H. G. Wells – Gesammelte Werke

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H. G. Wells – Gesammelte Werke
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Herbert George Wells

Gesammelte Werke

Romane

Herbert George Wells

Gesammelte Werke

Romane

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020

2. Auflage, ISBN 978-3-962813-62-8

null-papier.de/582


null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Der Krieg der Wel­ten

Der Un­sicht­ba­re

Die ers­ten Men­schen auf dem Mond

Die In­sel des Dr. Mo­reau

Die Rie­sen kom­men!

Die Zeit­ma­schi­ne

Im Jah­re des Ko­me­ten

Jen­seits des Si­ri­us

Der Traum

Wenn der Schlä­fer er­wacht

In­dex

Dan­ke

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Die Bän­de »Der Krieg der Wel­ten« und »Wenn der Schlä­fer er­wacht« gibt es in mei­nem Ver­lag auch in il­lus­tier­ten Fas­sun­gen.

Der Krieg der Wel­ten

E­pub: ISBN 978-3-95418-904-5

PDF: ISBN 978-3-95418-906-9

Kind­le: ISBN 978-3-95418-905-2

Wenn der Schlä­fer er­wacht

E­pub: ISBN 978-3-96281-014-6

PDF: ISBN 978-3-96281-016-0

Kind­le: ISBN 978-3-96281-015-3

Der Krieg der Welten

Buch

Ent­ste­hung

Das Buch wur­de 1898 ver­öf­fent­licht, also noch weit vor der Er­fin­dung des Flug­zeugs, und 70 Jah­re, be­vor der Mensch erst­mals sei­nen Fuß auf den Mond setz­te. Die tech­ni­sche Fan­ta­sie und Vor­stel­lungs­kraft, die Wells auf Grund­la­ge der da­ma­li­gen Er­kennt­nis­se über das Wel­tall, Pla­ne­ten und Tech­nik an den Tag leg­te, ist auch heu­te noch ab­so­lut be­ste­chend.

Be­deu­tung

Auf dem Hö­he­punkt des Bri­ti­schen Em­pi­res führ­te Wells sei­nen Le­sern vor, was mit Kul­tu­ren pas­siert, die von aus­län­di­schen, tech­nisch weit über­le­ge­nen In­va­so­ren an­ge­grif­fen wer­den: Sie wer­den aus­ge­rot­tet. Die Kehr­sei­te des tech­ni­schen Fort­schritts fin­det sich im Text wie­der – wenn der Schre­cken auch von au­ßer­halb, vom Mars kommt.

Spä­te­re Be­ar­bei­tun­gen

Der Ro­man be­grün­de­te H. G. Wells’ Ruhm als Science-Fic­ti­on-Au­tor und war Vor­la­ge für zahl­rei­che an­de­re li­te­ra­ri­sche Wer­ke und Ver­fil­mun­gen.

Berühmt wur­de „Krieg der Wel­ten“ auch als Hör­spiel von 1938. Der da­mals noch weit­ge­hend un­be­kann­te Or­son Wel­les in­sze­nier­te im ame­ri­ka­ni­schen Ra­dio am Vora­bend von Hal­lo­ween ein als Li­ver­epor­ta­ge ge­tarn­tes Hör­spiel, das über die In­va­si­on der USA durch Mar­sia­ner be­rich­te­te. Ob es da­mals al­ler­dings wirk­lich zu der ger­ne kol­por­tie­ren Mas­sen­pa­nik durch hys­te­ri­sche Hö­rer kam, wird heu­te le­dig­lich als ge­lun­ge­nes Mar­ke­ting be­zeich­net und ent­spricht nicht den Tat­sa­chen.

1978 er­schi­en das Mu­si­k­al­bum „Jeff Way­ne’s Mu­si­cal Ver­si­on of the War of the Worlds“. Als Er­zäh­ler fun­gier­te in der Ori­gi­nal­fas­sung Richard Bur­ton, in der 1980 er­schie­ne­nen deutsch­spra­chi­gen Ver­si­on Curd Jür­gens.

Eine sa­ti­ri­sche Ad­ap­ti­on war der Film „Mars At­tacks!“ von 1996 des Re­gis­seurs Tim Bur­ton, der sämt­li­che Gen­re­kli­schees per­si­flier­te. Hier bringt ein Coun­try-Song schließ­lich die un­ter Glas­hel­men sicht­ba­ren Hir­ne der In­va­so­ren zum Plat­zen.

