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Die Unglückliche

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Die Unglückliche
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»Ja, ja, fing Peter Gawrilowitsch an, das waren schwere Tage und ich möchte sie in der Erinnerung nicht noch einmal durchleben. . . Aber, ich habe Ihnen mein Versprechen gegeben. Ich muß Ihnen Alles erzählen. Hören Sie:

I

Ich lebte damals (im Jahre 1835) in Moskau bei einer Tante, der leiblichen Schwester meiner verstorbenen Mutter. Ich war achtzehn Jahre alt und war eben aus der Moskau’schen Universität aus dem zweiten in den dritten Cursus der Facultät der »Literatur« (so wurde sie damals genannt) übergetreten. Meine Tante war eine stille sanfte Frau und Wittwe. Sie bewohnte auf der Ostoshenka ein großes hölzernes Haus, das so warm war, wie man es, glaube ich, nur in Moskau finden kann, »und hatte fast gar keinen Umgang. Sie saß von Morgen bis zum Abend mit zwei Gesellschafterinnen im Gastzimmer, trank Blumenthee, legte patience aus, und ließ fortwährend räuchern. Die Gesellschafterinnen liefen in das Vorzimmer; einige Minuten darauf brachte ein alter Livreediener im Frack einen messingenen Becken mit einem Büschel Krauseminze auf einem glühend gemachten Ziegelsteine herein, ging damit eiligen Schrittes über die schmalen Teppichstreifen und begoß ihn mit Essig. Weißer Dampf umgab das faltige Gesicht des Alten, er runzelte die Stirn, wendete sich ab und ein Kanarienvogel schmetterte im Speisezimmer, aufgestört durch das Zischen der Räucherung.

Meine Tante liebte mich vater- und mutterlose Waise sehr, und verwöhnte mich. Sie stellte den ganzen Entresol völlig zu meiner Verfügung. Meine Zimmer waren vortrefflich, und gar nicht studentenmäßig eingerichtet; im Schlafzimmer prangten rosenrothe Vorhange und über dem Bette erhoben sich Mousseline-Gardinen mit blauen Rosetten. Diese blauen Rosetten ich gestehe es, brachten mich einigermaßen in Verlegenheit: meinen Begriffen nach mußten dergleichen »Zartheiten« mich in den Augen meiner Kameraden vernichten. Ohnehin nannten sie mich das Stiftsfräulein: ich konnte mich durchaus nicht daran gewöhnen, Tobak zu rauchen. Ich arbeitete – wozu sollte ich die Sünde verhehlen – nur wenig, besonders im Anfang des Cursus; ich fuhr viel aus. Meine Tante hatte mir einen breiten Generalsschlitten mit einer Decke von Bärenfell und einem Paar wohlgenährter Wjatka’scher Pferde geschenkt. »Adelige« Häuser besuchte ich selten, aber im Theater war ich ganz zu Hause, und in den Conditoreien verzehrte ich eine Unmasse von Kuchen. Bei alledem erlaubte ich mir nichts Ungebührliches, und führte mich bescheiden auf »en jeuse homme de bonne maison.« Ich hätte meine gute Tante für Nichts in der Welt betrüben mögen; und zudem floß das Blut ziemlich ruhig in meinen Adern.

II

Von der frühsten Jugend an, faßte ich eine Leidenschaft für das Schachspiel; von der Theorie verstand ich Nichts, aber ich spielte nicht schlecht. In einem Café hatte ich einmal Gelegenheit, Zeuge eines langen Kampfes auf dem Schachbrette zwischen zwei Spielern zu sein, von denen der Eine ein blonder junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mir sehr stark darin zu sein schien. Die Partie endigte zu seinen Gunsten; ich schlug ihm vor, sich mit mir zu schlagen. Er willigte ein – und im Verlaufe von einer Stunde hatte er mich drei Mal nach der Reihe niedergeworfen.

