Antike. 100 Seiten

Текст
Автор:
Из серии: Reclam 100 Seiten
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Antike. 100 Seiten
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Holger Sonnabend

Antike. 100 Seiten

Reclam

Für mehr Informationen zur 100-Seiten-Reihe:

www.reclam.de/100Seiten

2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: zero-media.net

Umschlagabbildung: FinePic®

Infografik: Infographics Group GmbH

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961216-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020431-3

www.reclam.de

Inhalt

  Edle Einfalt und stille Größe …

  Kompass Antike: Die Zeit – Der Raum – Wichtige Phasen

  Prominentengalerie

  Nicht nur die Großen … Aspekte des Alltagslebens

  Antike aktuell

  Reisen in die Antike

  Wem gehört die Antike?

  Quo vadis, Cleopatra? Die Antike im Film

  Unglaublich, aber wahr

  Ungelöste Rätsel

  Lektüretipps

  Bildnachweis

  Zum Autor

  Über dieses Buch

  Leseprobe aus Asterix. 100 Seiten


Edle Einfalt und stille Größe …

Wir stehen voller Ehrfurcht vor den großen Kunstwerken der Antike, bewundern ihre Schönheit, ihre Harmonie, ihre Proportionen. Nehmen wir die Laokoon-Gruppe. Sie ist heute eine der Attraktionen der Vatikanischen Museen in Rom. Dem Mythos zufolge war Laokoon ein Priester in Troja – ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als es unterging. Die angreifenden Griechen hatten auf Anraten des listenreichen Odysseus das Trojanische Pferd in die Stadt geschmuggelt, in dessen Bauch sich einsatzbereite Krieger befanden. Laokoon witterte die Falle, doch die Mit-Trojaner schenkten seinen Warnungen keinen Glauben. Stattdessen schickten die Götter, die auf der Seite der Griechen standen, zwei Schlangen, die den Priester und seine beiden Söhne töteten.


Das berühmte Kunstwerk, 1506 in Rom entdeckt, zeigt den Todeskampf der drei unglücklichen Trojaner. Archäologen streiten sich bis heute, ob es sich um die römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 2. Jh. v. Chr. oder um eine römische Eigenkreation aus der Mitte des 1. Jh.s n. Chr. handelt. Doch diese Frage interessiert nur die Experten. Die Sache des Publikums, das in die Museen strömt, ist eine andere. Die Menschen kommen zum Bewundern und Staunen. Dass manche die Antike in Sachen Kunst für unübertrefflich halten, ist die späte Nachwirkung des ebenso unermüdlichen wie erfolgreichen Werbens um die Anerkennung der Vorbildhaftigkeit der antiken Kunst, wie sie von Johann Joachim Winckelmann betrieben wurde. Geboren wurde der Regisseur neuzeitlicher Antikenbegeisterung vor 300 Jahren, genauer: am 9. Dezember 1717, im beschaulichen Stendal. Knapp 51 Jahre später starb er, in Triest, als Opfer eines perfiden Raubmordes. Zwischendurch hatte er genug Zeit, um sich in Italien als Mentor der antiken, insbesondere der griechischen Kunst zu profilieren. Die Laokoon-Gruppe war für ihn Inbegriff von Perfektion und Schönheit. Für sie prägte er die klassisch gewordene Formel »Edle Einfalt und stille Größe« – ein Gütesiegel, das der Antike über die Jahrhunderte hinweg anhaftete.

Edle Einfalt und stille Größe? Die Antike als eine marmorne Welt, gewissermaßen allem Irdischen entrückt, unnahbar und fern? Einfach nur schön und harmonisch?

… und die wirkliche Welt?

