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Die erste Liebe

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. . . Die Gäste waren schon längst nach Hause gefahren. Die Uhr hatte halb Eins geschlagen. Im Zimmer befanden sich nur noch der Herr vom Hause, ferner Sergei Nikolajewitsch und Wladimir Petrowitsch.

Der Herr schellte und befahl die Reste der Abendmahlzeit abzuräumen. – Somit wäre es denn abgemacht, sagte er, tiefer in den Armstuhl sinkend, nachdem er die Cigarre angezündet hatte, daß ein Jeder von uns die Geschichte seiner ersten Liebe erzählen muß. An Ihnen ist zuerst die Reihe, Sergei Nikolajewitsch.

Sergei Nikolajewitsch, ein runder Mann. mit vollem, aufgedunsenem Gesichte, blickte zuerst den Herrn vom Hause und dann die Decke des Zimmers an. – Ich habe keine erste Liebe gehabt, sagte er darauf: habe gleich mit der zweiten angefangen.

– Wie ist das zu verstehen?

– Sehr einfach. Ich war achtzehn Jahre alt, als ich zum ersten Male einem überaus netten Fräulein den Hof machte; ich benahm mich indessen dabei so, als wäre mir das nichts Neues: genau in derselben Weise, wie ich später Anderen den Hof gemacht habe. Im Grunde genommen bin ich nur ein einziges Mal, als Kind von sechs Jahren, verliebt gewesen, und zwar in meine Wärterin; – dass ist aber schon sehr lange her. Die Einzelfälle haben sich aus meinem Gedächtnisse vermischt, und wenn ich mich derselben auch erinnerte, wen könnten sie weiter interessiren?

– Was ist da zu machen? begann der Herr vom Hause. – Auch meine erste Liebe bietet nicht viel Interessantes dar: bevor ich die Bekanntschaft Anna Iwanownas meiner jetzigen Frau, machte, war ich noch in Niemanden verliebt gewesen – und zwischen uns wurde die Sache bald abgemacht: unsere Eltern brachten das Ganze in Ordnung, wir gewannen einander bald lieb und ließen uns, ohne lange zu warten, trauen. Meine Geschichte wäre somit erzählt. Ich gestehe, meine Herren, als ich diese Frage von der ersten Liebe aufs Tapet brachte, hatte ich es auf Sie, wenn auch nicht alte, aber doch nicht mehr junge Junggesellen, abgesehen. Vielleicht geben Sie, Wladimir Petrowitsch, uns Etwas zum Besten?

– Meine erste Liebe gehört in der That zu dem nicht ganz Gewöhnlichen, entgegnete mit leichtem Stocken Wladimir, ein Mann gegen die Vierzig mit schwarzem, stellenweise schon grauem Haare.

– Ah! riefen der Herr vom Hause und Sergei Nikolajewitsch wie aus einem Munde. – Desto besser . . . Lassen Sie hören.

– Mit Vergnügen . . . doch nein: erzählen will ich nicht; ich bin nicht Meister in dieser Kunst: entweder kommt es trocken und kurz, oder weitschweifig und ungenau heraus; wenn Sie es aber zufrieden sind, will ich Alles, dessen ich mich erinnere, im Zusammenhange aufschreiben und Ihnen dann vorlesen.

Die Freunde waren anfänglich nicht damit einverstanden, Wladimir Petrowitsch bestand jedoch auf seinem Vorschläge. Zwei Wochen später kamen sie wieder zusammen und Wladimir Petrowitsch erfüllte sein Versprechen.

Folgendes ist seine Geschichte, wie er sie niedergeschrieben.

I

Der Vorfall ereignete sich im Sommer des Jahres 1833; ich war damals sechzehn Jahre alt, und wohnte in Moskau, bei meinen Eltern. Sie hatten ein Landhaus in der Nähe des Kalugaschen Thores, dem Neskuschni- Garten gegenüber, gemiethet. Ich bereitete mich für die Universität vor, arbeitete jedoch nicht viel und ohne mich zu übereilen.