Er bemerkte wahrscheinlich, daß meine Eigenliebe darunter litt, und sagte mit höflicher Stimme:

»Sie haben Anlagen zum Schachspiele – aber Sie kennen die Züge nicht. Sie müssen das Büchlein von Allgäuer oder Petroff lesen.«

»Glauben Sie? Wo könnte ich solch ein Büchelchen bekommen?«

»Kommen Sie zu mir; ich werde es Ihnen geben.«

Er nannte sich, und sagte mir, wo er wohnte. Am folgenden Tage machte ich mich zu ihm auf den Weg, und eine Woche später waren wir fast unzertrennlich von einander.

III

Meine neue Bekanntschaft nannte sich Alexander Daviditsch Fustoff. Er wohnte bei seiner Mutter, einer Staatsräthin und ziemlich wohlhabenden Frau, in einem besonderen Flügel, in vollkommener Freiheit, gerade wie ich bei meiner Taute. Er zählte sich, wie man in Rußland sagt, im Ministerium des Hofes im Dienste. Ich schloß mich ihm aufrichtig an. In meinem Leben war ich noch keinem »sympathischeren« jungen Manne begegnet. Alles an« ihm war freundlich und anziehend: seine schlanke Gestalt, sein Gang, seine Stimme und besonders sein kleines, feines Gesicht mit den goldig blauen Augen, dem kokett modellirten Näschen, dem ungemein freundlichen Lächeln um die rothen Lippen und den leichten lockigen, weichen Haaren über der etwas niedrigen, aber weißen Stirne. Der Charakter Fustoff’s zeichnete sich durch eine außerordentliche Gleichmäßigkeit und durch eine eigenthümlich angenehme zurückhaltende Höflichkeit aus; er war niemals nachdenkend, immer mit Allem zufrieden; eben daher aber versetzte ihn Nichts in Begeisterung. Jedes Uebermaß, selbst in einem guten Gefühle, beleidigte ihn: »Das ist wild, wild,« pflegte er in solch einem Falle zu sagen, ein wenig mit den Achseln zuckend und mit den Augen blinzelnd. Und Fustoff hatte wunderbare Augen! Sie drückten beständig Theilnahme, Wohlwollen, und sogar Zuneigung aus. Im Verlaufe der Zeit erst bemerkte ich, daß der Ausdruck seiner Augen allein von ihrer Bildung herrührte, daß er sich auch dann nicht änderte, wenn er seine Suppe aß, oder seine Cigarre anzündete. Seine Ordnungsliebe war bei uns sprichwörtlich geworden. Es ist wahr, seine Großmutter war eine Deutsche. Die Natur hatte ihm vielseitige Fähigkeiten verliehen: Er tanzte ausgezeichnet, ritt stutzerhaft, schwamm vortrefflich; er machte Tischlerarbeit, drechselte, klebte, band Bücher ein, schnitt Silhouetten aus, malte ein Blumenbouquet in Aquarell oder Napoleon im Profil in blauer Uniform, spielte die Zither mit Gefühl, konnte eine Menge Karten- und andere Kunststücke und besaß ziemlich gute Kenntnisse in der Mechanik, der Physik, der Chemie, – aber Alles mit Maaß. Nur für Sprachen hatte er kein Talent; selbst im Französischen drückte er sich mittelmäßig aus. Er sprach überhaupt wenig und nahm an unserem Studentenverkehr hauptsächlich nur durch die lebhafte Weichheit seines Blickes und seines Lächelns Antheil. Bei dem weiblichen Geschlechte fand Fustoff unbedingten Beifall; aber über diese, für junge Leute äußerst wichtige Frage, breitete er sich ungern aus, und er verdiente vollkommen den, ihm von den Kameraden verliehenen Beinamen eines »bescheidenen Don Ivan.« Ich bewunderte Fustoff nicht; an ihm war Nichts Bewundernswerthes; aber seine Zuneigung war mir werth, obgleich dieselbe sich im Wesentlichen nur darin aussprach, daß er mir zu jeder Zeit Zutritt zu seiner Person gewährte. In meinen Augen war Fustofs der glücklichste Mensch auf der Welt. Sein Leben floß wie geölt dahin. Mutter, Brüder, Schwestern, Tauten, Onkel – Alle beteten ihn an; er lebte mit Allen in ungemein gutem Vernehmen, und genoß den Ruf eines musterhaften Verwandten.

