällt mir etwas ein. Du siehst heute so –, so, – wie soll ich gleich sagen? – so verdächtig aus –

Nora.

Ich?

Helmer.

Allerdings. Sieh mir mal gerade in die Augen.

Nora (sieht ihn an.)

Na?

Helmer (droht mit dem Finger.)

Hat das Leckermäulchen etwa heut in der Stadt genascht?

Nora.

Aber nein, wie kommst Du darauf?

Helmer.

Hat das Leckermäulchen ganz gewiß keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?

Nora.

Nein, Torvald, ich versichere Dir –

Helmer.

Nicht ein wenig Konfitüren geschleckt?

Nora.

Nein, wahrhaftig nicht!

Helmer.

Auch nicht ein paar Makronen probiert?

Nora.

Nein, Torvald, ich versichere Dir wirklich –

Helmer.

Na, na, na – es ist ja natürlich nur im Scherz gemeint –

Nora (geht rechts an den Tisch.)

Es würde mir doch nie einfallen, gegen Deinen Wunsch zu handeln.

Helmer.

Nein, das weiß ich ja wohl. – Und dann hast Du mir ja Dein Wort gegeben – (Geht zu ihr.) Behalt Deine kleinen Weihnachtsüberraschungen nur für Dich, mein Herz. Heut Abend, wenn der Baum brennt, werden sie schon ans Licht kommen, davon bin ich überzeugt.

Nora.

Hast Du auch nicht vergessen, Rank einzuladen?

Helmer.

Nein. Aber das ist ja gar nicht nötig. Es versteht sich von selbst, daß er mit uns speist. Übrigens werde ich ihn einladen, wenn er heut vormittag herkommt. Guten Wein habe ich schon bestellt. Nora, Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf den heutigen Abend freue.

Nora.

Ich mich auch. Und wie die Kinder erst jubeln werden, Torvald!

Helmer.

Ach, es ist doch ein herrlicher Gedanke, eine feste gesicherte Stellung, sein reichliches Auskommen zu haben. Nicht wahr! Der Gedanke ist ein Hochgenuß!

Nora.

Ach, es ist wunderbar!

Helmer.

Denkst Du noch an vorige Weihnachten? Drei liebe lange Wochen vorher hast Du Dich Abend für Abend bis in die tiefe Nacht hinein eingeschlossen, um Blumen für den Baum und die vielen andern Herrlichkeiten anzufertigen, womit wir überrascht werden sollten. Uh, das war die ödeste Zeit, die ich je erlebt habe.

Nora.

Ich habe mich dabei gar nicht gelangweilt.

Helmer (lächelnd.)

Aber das Ergebnis war doch recht dürftig, Nora!

Nora.

Neckst Du mich schon wieder damit! Was konnte ich dafür, daß die Katze kam und mir alles kaputt machte.

Helmer.

Nein, mein armes Norachen, dafür konntest Du freilich nichts. Du hattest den besten Willen, uns alle zu beglücken, und das ist die Hauptsache. Aber gut ist es doch, daß die knappen Zeiten vorüber sind.

Nora.

Ja, es ist wirklich wunderbar!

Helmer.

Nun brauche ich hier nicht allein herumzusitzen und mich zu öden. Und Du brauchst Deine lieben Augen und Deine zarten, feinen Händchen nicht anzustrengen –

Nora (klatscht in die Hände.)

Nein, nicht wahr, Torvald, das brauchen wir nun nicht mehr!? O, wie wunderbar schön sich das anhört. (Nimmt seinen Arm.) Nun paß mal auf, Torvald, wie ich mir unsere künftige Einrichtung gedacht habe. Sobald Weihnachten vorbei ist – (es läutet im Vorzimmer.) Ach, da läutet es! (Räumt schnell ein wenig im Zimmer auf.) Es kommt gewiß jemand. Wie dumm!

Helmer.

Für Besuche bin ich nicht zu Hause, vergiß das nicht.

Hausmädchen (in der Vorzimmertür.)

Gnädige Frau – eine fremde Dame –

Nora.

Ich bitte.

Hausmädchen (zu Helmer.)

Der Herr Doktor ist auch da.

Helmer.

Er ist wohl gleich zu mir hineingegangen?

Hausmädchen.

Ja, das ist er.

(Helmer ab in sein Zimmer; das Hausmädchen führt Frau Linde, die im Reiseanzug ist, ins Zimmer und schließt dann die Tür hinter ihr.)

Frau Linde (zaghaft und ein wenig zögernd.)