Zum Glück war es nicht so. Oder nicht nur so. Die Kunst ist das eine, das Leben das andere. Keiner hat das so überzeugend formuliert wie der große Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen. Geboren vor 200 Jahren, am 30. November 1817 in Garding, im hohen Norden Deutschlands, war er genau 100 Jahre jünger als der Antikenenthusiast Winckelmann. Maßstäbe setzte er bereits in den frühen Jahren seines reichen Forscherlebens mit der Römischen Geschichte, die zwischen 1854 und 1856 in zunächst drei Bänden erschien. 1902, ein Jahr vor seinem Tod, bekam er dafür den Literaturnobelpreis. Je nach deren Einstellung faszinierte oder irritierte er seine Leser darin mit einer ganz bewusst aktualisierenden Terminologie. Plötzlich gab es im antiken Rom Bürgermeister, Generäle, Fabrikanten, Ingenieure, Büropersonal. Er befreite die antike Geschichte sowohl von der Staubschicht, die sich über die Jahrhunderte hinweg auf sie gelegt hatte, als auch von der idealisierenden, verklärenden Sicht, wie sie Winckelmann und seine Epigonen verordnet hatten. Mommsen holte die Menschen der Antike vom Podest der Unnahbarkeit herunter in die, wie er selbst sagte, »reale Welt, wo gehasst und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert und geschwindelt wird«.

Die Antike hasste, liebte, sägte, zimmerte, phantasierte und schwindelte? Gut, dass Winckelmann das nicht mehr miterleben musste. Dabei hätte er auch in seinem von ihm so geschätzten Griechenland eine Lektion darüber erhalten können, dass die Menschen der Antike tatsächlich auch hassende oder sägende Menschen gewesen waren – und dass es in der hohen Politik wie auch im ganz normalen Alltagsleben alles andere als nur heroisch zuging.

Die Akropolis von Athen – Visitenkarte und Aushängeschild einer der berühmtesten griechischen Metropolen in der Antike, Pflichtprogramm für alle Touristen, die sich nach ihrer Heimreise nicht vorwerfen lassen wollen, Wesentliches versäumt zu haben. Dort oben auf der Akropolis befinden sich herausragende Bauwerke wie der Parthenon, das Erechtheion, der Nike-Tempel, die Propyläen. Kunstfreunde geraten ins Schwärmen: Die Bauten künden in ihrer klassischen Erhabenheit von der unvergleichlichen künstlerischen Begabung der alten Griechen. Mag sein. Vor allem aber dokumentieren sie den Willen der antiken Athener, ihren Status als Nummer eins unter den Griechen zu visualisieren – und den Wunsch eines damaligen Spitzenpolitikers, sich ewigen Ruhm zu verschaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, scheute er auch, ganz ohne edle Einfalt und stille Größe, nicht vor offenkundigem Betrug zurück.

Was macht man mit Geld, das man von anderen erhält? Und was leistet man dafür? Fragen, die, wie man weiß, für die Griechen bis heute eine gewisse Bedeutung haben. Ihr großer antiker Vorfahre Perikles hatte vor bald 2500 Jahren eine erstaunliche Antwort parat: »Das Geld gehört nicht denen, die es zahlen, sondern denen, die es bekommen.« Das hielten bereits die Zeitgenossen für eine interessante Sicht der Dinge und überhörten fast den Nachsatz: »… sofern sie für den erhaltenen Betrag die vereinbarte Gegenleistung erstatten«. Das Geld, um das es hier ging, stammte aus der Kasse des »Attischen Seebundes«. So wird ein Bündnissystem genannt, das die Athener im Jahr 478 v. Chr. ins Leben gerufen hatten. Sie versammelten in dieser Allianz mehr als 200 griechische Stadtstaaten. Das Datum 478 v. Chr. ist kein Zufall: Kurz zuvor hatten die Griechen einen Angriff der Perser unter ihrem Großkönig Xerxes zurückgeschlagen, ein Verdienst vor allem der athenischen Flotte. Von daher leiteten die Athener den Anspruch auf Vorherrschaft in Griechenland ab und setzten sich an die Spitze des Bundes, der »attisch« hieß, weil Athen in der Landschaft Attika liegt. Sinn und Zweck des Bündnisses bestanden darin, sich gegen künftige Angriffe der Perser zu wappnen (die dann gar nicht erfolgten, aber das konnte zu diesem Zeitpunkt keiner wissen). Einige der Partner stellten Schiffe zur Verfügung, die meisten aber zahlten Jahr für Jahr einen bestimmten Geldbetrag in eine gemeinsame, bald gut gefüllte Kasse, die man auf der Insel Delos deponierte. Sie sollte als Kriegskasse für den Fall einer persischen Invasion dienen.