IV

Eines Tages begab ich mich ziemlich früh zu ihm, und fand ihn noch in seinem Cabinette. Er rief mich aus dein Nebenzimmer an, aus welchem ein Schnauben und Plätschern an mein Ohr drang. Fustofs begoß sich jeden Morgen mit kaltem Wasser und machte daraus eine Viertelstunde lang gymnastische Uebungen, in denen er eine große Meisterschaft erlangt hatte. Uebertriebene Sorge für die Gesundheit seines Körpers ließ er nicht zu, allein das Nothwendige vergaß er nicht (»Vergiß Dich selbst nicht, rege Dich nicht auf, arbeite mit Maaß,« war sein Wahlspruch). Fustoff war noch nicht erschienen, als die Thür des Zimmers, in welchem ich mich befand, sich weit öffnete und ein Mann von ungefähr 50 Jahren in einem Uniformfrack hereintrat; er war stark, untersetzt, hatte milchig weiße Augen, ein bräunlich-rothes Gesicht und eine förmliche Mütze von grauem, krausem Haare. Dieser Mensch blieb stehen, sah mich an, riß seinen großen Mund weit auf, brach in ein lautes, metallisches Gelächter aus, und schlug sich mit der flachen Hand hinten auf den Schenkel, wobei er den Fuß hoch in die Höhe warf.

»Ivan Demjanitsch?« fragte mein Freund hinter der Thüre.

»Er ist es selbst,« antwortete der Hereintretende. »Aber was machen Sie denn da? Beendigen Ihre Toilette? Ist Recht! ist Recht! (Die Stimme des Menschen, welcher Ivan Demjanitsch genannt wurde, hatte einen metallischen Klang, wie sein Lachen.) Ich beabsichtigte zu Ihrem Bruder zu gehen und ihm eine Stunde zu geben; aber er hat sich erkältet, niest fortwährend. Er kann sich nicht beschäftigen. Da bin ich denn einstweilen zu Ihnen eingekehrt, um mich zu erwärmen.

Ivan Demjanitsch brach wieder in dasselbe seltsame Lachen aus, klatschte sich wieder laut auf den Schenkel, zog ein quadrirtes Tuch aus der Tasche, schnaubte sich laut, die Augen wild dabei verdrehend und schrie, in das Tuch speiend, aus vollem Halse: Tfu–u–u!

Fustoff trat ins Zimmer und fragte uns Beiden die Hand reichend, ob wir einander kennen?

»Nein, gar nicht,« donnerte Ivan Demjanitsch sogleich hervor, »der Veteran aus dein Jahre 12 hat nicht die Ehre!«

Fustoff nannte mich zuerst und sagte dann auf den »Veteranen aus dem Jahre 12« zeigend:

»Ivan Demjanitsch Ratsch, Lehrer . . . verschiedener Gegenstände.«

»Ja, namentlich, namentlich verschiedener Gegenstände,« unterbrach ihn Herr Ratsch. »Was habe ich, wenn ich darüber nachdenke, nicht schon Alles gelehrt, und was lehre ich nicht Alles noch! Mathematik, Geographie, Statistik, italienische Buchhalterei. Ha – ha – ha – ha! Und Musik! Sie zweifeln mein Herr?« warf er plötzlich dazwischen. Fragen sie Alexander Daviditsch, wie ich mich auf dem Fagott auszeichne? Was wäre ich denn im entgegengesetzten Falle für ein Böme, Czeche, nämlich? Ja, mein Herr, ich bin Czeche, und meine Heimath ist – das alte Prag! Apropos, Alexander Daviditsch, wie kommt es, daß Sie sich so lange nicht gezeigt haben? Wir hätten ein Duo zusammen gespielt . . . Ha – ha! Gewiß!«

 

»Ich bin vorgestern bei Ihnen gewesen, Ivan Demjanitsch,« antwortete Fustoff.

»Das nenne ich eben selten. Ha – ha!«

Wenn Herr Ratsch lachte, so rollten seine Augen seltsam unruhig hin und her.