Niemand beschränkte meine Freiheit. Ich that, was ich wollte, besonders seit ich meinen letzten Gouverneur los war, einen Franzosen, der sich durchaus nicht an den Gedanken gewöhnen konnte, daß er »gleich einer Bombe« (comme une bomde) nach Rußland geschleudert worden war, und sich mit grimmiger Miene Tagelang auf dem Bette herumwälzte. Der Vater behandelte mich mit freundlicher Gleichgültigkeit; meine Mutter gab nur wenig auf mich Acht, obgleich sie außer mir weiter keine Kinder hatte: andere Sorgen nahmen sie in Anspruch. Mein Vater, ein noch junger und sehr hübscher Mann, hatte sie aus Berechnung geheirathet; sie war zehn Jahr älter als er. Meine Mutter führte ein trauriges Leben: sie war beständig aufgeregt, eifersüchtig, ärgerlich – nur nicht in Gegenwart des Vaters; sie hatte große Furcht vor ihm, er dagegen hielt sich streng, kalt, fern . . . Ich habe nie einen Menschen gesehen, der künstlich-ruhiger, selbstvertrauender und eigenmächtiger gewesen wäre.

Nie werde ich die ersten Wochen, die ich aus dem Lande verbrachte, vergessen. Das Wetter war wundervoll; wir zogen am 9. Mai, gerade am Sankt Nikolaustage, in das Landhaus ein. Ich schlenderte umher, bald im Garten unserer Landwohnung bald in Neskuschni, bald außerhalb der Stadt; gewöhnlich nahm ich ein Buch mit, wie zum Beispiel Kaidanow’s Lehrbuch der Weltgeschichte, schlug es jedoch selten auf und declamirte meistentheils mit lauter Stimme Gedichte, deren ich eine Menge auswendig wußte; das Blut kochte in meinen Adern und mein Herz durchschauerte ein Gefühl seltsam süßer Wonne; unbestimmtes Ahnen und Bangen erfüllte mich, Alles erregte mein Staunen und hielt mich in Spannung; meine Phantasie schweifte und kreiste in raschem Fluge immer um dieselben Vorstellungen herum, wie Mauerschwalben um den Glockenthurm; ich wurde nachdenkend, traurig, weinte sogar; doch aus Thränen und Traurigkeit, die ein melodisches Gedicht oder ein schöner Abend hervorgebracht hatten, sproß wie Lenzesgrün das freudige Bewußtsein jugendlichen, sprudelnden Lebens empor.

Ich besaß ein kleines Reitpferd; ich sattelte es selbst und pflegte dann ohne bestimmtes Ziel allein hinaus zu reiten, spornte es zum Galopp an und bildete mir ein, ich wäre ein Ritter aus einem Turnier – wie lustig bließ mir dabei der Wind um die Schläfen! – oder, das Gesicht gen Himmel gekehrt, sog ich dessen strahlendes, glänzendes Blau in die Seele.

Zu der Zeit, erinnere ich mich, tauchte vor meinen Sinnen, fast niemals in bestimmten Zügen, das Bild eines Weibes, die Vorstellung weiblicher Liebe auf; dennoch lag in all’ meinem Denken und Empfinden ein halb unbewußtes, schamhaftes Vorgefühl von etwas Neuem, unsäglich Süßem Weiblichem . . .

Dieses Vorgefühl, diese Erwartung durchdrang mein ganzes Wesen; es bildete meinen Lebensgeist, rollte in jedem Blutstropfen durch meine Adern . . . bald sollte es der Wirklichkeit weichen.

Unser Landhaus bestand aus einem hölzernen Herrenhause mit Säulen und zwei kleinen Nebengebäuden; im Nebengebäude links befand sich eine unbedeutende Tapetenfabrik . . . Mehr als ein Mal war ich hingegangen, um zu sehen, wie ein Dutzend magerer, wirrhaariger Knaben in schmutzigen Röcken und mit fahlen Gesichtern beständig auf hölzerne Hebebäume sprangen, vermöge welcher viereckige Druckklötze herabgedrückt wurden und auf diese Weise durch die Last ihrer schmächtigen Leiber bunte Muster auf das Papier druckten. Das kleine Nebengebäude rechts stand leer und war zu vermiethen. Eines Tages, – drei Wochen nach dem 9. Mai, – wurden die Fensterladen desselben aufgemacht, weibliche Gesichter kamen zum Vorscheine – es hatte sich eine Familie darin eingemiethet. Ich besinne mich, noch am selben Tage erkundigte sich meine Mutter während des Essens beim Hausmeister, wer die neuen Nachbarn wären und als ihr der Name der Fürstin Sassekin genannt wurde, sagte sie, nicht ohne einige Ehrfurcht: Ah! eine Fürstin . . . setzte dann aber hinzu: vermuthlich irgend eine arme Familie.