Au­tor

Her­bert Ge­or­ge Wells (1866-1946) gilt, ne­ben Ju­les Ver­ne, als »Va­ter der Science-Fic­ti­on«. Ihm ver­dan­ken wir die grund­le­gen­de Aus­ar­bei­tung zahl­rei­cher Mo­ti­ve, die das Gen­re bis heu­te maß­geb­lich prä­gen: Zeit­rei­se, Un­sicht­bar­keit, au­ßer­ir­di­sche In­va­si­on und vie­le mehr. Dar­über hin­aus hat er sich als His­to­ri­ker und Ver­fas­ser ge­sell­schafts­kri­ti­scher Wer­ke einen Na­men ge­macht.

Zeich­ner

Die Il­lus­tra­tio­nen stam­men aus dem im Jah­re 2015 ver­stei­ger­ten Ori­gi­nal-Kon­vo­lut des Zeich­ners Hen­ri­que Al­vim Corrêa. Die­se wur­den für die Ver­öf­fent­li­chung auf­wen­dig di­gi­tal vom Gilb und Schmutz­fle­cken be­freit.

Zur Er­st­über­set­zung

Die ers­te, 1901 im Wie­ner Per­les Ver­lag er­schie­ne­ne Über­set­zung, stamm­te von Gott­lieb Au­gust Crüwell. Die­se war, selbst für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se, sper­rig zu le­sen. Nicht nur war der Text durch­setzt von ös­ter­rei­chi­schen Be­grif­fen, die nörd­lich der Al­pen eher un­be­kannt sein dürf­ten, schlim­mer noch, war der Text oft­mals nicht nach­be­ar­bei­tet wor­den, son­dern, wie so vie­le Ver­öf­fent­li­chun­gen der da­ma­li­gen Zeit, eine in der Satz­stel­lung nicht an­ge­pass­te Eins-zu-Eins-Über­set­zung des eng­li­schen Ori­gi­nals. Dies führ­te häu­fig zu Sät­zen, die ab­so­lut un­ver­ständ­lich wa­ren. Hier ein Bei­spiel für solch eine Pas­sa­ge:

„Jetzt, da das hef­ti­ge Aus­fah­ren bei sei­ner Auss­trö­mung vor­über war, haf­te­te der schwar­ze Rauch so fest auf dem Bo­den, dass, selbst vor sei­nem Ab­flie­ßen, in ei­ner Höhe von fünf­zig Fuß in der Luft, auf Dä­chern und obe­ren Stock­wer­ken ho­her Häu­ser und auf großen Bäu­men, es eine Mög­lich­keit gab, sei­ner gif­ti­gen Wir­kung sich völ­lig zu ent­zie­hen; das be­währ­te sich noch in je­ner Nacht in Street Cob­ham und Dit­ton.“

Die Auf­fri­schung liest sich schon viel flüs­si­ger und ver­liert den­noch nichts von ih­rem mehr als 100 Jah­re al­ten Ch­ar­me:

„Jetzt, da nach der De­to­na­ti­on der hef­ti­ge Schwall ver­flo­gen war, haf­te­te der schwar­ze Rauch so fest auf dem Bo­den, dass es selbst vor sei­nem Ab­flie­ßen, in ei­ner Höhe von fünf­zig Fuß, auf Dä­chern und obe­ren Stock­wer­ken ho­her Häu­ser und auf großen Bäu­men, eine Mög­lich­keit gab, sich sei­ner gif­ti­gen Wir­kung völ­lig zu ent­zie­hen; das be­währ­te sich noch in je­ner Nacht in Street Cob­ham und Dit­ton.“

Wer sich für die Be­ar­bei­tung al­ter Text bei Null Pa­pier in­ter­es­siert, dem emp­feh­le ich den Auf­satz „Was macht ein E-Book-Ver­le­ger so den gan­zen Tag? E-Books!“ (http://null-pa­pier.de/sto­ry)

Vorwort der Übersetzerin

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser,

Sie sind im Be­griff, sich den Text ein­zu­ver­lei­ben, der als der Ur-Text der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur gilt.

Fol­gen Sie dem Ich-Er­zäh­ler durch das Lon­don und sei­ne Um­ge­bung An­fang des 20. Jahr­hun­derts.

Spü­ren Sie ei­ner­seits die Fas­zi­na­ti­on des Au­tors für die Ver­spre­chun­gen des sich an­bah­nen­den tech­ni­schen Zeit­al­ters. Ah­nen Sie gleich­zei­tig die Be­droh­lich­keit die­ser neu­en Welt, die den da­ma­li­gen Zeit­ge­nos­sen ver­ständ­li­cher­wei­se nicht ganz ge­heu­er schi­en. Die ers­te Fahrt ei­ner dampf­be­trie­be­nen Ei­sen­bahn war noch nicht all­zu lan­ge her.