»Ich sehe, junger Mensch, daß mein Benehmen Sie in Erstaunen setzt,« wandte er sich wieder zu mir. »Das kommt daher, weil Sie mein Temperament noch nicht kennen. Erkundigen Sie sich bei unserm guten Alexander Daviditsch nach mir. Was wird er Ihnen sagen? Er wird sagen, daß der alte Ratsch ein Einfaltspinsel ist, ein Russacke dem Geiste, wenn auch nicht der Abstammung nach, ha – ha! Bei der Taufe erhielt ich den Namen Johann Dietrich und werde gerufen – Ivan Demjanoff! Was mir im Sinn ist, habe ich auf der Zunge; das Herz liegt mir, wie man zu sagen pflegt, auf der flachen Hand; alle diese verschiedenen Ceremonieen kenne ich nicht, und will nichts von ihnen wissen. Gott mir ihnen! Kommen Sie einmal gegen Abend zu mir, und Sie werden selbst sehen. Mein Weib – meine Frau, das heißt, ist auch von den Einfachen; sie wird für uns kochen, und braten . . . ich sage Ihnen! Alexander Daviditsch, spreche ich die Wahrheit?«

»Machen Sie nicht den Stolzen, dem Alten gegenüber, kommen Sie zu mir an,« fuhr Herr Ratsch fort. »Und jetzt . . .« (Er zog eine dicke silberne Uhr aus der Tasche und hielt sie vor sein weit aufgerissenes, rechtes Auge) »ich glaube, ich muß fort. Ein anderer Taugenichts erwartet mich . . . dem lehre ich, weiß der Teufel was . . . Mythologie, bei Gott! Und wie weit der Erbärmliche wohnt! Beim rothen Thor! Gleichviel: werde es zu Fuß ablaufen, zumal ihr Bruder zu pipsen beliebt und den Fünfzehner im Sacke behielt! Ha – ha! Bitte uni Vergebung meine Herren, auf Wiedersehen! Sie aber, junger Herr, sprechen Sie bei mir vor . . . Nun, was denn? . . . Wir müssen jedenfalls ein Duo abspielen!« rief Herr Ratsch aus dem Vorzimmer, indem er geräuschvoll seine Galloschen anzog, und zum letzten Male erschallte sein metallisches Lachen.

V

»Welch ein sonderbarer Mensch?!« wandte ich mich an Fustoff, der schon an seiner Drechselbank beschäftigt war. »Ist er wirklich ein Ausländer? Er spricht das Russische so fließend.«

»Er ist ein Ausländer, aber bereits seit 30 Jahren in Rußland ansässig. Ein russischer Fürst brachte ihn, ich glaube gar schon im Jahre 1802 aus dem Auslande . . . als Secretair . . . wahrscheinlicher jedoch in der Eigenschaft eines Kammerdieners mit. Er drückt sich wirklich sehr kühn auf Russisch aus.«

»So reißend-schnell, mit solchen Kraftausdrücken und unerwarteten Wendungen,« fügte ich hinzu.

»Nun ja. Aber sehr gesucht. Sie sind Alle so, diese verrußten Deutschen.«

»Er ist ja aber Czeche?«

»Ich weiß es nicht; vielleicht. Mit seiner Frau unterhält er sich auf Deutsch.«

»Aber warum ist er mit dem Namen eines Veteranen aus dem Jahre 12 beehrt? Hat er denn im Heere gedient?«

»Im Heere? O nein. Er blieb während des Brandes in Moskau. Und verlor sein Hab und Gut . . . Das ist sein ganzer Dienst.«

»Warum blieb er in Moskau?«

Fustoff hörte nicht auf zu drechseln.

