Seewölfe - Piraten der Weltmeere 627

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Из серии: Seewölfe - Piraten der Weltmeere #627
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 627
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-041-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Jan J. Moreno

Nachts spukt der Klopfgeist

Die Nao ist uralt – ein Schiff aus der Vergangenheit?

Heiß brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Der Nordostpassat blähte die Segel und ließ die Schebecke der Seewölfe beachtliche Fahrt laufen.

Kurs Südost zum Süden lag an. Mit geradezu magischer Kraft zog es Philip Hasard Killigrew und seine Arwenacks nach Tortuga, denn viel zu lange waren sie Diegos Kneipe ferngeblieben. Einer meckerte: Old Donegal Daniel O’Flynn.

„Kriegt ihr denn nicht mit, was sich da zusammenbraut?“ schimpfte er. „Diese Ruhe ist alles andere als normal, sie ist geradezu unheimlich. Selbst die Dons trauen sich nicht raus.“

„Vielleicht, weil sie uns fürchten“, sagte Al Conroy grinsend.

„Spotte nur, du wirst schon sehen, wohin das führt.“ Old Donegal erhob die Stimme. „Das Böse ist nahe“, prophezeite er. „Dagegen sind sogar die Culverinen machtlos …“

Die Hauptpersonen des Romans:

Old Donegal O’Flynn – spürt mal wieder mit tödlicher Gewißheit, daß sich über den Arwenacks etwas zusammenbraut.

Diego – der Wirt der „Schildkröte“ auf Tortuga kriegt wieder das Zittern, weil die Seewölfe bei ihm einfallen.

Edwin Carberry – verspeist einen Kaktus und hält ihn für erlesenes Gemüse.

O’Reary – erscheint in einer alten Ritterrüstung und ist Kapitän einer mindestens zweihundert Jahre alten Nao.

Dan O’Flynn – verbringt unfreiwillig eine Nacht auf der Nao und hört dort etwas sehr Erstaunliches.

Philip Hasard Killigrew – hat jede Menge Ärger mit seinem Schwiegervater, nimmt’s aber gelassen hin.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Segel Backbord voraus!“ meldete in dem Moment Dan O’Flynn von der Back.

Sein Vater stampfte mit dem Holzbein auf.

„Na also!“ rief er triumphierend, „ich wußte, daß etwas geschehen würde.“

Niemand hörte ihm zu, weil aller Augen sich auf die östliche Kimm richteten, wo das Graublau des Atlantik mit dem Himmel verschmolz.

Hasard enterte zum Halbdeck auf.

„Kannst du Einzelheiten erkennen?“ fragte er.

„Ein Dreimaster, wahrscheinlich eine spanische Galeone“, erwiderte Dan O’Flynn und reichte dem Seewolf den Kieker, während er zugleich mit dem ausgestreckten Arm die Richtung wies.

Nicht umsonst wurde von Dan gesagt, er hätte die schärfsten Augen der Crew. Hasard sah gerade einen verschwommenen hellen Fleck. Offenbar segelte das fremde Schiff hart am Wind.

Ben Brighton, der Erste Offizier, trat zu den beiden. Er redete erst, als Hasard ihn auffordernd anblickte.

„Entweder eine fette Beute, ein spanisches Kriegsschiff oder schlicht ein Pirat.“

Der Seewolf nickte kurz.

„Eine Silbergaleone wäre angenehm, ein Kriegsschiff eine Herausforderung und ein Pirat vermutlich ein Reinfall.“ Er gab Dan das Spektiv zurück und forderte Ben Brighton zur Verfolgung auf.

Die Schebecke luvte an, die Segel wurden dichtgeholt. Rasch gewann das schnelle, flachgehende Schiff an Höhe.

„Die Galeone zeigt keine Flagge“, meldete Dan O’Flynn nach einer Weile, als die Rahsegel endlich auch mit bloßem Auge zu sehen waren. „Der Tiefgang ist zu gering für eine Silberladung.“

Unaufhaltsam schob sich die Schebecke näher heran.

„Klarschiff zum Gefecht“, befahl Hasard.

„Sie heißen Flagge!“ rief Dan. Die Entfernung betrug noch wenig mehr als eine Seemeile. Tatsächlich führte die Galeone jetzt das rot-weiß-gelbe Tuch im Topp, das sie als begehrte Beute auswies.

Alle Arwenacks, auch die Freiwache, befanden sich mittlerweile an Deck. Erstaunt registrierten sie, daß die Galeone beidrehte.

