Читать книгу: «Klangvolle Stille», страница 3

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Erleichtert atmete ich auf. War es also doch nur die Natur gewesen, die mich bezwungen hatte, und nicht ein böser Geist! Anscheinend wurde ich langsam verrückt – es war an der Zeit, das Hexenweib aufzusuchen!

Gähnend streckte ich meinen Körper, packte die Decke zusammen und schwang mich auf meinen Hengst. Da ich am Tag zuvor eine weite Strecke zurückgelegt hatte, konnte die Stadt nicht mehr fern sein. Ich musste mich beeilen, um noch vor dem Öffnen der Stadttore einzutreffen.

An der Weggabelung traf ich bereits auf die ersten Reisenden, die auf einem Ochsenkarren saßen. Sie hatten Fässer geladen und Säcke mit Korn, doch da die Säcke nicht prall gefüllt waren und die beiden Bauersleute abgemagert wirkten, schloss ich, dass die Ernte auch in diesem Jahr schlecht ausgefallen war.

Die Säcke waren mit der kaiserlichen Krone gekennzeichnet. Vermutlich mussten die Leute das Getreide als Steuer an den Kaiserhof abliefern. Ein jeder wusste, dass diese Abgaben nicht selten selbst wohlhabende Händler zu armen Bettlern machten. Die reichen Kaufleute hingegen schienen einen Weg gefunden zu haben, noch mehr Geld anzuhäufen, und so wurde die Kluft zwischen der armen Bevölkerung und dem reichen Adel zunehmend größer.

Die Steuereinnahmen waren so hoch, dass damit ganze Städte errichtet werden konnten. Manche Reisende berichten von einer prächtigen Stadt nahe dem großen See, die in den letzten Jahren erbaut und erweitert worden war, doch wohin flossen die restlichen Einnahmen?

Nothon schnaubte verächtlich, nachdem er die Witterung weiterer Menschen aufgenommen hatte. Wachsam sah ich die Straße entlang, die eine Biegung durch den Wald machte. Unweit vor uns marschierte eine Gruppe von Menschen im Takt eines Liedes. Die paar Wortfetzen, die ich aufschnappte, handelten von Huren, Kneipen, großen Saufgelagen und dem ewigen Ruhm des Kaisers.

Vorsichtig schob ich mir die Kapuze über den Kopf und verbarg Kinn, Mund und Nase unter einem kleinen Halstuch. Auch wenn es unwahrscheinlich war, dass Soldaten mich so kurz vor ihrer Heimatstadt aufhalten würden, wollte ich es nicht darauf anlegen, erkannt zu werden.

Erkannt zu werden, schoss es mir durch den Kopf. Wie sollten die Menschen mich denn erkennen? Ich war ein Ausgestoßener, ein Einsiedler, der keine Steuern zahlte. Gewiss würde dies ausreichen, um mich in ein Verlies zu sperren, doch dann hätte man mich ja durchfüttern müssen. Stattdessen wurden Männer wie ich zu Krüppeln geschlagen und dann zu den Schweinen in den Stall gesperrt.

Aber warum sollte mir dieses Schicksal drohen? Schließlich könnte ich doch auch ein Reisender sein, jemand, der in der Stadt eine Familie mit gutem Namen aufsuchen möchte. Dennoch konnte ich mich nicht beruhigen. Etwas schien an mir zu nagen, bis es mir plötzlich wieder bewusst wurde, warum mich die Menschen mieden.

Meine Haut war zu dunkel, das Haar zu kurz geschoren und mein Bart gestutzt. Man sah mir also an, dass ich nicht von nördlicher Herkunft war, und die Südländer trugen ihr Haar länger und hatten Vollbärte. Nein, Männer, die gekleidet waren wie ich, waren zweifellos Ausgestoßene oder gar Verbrecher – Mörder und Banditen!

Ich ritt nun näher an die Soldaten heran, den Kopf und die Schultern gesenkt, den Rücken zum Buckel gekrümmt. So sah ich wie ein müder, harmloser Reisender aus.

Als ich an den Männern langsam vorbeiritt, fielen mir die blanken Schilde und glänzenden Rüstungen auf. Selbst ihre Helme, die meist am wenigsten gepflegt wurden, sahen kaum getragen aus. Sogleich wurde mir bewusst, wohin die Steuergelder flossen. Der Kaiser ließ also Rüstungen für seine Truppen anfertigen – und wenn selbst die der einfachen Fußsoldaten so glänzten, wie würden dann erst seine stolzen Reiter ausgestattet sein?