»Gott weiß es! Es geht das Gerücht, daß er einer von unseren Spionen war; aber das wird wohl falsch sein. Daß ihm aber seine Verluste von der Krone ersetzt worden sind, ist richtig.«

»Er trägt einen Uniformsfrack . . . er dient also?«

»Ja. Er ist Lehrer in einem Cadettencorps und ist Hofrath.«

»Wen hat er geheirathet?«

»Eine Deutsche von hier, die Tochter eines Wurstmachers oder eines Fleischers . . .«

»Und Du gehst oft zu ihm?«

»Ja, ich besuche ihn.«

,,Amüsirt man sich bei ihnen?«

»So ziemlich.«

»Hat er Kinder?«

»Ja. Er hat drei Kinder von der Deutschen und einen Sohn und eine Tochter von der ersten Frau.«

»Wie alt ist die älteste Tochter?«

»Sie ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt.«

Es kam mir vor, als wenn sich Fustoff tiefer über seine Drechselbank beugte und als wenn das Rad unter der rythmischen Bewegung eines Fußes sich schneller drehte und lauter schnurrte.

»Ist sie hübsch?«

»Je nach dem. Der Geschmack ist verschieden. Sie hat ein bemerkenswerthes Gesicht; sie ist überhaupt – eine bemerkenswerthe Persönlichkeit.«

Aha! dachte ich. Fustoff arbeitete mit besonderem Eifer fort und beantwortete meine nächste Frage nur mit einem Gebrüll.

Ich muß ihre Bekanntschaft machen, beschloß ich bei mir.

VI

Einige Tage später begab ich mich an einem Abende- mit Fustoff zusammen zu Herrn Ratsch. Er lebte in einem hölzernen Hause mit großem Hofe und Garten, in einem krummen Gäßchen an dem Boulevard von Pretschistensky. Er trat in’s Vorzimmer zu uns hinaus und empfing uns mit dem ihm eigenthümlichen Lärm und prasselnden Gelächter. Er führte uns sogleich in’s Gastzimmer und stellte uns Eleonora Karpowna, seiner Gemahlin, einer wohlbeleibten Dame in einem engen Camelottkleide, vor. Eleonora Karpowna hatte sich wahrscheinlich in ihrer frühsten Jugend durch das ausgezeichnet, was die Franzosen, man weiß nicht weshalb, »die Schönheit des Teufels« nennen, das heißt, durch Frische; als ich sie kennen lernte, erinnerte ihr Anblick unwillkürlich an ein gutes Stück Fleisch, das soeben von dem Fleischer auf einem sauberen, marmornen Tisch ausgestellt worden ist. Nicht ohne Absicht brauchte ich den Ausdruck »sauber«; denn nicht nur die Hausfrau schien ein Muster der Reinlichkeit zu sein, sondern Alles, was sie umgab, Alles im Hause glänzte und glitzerte; Alles war gescheuert, gebügelt, mit Seife gewaschen. Der Samowar auf dem runden Tische brannte wie Feuer; die Vorhänge an den Fenstern und die Servietten krümmten sich förmlich vor Steifigkeit, gleich wie die Kleiderchen und die Chemisetten von Herrn Ratsch’s ebenfalls dasitzenden vier Kindern, robusten, wohlgenährten Stöpseln mit grobgebildeten, festen Gesichtern, Wirbeln an den Schläfen und rothen, stumpfen Fingern; sie sahen der Mutter sehr ähnlich. Sie hatten alle vier etwas plattgedrückte Nasen, große, gedrungene Lippen und hellgraue Augen.

»Und hier ist auch meine Garde,« rief Herr Ratsch, seine schwere Hand der Reihe nach auf die Köpfe seiner Kinder legend. »Kolja, Olja, Saschka, Maschka! Dieser ist acht Jahre, diese sieben; dieser vier und dieser ganze zwei Jahre alt! Ha – ha – ha! Wie Sie zu sehen belieben, verlieren wir keine Zeit. He? Eleonore Karpowna?«

»Sie sagen immer so Etwas . . .« sagte Eleonore Karpowna, und wandte sich ab.

»Und sie hat allen ihren Schreihälsen so russische Namen gegeben!« fuhr Herr Ratsch fort. »Ich fürchte immer, daß sie sie eines schönen Tages griechisch taufen läßt! Bei Gott! Und Sclavin ist sie, – daß mich der Teufel hole – obgleich von germanischem Blute! Eleonore Karpowna sind Sie Slavin?«

Eleonore Karpowna wurde böse.

