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NIKOLAJ SEMENOVIČ LĚSKOV

Ein Zufall führte N. S. Lěskov der Literatur zu. Da seine Familie infolge wiederholter großer Feuersbrünste, die nahezu ihren gesamten Besitz zerstörten, verarmt war, konnte er die bereits begonnenen Universitätsstudien nicht vollenden und sah sich gezwungen, sich einen praktischen Beruf zu erwählen. Im Auftrage seines Verwandten, des Engländers Scott, in dessen Dienste er getreten war, bereiste er in geschäftlichen Angelegenheiten Rußland und machte auch einige Auslandsreisen. Die Reiseberichte, die er an seinen Auftraggeber richtete, gefielen dem Schriftsteller Selivanov, der zufällig von ihnen Kenntnis erhielt, derart, daß er die literarischen Kreise auf den begabten jungen Mann aufmerksam machte.

Lěskov war nahe an die Dreißig,1 als in einer Petersburger Zeitschrift seine erste Arbeit erschienen, ein Schreiben, in dem er über die unmäßig hohen Preise Klage führt, zu welchen die Buchhändler in Kiev das damals soeben zum erstenmale in russischer Sprache erschienene Evangelium verkaufen. Der warme Ton, in dem das Schreiben gehalten war, erregte allgemeine Aufmerksamkeit und machte den angehenden Literaten rasch bekannt. Bereits in den ersten Sechzigerjahren erschienen zumeist in Petersburger Monatsschriften und Sammelwerken die ersten novellistischen Arbeiten und Romane dieses Autors, der neben Gogol, Gončarov, Tolstoj, Dostojevskij, Pisemskij, Saltykov und Ostrovskij zu den hervorragendsten Repräsentanten des russischen Schrifttums des neunzehnten Jahrhunderts zählt, wie wohl er selbst in seiner Heimat auch heute noch nicht nach Gebühr geschätzt wird.

Daß diesem originellen, reichbegabten und seinen Beruf ernst auffassenden Schriftsteller solange die ihm gebührende Anerkennung versagt wurde, daran ist in erster Reihe die politische Gesinnung Lěskovs schuld, der, ursprünglich liberal, sich später (ebenso wie Pisemskij und Turgeněv) gegen die Auswüchse und Übertreibungen der radikalen Richtung erklärte und durch Romane, in denen er die neuen Strömungen karrikierte („Nekuda“, „Na nožach“ und „Obojdennie“), sich den glühenden Haß der Jugend zuzog. Er wurde auch beschuldigt, in den Diensten der Polizei zu stehen und ein Verräter und Spion zu sein. Es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß alle diese Beschuldigungen im höchsten Grade ungerecht waren und auch nicht ein Fünkchen Wahrheit enthielten, aber sie genügten, um Lěskov beim Publikum verhaßt zu machen. Nur nach und nach ist es dem Autor, der sich in seinen tendenziösen ersten Romanen unstreitig zu Übertreibungen hatte hinreißen lassen, gelungen, die Gunst eines weiten Leserkreises zu gewinnen.

Diesen Erfolg, der umso mehr bedeutet, als, wie gesagt, die gesamte öffentliche Meinung lange Zeit hindurch gegen ihn voreingenommen war, erreichte er durch die Wahrheitsliebe, die aus allen seinen Werken sprach, durch die Originalität und Bodenständigkeit derselben, sowie durch den Gerechtigkeitssinn und den tiefen sittlichen Ernst, der sich in seinen Arbeiten äußert. Er ist ein Altruist im besten Sinne des Wortes und er bringt allen, die da leiden, ein warmes Mitgefühl und ungeheuchelte Sympathien entgegen. Besonders gelungen sind seine Schilderungen aus dem Leben der russischen Geistlichkeit, deren Verhältnisse er eingehend kannte und mit trefflicher Plastik schilderte. In dieser Beziehung kann es von den russischen Schriftstellern nur noch A. Pečerskij-Melnikov mit ihm aufnehmen. Mit seltener Meisterschaft hat er eine ganze Anzahl köstlicher Gestalten aus dieser gesellschaftlichen Sphäre geschildert. Sein Hauptwerk, der Roman „Soborjane“, ist gleichfalls dem Leben der Geistlichkeit entnommen.

