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Die erste Liebe

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XXI

Mein Vater pflegte jeden Tag auszureiten; er hatte ein herrliches, englisches Reitpferd, einen unermüdlichen und wilden, in’s Röthliche spielenden Grauschimmel, mit langem, feinem Halse und langen Beinen. Sein Name war Electric. Außer meinem Vater konnte Niemand das Pferd reiten. Ein Mal kam er, was schon lange nicht bei ihm vorgekommen war, in aufgelegter Stimmung zu mir; er war im Begriff auszureiten und hatte schon die Sporen angelegt. Ich bat ihn, er möge mich mit sich nehmen«

– Wäre es nicht besser, wir spielten Hockebock? meinte mein Vater, wie willst Du mit Deinem Klepper gleichen Schritt mit mir halten!

– Ich kann’s; ich will mir auch Sporen anlegen.

– Nun, meinethalben.

Wir brachen auf. Ich ritt ein kleines, schwarzes, zottiges Pferdchen, das stark auf den Beinen und ziemlich feurig war; freilich mußte es in gestrecktem Galopp laufen, während Electric vollen Trab hielt, blieb aber doch nicht zurück. Niemals ist mir ein Reiter wie mein Vater vorgekommen; er saß so stattlich und ungezwungen leicht im Sattel, daß es das Pferd unter ihm zu fühlen und stolz darauf zu sein schien. Wir waren an allen Boulevards vorübergeritten, auf der Nonnenwiese gewesen, hatten über einige Zäune gesetzt (anfangs fürchtete ich mich, doch mein Vater verachtete hasenherzige Leute, – und ich hörte auf mich zu fürchten), kamen zwei Mal über den Moskwafluß – und ich dachte schon, daß wir nun wohl nach Hause zurückkehren würden, um so mehr, da selbst mein Vater bemerkt hatte, mein Pferd sei ermüdet – als er plötzlich von der Krimmbrücke abbog und längs dem Ufer weiterritt. – Ich folgte ihm. Als wir bei einem hohen Stoße anfgestapelter, alter Balken angekommen waren, sprang er behend von seinem Pferde, hieß auch mich absteigen und sagte, indem er mir die Zügel übergab, ich solle hier, bei den Balken, auf ihn warten; darauf bog er in eine schmale Quergasse ein und verschwand. Ich begann nun längs dem Ufer auf- und abzugehen, indem ich die Pferde an den Zügeln nachzog und Electric schalt, der beständig beim Gehen den Kopf in die Höhe warf, sich schüttelte, schnob und wieherte, und wenn ich stehen blieb, bald mit einem, bald mit dem anderen Hufen den Boden aufriß, oder wiehernd meinen Klepper in den Hals biß, mit einem Worte, sich wie ein verzogener pur sang betrug. Der Vater kehrte nicht zurück. Vom Flusse stieg ein unangenehmer, feuchter Dunst herauf; es fiel ein feiner Regen, der die mir schon äußerst langweilig gewordenen, dummen grauen Balken (an welchen ich beständig vorüberkam), mit feinen, dunklen Tüpfchen bedeckte. Eine trübe Stimmung bemächtigte sich meiner bei dem langen Warten, und der Vater kam noch immer nicht. Ein Polizeiwächter von finnischer Abkunft, gleichfalls grau vom Kopf bis zu den Füßen. mit einem ungeheuren, alten, topfähnlichen Tschako auf dem Kopfe und einer Hellebarde in der Hand, (ich begreife noch heute nicht, was ein Polizeiwärter am Ufer der Moskwa zu suchen hatte), näherte sich mir und sagte, sein verschrumpftes Altweibergesicht mir zuwendend: – Was machen Sie hier mit den Pferden, junger Herr? Geben Sie her, ich will sie halten.

Ich gab ihm keine Antwort; er bat mich um Tabak. Um ihn loszuwerden (ich war ohnehin ungeduldig geworden), that ich einige Schritte in der Richtung, in welcher mein Vater sich entfernt hatte; dann ging ich bis ans Ende des Gäßchens, bog um eine Ecke und blieb stehen. In der Quergasse, etwa vierzig Schritte vor mir, stand mein Vater, den Rücken mir zugekehrt, vor dem offenen Fenster eines hölzernen Häuschens; er stützte sich mit der Brust auf das Fensterbrett, im Häuschen aber, zur Hälfte durch einen Vorhang verdeckt, saß eine Frauengestalt in dunklem Kleide und unterhielt sich mit meinem Vater; es war Sinaïde.