»Ich bin Hofräthin, das bin ich! Folglich bin ich eine russische Dame, und Alles, was Sie jetzt sagen werden . . .«

»Das heißt, wie sie Rußland liebt – es ist schrecklich!« unterbrach sie Ivan Demjanitsch. »Wie ein Erdbeben! Ha – ha!«

»Nun, und was denn?« fuhr Eleonore Karpowna fort, »freilich liebe ich Rußland, denn wo anders hätte ich einen adeligen Titel erhalten können? Selbst meine Kinder sind ja jetzt Adelige. Kolja! sitze ruhig mit den Füßen!«

Ratsch holte mit der-Hand gegen sie aus.

»Nun, beruhige Dich jetzt, Prinzessin Sumbeko, Du! Und wo ist der »adelige« Fictor? treibt sich wohl wieder irgendwo herum! Er wird noch einmal auf den Inspector stoßen! Der wird ihn schon durchklopfen! Das ist ein Bummler, der Fictor!«

»Dem Fictor kann ich nicht kommandiren, Ivan Demjanitsch. Sie wissen wohl!« murmelte Eleonore Karpowna.

Ich blickte auf Fustoff mit dem Wunsche, endlich von ihm zu erfahren, was ihn dazu bewegen konnte, solche Leute zu besuchen . . . in jenem Augenblicke trat ein junges Mädchen von hohem Wachse, im schwarzen Kleide, ins Zimmer; es war eben jene älteste Tochter des Herrn Ratsch, von welcher Fustoff gesprochen hatte . . . Ich hatte die Ursache der häufigen Besuche meines Freundes begriffen.

VII

Ich erinnere mich, daß Shakespeare irgendwo von einer »weißen Taube in einem Fluge schwarzer Raben« spricht; einen ähnlichen Eindruck machte mir das hereintretende Mädchen: es war zu wenig Gemeinsames zwischen ihr und der sie umgebenden Welt. Alle Glieder der Familie Ratsch sehen selbstzufrieden, gutmüthig und gesund aus; ihr hübsches, aber bereits verblühendes Gesicht, trug den Stempel der Muthlosigskeit, des Stolzes und des Schmerzes an sich. Jene, offenbare Plebejer, hielten sich ungezwungem mag sein roh, aber einfach; in ihrem ganzen, unbedingt arristokatischen Wesen sprach sich Kummer und Unsicherheit aus. In ihrer äußeren Erscheinung selbst war Nichts von einer deutschen Abkunft bemerkbar: sie erinnerte eher an die Bewohner des Südens. Außerordentlich starkes schwarzes Haar ohne jeden Glanz, schwarze, ebenfalls glanzlose, aber schöne Augen, eine niedrige, gewölbte Stirn, eine Adlernase, grünliche Blässe der glatten Haut, ein gewisser tragischer Zug um die feinen Lippen und die leicht Vertieften Wangen, etwas Scharfes und doch auch wieder Hilfloses in den Bewegungen, Schönheit ohne Grazie . . . in Italien wäre mir das Alles nicht ungewöhnlich erschienen; aber in Moskau, am Putschistenkischen Bouleoard, da setzte es mich völlig in Erstaunen! Ich erhob mich bei ihrem Eintritt vom Stuhle: sie warf einen schnellen, unsicheren Blick auf mich, und setzte sich, ihre schwarzen Wimpern senkend, zum Fenster »wie Tatjana«. (Pushkin’s »Onegin« war damals frisch in unser Aller Gedächtniß). Ich blickte auf Fustoff, allein mein Freund stand mit dem Rücken zu mir, und empfing eben eine Tasse Thee aus Eleonore Karpowna’s weichen Händen. Ich bemerkte ferner, daß das eingetretene junge Mädchen eine leichte Welle physischer Kälte mitgebracht hatte . . . »Welch eine Statue!« dachte ich bei mir.

VIII

»Peter Gavrilitsch!« donnerte Herr Ratsch, sich zu mir wendend, »erlauben Sie mir, Sie mit meiner . . . mit meinem . . . meinem Nr. 1 bekannt zu machen. Ha – ha – ha! Susanna Ivanowna.«

Ich verbeugte mich stumm und dachte sogleich: »Also paßt auch ihr Name nicht zu allem Uebrigen,« Susanne aber erhob sich ein wenig, ohne zu lächeln oder ihre fest zusammengepreßten Hände zu trennen.