Auch ein Mann mit seinen drei Söhnen war auf der Straße unterwegs. Ihre Kleider waren abgetragen und zerschlissen. Das Haar der Burschen war viel zu lang und verfilzt, sie sahen abgemagert und schwach aus. Sie ließen die Schultern hängen und hielten den Kopf gesenkt. Im barschen Befehlston und mit einem Hieb mit der Rute forderte der Vater die Burschen auf, meinem Pferd Platz zu machen und mir einen Gruß auszusprechen.

Auch wenn ich nirgendwo das Abzeichen des Kaisers auf meinem Gewand trug, so war ich immerhin im Besitz eines Pferdes, und die allgemeine Regel war, den Wohlhabenderen zuerst zu grüßen.

Noch ein Stück weiter wurde ein Karren von einem Lasttier gezogen. Drauf saßen ein Mädchen und eine Frau, wahrscheinlich Mutter und Tochter. Während die Tochter unruhig hin und her wippte, wurde sie ständig von der Mutter belehrt, die ihr das Kleid zurechtzupfte und ihr gutes Benehmen beizubringen versuchte. Ich vermutete, dass das Kind, das kaum mehr als zehn Winter zählen mochte, noch am selbigen Tage verheiratet werden sollte. Es kam oft vor, dass die Bauern, wenn sie in die Städte fuhren, um dort ihre Ware zu verkaufen, jungen Kaufleuten oder Soldaten ihre älteste Tochter – welche so wunderschön sei, dass ein jeder Nachbarssohn sie zum Weib haben wolle – versprachen. Viele Männer willigten in diesen Handel ein, kauften dem Bauern die gesamte Ware ab, luden ihn zum Essen ein und zeigten sich großzügig, um im Gegenzug das junge Mädchen ausgehändigt zu bekommen, das selten so schön war wie versprochen, doch da der Bräutigam am Hochzeitstag meist zu betrunken war, um sich darüber zu beschweren, raubte er seinem jungen Weib die Jungfräulichkeit, um sie dann am nächsten Tage wieder fortzuschicken oder aber als Magd schuften zu lassen.

Als nach einer Wegbiegung endlich die hohen Stadtmauern zu sehen waren, zügelte ich mein Pferd und wurde langsamer. Vor dem großen Tor warteten bereits etliche Wanderer und Händler ungeduldig darauf, eingelassen zu werden. Demnach war ich gerade noch rechtzeitig angekommen, denn im selben Moment erschall von jenseits der Mauern der Klang eines Horns, und auf Befehl eines Wachmanns wurde das breite Holztor aufgezogen und danach die Zugbrücke über den mit fauligem Wasser gefüllten Burggraben herabgelassen.

Die wartende Menschenmenge setzte sich langsam in Bewegung und kramte nach den Kupferstücken, die bei den Wächtern als Zoll abgegeben werden mussten. Ein jeder musste sich mit Papieren ausweisen und den Grund seines Aufenthalts bekannt geben, die Händler mussten sogar den Namen eines Kunden nennen, um so die Konkurrenz fremder Handelsleute zu verhindern.

Als ich schließlich an der Reihe war, holte ich vier Kupferlinge hervor und drückte drei davon heimlich in die Hand des Torwächters. Mit einem Kopfnicken deutete ich ihm, dass mir der Name leider entfallen sei, und als Grund meines Aufenthalts gab ich den Besuch der Bordellstraße an. Der Wächter entblößte grinsend seine fauligen Zähne und ließ mich durch. Wanderern wie mir gewährte man gerne Zutritt. Wir kamen von weit her und hatten die Absicht, unser Geld in den Schenken und Freudenhäusern auszugeben, um tags darauf wieder weiterzuziehen.

Ich bahnte mir den Weg durch die Menschenmenge und zog die Zügel meines Pferdes nach. Nothon schnaubte unruhig und schlug mit dem Kopf nach dem einen oder anderen Passanten, der ihm zu nahe gekommen war.

Die Versuchung, in den Sattel zu steigen, war groß, doch würde ein Reiter – und Südländer obendrein! – zu sehr die Aufmerksamkeit der Wachen und Soldaten erwecken. Also musste ich mich zwischen Körpern hindurchzwängen, deren Ausdünstungen mich teilweise an den Geruch eines Fischmarkts erinnerten.