Ich war wie versteinert. Das hatte ich, offen gestanden, nicht erwartet. Mein erster Gedanke war zu fliehen. »Der Vater kann sich umsehen, dachte, ich, dann bin ich verloren, . . .« doch ein eigenes Gefühl, mächtiger als Neugier, mächtiger selbst als Eifersucht und als Furcht, – bannte mich an den Boden. Ich strengte mein Gesicht, mein Gehör an. Mir däuchte, mein Vater bestände auf Etwas und Sinaïde schlüge es ihm ab. Noch jetzt sehe ich ihr Gesicht vor mir; – dieses traurige, ernste, schöne Gesicht, mit dem nicht zu beschreibenden Ausdruck von Ergebung, Gram, Liebe und einer gewissen herben Resignation, – anders wüßte ich es nicht zu benennen. Es kamen nur einsilbige Reden über ihre Lippen, sie hob nicht die Augen empor und lächelte nur – ergeben und doch eigenwillig. An diesem Lächeln erkannte ich meine frühere Sinaïde wieder. Der Vater zuckte die Achseln und drückte den Hut aus dem Kopfe zurecht, – was bei ihm jedesmal ein Zeichen von Ungeduld war . . . Darauf glaubte ich die Worte zu vernehmen: vous devez vous séparer de cette . . . Sinaïde richtete sich auf und streckte den Arm vor . . . Da ward ich plötzlich Zeuge eines unerhörten Vorfalles: mein Vater erhob auf einmal die Reitgerte, mit welcher er den Staub von den Schößen seines Rockes abgeklopft hatte, – es fiel ein lauter, scharfer Schlag auf diesen, bis an den Ellenbogen entblößten Arm. Ich konnte kaum einen Schrei unterdrücken, Sinaïde schrak zusammen, heftete schweigend einen Blick auf meinen Vater und den Arm an ihre Lippen führend, küßte sie die roth angelaufene Schramme auf demselben. Mein Vater schleuderte die Reitgerte weit fort und stürzte, die Stufen des Aufganges hinauf, in’s Haus . . . Sinaïde wandte sich um, – streckte, den Kopf zurückgeworfen, die Arme aus und verschwand vom Fenster.

Halbtodt vor Schrecken, mit einem gewissen, angstvollen Druck auf der Seele, flüchtete ich zurück, lief das Gäßchen wieder hinauf, wobei ich den Electric beinahe hätte entwischen lassen, bevor ich das Ufer des Flusses wieder erreichte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Zwar wußte ich, daß mein Vater, der kalte und zurückhaltende Mann, zuweilen Wuthanfällen unterworfen war, – aber dennoch konnte ich nicht begreifen, was ich dort gesehen hatte . . . Die Ueberzeugung war mir jedoch geblieben, daß ich zeitlebens jene Geberde, jenen Blick, jenes Lächeln Sinaïdes nicht zu vergessen im Stande sein würde, daß dieses Bild, dieses neue, unerwartet vor mir entstandene Bild, auf ewig meinem Gedächtnisse eingeprägt bleiben werde. Gedankenlos stierte ich in den Fluß und bemerkte nicht, daß ich Thränen vergoß. Er schlägt . . . schlägt . . . schlägt sie . . . dachte ich . . .

– Nun, was machst Du da? – führe mein Pferd her! ließ sich hinter mir die Stimme meines Vaters hören.

Mechanisch reichte ich ihm die Zügel. Er schwang sich auf sein Thier . . . das, vor Kälte zitternd, sich bäumte und einen mehr als Klafterlangen Satz nach vorn machte . . . mein Vater zügelte es jedoch augenblicklich; er drückte ihm die Sporen in die Weichen und gab ihm einen Schlag mit der Faust auf den Hals . . . Daß mir die Reitgerte fehlt! brummte er vor sich hin.

Mir fiel das Schwirren und der Schlag dieser Reitgerte ein und ich schrak zusammen.

– Wo hast Du denn dieselbe gelassen? fragte ich meinen Vater nach einer Weile.

Er gab mir keine Antwort und trabte davon Ich holte ihn ein. Mich verlangte sein Gesicht zu sehen.

– Ist Dir die Zeit in meiner Abwesenheit nicht lang geworden? fragte er mich durch die Zähne.

– Ein wenig. Wo hast Du aber Deine Reitgerte verloren? fragte ich ihn noch ein Mal.