Guten Tag, Nora.

Nora (unsicher.)

Guten Tag –

Frau Linde.

Du kennst mich wohl nicht mehr –?

Nora.

Nein, ich weiß nicht –; doch, ja, – ich glaube – (aufjubelnd.) Wie – Christine! Bist Du's wirklich?!

Frau Linde.

Ja, ich bin es.

Nora.

Christine! Und ich habe Dich nicht wiedererkannt! Aber wie konnt' ich auch –. (Leiser.) Wie Du Dich verändert hast, Christine!

Frau Linde.

Allerdings. In neun – zehn langen Jahren –

Nora.

So lange haben wir uns nicht gesehen? Wahrhaftig, ja! Ach, die letzten acht Jahre waren eine glückliche Zeit! – Das kannst Du glauben. Und nun bist Du in die Stadt gekommen? Hast mitten im Winter die weite Reise gemacht? Das war brav.

Frau Linde.

Ich bin heut früh mit dem Dampfschiff angekommen.

Nora.

Natürlich, um Dir ein Weihnachtsvergnügen zu machen. Wie nett! Wir wollen auch recht lustig sein. Aber so leg' doch Deine Sachen ab. Du frierst doch nicht? (Hilft ihr.) So – jetzt setzen wir uns gemütlich an den Ofen. Nein, da in den Lehnstuhl! Ich setze mich in den Schaukelstuhl. (Ergreift ihre Hände.) Ja, das ist ja das alte, bekannte Gesicht; nur im ersten Augenblick –. Etwas bleicher bist Du freilich geworden, Christine, – und vielleicht auch etwas magerer.

Frau Linde.

Und viel, viel älter, Nora.

Nora.

Na ja, vielleicht ein bißchen älter; aber nur ganz, ganz wenig, nicht der Rede wert. (Hält plötzlich inne; ernst.) Ich gedankenlose Person! Da sitze ich und schwätze! Liebste, einzige Christine, kannst Du mir vergeben?

Frau Linde.

Was denn, Nora?

Nora (leise.)

Arme Christine, Du bist ja Witwe geworden.

Frau Linde.

Ja, schon vor drei Jahren.

Nora.

Gott, ich wußte es ja; ich habe es ja in den Zeitungen gelesen. Ach, Christine, Du kannst mir glauben, immer wollte ich Dir schreiben in der Zeit; aber jedesmal habe ich es wieder aufgeschoben; stets kam was dazwischen.

Frau Linde.

Liebe Nora, das begreife ich wohl.

Nora.

Nein, Christine, es war garstig von mir! Ach, Du Ärmste, was mußt Du nicht alles durchgemacht haben! – Und er hat Dir nichts zum Leben hinterlassen?

Frau Linde.

Nichts!

Nora.

Und keine Kinder?

Frau Linde.

Nein!

Nora.

Ganz und gar nichts also?

Frau Linde.

Nicht einmal eine Sorge oder ein Leid, von dem ich zehren könnte.

Nora (sieht sie ungläubig an.)

Aber Christine, wie ist das möglich?

Frau Linde (lächelt schwermütig und streicht ihr über das Haar.)

Ach, das kommt zuweilen vor, Nora.

Nora.

So ganz allein! Wie furchtbar schwer das für Dich sein muß. Ich habe drei reizende Kinder. Augenblicklich kann ich sie Dir nicht vorstellen, – sie sind mit der Kinderfrau aus. Aber nun mußt Du mir alles erzählen –

Frau Linde.

Ach nein! Erzähl' Du mir lieber!

Nora.

Nein, Du mußt anfangen. Heute will ich nicht egoistisch sein. Heut will ich nur an Deine Sachen denken. Aber eines muß ich Dir doch sagen. Hast Du schon davon gehört, welch großes Glück uns in diesen Tagen beschert worden ist?

Frau Linde.

Nein, was denn?

Nora.

Denk Dir, mein Mann ist Direktor der Aktienbank geworden.

Frau Linde.

Dein Mann? O dieses Glück –!

Nora.

Ja, ein riesiges Glück. Ein Advokat hat ein so unsicheres Brot, besonders wenn er sich nur mit feinen und anständigen Geschäften befassen will. Und das hat Torvald natürlich immer gewollt; und darin halte ich es auch ganz mit ihm. Glaub' mir, wir freuen uns! Schon zu Neujahr tritt er in die Bank ein, und dann kriegt er ein großes Gehalt und viel Prozente. Von jetzt ab können wir ganz anders leben als bisher –, ganz, wie wir wollen. Ach, Christine, wie leicht und glücklich ich mich fühle! Ja, es ist doch wunderschön, tüchtig viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?