„Die halten uns für ihresgleichen“, murmelte Ferris Tucker. „Denen werden die Klüsen schon aufgehen.“

Bei rund fünf Kabellängen Distanz befahl Hasard abzufallen, um längsseits zu gehen. Die Enterhaken lagen bereit.

Darauf schienen die Spanier aber nur gewartet zu haben. Überraschend schnell braßten sie an, gingen wieder an den Wind und versuchten offensichtlich, die bessere Position zu gewinnen, weil sie erkannt hatten, daß ihnen die Schebecke an Schnelligkeit überlegen war.

„Ho“, sagte Edwin Carberry grollend, „diese Rübenschweine haben allen Ernstes vor, sich mit uns anzulegen. Die bohren wir in Grund und Boden.“

„Sir!“ brüllte Dan O’Flynn von der Back. „Am Besan!“

Die vermeintlichen Spanier zeigten die Piratenflagge und endlich auch ihre Absicht. Sie würden mit einer Backbordbreitseite angreifen, halsen und danach die Steuerbordgeschütze sprechen lassen.

„Ruder zwei Strich Steuerbord!“

„Den Kerlen spucken wir gehörig in die Suppe.“ Carberry rieb sich erwartungsvoll die Hände. Er wandte den Blick nicht mehr von der Galeone, die gerade noch drei Kabellängen voraus segelte.

„Al, ohne Befehl feuern!“

Die erste der sechs Backbordculverinen brüllte auf, ihr Rückstoß warf die Lafette schwer in die Brooktaue. Für den Weitschuß hatte der Stückmeister eine erhöhte Ladung gesetzt. Trotzdem vergingen nur wenige Augenblicke, bis der dichte Pulverdampf sich verzogen hatte und erkennbar wurde, daß die Fockrah der Galeone zersplittert im Rack hing.

Während Al Conroy über den Rand der zweiten Culverine hinweg erneut das Ziel anvisierte, hantierten die Zwillinge bereits mit Pütz und Wischer, kühlten das Rohr ab und holten die verbrannten Teile der Kartusche heraus. Paddy Rogers und Mac O’Higgins sorgten zugleich für den Nachschub an Pulver und Munition.

Der nächste Schuß zerspellte das Schanzkleid und überschüttete die Kerle auf der Kuhl der Galeone mit einem Splitterregen. Wuhling entstand. Die Piraten hatten nicht mit einer derart wehrhaften Beute gerechnet, ihnen blieb keine andere Wahl, als ihre Breitseite vorzeitig abzufeuern.

Keins der Geschosse traf. Dwars der Schebecke stiegen lediglich mehrere Fontänen auf. Spritzwasser kam über.

Al Conroy zündete noch zwei mit gehacktem Blei geladene Culverinen, dann wurde die Distanz zu groß. Das Grobschrot zerfetzte das Großsegel der Piraten, die endlich begriffen, daß sie sich das falsche Opfer ausgesucht hatten und nach Steuerbord abfielen.

„Folgen wir den Burschen, Sir?“ fragte Ben Brighton.

Der Seewolf winkte ab.

„Die haben ihr Fett weg. Sie sollen aber erfahren, mit wem sie es zu tun hatten.“

Wenig später wehte an der Besanrute der Schebecke die schwarze Flagge mit den goldenen Säbeln, Zeichen des Bundes der Korsaren.

Nachdem sie während der Nacht die Ostspitze von Inagua gerundet hatten, erreichten die Arwenacks Tortuga in den frühen Morgenstunden. Die riesigen, übereinandergetürmten Felsen entlang der Nordküste der Schildkröten-Insel begrüßten sie schon von weitem mit dem donnernden Tosen der Brandung.

Völlig anders bot sich der Süden der Insel dar. Eine freundliche Bucht bildete den einzigen natürlichen Hafen. Es gab keinen zweiten Zugang ins Landesinnere.

Ein Kanal von nur fünf Seemeilen Breite trennte Tortuga vom Nordwesten Hispaniolas. Der anhaltende Nordostpassat brachte keine Probleme, wie sie bei Wind aus Osten oder Westen zu erwarten waren, wenn große Wassermassen durch die Enge zwischen beiden Inseln gedrückt wurden.

Mit Backstagswind lief die Schebecke ein.