Hesana war vermutlich eine der schmutzigsten Städte im gesamten Westlichen Reich. Selbst an der Hauptstraße – der Prachtstraße – wirkten die Häuser heruntergekommen, und die einst schön bemalten Fassaden waren durch den Qualm der Kamine mit einer schmutzig-grauen Schicht überzogen. Obwohl die Stadt weder an einem der wichtigen Handelswege lag noch von fruchtbaren Feldern umgeben war, fand man immer Arbeit in der Stadt, da hier ein Großteil der Rüstungen der kaiserlichen Soldaten hergestellt wurde.

Für das Schmieden der Schwerter, Helme, Harnische, Schilde und Messer brauchte es kräftige Männer, die wenig sprachen, nichts von Politik verstanden und nicht über den spärlichen Lohn klagten. Folglich waren viele Bürger Hesanas von zwielichtiger Herkunft. Diebstahl und Überfälle standen an der Tagesordnung.

Ich näherte mich dem Marktplatz, auf dem reges Treiben herrschte. Die Leute riefen sich wüste Beschimpfungen zu, Händler stritten über die Preise, Kinder versuchten bei den Gemüse- und Obstständen Äpfel zu stehlen und Frauen bezirzten ihre Ehegatten, Stoff für neue Kleider zu kaufen.

Ich nahm eine schmale Gasse, die vom Markt weg in einen ruhigeren Teil der Stadt führte. Dort, unweit des Hauptplatzes, gelangte ich schließlich zu einem kleinen Wirtshaus, in dem ich meistens nächtigte, wenn ich Hesana aufsuchte. Diese Herberge war erstaunlich sauber, und außerdem kannte ich den Wirt bereits und wusste, dass er einer von denen war, die keine Fragen stellten, und sofern man ordentlich dafür zahlte, legte er den Wächtern auch gefälschte Papiere über seine Kundschaft vor.

Nachdem ich Nothon an einem der Pfosten vor der Wirtsstube festgebunden hatte, betrat ich den düsteren Raum. In der Ecke lag ein Mann über einen Bierkrug gebeugt, neben ihm schlief ein weiterer Trunkenbold und zu beider Füßen lag ein hässlicher Hund, dem zähflüssiger Sabber aus dem Maul lief.

Am anderen Ende der Stube fegte ein junger Bursche den Boden und stellte die Stühle auf den Tisch. Hinter dem Tresen stand ein breitschultriger Mann mit roter Haarmähne, der gerade damit beschäftigt war, Gläser mit einem Tuch, das von braunen und schwarzen Schleiern durchzogen war, auszuwischen.

»Wir haben noch geschlossen!«, brummte der Rothaarige, ohne dabei die kleine qualmende Pfeife aus seinem Mundwinkel zu nehmen.

»Solange die Bezahlung stimmt, das Bier in den Krug reinkimmt!«, antwortete ich mit verstelltem Akzent.

Der Wirt stellte das Glas weg, nahm die Pfeife aus dem Mund und beugte sich etwas vor, um mich genauer betrachten zu können. »Tim? Bist du es?« Er lachte laut auf und schlug mit der Hand auf den zerkratzten Holztresen. »Tim, mein Freund, was verschlägt dich in diese seelenlose Stadt?« Der Rotbärtige nannte jeden seiner Stammkunden, die sich nicht vorstellten, Tim – vermutlich, weil Tim ein recht häufiger Name in der Stadt war. Da er selbst sich mir auch nie vorgestellt hatte, rief ich ihn der Einfachheit halber Tom.

»Ja, ich bin es.« Mit einem Lächeln trat ich näher an ihn heran.

»Bursche, eile hinaus und führe den schwarzen Hengst in den Stall!«, rief Tom dem Jungen zu, der gerade die Stube ausfegte. »Wieder hier, um ein paar Geschäfte abzuwickeln?« Er holte ein Glas unter dem Tresen hervor und schenkte mir ein, bis das Bier über den Rand schwappte. »Neulich waren wieder ein paar Reisende hier«, begann er mit gedämpfter Stimme zu erzählen. »Sie sprachen davon, dass man erneut einen Stamm der Arasien gefangen genommen habe. Wie es aussieht, versucht der Kaiser die seelenlosen Bestien der Wälder ganz gezielt abzuschlachten.«

»Dann müsste er ja unzählige Menschen hinrichten lassen«, scherzte ich und nahm einen kleinen Schluck von dem Getränk. »Gab es wieder Angriffe von den Arasien?«