Athen war zu dieser Zeit eine Demokratie, sogar die erste Demokratie der Weltgeschichte. Doch bereits damals zeigte es sich, dass die Menschen gerne dem immer selben Führungspersonal vertrauen. So kam es, dass sie Jahr für Jahr Perikles an die Spitze des Staates wählten. Er stammte aus einer alten Adelsfamilie, strahlte Würde aus und gab sich trotzdem gerne volksnah. Und er hatte viele gute Ideen. Eine seiner besten war das Projekt »Wiederaufbau der Akropolis«. Tatsächlich lagen die Bauten dort seit 480 v. Chr. in Schutt und Asche, nachdem die Perser unter Xerxes Athen einen ungebetenen Besuch abgestattet und alle Tempel und Gebäude auf der Akropolis zerstört hatten. 30 Jahre später blies Perikles nun also zum Wiederaufbau. Die Akropolis sollte in neuem Glanz erstrahlen und alles in den Schatten stellen, was es sonst an Bauten gab: ein Schaufenster der Macht der Athener und ihrer Demokratie.

 

Solch ein Prestigeprojekt erforderte viel Geld. Praktischerweise hatte Perikles ein Gespür für das Akquirieren von Finanzquellen. Es gab doch die Kasse des Seebundes. Er zögerte nicht lange und ließ sie von Delos nach Athen bringen. Jetzt hatte man, dank der großzügigen Beiträge der Partner, jede Menge Kapital. Doch selbst ein populärer Politiker wie Perikles konnte nicht machen, was er wollte: Es gab Proteste in Athen und natürlich auch bei den Bundesgenossen, die sich zu Recht geprellt fühlten. Sie hatten das Geld nicht für die Verschönerung Athens eingezahlt, sondern um sich vor den Persern zu schützen. Was Perikles und seine Freunde da trieben, war, so klagten sie, Betrug. Der Gescholtene lud zu einer Versammlung.

Es kommt zu hitzigen Debatten, zu Rede und Gegenrede. Dann fallen die Worte des Perikles: Das Geld gehöre denen, die es bekommen. – Seine Widersacher kontern: Aber entscheidend sei der Zweck! – Perikles erklärt: Es sei alles in Ordnung, wenn die vereinbarte Gegenleistung erbracht werde. – Das sei die Abwehr der Perser! – Das sei bis vor ein paar Jahren so gewesen. Inzwischen seien die Griechen so gut gerüstet, dass sie das Geld auch für andere Dinge ausgeben könnten. Oder jedenfalls einen Teil davon. – Und dann verrät Perikles der brodelnden Menge, welch einen wirtschaftlichen Segen sein Projekt darstelle: »Wir müssen die Überschüsse auf Werke lenken, die uns nach ihrer Vollendung ewigen Ruhm, während ihrer Ausführung aber allgemeinen Wohlstand versprechen.« Als erfahrener Politiker wusste Perikles, dass man mit dem Argument der Arbeitsplätze immer punkten kann: »So wird es Arbeit in Hülle und Fülle geben. Die vielfältigsten Aufgaben werden jedes Handwerk beleben und jeder Hand Beschäftigung bringen.«