Tortugas Südküste hüllte sich in eine üppig blühende Vegetation, da das vorgelagerte Hispaniola Stürme und Unwetter aus südlichen Richtungen weitgehend abhielt. Gleich hinter dem Hafen stieg das Gelände steil an. Die Häuser – seit dem letzten Besuch der Seewölfe waren es wieder mehr geworden – duckten sich eng an den Berg. Sie bildeten einen angenehmen Kontrast zu den Bananenstauden, den Feigen- und Manschinellenbäumen, die nicht nur die Hänge überzogen, sondern auch auf den natürlich entstandenen terrassenförmigen Abschnitten wucherten.

Die Insel, von den Spaniern einst für zu unbedeutend gehalten, hatte sich im Laufe vieler Jahre zum bedeutenden Umschlagplatz und Treffpunkt all jener entwickelt, die von dem zu leben verstanden, was die Karibik ihnen bot. Die Seeräuberei erwies sich als durchaus einträgliches Geschäft.

Im Augenblick lagen allerdings nur zwei Karavellen, einige Ruderbarken und Schaluppen vor Anker.

„Wir haben wohl alle ein wenig mehr erwartet“, murmelte Big Old Shane, nachdem die Segel geborgen waren. „Besonders viel scheint nicht los zu sein.“

 

„Das läßt sich ändern.“ Edwin Carberry grinste breit. „Frauen gibt es genug an Land, und wenn deren Männer auf See sind – was können wir dafür?“

Kopfschüttelnd deutete Old Donegal Daniel O’Flynn zu den leichtgeschürzten drallen Weibern hinüber, die gaffend an der Pier zusammenliefen.

„Böse Geister lauern auf uns“, sagte er orakelhaft. „Ich spüre es deutlicher als jemals zuvor.“

„Geister?“ Der Profos blickte erst ungläubig drein, begann dann aber dröhnend zu lachen, als er Old Donegals Blickrichtung folgte und feststellte, daß sie sich auf den Strich genau mit seiner deckte. „Mann, Mister O’Flynn, hat dir die Sonne den Verstand durcheinandergebracht? Da warten feine Schnuckelchen auf uns, so hübsch und gesünder, wie du sie selten zu sehen kriegst, und du faselst von körperlosen Gestalten?“

„Soll Dan sich um seinen Alten kümmern“, sagte Roger Brighton. „Wir haben Landgang.“

„Sie sind nahe“, murmelte Old Donegal.

„Falls du die Geister auf der Pier meinst, die hätte ich gerne noch näher bei mir. Kannst du die nicht herbeiwünschen, Mister O’Flynn?“ Gary Andrews Augen funkelten erwartungsvoll.

„Dein Spott wird uns alle umbringen.“ Old Donegal hob beide Hände zum Zeichen gegen den bösen Blick. Das aufbrandende Gelächter störte ihn herzlich wenig.

Im Nu waren sie von den anderen Mannen umringt, die den Grund für die Heiterkeit erfahren wollten.

„Old Donegal sieht mal wieder Geister“, erklärte Shane.

„Überaus gefährliche Blutsauger“, bestätigte Carberry, wobei er unmißverständlich weibliche Formen in die Luft malte.

„Genug gegafft!“ O’Flynn bahnte sich mit Fäusten und Ellenbogen einen Weg bis zu seinem Vater.

„Wenigstens du glaubst mir, mein Junge. So ist es doch, oder?“

Das Gesicht des Alten nahm einen verbissenen Ausdruck an, als Dan schwieg. „Ihr werdet euch gehörig wundern“, fügte er hinzu. „Old Donegal Daniel O’Flynn ist kein alter eigensinniger Mann, wie ihr zu glauben scheint. Ich habe das Zweite Gesicht, und ich verstehe es, meine Visionen zu deuten. Wie war das denn damals, am Berg Ararat, mit dem Stück Kielschwein von der Arche Noah?“

„Das hast du gefunden“, bestätigte Big Old Shane. „Kein anderer hatte so etwas zuwege gebracht.“

„Das will ich meinen.“ Old Donegal kehrte auf dem Absatz um und enterte durchs nächste Luk ab.

Die an Land wartenden Frauen gelangten sehr schnell in feste Hände, und diese Hände verstanden kräftig zuzupacken, wenn es darum ging, unbekanntes Terrain zu erkunden. Lachend und schäkernd zogen die ersten Arwenacks mit Kurs auf Diegos Kneipe davon. Die Mannen, die nach ihnen von Bord gingen, durften sich mit dem Gedanken trösten, daß Diego sicher noch genügend Gespielinnen auftreiben würde.