Mein Vater warf einen hastigen Blick auf mich. – Ich habe sie nicht verloren, sagte er, ich habe sie fortgeworfen. – Er wurde nachdenklich und senkte den Kopf . . . und da wurde ich zum ersten und vermuthlich wohl auch zum letzten Male gewahr, welches zärtlichen und tiefgerührten Ausdruckes seine sonst so strengen Züge fähig waren.

Wieder trabte er davon und ich vermochte nicht mehr ihn einzuholen; ich langte eine Viertelstunde nach ihm zu Hause an.

»Ja, das ist Liebe,« sagte ich von Neuem zu mir, als ich Nachts vor meinem Schreibtische saß, auf welchem »Hefte und Bücher bereits wieder Platz gefunden hatten, »das ist Leidenschaft! . . . Wie ist es möglich, sich nicht zu empören, wenn uns, von wessen Hand es auch sei, ja selbst von der des geliebten Wesens, ein Schlag zu Theil wird! Und doch scheint es möglich zu sein, wenn man liebt . . . Und ich. . . ich hatte mir eingebildet . . .«

Der letzte Monat hatte mich reifer gemacht – und meine Liebe mit allen ihren Aufregungen und Leiden, kam mir selbst wie etwas Nichtiges, Kindisches und Erbärmliches vor, im Vergleiche zu jenem geheimnißvollen Etwas, von welchem ich kaum eine Ahnung hatte und das mir Furcht einflößte, wie ein unbekanntes, schönes, aber drohendes Gesicht, das man vergebens bemüht ist, im Halbdunkel zu unterscheiden . . .

Ich hatte in der darauffolgenden Nacht einen sonder- baren und schrecklichen Traum. Mir träumte, ich sei in ein niedriges, finsteres Gemach getreten . . . darin steht mein Vater mit einer Reitgerte in der Hand und stampft mit den Füßen; in einem Winkel kauert Sinaïde und trägt, nicht am Arme, sondern auf der Stirn, einen rothen Streif . . . Hinter Beiden erhebt sich, ganz von Blut befleckt, Belowsorow, er thut die bleichen Lippen auf und droht zornig meinem Vater. —

Zwei Monate darauf bezog ich die Universität und ein halbes Jahr später starb mein Vater, vom Schlage gerührt, in Petersburg, wohin er kurz vorher mit meiner Mutter und mir übergesiedelt war. Einige Tage vor seinem Tode hatte er aus Moskau einen Brief bekommen, der ihn ungewöhnlich aufgeregt hatte . . . Er war zu meiner Mutter gegangen, hatte sie um Etwas gebeten und soll sogar Thränen vergossen haben, er, mein Vater! An demselben Morgen, an welchem ihn der Schlag rührte, hatte er einen Brief an mich in französischer Sprache angefangen: »Mein Sohn, schrieb er, traue nicht der Liebe eines Weibes, traue nicht diesem Glücke, diesem Gifte« . . . Nach seinem Tode schickte meine Mutter eine ziemlich bei deutende Summe Geldes nach Moskau.

XXII

Vier Jahre waren verflossen. Ich hatte soeben die Universität verlassen, und wußte eigentlich noch nicht recht, was ich mit mir vornehmen, an welche Thür ich klopfen sollte; einstweilen trieb ich mich müßig umher. An einem schönen Abende traf ich im Theater Maidanow. Er hatte inzwischen geheirathet und war in den Staatsdienst getreten: ich fand ihn ganz unverändert. Er war noch immer, wie ehemals, Anfällen unzeitigen Entzückens, wie auch plötzlicher Muthlosigkeit unterworfen.

 

– Sie wissen doch, sagte er mir unter Anderem, daß Frau von Dolsky hier ist?

– Wer ist Frau von Dolsky?

– Haben Sie sie denn vergessen! die frühere junge Fürstin Sassekin, in welche wir Alle, und auch Sie, verliebt waren. Erinnern Sie sich doch, es war auf dem Landhause, dem Neskuschni gegenüber.

– Sie hat einen Herrn von Dolsky geheirathet?

– Nun ja.

– Und sie ist hier im Theater?

– Nein, aber in Petersburg. Sie ist vor Kurzem hier angekommen und im Begriff, eine Reise ins Ausland einzutreten.

– Was für ein Mensch ist ihr Mann? fragte ich.