Aber auch andere Schichten der russischen Gesellschaft liefern ihm dankbare Vorwürfe für sein Schaffen, so jene der Kaufleute, der Ökonomen, der Beamtenwelt. Lěskov kannte seine Menschen genau und war mit allen Einzelheiten ihres Lebens vertraut und daher mag es kommen, daß wir bei der Lectüre seiner Arbeiten den Eindruck gewinnen, als ob sich uns eine ganz neue, uns bisher durchaus unbekannte Welt erschließen würde. Sein psychologischer Scharfblick, sein kerniger origineller Stil und die flammende Menschenliebe, die aus seinen Werken spricht, machen ihn zu einem der bedeutendsten und eigenartigsten russischen Schriftsteller, dem die Zukunft zweifelsohne die gerechte Würdigung, die ihm die Mitwelt versagte, gewähren wird. Seine Stellung im neueren russischen Schrifttum präzisiert der treffliche Kenner der Literatur seiner Heimat, der Kritiker Vengerov, wie folgt: „Durch einige Seiten seiner Begabung Ostrovskij, Pisemskij und Dostojevskij nah verwandt, steht er keinem dieser großen Meister des russischen Wortes in Bezug auf rein künstlerische Qualitäten nach. Kein einziger russischer Schriftsteller verfügt über einen solchen Reichtum der Fabulierungkunst. Mit diesem Reichtum ist die Koncentrirung der belletristischen Manier Lěskovs eng verknüpft. Endlich findet man in der russischen Literatur wenig Autoren, die es mit Lěskov in Bezug auf den Farbenreichtum und die Originalität der Sprache aufnehmen könnten.“

Außer einigen größeren Romanen hat Lěskov eine große Anzahl Novellen hinterlassen, die in künstlerischer Beziehung den besten Hervorbringungen des neueren russischen Schrifttums beizuzählen sind und wertvolle Beiträge zu einer näheren und tieferen Erkenntnis der Verhältnisse Rußlands und der Sitten seiner Bewohner in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bilden.

DER UNGETAUFTE POPE

Erstes Kapitel

Über die Vorfälle des Tages uns unterhaltend, saßen wir, eine größere Zahl guter Freunde und Genossen, beisammen, als einer nachstehende Zeitungsnotiz zu lesen begann:

„In einem Dorfe fand die Hochzeit der Tochter des Popen statt, wobei es sehr hoch herging und, wie üblich, recht viel getrunken wurde, so daß sich alle, ländlich, sittlich, nach dortiger Bauernart sehr gut unterhielten.

Unter den Gästen befand sich auch der Diakon, der sich als Freund und Liebhaber choreographischer Künste zeigte, weshalb er es unternahm, den Festtag mit „festlichen Reimen“ zu feiern und schließlich, um auch seinen Teil zur Unterhaltung der Gäste beizutragen, anfing, den „Trepak“2 zu treten, wodurch alle Anwesenden in das höchste Entzücken gerieten.

Nur der Vikariatsvorstand (Kircheninspektor), welcher als Gast anwesend war, fand das Vorgehen des Diakons als mit der geistlichen Würde unvereinbar, höchst unzeitgemäß, und erstattete diensteifrig eine Anzeige an den Erzbischof.

Erzbischof Ignatius schrieb, nachdem er die Klage des Vikarius gelesen, unter dieselbe folgende Resolution:

 
Diakon N. den Trepak trat.
Trepak hat aber nicht geklagt.
Warum der Inspektor klagt?
Sei er zu rufen und deswegen gefragt.
 