Der Segelmacher Will Thorne, Bill, Piet Straaten, Sven Nyberg und die beiden O’Flynns blieben auf der Schebecke zurück. Natürlich erhielt die Wache Unterstützung durch Plymmie, der Wolfshündin.

Die Zwillinge nahmen den Acaranga-Papagei Sir John sowie den Schimpansen Arwenack mit an Land, weil die beiden in Diegos Kneipe bestimmt nicht fehl am Platz waren.

„Wir sind die einzigen, die schon vorher einen Affen haben“, sagte Philip junior spöttisch.

Die Kneipe mit dem sinnigen Namen „Zur Schildkröte“ lag hinter den Häusern versteckt. Ursprünglich eine einfache Höhle, war sie im Laufe der Zeit zu einem wahren Labyrinth von Gängen, Nischen und kühlen Gewölben geworden, in denen die Wirkung des Alkohols vergleichsweise harmlos blieb. Mancher Zecher landete erst dann recht unsanft auf seinem Achtersteven, wenn er die umwerfende Wirkung der Außenluft verspürte.

Ein schwer zu beschreibender Dunst, eine Mischung aus vergorenem Wein, abgestandenem Bier, erkaltetem Rauch und ranzigem Fett schlug dem Seewolf und seinen Begleitern entgegen, als sie die Kneipen-Grotte betraten. Irgendwo aus dem Hintergrund erklangen die Stimmen der Mannen, die schon unter vollen Segeln und in Begleitung der aufgetakelten Hafenhuren in das Gewölbe eingelaufen waren.

„Dreckiger Bums hier“, krächzte Sir John und trippelte unruhig auf Hasard juniors Schulter herum. Sein buntes Gefieder aufgeplustert, reckte er stolz den Kopf und spähte in alle Richtungen.

„Halt den Schnabel!“ zischte der junge Killigrew.

Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn der Papagei begann mit den Flügeln zu schlagen und noch lauter zu kreischen: „Ein Bums! Ein Bums!“

Wer jetzt noch nicht geschnallt hatte, daß da neue Zecher einen Platz suchten, der war entweder sturzbesoffen oder längst so im Tran, daß er eine spanische Silbergaleone nicht mehr von einer trächtigen Seekuh hätte unterscheiden können. Eingedenk der Tatsache, daß der Vormittag erst seinem Ende zuging, war die Kneipe erstaunlich gut besucht, was wiederum für die Geschäftstüchtigkeit des Wirtes sprach.

Die Typen, die sich an den vorderen Tischen drängten, gehörten derselben miesen Kategorie an, wie dies schon in früheren Zeiten der Fall gewesen war. Insofern schien sich in der „Schildkröte“ wenig geändert zu haben. Die Galgenvögel, Schnapphähne und Halsabschneider starrten die Arwenacks unverhohlen an. Mancher gierig taxierende Blick wanderte dahin, wo wohlhabende Männer zumeist ihre Geldsäcke zu tragen pflegen.

Sogar der Schimpanse bemerkte die sich aufbauende Spannung. Jedenfalls stimmte er unvermittelt ein lautes Zetern an, fletschte die Zähne und schlug sich mehrmals bezeichnend mit der flachen Hand an die Stirn.

„He, Diego!“ grölte ein breitschultriger, untersetzter Bursche mit Glatze und Augenklappe. „Hast du eine Kneipe oder einen Stall für Viehzeug? Wirf das verlauste Pack raus!“ Mit beiden Händen packte er den vor ihm stehenden mächtigen Humpen, der gut und gern eine Gallone faßte, und trank mit hastigen Schlucken, wobei ein nicht unbeträchtlicher Teil des Gesöffs, was immer es sein mochte, in seinem verfilzten Bartgestrüpp versickerte.

Der Fettwanst hinter dem Tresen hatte nie in Auseinandersetzungen zwischen seinen Gästen eingegriffen und auch nicht vor, jemals Partei zu ergreifen. Noch dazu, wenn Kerls den Eindruck erweckten, als könnten sie für ihre Zeche mit gutem Geld bezahlen.

Diego sah allerdings seine Felle davonschwimmen, als einige der Fremden zögernd unter der Tür verharrten.