Und so begannen denn im Jahr 447 v. Chr. die Arbeiten auf der Großbaustelle Akropolis. Gelegentlich schauten Besucher aus Rhodos, Samos oder einer anderen Geldgeberstadt vorbei und freuten sich, dass sie ihren Beitrag zur Leistungsschau der Athener hatten beisteuern dürfen – etwa in Form einer marmornen Säule für einen der Tempel oder in Gestalt einer Treppenstufe. Tatsächlich entwickelte sich die Akropolis in den folgenden Jahren zu einem wahren Schmuckstück. Die Oberaufsicht über die Arbeiten übertrug Perikles einem guten Bekannten, der bis heute als einer der größten griechischen Künstler gilt. Zu diesem Zeitpunkt war Phidias noch eher am Anfang seiner Karriere, später sollte er mit der Zeus-Statue im Tempel des obersten griechischen Gottes in Olympia eines der Sieben Weltwunder der Antike produzieren. In Athen aber befehligte er mit Unterstützung seines Freundes Perikles ein Heer von Arbeitern. Genannt werden in den Quellen Zimmerleute, Kupferschmiede, Steinmetzen, Goldarbeiter, Elfenbeinschnitzer, Sticker, Graveure – und dazu auch Färber und Maler. Deren Aufgabe war die farbige Gestaltung der Gebäude und der sie zierenden Figuren. Die Antike war bunt, Tempel und Götterfiguren strahlten einst in den schönsten Farben – in Blau, Gelb, Grün, Rosa. Erst der Zahn der Zeit und spätere Restaurationen führten dazu, dass sie marmorweiß wurden und man sich also die Antike in Weiß vorstellte. Mit speziellen Methoden wie dem Einsatz von ultraviolettem Licht können die originalen Farben heute rekonstruiert werden.

Ein schöner Körper ist desto schöner, je weißer er ist, schrieb Johann Joachim Winckelmann. Er wusste, dass die Antike bunt war, denn das steht bereits bei antiken Schriftstellern. Aber Farbe, so dozierte der Altmeister, trage zur Schönheit bei, sei aber nicht die Schönheit selbst. Theodor Mommsen hat sich nicht zur Farbe der Antike geäußert, weil er anders als Winckelmann kein Kunstexperte war. Ihn interessierte mehr das bunte Leben, die antike Kultur. Und damit hat er Maßstäbe gesetzt, die bis heute nichts von ihrer Aktualität und Modernität verloren haben.


Kompass Antike: Die Zeit – Der Raum – Wichtige Phasen

Die Menschen der Antike wussten natürlich nicht, dass sie in der Antike lebten. Für sie war ihre Zeit die Gegenwart. Erst nachfolgende Generationen machten aus der Antike die Antike. Es begann im 15. Jahrhundert mit Gelehrten, die sich nach alten Zeiten zurücksehnten und ihr Ideal bei den Griechen und den Römern entdeckten. Diesen Humanisten, wie man sie später nannte, folgten im 18. Jahrhundert die Vertreter der Klassik, die, rekrutiert aus Literaten und Kunstfreunden, den alten Kulturen weitere Lorbeerkränze flochten. Zur gleichen Zeit traten erstmals Historiker auf den Plan, mit der bis heute kanonischen Einteilung der Geschichte in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Mit dieser Periodisierung wurden die Menschen der Vergangenheit, ohne dass sie daran noch etwas ändern konnten, bestimmten Epochen zugeteilt. Und die Historiker an den Universitäten und anderen Bildungsinstitutionen gehören seither klar definierten Abteilungen an. Im akademischen Sprachgebrauch heißen sie dementsprechend Althistoriker, Mediävisten und Neuzeitler.

Warum wird man eigentlich Althistoriker? Ist die Geschichte der Neuzeit nicht spannender und aktueller? Diese Fragen werden mir häufig gestellt. Und ich gebe darauf immer zwei ernste Antworten und eine nicht so ernste Antwort. Die weniger ernste lautet: Im Gegensatz zum Zeithistoriker muss ich bei Vorlesungen und Vorträgen nicht befürchten, dass sich Zeitzeugen melden und sagen, es sei alles ganz anders gewesen. Die erste ernste Antwort lautet: Es ist ungemein faszinierend, aus dem Puzzle der Quellen, die für die Antike naturgemäß weniger üppig sprudeln als für spätere Epochen der Geschichte, ein Bild von dieser Zeit zu formen. Das gleicht nicht selten einer aufregenden Detektivarbeit. Und das zweite Argument: Die Antike steht am Anfang und bietet daher die einmalige Gelegenheit zu erforschen, wie die Menschen sich verhielten, als sie noch (fast) alles vor sich hatten – den Staat, die Stadt, die Politik, die Technik, den Krieg, den Frieden und vieles andere mehr, was uns heute als selbstverständlich erscheint.