– Ein braver Kerl, mit Vermögen. Er war in Moskau mein Amtsgenosse. Sie begreifen, – nach jener Geschichte, . . . nun, die muß Ihnen ja recht gut bekannt sein, . . . (Maidanow lächelte bedeutungsvoll) war es für sie nicht leicht eine Partie zu machen; die Sache hatte nämlich Folgen gehabt, . . . doch mit ihrem Verstande war Alles möglich. Besuchen Sie sie: es wird sie sehr freuen, Sie zu sehen. Sie ist noch schöner geworden.

Maidanow gab mir Sinaïdes Adresse. Sie war im Hotel Demuth abgestiegen. Alte Erinnerungen wurden in mir wach, . . . ich gab mir das Wort, am folgenden Tage meiner früheren »Liebe« einen Besuch abzustatten. Es kamen aber Geschäfte dazwischen: eine Woche verging, eine zweite, und als ich mich endlich in jenes Hotel begab und nach Frau von Dolsky fragte, – erfuhr ich, sie sei vor vier Tagen plötzlich im Wochenbette gestorben. Es war wie ein Stich, der mir durchs Herz fuhr. Der Gedanke, daß ich sie hätte wiedersehen können, sie nicht wiedergesehen habe und nie wiedersehen werde, – dieser schmerzliche Gedanke bohrte sich in meine Seele mit der ganzen Gewalt eines Vorwurfes Gestorben! wiederholte ich, mit stumpfem Blicke auf den Portier, wandte mich still zur Thür und ging die Gasse entlang, ohne selbst zu wissen wohin Die ganze Vergangenheit war plötzlich wieder vor mir aufgetaucht und neuerstanden. Und das also war das Ende, das war das Ziel, welchem, in seiner ungestümen Hast, dieses junge, glühende, glänzende Leben entgegenstrebte! Das also! Ich stellte mir ihre theuren Züge, ihre Augen, ihre Locken vor, die nun im engen Kasten lagen, im feuchten Grabesdunkel, dort, nicht weit von mir, der ich noch am Leben war, und vielleicht nur einige Schritte von meinem Vater entfernt . . . Dies Alles dachte ich, strengte meine Einbildungskraft an, es mir zu vergegenwärtigen, und:

 
»Von theilnahmlosen Lippen kam die Todesstunde mir
»Und theilnahmlos hört’ ich dieselbe an«
 

tönte es in meiner Seele wieder. O Jugend, Jugend! du machst Dir aus Allem Nichts! Es ist, als wären alle Schätze der Welt, Alles Dein, aus Kummer selbst erblüht für Dich Freude, Traurigkeit steht Dir, der selbstvertrauenden, kühnen, sogar gut und Du sprichst: in mir allein ist Leben, – sehet her! Und dennoch fliehen und schwinden auch Deine Tage dahin, spurlos und ungezählt, und Alles in Dir vergeht, wie Wachs an der Sonne, wie Schnee . . . Und vielleicht liegt das ganze Geheimniß Deines Zaubers, nicht in der Möglichkeit Alles zu vollbringen, – sondern in dem Wahne, Du könntest Alles vollbringen; es liegt darin, daß Du glaubst Kräfte in den Wind zu streuen, die Du ohnehin zu nichts Anderem verwendet hättest, – darin, daß Jeder von uns, alles Ernstes, sich als einen Verschwender hält, alles Ernstes glaubt, er habe das Recht zu sagen: O, was würde ich nicht Alles gethan haben, wenn ich nicht unnützerweise meine Zeit verloren hätte!

So auch ich . . . wie groß waren meine Hoffnungen, meine Erwartungen gewesen, welch’ reiche Zukunft sah ich nicht vor mir und es standen mir kaum ein Seufzer, kaum ein Gefühl von Wehmuth zu Gebote, die ich dem für einen Augenblick vor mir erstandenen Schatten meiner ersten Liebe hätte widmen können!

Und was ist von alle Dem, worauf ich damals meine Hoffnung gebaut hatte, in Erfüllung gegangen? Und doch – selbst jetzt noch, da bereits abendliche Schatten über mein Leben heranzuziehen beginnen, was giebt es für mich Erfrischenderes, Theueres, als die Erinnerung an jenes rasch vorübergezogene, morgendliche Frühlingsgewitter in meinem Herzen?