– Sind in drei Droschken angefahren, bemerkte der Hausmeister, ehrerbietig die Schüssel umherreichend; haben keine eigene Equipage und ganz gewöhnliche Möbeln.

– So, meinte die Mutter, es ist aber doch besser —

Mein Vater warf einen kalten Blick auf sie: sie verstummte.

In der That, die Fürstin Sassekin mußte nicht reich sein: das kleine Gebäude, daß sie bezogen hatte, war so baufällig, eng, niedrig, daß Leute von einigem Vermögen sich nicht würden entschlossen haben, daselbst zu wohnen.

Uebrigens gab ich damals nicht Acht darauf. Ein fürstlicher Titel übte wenig Wirkung auf mich aus: ich hatte vor Kurzem Schillers »Räuber« gelesen.

II

Es war meine Gewohnheit. jeden Abend mit der Flinte in unserem Garten umherzuschlendern und auf Krähen zu lauern. – Von jeher hatte ich auf diese vorsichtigen, raubsüchtigen und listigen Vögel einen Haß geworfen. An dem Tage, von welchem die Rede ist, war ich auch in den Garten gegangen – und nachdem ich vergebens alle Alleen durchstrichen hatte (die Krähen kannten mich schon und krächzten ab und zu aus der Ferne), kam ich zufällig dem niedrigen Zaune nahe, der eigentlich unser Gebiet von dem schmalen Gartenstrich hinter dem rechten Nebengebäude, zu welchem er gehörte, trennte. Ich wandelte gesenkten Blickes meine Wege. Plötzlich glaubte ich Stimmen zu hören; ich that einen Blick über den Zaun – und blieb wie versteinert stehen . . . Ein sonderbares Schauspiel bot sich meinen Augen dar.

Einige Schritte vor mir – aus einem Rasenplatze, zwischen grünen Himbeersträuchen, stand ein hohes, schlankes Mädchen, in gestreiftem, rosafarbenen Kleide, mit einem weißen Tuche auf dem Kopfe; um sie herum standen, dicht gedrängt, vier junge Leute und sie theilte Jedem derselben der Reihe nach mit jenem kleinen, grauen Blümchen, dessen Namen ich nicht kenne, das jedoch den Kindern wohlbekannt ist, Schläge auf die Stirn aus. Diese Blümchen bilden kleine Säckchen; die knallend aufspringen, sobald man mit denselben auf einen harten Gegenstand schlägt. Die jungen Leute streckten so willfährig ihre Stirn vor, und in den Bewegungen des jungen Mädchens (sie kehrte mir die Seite zu) lag Etwas so Bezauberndes, Gebieterisches, und doch dabei Einschmeichelndes, Scherzendes und Liebliches, daß ich vor Erstaunen und Entzücken beinahe aufgeschrieen hätte und, glaube ich, auf der Stelle Alles in der Welt würde hingegeben haben, wenn diese reizenden Fingerchen auch mich auf die Stirn geschlagen hätten. Meine Flinte war in’s Gras geglitten, ich hatte Alles vergessen, verschlang mit den Blicken die schlanke Gestalt, den Hals, die schönen Arme, das unter dem weißen Tuche leicht in Unordnung gerathene Haar, dieses halbverhüllte, kluge Auge, diese Wimpern und unterhalb derselben die zarte Wange . . .

 

– Junger Mann, junger Mann, sagte plötzlich eine Stimme neben mir: – ist es denn erlaubt, fremde junge Damen zu belauschen?

Ich fuhr zusammen und blieb stumm stehen . . Neben mir, hinter dem Zaune, stand ein Mann mit kurzgeschnittenem, schwarzem Haar und blickte mich höhnisch lächelnd an. In demselben Augenblicke wandte sich auch das junge Mädchen nach mir um . . Ich wurde ein Paar große, graue Augen aus einem lebhaften Gesichte gewahr, das plötzlich erzitterte, vom raschen Lachen bewegt, weiße Zähne sehen ließ und gar komisch die Brauen emporzog . . . Feuerroth raffte ich meine Flinte vom Boden aus und stürzte, von lautem, aber nicht spöttischem Lachen begleitet, auf mein Zimmer, warf mich auf mein Bett und bedeckte mein Gesicht mit den Händen. Das Herz pochte gewaltig in meiner Brust; es war von Beschämung und zugleich von Freudigkeit erfüllt: eine bis dahin unbekannte Erregung hatte sich meiner bemächtigt.

