Das Werk der Artamonows

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Das Werk der Artamonows
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Maxim Gorky

Das Werk der Artamonows

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Teil 1

Etwa zwei Jahre nach der Aufhebung der Leibeigenschaft, am Tage der Verklärung Christi, fiel den Pfarrkindern der Kirche zum heiligen Nikolaus »auf den Pfählen« während der Messe ein Fremder auf. Er drängte sich durch die Menschenmenge, stieß alle unhöflich an und stellte vor den in der Stadt Driomow am meisten geachteten Heiligenbildern kostbare Kerzen auf. Er war ein kraftstrotzender Mann mit einem großen, geringelten, stark angegrauten Bart, mit einer dichten Kappe dunkler, auf Zigeunerart krauser Haare; die Nase war groß; unter den höckerigen, dichten Brauen blickten verwegen graue, bläulich schimmernde Augen, und man sah, daß die breiten Handflächen bis an die Knie reichten, wenn er die Arme herabhängen ließ. Er trat in der Reihe der angesehenen Stadtbürger zum Kreuz. Das mißfiel den Leuten vor allem, und als die Messe vorüber war, blieben die Honoratioren von Driomow am Kircheneingang stehen, um ihre Gedanken über den Fremden auszutauschen. Die einen meinten, er wäre ein Händler, die andern – ein Dorfvogt, der Stadtälteste, Jewsej Bajmakow, ein friedlicher Mensch von schwacher Gesundheit, aber mit einem guten Herzen, sagte indessen, leicht hüstelnd: »Vermutlich gehört er zum Hofgesinde und ist Leibjäger oder irgend was anderes auf dem Gebiet herrschaftlichen Zeitvertreibs.«

Der Tuchhändler Pomialow, mit dem Spitznamen »die verwitwete Küchenschabe«, ein geschäftiger Lüstling und Liebhaber böser Worte, ein häßlicher, pockennarbiger Mensch, sagte übelwollend: »Habt ihr gesehen, was für lange Tatzen er hat? Und wie er daherschreitet, als ob man seinetwegen auf allen Glockentürmen läutete.«

Der breitschultrige, großnasige Mensch ging mit festen Schritten über die Straße, wie über seinen eigenen Grund und Boden. Er trug ein blaues Wams aus haltbarem Tuch und gute Schaftstiefel aus Juchtenleder, hielt die Hände in den Taschen und preßte die Ellbogen fest gegen die Seiten. Die Bürger beauftragten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, herauszubringen, wer dieser Mensch sei, und begaben sich dann beim Glockengeläute in Pomialows Himbeergarten, wohin sie zu Abendtee und Pirogen geladen waren.

Am Nachmittag sahen andere Einwohner von Driomow den Unbekannten jenseits des Flusses auf der »Kuhzunge«, einer Landzunge aus dem Besitz der Fürsten Ratski. Der Mann ging durch das Weidengebüsch, durchmaß die sandige Landzunge mit gleichmäßigen, großen Schritten, blickte unter der vorgehaltenen Handfläche nach der Stadt, auf die Oka und auf deren knotig verschlungenen Nebenfluß, die sumpfige Watarakscha. In Driomow leben vorsichtige Leute, und niemand entschloß sich, ihn anzurufen und zu fragen, wer er sei und was er tue? Man schickte aber doch den Wächter Maschka Stupa, einen Saufbold und Stadtnarren, zu ihm; der zog schamlos, vor allen Leuten und ohne sich vor den Frauen zu genieren, seine Diensthosen aus, behielt aber den zerdrückten Tschako auf dem Kopf. Er durchwatete die schlammige Watarakscha, blies seinen großen Trinkerbauch auf, trat in komischem Gänseschritt auf den Fremden zu und fragte, um sich Mut zu machen, absichtlich laut:

»Wer bist du?«

Man hörte die Antwort des Fremden nicht, Stupa kehrte aber sogleich zu den Seinigen zurück und erzählte:

»Er hat mich gefragt: Warum bist du bloß so scheußlich? Er hat große, böse Augen und sieht wie ein Räuber aus«.

Des Abends berichtete in Pomialows Himbeergarten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, eine bekannte Wahrsagerin und »weise Frau« mit einem Kropf, den Honoratioren, indem sie ihre furchtbaren Augen rollte:

»Er heißt Ilja, sein Familiennamen ist Artamonow; er sagte, er wolle wegen seiner Geschäfte ganz bei uns bleiben; ich konnte aber nicht herausbringen, was es für Geschäfte sind. Er ist auf dem Wege über Worgorod gekommen und ist auf demselben Wege nach drei Uhr wieder abgereist.«

Man erfuhr also nichts Besonderes von diesem Menschen, und das war unangenehm, – als hätte jemand des Nachts ans Fenster geklopft und wäre verschwunden, nachdem er wortlos ein kommendes Unheil angekündigt hatte.