Aber, ich thue mir Unrecht. Selbst damals, in jener leichtlebigen Jugendzeit, blieb ich nicht taub für die traurige Stimme, die zu mir rief, für den feierlichen Laut, der von jenseits des Grabes zu mir herüberhallte. Einige Tage, nachdem ich den Tod Sinaïdes erfahren hatte, wohnte ich selbst, von freiwilligem, unwiderstehlichem Drange getrieben, dem Hinscheiden einer armen, alten Frau bei, die in demselben Hause mit mir lebte. Von Lumpen bedeckt, auf hartem Bretterlager, mit einem Sacke unter dem Kopfe, verschied sie in Schmerzen und Pein. Ihr ganzes Leben war in stetem Kampfe gegen die tägliche Nothdurft verflossen; keine Freuden hatte sie gekannt, vom Honigseime des Glückes nicht gekostet, – wie hätte sie sich nicht, müßte man denken, auf den Tod, die Erlösung durch ihn und die Ruhe, die er in Aussicht stellte, freuen sollen? Und dennoch, solange die alten Glieder noch widerstanden, solange noch die Brust qualvoll unter der auf ihr lastenden eisigen Hand sich hob, solange noch die letzten Kräfte sie nicht verlassen hatten, – hörte die Alte nicht auf sich zu bekreuzigen und zu stammeln: Herr, vergieb mir meine Sünden! – und erst mit dem letzten Funken des Bewußtseins verschwand aus ihren Augen der Ausdruck von Scheu und Furcht vor dem Tode. Und dort, am Sterbelager der armen Alten, erinnere ich mich, wurde mir bange um Sinaïde und ich empfand das Bedürfniß, zu beten für sie, für meinen Vater und – für mich.

*
*                   *

Als die Geschichte beendet war, senkte Wladimir Petrowitsch den Kopf, wie in Erwartung, wer wohl zuerst das Wort ergreifen werde. Aber weder Sergei Nikolajewitsch noch der Herr vom Hause unterbrachen das Schweigen. Wladimir selbst erhob nicht den Blick von seinem Hefte.

– Es will mich bedünken, meine Herren, sagte er endlich mit erzwungenem Lächeln, daß meine Beichte, Ihnen nicht sonderlich gefallen hat.

– Das nicht, erwiderte Sergei Nikolajewitsch aber . . .

– Nun? Aber . . .

– Ich meine, daß wir in einer eigenthümlichen Zeit leben und daß wir selbst eigenthümliche Menschen sind.

– In wie fern?

– Ja wir sind eigenthümliche Menschen, wiederholte Sergei Nikolajewitsch. – Nicht wahr, Sie haben zu dem, was Sie Ihre Beichte nennen, Nichts hinzugedichtet?

– Nichts!

– Hm! – Uebrigens das merkt man. Nun! – mir will es scheinen, daß nur in Rußland . . .

– Solch eine Geschichte möglich ist? unterbrach ihn Wladimir; ich bitte Sie!

– Sie haben mich nicht ausreden lassen. Ich wollte sagen, daß eine solche Erzählung nur in Rußland möglich ist.

Wladimir schwieg einen Augenblick. – Welches ist Ihre Meinung? fragte er dann, sich an den Hausherrn wendend.

– Ich theile ganz die Ansicht von Sergei Nikolajewitsch, entgegnete dieser; aber erschrecken Sie darüber nicht. Wir wollen damit nicht sagen, daß Sie deshalb ein Vorwurf trifft, im Gegentheil. Wir wollen damit nur ausgesprochen haben, daß die socialen Zustände, unter welchen wir Alle groß geworden sind, sich bei uns in ganz besonderer Weise gebildet und entwickelt haben, wie das weder früher je gewesen ist, noch auch voraussichtlich künftig je wieder sein wird. – Ihre einfache und ungeküustelte Erzählung hat uns mit einer Art von Schauder erfüllt. – Nicht daß sie uns als unsittlich verletzt hätte: sie enthüllt etwas viel Dunkleres als bloße Unsittlichkeit. Sie persönlich sind von jedem Vorwurf frei, denn Sie haben kein Unrecht begangen. Aber, jede Zeile Ihrer Erzählung durchweht, – ich weiß nicht welche – allgemeine Schuld, die Schuld eines ganzen Volkes, welche ich fast ein Nationalverbrecheu nennen möchte.

– O! welch’ großes Wort für eine kleine Sache! warf Wladimir ein.

– Der Fall ist klein, die Sache aber ist es durchaus nicht.

Es giebt, ich wiederhole es, und Sie selbst fühlen das – es giebt bei uns ein Etwas, das unwillkürlich an die Worte des Marcellus im Hamlet erinnert:

 
»Etwas ist faul im Staate Dänemark.«
 

– Hoffen wir jedenfalls, daß unsere Kinder andere Geschichten aus ihrer Jugend zu erzählen haben werden und daß sie sie anders erzählen werden.

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