In welcher Phase der Geschichte genau aber dürfen sich Althistoriker und überhaupt Anhänger der Antike zu Hause fühlen? Das muss geklärt sein, damit sie nicht, was fatal wäre, Geschichts- und Kulturfreunden, die eher mit anderen historischen Epochen sympathisieren, ins Gehege kommen. Zunächst einmal haben sie den unschätzbaren Vorteil, dass sie niemanden vor sich haben. Schließlich ist doch vor der Antike nichts gewesen, von der Steinzeit abgesehen – aber ist das wirklich so? Für die Gelehrten des 18. Jahrhunderts war die Sache klar: Antike – das waren die alten Griechen und Römer. Doch was war mit den Kulturen des Alten Orients? Die ersten Hochkulturen entwickelten sich, lange vor Griechen und Römern, in Mesopotamien und Ägypten, um 3000 v. Chr. Sichtbare Merkmale dieser frühen Zivilisationen waren die Erfindung der Schrift, Sternstunden der Architektur, die Entstehung von Städten und differenzierten Formen des Wirtschaftens, dazu bedeutende Leistungen auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technologie. Nicht viel später legten frühe Kulturen im Nahen Osten und in Anatolien nach. Also beginnt die Antike um 3000 v. Chr.?

Ein Gelehrter wie Eduard Meyer hätte diese Ansicht ohne weiteres unterschrieben. 1855 wurde der berühmte Forscher in Hamburg geboren. Er starb 1930 in Berlin, wo er zuletzt als Professor für Alte Geschichte gelehrt hatte. Sein auch heute noch sehr lesenswertes Hauptwerk trägt den schlichten Titel Geschichte des Altertums. Das Vorhaben war überaus ambitioniert: Meyer wollte die Geschichte des gesamten Altertums schreiben. Und er begann nicht bei den Griechen, sondern bei den Ägyptern und den alten Völkern Mesopotamiens. Er konnte dies wagen, weil er, universal gebildet, auch Kenntnisse in den altorientalischen Sprachen und Schriften hatte und daher in der Lage war, die alten Quellen zu lesen und zu verstehen. So erschienen mehrere Bände, der erste 1884, der letzte 1902. Doch während er an den späteren Bänden arbeitete, waren viele Ausführungen in den ersten Bänden durch neue Forschungsergebnisse bereits wieder überholt, was wiederum bedeutete, dass diese Bände für neue Auflagen zu überarbeiten waren. Also musste Meyer erst einmal hinter sich selbst herschreiben, bevor er sich wieder dem eigentlichen Plan widmen konnte, die Geschichte des Altertums bis zu den Griechen und den Römern fortzusetzen. Zu einem organischen Abschluss kam er indes nicht: Das Werk reicht nur bis zum Jahr 366 v. Chr. – an sich ein schönes, aber nicht gerade epochales und schon gar nicht eine historische Zäsur rechtfertigendes Datum. Die Römer hatten sich bis dahin zwar auch bereits in der Geschichte angemeldet, aber nur in bescheidenen Ansätzen, ihre größten Zeiten standen ihnen noch bevor. Auf sie mussten und müssen Meyers Leser aber weitgehend verzichten. Die Geschichte des Altertums von Eduard Meyer blieb ein voluminöser Torso.

Es war das letzte Mal, dass sich ein einzelner Gelehrter an einer solchen Herkules-Aufgabe versuchte. Eduard Meyer war der finale Vertreter der im Aussterben begriffenen und nach ihm tatsächlich ausgestorbenen Spezies des Universalhistorikers. Die verschiedenen Disziplinen der Altertumswissenschaften schritten in seiner Zeit mit hohem Tempo voran, entwickelten eigene Methoden und Arbeitsweisen, die von einem einzelnen Wissenschaftler gar nicht mehr zu überblicken waren: An die Stelle des Generalisten traten die Spezialisten. Alter Orient und Ägypten wurden zum Gegenstand eigener Fachbereiche. Visitenkarten mit der Aufschrift »Universalgelehrter« verschwanden aus den Brieftaschen der Wissenschaftler und wurden durch bescheidenere Klassifizierungen wie »Altorientalist«, »Ägyptologe« oder »Althistoriker« ersetzt.