Es waren etwa drei Wochen vergangen, und die Narbe im Gedächtnis der Bürger war beinahe verheilt, als plötzlich dieser Artamonow mit drei Begleitern direkt bei Bajmakow erschien und zu ihm sprach, als schlage er mit der Axt drein:

»Da hast du ein paar neue Einwohner, Jewsej Mitritsch. Nimm sie in deine kluge Hand. Bitte, hilf mir, an deiner Seite in einem guten Leben Fuß zu fassen«.

Er erzählte sachlich und kurz, er hätte zu dem Gesinde der Fürsten Ratski auf deren Erbgut im Gouvernement Kursk an dem Flusse Rat gehört; er war der Verwalter des Fürsten Georgi gewesen, kam nach Aufhebung der Leibeigenschaft frei, wurde reich beschenkt und beschloß nun sein eigenes Werk aufzubauen: eine Leinenweberei. Er sei Witwer, seine Söhne hießen: der älteste Pjotr, der Bucklige Nikita; der dritte, Alexej, war sein Neffe, den er aber adoptiert hatte.

»Unsere Bauern bauen wenig Flachs an«, bemerkte Bajmakow nachdenklich.

»Wir werden sie dazu bringen, mehr anzubauen.«

Artamonows Stimme war tief und rauh; wenn er sprach, klang es, als schlage er auf eine große Trommel, während Bajmakow sein Leben lang vorsichtig auf der Erde einherging und leise sprach, als fürchte er jemand Schrecklichen zu wecken. Er betrachtete, mit seinen freundlichen, traurigen, fliederfarbenen Augen blinzelnd, die wie versteinert an der Tür stehenden Kinder Artamonows. Sie waren alle sehr verschieden: der Älteste sah dem Vater ähnlich, er war breitschultrig, hatte zusammengewachsene Brauen und kleine Bärenaugen; Nikita hatte Mädchenaugen, die groß und blau wie sein Hemd waren. Der lockige, rotwangige, schöne Alexej hatte eine klare weiße Haut und blickte gerade und fröhlich drein.

»Kommt einer davon zum Militär?« fragte Bajmakow.

»Nein, ich brauche die Kinder selber; ich habe für sie ein Dokument.«

Und Artamonow winkte den Kindern mit der Hand und befahl:

»Geht hinaus!«

Und als sie, unter Einhaltung der Altersreihenfolge, leise im Gänsemarsch hinausgegangen waren, sagte er, seine schwere Hand auf Bajmakows Knie legend:

»Jewsej Mitritsch, ich komme zugleich als Brautwerber zu dir. Gib deine Tochter meinem Ältesten zur Frau!«

Bajmakow erschrak geradezu, er sprang von der Bank auf und wehrte mit den Händen ab.

»Was fällt dir ein, Gott sei mit dir! Ich sehe dich zum erstenmal, ich weiß nicht, wer du bist und du kommst gleich mit so etwas! Ich habe nur die eine Tochter; es ist für sie noch zu früh zum Heiraten. Du hast sie ja auch nicht gesehen und weißt nicht, wie sie ist … Was fällt dir ein?«

Aber Artamonow sprach, in seinen krausen Bart hinein lächelnd:

»Frage den Isprawnik nach mir! Er ist meinem Fürsten sehr verpflichtet, und der Fürst hat ihm geschrieben, er soll mir in allen Dingen beistehen. Du wirst nichts Schlechtes hören, ich rufe die Heiligenbilder als Zeugen an. Ich kenne deine Tochter, ich weiß hier, in deiner Stadt, alles; ich war unbemerkt viermal da und habe mich nach allem erkundigt. Auch mein Ältester war wiederholt hier und hat deine Tochter gesehen. Also sei unbesorgt!«

Bajmakow hatte ein Gefühl, als wäre ein Bär über ihn hergefallen. Er bat den Gast:

»Warte doch … «

»Eine Weile kann ich warten … aber nicht lange. Meine Jahre sind nicht danach«, sprach der hartnäckige Mann und rief durch das Fenster in den Hof hinaus:

»Kommt, verbeugt euch vor dem Hausherrn.«

Als sie sich verabschiedet hatten und gegangen waren, bekreuzte sich Bajmakow dreimal mit einem erschrockenen Blick auf die Heiligenbilder und flüsterte:

»Der Herr erbarme sich! Was sind das für Menschen? Er bewahre mich vor einem Unglück.«

Er schleppte sich, mit dem Stock klopfend, in den Garten, wo seine Frau und Tochter unter einer Linde Beeren einkochten. Die hübsche, stattliche Frau fragte: »Was waren das für Burschen auf dem Hof, Mitritsch?«

»Ich weiß nicht. Wo ist Natalia?«

»Sie ist in die Speisekammer gegangen, – Zucker holen.«

»Zucker holen?« wiederholte Bajmakow düster und ließ sich auf die Rasenbank nieder. »Zucker! Nein es ist schon wahr, – diese Freiheit wird den Menschen große Unruhe bringen.«

Die Frau betrachtete ihn forschend und fragte besorgt:

»Was hast du? Ist dir wieder nicht wohl?«

»Ich habe schwere Sorge im Herzen. Ich glaube, dieser Mann ist gekommen, um mich auf Erden abzulösen.«

Die Frau suchte ihn zu beruhigen.

»Was fällt dir denn ein! Kommen jetzt etwa wenig Leute aus dem Dorf in die Stadt?«

»Das ist es ja gerade, daß solche Leute kommen! Ich will dir vorläufig noch nichts sagen, laß mich erst überlegen … «

»Nach fünf Tagen legte sich Bajmakow ins Bett. Nach weiteren zwölf Tagen starb er, und sein Tod hüllte Artamonow und dessen Söhne in noch tieferen Schatten. Während der Krankheit des Stadtältesten kam Artamonow zweimal zu ihm, und sie unterhielten sich lange, unter vier Augen; beim zweitenmal rief Bajmakow seine Frau herein und sagte mit müde auf der Brust gefalteten Händen:

»Da, sprich mit ihr, ich glaub', ich hab' an irdischen Dingen schon keinen Anteil mehr. Laßt mich ausruhen.«

»Komm' mit, Uljana Iwanowna«, befahl Artamonow und verließ das Zimmer, ohne sich umzusehen, ob die Hausfrau ihm folge.

»Geh', Uljana; es ist wohl vom Schicksal so bestimmt«, riet der Älteste leise der Frau, da er sah, daß sie zögerte, dem Gast zu folgen. Sie war eine kluge, charaktervolle Frau und tat nichts ohne Überlegung; jetzt kam es aber so, daß sie nach einer Stunde zu ihrem Manne zurückkehrte, mit einer Bewegung der schönen, langen Wimpern die Tränen wegschüttelte und sagte:

 

»Nun, Mitritsch, es scheint wirklich unser Schicksal zu sein, – gib unserer Tochter deinen Segen.«

Am Abend führte sie die prunkvoll gekleidete Tochter zum Bette ihres Mannes; Artamonow schob seinen Sohn zu ihr hin, der Bursche und das Mädchen faßten sich, ohne einander anzusehen, bei den Händen, knieten mit gesenkten Köpfen nieder, und Bajmakow bedeckte sie, schwer atmend, mit einem uralten, perlenübersäten, vom Vater stammenden Heiligenbild:

»Im Namen des Vaters und des Sohnes … Herr, versage deine Gnade nicht meinem einzigen Kinde!«

Und er sprach streng zu Artamonow:

»Merke dir, – du trägst vor Gott die Verantwortung für meine Tochter!«

Dieser verneigte sich vor ihm, indem er mit der Hand die Erde berührte.

»Das weiß ich.«

Und ohne seiner künftigen Schwiegertochter ein freundliches Wort zu sagen, sie und den Sohn kaum anblickend, wies er mit dem Kopf nach der Tür:

»Geht.«

Als das Paar nach dem Segen draußen war, setzte er sich zu dem Kranken aufs Bett und sagte mit Bestimmtheit:

»Sei ruhig, es wird alles geschehen, wie es sich gehört. Ich habe siebenunddreißig Jahre lang, ohne je bestraft zu werden, meinen Fürsten gedient. Der Mensch ist aber nicht Gott, der Mensch ist nicht gütig, es ist schwer, ihn zufriedenzustellen. Und auch dir, Gevatterin Uljana, soll es gut gehen, du wirst bei meinen Söhnen Mutterstelle übernehmen, und ich werde ihnen anbefehlen, dich zu achten.«

Bajmakow blickte schweigend in die Ecke auf die Heiligenbilder und weinte. Auch Uljana schluchzte, Artamonow sprach aber ärgerlich:

»Ach, Jewsej Mitritsch, du verläßt uns zu früh. Du hast dich nicht genug geschont. Und ich hätte dich noch so nötig, so dringend nötig!«

Er fuhr sich mit der Hand quer durch den Bart und seufzte geräuschvoll.