Be­den­ken Sie da­bei, dass da­mals eine schnel­le In­for­ma­ti­on über Ri­si­ken und de­ren Ver­mei­dung eben­falls noch ein wei­te­res Jahr­hun­dert auf sich war­ten ließ.

Wen wun­dert es da, dass die fremd­ar­ti­gen Ma­schi­nen li­te­ra­risch gleich als die Ap­pa­ra­tu­ren ei­ner frem­den Zi­vi­li­sa­ti­on ver­ar­bei­tet wer­den? Und kei­ner fried­li­chen, wie der Ti­tel des Bu­ches be­reits ver­heißt.

Las­sen Sie sich mit­neh­men, durch­aus auch in die Schre­cken, die eine un­ter­le­ge­ne Zi­vi­li­sa­ti­on durch eine wei­ter­ent­wi­ckel­te er­fah­ren kann.

Aber sei­en Sie von An­fang an ge­trös­tet, da der Au­tor dem Grund­satz treu bleibt, dass der Ich-Er­zäh­ler über­lebt.

Und freu­en Sie sich dar­auf, wer oder was sich schließ­lich als Ret­ter der Mensch­heit ent­pup­pen wird.

Ich wün­sche Ih­nen span­nen­de Le­se­stun­den.

Herz­lichst

Ihre Ga­brie­le Bla­che

Erstes Buch – Das Kommen der Marsmänner

I. Am Vorabend des Krieges

Nie­mand hät­te in den letz­ten Jah­ren des XIX. Jahr­hun­derts ge­glaubt, dass die Mensch­heit ge­nau und scharf von in­tel­li­gen­ten Mäch­ten be­ob­ach­tet wür­de, grö­ßer als die Men­schen selbst und doch eben­so sterb­lich. Nie­mand hät­te ge­glaubt, dass, wäh­rend die Men­schen ih­rem Ta­ge­werk nach­gin­gen, sie be­lauscht und er­forscht wür­den, fast eben­so ein­dring­lich, wie ein Mann mit sei­nem Mi­kro­skop jene ver­gäng­li­chen Le­be­we­sen er­forscht, die in ei­nem Was­ser­trop­fen ihr We­sen trei­ben und sich dar­in ver­meh­ren. Mit un­end­li­chem Be­ha­gen schlen­der­te die Mensch­heit, mit ih­ren klei­nen Sor­gen be­schäf­tigt, kreuz und quer auf dem Erd­ball um­her, in ge­las­se­nem Ver­trau­en auf ihre Herr­schaft über die Ma­te­rie. Es ist mög­lich, dass die In­fu­so­ri­en1 un­ter der Lupe das­sel­be tun. Nie­mand quäl­te sich mit dem Ge­dan­ken, dass äl­te­ren Welt­kör­pern Ge­fah­ren für die Mensch­heit ent­sprin­gen könn­ten. Jede Vor­stel­lung, dass sie be­wohnt sein könn­ten, wur­de als un­wahr­schein­lich oder un­mög­lich auf­ge­ge­ben. Es ist selt­sam, sich heu­te der geis­ti­gen Ver­fas­sung je­ner ver­gan­ge­nen Tage zu ent­sin­nen. Es kam höchs­tens vor, dass Er­den­be­woh­ner sich ein­bil­de­ten, es könn­ten We­sen auf dem Mars le­ben, min­der­wer­ti­ge viel­leicht, je­den­falls aber sol­che, die eine ir­di­sche For­schungs­rei­se freu­dig be­grü­ßen wür­den. Aber jen­seits des gäh­nen­den Wel­ten­raums blick­ten Geis­ter, den un­se­ren über­le­gen wie un­se­re de­nen rei­ßen­der Tie­re, blick­ten In­tel­lek­te, un­ge­heu­er und kalt und un­heim­lich, mit nei­di­schen Au­gen auf un­se­re Erde. Be­däch­tig und ge­zielt schmie­de­ten sie ihre Plä­ne ge­gen uns. Und am Be­ginn des XX. Jahr­hun­derts kam die große Er­nüch­te­rung.

