Island

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Aufgrund des kleinen Marktes gibt es auf Island noch relativ viele unabhängige kleine, vorwiegend inhabergeführte Buchhandlungen, wo es sich z. B. für Eymundsson nicht lohnt, eine Filiale zu eröffnen, oder es gibt Cafés, die auch Bücher anbieten, oder an Museen angeschlossene Shops, die häufig ein größeres Sortiment an Allgemeinliteratur führen als in Deutschland und bei denen auch die Nachbarn einkaufen. Die Wertschätzung der Literatur sorgt für ein großes Bewusstsein für die Bedeutung des lokalen Buchhandels, auch weil der Onlinehandel in Island über die Buchläden selbst abgewickelt wird. Amazon liefert wie erwähnt nur gegen Extrakosten nach Island, und trotz einer reduzierten Mehrwertsteuer von elf Prozent auf Bücher (normalerweise 24 Prozent) sind Bücher hier im Schnitt immer noch teurer als anderswo. Die Menschen kaufen also die Bücher lieber gezielt bei ihrem Nachbarn. Dabei schwören die Isländer übrigens weiter auf Printware. In Island werden E-Books erst seit 2011 veröffentlicht, und im Jahr 2014 zum Beispiel machte der Verkauf von E-Books weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes auf dem isländischen Buchmarkt aus, vielleicht weil Bücher hier so oft zu Weihnachten verschenkt werden. Aber auch das ändert sich: 2017 hatten die Verkäufe von E-Books schon um über 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.

Die isländischen Buchhandlungen spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei der Literaturvermittlung durch klassische Formate wie Lesungen, öffentliche Diskussionsrunden oder Signierstunden, sondern sind Kulturzentren im Sinne des Wortes. Was die Kunst in Island auszeichnet, ist das kaum vorhandene Schubladendenken. Schriftsteller arbeiten häufiger und ohne Scheuklappen mit Musikern, Filmemachern und Theaterleuten zusammen als vielleicht sonst irgendwo in Europa. Und so ist es kein Wunder, dass es in den Buchhandlungen auch Kammerkonzerte, Unplugged-Rockshows oder DJ-Sets zu sehen und hören gibt.

Auch die Verlagslandschaft ist in Island außergewöhnlich. Es gibt fast 30 unabhängige Verlage, häufig Familienbetriebe, die seit vielen Jahrzehnten existieren – und das in einem Land, das weniger Einwohner als Bochum zählt! Die meisten Verlage in Island haben ihren Sitz in Reykjavík, und heute ist das Verlagswesen zu einer boomenden Branche geworden. Die außergewöhnliche Bücherliebe der Isländer erlaubt es auch Nischenverlagen mit eher abseitigen Programmen, solide zu wirtschaften, so zum Beispiel dem Kunstbuchverlag Crymogea, der sich auf Naturbücher spezialisiert hat, oder dem Verlag/Kunstprojekt Tunglið, der immer nur 69 Exemplare eines Buchs pro Jahr druckt (und das auch nur bei Vollmond). Das Weihnachtsgeschäft hat überdies Einfluss auf die Planung von Veröffentlichungen, die sehr schnell vom ersten Manuskript zum fertigen Buchprodukt verarbeitet werden: Traditionell schicken die Autoren ihre Manuskripte im September, damit die Verlage schon Anfang Dezember die Bücher in die Läden bringen können. Das größte isländische Verlagshaus ist Forlagið, wurde 2007 gegründet und hat einen Anteil von 50 Prozent am allgemeinen Verlagsmarkt in Island, viermal mehr als der zweitgrößte Verlag, Bjartur & Veröld. Forlagið ist auch der erste isländische Verlag, der von einem ausländischen Unternehmen aufgekauft wurde: Seit 2020 gehören dem schwedischen Hörbuchverlag Storytel 70 Prozent des Unternehmens, eine absolute Novität auf dem isländischen Buchmarkt. Viele Autoren fragen sich, was aus ihren Urheberrechten und zukünftigen Veröffentlichungen wird, und die Geschäftsführerin des isländischen Schriftstellerverbandes Ragnheiður Tryggvadóttir merkte dazu an:

Die Leute sind geschockt, dass ein derart großer Anteil eines isländischen Verlages jetzt einem ausländischen Unternehmen gehört. Weil wir uns fraglos als Wahrer der isländischen Sprache sehen, und die isländische Sprache ist die Basis unserer nationalen Kultur. Unsere erste Reaktion war, dass das überhaupt keinen Sinn hat.