„Die ‚Schildkröte‘ ist die gediegenste Taverne weit und breit“, prahlte er. „Nirgendwo werden Sie besser bedient als bei mir.“

„Das Viehzeug stinkt und scheißt auf den Boden“, behauptete der Untersetzte. „Ich kann das Pack nicht ausstehen.“

„Wenn hier jemand stinkt, dann wohl du, Großmaul“, erwiderte einer der Fremden ungerührt.

Der Klang der Stimme versetzte Diego einen Stich. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er zur Tür. Leider stand die Sonne so ungünstig, daß er nur schattenhafte Gesichter erkennen konnte.

„Laß es gut sein, Giovanni“, sagte er schnell. „Ich setze die Männer ins hinterste Gewölbe.“ Seine Aufforderung verhallte ungehört, denn der Bursche war aufgesprungen und stürmte mit gesenktem Schädel zur Tür.

Besonders effektvoll war sein Angriff nicht.

„Affenarsch!“ kreischte Sir John.

Hasard junior mußte zur Seite ausweichen, wollte er nicht mit den Pranken des Italieners unsanft Bekanntschaft schließen. Dem Papagei wurde es auf seiner Schulter zu unruhig. Flügelschlagend versuchte er, einen sicheren Halt zu erreichen, doch er hatte sich mit den Krallen im Hemd verheddert.

„Mann über Bord!“ krächzte er daraufhin. „Beidrehen, du Lahmarsch!“

Natürlich fühlte Giovanni sich angesprochen. Er entsann sich des hinter seinem Gürtel steckenden Dolches, aber er hätte die Klinge besser nicht eingesetzt, denn schon im nächsten Moment fühlte er einen eisernen Griff, der ihm schier den Ellenbogen brach. Sein Versuch, Widerstand zu leisten, blieb vergeblich, die Finger öffneten sich und der Dolch klirrte zu Boden. Ein Fausthieb trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn schlaff zusammensinken.

Die anderen Kerle, die mit ihm am Tisch gesessen hatten, wollten aufspringen und ihre Waffen ziehen, doch Diegos halb überraschter, halb freudiger Ausruf ließ sie innehalten.

„Bei allen Heiligen, das ist der Seewolf, Philip Hasard Killigrew, wie er leibt und lebt.“

Der Wirt hatte es plötzlich eilig, hinter dem Tresen hervorzuwatscheln. Er streckte die glitschige Rechte aus, sah, daß Hasard zögerte und begann, die Finger eifrig an seinem Wams zu säubern. Die Erkenntnis, daß ohne eine Handvoll Sand das Fett sicher nicht verschwinden würde, zwang ihn, sich auf eine einladende Verbeugung zu beschränken.

„Die anderen Männer“, er deutete in den Hintergrund der Kneipe, „gehören ebenfalls zur Crew? Natürlich“, gab er sich selbst zur Antwort, „einige Gesichter erschienen mir von Anfang an bekannt.“

„Rum, Diego!“ bestellte Hasard und schob sich an den Zechern vorbei, die ihre Klingen wieder weggesteckt hatten. Offenbar war ihnen der Seewolf ein Begriff. Sie wären verrückt gewesen, sich mit Killigrew und seinen Mannen einzulassen wie seinerzeit Bombarde und der Marquis.

„Die erste Runde geht auf meine Kosten“, erklärte der Wirt, genau wissend, daß er genug verdienen würde. Giovanni, der sich stöhnend aufrappelte, warf er einen warnenden Blick zu und setzte ihm einen frisch gefüllten Humpen vor. „Wenn du jemals wieder was bei mir trinken willst, halte dich zurück.“

Was den Seewolf betraf, warf er seine Vorsätze gern mal über Bord und ergriff Partei.

Diego schenkte den besten Rum in der Karibik aus, aber auch sein Wein war ausgezeichnet. Daß er Zecher hatte, die beides zu schätzen wußten und mit Lob keineswegs knauserten, ließ ihn sichtlich aufblühen.

„Von dem süffigen Roten habe ich vier Fässer liegen“, erklärte er. „Für besondere Gäste und gute Freunde. Stammt aus Spanien.“

„Aber doch nicht käuflich erworben?“ erwiderte der Profos.

„Wo denkst du hin, Mister Carberry. Der Wein ist ein Geschenk für einen guten Ratschlag.“

Diego war ein ausgekochtes Schlitzohr, ein Geschäftsmann mit Leib und Seele, sonst hätte er sich bestimmt nicht auf Tortuga niedergelassen. Durch seine Hände gingen nicht nur Waren aller Art, er handelte auch mit Nachrichten, die zeitweise so brisant waren, daß oft genug die Frage aufgeworfen wurde, über welche dunklen Kanäle er sein Wissen bezog. Informationen über die großen spanischen Geleitzüge, die im nahen Havanna zusammengestellt wurden, waren dabei mehr als nur Gold wert.