 

Der Pla­net Mars, ich brau­che den Le­ser kaum dar­an zu er­in­nern, dreht sich in ei­ner mitt­le­ren Ent­fer­nung von 140.000.000 Mei­len2 um die Son­ne. Und das Aus­maß von Licht und Wär­me, das er von der Son­ne emp­fängt, ent­spricht kaum der Hälf­te un­se­res An­teils. Wenn die Ne­bu­larhy­po­the­se3 nur im Ge­rings­ten rich­tig ist, muss er äl­ter sein als un­se­re Erde, und lan­ge, ehe un­ser Pla­net zu schmel­zen auf­ge­hört hat­te, muss das Le­ben auf sei­ner Ober­flä­che be­reits be­gon­nen ha­ben. Die Tat­sa­che, dass er kaum den sie­ben­ten Teil des Vo­lu­mens un­se­rer Erde er­reicht, muss sei­ne Ab­küh­lung bis zu der Tem­pe­ra­tur, bei der Le­ben be­gin­nen konn­te, be­schleu­nigt ha­ben. Er be­sitzt Luft und Was­ser und al­les Nö­ti­ge zur Er­hal­tung ani­ma­li­scher Exis­tenz.

Doch so ei­tel ist der Mensch und so ver­blen­det durch sei­ne Ei­tel­keit, dass bis zum Schluss des XIX. Jahr­hun­derts nicht ein ein­zi­ger Schrift­stel­ler je­mals dem Ge­dan­ken nä­her trat, dass dort geis­ti­ges Le­ben über­haupt oder gar weit über das ir­di­sche Maß hin­aus ent­ste­hen konn­te. Auch wur­de aus den Tat­sa­chen, dass der Mars äl­ter ist als un­se­re Erde, dass er nur den vier­ten Teil ih­rer Ober­flä­che be­sitzt, dass er wei­ter von der Son­ne ent­fernt ist, nie der zwin­gen­de Schluss ge­zo­gen, dass er nicht nur von den An­fän­gen des Le­bens ent­fern­ter, son­dern des­sen Ende auch nä­her ist.

Die zeit­li­che Ab­küh­lung, die einst auch un­se­ren Pla­ne­ten be­vor­steht, hat bei un­se­rem Nach­bars­tern schon große Fort­schrit­te ge­macht. Sei­ne phy­si­sche Be­schaf­fen­heit ist im Gan­zen noch ein Ge­heim­nis. Doch wis­sen wir jetzt, dass selbst in sei­nen äqua­to­ria­len Re­gio­nen die Mit­tags­tem­pe­ra­tur kaum jene un­se­res käl­tes­ten Win­ters er­reicht. Sei­ne Luft ist viel dün­ner als die un­se­re, sei­ne Mee­re sind so­weit zu­rück­ge­tre­ten, dass sie kaum mehr ein Drit­tel sei­ner Ober­flä­che be­de­cken, und wäh­rend des lang­sa­men Wech­sels sei­ner Jah­res­zei­ten bil­den sich un­ge­heu­re Schnee­gip­fel, die an je­dem Pole schmel­zen und sei­ne ge­mä­ßig­ten Zo­nen pe­ri­odisch über­flu­ten. Je­nes letz­te Sta­di­um der Er­schöp­fung, für uns noch so un­glaub­lich ent­fernt, ist für die Mars­be­woh­ner eine Ta­ges­fra­ge ge­wor­den. Der un­mit­tel­ba­re Druck der Not hat ih­ren Ver­stand ge­schärft, ihre Kräf­te er­höht, ihre Her­zen ver­här­tet. Und in­dem sie den Wel­traum über­blick­ten, sa­hen sie, aus­ge­rüs­tet mit Werk­zeu­gen und Geis­tes­ga­ben, die wir uns kaum träu­men lie­ßen, in nächs­ter Ent­fer­nung, nur 35.000.000 Mei­len son­nen­wärts, einen Mor­gens­tern der Hoff­nung, un­se­ren ei­ge­nen wär­me­ren Pla­ne­ten, grün mit sei­ner Ve­ge­ta­ti­on, grau mit sei­nem Was­ser, mit ei­ner wol­ki­gen At­mo­sphä­re, die von Frucht­bar­keit be­rich­tet, einen Stern, der durch sei­ne trei­ben­den Wol­ken­ge­bil­de sie Bli­cke tun lässt auf brei­te Stre­cken be­völ­ker­ten Lan­des und schma­le flot­ten­er­füll­ter Seen.