Das ist wenig verwunderlich: Bis heute liegt der gesamte Produktionsablauf isländischer Bücher alleine auf der Insel: Zwei Druckereien in Reykjavík drucken 70 Prozent aller veröffentlichten Bücher, und vom Lektorat bis zur Kasse im Buchhandel liegt alles in isländischer Hand. Das gilt auch für den Lizenzhandel: Neben Einzelauftritten isländischer Verlage auf den großen Buchmessen in London, Frankfurt oder Leipzig wird dieser zentral vom Miðstöð íslenskra bókmennta, dem isländischen Literaturzentrum mit Sitz in der Innenstadt von Reykjavík, angestoßen. Diese vom Staat finanzierte Institution hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Bewusstsein für die isländische Literatur sowohl im Inland als auch im Ausland zu schärfen und ihre Verbreitung zu fördern, und veröffentlicht zweimal pro Jahr eine Übersicht der neuesten Bücher der Insel für ausländische Verlage. Bei Interesse an einer Übersetzung vermittelt sie direkt an den jeweiligen isländischen Verlag. Ausländische Verleger isländischer Bücher können beim Zentrum Zuschüsse für Übersetzungen beantragen (die meisten deutschen Übersetzungen, die in diesem Buch erwähnt werden, haben davon profitiert), und Autoren, Verleger und Organisatoren können sich um finanzielle Unterstützung für Auslandsreisen und entsprechende Literaturveranstaltungen bewerben.