Die Sache endete damit, daß der Inspektor im Winter, etwa anderthalb hundert Werst zu fahren und nicht wenig Geld zu verausgaben hatte, um mit der Bemerkung nach Hause geschickt zu werden, „es wäre jedenfalls angezeigter gewesen, den Diakonus an Ort und Stelle sofort auf das unpassende und unanständige seiner Handlungsweise aufmerksam zu machen, statt Klage zu führen, wegen eines und dabei noch ausnahmsweise vorgekommenen Falles.“

Nach Beendigung der Vorlesung waren alle darüber einig, daß die Resolution des Erzbischofes nicht nur originell, sondern auch zeitgemäß war, doch einer unter uns, welcher besonders viel in Verbindung mit Geistlichen stand, und dem das Leben derselben, sowie viele auf dasselbe bezughabenden Anekdoten bekannt waren, meinte:

Wahr ist wahr, der Inspektor hatte keinen Grund gehabt zu klagen und Angeberei zu treiben wegen eines ausnahmsweise vorgekommenen Falles; aber ein Fall ist nicht gleich dem anderen, und das, was ich eben hörte, erinnert mich an einen anderen Fall, in welchem der Vikarius seinem Erzbischof eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen gab, die jedoch der letztere zur Zufriedenheit aller Beteiligten, den Vikarius ausgenommen, löste.

Wir baten unseren Freund uns diesen Vorfall zu erzählen, wozu er sich bereit erklärte; er begann:

Die Geschichte, welche ich euerem Wunsche entsprechend erzählen werde, ereignete sich in den ersten Jahren der Regierung des Kaisers Nikolaus Pawlovič und endete knapp vor dem Tode desselben, also gerade zu einer Zeit, wo wir die größten Mißerfolge in der Krim zu überstehen hatten.

Die zu jener Zeit herrschenden politischen und militärischen Vorfälle hatten alles andere zurückgedrängt und so ging mancher Fall unbeachtet verloren, welcher unter anderen Verhältnissen allgemeines Interesse erregt hätte, aber einer von diesen bewahrt sich doch im Gedächtnisse einiger weniger Personen, vor deren Augen derselbe vor sich ging oder die an demselben direkt oder indirekt beteiligt waren.

 

Mancher dieser Vorfälle gehört bereits der Sage an.

Der Fall jedoch, den ich Euch erzählen werde, ist noch nicht aus dem Gedächtnisse einzelner Personen verschwunden, denn die meisten in dieser wahren Geschichte handelnden Personen leben noch heutigen Tages, und ihr werdet es deshalb für ganz richtig und angezeigt halten, wenn ich den Orten und Personen, außer der Hauptperson, erdachte Namen gebe.

Im allgemeinen will ich nur soviel sagen, daß diese Geschichte in Süd-Rußland, unter Klein-Russen, vor sich ging und der „ungetaufte Pope“ Sava, ein seelenherzensguter, allgemein beliebter, ja von seiner Gemeinde geradezu vergötterter Mann, noch heute frisch und heiter, wenn auch bereits hochbetagt, lebt und seinen Pfarrbezirk nicht nur zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, sondern auch seiner Pfarrkinder verwaltet.

Zweites Kapitel

Also: – in einem der Dörfer im südlichen Rußland, welchem wir, meinetwegen, den Namen Paripsami beilegen wollen, lebte der reiche Kasak Zacharovič, mit dem Rufnamen Dukač.

Er war zur Zeit, als meine Erzählung beginnt, bereits nicht mehr jung, aber sehr reich, kinderlos, rauh und hartherzig.

Wucherer, im eigentlichen Sinne des Wortes, war er nicht, auch kein Schinder, wie man sie unter Altrussen oft findet, denn derartiges kam zu jener Zeit in Südrussland nicht vor, aber er war, was man so nennt, ein zänkischer, hochmütiger, grober, rücksichtsloser Mensch, den alle fürchteten, sich, sowie sie ihn sahen, bekreuzten, und ihm, wenn es tunlich war, aus dem Wege gingen, denn kamen sie demselben ungelegen, dann gab es böse Worte, ja nicht selten sogar Prügel.

Sein eigentlicher Name war den wenigsten im Dorfe bekannt, was ja überhaupt in Dörfern gar nicht so selten vorkommt, aber alle nannten ihn Dukač, wodurch alle seine unangenehmen Eigenschaften zum Ausdruck gelangten.