»Die kaiserlichen Boten haben das zumindest so verkündet.« Der Wirt beugte sich etwas vor und senkte erneut die Stimme. »Ich weiß eine Arbeit für dich.«

Etwas überrascht hob ich die Augenbrauen. Tom kannte sich gut in der Welt der Verborgenen aus. Er wusste stets, wo es Handwerker, Händler, Kaufleute und Meister gab, die Arbeiter suchten. Sie zahlten zwar schlecht, aber dafür stellten sie keine Fragen. Schon öfter hatte mir der Wirt auf diese Weise die eine oder andere Arbeit vermittelt, und wenn man sich geschickt anstellte, konnte man in wenigen Tagen erstaunlich viel zusammensparen – sofern man bereit war, auch gefährliche und waghalsige Aufträge anzunehmen.

»Ich bin zwar nicht des Geldes wegen hergekommen, doch vielleicht sagt mir die Arbeit ja zu.« Zugegeben, ich verspürte tatsächlich nur wenig Lust, für andere Leute die Drecksarbeit zu erledigen, doch der Wirt hatte – wie schon so viele Male zuvor – meine Neugierde geweckt.

»Ein sehr einflussreicher – und wohlhabender – Mann wünscht, dass eine Hure zum Schweigen gebracht wird.«

»Du weißt, dass ich fürs Morden nicht viel übrig habe.«

Tom zuckte mit den Schultern und fuhr fort, die Gläser auszuwischen. »Keiner hat was von Töten gesagt.«

Ich nahm wieder einen Schluck von dem wässrigen Bier. »Wenn ein Freier sich an einem Weib vergriffen hat oder sich selbst in eine peinliche Situation gebracht hat, so werde ich ihn nicht darin unterstützen, das Weib zum Schweigen zu bringen! Selbst wenn sie eine Hure ist. Was hat die, von der du gesprochen hast, denn angestellt?«

Tom verzog kaum merklich den Mund. »Wer?« Er setzte das Glas ab und sah mich mit verwirrter Miene an. Das mochte ich an ihm: Er war ein Mann, wie es nur sehr wenige gab, einer, der nie mehr als nötig sprach und der ein Geheimnis für sich behalten konnte. Deshalb war auch mindestens die Hälfte seiner Kundschaft Namenlose oder solche, die sich den Namen eines anderen angeeignet hatten. Natürlich wussten auch die kaiserlichen Soldaten davon, doch Tom hatte die seltene Gabe, sich im Falle des Falles überzeugend dumm zu stellen. Zudem zahlte er vermutlich den doppelten Betrag an Steuern, was in Zeiten wie diesen in einer Stadt wie dieser einen jeden Soldaten dazu brachte, nicht zu genau nachzufragen.

»Ist das oberste Zimmer frei?«, fragte ich nach einer Weile.

Der Wirt nickte stumm, warf einen Blick zur Eingangstür und holte einen Schlüssel unter der Schürze hervor. »Du kennst ja den Weg.«

Ich nickte und wollte schon nach dem Schlüssel greifen, als Tom ihn zurückzog. »Erst wird bezahlt!«

»Du alter Blutsauger, als hätte ich dir schon jemals die Miete vorenthalten.«

»Prinzipien sind nun mal Prinzipien.«

Aus dem kleinen Beutel, der unter dem Mantel versteckt an meinem Gürtel hing, fischte ich ein paar Kupferlinge hervor und legte sie auf den Tresen. »Das sollte für zwei Nächte reichen.« Schließlich holte ich zwei weitere Kupferstücke hervor und übergab sie ihm unauffällig, während ich nach dem Schlüssel griff. »Die sind dafür, dass du vergessen hast, dass ich hier bin.«

»Keine Papiere, keine Namen, keine Erinnerungen, kein Verrat.« Tom zwinkerte mir zu und steckte die Münzen ein.

Währenddessen huschte ich bereits über die knarrende Treppe zur Galerie hinauf, von der man in die Stube hinunterblicken konnte.

An ihrem Ende führte eine kleine Treppe in das nächste Stockwerk und dort angekommen musste man mit dem Schlüssel die letzte Tür des langen Gangs aufsperren, um über eine schmale Wendeltreppe noch weiter hinauf zu gelangen.

Jede einzelne, mit dickem Staub bedeckte Stufe knarrte unter meinen Schritten. Modergeruch stieg mir in die Nase, während ich mit ausgestreckten Armen nach der Tür und dem Schloss tastete.