Wie beliebt Bücher in Island sind, zeigt sich nicht zuletzt auch in der Geschäftigkeit der öffentlichen Bibliotheken: Die moderne Stadtbibliothek in Reykjavík zum Beispiel, seit dem Jahr 2000 in einem großen Gebäude in Downtown untergebracht, ist die größte öffentliche Bibliothek Islands mit über 700 000 Besuchern im Jahr – und das in einer Stadt mit 200 000 Einwohnern. Pro Jahr werden alleine hier 1,2 Millionen Bücher ausgeliehen. Insgesamt gibt es in Island 78 öffentliche Bibliotheken, so dass jede der 75 Gemeinden des Landes mindestens eine Bibliothek besitzt, und diese haben einen Buchbestand von über zwei Millionen Exemplaren – also sechs Bücher für jeden einzelnen Einwohner der Insel. Und wie die Buchhandlungen sind auch die öffentlichen Bibliotheken wahrhaftige Kulturzentren und bieten zahlreiche Aktivitäten wie Vorträge, Schreibworkshops oder Vorlesestunden für Kinder an. Die Stadtbibliothek in Reykjavík organisiert im Sommer literarische Stadttouren durch die Nachbarschaft. Außerdem hat sie ein Büchermobil mit dem Namen ›Der Chef‹ (bókabíllinn Höfðingi) und ein Geschichtenmobil mit dem Namen ›Der Narr‹ (Æringi). Das Büchermobil, übrigens das einzige auf Island und mit einer dicken Couch im Heck, besucht unter der Woche fast 40 Orte in ganz Reykjavík und das Geschichtenmobil zur selben Zeit Vor- und Nachschulkindergärten. Überhaupt sind öffentliche Bibliotheken in ganz Island besondere Orte: In der Hafenstadt Akranes im Westen der Insel zum Beispiel liegt die Bibliothek direkt neben der örtlichen Filiale von Eymundsson, ohne dass man sich Konkurrenz macht. Menschen kaufen Bücher, die sie vorher in der Bibliothek gelesen haben, oder sie leihen sich Bücher aus, die sie dann als Geschenke in der Buchhandlung kaufen. Die Bibliothek von Ísafjörður in den Westfjorden ist Teil des Kulturhauses Eyrartuni, das im ehemaligen städtischen Krankenhaus von 1925 untergebracht ist und auch eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses und ein Archiv beherbergt. Die älteste und kleinste öffentliche Bibliothek Islands findet man in einem kleinen Holzhaus auf der Insel Flatey im Breiðafjörður, erbaut 1864 und einst Aufbewahrungsort der wichtigen mittelalterlichen Chronik und Sagasammlung Flateyjarbók. Die außergewöhnlichste Bibliothek Islands ist allerdings keine städtische: In Stykkishólmur auf der Snæfellsnes-Halbinsel befindet sich die faszinierende ›Bibliothek des Wassers‹ (Vatnasafn). Dieses 2007 ins Leben gerufene Projekt wurde von der amerikanischen Künstlerin Roni Horn (*1955) initiiert und ist in der ehemaligen öffentlichen Bibliothek untergebracht, allerdings ohne viele Bücher. Die Sammlungen bestehen aus 24 Glassäulen mit Wasser aus Eis von den wichtigsten isländischen Gletschern, und in einem Nebenraum können die Besucher in Roni Horns fortlaufender Buchreihe über Island stöbern. Das untere Stockwerk der Wasserbibliothek ist ein privates Atelier, in das jedes Jahr Schriftsteller zu einem Arbeitsaufenthalt eingeladen werden. Die Residenzen werden abwechselnd von in Island ansässigen und ausländischen Schriftstellern genutzt, darunter die isländische Schriftstellerin Guðrún Eva Mínervudóttir (*1976), die amerikanische Autorin Rebecca Solnit (*1961) sowie die kanadische Dichterin Anne Carson (*1950).

Neben den größten Buchhandlungen des Landes, schrulligen Antiquariaten, der Zentralbibliothek und fast allen wichtigen Literaturinstitutionen des Landes gibt es in Reykjavík das Alþjóðlega bókmenntahátíðin, das Internationale Literaturfestival, das seit 1985 alle zwei Jahre stattfindet. In der Vergangenheit haben weltbekannte Autoren wie Günter Grass (1927–2015), Isabel Allende (*1942), J. M. Coetzee (*1940), Margaret Atwood (*1939), Paul Auster (*1947) und Swetlana Alexijewitsch (*1948) daran teilgenommen. Es gibt das Mýrin Bókmenntahátíð, das Internationale Kinderliteraturfestival, das seit 2001 alle zwei Jahre stattfindet, und Literatur ist immer auch wichtiger Teil des Programms des Reykjavík Arts Festival, das ebenfalls im Zweijahresrhythmus stattfindet. Da ein großer Teil der Künstler in Island multidisziplinär und kollaborativ arbeitet, ist das jährliche Iceland-Airwaves-Musikfestival ein ebenso wichtiges Event im Kulturkalender, bei dem Musiker gemeinsam mit Schriftstellern auftreten.