Frau Linde.

Jedenfalls muß es schön sein, das Notwendige zu haben.

Nora.

Nein, nicht das Notwendige nur – sondern tüchtig, tüchtig viel Geld.

Frau Linde (lächelt.)

Nora, Nora! Bist Du noch immer nicht gescheit geworden? In der Schule warst Du eine große Verschwenderin.

Nora (lächelt still.)

Ja, das sagt Torvald heutigentags noch. (Droht mit dem Finger.) Aber »Nora, Nora« ist nicht so dumm, wie Ihr denkt. – Uns ist es wahrhaftig nicht so ergangen, daß ich hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten müssen.

Frau Linde.

Du auch?

Nora.

Ja, Kleinigkeiten –, Handarbeiten, Häkeleien, Stickereien und dergleichen, – (leichthin) – und auch noch andere Sachen. Du weißt doch, daß Torvald aus dem Ministerialdienst ausgetreten ist, als wir heirateten? In seinem Rayon war keine Aussicht auf Beförderung, und er mußte doch mehr Geld verdienen als früher. Im ersten Jahr überarbeitete er sich aber ganz gräßlich. Er war, wie Du Dir denken kannst, auf allerhand Nebenverdienste angewiesen und mußte von früh bis spät schaffen. Das konnte er nicht vertragen, und so wurde er todkrank. Die Ärzte erklärten es für notwendig, daß er nach dem Süden ginge.

Frau Linde.

Ach ja, Ihr wart ja ein ganzes Jahr in Italien.

Nora.

Ja, gewiß. Glaub' mir, es war nicht leicht wegzukommen. Ivar war eben geboren. Doch weg mußten wir auf jeden Fall. Ach, es war eine wunderbar schöne Reise, und sie hat Torvald das Leben gerettet. Aber eine schwere Menge Geld hat sie gekostet, Christine.

Frau Linde.

Das kann ich mir schon denken.

Nora.

Zwölfhundert Taler hat sie gekostet. Viertausendachthundert Kronen. Du, das ist viel Geld.

Frau Linde.

Aber in solcher Lage ist es jedenfalls doch ein großes Glück, wenn man es hat.

Nora.

Ich will Dir was sagen, wir kriegten es von Papa.

Frau Linde.

Ach so. Gerade um jene Zeit starb ja wohl Dein Vater.

Nora.

Ja, Christine, gerade damals. Und denk nur, ich konnte nicht zu ihm reisen und ihn pflegen. Ich erwartete ja täglich die Geburt meines kleinen Ivar. Und dann mußte ich ja auch meinen armen todkranken Torvald pflegen. Der liebe, gute Papa! Ich habe ihn nicht mehr gesehen, Christine. Ach! das ist das Schwerste, was ich seit meiner Verheiratung erlebt habe.

Frau Linde.

Ich weiß, Du hast ihn sehr lieb gehabt. Und dann seid Ihr also nach Italien gereist?

Nora.

Jawohl – da hatten wir ja das Geld, und die Ärzte drangen darauf. Einen Monat später sind wir gereist.

Frau Linde.

Und Dein Mann kam ganz geheilt zurück?

Nora.

Munter wie ein Fisch im Wasser.

Frau Linde.

Aber – der Doktor?

Nora.

Wieso?

Frau Linde.

 

Ich glaubte das Mädchen so verstanden zu haben, der Herr, der zugleich mit mir eintrat, sei der Doktor.

Nora.

Das war Doktor Rank. Der kommt aber nicht als Arzt zu uns. Das ist unser bester Freund und läßt sich hier bei uns täglich wenigstens einmal sehen. Nein, Torvald ist auch noch nicht eine Stunde wieder krank gewesen. Und die Kinder sind munter und gesund, und ich auch. (Springt auf und klatscht in die Hände.) Gott, o Gott, Christine, es ist doch wunderbar schön, zu leben und glücklich zu sein! – Ach, aber es ist abscheulich von mir –; ich spreche immer nur von meinen eigenen Sachen. (Setzt sich dicht neben sie auf einen Schemel und legt die Hände auf Frau Lindes Schoß.) Ach, Du mußt mir nicht böse sein! – Sag' mal, ist es wirklich wahr, daß Du Deinen Mann nicht geliebt hast? Warum hast Du ihn denn genommen?

Frau Linde.