Und so ist heute »die Antike« im klassischen Sinn wieder überwiegend die Zeit der Griechen und der Römer – auch wenn in den historischen Wissenschaften von einer isolierten Betrachtung der einzelnen Kulturen zum Glück keine Rede sein kann und man sich gerne zu den Nachbardisziplinen hin öffnet. Nur kommt es auf eine sinnvolle Arbeitsteilung an. Wenn also primär Griechen und Römer die »Antike« konstituieren, so ist damit auch der geographische Rahmen vorgegeben. »Antike« ist dort, wo Griechen und Römer waren. Und da Griechen und Römer nicht nur in Griechenland und in Italien waren, ist der Raum ziemlich groß. Die Griechen hatten einen ausgeprägten Wandertrieb, besiedelten die Küsten Kleinasiens, Siziliens, Süditaliens, Südfrankreichs und sogar Spaniens. Die Römer wiederum hatten einen regen Eroberungstrieb, herrschten zu ihrer besten Zeit über ein Imperium, das sich von Spanien bis nach Syrien, von Nordafrika bis zu den Britischen Inseln erstreckte. Dazwischen gab es einen Alexander den Großen, der von Makedonien aus den gesamten Orient bis nach Indien unterwarf. Sich mit der Antike zu befassen heißt daher, in der Welt weit herumzukommen.

Beschränkt man die Antike auf Griechen und Römer, so ergibt sich der zeitliche Rahmen aus dem Beginn der Griechischen und dem Ende der Römischen Geschichte.

Am Anfang der Griechischen Geschichte steht die Insel Kreta. Hier etablierte sich in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. die »Minoische Kultur«, benannt nach dem sagenhaften König Minos. Die Minoer beherrschten das östliche Mittelmeer und bauten zu Hause opulente Paläste wie in Knossos oder Phaistos, die heute Ströme von Touristen anlocken. Die Kreter verfügten über eine Schrift, die man in der Wissenschaft »Linear A« nennt. Diese Bezeichnung legt den dringenden und zutreffenden Verdacht nahe, dass es auch eine Schrift namens »Linear B« gegeben hat. Diese wurde von den Mykenern benutzt, wie man – nach der Burg Mykene auf der nördlichen Peloponnes – jene kriegerische Kultur nennt, deren Glanzzeit zwischen 1400 und 1150 v. Chr. lag und die Homer in seinen Epen beschrieben hat – allerdings nicht in Linear B. »Homer«, wenn es denn überhaupt einen Dichter diesen Namens gegeben hat, benutzte die Buchstabenschrift, die die Griechen im frühen 8. Jh. v. Chr. von dem im heutigen Libanon beheimateten Handelsvolk der Phönizier übernommen und durch die Hinzufügung von Vokalen komplettiert hatten.

 

Am Ende der Römischen Geschichte – und damit der Antike – steht das Ende Roms. Wäre die Sache so einfach, müssten sich die Gelehrten bis heute nicht darüber streiten, wo sie denn einen Schlussstrich hinter die Antike ziehen sollen. Aber geklärt werden muss die Frage, denn schließlich wollen auch die Mittelalter-Historiker wissen, wann die Antike endlich zu Ende ist und sie mit ihrer Geschichte beginnen dürfen. Nun ist es ohne Zweifel richtig, dass es das Römische Weltreich heute nicht mehr gibt, obwohl die Römer selbst auf dem Höhepunkt ihrer Macht der Meinung gewesen waren, ihr Imperium habe ein unbegrenztes Haltbarkeitsdatum – ein Irrtum, der auch aus späteren Epochen der Geschichte nicht ganz unbekannt ist.