Im Jahr 2011 wurde Reykjavík als erste nichtenglischsprachige Stadt zur UNESCO-Literaturstadt ernannt, als insgesamt fünfte Stadt der Welt, die diesen Ehrentitel erhielt – mittlerweile gibt es 39 solcher Literatur-Weltstädte. Um diesen Titel zu würdigen und zu fördern, hat die Stadt als Unterabteilung des Kulturamtes die Reykjavík Bókmenntaborg UNESCO & Bókmenntavefur ins Leben gerufen, die Reykjavík UNESCO Literaturstadt & Literaturnetz. Diese Institution betreibt neben ihrem Programm und ihrer Residenz die Website bokmenntaborgin.is, ein fantastisches Repositorium an Informationen, Leseproben und Bibliografien fast aller isländischen Schriftsteller der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart mit Bezug zu Reykjavík. Die englischsprachige Version der Website richtet sich gezielt an ein internationales Publikum und präsentiert auch Auszüge aus bislang noch nicht übersetzten Klassikern oder neuen Veröffentlichungen als Appetithappen. Für Autoren selbst ist der isländische Schriftstellerverband oder Rithöfundasamband Íslands (RSÍ) die wichtigste Institution. Er wurde 1974 gegründet und ging als eigenständige Organisation aus dem Schriftstellerverband des isländischen Künstlerverbands hervor. Ziel der Organisation ist es, die Interessen und Rechte der Schriftsteller zu schützen, eine allgemeine Unterstützungsstruktur für isländische Autoren zu schaffen und die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Heute hat der Verband rund 500 Mitglieder, darunter Lyriker, Romanschriftsteller, Drehbuchautoren, Dramatiker, Akademiker und Übersetzer.

 

Die Freude am Lesen und Schreiben begleitet die Einwohner Islands von klein auf. Jede weiterführende Schule, auch die Fach- und Berufsschulen, hat eine Bibliothek, die neben Werken zum jeweiligen Schwerpunkt der Schule einen umfassenden Bestand an Allgemeinliteratur bereitstellt. Der jeweilige Schulbibliothekar unterbreitet den Lehrern proaktiv zu jedem Schuljahr die für die jeweiligen Stufen passenden Angebote. Die Bibliotheken sind aber auch nicht nur reine Orte der Ausbildung und des Lernens, sondern werden aktiv als Freizeit- und Rückzugsorte für die Schüler beworben. Und natürlich stehen die Klassiker der isländischen Literatur wie die Sagas oder die Werke von Halldór Laxness seit Jahrzehnten auf dem Lehrplan. Aber nicht alle isländischen Schüler werden begeisterte Literaten. 2019 hat das isländische Radio Schüler nach ihrer Leselust befragt, und ein Gymnasiallehrer gab an, vor 20 Jahren mit den Schülern drei Laxness-Romane gelesen zu haben, heute sei es aber nur noch einer.

Die Insel ist und bleibt aber dennoch ein Land der Leseratten. Isländer bezeichnen sich als bókaþjóð, als Buchnation, und der Begriff wird nicht im übertragenen Sinn verwendet: Es gibt im Isländischen dieses Wort nur in Bezug auf Island selbst und nie auf ein anderes Land. Island ist die Buchnation, und die Menschen hier lesen und schreiben wie kaum sonst jemand auf der Welt. Jeder Zehnte geht hier durch die Straßen und sammelt Eindrücke und Geschichten, um diese weiterzuspinnen und in Buchform zu erzählen, und wenn sich die auf den ersten Blick schroffen Isländer einmal warmgeredet haben, hat jeder hier eine Geschichte (oder vier) zu erzählen. Die Zahl derjenigen, die hauptberuflich als Schriftsteller arbeiten, ist allerdings mit der in Deutschland vergleichbar: In einer Umfrage des Schriftstellerverbandes RSÍ im Jahr 2017 gaben nur 34 Prozent der Mitglieder an, vom Schreiben leben zu können.

