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Tagebuch eines Überflüssigen

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24. März. – Heftiger Frost.

Schon am ersten Tage meiner Ankunft in O . . . nöthigten mich die oben angedeuteten Dienstangelegenheiten, einen gewissen Herrn Oschogin, Kirillo Matweijewitsch, einen der ansehnlichsten Beamten des Kreises, aufzusuchen. Seine Bekanntschaft machte ich, oder, wie man sich auszudrücken beliebt, in intimere Beziehung zu ihm trat ich jedoch erst zwei Wochen später. Sein Haus lag auf der Hauptstraße und zeichnete sich vor allen andern durch seine Größe, das gefärbte Dach und durch zwei Löwen am Thore aus – von derjenigen Art von Löwen, die eine ungewöhnliche Aehnlichkeit mit den mißgestalteten Hundefiguren der Moskauer Gegend haben. Schon diese Löwen ließen mich vermuthen, daß Oschogin nicht unbemittelt sei. Und in der That besaß er auch gegen 400 Bauern. Er pflegte bei sich die gewählteste Gesellschaft der Stadt O . . . zu empfangen , und galt für einen gastfreundlichen Mann. So besuchte ihn der Polizeidirektor des Kreises, der in einem breiten rostfarbenen Zweigespann vorzufahren pflegte – ein ungewöhnlich massiver Mann, wie ans veraltetem Material gebaut. Ferner waren dort gewöhnliche Gäste der Kreisanwalt, ein gelbliches bösartiges Geschöpf; der Feldmesser, ein Mischling von deutscher Abstammung, mit tatarischem Gesicht; ein Offizier aus dem Ressort für Wegebauten, eine zarte Seele, Sänger und gleichzeitig Intriguant; ein emeritirter Kreis-Adelsmarschall, ein Herr mit gefärbtem Haar, plissirtem Chemisett und fest anliegenden Beinkleidern, der jene Art von Würde zur Schau trug, in welche sich Leute einzuhüllen pflegen, die einmal mit dem Kriminalgericht zu thun gehabt haben. Eis verkehrten bei Oschogin schließlich noch zwei Gutsbesitzer, unzertrennliche Freunde – beide nicht mehr jung, ja sogar schon abgelebt – von welchen der Jüngere dem Aelteren beständig den Mund verstopfte, indem er ihm vorwarf: »Aber entschuldigen Sie, Sergei Sergeitsch, wo wollen Sie denn hin?« Sie schreiben ja »Pfropfen« mit »B.« Ja, meine Herren, fuhr er gewöhnlich, sich an die Anwesenden wendend, mit der vollen Ueberzeugung von seinem guten Rechte fort. »Sergei Sergeitsch schreibt nicht Pfropfen«, sondern »Bfropfen«. Und alle Anwesenden lachten bei diesem Spaße, obwohl sich aller Wahrscheinlichkeit nach kein Einziger unter ihnen in der Rechtschreibkunst auszeichnete. Der arme Sergei Sergeitsch Pflegle dann zu verstummen, und mit einem anmuthiges Lächeln den Kopf hängen zu lassen. – Aber ich vergesse, daß meine Zeit knapp zugemessen ist und lasse mich zu viel in detaillierte Schilderungen ein. Somit also – ohne weitere Abschweifungen, Oschogin war verheirathet, er besaß eine Tochter, Elisaweta Kirillowna, und in diese Tochter verliebte ich mich.

Oschogin selbst war ein Mann von gewöhnlichem Schlage – weder besondere schlecht, noch besonders gut. Seine Frau hatte das Aussehen eines gealterten Küchleins. Dafür aber hatte die Tochter mit den Eltern Nichts gemein. Sie war hübsch und trotz ihrer Lebhaftigkeit von sanfter Natur. Ihre hellgrauen Augen schauten gutmüthig und grade aus den kindlich aufgeschlagenen Lidern hervor. Sie pflegte fast immer zu lächeln und ließ auch oft laut lachend den angenehmen Klang ihrer Stimme hören. Dabei bewegte sie sich frei, rasch – und erröthete anmuthig.