Und wir Men­schen, die die­sen Stern be­woh­nen, müs­sen wir je­nen nicht zum Min­des­ten so fremd­ar­tig und nied­rig er­schei­nen, wie uns Af­fen und Le­mu­ren? Der in­tel­lek­tu­el­le Teil der Mensch­heit gibt be­reits zu, dass das Le­ben ein un­auf­hör­li­cher Kampf ums Da­sein ist. Und es scheint, dass die­ser Glau­be auch von den Mars­be­woh­nern ge­teilt wird. Auf ih­rem Stern ist die Ab­küh­lung schon weit vor­ge­schrit­ten! Die­se Welt ist noch voll blü­hen­den Le­bens, aber be­völ­kert von ei­ner Men­ge, die jene als min­der­wer­ti­ge Le­be­we­sen be­trach­ten. In Wahr­heit, den Krieg son­nen­wärts zu tra­gen, ist ihre ein­zi­ge Ret­tung vor der Ver­nich­tung, die von Ge­schlecht zu Ge­schlecht im­mer nä­her an sie her­an­schleicht.

Und be­vor wir sie zu hart be­ur­tei­len, müs­sen wir uns er­in­nern, mit wel­cher scho­nungs­lo­sen und grau­sa­men Ver­nich­tung un­se­re ei­ge­ne Gat­tung nicht nur ge­gen Tie­re, wie den ver­schwun­de­nen Bi­son und den Walg­vo­gel, son­dern ge­gen un­se­re ei­ge­nen in­fe­rio­ren Ras­sen ge­wü­tet hat. Die Tas­ma­nier wur­den trotz ih­rer Men­schen­ähn­lich­keit, in ei­nem von eu­ro­päi­schen Ein­wan­de­rern ge­führ­ten Ver­nich­tungs­krie­ge bin­nen fünf­zig Jah­ren völ­lig aus­ge­rot­tet. Sind wir sol­che Apos­tel der Gna­de, dass wir uns be­kla­gen dür­fen, wenn die Mars­leu­te in dem­sel­ben Geist uns be­krie­gen?

Die Mars­leu­te schei­nen ih­ren Ab­sturz mit er­staun­li­cher Ge­nau­ig­keit be­rech­net zu ha­ben — ihre ma­the­ma­ti­schen Kennt­nis­se sind den uns­ri­gen of­fen­bar weit über­le­gen — und ihre Vor­be­rei­tun­gen tra­fen sie mit fast voll­kom­me­ner Ein­mü­tig­keit. Hät­ten un­se­re In­stru­men­te es er­laubt, so hät­ten wir die dro­hen­de Ge­fahr weit zu­rück im XIX. Jahr­hun­dert se­hen kön­nen. Män­ner wie Schia­pa­rel­li4 be­ob­ach­te­ten den Ro­ten Pla­ne­ten — bei­läu­fig be­merkt, ist es nicht selt­sam, dass seit un­ge­zähl­ten Jahr­hun­der­ten Mars der Stern des Krie­ges ge­we­sen ist? — aber sie wa­ren au­ßer­stan­de, die schwan­ken­den Er­schei­nun­gen zu er­klä­ren, die sie auf ih­ren Kar­ten so ge­nau ver­zeich­ne­ten. Wäh­rend die­ser gan­zen Zeit muss­ten die Mars­leu­te sich vor­be­rei­tet ha­ben.

Im Ver­lau­fe der Op­po­si­ti­on von 1894 wur­de auf dem er­hell­ten Teil der Schei­be ein großes Licht wahr­ge­nom­men, zu­erst im Lick-Ob­ser­va­to­ri­um,5 dann von Per­ro­tin6 in Niz­za, spä­ter auch von an­de­ren Beo­b­ach­tern. Eng­li­sche Le­ser hör­ten zu­erst da­von in ei­ner Num­mer der »Na­ture« vom 2. Au­gust. Ich bin der An­sicht, dass die Er­schei­nung der Re­flex des in ei­ner un­ge­heu­ren Ver­tie­fung ih­res Pla­ne­ten an­ge­brach­ten Ge­schüt­zes war, aus dem ihre Ge­schos­se auf uns ge­feu­ert wur­den. Son­der­ba­re noch un­auf­ge­klär­te Zei­chen wur­den in der Nähe je­nes Aus­bruchs wäh­rend der nächs­ten zwei Op­po­si­tio­nen be­ob­ach­tet.