Die Türe glitt mit einem leisen Ächzen auf und ich betrat das düstere Zimmer. Schnell zog ich die Vorhänge auf und öffnete die kleinen Fenster, um Licht und frische Luft in den Raum zu lassen.

Schließlich setzte ich mich mit einem leisen Seufzer auf die Bettkante. Schon mehrere Male hatte ich hier genächtigt – zumeist dann, wenn ich die Soldaten fürchten musste. Tom hatte dieses Zimmer eigens für Gäste meines Standes auf dem flachen Dach des Wirtshauses anbauen lassen. Der Boden bestand aus unbehandelten Holzbrettern, welche direkt auf das alte Dach genagelt worden waren, was den Nachteil hatte, dass es besonders in der kalten Jahreszeit eisig war und man bei starken Regengüssen nasse Füße bekommen konnte. Bestimmt waren so manche Wandteile – hinter großen, schäbigen Bildern verborgen – von Schimmel überzogen, doch das kümmerte mich wenig. Kaum jemand wusste von diesem Raum, und von der Straße aus war er nicht zu sehen, da sich der aufgestockte Teil so weit hinten befand. Wurde man verfolgt, konnte man durch das Fenster über das Dach zum Nebengebäude fliehen.

Es klopfte, und der Bursche, der zuvor die Stube ausgefegt hatte, trat mit meinem Gepäck ein. Schüchtern stellte er die Taschen bei der großen Truhe neben der Tür ab und hielt den Blick gesenkt. »Euer Pferd ist in den Ställen untergebracht. Wenn Ihr zahlt, bekommt es auch Heu«, teilte er mir mit zaghafter Stimme mit.

Ohne ein Wort zu sprechen, drückte ich ihm das Geld in die Hand – mit natürlich einem zusätzlichen Kupferstück, das mir sein Schweigen zusicherte – und scheuchte ihn aus dem Raum.

Ich überprüfte den Inhalt meiner Satteltaschen und verstaute sie zusammen mit den meisten meiner Waffen und dem Rückenschwert in der Truhe, die ich absperrte. Den Schlüssel steckte ich ein und legte mich anschließend samt meiner Kleidung, dem Breitschwert und den Stiefeln ins Bett. Nur den Mantel hatte ich ausgezogen und an den einzigen Haken an der Wand gehängt. Kurz darauf war ich auch schon in einen traumlosen Schlaf gefallen.

2. KAPITEL

Mit einem leisen Gähnen erhob ich mich aus dem Bett. Müde blinzelte ich mir den Schlaf aus den Augen und schlug mir auf die Wangen, um munter zu werden. Es schien noch die Sonne durch das Fenster, weshalb ich annahm, dass ich nicht allzu lange geschlafen haben konnte.

Leise verließ ich das Zimmer und stieg die Stufen hinunter, immer darauf bedacht, keine frischen Abdrücke in der Staubschicht zu hinterlassen.

Anstatt in die Wirtsstube begab ich mich jedoch in den Stall, wo Nothon an einem Pflock festgebunden war und gerade Heu fraß.

Der Hengst wieherte auf und zog an seinen Zügeln. Schnell befreite ich ihn aus dem Zaumzeug und gab ihm eine Möhre zu fressen.

Als ich auf die Straße hinaustrat, war es bereits späterer Nachmittag. Die Leute wirkten allesamt müde und machten in ihren verdreckten Lumpen einen erschreckenden Eindruck. Es dauerte nicht lange, da kam auch schon der erste Mann auf mich zu, ein Krüppel, dem ein Arm wohl als Strafe für Diebstahl abgeschlagen worden war. Mit flehenden Gesten und bettelnden Worten streckte er mir die Hand entgegen und zupfte an meinem Mantel. Das erregte sofort die Aufmerksamkeit weiterer Bettler, die nun herbeihumpelten, in der Hoffnung, von einem Fremden eine mildtätige Gabe zu erhaschen, doch ich schüttelte nur den Kopf und eilte mit schnellen Schritten davon.

Zwar war ich wohlhabender als die meisten Menschen, die in diesem Teil der Stadt wohnten, doch war ich der festen Überzeugung, dass ein jeder Mann, der kräftig genug war, in einer Stadt wie dieser Arbeit bekommen könne. Kein Mensch arbeitet gerne in einer Gerberei oder mühte sich bei den Webern ab, wo man Stoffe in kaltem, schmutzigem Wasser walken musste, doch statt zu betteln würde ich lieber bis zum Umfallen schuften, zumal ein verarmter Mensch ohnehin kein langes Leben zu erwarten hatte.