Ihr Anzug war nicht besonders elegant; einfache Kleider standen ihr besonders gut. – Ich knüpfte niemals leicht Bekanntschaft an, und wenn ich mich Jemand gegenüber gleich vom ersten Male ab leicht und wohl fühlte – was sich übrigens fast nie ereignete – so hatte die neue Bekanntschaft einen sehr günstigen Eindruck auf mich gemacht. In Gesellschaft von Damen konnte ich mich überdies gar nicht benehmen und pflegte in ihrer Gegenwart entweder mürrisch zu werden und ein grimmiges Aussehen anzunehmen, oder aber in der allerdümmsten Weise die Zähne zu zeigen und aus Verlegenheit die Zunge im Mund hin und her zu bewegen. Bei Elisaweta Kirillowna dagegen fühlte ich mich vom ersten Augenblicke an heimisch. Unser erstes Zusammentreffen fand in folgender Weise statt. Ich komme an einem Vormittage zu Oschogin und frage: »zu Hause?« man antwortete: »zu Hause! Ist mit seiner Toilette beschäftigt. Werden gebeten in den Saal einzutreten.« Ich trete in den Saal, sehe mich um – da steht am Fenster, mir den Rücken zuwendend, ein Mädchen in einem heilen Kleide und hält in der Hand einen Käfig. Ich empfand, wie gewöhnlich, eine Bangigkeit. Indessen, ich faßte mich und kündigte mich aus Höflichkeit durch ein leises Husten an. Das Mädchen wendet sich rasch um, so rasch, daß die Locken ihr grade auf das Gesicht schlagen – erblickt mich, macht eine Verbeugung und weist lächelnd auf ein Kästchen, das bis zur Hälfte mit Körnern angefüllt war. »Sie erlauben?« – Wie üblich in solchen Fällen beugte ich den Kopf, bog gleichzeitig rasch das Knie nach vorwärts und zog es wieder zurück (als wenn mich Jemand in die Kniekehle gestoßen hätte) – was, wie bekannt als Zeichen einer guten Erziehung und angenehmen Ungezwungenheit im Benehmen gilt; – dann lächelte ich, hob die Hand und machte zweimal mit ihr eine zarte vorsichtige Bewegung in der Luft. Das Mädchen wendete sich bald von mit ab, zog aus dem Käfig ein Brettchen hervor und sagte plötzlich, ihre Stellung nicht verändernd: »Dieser Blutfink gehört Papa . . . Haben Sie diese Thierchen auch gern?« – »Ich ziehe den Zeisig vor« – antwortete ich, nicht ohne eine gewisse Ueberwindung. – »Ah! So! . . . Ich liebe auch die Zeisige. Aber sehen Sie ihn mit an – wie schön ist er doch! Sehen Sie nur – er schreckt nicht zurück.« (Es wunderte mich, daß ich selbst nicht zurückschreckte.) »Treten Sie doch näher! Er heißt Popka.« Ich trat hinzu und beugte mich gegen den Käfig hin. »Nicht wahr, ein liebliches Ding?« Mit diesen Worten wendete sie mir ihr Gesicht zu und wir standen so nahe nebeneinander, daß sie ihren Kopf ein wenig zurückwenden mußte, um mich mit ihren hellen Aeuglein anzusehen. Ich betrachtete sie: ihr junges rosiges Gesicht lächelte mit einer solchen Freundlichkeit, daß auch ich lächelte und vor Freude schier laut auslachte. Da öffnete sich die Thür: Herr Oschogin trat ein. Ich ging auf ihn zu, sprach ihn ungezwungen an, blieb – ich weiß selbst nicht wie das geschah, zu Mittag zurück, verbrachte dort endlich den ganzen Abend – und am andern Tage beim Abnehmen des Ueberrockes, begrüßte mich der Diener Oschogins, ein langer und halbblinder Kerl, wie einen Freund des Hauses.