Nachdem ich mich erholt hatte, brachte ich mein Haar in Ordnung, bürstete mich rein und begab mich hinunter zum Thee. Das Bild des jungen Mädchens schwebte mir immer vor Augen; das Herz pochte nicht mehr, aber ich empfand einen Druck darin, der mich wonnig bewegte.

– Was hast Du? fragte mich plötzlich mein Vater – Hast Du eine Krähe geschossen?

Ich wollte ihm Alles erzählen, hielt jedoch an mich und lächelte blos vor mich hin.

Vor dem Schlafengehen drehte ich mich, ich weiß selbst nicht weswegen, drei Mal auf einem Beine herum, rieb mir Pomade in’s Haar, legte mich dann zu Bette und schlief die ganze Nacht hindurch wie todt. Noch vor Tagesanbruch erwachte ich auf einen Augenblick, streckte den Kopf in die Höhe, blickte wie verzückt umher, und – schlief wieder ein.

III

»Wie fang’ ich es nur an, ihre Bekanntschaft zu machen?« war mein erster Gedanke, als ich endlich erwacht war. Vor dem Thee begab ich mich in den Garten, näherte mich jedoch dem Zaune nicht gar so sehr und – bekam Niemand zu Gesicht. Nach dem Thee ging ich einige Male die Gasse vor dem Landhause aus und ab – und schielte von Weitem nach den Fenstern . . . Mir däuchte, ich hätte ihr Gesicht hinter dem Vorhange erblickt und erschrocken entfernte ich mich rasch. »Ich muß aber doch ihre Bekanntschaft machen,« dachte ich, indem ich ziellos auf der Sandfläche, die sich vor Neskuschni hinzog, umherging . . . »wie aber? Das ist die Frage.« Ich gedachte der geringsten Einzelheiten bei unserem gestrigen Zusammentreffen: besonders erinnerte ich mich deutlich, wie sie über mich gelacht hatte . . . Doch während ich noch hin- und hersann und verschiedene Pläne schmiedete, hatte schon das Schicksal über mich entschieden.

In meiner Abwesenheit hatte meine Mutter von der neuen Nachbarin einen Brief bekommen; er war auf grauem Papier geschrieben und mit braunrothem Siegellack, der ausschließlich für Postpakete und etwa noch zum Verpichen billiger Weinsorten gebraucht wird, versiegelt. In diesem Briefe, der fehlerhaft und unsauber geschrieben war, bat die Fürstin meine Mutter, sie möchte ihr Protection erweisen, da meine Mutter, so schrieb die Fürstin, mit einflußreichen Personen bekannt sei, von denen der Fürstin und derer Kinder Schicksal abhänge, da sie nämlich in sehr ernste Processe verwickelt sei. »Ich wände mich an Ihnen, schrieb sie, als Dahme von Adel zu eine Dahme von Adel und gleicherzeitich freue ich mich diese Gelegenheit zu benutzen.« Zum Schlusse bat sie meine Mutter um die Erlaubniß, ihr ihre Aufwartung machen zu dürfen. Ich traf meine Mutter in schlechter Gemüthsstimmung: mein Vater war gerade nicht zu Hause und sie hatte Niemanden, den sie um Rath fragen konnte. Einer »Dame von Adel« und noch dazu »einer Fürstin,« keine Antwort zu gehen, wäre unmöglich gewesen – wie aber sollte sie antworten – darüber war meine Mutter unschlüssig. Ein französisches Billet schreiben, dünkte ihr nicht passend, in der russischen Rechtschreibung aber war meine Mutter auch nicht stark – sie wußte es – und wollte sich keine Blöße geben. Meine Ankunft erfreute sie, sie befahl mir, sogleich zur Fürstin zu gehen und derselben mündlich zu erklären, sie wäre stets bereit Ihrer Durchlaucht nach Kräften Beistand zu leisten und lasse sie bitten, sich doch gegen ein Uhr zu ihr zu bemühen. Die unerwartet schnelle Erfüllung meiner geheimen Wünsche versetzte mich in Freude und Schrecken zugleich: ich ließ indessen Nichts von der Verwirrung merken, die sich meiner bemächtigt hatte, sondern begab mich zuerst auf mein Zimmer, um eine neue Halsbinde und einen neuen Rock anzulegen: zu Hause ging ich noch in der Jacke und zurückgeschlagenem Hemdkragen einher, was mir immer sehr peinlich war.