Favoritenstatus genießt bei der Suche nach passenden Zäsuren das Jahr 476 n. Chr. Damals wurde, im Strudel der großen germanischen Völkerwanderung und weiterer Krisen, der letzte weströmische Kaiser mit dem beziehungsreichen Namen Romulus Augustulus abgesetzt. Bis zu Karl dem Großen – und das waren immerhin 324 Jahre – gab es danach im Westen keinen Kaiser mehr. Im Osten aber konnte sich das Oströmische Reich, das man auch das Reich von Byzanz nennt, deutlich länger behaupten. Der letzte in Konstantinopel residierende Kaiser verließ erst 1453 den Palast am Bosporus, als es den Türken unter dem osmanischen Sultan Mehmed II. gelang, das heutige Istanbul zu stürmen. Bis 1453 kann man jedoch die Antike unmöglich dauern lassen, jedenfalls nicht überall. Denn im Westen war zu dieser Zeit sogar das Mittelalter schon fast vorüber. Also empfiehlt sich eine getrennte Betrachtung, ausgehend von dem Epochenjahr 395, als nach dem Tod des Kaisers Theodosius I. das Römische Reich in ein Westreich und ein Ostreich geteilt wurde, mit der Demarkationslinie auf dem Balkan.

Im Angebot finden sich noch weitere Daten-Kandidaten für das Ende der Antike:

Zum Beispiel das Jahr 312: Da besiegte der römische Kaiser Konstantin der Große in der »Schlacht an der Milvischen Brücke« seinen innenpolitischen Kontrahenten Maxentius, führte den Erfolg, jedenfalls nach christlicher Überlieferung, auf die Hilfe des Christengottes zurück und gab sich seitdem als großzügiger Förderer dieser Religion, deren Anhänger zuvor noch systematisch verfolgt worden waren. Aus dem römischen Rom wurde daraufhin – nicht sofort, aber dafür umso nachhaltiger – das christliche Rom. Zugleich war dies eine (wenn auch nicht die einzige) wichtige Weichenstellung für den Siegeszug der späteren Weltreligion.

Oder das Jahr 565: Da starb der oströmische Kaiser Justinian, der den zunächst erfolgreichen, auf lange Sicht aber gescheiterten Versuch unternahm, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und das ehemalige Weströmische Reich, wo mit den germanischen Nachfolgestaaten eigentlich schon das Mittelalter begonnen hatte, zurückzugewinnen und zusammen mit Ostrom zu einem christlichen Universalreich zu formen.

Historiker mit Sinn für Bildung werfen noch ein weiteres Datum in die Debatte. Sie sagen: Die Antike hörte 529 auf. Damals wurde, auf Anordnung Justinians, die berühmte Akademie in Athen, die einst von Platon gegründete Philosophen-Schule, geschlossen. Für freies Denken war im theokratischen Staat des christlichen Kaisers kein Platz. Jetzt wurde nicht mehr gedacht, sondern nur noch geglaubt. Diesen Vorgang halten nicht wenige Wissenschaftler, angesichts der vielen klugen Köpfe, die dort im Laufe der Zeit gelehrt hatten, für so gravierend, dass sie der nachfolgenden Zeit nicht mehr das Gütesiegel »Antike« anzuheften bereit sind.

Die 10 originellsten Gründe, die für den Niedergang der römischen Zivilisation angeführt wurden

1 Gicht

2 Bleivergiftung

3 Homosexualität

4 Prostitution

5 Regenmangel

6 Kinderlosigkeit

7 Staatsverdrossenheit

8 Umweltzerstörung

9 Überalterung

10 Schlemmerei

Man kann noch viele weitere Daten nennen. Doch geht der aktuelle Trend in der Forschung mit guten Gründen eher dahin, nicht nach einem festen Termin, nach einem bestimmten Ereignis zu suchen, wenn es darum geht, die Antike zu verabschieden und das Mittelalter zu begrüßen. Die Absetzung eines Kaisers oder die Schließung einer Bildungsinstitution sind zwar sichtbare und markante Zäsuren. Sie beseitigen aber nicht längerfristige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen.

Daher geht man von einem fließenden Übergang aus, der sich an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten vollzog. Und man spricht auch nicht mehr vom »Untergang Roms«, sondern präziser von der »Transformation des Römischen Reiches«. Tatsächlich lässt sich die früher gern gepflegte Vorstellung nicht mehr aufrechterhalten, die Germanen seien wie Heuschreckenschwärme über das Römische Reich hinweggefegt und hätten alles kurz und klein geschlagen. Der Übergang von der Herrschaft der Römer zur Herrschaft der Germanen vollzog sich, wie entbehrungsreiche, gleichwohl verdienstvolle Forschungen gezeigt haben, in vielen Bereichen in eher ruhigen Bahnen. Schließlich blieben Imperium Romanum und römisches Kaisertum auch für die mittelalterlichen Herrscher vorbildhaft, wie das Beispiel Karls des Großen zeigt. Und nicht umsonst gab es bis 1806 in Mitteleuropa ein Deutsches Reich, dass sich offiziell »Heiliges Römisches Reich« (mit dem Zusatz »deutscher Nation«) nannte.