Eine Stätte zu finden, mir wenigstens für kurze Zeit ein Nest zu bauen, die Freuden der alltäglichen Beziehungen und Gewohnheiten zu erkennen: dieses Glück war mir – einem Ueberflüssigen, aller Familienliebe baren Mann – bisher nicht zu Theil geworden. Wenn ich mich auch nur annähernd mit einer Blume vergleichen dürfte, und wenn dieser Vergleich nicht gar so trivial wäre, so hätte ich mich entschlossen zu sagen, daß ich von diesen Tage an seelisch aufblühte. Alles in mir und nun mich herum sah auf einmal so verändert aus! Mein ganzes Leben leuchtete in Liebe auf – ja, mein ganzes Leben, bis auf die kleinsten Kleinigkeiten, gleich einem einsamen, dunkeln Zimmer, in welches man ein Licht hineingetragen hat. Ich legte mich zu Bett und stand auf, kleidete mich an, frühstückte, rauchte meine Pfeife – ganz anders wie früher; ich hüpfte sogar im Gange, wahrlich ich that so, als ob meinem Rücken Flügel angewachsen wären. Soviel ich mich erinnern kann, verblieb ich inbetreff des Gefühles, welches Elisaweta Kirillowna in mir wachgerufen hatte, keinen Augenblick im Unklaren. Ich verliebte mich leidenschaftlich in sie vom ersten Tage an und wußte vom ersten Tage an, daß ich verliebt sei. In den nächsten drei Wochen sah ich sie täglich. Diese drei Wochen sind die glücklichsten in meinem Leben gewesen, jedoch ist mir die Erinnerung an sie peinlich. Ich bin nicht imstande, allein an sie zu denken: unwillkürlich tritt vor meine Augen auch das, was ihnen gefolgt, und eine gallige Bitterkeit umlagert mein Herz, das kaum einmal Zeit gehabt hatte aufzugehen und zu erweichen.

Wenn ein Mensch sich wohl fühlt, so arbeitet sein Gehirn, wie bekannt, sehr wenig. Ein ruhiges und freudiges Gefühl, das Gefühl der Befriedigung, durchdringt sein ganzen Wesen; er ist von ihm ganz eingenommen. Das Bewußtsein der Individualität schwindet bei ihm; er ergiebt sich – wie schlecht erzogene Dichter sich ausdrücken – der Glückseligkeit. Ist aber endlich dieser »Zauber« vorüber, so fühlt er sich oftmals gekränkt; er bedauert, daß er sich inmitten des Glückes so wenig beobachtet, daß er durch Nachsinnen, durch Erinnerung seine Glückseligkeit nicht verdoppelte, nicht verlängerte . . . als ob ein »in Glückseligkeit« schweigender Mensch dazu Zeit hätte, und als ob es der Mühe werth wäre, über seine Gefühle nachzusinnen! Ein glücklicher Mensch ist gleich einer Fliege in der Sonne. Deshalb ist es mir auch, wenn ich über diese drei Wochen nachdenke, fast unmöglich, einen genauen, bestimmten Eindruck in mir wach zu rufen, um so mehr, da während dieser Zeit zwischen uns nichts besonders Bemerkenswerthes vorgefallen ist . . . Diese zwanzig Tage sind für mich eine Heimath von Wärme, von Jugend und Duft, sie erscheinen wie ein heller Streifen auf meinem düstern und grauen Lebenspfade . . . Unerbitterlich klar und deutlich wird auf einmal mein Gedächtniß von dem Augenblicke ab, da über mich – um die Worte desselben schlechterzogenen Poeten zu gebrauchen – die Schläge des Schicksals hereinbrachen.