IV

Im engen und unsaubern Vorzimmer der fürstlichen Wohnung, das ich, unwillkürlich am ganzen Leibe zitternd, betrat – begegnete mir ein alter, ergrauter Diener mit dunklem, bronzefarbenem Gesichte, mürrischen kleinen Augen und so tiefen Furchen auf Stirn und Schläfen, wie ich deren in meinem Leben nicht gesehen habe. Er hielt eben auf einem Teller einen abgenagten Häringsgrat, und fragte, kurz angebunden, indem er mit dem Fuße die Thür in’s andere Zimmer ausstieß: was wünschen Sie? – Ist die Fürstin Sassekin zu Hause? fragte ich.

– Bonifacius! kreischte eine weibliche Stimme hinter der Thür.

Der Diener wandte mir schweigend den Rücken zu, wobei die stark mitgenommene Rückenseite seiner Livrée, mit einem vereinzelten braungewordenen Knopfe, sichtbar wurde und entfernte sich, nachdem er den Teller auf den Fußboden gestellt hatte.

– Warst Du im Polizeiquartal? fragte dieselbe Stimme. Der Diener brummte Etwas als Antwort. – Was? . . . Es ist Jemand da? ließ sie sich wieder hören . . . Der junge Herr aus dem Nachbarhause? – Nöthige ihn herein.

Bemühen Sie sich in’s Gastzimmer, sagte der Diener, der wiederum vor mir stand, indem er den Teller vom Boden aufhob. Ich nahm mich zusammen und trat in das »Gastzimmer.«

Es war ein enges und nicht besonders reinliches Gemach, in welches ich trat, mit ärmlichen, gleichsam in aller Eile umher aufgestellten Möbeln. Am Fenster saß auf einem Armstuhle, an welchem die eine Lehne fehlte, eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, ohne Haube und nicht hübsch von Gesicht, in einem alten grünen Kleide und mit einem bunten, wollenen Tuche um den Hals. Ihre kleinen, schwarzen Augen waren scharf auf mich gerichtet. Ich näherte mich ihr und grüßte sie.

– Habe ich die Ehre, die Fürstin Sassekin zu sprechen?

– Ich bin die Fürstin Sassekin; Sie sind wohl der Sohn des Herrn W . . .?

– Ganz richtig. Ich bin im Auftrage meiner Mutter gekommen.

– Nehmen Sie Platz, ich bitte. Bonifacius! wo sind meine Schlüssel, hast Du sie nicht gesehen?

Ich theilte der Mme. Sassekin die Antwort meiner Mutter auf ihren Brief mit. Sie hörte mir, mit den dicken rothen Fingern auf dem Fensterrahmen trommelnd, zu, und als ich zu Ende war, blickte sie mir abermals scharf in’s Gesicht.

– Sehr wohl; ich werde nicht ermangeln, zu kommen, sagte sie endlich. Wie sind Sie aber noch jung! Wie alt, wenn ich fragen darf?

– Sechzehn Jahre, gab ich, unwillkürlich stockend, zur Antwort.

Die Fürstin langte aus ihrer Tasche einige beschriebene, beschmutzte Papiere hervor, hielt dieselben dicht vor die Nase und begann darin herumzublättern.

– Ein schönes Alter, jagte sie auf einmal, indem sie sich auf ihrem Sitze hin und her bewegte. – Bitte, ganz ohne alle Umstände. Bei uns geht es einfach her.

Die erste Liebe – Gar zu einfach, dachte ich, indem ich in unwillkürlicher Anwandlung von Ekel ihre ganze Gestalt betrachtete.

In diesem Augenblicke ward eine andere Thür des Gastzimmers rasch geöffnet und an der Schwelle zeigte sich jenes junge Mädchen, das ich Tages zuvor im Garten gesehen hatte. Sie streckte die Hand vor und über ihr Gesicht zuckte ein Lächeln.