Island kann also ohne Übertreibung als eine Kultur des Wortes bezeichnet werden, besonders weil die mittelalterlichen Handschriften bis in die Gegenwart identitätsstiftend bleiben. Durch die Texte konnten die Isländer über Jahrhunderte dänischer Kolonialherrschaft ihre kulturelle Identität bewahren, denn die Sagas handeln zum großen Teil nicht von irgendwelchen fernen Königen, sondern von Bauern, Fischern und Naturgewalten. Die Themen der isländischen Literatur haben sich in den letzten 70 Jahren aber deutlich geändert, doch erst ab den 2000er Jahren konnte die neueste Generation von Autoren aus dem übermächtigen Schatten Laxness’ heraustreten und eine moderne isländische Literatur schaffen. Die zeitgenössischen Schriftsteller behandeln vor allem Themen der Gegenwart, die sie in der ganzen Welt finden, und sind nicht mehr nur auf die Insel beschränkt. Isländische Literatur ist einerseits kritisch heimatverbunden, andererseits weltoffen, kosmopolitisch. Die Wertschätzung des geschriebenen Wortes und die Betonung des kulturellen Fortschritts haben dazu geführt, dass Künstler auf Island einen sehr hohen Status in der Gesellschaft innehaben. Vertreter der kreativen Künste gelten heute nicht nur als das sprichwörtliche Gewissen des Landes, sondern werden auch mehr als in anderen Ländern zu Aktivisten und Politikern – wie zum Beispiel der Schriftsteller Andri Snær Magnason (*1973; s. Kap. 10), einer der Kandidaten bei der Präsidentenwahl 2016.

Angesagt auf der ganzen Welt sind in Island geschriebene (und stattfindende) Kriminalgeschichten, insbesondere im englisch- und deutschsprachigen Raum, und es gibt hier einen extrem hohen Anteil an Krimiautoren, deren Werke auch in anderen Medien wie geschnitten Brot verkauft werden. Kino- oder TV-Krimis, die auf den Werken internationaler Literaturstars wie Yrsa Sigurðardóttir (*1963) oder Ragnar Jónasson (*1945; s. Kap. 11), basieren, sind global so erfolgreich wie ihre Bücher. Island mag also ein Beweis dafür sein, dass eine feindliche und gnadenlose Natur, so gruselig sie auch erscheinen mag, nicht immer das Schlimmste im Menschen und seine innersten Dämonen hervorruft –, sondern stattdessen die Fantasie seiner Bewohner sprießen lässt.

Die isländische Natur spielt eine entscheidende Rolle in der Literatur und ist ebenfalls mit den Sagas verknüpft: Die Erfahrungen der kleinen und unbedeutenden Menschen im Angesicht der harten Natur der gnadenlosen Vulkaninsel bilden den Rahmen fast aller Erzählungen. Es an einem solchen gnadenlosen Ort, wo das reine Überleben schon schwierig genug war, auch noch zustande zu bringen, Bücher zu schreiben und darin Geschichten zu erzählen, die die Menschen bis heute inspirieren, ist wirklich beeindruckend. Die Geschichten der Sagas sind fiktiv, aber nie unrealistisch und immer in der Landschaft der Insel verankert. Wie die Liebe zum Spiel mit Sprache ist die Wahrnehmung der dramatischen Natur mit ihren Lavafeldern, Lawinen und Schneestürmen eine der Triebfedern für den isländischen Drang zum Geschichtenerzählen, zum Schreiben und Lesen von Büchern. In anderen Ländern gibt es römische Tempel und Amphitheater, Raubritterburgen und Kathedralen, die an die Vergangenheit erinnern. In Island gab es lange Zeit: nichts. Anstatt auf Ruinen oder auf altertümliche Bauwerke können die Isländer nur auf einen Fluss oder Gletscher zeigen und sagen: Hier haben sich diese und jene Geschichten abgespielt, und deswegen heißt der Ort jetzt soundso. Isländische Geschichte und Geschichten sind immer fest in der Natur der Vulkaninsel verankert, und viele der Künstler und Autoren sind von ihrer Heimat inspiriert. Aber niemals idealisierend oder verniedlichend und immer mit dem Blick nach außen.