Ja, diese drei Wochen . . . Uebrigens, ich könnte nicht sagen, daß sie in mir keine Gestalt zurückgelassen haben. Manchmal, wenn es mir geschieht, daß ich lange über diese Zeit nachdenke, schwebt diese und jene Erinnerung aus dem Dunkel der Vergangenheit hervor, grade so wie die Sterne am Abendhimmel unerwartet dem aufmerksam auf denselben gerichteten Auge entgegenblitzen. Besonders blieb mir ein Spaziergang in einem Haine außerhalb der Stadt im Gedächtnis. Es waren unser vier Personen; Frau Oschogin, Lisa, ich und ein gewisser Bismenkoff, ein untergeordneter Beamter der Stadt O . . ., ein blondhaariges, gutmüthiges und bescheidenes Geschöpf. Oschogin selbst blieb zu Hause zurück. Er hatte durch anhaltenden Schlaf Kopfschmerzen bekommen. – Es war ein herrlicher Tag, warm und still. Ich muß bemerken, daß ein Besuchen von Vergnügungsgärten und öffentlichen Anlagen nicht im Charakter der Russen liegt. In den sogenannten öffentlichen Gärten der Gouvernementsstädte werden Sie zu keiner Jahreszeit eine lebendige Seele antreffen, wenn nicht etwa ein altes Mütterchen, das sich auf eine grüne, von der Sonne durchglühte Bank in der Nähe eines großen Baumes ächzend niedergelassen – und das nur in dem Falle, wenn sich ihr in der Umgebung, vor der Thür irgend eines Hauses, kein abgesessenes Bänkchen zeigen wollte. Wenn aber in naher Entfernung von der Stadt ein armseliger Birkenhain vorhanden ist, so fahren Leute vorn Kaufmannsstande, manchmal auch Beamte gewöhnlich an Sonn- und Feiertagen mit Samowar, Kuchen und Melonen hinaus, pflanzen diesen Segen von Delicatessen dicht am Spazierwege auf dem staubigen Grase aus und setzen sich herum, zu essen und im Schweiße ihren Angesichtes Thee zu trinken – bis tief in den Abend hinein. Grade solch ein Hain existirte damals zwei Weist von O . . . entfernt. Wir kamen dort des Nachmittags an, nahmen, wie üblich, unseren Thee ein und machten uns dann alle vier auf, um im Haine ein wenig umherzuschlendern. Bismenkoff reichte seinen Arm Frau Oschogin, ich bot den meinigen Lisa an. Der Tag neigte sich schon seinem Ende zu. Ich befand mich damals in der größten Gluth der ersten Liebe (es waren kaum zwei Wochen seit unserer Bekanntschaft verstrichen), in jenem Zustande der leidenschaftlichen und fürsorgenden Anbetung, in welchem unsere ganze Seele unschuldig und unwillkürlich jede Bewegung des geliebten Wesens verfolgt, in welchem man von der Gegenwart derselben nicht satt wird, sich an dessen Stimme nicht satt hören kann – wo man lächelt und wie ein genesenes Kind aussieht, während ein einigermaßen erfahrener Mensch in einer Entfernung von hundert Schritten schon beim ersten Anblicke erkennen muß, was in solchen Seelen vorgeht. Bis zu diesem Tage hatte sich mir die Gelegenheit noch nicht geboten, Lisa am Arme zu halten. Wir schritten langsam nebeneinander über das grüne Gras dahin. Ein leiser Wind spielte um uns herum in den weißen Birkenästen und warf mir von Zeit zu Zeit das flatternde Band, das ihren Hut umwand, ins Gesicht. Ich verfolgte unaufhörlich ihren Blick, bis sie jedesmal munter nach mir aufschaute; und wir lächelten dann Eines dem Andern zu. Die Vögel zwitscherten über uns, der blaue Himmel schien anmuthig durch das dünne Laub. Der Kopf schwindelte mir vom Uebermaß der Wonne. Ich beeile mich zu bemerken – Lisa war nicht im Geringsten in mich verliebt. Ich gefiel ihr; sie war überhaupt nicht menschenscheu, aber nicht mir war es beschieden, ihre kindliche Ruhe aufzustören. – Sie schritt an meiner Seite wie neben einem Bruder hin. Sie war damals siebzehn Jahre alt . . . Und dennoch schon an diesem Abende und in meiner Gegenwart sollte sich in ihr jene geheime stille Wandelung vollziehen, welche den Uebergang vom Mädchen zum Weibe bedeutet. Ich war Zeuge dieser Umwandelung ihres ganzen Wesens, dieser unschuldigen Befangenheit, dieser fieberhaften Nachdenklichkeit, ich war der Erste, der diese plötzliche Weichheit des Blickes, diese klingende Unsicherheit der Stimme auffing – und, o ich dummer Mensch! o ich überflüssiger Mensch! – während einer vollen Woche schämte ich mich nicht zu vermuthen, daß ich, ich allein die Ursache dieser Veränderung sei.