»Und wie steht es mit unserem Duo?« fuhr Ivan Demjanitsch fort. »Alexander Daviditsch? Eh, Wohlthäter? Ihre Cither ist bei uns geblieben und mein Fagott habe ich schon aus dem Futteral gezogen. Lassen Sie uns die Ohren der ehrbaren Gesellschaft ergötzen! (Herr Ratsch liebte es, seine russische Rede mit ungewöhnlichen Ausdrücken zu spicken: es entrissen sich ihm fortwährend Ausdrücke, gleich denen, welche die ultra-volksthümlichen Poesien des Fürsten Wjasemsky schmücken.) »Also? Kommt er?« rief Ivan Demjanitsch, als er sah, daß Fustoff nichts erwiederte. »Kolka, marsch in das Cabinet, trage die Notenpulte herbei! Olga, schleppe die Cither her! Und Du, meine Rechtgläubige, geruhe Lichte für die Notenpulte zu genehmigen! (Herr Ratsch drehte sich wie ein Kreisel im Zimmer umher.) Lieben Sie die Musik, Peter Gavrilitsch? Wie? Wenn nicht, so machen Sie Conversatiom aber: Pst! unter der Sordine! Ha – -ha – ha! Wo mag doch dieser Narr von Fictor hingekommen sein! Könnte doch auch zuhören! Sie haben ihn sehr verwöhnt, Eleonore Karpowna.«

Eleonore Karpowna brauste auf.

»Aber was kann ich denn, Ivan Demjanitsch . . .«

»Nun, gut, gut, lasse mich zufrieden! Bleibe ruhig, hast verstanden? Alexander Daviditsch, wenn’s gefällig ist?«

Die Kinder führten den Befehl des Vaters augenblicklich aus, die Notenpulte wurden aufgestellt und die Musik begann. Ich habe schon gesagt, daß Fustoff ausgezeichnet die Cither spielte, allein dieses Instrument macht immer den allerbedrückendsten Eindruck auf mich. Mir war immer, und ist bis jetzt, als wenn die Seele eines Wucherjuden in der Cither eingeschlossen sei, und als wenn diese Seele näselnd wehklagte und weinte über den unbarmherzigen Virtuosen, welcher sie zwingt, Töne herauszugeben Ratsch’s Spiel konnte mir auch kein Vergnügen gewähren, zudem hatte sein plötzlich blau-roth gewordenes Gesicht mit den bösen, weißen, rollenden Augen einen Unglück verheißenden Ausdruck angenommen: es war, als wenn er mit seinem Fagott Jemand ermorden wollte, und im Voraus schon drohte und schimpfte, indem er heisere, erstickte, grobe Töne einzeln herausstieß. Ich näherte mich Susannen, und die erste, augenblickliche Pause wahrnehmend, fragte ich, ob auch sie, gleich ihrem Vater, die Musik liebe?

Sie machte eine Bewegung als hätte ich sie gestoßen und sagte kurz: »Wer?«

»Ihr Vater,« wiederholte ich, »Herr Ratsch.«

»Herr Ratsch ist nicht mein Vater.«

»Nicht Ihr Vater? Vergehen Sie mir . . . So habe ich wohl falsch verstanden . . . Mir scheint aber, Alexander Daviditsch . . .«

 

Susanne sah mich scheu und unverwandt an.

»Sie haben Herrn Fustoff nicht verstanden, Herr Ratsch ist mein Stiefvater.«

Ich schwieg.

»Und Sie lieben die Musik nicht?« fing ich wieder an.

Susanne sah mich wieder seltsam an. In ihrem Blicke war entschieden etwas Menschenscheues. Sie erwartete und wünschte die Fortsetzung unseres Gespräches offenbar nicht.

»Das habe ich Ihnen nicht gesagt,« brachte sie langsam hervor.

»Tru—tu–tu–tu–u—u . . .« ertönte plötzlich das Fagott mit einer wahren Wuth, die Schlußpassage ausführend. Ich wandte mich um, und sah den rothen, aufgeblasenen Hals Herrn Ratsch’s unter seinen abstehenden Ohren und er kam mir sehr widerwärtig vor.