Es gab viel zu reden. Über die alten Zeiten, in denen Caligu sich als Herr aufgespielt und sein verdientes Ende gefunden hatte, über Siri-Tong, die Rote Korsarin, und über die Spanier. Aber nicht alle Arwenacks brachten momentan den Sinn für solche Gespräche auf. Hasard akzeptierte stillschweigend, daß sich einige seiner Mannen mit den Hafendirnen in die kleineren Gewölbe zurückzogen. Hin und wieder ertönte von dort das schrille Lachen einer Frauenstimme.

„Arwenack ist weg“, stellte Philip junior unvermittelt fest. Er hatte den Schimpansen an einem Stuhlbein vertäut und vorübergehend nicht mehr auf ihn aufgepaßt. Nun lag das Kabelgarn mit geöffneten Knoten am Boden.

„Das war ein Zimmermannsstek …“

„Unser Bordviehzeug wird eben immer klüger“, behauptete der Profos. „Ein Wunder ist es nicht.“

Philip junior zog zwar die Brauen hoch, unterließ es aber, den Profos auf den unüberhörbar angeklungenen Vorwurf anzusprechen.

„Ich gehe Arwenack suchen“, sagte er. „Bevor der Bursche uns Ärger einhandelt.“

Hasard junior schloß sich ihm an.

Beide hatten keine Ahnung, wo sie beginnen sollten. Vielleicht hatte der Schimpanse lediglich dem Kneipenmief entfliehen wollen und war zur Schebecke zurück. Von der „Schildkröte“ aus war die Bucht mit dem Hafen aber nur teilweise einzusehen, weil etliche neuerbaute Häuser die Sicht versperrten. Einige der Bauten wirkten protzig und zeugten vom Reichtum ihrer Besitzer. Daß so etwas gerade in dem Piratennest Tortuga eine unverschämte Herausforderung darstellte, mußte den Betreffenden allerdings klar sein.

„Wahrscheinlich haben sie keinen Grund, das Gesindel zu fürchten“, meinte Hasard junior.

„Du glaubst, sie gehören selbst zu den übelsten Halsabschneidern?“

„So ungefähr.“

Eine enge, verwinkelte Gasse öffnete sich vor den Zwillingen. Die Bauten hier gehörten zu den ältesten auf der Insel und wirkten entsprechend windschief. Mit Balken war versucht worden, gefährdete Wände abzustützen. In der Gosse lag genügend Unrat, den erst der nächste heftige Regenguß zum Hafen und ins Meer schwemmen würde. Ein schwerer, fauliger Geruch lag über diesem Teil der Piratensiedlung.

 

Ratten huschten quietschend davon, als die beiden Arwenacks unwillkürlich ihre Schritte beschleunigten. Von irgendwoher erklangen laute Stimmen, Schimpfen und Zetern, danach trat wieder Ruhe ein.

„Irgendwie anheimelnd“, sagte Philip junior ironisch. „Und fast schlimmer als auf See.“

Sie folgten den engen, ausgetretenen Steinstufen, die am Berg entlang zur Hafenregion führten. Leinen waren von Haus zu Haus gespannt, zum Trocknen aufgehängte Wäsche versperrte die Sicht.

„He, ihr beiden!“ erklang ein Ruf. „Seid ihr fremd auf Tortuga?“

In einem ebenerdig gelegenen Fenster lehnte ein junges Mädchen. Die Zwillinge stellten auf Anhieb und übereinstimmend fest, daß sie eine Schönheit war. Weich fließend fiel ihr schwarzes Haar bis auf die Schultern, die braune, samtene Hautfarbe deutete auf indianische Abstammung hin, ebenso die hoch angesetzten Wangenknochen. Nur die Brüste, die sie keck und halb entblößt auf den Sims drückte, verrieten, daß sie kaum älter als fünfzehn sein mochte.

„Ich bin Juanita“, sagte sie, „und ich beiße nicht.“

Philip junior blickte Hasard an, der wiederum ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Eine der Huren war sie nicht, die waren ordinärer. Vielleicht sehnte sie sich einfach nach Abwechslung, was in einem Nest wie diesem mitunter schwer zu bewerkstelligen war.