 

Es geschah folgendermaßen.

Wir spazierten ziemlich lange, die spät in den Abend hinein und sprachen wenig. Ich schwieg wie alle unerfahrenen Liebhaber, und sie hatte mir wahrscheinlich Nichts zu sagen. Aber sie schien über Etwas nachzudenken und schüttelte auf ganz besondere Weise den Kopf, indem sie, in Gedanken vertieft, an einem abgerissenen Blatt kaute. Manchmal schickte sie sich mit einer wunderlichen Entschlossenheit an vorauszugehen – und dann wieder hielt sie plötzlich inne, wartete auf mich und sah sich mit großen Augen und einem zerstreuten Lächeln rings um. Den Tag zuvor hatten wir den »Gefangenen vorn Kaukasus«3 gelesen. Mit welcher Begierde halte sie mir zugehört, das Gesicht auf beide Hände gestützt und die Brust an den Tisch gepreßt! Ich erwähnte unserer gestrigen Lektüre: sie erröthete, fragte, ab ich vor unserer Abfahrt dem Vogel Leinsamen gegeben habe, stimmte laut ein Lied an, und verstummte dann plötzlich wieder. Der Hain endigte auf der einen Seite an einem ziemlich hohen und steilen Abhange; unten strömte ein kleiner gewundener Bach, und dahinter dehnten sich, bald wellenförmig hervorragend, bald wie eine Tischdecke in die Fläche ausgebreitet, unendlich weite Wiesen auf unübersehbare Strecken hin, hie und da von Erdklüften durchfurcht. Lisa und ich gelangten zuerst an das Ende des Haines; Bismenkoff war mit der Mutter zurückgeblieben. Wir traten aus den Bäumen, hielten an und mußten beide unwillkürlich einen Augenblick die Augen schließen: grade uns gegenüber, inmitten des durchglühten Nebels, ging groß die purpurfarbene Sonne unter. Die Hälfte des Himmels gerieth allmählich in Brand und färbte sich gluthroth. Die feurigen Strahlen breiteten sich über die Wiesen hin, einen purpurnen Abglanz sogar auf die Schattenseiten der Erdklüfte werfend – sie legten sich wie feuriges Blei über das Bächlein, an den Stellen, wo es sich unter die herabhängenden Gebüsche nicht verbergen konnte, ja es schien, als ob die Strahlen sich an die Brust des Abhanges und des Haines anstemmten. Wir standen da wie übergossen vorn heißen Sonnenscheine. – Ich bin nicht im Stande die leidenschaftgesättigte Feierlichkeit dieses Bildes zu schildern. Man erzählt sich, ein Blinder bildete sich ein, daß ihm die rothe Farbe den Eindruck eines Trompetentones erwecken müßte. Ich weiß nicht inwiefern diese Einbildung haltbar ist, aber es lag in Wirklichkeit etwas Herausforderndes in diesen brennenden Golde der Abendluft, dem Purpurglanze des Himmels und der Erde. Ich schrie auf vor Entzücken und wandte mich sogleich an Lisa, sie schaute grade in die Sonne hinein. Ich erinnere mich noch – das Feuer der Abendröthe spiegelte sich in kleinen, funkelnden Fleckchen in ihren Augen ab. Sie war überwältigt und tief gerührt. Auf meinen Ausruf hatte sie keine Antwort; sie verhallte einige Zeit ohne Bewegung und sah zu Boden. Ich reichte ihr meine Hand; sie wandte sich ab und brach plötzlich in Thränen aus. Ich blickte sie mit einer geheimen, fast freudigen Bangigkeit an . . . Die Stimme Bismenkoffs ließ sich zwei Schritte von uns vernehmen. Lisa trocknete schnell die Thränen ab und schaute mich mit einem unentschlossenen Lächeln an. Die Alte trat aus dem Hain hervor, auf den Arm ihres blondhaarigen Begleiters gelehnt. Beide bewunderten auch ihrerseits das schöne Gemälde. Die Alte befragte Lisa über Etwas und – ich erinnere mich noch – ich erzitterte unwillkürlich, als auf diese Frage die gebrochene Stimme ihrer Tochter gleich einem gesprungenen Glase ertönte. Unterdessen war die Sonne untergegangen, die Abendröte begann zu erlöschen. Wir machten uns auf den Rückweg. Ich reichte wiederum Lisa meinen Arm. Im Hain war es noch hell, und ich konnte deutlich ihre Züge unterscheiden Sie war betäubt und hielt die Augen gesenkt. Die Röthe, die sich über ihr Gesicht ergossen, verschwand nicht: es schien als ob sie noch immer inmitten der Strahlen der untergehenden Sonne stünde . . . Ihre Hand berührte kaum meinen Arm. Ich konnte lange keinen Laut hervorbringen: so stark schlug mein Herz. Durch die Bäume zeigte sich in der Ferne ein Wagen. Der Kutscher fuhr langsam über den lockeren Sand uns entgegen.