Dieser mehr oder weniger beleidigende Spitzname konnte auf eine Verweichlichung seines Charakters wenig Einfluß ausüben; im Gegenteil, er wurde dadurch noch mehr aufgeregt und ärgerlich und nicht selten in einen solchen Zustand von Aufregung gebracht, daß der sonst von der Natur aus ganz gescheite Mann, der sich auch sonst zu beherrschen verstand, alle Überlegung verlor und sich auf die Menschen wie ein wütender Wolf warf.

Kinder brauchten ihn wohl nur von weitem zu erblicken, als sie unter dem Rufe: „Der Dukač kommt, der Dukač kommt!“ auseinander liefen, wie die Sperlinge bei einem Schusse: gelang es dem Dukač aber eines der Kinder unverhofft zu erjagen, dann schlug er dasselbe mit seinem langen Stocke, ohne welchen kein richtiger Kasak sein Haus verläßt, recht derb und empfindlich; hatte er aber den Stock nicht gerade zur Hand, dann brach er einen Ast vom ersten besten Baume, der ihm zu vorerwähntem Zwecke diente.

Den Dukač fürchteten alle, nicht allein Kinder, sondern auch die Erwachsenen, weshalb ihm jedermann auswich und trachtete dem Dukač nicht begegnen zu müssen.

Das war ein Mensch, den niemand liebte, dem niemand gutes wünschte, weder ins Gesicht noch hinter seinem Rücken, denn alle waren darüber einig und davon überzeugt, der Himmel zögere nur den streitsüchtigen Kasaken zu strafen bis zur gelegenen Zeit, sie selbst aber wären alle bereit diese Strafe mit dem größten Vergnügen zu besorgen, aber gerade den Leuten wie zum Trotze, verfolgte geradezu das Glück den Dukač.

Es glückte alles, was er unternahm – es lief ihm so zu sagen alles in die Hände; die schon überhaupt zahlreichen Heerden seiner Schafe vermehrten sich wie die Heerden Labans unter Jakob, so daß die in der Nähe liegende Steppe bereits zu klein für sie sich erwies.

Die langgehörnten schweren Zugochsen Dukač’s vermehrten sich, wuchsen und zogen hundert neue, mit Getreide, Wolle und anderen Produkten und Waren beladene Wagen nach Moskau, Nešin, Odessa oder geradezu noch weiter in die Krim; die Bienenstöcke im Lindenwald, vor Wind und Wetter geschützt, zählten nach hunderten.

Mit einem Wort: der Reichtum des Dukač war nach den Begriffen und der Ansicht der dortigen Kasaken ein – unermeßlicher.

Aus welchem Grunde gab ihm das alles Gott?

Die Leute konnten sich dieses nicht erklären, sie wunderten sich, schüttelten mit den Köpfen und trösteten sich damit, daß all’ dieser Reichtum, all’ dieses Glück, dieser Überfluß dem Dukač nicht zum Vorteile gereiche, daß Gott den Dukač nur in Versuchung führe, damit dieser noch stolzer werde als er es bereits ist, um ihn dann ungeahnt, plötzlich von seiner Höhe herabzustürzen mit einem solchen Krach, daß derselbe weit und breit hörbar sein werde.

Ungeduldig bereits geworden, erwarteten diese guten Leute das schreckliche Gericht; aber die Jahre folgten eines nach dem anderen, ohne daß die Strafe Gottes zur Äußerung gekommen wäre.

Der Kasak wurde von Jahr zu Jahr reicher und reicher, hochmütiger, anmaßender, ja bösartiger, und es gab keine Anzeichen noch Hoffnung, daß seinem Übermut, seiner Rohheit ein Damm gesetzt werden würde.

Das beunruhigte nicht nur die nächsten Nachbaren Dukač’s, sondern auch die Gemeinde und die ganze Umgebung, und regte dieselbe auf, um so mehr, als man nicht sagen konnte, daß die Sünden des Vaters sich an den Kindern desselben rächen würden, denn Dukač war – kinderlos.

Aber unerwartet zog sich die Dukačin von den Leuten zurück – sie zeigte sich wenig, wurde schüchtern und zurückhaltend – hörte auf sogar vor’s Haus zu gehen oder Besuche zu machen; – in nicht gar zu langer Zeit verbreitete sich das Gerücht und wurde weitergetragen, die Dukačin befände sich in jenem Zustande, den man bei den Frauen den interessanten zu nennen pflege.