In der Hauptstraße tummelten sich Bewohner aus den wohlhabenderen Vierteln, die auf dem Weg zu den Märkten waren oder gerade von dort kamen und die erworbenen Güter nachhause schleppten.

An einer Straßenecke übten sich Spielleute im Gesang und ernteten Gelächter wie auch Bewunderung, an einer anderen stand ein Mann von kleinem Wuchs auf einem Podest und verkündete mit krächzender Stimme die neuen Erlässe. Jeder Stadtbewohner war verpflichtet, sich über die neuen Gesetze und Bestimmungen zu informieren, doch bezweifelte ich, dass man sich auch daran hielt, denn in einer korrupten Stadt wie dieser bestimmte das Geld über Recht, Unrecht, Anklage und Verurteilung.

Lautes Gejohle erregte meine Aufmerksamkeit. Eine Straße weiter drängten sich Dutzende Bürger um eine der Attraktionen. Als ich näher kam, konnte ich die laute Stimme des Mannes hören, der die Aufregung ausgelöst hatte.

»… Kupferstücke, für sieben Würfe! Wir haben schrumpelige Äpfel, faulige Eier, schimmliges Brot und – als besonderes Geschenk für jeden, der sieben Mal diese hässliche Fratze trifft –, einen Krug mit der Pisse meines Weibes!« Kaum hatte der fettleibige Mann zu Ende gesprochen, johlten die Schaulustigen auf und klatschten Beifall.

Neugierig trat ich näher und schob mich durch die Reihen, bis ich schließlich freie Sicht auf eine Kreatur hatte, deren Leib an ein hölzernes Gerüst gekettet war. Schwere Eisenringe und dicke Ketten verhinderten jede Bewegung.

Ganz langsam hob diese Kreatur, am ganzen Leib beschmutzt und verdreckt, den Kopf. Die gelben Augen, die in den Augenhöhlen förmlich aufzuleuchten schienen, waren mit einem Mal auf mich gerichtet, so als hätten sie die ganze Zeit nur mich im Visier gehabt.

Im selben Augenblick drängten sich zwei Burschen vor mich und stießen mich zurück. Ein Gefühl von Entsetzen und Abscheu gegenüber all jenen, die dieses bedauernswerte Wesen mit Dreck bewarfen, stieg in mir hoch.

»Rächt euch für all die Untaten dieser Bestien!«, schrie der fette Mann weiter. »Nur ein Kupferling für jeden Wurf auf diesen widerwärtigen Arasier!«

Mit schnellen Schritten eilte ich von diesem Ort fort. All dieser Hass auf andere Völker führte zu ständigen Kämpfen und Überfällen. Wenn die Menschen die Arasien derart behandelten, wunderte es mich nicht, dass diese eine Siedlung angegriffen hatten.

Ich gelangte zum Hauptplatz, in dessen Mitte ein großes Podest stand. Mehrere Zimmermänner waren gerade dabei, einen Galgen aufzustellen, während zwei kräftige Burschen einen ungefähr hüfthohen blutdurchtränkten Baumstumpf anschleppten, an dessen Seite ein Brett mit halbrundem, halsbreitem Ausschnitt angebracht war. Folglich waren für den morgigen Tag gleich mehrere Hinrichtungen vorgesehen.

Ich nahm die erste Straße, die von dem Platz weg in westliche Richtung führte, wo sich das Hurenviertel befand.

Ich musste nicht weit gehen, als auch schon ein junges Weib mit offenem lockigen Haar und einem Kleid, das nur leicht zugeschnürt war, auf mich zukam. Sie grinste mich auffordernd an und entblößte dabei ihre schief stehenden Zähne.

Nachdem ich sieben Straßendirnen abgewiesen hatte, kam keine weitere mehr auf mich zu, denn wer sieben abweist, der sucht entweder nach einer bestimmten oder einem bestimmten.

Inzwischen war ich zur Straße des Vergnügens gelangt, wo ein jedes Haus ein Bordell war und eine jede Frau – sofern sie nicht in teuren, geschlossenen Kleidern steckte und das Haar unter einer Haube zusammengebunden hatte oder in Begleitung eines Mannes war – zur Verfügung stand. Dies war das Paradies für einen jeden Freier, hier tummelten sich unzählige junge Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen waren, hier wurde man für die Gewaltanwendungen an den verstümmelten Frauen nicht bestraft und hier war man vom ehelichen Treuegelübde entbunden.