»Mir ist dein Wandel bekannt: du bist so klug und ehrlich, du solltest wenigstens noch fünf Jahre mit mir leben. Was wir alles unternehmen würden! Nun, es ist wohl Gottes Wille!«

Uljana schrie klagend:

»Warum krächzst du wie ein Rabe, warum erschreckst du uns? Vielleicht wird es noch … «

Artamonow erhob sich jedoch, verneigte sich vor Bajmakow tief, wie vor einem Toten:

»Ich danke für das Vertrauen. Lebt wohl, ich muß zur Oka hinunter, – eine Barke mit Wirtschaftssachen ist angekommen.«

Als er fort war, heulte die Bajmakowa gekränkt auf:

»Nicht ein einziges freundliches Wort hat der ungehobelte Bauer für die seinem Sohne angelobte Braut gehabt!«

Ihr Mann unterbrach sie:

»Gräme dich nicht, störe meine Ruhe nicht!« Und er fügte nach kurzem Überlegen hinzu:

»Halte dich an ihn: dieser Mensch ist sicherlich besser als die hiesigen.«

Bajmakow wurde von der ganzen Stadt ehrenvoll zu Grabe getragen. Die Geistlichkeit aller fünf Kirchen war vertreten. Die Artamonows folgten gleich hinter der Frau und der Tochter des Verstorbenen dem Sarge. Das mißfiel den Städtern; der bucklige Nikita, der hinter seinen Angehörigen ging, hörte, wie man in der Menge brummte:

»Man weiß gar nicht, wer er ist, und doch drängt er sich gleich an die erste Stelle.«

Pomialow rollte seine runden, eichelfarbenen Augen und flüsterte:

»Der verstorbene Jewsej und auch Uljana sind vorsichtige Menschen, sie haben nie etwas ohne Grund getan, folglich ist hier ein Geheimnis: dieser Geier hat sie durch irgend etwas verführt. Würden sie ihn sonst so in die Familie nehmen?«

»Ja–a, es ist eine dunkle Sache.«

»Ich sage ja auch – eine dunkle Sache. Sicher handelt es sich um falsches Geld. Und was für ein heiliges Leben schien Bajmakow doch zu führen, nicht?«

Nikita hörte mit gesenktem Kopf und vorgestrecktem Buckel zu, als erwartete er Schläge. Es war ein stürmischer Tag, der Wind blies hinter der Menge her, der von Hunderten von Füßen aufgewirbelte Staub schwebte wie eine Rauchwolke hinter den Leuten und setzte sich dicht in die fettigen Haare der entblößten Köpfe. Jemand sagte:

»Sieh doch, wie Artamonow von unserem Staub eingepfeffert ist! Der Zigeuner ist ganz grau geworden … «

Am zehnten Tage nach der Beerdigung ihres Mannes übergab Uljana Bajmakowa Artamonow ihr Haus und fuhr mit ihrer Tochter ins Kloster. Sowohl er, als seine Söhne schienen von einem Wirbelwind erfaßt zu sein; sie tauchten von früh bis spät vor aller Augen auf, schritten eilig durch die Straßen und bekreuzten sich hastig vor den Kirchen; der Vater war laut und ungestüm, der älteste Sohn düster, schweigsam und sichtlich ängstlich oder schüchtern, der schöne Alexej war herausfordernd gegen die Burschen und zwinkerte frech den Mädchen zu, Nikita schleppte seinen spitzen Buckel bei Sonnenaufgang nach dem andern Ufer hinüber zur »Kuhzunge«, wo Schreiner und Maurer wie Krähen zusammenkamen und eine langgestreckte Backsteinkaserne aufführten; abseits, an der Oka, wurde ein großes, zweistöckiges Haus aus zwölf Zoll dicken Balken gebaut; dieses Haus erinnerte an ein Gefängnis. Des Abends versammelten sich die Einwohner von Driomow am Ufer der Watarakscha, knabberten Kürbis- und Sonnenblumenkerne, lauschten dem Schnarchen und Kreischen der Sägen, dem Scharren der Hobel, den tief eindringenden Schlägen der scharfen Äxte und gedachten spöttisch der Fruchtlosigkeit des Turmbaues von Babel, während Pomialow den Fremden trostreich allerhand Unheil prophezeite.