Die Faszination von unbarmherziger Natur und einer 800-jährigen Tradition des Romans hat isländische Literatur immer schon für andere spannend gemacht. Spätestens seitdem Island 2011 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war und durch neue Übersetzungen und eine breite Präsenz in den Medien viele neue Leser gefunden hat, ist die Lust auf Bücher aus dem Norden in Deutschland ungebrochen und sind isländische Autoren gern gesehene Gäste auf literarischen Veranstaltungen im ganzen Land. Deutschland ist nach Großbritannien und Frankreich der größte Absatzmarkt für Autoren und Verlage aus Island, und dieses Interesse zeigt sich auch in den Veröffentlichungen: Alleine seit 2017 wurden mehr als 50 Bücher aus dem Isländischen ins Deutsche übersetzt und in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlicht. Diese Verbindung wirkt natürlich auch andersherum, und deutschsprachige Künstler reisen gerne nach Island, um sich vom Land inspirieren zu lassen (s. Kap. 7). Ein Teil dieser Faszination ist sicherlich eine kindliche, eskapistische Begeisterung für Geschichten über magische Schwerter, Thors Hammer und den Blutadler; ein anderer Teil jedoch ist ein beständiges Interesse an Menschen, Landschaften und Literatur am Rand; an Kulturen, die sich der Zerbrechlichkeit der irdischen Existenz bewusst sind und deren plötzliches und gewalttätiges Ende an dunklen und kalten Orten nicht nur in den Nachrichten vorkommt, sondern Teil des täglichen Lebens ist. Das harsche Vulkaneiland der Wikinger, so unwirtlich es auch war, hat immer wieder Fremde angesprochen, und die dramatische Landschaft und einzigartige Kultur haben ein beeindruckendes Nordland-Œuvre von Autoren aus der ganzen Welt beeinflusst. Von Jules Verne (1828–1905), der 1864 den Eingang zur Reise zum Mittelpunkt der Erde im Snæfellsjökull-Krater verortete, über die Sagen und Volksmärchen über Elfen, die Wilhelm Grimm (1786–1859) schon 1811 in seinen Altdänischen Heldenliedern, Balladen und Märchen übersetzte und die J. R. R. Tolkiens (1892–1973) Der Hobbit (1937) und Der Herr der Ringe (1954) bis hin zu den Thor-Comics aus dem Marvel-Verlag und Neil Gaimans (*1960) Nordische Mythen und Sagen (2017): Island und seine Literatur inspirieren Künstler auf der ganzen Welt schon lange.

Genau wie seine Bewohner weist dieser Ort eine Vielzahl von Identitäten auf: Island ist vermutlich der letzte Ort in Europa, der besiedelt wurde. Das Land war eine vernachlässigte Kolonie unter Fremdherrschaft, deren Bevölkerung durch Naturkatastrophen fast ausgerottet wurde. Nach den beiden Weltkriegen wandelte Island sich zu einer fortschrittlichen nordischen Demokratie und entwickelte sich schließlich von einem der ärmsten Mitglieder der Europäischen Zentralbank zu einem globalen Finanzakteur, um nur wenig später, 2008, einen spektakulären Staatsbankrott zu erleiden. Island ist heute eines der beliebtesten Reiseziele der Welt und das Interesse an seinen Kulturerzeugnissen ungebrochen. Die faszinierende Insel im Nordmeer ist außerdem vor allem eines: ein Paradies für Buchliebhaber und Geschichtenerzähler. Die Autoren der Insel schreiben sowohl über aktuelle gesellschaftliche Missstände als auch historische Ereignisse, verfassen spannende Krimis, aber auch absurd-komische Werke mit einem Hang zum Grotesken und schaffen es dabei immer, literarische Stile und Themen der Vergangenheit und Gegenwart geschickt miteinander zu verbinden.

In den folgenden Kapiteln gehe ich anhand der historischen Entwicklung der isländischen Literatur der Frage nach, warum Bücher auf dieser kalten, vom Atlantik umbrandeteten und von Winterstürmen gepeitschten Insel seit jeher derart beliebt sind und warum die Literatur für Island überlebensnotwendig ist, stelle die wichtigsten Schriftsteller der Vergangenheit und Gegenwart und ihre Werke vor und zeige, wie die Verbindung von Geschichte, Natur und Sprache die Literatur zur wichtigsten Kunstform gemacht hat. Wie keine andere ist sie in der isländischen Gesellschaft verbreitet und demokratisch verankert.

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