Der Sturm brach vor sechs Jah­ren über uns los. Als der Mars sich der Op­po­si­ti­on nä­her­te, setz­te La­vel­le in Java die Dräh­te der astro­no­mi­schen Mit­tei­lungs­sta­ti­on in Be­we­gung, um in äu­ßers­ter Er­re­gung die ver­blüf­fen­de Nach­richt von ei­nem un­ge­heu­ren Aus­bruch weiß­glü­hen­den Ga­ses auf dem Pla­ne­ten zu über­mit­teln. Das hat­te am 12. ge­gen Mit­ter­nacht statt­ge­fun­den. Das Spek­tro­skop, zu dem er sich so­fort be­gab, zeig­te eine Mas­se flam­men­den Ga­ses an, haupt­säch­lich Was­ser­stoff, das sich mit enor­mer Schnel­lig­keit ge­gen die Erde zu be­weg­te. Die­ser Feu­er­strahl war un­ge­fähr ein Vier­tel nach zwölf un­sicht­bar ge­wor­den. Er ver­glich ihn mit ei­nem un­ge­heue­ren flam­men­den Ge­blä­se, das plötz­lich und ge­walt­sam aus dem Pla­ne­ten her­vor­schoss »wie flam­men­des Gas aus ei­ner Ka­no­ne«.

Das er­wies sich als ein sel­ten zu­tref­fen­der Aus­druck. Doch am nächs­ten Tage las man kein Wort da­von in den Zei­tun­gen, nur eine klei­ne No­tiz im »Dai­ly Te­le­graph«. Die Welt ver­harr­te in Un­ge­wiss­heit über eine der größ­ten Ge­fah­ren, die je­mals das mensch­li­che Ge­schlecht be­droht hat­ten. Ich hät­te über die Erup­ti­on über­haupt nichts ge­hört, wäre mir nicht der be­kann­te Astro­nom Ogil­vy in Ot­ters­haw be­geg­net. Er war von der Nach­richt über­aus be­wegt und im Über­maß sei­ner Ge­füh­le lud er mich ein, jene Nacht mit ihm zu­sam­men eine Prü­fung des Ro­ten Pla­ne­ten vor­zu­neh­men.

Trotz al­lem, was ich seit­her er­lebt habe, er­in­ne­re ich mich noch sehr ge­nau je­ner Nacht­wa­che: Das schwar­ze, stil­le Ob­ser­va­to­ri­um, die be­schat­te­te La­ter­ne, die einen schwa­chen Schim­mer auf den Bo­den in der Ecke warf, das un­aus­ge­setz­te Ti­cken des Uhr­werks am Te­le­skop, den klei­nen Spalt im Da­che — eine recht­e­cki­ge Ver­tie­fung, über die der Dunst der Ster­ne strich. Ogil­vy schritt auf und nie­der, un­ge­se­hen aber hör­bar. Blick­te man durch das Te­le­skop, dann ge­wahr­te man einen tief­blau­en Kreis und den klei­nen run­den Pla­ne­ten, wie er am Him­mel da­hin­schwamm.

Dicht ne­ben ihm im Ge­sichts­feld, er­in­ne­re ich mich, wa­ren drei klei­ne Licht­punk­te, drei te­le­sko­pi­sche Ster­ne, un­end­lich fern, und um sie her­um brü­te­te die un­er­gründ­li­che Fins­ter­nis des lee­ren Wel­traums. Man weiß, wie die Dun­kel­heit bei ei­ner fros­ti­gen stern­hel­len Nacht aus­sieht. Durch das Te­le­skop be­trach­tet scheint sie noch weit tiefer. Und un­sicht­bar für mich, weil es so fern und klein war, über je­nem un­glaub­li­chen Raum schnell und ste­tig auf mich zu flie­gend, jede Mi­nu­te umso vie­le tau­sen­de von Mei­len nä­her­kom­mend — saus­te je­nes Ding, das sie uns schick­ten, das Ding, das so viel Kampf und Un­heil und Tod über un­se­re Erde brin­gen soll­te. Als ich so späh­te, träum­te ich nicht ein­mal da­von; kein Mensch auf Er­den träum­te da­mals von je­nem un­fehl­ba­ren Ge­schoss.

In die­ser Nacht aber er­folg­te ein zwei­ter Aus­bruch von Gas auf dem fer­nen Pla­ne­ten. Ich sah ihn. Ein röt­li­cher Blitz an der Kan­te, die Um­ris­se nur sehr schwach kennt­lich, ge­ra­de, als das Chro­no­me­ter Mit­ter­nacht schlug. Ich mel­de­te es Ogil­vy, und er nahm mei­nen Platz ein. Die Nacht war wär­mer ge­wor­den und ich durs­tig. Mit un­ge­schickt aus­ge­streck­ten Bei­nen, mei­nen Weg in der Dun­kel­heit tas­tend ging ich zu dem klei­nen Tisch, auf dem die Si­phon­fla­sche stand. Ogil­vy ge­riet un­ter­des­sen über die Gas­aus­strö­mun­gen, die auf uns zu­ka­men, in un­ge­heu­re Er­re­gung.