»Im Frühjahr wird das Wasser diese scheußlichen Gebäude unterwaschen. Es kann auch Feuer ausbrechen: die Schreiner rauchen Tabak, und überall hegen Holzspäne herum.«

Der schwindsüchtige Pope Wasili stimmte ihm zu:

»Sie bauen auf Sand.«

»Sie werden Fabrikarbeiter hertreiben, und dann fängt Saufen, Stehlen und Huren an.«

Der kolossale, vor Fett überquellende, nach allen Seiten aufgedunsene Müller und Schankwirt Luka Barski tröstete mit seiner heiseren Baßstimme:

»Wenn mehr Menschen da sind, findet man leichter sein Auskommen. Das macht nichts, die Leute sollen nur arbeiten.«

Nikita Artamonow belustigte die Stadtbewohner sehr; er rodete und hackte auf einem großen Viereck das Weidengesträuch aus, schöpfte tagelang den fetten Schlamm der Watarakscha, stach im Sumpfe Torf, den er, seinen Buckel himmelwärts hebend, in einem Karren wegbrachte und auf dem Sand in schwarzen Haufen ausbreitete.

»Er legt wohl einen Gemüsegarten an«, rieten die Bürger. »So ein Dummkopf! Kann man denn Sand düngen?«

Bei Sonnenuntergang, wenn die Artamonows im Gänsemarsch, der Vater voran, den Fluß durchwateten und ihren Schatten auf das grünliche Wasser warfen, zeigte Pomialow hin:

»Schaut, schaut, was für einen Schatten der Bucklige hat!«

Und alle sahen, daß der Schatten von Nikita, der als Dritter ging, seltsam schwankte und gewichtiger als der seiner Brüder zu sein schien. Einmal, nach einem reichlichen Regenfall, stieg das Wasser im Fluß, und der Bucklige, der über Algen gestolpert oder in eine Vertiefung geraten war, verschwand im Wasser. Alle Zuschauer auf dem Ufer lachten belustigt, nur Olguschka Orlowa, die dreizehnjährige Tochter des stets betrunkenen Uhrmachers, schrie kläglich:

»Oh, oh, er ertrinkt!«

Sie erhielt einen Stoß in den Nacken:

»Schrei' nicht ohne Grund.«

Alexej, der als Letzter marschierte, tauchte unter, packte Nikita, stellte ihn auf die Füße, und als sie beide naß und mit Schlamm beschmutzt auf das Ufer stiegen, ging Alexej geradeaus auf die Bürger los, so daß sie ihm Platz machten. Jemand sagte ängstlich:

»Sieh' nur einer das wilde Tier an … «

»Man liebt uns nicht«, bemerkte Pjotr. Der Vater blickte ihm im Gehen ins Gesicht:

»Laß ihnen Zeit – sie werden uns schon liebgewinnen.«

Und er beschimpfte Nikita:

»Du Vogelscheuche! Paß auf deine Füße auf, und mache dich vor den Leuten nicht lächerlich! Wir sind nicht zur Belustigung da, du Plumpsack!«

Die Artamonows lebten, ohne mit jemand Bekanntschaft zu schließen. Die Wirtschaft besorgte ihnen eine dicke, schwarz gekleidete Alte. Sie band sich ihr Kopftuch so zusammen, daß dessen Enden wie Hörner in die Höhe standen und sprach mit schwerer Zunge so wenig und unverständlich, als wäre sie keine Russin; von ihr konnte man über die Artamonows gar nichts erfahren.

»Sie tun so, als ob sie Mönche wären, diese Räuber … «

Man stellte fest, daß der Vater und der älteste Sohn oft in der Umgegend herumfuhren und den Bauern zuredeten, Flachs zu säen. Bei einer dieser Fahrten wurde Ilja Artamonow von flüchtigen Soldaten angefallen; er tötete einen davon mit einer Wurfkugel – einem an einen gegerbten Riemen gebundenen Zweipfundgewicht – und schlug dem zweiten den Schädel ein, der dritte entfloh. Der Isprawnik lobte Artamonow deswegen, während der junge Geistliche der armen Pfarre von Iljinskoje ihm für den Mord eine Buße auferlegte: er mußte vierzig Nächte im Gebet in der Kirche stehend verbringen.