»Aber . . . dieses Instrument lieben Sie gewiß nicht,« sagte ich halblaut.

»Nein . . . ich liebe es nicht,« sagte sie, wie wenn sie meine versteckte Hindeutung verstanden hätte.

Also! dachte ich, und mir war, als wenn ich mich über Etwas freute.

»Susanna Ivanowna,« sagte hierauf Eleonore Karpowna in ihrer russisch-deutschen Sprache, »liebt die Musik sehr und spielt selbst vortrefflich das Klavier, sie will aber niemals spielen, wenn man sie sehr darum bittet.«

Susanne antwortete Nichts – sie sah Elennora Karpowna nicht einmal an, und wandte nur leicht unter den gesenkten Lidern die Augen nach ihrer Seite hin. Aus dieser Bewegung, der Bewegung ihrer Pupille allein, konnte ich entnehmen, weiche Gefühle Susanne für die Frau ihres Stiefvaters hegte, und ich freute mich wieder.

Unterdessen war das Duo beendigt. Fustoff stand auf, näherte sich unsicheren Schrittes dem Fenster, an welchem ich mit Susanne saß, und fragte sie, ob sie von Lenhold die Noten erhalten habe, die er ihr aus Petersburg zu verschreiben versprochen hatte.

»Ein Potpourri aus »Robert dem Teufel« fügte er hinzu, sich zu mir wendend, »jener neuen Oper, über die jetzt so viel geschrieben wird.«

»Nein, ich habe sie nicht erhalten,« antwortete Susanne und, das Gesicht zum Fenster wendend, flüsterte sie hastig: »Ich bitte, Alexander Daviditsch, – ich bitte sehr, veranlassen Sie mich heute nicht zu spielen; ich bin gar nicht dazu aufgelegt.«

»Was? Robert der Teufel von Meierbeer!« rief Ivan Demjanitsch, zu uns herantretend, aus, »ich wette, daß das Ding ausgezeichnet ist! Er ist ein Jude, und alle Juden, so wie auch alle Czechen sind ausgezeichnete Musikanten! Besonders die Juden! Nicht wahr, Susanne Ivanowna? Wie? Ha – ha – ha – ha!«

Die letzten Worte Herrn Ratsch’s und sein – Lachen selbst enthielt diesmal mehr als seinen gewöhnlichen Scherz – sie enthielten die Absicht, zu verletzen. So kam es mir wenigstens vor, und so verstand sie auch Susanne. Sie erbebte unwillkürlich, erröthete, und biß sich in die Unterlippe. Ein heller Punkt, dem Glanze einer Thräne ähnlich, blitzte an ihrer Wimper; sich rasch erhebend ging sie aus dem Zimmer.

»Wohin, Susanne Ivanowna?« rief Herr Ratsch ihr nach.

»Lassen Sie sie zufrieden, Ivan Demjanitsch,« mischte sich Eleonore Karpowna hinein. »Wenn sie so Etwas im Kopfe hat . . .«

»Eine nervöse Natur,« sagte Ratsch, sich auf dem Absatze herumdrehend,und versetzte sich einen Schlag auf den Schenkel; – plexus solaris leidet. »Ah, sehen Sie mich nicht so an, Peter Gavrilitsch! Ich habe mich auch mit Anatomie beschäftigt, ha – ha! Ich verstehe mich auch auf die Heilkunst! Fragen Sie Eleonore Karpowna hier ich behandle sie in allen ihren Krankheiten! Solche Mittel habe ich!«

»Sie müssen immer Scherze machen, Ivan Demjanitsch,« sagte diese unwillig, während Fustoff lächelnd und sich beifällig schaukelnd die beiden Ehegatten betrachtete.

»Und warum denn nicht scherzen, mein Mütterchen!« nahm Ivan Demjanitsch das Wort.

»Das Leben ist uns zum Nutzen und noch mehr zur Zierde verliehen, wie ein bekannter Dichter sagt. Kolka! wische Deine Nase ab! Stachelschwein!l«

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