– Lisaweta Kirillowna – sagte ich endlich, warum haben Sie geweint?

– Ich weiß nicht – antwortete sie nach einer kleinen Pause und sah mich mit ihren sanften, noch feuchten Augen an. Ihr Blick schien mir verändert – sie schwieg wieder.

– Wie ich sehe, lieben Sie die Natur – fuhr ich fort. Es war gar nicht das, was ich sagen wollte, und auch diese Phrase vermochte meine Zunge kaum zu Ende zu stammeln. Sie nickte mit dem Kopfe. Ich konnte weiter kein Wort hervorbringen . . . ich erwartete Etwas . . . kein Gefängniß – o nein! Ich erwartete einen vertrauensvollen Blick, eine Frage . . . – Lisa aber sah zur Erde und schwieg. Ich wiederholte nochmals halblaut: »warum?« bekam aber keine Antwort Es wurde ihr – ich sah es – fast unheimlich, sie sah fast wie beschämt aus.

Eine Viertelstunde später saßen wir im Wagen und näherten uns der Stadt. Die Pferde liefen fortgesetzt im Trabe; wir jagten vorwärts, inmitten der immer dunkler werdenden feuchten Luft. Ich wurde auf einmal gesprächig und wendete mich unaufhörlich bald an Bismenkoff, bald an Frau Oschogin – ich sah nicht auf Lisa, doch konnte es mir nicht entgehen, daß aus der Ecke des Wagens ihr Blick mehr als einmal auf mir ruhen blieb. Zu Hause wurde sie lebhafter, schlug aber mein Anerbieten, mit ihr zu lesen, aus und begab sich bald zur Ruhe. Ein innerer Vorgang, und zwar derjenige, von welchem ich früher sprach, hatte sich bei ihr vollzogen: sie hörte auf, Kind zu sein und fing an . . . gleich mir . . . Etwas abzuwarten. Lange wartete sie nicht.

Ich aber lehrte an diesem Abends in einer vollkommenen Bezauberung nach Hause zurück. Ein dunkles Gefühl – bald Ahnung, bald Verdacht —, das in mir früher aufgemacht war, jetzt war es verschwunden: die plötzliche Gezwungenheit in dem Benehmen Lisas gegen mich schrieb ich ihrer jungfräulichen Schamhaftigkeit, ihrer Schüchternheit zu . . . hatte ich denn nicht schon tausendmal in vielen Schriften gelesen, wie das erste Erscheinen der Liebe ein Mädchen verwirrt und einschüchtert? Ich fühlte mich überaus glücklich und stellte bereits im Kopfe verschiedene Pläne auf . . . Hätte mir damals Jemand in’s Ohr gesagt: »Du täuschest Dich, mein Werthester! Dir steht etwas ganz Anderes bevor, mein Theuerster! Dir steht bevor, einsam zu sterben, in einem erbärmlichen Häuschen, unter dem unerträglichen Murren eines alten Weibes, welches kaum Deinen Tod abwarten kann, um nachher für einen Spottpreis Deine Stiefel zu verkaufen« . . .

Ja, unwillkürlich sieht man sich veranlaßt, mit einem russischen Philosophen zu sagen: »Wie soll man das wissen, was nicht zu wissen ist?« – Bis morgen.

3Ein Poem von Puschkin.
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