An den Herbstabenden las Nikita dem Vater und den Brüdern aus den Heiligenlegenden und den Belehrungen der Kirchenväter vor, doch unterbrach der Vater ihn häufig:

»Diese Weisheit ist so erhaben, daß unser Verstand sie doch nicht erfassen kann. Wir sind einfache Arbeiter, es ist nicht unsere Sache, darüber nachzudenken, wir sind für ein einfaches Leben geboren. Der verstorbene Fürst Juri hat siebentausend Bücher gelesen und hat sich so in allerlei Gedanken vertieft, daß er auch den Glauben an Gott verloren hat. Er hat alle Länder bereist, wurde von allen Königen empfangen, ein berühmter Mann war er! Als er aber eine Tuchfabrik baute, ging die Sache nicht. Und was er auch anfangen mochte, er brachte es zu nichts. So war er sein ganzes Leben auf das Brot der Bauern angewiesen.«

Er sprach bei dieser Unterhaltung mit Nachdruck und belehrte von neuem seine Kinder:

»Ihr werdet es im Leben schwer haben, ihr seid euch selbst Gesetz und Schutz. Ich habe aber nicht frei gelebt, sondern wie mir befohlen wurde, und ich sah oft: es sollte so manches anders sein, ich konnte aber nichts dagegen tun; es war nicht meine Sache, sondern die der Herrschaft. Ich fürchtete mich nicht nur, etwas auf meine Art zu machen, sondern ich wagte nicht einmal daran zu denken, um meinen Verstand nicht mit dem der Herrschaft durcheinander zu bringen. Hörst du, Pjotr?«

»Jawohl.«

»Na also. Verstehe es recht. Man lebt also, und doch ist es so, als wäre man gar nicht da. Natürlich hat man dabei auch weniger Verantwortung zu tragen, – du gehst ja nicht selbst, sondern man lenkt dich. Es ist leichter, ohne Verantwortung zu leben, doch es kommt dabei wenig Rechtes heraus.«

Manchmal sprach er eine Stunde lang oder zwei und fragte dabei immerzu, ob die Kinder zuhörten. Er sitzt mit herabbaumelnden Beinen auf dem Ofen, gleitet mit den Fingern durch die Bartlöckchen und schmiedet bedächtig ein Glied seiner Wortkette nach dem anderen. In der großen, sauberen Küche herrscht warmes Dunkel, hinter dem Fenster pfeift der Sturm und streichelt mit seidigem Griff die Scheiben. Oder der Frost knistert in dem eisigen Blau. Pjotr sitzt vor einem Talglicht am Tisch, raschelt mit Papieren und klappert leise mit den Kügelchen des Rechenbretts, Alexej hilft ihm, und Nikita flicht kunstvolle Körbe aus Ruten.

»Jetzt hat uns der Zar und Herr die Freiheit gegeben. Das will verstanden sein: wie wurde die Freiheit eingeschätzt? Ohne Berechnung wird nicht einmal ein Schaf aus dem Stall herausgelassen, und hier hat man das ganze Volk, viele Tausende, freigelassen. Das bedeutet: Der Kaiser hat begriffen, daß bei den Herrschaften nicht viel zu holen ist, sie verleben alles selbst. Fürst Georgi ist noch vor der Freiheit selbst draufgekommen und hat zu mir gesagt: unfreiwillige Arbeit ist unvorteilhaft. Und nun vertraut man uns die freie Arbeit an. Jetzt wird auch der Soldat nicht mehr fünfundzwanzig Jahre lang das Gewehr herumschleppen, sondern da heißt es, geh' arbeiten! Jetzt muß jeder zeigen, wofür er taugt. Dem Adel steht das Ende bevor, jetzt seid ihr selber Edelleute, – hört ihr's?«

Uljana Bajmakowa hatte fast drei Monate im Kloster verbracht, und als sie nach Hause zurückkehrte, fragte Artamonow sie gleich am nächsten Tage:

»Werden wir bald Hochzeit feiern?«

Sie war empört und funkelte zornig mit den Augen. »Was fällt dir ein, besinne dich! Seit dem Tode des Vaters ist noch kein halbes Jahr vergangen, und du … Weißt du nicht, was Sünde ist?«

 

Artamonow unterbrach sie aber streng:

»Ich sehe darin keine Sünde, Gevatterin. Die Herrschaften treiben noch ganz andere Dinge, und Gott erträgt es. Ich bin in Verlegenheit; Pjotr benötigt eine Hausfrau.«

Darauf. fragte er, wieviel Geld sie besitze. Sie antwortete:

»Mehr als fünfhundert gebe ich meiner Tochter nicht mit!«

»Du wirst schon mehr geben«, sprach der großgewachsene Bauer sicher und gleichgültig, indem er sie unverwandt ansah. Sie saßen einander gegenüber am Tisch. Artamonow stützte sich auf die Ellbogen und versenkte die Finger beider Hände in das dichte Vlies des Bartes, während die Frau sich mit gerunzelten Brauen mißtrauisch aufrichtete. Sie war weit über dreißig, erschien aber bedeutend jünger, und in ihrem satten, rotwangigen Gesicht leuchteten streng die klugen, grau schimmernden Augen. Artamonow erhob sich und stand in gerader Haltung da.