– Und das hier ist meine Tochter, sagte die Fürstin, mir dem Ellenbogen auf dieselbe deutend. – Sinotschka, der Sohn unseres Nachbarn, des Herrn W . . . Wie ist Ihr Name, mit Erlaubniß?

– Wladimir, erwiderte ich aufstehend und vor Aufregung stockend.

– Und mit dem Vaternamen?

– Petrowitsch.

– Ah! Ich hatte einen Bekannten, er war Polizeimeister, der hieß auch Wladimir Petrowitsch Bonifacius! suche die Schlüssel nicht mehr; ich habe sie in meiner Tasche.

Das junge Mädchen fuhr fort mich mit dem früheren Lächeln zu betrachten, sie blinzelte dabei etwas und hielt den Kopf auf die Seite geneigt.

–– Ich habe Monsieur Woldemar schon gesehen, begann sie. (Der Silberklang ihrer Stimme durchrieselte mich wie freudiger Schauer) – Erlauben Sie mir, Sie so zu nennen?

– Oh ich bitte, stammelte ich.

– Wo denn? fragte die Fürstin.

Die junge Fürstin gab ihrer Mutter keine Antwort.

– Sind Sie jetzt beschäftigt? fragte sie mich, ohne den Blick von mir zu wenden.

– Nein, jetzt nicht.

– Wollen Sie mir helfen Wollgarn aufwickeln? Kommen Sie her zu mir.

Sie nickte mir mit dem Kopfe zu und verließ das Gastzimmer. Ich folgte ihr.

In dem Zimmer, das wir betraten, waren die Möbel etwas besserer Art und mit mehr Geschmack umhergestellt. – Uebrigens war ich in diesem Augenblicke nicht im Stande Etwas zu bemerken; ich bewegte mich wie im Traume und empfand in meinem ganzen Wesen ein bis zur Albernheit gesteigertes Wohlbehagen.

Die junge Fürstin ließ sich nieder, holte ein Bündel rothen Garnes herbei, wies mir einen Stuhl, ihr gegenüber, an, machte behutsam das Garn los und legte es mir über die Hände. Alles dies that sie schweigend, mit einer gewissen ergötzlichen Langsamkeit und jenem heitern und schelmischen Lächeln auf den halbgeöffneten Lippen. Sie begann das Garn auf eine zusammengelegte Spielkarte zu wickeln und warf plötzlich einen so hellen und leuchtenden Blick auf mich, daß ich unwillkürlich die Augen niederschlug. Wenn sie ihre Augen, die sie meistentheils halbgeschlossen hielt, aufschlug – bekam ihr Gesicht einen ganz anderen Ausdruck: es schien gleichsam von Licht übergossen.

– Was haben Sie gestern von mir gedacht, Monsieur Woldemar? fragte sie einiger Minuten darauf. – Gewiß haben Sie mich getadelt?

– Ich . . . Fürstin . . . ich habe Nichts dergleichen gedacht . . . wie hätte ich so Etwas . . . entgegnete ich verwirrt.

– Hören Sie, erwiderte sie. – Sie kennen mich noch nicht; ich bin sehr eigen; ich will, daß man mir die Wahrheit sage. Sie sind, wie ich höre, sechzehn, ich bin einundzwanzig Jahre alt: Sie sehen, ich bin viel älter als Sie, und darum müssen Sie mir immer die Wahrheit sagen . . . und mir gehorchen, setzte sie hinzu. – Sehen Sie mich doch an, warum sehen Sie mich nicht an?

Das machte mich noch verwirrter, ich richtete indessen doch den Blick auf sie. Sie lächelte mir zu, doch nicht mit dem früheren, sondern einem anderen beifälligen Lächeln. – Lassen Sie Ihren Blick auf mir ruhen, sagte sie mit freundlicher, gedämpfter Stimme: ich habe es nicht ungerne. Ihr Gesicht gefällt mir; ich fühle es, daß wir Freunde sein werden. Und gefalle ich Ihnen? setzte sie schelmisch hinzu.

– Fürstin . . . wollte ich beginnen . . .

– Erstens, sollen Sie mich Sinaïde Alexandrowna nennen; zweitens – was für eine Gewohnheit haben diese Kinder (sie verbesserte sich) – diese jungen Leute – niemals gerade heraus zu sagen, was sie fühlen? Das paßt für Erwachsene. Ich gefalle Ihnen doch?