In die­ser Nacht nahm ein zwei­tes un­sicht­ba­res Ge­schoss sei­nen Weg vom Mars aus ge­gen die Erde, ge­nau eine oder zwei Se­kun­den we­ni­ger als vier­und­zwan­zig Stun­den nach dem ers­ten. Ich er­in­ne­re mich, wie ich dort an dem Ti­sche saß; grü­ne und rote Krei­se flim­mer­ten vor mei­nen Au­gen. Ich är­ger­te mich, dass ich kei­ne Streich­hölz­chen hat­te, um rau­chen zu kön­nen. Ich dach­te we­nig über die Be­deu­tung des win­zi­gen Lich­tes nach, das ich ge­se­hen hat­te, und we­nig ver­mu­te­te ich, was es mir so bald brin­gen soll­te. Ogil­vy blieb bis ein Uhr auf der War­te, dann gab er es auf. Wir zün­de­ten die La­ter­ne an und gin­gen zu sei­nem Haus hin­über. Un­ten la­gen Ot­ters­haw und Chert­sey in der Dun­kel­heit, mit al­len ih­ren Hun­der­ten in Frie­den schlum­mern­den Men­schen.

Ogil­vy war jene Nacht er­füllt von Mut­ma­ßun­gen über die Be­schaf­fen­heit des Mars und mach­te sich über die land­läu­fi­ge An­sicht lus­tig, dass er Ein­woh­ner habe, die uns Zei­chen ge­ben. Sei­ne An­sich­ten fass­te er da­hin zu­sam­men, dass ein hef­ti­ger Me­teo­ri­ten­schau­er über dem Pla­ne­ten nie­der­ge­he, oder dass ein un­ge­heu­rer vul­ka­ni­scher Aus­bruch im Zuge sei. Er mach­te mich auch dar­auf auf­merk­sam, wie un­wahr­schein­lich es sei, dass auf zwei be­nach­bar­ten Pla­ne­ten die or­ga­ni­sche Ent­wick­lung sich in der­sel­ben Rich­tung be­wegt habe.

»Die Chan­cen ge­gen ir­gen­det­was Men­schen­ähn­li­ches auf dem Mars sind eine Mil­li­on zu eins«, sag­te er.

Hun­der­te von Beo­b­ach­tern sa­hen die Flam­me in je­ner Nacht, und in der Nacht dar­auf, um Mit­ter­nacht, und wie­der in der Nacht dar­auf, und so fort zehn Näch­te, eine Flam­me jede Nacht. Wa­rum die Schüs­se nach der zehn­ten Nacht auf­hör­ten, hat nie­mand auf Er­den zu er­klä­ren ver­sucht. Mag sein, dass die Gase, die sich beim Ab­feu­ern bil­de­ten, den Mars­leu­ten Un­ge­le­gen­hei­ten ver­ur­sach­ten. Dich­te Wol­ken von Rauch oder Dunst, durch ein mäch­ti­ges Te­le­skop für die Erde als klei­ne graue fluk­tu­ie­ren­de Fle­cken sicht­bar, brei­te­ten sich durch die Klar­heit der At­mo­sphä­re des Pla­ne­ten aus, und ver­dun­kel­ten sei­ne be­kann­te­ren Li­ni­en.