»Du bist schön, Uljana Iwanowna.«

»Und was sagst du mir noch?« fragte sie zornig und spöttisch.

»Weiter nichts!«

Er ging unwillig, mit schwer stampfenden Schritten fort. Die Bajmakowa sah ihm nach und streifte bei der Gelegenheit mit den Augen die Spiegelfläche, indem sie ärgerlich flüsterte:

»Bärtiger Teufel! Was mengt er sich so ein … «

Da sie sich vor diesem Menschen in Gefahr fühlte, ging sie zu ihrer Tochter hinauf, traf aber Natalia nicht an, und als sie durchs Fenster blickte, sah sie die Tochter auf dem Hof am Tor. Neben ihr stand Pjotr. Die Bajmakowa lief die Treppe hinunter und rief, am Hauseingang stehenbleibend:

»Natalia – komm nach Hause!«

Pjotr grüßte.

»Es gehört sich nicht, mein guter Junge, daß man sich mit einem Mädchen unterhält, wenn die Mutter nicht dabei ist! Das darf in Zukunft nicht mehr vorkommen.«

»Sie ist mit mir verlobt«, erinnerte Pjotr.

»Das bleibt sich gleich, – wir haben unsere eigenen Sitten«, sagte die Bajmakowa, fragte sich aber selbst dabei:

»Weswegen bin ich zornig? Sollen die jungen Leute sich denn nicht herzen? Das ist nicht recht. Es ist, als ob ich meine eigene Tochter beneidete.«

In der Stube riß sie dennoch die Tochter schmerzhaft am Zopf und verbot ihr, mit dem Bräutigam unter vier Augen zu sprechen. »Wenn er dir auch angelobt ist, aber – es kommt Regen, es kommt Schnee, es gibt oder es gibt keine Eh'«, sagte sie streng.

Eine unbestimmte Unruhe trübte ihre Gedanken; nach einigen Tagen ging sie zur Jerdanskaja, um sich wahrsagen zu lassen. Zu der dicken, an eine Kirchenglocke erinnernden Wahrsagerin mit dem Kropf trugen alle Frauen der Stadt ihre Sünden, Ängste und Kränkungen. »Da gibt es nichts weiter zu prophezeien«, sagte die Jerdanskaja. »Ich will dir gerade heraus sagen, mein Herz: halte dich an diesen Mann. Meine Augen steigen mir nicht umsonst bis in die Stirn – ich kenne die Menschen, ich durchschaue sie wie mein Spiel Karten. Sieh doch, wie ihm alles gelingt, alle Geschäfte rollen bei ihm wie eine Kugel, unsere Leute lassen vor Zorn und Neid nur ihren Speichel rinnen. Nein, mein Herz, fürchte dich nicht vor ihm, er lebt nicht wie ein Fuchs, sondern wie ein Bär.«

»Ja, das ist es eben, – wie ein Bär«, stimmte die Witwe bei und erzählte seufzend der Wahrsagerin: »Ich fürchte mich, ich bin gleich beim erstenmal, als er um meine Tochter freite, so erschrocken. Er ist plötzlich, von niemandem gekannt, wie aus einer Wolke heruntergefallen und wollte sich in die Familie eindrängen. Macht man es denn so? Ich weiß noch, – wie er sprach und ich ihm in die frechen Augen sah, mußte ich zu allen seinen Worten ja sagen und mit allem einverstanden sein, als hätte er mich an der Kehle gepackt.«

»Das bedeutet, daß er an seine Kraft glaubt«, erklärte die weise Hostienbäckerin.

Das alles beruhigte jedoch die Bajmakowa nicht, obwohl die Wahrsagerin, die sie aus ihrem dunklen, vom schwülen Heilkräutergeruch gesättigten Zimmer hinausbegleitete, ihr zum Abschied sagte:

»Merke dir: die Dummen haben nur im Märchen Glück … «

Sie lobte Artamonow verdächtig laut, so laut und oft, daß sie bestochen zu sein schien. Dagegen sprach die große, dunkle, und wie ein gesalzener Zander aussehende Matriona ganz anders: »Die ganze Stadt seufzt und stöhnt deinetwegen, Uljana. Wieso fürchtest du dich vor den Fremden nicht? Oh, sei auf der Hut! Nicht umsonst ist der eine Bursche bucklig, – die Eltern haben wohl nicht wenig gesündigt, daß er als Krüppel geboren wurde … «

Die Witwe Bajmakowa hatte es schwer, und sie schlug ihre Tochter immer öfter, obwohl sie selbst fühlte, daß sie ihr grundlos zürnte. Sie bemühte sich, ihre Mieter möglichst selten zu sehen. Diese Menschen standen ihr immer häufiger im Wege und verdüsterten durch Unruhe ihr Leben.