Entschlossen schritt ich auf eines der älteren Mädchen zu. Als sie meinen Blick auffing, lächelte sie mich an, fuhr sich verführerisch mit den Fingern durchs Haar und ließ die andere Hand über ihre Rundungen gleiten, die unter der eng geschnürten Bluse deutlich sichtbar waren. Ich schenkte ihr auch ein Lächeln, nahm ihre Hand, führte sie an meinen Mund und küsste sie, wie es unter den wohlhabenden Edelmännern Brauch war. Als die Dirne die Hand wieder zurückzog, umklammerten ihre Finger die Kupfermünze, die sie unauffällig in ihre Tasche gleiten ließ. Sie ließ sich nichts anmerken, woraus ich schlussfolgerte, dass sie die Geste verstanden hatte. »Ich bin auf der Suche nach einer Frau«, sagte ich leise.

»Deshalb kommt ihr Männer doch her!«, hauchte sie mit lasziver Stimme.

»Gewiss.« Ich räusperte mich. »Die Frau, die ich suche, ist jedoch als das Hexenweib bekannt.«

Schlagartig verfinsterte sich das Gesicht der Hure. Nicht bloß hatte sie eben einen Kunden verloren, er fragte auch noch nach ihr. »Ich weiß nicht, wen Ihr meint.«

»Sie betreibt vermutlich ein Bordell in dieser Straße, und bestimmt hast du von ihr gehört.«

»Es tut mir leid, doch ich kann Euch nicht weiterhelfen.« Sie schickte sich an zu gehen, als ich sie am Handgelenk fasste und zurückzog.

»Sie ist eine Bekannte von mir. Ich bin mir sicher, ein weiteres Kupferstück wird deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.«

»Drei!«

Ich griff in meine Tasche und gab ihr das Geld. Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass uns keiner beobachtete, und ließ die Kupferstücke in ihrem Kleid verschwinden. »Wenn Ihr der Straße nach Süden folgt, so ist zu Eurer Rechten ein Haus mit roten Fensterläden. Dort lebt ein altes Weib, das die Soldaten als Hexe bezeichnen.«

»Hab Dank!«

»Ihr solltet dort nicht hingehen, sie ist… sonderbar.« Ihr Blick wirkte besorgt.

»Das war sie schon immer.« Der sanfte Tonfall meiner Stimme schien sie zu beruhigen, schließlich zuckte sie mit den Schultern und strich mir mit der Hand über die Wange. »Wenn ich etwas für Euch tun kann, so lasst es mich wissen!«

»Heute nicht, danke. Wie ist dein Name?«

»Die meisten nennen mich Resa.«

»Vielleicht begegnet man sich ja aus einem anderen Anlass wieder. Einen schönen Tag noch, Resa.« Ich winkte ihr zum Gruß und eilte die Straße weiter. Zum einen war ich überrascht, wie schnell – und einfach – ich den Aufenthaltsort des Hexenweibs in Erfahrung gebracht hatte, zum anderen wunderte es mich, dass die Dirne überhaupt bereit gewesen war, über die Hexe zu sprechen. Ich glaubte ihren Worten, ihre Augen sprachen die Wahrheit, es sei denn, sie war durch und durch verlogen, was bei einer wie ihr nicht undenkbar war.

Tatsächlich befand sich ein Haus mit roten Fensterläden am Ende der Straße. Das Gemäuer machte einen schlechten Eindruck, der Mörtel des unteren Stockwerks war herabgebröckelt, das Holz, aus dem die beiden oberen Stockwerke gebaut waren, bog sich in alle Richtungen, war teils von undefinierbarem Grün überzogen und durchnässt von den Regengüssen der Wochen zuvor.

Als ich die Tür, die aus den Angeln gerissen war, aufschob, kam mir ein modriger Gestank entgegen. Der Boden war mit einem roten Teppich ausgelegt, der einst prächtig geleuchtet und Kunden angelockt haben mochte, nun war jedoch nur noch ein zerschlissener, mit Löchern durchsetzter Bodenbelag übrig geblieben. An den Wänden konnte man die Umrisse eines dicken Vorhanges und hinter Wandschirmen verborgene Kerzenhalterungen ausmachen.