Selbst die Ta­ges­zei­tun­gen nah­men schließ­lich von die­sen Stö­run­gen No­tiz. Po­pu­lä­re Auf­sät­ze, die sich mit den Vul­ka­nen des Mars be­schäf­tig­ten, tauch­ten hie und da auf und wur­den über­all nach­ge­druckt. Ich er­in­ne­re mich, wie die halb­ko­mi­sche Zeit­schrift »Punch« in ei­ner po­li­ti­schen Zeich­nung einen glück­li­chen Ge­brauch von ih­nen mach­te. Und, al­len un­merk­lich, zo­gen jene Ge­schos­se, wel­che die Mars­leu­te auf uns ab­feu­er­ten, erd­wärts, und saus­ten jetzt mit ei­ner Schnel­lig­keit von vie­len Mei­len durch den lee­ren Wel­traum, Stun­de um Stun­de und Tag für Tag, nä­her und nä­her. Es scheint mir heu­te fast un­glaub­lich selt­sam, dass die Leu­te, wäh­rend die­ses rei­ßen­de Schick­sal über ih­nen hing, ih­ren win­zi­gen Ge­schäf­ten nach­ge­hen konn­ten, wie sie es da­mals ta­ten. Ich ent­sin­ne mich noch, wie Mark­ham ju­bel­te, als er sich für das il­lus­trier­te Blatt, das er in je­nen Ta­gen her­aus­gab, eine neue Fo­to­gra­fie des Pla­ne­ten ge­si­chert hat­te. Men­schen von heut­zu­ta­ge kön­nen sich kaum das Über­maß und die Un­ter­neh­mungs­lust vor­stel­len, die im Zei­tungs­we­sen des XIX. Jahr­hun­derts herrsch­te. Was mich be­traf, so war ich da­mals sehr da­mit be­schäf­tigt, Rad­fah­ren zu ler­nen; über­dies war ich für eine An­zahl Zeit­schrif­ten tä­tig, in de­nen ich Un­ter­su­chun­gen über die wahr­schein­li­chen Ent­wick­lungs­for­men mo­ra­li­scher Ide­en bei fort­schrei­ten­der Zi­vi­li­sa­ti­on ver­öf­fent­lich­te.

 

Ei­nes Nachts (das ers­te Ge­schoss kann da­mals kaum 10.000.000 Mei­len ent­fernt ge­we­sen sein) mach­te ich mit mei­ner Frau einen Spa­zier­gang. Es war ster­nen­hell und ich er­klär­te ihr die Zei­chen des Tier­krei­ses; ich zeig­te ihr den Mars, einen klei­nen Licht­punkt, der sich him­mel­wärts be­weg­te, und auf den so vie­le Te­le­sko­pe ge­rich­tet wa­ren.

Es war eine war­me Nacht. Auf un­se­rem Heim­weg zog eine Ge­sell­schaft Aus­flüg­ler aus Chert­sey oder Is­le­worth sin­gend und mu­si­zie­rend an uns vor­über. Aus den Fens­tern der obe­ren Stock­wer­ke der Häu­ser schim­mer­ten Lich­ter und die Leu­te gin­gen zu Bett. Vom Bahn­hof in der Fer­ne schol­len Töne sich ver­schie­ben­der Züge her­über, ein Klir­ren und Pol­tern von der Ent­fer­nung fast zur Me­lo­die ge­sänf­tigt. Mei­ne Frau mach­te mich auf den Glanz der ro­ten, grü­nen und gel­ben Si­gnal­lich­ter auf­merk­sam, die wie in ei­nem Netz­werk ge­gen den Ho­ri­zont hin­gen. So si­cher schi­en al­les, so ru­hig.

1 Als In­fu­so­ri­en (la­tei­nisch In­fu­so­ria), In­fu­si­ons­tier­chen oder Auf­guss­tier­chen be­zeich­net man klei­ne, sich z.B. im Auf­guss von pflanz­li­chem Ma­te­ri­al ent­wi­ckeln­de Tier­chen (z.B. Fla­gel­la­ten, Wim­per­tier­chen, Amö­ben). <<<

2 Ge­meint sind eng­li­sche Mei­len, de­ren eine 1,61 km gleich­kommt. <<<

3 Theo­rie des 18. Jahr­hun­derts zur Ent­ste­hung des Son­nen­sys­tems aus ei­nem Son­nen­ne­bel. <<<

4 Gio­van­ni Vir­gi­nio Schia­pa­rel­li (1835-1910 in Mai­land) war ein ita­lie­ni­scher Astro­nom. Nach ihm wur­de ein Mars-Lan­der der Eu­ro­päi­schen Wel­trau­m­or­ga­ni­sa­ti­on (ESA) be­nannt, der 2016 al­ler­dings bei der Lan­dung auf dem Mars zer­schell­te. <<<

5 Das Lick-Ob­ser­va­to­ri­um ist ein astro­no­mi­sches Ob­ser­va­to­ri­um, das von der Uni­ver­si­ty of Ca­li­for­nia be­trie­ben wird. Es be­fin­det sich in ei­ner Höhe von 1300 Me­tern auf dem Gip­fel des Mount Ha­mil­ton, nahe der Stadt San Jose, Ka­li­for­ni­en. <<<

6 Hen­ri Jo­seph Ana­sta­se Per­ro­tin (19.12.1845–29.02.1904) war ein fran­zö­si­scher Astro­nom. <<<

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