Unmerklich war der Winter herangeschlichen und überfiel die Stadt mit dröhnenden Schneestürmen und heftigen Frösten; er verschüttete Straßen und Häuser mit zuckrigen Schneehügeln, setzte den Starhäusern und Kirchturmspitzen Mützen aus Watte auf und schmiedete die Flüsse und das rostige Sumpfwasser in weißes Eisen. Auf dem Eise der Oka wurden Faustkämpfe der Bürger mit den Bauern der umliegenden Dörfer abgehalten. Alexej beteiligte sich an jedem Feiertag an den Kämpfen und kehrte immer zornig und verprügelt nach Hause zurück.

»Wie steht's, Alexej?« fragte Artamonow. »Die Kämpfer hier sind wohl geschickter als die unsrigen?«

Alexej rieb sich die blutunterlaufenen Stellen mit einer Kupfermünze oder mit Eisstücken und schwieg düster, mit den Habichtsaugen funkelnd. Pjotr aber sagte einmal:

»Alexej kämpft geschickt; er wird aber von den eigenen Leuten, den Städtern, geschlagen.«

Ilja Artamonow legte die Faust auf den Tisch und fragte:

»Weswegen?«

»Man liebt uns nicht.«

»Wen? Den Jakow?«

»Uns allesamt liebt man nicht.«

Der Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Licht aus dem Leuchter sprang und erlosch. Im Dunkel schrie er:

»Was sprichst du mir wie ein Mädel immer von Liebe? Ich will solche Worte nicht mehr hören!«

Nikita zündete das Licht wieder an und sagte leise:

»Alexej sollte lieber nicht zu diesen Kämpfen gehen.«

»Damit die Leute spotten: Artamonow hat Angst gekriegt! Schweig, du Mesner! Rotzjunge!«

Nachdem Ilja alle ausgeschimpft hatte, sagte er nach einigen Tagen beim Abendbrot mit freundlichem Brummen:

»Kinder, ihr solltet Bären jagen gehen, das ist ein schöner Zeitvertreib! Ich bin immer mit dem Fürsten Georgi in die Riasaner Wälder gegangen, – da haben wir dem Bärenvolk mit dem Baumspieß den Garaus gemacht. Das war interessant!«

Er kam in Stimmung und erzählte einige Fälle von glücklichen Jagdabenteuern. Nach einer Woche begab er sich mit Pjotr und Alexej in den Wald und tötete einen stämmigen alten Bären. Darauf gingen die Brüder allein hin und jagten die Bärin auf, sie zerriß Alexej die Pelzjoppe und zerkratzte ihm die Hüfte, die Brüder überwältigten sie aber und brachten ein paar Bärenjunge mit heim, das getötete Tier aber ließen sie den Wölfen zur Mahlzeit …

»Nun, wie leben deine Artamonows?« fragten die Städter die Bajmakowa.

»Es geht, ganz gut.«

»Ja, ja, – im Winter ist das Schwein ruhig«, bemerkte Pomialow.

Die Witwe wollte es nicht glauben, fühlte aber doch, daß das feindselige Verhalten gegen die Artamonows sie seit einiger Zeit kränkte, und daß dieses Übelwollen auch sie selbst frostig anwehte. Sie sah, daß die Artamonows sich nicht betranken und einig lebten, hartnäckig ihren Geschäften nachgingen und daß man ihnen nichts Schlechtes nachsagen konnte. Sie überwachte scharf ihre Tochter und Pjotr und überzeugte sich, daß der schweigsame, stämmige Bursche sich über sein Alter hinaus ernst benahm. Er bemühte sich nicht, Natalia in einer dunklen Ecke an sich zu pressen, sie zu kitzeln und ihr unanständige Worte ins Ohr zu flüstern, wie es alle Verlobten in der Stadt machten. Das ihr unverständliche zurückhaltende, aber besorgte und anscheinend sogar eifersüchtige Verhalten Pjotrs ihrer Tochter gegenüber beunruhigte sie aber etwas.

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