Die Dinge müssen also differenziert betrachtet werden. Aber man hat natürlich auch gern Klarheit. Bei aller methodischen Behutsamkeit besteht auch ein Bedürfnis nach deutlichen Ansagen. Außerdem wollen sich Althistoriker und Mittelalterhistoriker nicht ständig über ihre Zuständigkeitsbereiche streiten müssen. So hat sich in der Geschichtswissenschaft als Konsens die Auffassung etabliert, die Antike bis etwa 500/550 dauern zu lassen. Jedenfalls im Westen. Denn im Osten gab es das beharrliche Byzantinische Reich, das bis 1453, wenn auch unter anderen Vorzeichen, wichtige Traditionen der Antike fortführte. Vor allem leiteten die Kaiser den Anspruch auf die Herrschaft von den alten römischen Herrschern ab. Wer als ausgesprochener Freund der Antike unter deren Ende im Westen leidet, kann sich also mit dem Faktum therapieren lassen, dass sie in Byzanz noch gut 900 Jahre länger währte.

Von den Minoern auf Kreta bis zum Ende des Römischen Reiches – dazwischen befindet sich ein dickes Paket voll mit spannender Geschichte. Um sich darin zurechtzufinden und nicht den Überblick zu verlieren, hat sich eine übersichtliche Einteilung in drei große Phasen bewährt. Kombiniert mit den wichtigsten Daten und Fakten, sind sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum zertifizierten Expertentum in Sachen Antike.

Am Anfang steht die Geschichte der Griechen.

Nach der minoischen und mykenischen Ouvertüre kamen die »Dunklen Jahrhunderte« (12.–9. Jh. v. Chr.), so benannt, weil es aus dieser Zeit nur wenige Quellen gibt. Als die Griechen von den Phöniziern das Alphabet übernahmen, traten sie aus dem Dunkel der Geschichte hervor. Eine politische Einheit waren sie jedoch nicht, vielmehr bildete sich eine Vielzahl von unabhängigen Stadtstaaten, poleis, wie sie die Griechen nannten (Singular: polis). Was die Griechen als Griechen zusammenhielt, waren eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Religion. Seit der Mitte des 8. Jh.s v. Chr. zogen die Griechen in Massen in die weite Welt hinaus, nicht als Eroberer, sondern als Landsuchende, weil Übervölkerung, Agrarkrisen und soziale Konflikte viele aus der Heimat trieben. Griechen begegnete man nun als Siedlern in einem Radius, der sich vom Schwarzen Meer und dem westlichen Anatolien über Süditalien und Sizilien bis hin nach Südspanien erstreckte.

Die militärisch ausgerichtete Polis Sparta war zu dieser Zeit die Nummer eins unter den griechischen Stadtstaaten. Das änderte sich im 5. Jh. v. Chr. nach der Abwehr der Perser, als die Athener sich mit ihrer Flotte in den Vordergrund kämpften und die spartanischen Rivalen im Kampf um Macht und Einfluss überrundeten. Der Gegensatz zwischen den beiden Supermächten mündete in den sogenannten Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.), aus dem Sparta zwar als Sieger hervorging – dessen eigentlicher Profiteur jedoch das Königreich Makedonien war. Lange Zeit hatten die mit den Griechen weitläufig ethnisch verwandten Makedonen im Windschatten der großen Geschichte gestanden. Entschlossen traten sie unter dem ambitionierten König Philipp II. in das Machtvakuum, das durch den Peloponnesischen Krieg entstanden war. In der Schlacht von Chaironeia 338 v. Chr. besiegte Philipp eine Koalition griechischer Stadtstaaten und übernahm danach die Herrschaft in Griechenland.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»