Die guten Leute und Nachbaren erschraken geradezu über diese fast unglaublich scheinende Neuigkeit; die Zungen lösten sich jedoch bald, die durch fruchtlose Erwartung bereits ermüdete öffentliche Meinung fing an sich auf ein großes Ereignis vorzubereiten.

„Was wird das für ein Kind werden? – was wird das für ein Teufelskind sein? … Es wäre besser, es ginge im Mutterleibe zu Grunde, ehe es das Licht der Welt erblickt!“

Solche und ähnliche Wünsche hegte die Gemeinde und Umgebung. Alle erwarteten mit Ungeduld die Zeit der Geburt, bis auch diese eintrat. In einer bitterböskalten Dezembernacht gebar unter dem Dache des großen Bauerhauses unter großen Schmerzen die Dukačin ein kleines Kindlein!

Das neugeborene Weltenkind war ein Knabe, keine tierähnliche Mißgeburt, wie es die guten Leute erwarteten und wünschten, sondern ein ganz reinliches Kindlein mit weißer weicher Haut, schwarzen Haaren und schönen, großen, blauen Augen.

Als die Hebamme Kerasivna diese Neuigkeit den vor dem Hause angesammelten Leuten mitteilte und eidlich bestätigte, der Neugeborene besäße weder Hörner am Kopfe noch einen Pferdefuß oder gar ein Schwänzchen, da fehlte es nicht viel und sie wäre durchgeprügelt worden; angespuckt hat man sie doch.

Und trotz alledem blieb der Knabe was er war, ein schönes Kind, und dabei außergewöhnlich ruhig: er atmete ganz leise, so daß es kaum bemerkbar war, als schämte er sich zu schreien.

Drittes Kapitel

Als Gott dieses Knäblein dem Dukač schenkte, stand derselbe bereits nahe den Fünfzigen.

Bejahrten Leuten, namentlich solchen, welche über einen gewissen Wohlstand oder Reichtum verfügen, bereitet die Geburt eines Nachfolgers eine ganz besondere Freude.

Selbst Dukač freute sich sehr der Geburt seines Sohnes, aber seine Freude äußerte sich, wie es ja bei seinem rauhen Charakter nicht anders sein konnte, in eigener Art.

Vor allen anderen ließ er den bei ihm lebenden vermögenslosen Verwandten Agap zu sich rufen und teilte ihm mit, daß er von nun an sich keine Hoffnung machen dürfe, ihn – den Dukač – beerben zu können, um so mehr, als ihm Gott einen wirklichen Erben geschenkt habe; dann befahl er ihm so rasch wie möglich seinen Sonntagsstaat anzuziehen, die neue Mütze aufzusetzen und so, wie es Tag wird, den hier zu Besuch weilenden jungen Gerichtsbeamten und die Frau des Popen aufzusuchen und sie als Taufpaten für das neugeborene Kind einzuladen.

Agap war nicht mehr jung, nahezu an vierzig, furchtsam, er sah mehr einem Huhn mit beschädigtem Kopfe ähnlich, was davon herrührte, daß ihm ein großer Flecken Haare am Kopfe fehlte, wodurch eine lächerliche Kahlheit entstand; ein Zeichen von Dukačs starker Hand.

Agap verlor die Eltern noch im Kindesalter und wurde von Dukač angenommen; zu der Zeit war Agap ein aufgeweckter lebhafter, fast übermütig ausgelassener Knabe, der seinem Onkel nur Nutzen brachte, denn er konnte lesen und schreiben, was Dukač nicht konnte.

In den ersten Jahren pflegte Dukač den Agap mit Fuhren nach Odessa zu schicken.