Obgleich es mir sehr angenehm war, daß sie so aufrichtig mit mir sprach, fühlte ich mich doch dabei etwas verletzt. Ich wollte ihr zeigen, daß sie es nicht mit einem Knaben zu thun habe und sagte daher, mit möglichst ungezwungener und ernsthafter Miene: – gewiß, Sinaïde Alexandrowna, sie gefallen mir sehr; ich will es nicht läugnen.

Sie schüttelte langsam den Kopf. – Haben Sie einen Gouverneur? fragte sie plötzlich?

– Nein, ich habe schon lange keinen mehr.

Es war eine Lüge; kaum mochte ein Monat vergangen sein, seit ich meinen Franzosen los ward.

– Oh! jawohl, ich sehe es – Sie sind ja schon groß.

Sie schlug mich leicht auf die Finger. – Halten Sie doch die Hände gerade! – Und emsig begann sie ihren Knäuel zu wickeln.

Ich benutzte den Umstand, daß sie den Blick gesenkt hielt und betrachtete sie nun, anfangs verstohlen, nachher aber dreister und dreister. Ihr Gesicht däuchte mir noch reizender als am Abende vorher: so fein, klug und lieblich sah es aus. Sie saß mit dem Rücken gegen das Fenster, an welchem die weiße Gardine herabgelassen war; ein Sonnenstrahl, der durch die Gardine drang, beleuchtete mit mildem Lichte ihr dichtes, goldiges Haar, ihren jungfräulichen Hals, die runden Schultern und die zarte, ruhige Brust. – Ich war in Anschauen versunken – und wie theuer, wie traut wurde sie mir! Mich dünkte, ich wäre schon lange mit ihr bekannt, ich hätte bis dahin nichts gewußt, nicht gelebt . . . Sie hatte ein dunkles, schon abgetragenes Kleid an, und eine Schürze auf dasselbe gebunden: gern hätte ich jede Falte dieses Kleides, dieser Schürze geküßt. Die Spitzen ihrer Halbstiefeln guckten unter ihrem Kleide hervor: ich wäre mit Vergnügen vor diesen Halbstiefeln niedergefallen . . . Und da sitze ich jetzt vor ihr, dachte ich, habe ihre Bekanntschaft gemacht . . . welch ein Glück, o mein Gott! Ich wäre vor Entzücken beinahe vom Stuhle aufgesprungen, schlenkerte indessen blos leicht mit den Füßen, wie ein Kind, das sich am Naschwerk lechzt.

 

Mir war wohl, wie dem Fische im Wasser, und ich hätte eine Ewigkeit in diesem Zimmer, auf demselben Flecke sitzen bleiben mögen.

Langsam schlug sie die Augenlider auf und wiederum strahlten mir ihre hellen Augen freundlich entgegen – und wiederum lächelte sie mich an.

– Wie Sie mich aber ansehen, – sagte sie langsam und drohte mir mit dem Finger.

Ich wurde roth . . . »Sie versteht Alles, bemerkt – Alles,« dachte ich.

Und wie wäre es denn anders möglich! Plötzlich ließ sich Geräusch im Nebenzimmer vernehmen,

– Säbelgeklirre.

– Sina! rief die Fürstin aus dem Gastzimmer – Belowsorow hat Dir ein Kätzchen gebracht.

– Ein Kätzchen! rief Sinaïde und warf, hastig aufspringend, den Knäuel in meinen Schooß und lief fort.

Ich erhob mich gleichfalls, legte das Bündel Garn nebst dem Knäuel aufs Fenster und begab mich ins Gastzimmer. Befremdet blieb ich stehen; mitten im Zimmer lag, mit ausgespreizten Pfoten, ein gestreiftes Kätzchen; vor demselben, auf den Knieen, Sinaïde und richtete vorsichtig das Schnäuzchen des Thieres in die Höhe. Neben der Fürstin wurde ich einen stattlichen, blonden, kraushaarigen Husaren mit rothem Gesichte und hervorstehenden Augen gewahr, der mit feinem Körper fast den ganzen Flächenraum zwischen den beiden Fenstern einnahm.