Meine Mutter lebte noch und war bettlägerig und ohne Mittel. Und auch für meine beiden jüngeren Brüder hatte ich zu sorgen. Es schien mir unverantwortlich, seinen Antrag zurückzuweisen.

Nora.

Nein, nein, das ist ganz richtig. Er war also damals reich?

Frau Linde.

Er war recht wohlhabend, glaube ich. Aber es waren unsichere Geschäfte, Nora. Als er starb, kam der Zusammenbruch, und nichts blieb übrig.

Nora.

Und dann –?

Frau Linde.

Dann mußte ich mich mit einem kleinen Kramladen und einer kleinen Schule und allem Möglichen durchschlagen. Die letzten drei Jahre sind ein einziger langer, ruheloser Arbeitstag für mich gewesen. Jetzt ist er zu Ende, Nora. Meine arme Mutter braucht mich nicht mehr, – sie ist gestorben. Und die Jungen auch nicht, – sie haben jetzt Stellungen und können für sich selber sorgen.

Nora.

Wie leicht Du Dich fühlen mußt –

Frau Linde.

Nein, Du, – nur so unsagbar leer. Niemand mehr, für den ich leben kann. (Steht unruhig auf.) Deshalb hielt ich es da in dem entlegenen Nest nicht mehr aus. Hier muß man doch leichter etwas finden können, das einen in Anspruch nimmt und die Gedanken beschäftigt. Wenn es mir nur gelänge, eine feste Stellung zu finden, ein wenig Bureauarbeit –

Nora.

Aber Christine, das ist ja entsetzlich anstrengend und Du siehst ohnehin schon so angegriffen aus. Es wäre viel besser für Dich, wenn Du eine Badereise machen könntest!

Frau Linde (geht ans Fenster.)

Ich habe keinen Vater, der mir das Reisegeld schenken könnte, Nora.

Nora (steht auf.)

Ach, sei mir nicht böse!

Frau Linde (geht zu ihr.)

Liebe Nora, seiDu mir nicht böse. Das ist das Schlimmste bei Verhältnissen wie den meinigen, daß sie so das Gemüt verbittern. Man hat für niemand zu arbeiten, und doch muß man fortwährend tätig sein. Denn man muß doch leben, und so wird man Egoist. Als Du mir von der glücklichen Veränderung in Eurer Lebenslage erzähltest – wirst Du mir glauben, da freute ich mich nicht so sehr um deinet-, wie um meinetwillen.

Nora.

Wie das? Ach ja – ich verstehe Dich. Du meinst, daß Torvald etwas für Dich tun könnte.

Frau Linde.

Ja, das dachte ich mir.

Nora.

Das soll er auch, Christine. Überlaß das nur mir; ich werde es schon so fein einfädeln, so fein, – etwas recht Liebenswürdiges aushecken, das bei ihm verfängt. Ach, ich möchte Dir so furchtbar gern helfen.

Frau Linde.

Wie schön von Dir, Nora, daß Du so für meine Sache eintrittst – doppelt schön vonDir, die Du selbst die Last und Mühsal des Lebens so gar nicht kennst.

Nora.

Ich –? Ich kenne nicht –?

Frau Linde (lächelnd.)

Du lieber Gott, das bißchen Handarbeit und dergleichen –. Du bist ein Kind, Nora.

Nora (wirft den Kopf zurück und geht durchs Zimmer.)

Das solltest Du nicht mit solcher Überlegenheit sagen.

Frau Linde.

So?

Nora.

Du bist wie die andern. Alle glaubt Ihr, daß ich zu etwas wirklich Ernstem nicht tauge –

Frau Linde.

Na, na –

Nora.

– daß ich nichts geleistet habe in diesem schweren Dasein.

Frau Linde.

Liebe Nora, Du hast mir ja eben all Dein Ungemach erzählt.

Nora.

Ach was, – die Bagatellen! – (Leise.) Das Große, das habe ich Dir nicht erzählt.

Frau Linde.

Das Große? Was meinst Du damit?

Nora.

Du unterschätzt mich durchaus, Christine; aber das solltest Du nicht tun. Du bist stolz darauf, daß Du so lange und so schwer für Deine Mutter geschafft hast.

Frau Linde.

Ich unterschätze gewiß niemanden. Aber eins ist wahr: ich bin stolz und glücklich in dem Gedanken, daß es mir vergönnt gewesen ist, meiner Mutter die letzten Lebenstage einigermaßen sorgenfrei zu gestalten.

Nora.