Im spärlichen Licht, das durch die Fensterläden fiel, tappte ich die knarzenden Stufen hinauf und sah mich im Obergeschoss um. Vom Gang führten fünf Türen weg. Hinter der einen oder anderen war das lüsterne Stöhnen von Freiern zu vernehmen.

»Ein neuer Kunde?« Erschrocken riss ich den Kopf herum und sah eine Frau lautlos die Treppe vom zweiten Obergeschoss herunterkommen. Sie trug ein ausladendes schulterfreies Kleid, das über der Brust mit ein paar Schnüren zusammengehalten war. Die Wangen und nackten Schultern waren von prächtigen dunklen Locken umrahmt. Ihre haselnussbraunen Augen, die von unzähligen kleinen Fältchen umgeben waren, leuchteten im schummrigen Licht.

»Aber das ist doch… Preston, du bist es wirklich!« Gebannt starrte mich das Hexenweib an, die Hand vor die Brust gehalten. Kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen, das jedoch gleich wieder einem sorgenvollen Blick wich. »Ich hatte dich gebeten, den Städten fernzubleiben.«

Ich schwieg. Wie sehr sehnte ich mich danach, hinzulaufen und sie in meine Arme zu schließen, doch ihre Augen, den Tränen nahe, schienen mir Enttäuschung auszudrücken. Wie sehr hatte ich sie vermisst, und nun stand sie mir so abweisend gegenüber.

»Komm, hier oben können wir ungestört reden«, sprach sie mit leiser Stimme, senkte ihr Haupt und ging die Treppe hinauf.

Wortlos schloss sie ihr Zimmer auf und riss die Vorhänge auf.

Das kleine Zimmer war lediglich mit einem breiten Bett, einer großen Kleidertruhe, einem Tischchen mit einem Stuhl und einer Waschschüssel ausgestattet.

Mit einem unangenehmen Gefühl setzte ich mich auf die Bettkante. Wie viele Männer sich wohl schon in diesem Bett vergnügt hatten?

Das Hexenweib schloss die Türe ab und wandte sich mir langsam zu. Sie stand eine Weile wortlos da, dann endlich kam sie auf mich zu und schloss mich fest in ihre Arme. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und fuhr mir durchs Haar. »Du hast dich so verändert!«, stieß sie unter Tränen hervor. »Ich hätte dich kaum wiedererkannt!«

Ich löste mich aus ihrer Umarmung und trat einen Schritt zurück, um sie betrachten zu können. »Du hingegen bist immer noch so hinreißend schön wie vor Jahren.«

Sie lächelte und ließ sich auf dem Bett nieder. Ihr Blick glitt zu meinem Schwert, das in der goldenen Scheide an meinem Gürtel hing.

»Was erfüllt dich so mit Sorge?«, ergriff ich das Wort.

»Ich weiß, dass du die Stadt trotz meiner Warnung bereits mehrmals aufgesucht hast – doch nie bist du zu mir gekommen.«

Mein Gesicht errötete vor Scham. Wie hatte ich nur annehmen können, dass ihr meine Besuche in der Stadt verborgen bleiben würden. »Ich befürchtete… du würdest mich tadeln«, stammelte ich hilflos.

»Du hättest besser auch diesmal nicht kommen sollen!«, wies sie mich in recht forschem Ton zurecht. »Es gibt einen guten Grund, warum ich nicht wollte, dass du kommst.«

Verwirrt ließ ich mich auf dem kleinen Stuhl nieder. »Warum… erkläre es mir! All die Jahre blieb ich auf dein Geheiß hin von dir fern, obwohl ich dich stets vermisste. Nun jedoch, da ich vor dir stehe, weist du mich zurück, als sei ich in Ungnade gefallen!«

Das Hexenweib seufzte tief, ihre Brust hob und senkte sich. »Du bist nicht aus Sehnsucht zu mir gekommen. Es gibt einen anderen Grund, der dich dazu bewogen hat, all meine Warnungen in den Wind zu schlagen«, fuhr sie fort.

Erneut starrte ich sie verwundert an. All ihre Worte erschienen mir rätselhaft.

»Es sind die Träume, die dich jagen«, flüsterte sie leise und geheimnisvoll. »Die Frau mit dem goldenen Haar ist dir erschienen, nicht wahr?«

»Woher weißt du davon?«

»Man nennt mich nicht ohne Grund das Hexenweib, mein Junge.« Sie lächelte, ehe sie erneut die Stirn in Falten legte.

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