„Später“, sagte Philip ausweichend.

„Ihr habt es eilig?“ Ein Aufleuchten huschte über das ebenmäßige Gesicht, der Mund öffnete sich verführerisch. „Seid ihr womöglich hinter dem Affenvieh her?“

„Du hast ihn gesehen? Wo ist er hingelaufen?“

Juanita deutete hinter sich.

„Ich habe das Biest eingesperrt. Holt es euch!“

Die Zwillinge wechselten einen kurzen Blick miteinander. In einer Gegend wie dieser konnte sie selbst das verführerischste Weib nicht zur Unvorsicht bewegen. Sie mußten ständig gegenwärtig sein, Schnapphähnen in die Hände zu laufen.

Hasard junior ging allein, während Philip weiterhin die Umgebung im Auge behielt. Sir John begann zu protestieren, als sie einen dunklen Korridor betraten. Aber nichts geschah. Juanita öffnete die Tür zu einem Raum, der sich als Schlafgemach erwies. Mit sanftem Nachdruck zog sie Hasard hinter sich her.

„Wo ist Arwenack?“ fragte er.

Ihre Lippen verschlossen seinen Mund, Hasard spürte das heiße Blut in ihren Adern, als sie sich bebend an ihn drängte.

„Du bist anders als die Kerle, die sich auf Tortuga herumtreiben.“ Juanita ergriff seine Hand und legte sie auf ihre festen, knospenden Brüste. Raschelnd glitt ihr Kleid zu Boden.

Hasards Gedanken überschlugen sich. Was sich hier anbahnte, hatte er nicht gewollt, andererseits brachte er es auch nicht fertig, das halbnackte Mädchen von sich zu stoßen. Ihre Wärme und ihre fordernde Lust verwirrten seine Sinne.

„Klarschiff zum Gefecht!“ krächzte Sir John. „Bereit zum Entern!“ Aber was verstand ein Papagei von den vielfältigen Beziehungen, die sich zwischen den Geschlechtern abspielten!

Juanita kicherte verhalten. Vermutlich war die Aufforderung zum Entern daran schuld.

Hasard junior spürte ihre Hand an seinem Gürtel. Sie zog seine Pistole hervor, warf die Waffe achtlos aufs Bett und löste die Schnalle.

Jäh wurde Hasard in die Wirklichkeit zurückgeholt, die viel kälter und gemeiner war als der Traum, dieses Mädchen zu besitzen.

„Nimm die Pfoten von Juanita, du dreckiger Verführer“, sagte eine rauhe Stimme hinter ihm.

Hasard hielt es für angebracht, dem Befehl Folge zu leisten. Die Geräusche verrieten ihm, daß er es nicht nur mit einem Gegner zu tun hatte.

„Gut so. Und nun dreh dich langsam um.“

Drei verwegen aussehende Kerle standen hinter ihm. Ihre Blicke waren schärfer als Dolche und ihre Gesten eindeutig. Hasard junior verfluchte den Moment, da er der Verlockung erlegen war. Er konnte nicht einmal angreifen, weil der offene Gürtel langsam aber sicher seine Hose rutschen ließ.

„Unsere Schwester ist keine billige Hafenhure, die es mit jedem treibt.“ Der Sprecher der drei massierte seine Finger, daß es vernehmlich knackte. „Für so eine hast du sie doch gehalten, oder?“

Hasard schüttelte den Kopf. Seine Chancen standen nicht besonders gut – die Tür wurde von den drei Kerlen versperrt und das rückwärtige Fenster war mit einem eisernen Gitter gesichert.

Juanita hatte das Kleid aufgerafft und bedeckte damit dürftig ihre Blöße.

„Der letzte Bursche, der auf Juanitas Jungfräulichkeit scharf war, wurde von den Haien gefressen. Was hältst du davon?“

„Wenig“, erwiderte Hasard wahrheitsgemäß.

„Dann willst du sie also heiraten?“

Der junge Killigrew war baff. Er hatte erwartet, daß ihn die Burschen zusammenschlagen und ausplündern würden, aber daß sie vorhatten, ihn in ihre Verwandtschaft aufzunehmen, das war in der Tat eine Überraschung. Juanita himmelte ihn an, ihr Blick versprach alle Sinnlichkeit auf Erden. Aber wer in Gesichtern zu lesen verstand, der entdeckte auch die mühsam verhaltene Gier. Hasard nutzte die Gunst des Augenblicks, um endlich seine Hose hochzuziehen und den Gürtel wieder zu schließen.