Und Du bist auch stolz in dem Gedanken, was Du für Deine Brüder getan hast.

Frau Linde.

Ich glaube ein Recht dazu zu haben.

Nora.

Das glaube ich auch. Aber nun sollst Du etwas erfahren, Christine. Auch ich habe was, das mich stolz und glücklich macht.

Frau Linde.

Daran zweifle ich nicht. Aber wie meinst Du das?

Nora.

Sprich leise. Bedenk, wenn Torvald es hörte! Um keinen Preis der Welt darf er –; niemand darf es erfahren, außer Dir niemand, Christine.

Frau Linde.

Was ist es denn nur?

Nora.

Komm her. (Zieht sie neben sich auf das Sofa.) Ja, Du, – ich habe auch etwas, das mich stolz und glücklich macht: ich habe Torvald das Leben gerettet

Frau Linde.

Gerettet –? Wieso gerettet?

Nora.

Ich habe Dir doch von der Reise nach Italien erzählt. Wenn Torvald nicht dorthin gekommen wäre, so wäre er draufgegangen.

Frau Linde.

Na ja, Dein Vater hat Euch ja die nötigen Mittel gegeben –

Nora (lächelt.)

Ja, das glaubt Torvald, und das glauben alle andern; aber –

Frau Linde.

Aber –?

Nora.

Papa hat uns keinen Heller gegeben. Ich habe das Geld geschafft.

Frau Linde.

Du? Die ganze große Summe?

Nora.

Zwölfhundert Taler. Viertausendachthundert Kronen. Was sagst Du nun?

Frau Linde.

Ja aber, Nora, wie war Dir das möglich? Hattest Du in der Lotterie gewonnen?

Nora (verächtlich.)

In der Lotterie? (Geringschätzig.) Was wäre denn das für eine Kunst gewesen?

Frau Linde.

Wo hast Du es denn herbekommen?

Nora (trällert und lächelt geheimnisvoll.)

Hm, tralalala!

Frau Linde.

Borgen konntest Du es Dir doch nicht?

Nora.

So? Warum denn nicht?

Frau Linde.

Nein, eine Frau kann ohne die Einwilligung ihres Gatten kein Darlehn aufnehmen.

Nora (wirft den Kopf zurück.)

So –? Wenn es eine Frau ist, die einige Geschäftskenntnis hat –, eine Frau, die sich klug zu benehmen weiß, – dann –

Frau Linde.

Aber, Nora, ich verstehe kein Wort –

Nora.

Ist auch gar nicht nötig. Es ist ja gar nicht gesagt, daß ich mir das Geldgeborgt habe. Ich kann es mir ja auf andere Weise verschafft haben. (Wirft sich ins Sofa zurück.) Ich kann es ja von irgend einem Verehrer bekommen haben. Wenn man leidlich hübsch aussieht, wie ich –

Frau Linde.

Du bist eine Närrin.

Nora.

Jetzt bist Du gewiß grenzenlos neugierig, Christine.

Frau Linde.

Hör' mal an, liebe Nora, – hast Du auch keine Unbesonnenheit begangen?

Nora (richtet sich wieder auf.)

Ist es eine Unbesonnenheit, seinem Mann das Leben zu retten?

Frau Linde.

Ich finde, es war eine Unbesonnenheit, daß Du ohne sein Wissen –

Nora.

Aber er durfte ja doch nichts wissen! Herrgott, kannst Du denn das nicht begreifen? Er durfte nicht einmal wissen, wie schlimm es um ihn stand. Zu mir kamen die Ärzte und sagten, es wäre Gefahr für sein Leben, und nur ein Aufenthalt im Süden könnte ihn retten. Meinst Du denn, ich hätte nicht zunächst auf andere Weise versucht, aus der Verlegenheit zu kommen? Ich sprach mit ihm darüber, wie nett ich es finden würde, mal wie andere junge Frauen ins Ausland reisen zu können. Ich weinte und ich flehte; ich sagte ihm, er sollte doch daran denken, in welchen Umständen ich mich befände, er sollte doch gut sein und mir nachgeben, und dann deutete ich an, er könnte ja wohl ein Darlehn aufnehmen. Aber da wurde er beinahe böse, Christine. Er sagte, ich wäre leichtsinnig, und es wäre seine Pflicht als Ehemann, meinen Mucken und Launen – so nannte er es, glaube ich – nicht nachzugeben. Nun wohl, dachte ich bei mir, gerettet mußt Du werden; und da verfiel ich auf diesen Ausweg –

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