– O das drollige Thierchen! rief Sinaïde: – und seine Augen sind nicht grau, aber grün, und was für große Ohren! Ich danke Ihnen, Victor Jegoritsch! Das war sehr freundlich von Ihnen.

Der Husar, in welchem ich einen der jungen Leute erkannte, die ich am Abende vorher gesehen hatte, lächelte und verbeugte sich, wobei er die Sporen aneinanderstieß und die Säbelringe klirren ließ.

– Sie beliebten gestern zu äußern, es wäre Ihnen lieb, ein gestreiftes Kätzchen mit großen Ohren zu besitzen . . . da ist es. Ihr Wort ist mir Befehl. Und wiederum verbeugte er sich.

Das Kätzchen miaute leise und schnupperte an der Diele herum.

– Es ist hungrig! rief Sinaïde. – Bonifacius! Sjonja! bringt Milch her.

Das Kammermädchen, in einen alten, gelben Kleide mit eng zugestecktem Tuche um den Hals, trat, eine Untertasse mit Milch in der Hand, herein und stellte sie vor das Kätzchen hin. Das Thierchen zitterte, drückte die Augen zu und begann zu lecken.

– Was für ein rosiges Züngelchen es hat, bemerkte Sinaïde, den Kopf fast bis zum Fußboden geneigt und dem Thiere von der Seite dicht unter die Nase schauend.

Das Kätzchen hatte sich satt getrunken und fing an zu schnurren, indem es graziös die Pfötchen bewegte. Sinaïde erhob sich und sagte, zum Kammermädchen gewendet, in gleichgültigem Tone: trage es fort.

– Für das Kätzchen – das Händchen! sagte mit selbstgefälligem Lächeln der Husar, seinen mächtigen, fest in der Uniform eingeschnürten Oberkörper streckend.

– Beide, erwiderte Sinaïde und streckte ihm ihre Hände entgegen. Während er dieselben küßte, blickte sie mich über die Schultern an.

Ich blieb unbeweglich auf einem Flecke stehen und wußte nicht – ob ich lachen, Etwas sagen, oder in Schweigen verharren sollte. Auf einmal fiel mir, durch die halbgeöffnete Thür, die Gestalt unseres Dieners Fedor in die Augen. Er machte mir ein Zeichen. Mechanisch begab ich mich zu ihm hinaus.

– Was willst Du? fragte ich.

– Die Mama schickt mich nach Ihnen, sagte er flüsternd. Sie ist böse, daß Sie nicht mit der Antwort zurückkehren.

– Bin ich denn so lange hier?

– Ueber eine Stunde!

– Ueber eine Stunde! wiederholte ich unwillkürlich, kehrte in’s Gastzimmer zurück, und begann mich mit Verbeugungen und Kratzfüßen zu empfehlen.

–– Wohin denn? fragte mich die junge Fürstin, hinter dem Husaren hervorblickend.

– Ich muß nach Hause. Ich werde also melden, setzte ich hinzu, mich an die Alte wendend, daß Sie uns um Ein Uhr mit Ihrem Besuche beehren werden.

–– Ja, mein Lieber, sagen Sie das.

Die Fürstin griff hastig nach ihrer Tabaksdose und nahm mit solchem Geräusch eine Prise, daß ich fast zusammenschrak. – Sagen Sie das, wiederholte sie hustend und mit ihren feuchten Augen blinzelnd.

Ich verbeugte mich nochmals, drehte mich um und verließ das Zimmer mit jener Empfindung von Unbehaglichkeit im Rücken, welche sehr junge Leute zu haben pflegen, wenn sie wissen, daß man ihnen mit den Blicken folgt.

– Vergessen Sie nicht, Monsieur Woldemar, uns zu besuchen, rief Sinaïde mir zu und lachte dann wieder auf.

– Warum lacht sie nur beständig? dachte ich, während ich in Begleitung Fedor‘s, der mir schweigend, jedoch mißbilligend folgte, nach Hause zurückkehrte. Meine Mutter schalt mich und konnte nicht begreifen, was ich so lange bei der Fürstin gemacht habe. Ich ließ mich in keine Erörterungen ein, sondern begab mich auf mein Zimmer. Mir wurde auf einmal recht schwer um’s Herz . . . Ich hatte Mühe, meine Thränen zurückzuhalten . . . Ich war eifersüchtig auf den Husaren!

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