„Den Brautpreis kannst du hoffentlich zahlen.“

„Zweihundert Achterstücke für jeden von uns.“

Die Burschen wußten, daß man mit Speck die fettesten Mäuse fing, sie waren also doch nur Beutelschneider und Schnapphähne der billigen Sorte. Der Bedauernswerte, der sich trotzdem für ihre Schwester entschied, würde eines Tages mit einem Messer zwischen den Rippen enden, um für seinen Nachfolger den Platz zu räumen.

„Soviel Geld habe ich nicht“, sagte Hasard entschieden. Er glaubte, einen flüchtigen Schatten hinter seinen Gegnern bemerkt zu haben. Das mußte Philip sein, dem die Zeit draußen zu lang geworden war. Zum Glück hatte das Mädchen noch keinen Ton über seine Anwesenheit verloren.

„Was hast du bei dir?“

„Nur den Papagei.“ Hasard grinste schief. „Aber es gibt jemanden, der für mich zahlen würde.“

„Wer ist das?“

„Ich!“ erklang es aus dem Flur. „Zufrieden?“

Die drei Schnapphähne wirbelten herum. Philip junior setzte dem ersten die Faust mit der Wucht einer Ramme ins Gesicht und verschob dem Kerl die Nase. Ein ersticktes Gurgeln war die Antwort, der Bursche brachte nicht einmal mehr die Arme abwehrend hoch, da fühlte er sich bereits am Kragen und am Gürtel gepackt und querkant gegen seine Brüder geschleudert. Zu allem Überfluß krachte er mit dem Schädel gegen den Türstock, dessen Holz spürbar härter war als sein schon angeschlagener Kopf. Ein ergebenes Seufzen auf den Lippen, strich er die Segel.

Damit waren die Chancen weitaus besser verteilt als zu Anfang.

Philip pickte sich wahllos den nächsten der Halunken heraus, die offensichtlich Zeit brauchten, um zu begreifen, welches Unwetter da über sie hereingebrochen war. Brüllend, beide Hände ineinander verschränkt, wirbelte der Kerl herum. Der Hieb hätte Philip wohl von einer Seite des Raumes zur anderen befördert, hätte er sich nicht blitzschnell geduckt. Dabei rammte er den Kopf in die Magengrube des Gegners und hebelte den Kerl aus. Die Dielen krachten verdächtig, als der Bursche aufschlug.

Hasard junior mußte sich mit dem zufriedengeben, was für ihn übrigblieb, aber das war immerhin derjenige der drei, der so ausgiebig seine Finger massiert hatte, und der als einziger ohne viel Federlesens in Aktion trat. Er war Faustkämpfer. Der erste Hieb traf Hasards Schulter und ließ Sir John erschreckt aufflattern.

„Affenarsch!“ kreischte der Papagei.

Die vorschießende Linke des Gegners blockte Hasard mit dem Unterarm ab und verpaßte ihm seinerseits eine wunderschöne Platzwunde unter dem Auge. Im nächsten Moment umklammerte ihn der Bursche mit aller Kraft und drückte die Fäuste in seine Nieren.

Hasard junior schaffte es nicht, die Umarmung zu sprengen. Selbst als er seine Handballen gegen das Kinn des Gegners stemmte und dessen Kopf langsam nach hinten drückte, löste sich der Griff nur unmerklich. Hasard versuchte, sich fallen zu lassen. Die plötzliche Gewichtsverlagerung irritierte den Kerl.

Da zuckte Hasards Knie hoch und traf. Der Bursche würde künftig zwar nicht gerade mit Fistelstimme reden, aber sein Gesicht erinnerte plötzlich an eine frisch gekalkte Wand. Nach Atem ringend, stürzte er auf das Bett, genau auf die dort liegende Pistole. Irgendwie brachte er das Kunststück zustande, die Waffe auf Hasard zu richten. Aber ein Fußtritt von Philip wirbelte die Pistole davon.

Hasard zerrte den halb Besinnungslosen hoch und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

„Wie ist das?“ wollte er wissen. „Was zahlst du als Entschädigung, wenn ich deine Schwester nicht heirate?“

„Eine Kugel kannst du kriegen!“ fauchte Juanita, die Hasards Pistole an sich gebracht hatte, den Griff mit beiden Händen fest umklammert hielt und, die Arme ausgestreckt, auf ihn zielte. Der Lauf zitterte etwas.

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