Als Agap einmal von einer solchen Odessaer Reise zurückkehrte, die Abrechnung pflegte und in der Rechnung den Ankauf einer neuen Mütze auswies, da wurde Dukač darüber, daß Agap, ohne seine Einwilligung eingeholt zu haben, eine Ausgabe machte, so wild, daß er den Agap über Kopf und Nacken so heftig schlug, daß dieser sehr lange nicht nur Schmerzen litt, sondern auch seit dieser Zeit den Kopf nach einer Seite geneigt trug; die Mütze nahm Dukač dem Agap ab, hängte sie auf einen Nagel in der Stube auf, bis sie die Motten zerfraßen.

Der schiefhalsig gewordene Agap ging ein ganzes Jahr lang ohne Mütze herum; alle Leute lachten ihn deswegen aus.

Während des Verlaufes dieses Jahres weinte Agap sehr oft und sehr lange; er hatte Zeit genug darüber nachzudenken, wie er sich in der Folge in einem solchen Falle zu benehmen hätte.

Durch die rohe Behandlung seines Onkels ist Agap selbst stumpf geworden; die Leute rieten ihm seinen Verwandten zu betrügen, aber dieser Betrug müsse so politisch sein, daß er, Agap, eine Mütze hätte, ohne daß Dukač dahinter kommen könnte, in welcher Art und Weise er, Agap, sich das Geld zum Ankauf verschafft habe, dieses sei jedoch nur dann möglich, wenn er, Agap, das für die Mütze verausgabte Geld in kleinen Beträgen auf die anderen Ausgaben verteile.

Sodann müsse er, Agap, behufs Sicherung, für alle Fälle, sich Hals und Nacken recht dick mit Tuch umwickeln, sobald er mit seinem Onkel Dukač die Abrechnung pflegen wird, denn wenn ihn dann Dukač schlagen sollte, so wird er, Agap, wenigstens keine Schmerzen empfinden.

Agap hat sich diese und ähnliche Ratschläge recht wohl gemerkt und als ihn Onkel Dukač das nächste Jahr wiederum nach Nižnij3 schickte, da kam Agap, der ohne Mütze vom Hause wegging, mit neuer Mütze zurück, die jedoch in der Rechnung nicht angeschrieben stand.

Dukač bemerkte gar nicht, daß Agap eine Mütze besitze, ja er belobte sogar seinen Neffen Agap und bemerkte, daß er diesesmal keine Ursache habe, ihn durchzuprügeln; die Angelegenheit wäre ganz friedlich verlaufen, wenn dem Agap der Teufel nicht geraten hätte dem Onkel zu zeigen, wie er „politisch“ sein und der Redlichkeit ein Schnippchen schlagen könne.

Vorerst jedoch betastete er vorsichtig Hals und Nacken, ob auch die Handtücher, die er vorsichtshalber umgewickelt hatte, fest säßen, und erst dann meinte Agap:

„Ah! Onkel! … gut … gut … für nichts zu schlagen nötig! … Redlichkeit gibt es doch auf der Welt.“

„Was für Redlichkeit?“

„Was für Redlichkeit? … Schaut her, Onkel,“ und er tippte mit dem Finger auf das Papier, auf welchem die Rechnung geschrieben war, „gibt es hier eine Mütze?“

„Nein, ist nicht,“ gab Dukač zur Antwort.

„Und ist die Mütze drin,“ belobte sich Agap selbst und setze diese schief aufs Ohr.

Dukač sah auf und sagte:

„Wirklich eine schöne Mütze – geb’ sie doch ’mal her, ich will sie anprobieren.“

Er setzte die Mütze auf und ging zu dem Spiegelscherben, welcher in einen Holzspan eingeklemmt war, schüttelte seinen grauen Kopf und meinte:

„Gewiß, eine sehr schöne Mütze, die ich selbst tragen werde.“

„Sie steht Euch sehr gut zu Gesichte, Onkel.“

„Ja, wo hast Du, Lump, die Mütze gestohlen?“

„Was Euch nicht einfällt, Onkel, ich stehle nie,“ gab Agap zur Antwort, „Gott soll mich bewahren, ich, und stehlen!“

„Also, woher hast Du die Mütze?“

Agap meinte, gestohlen habe er sie nicht, aber durch Politik sei er in den Besitz derselben gekommen.

Dem Dukač erschien dies alles so außerordentlich lächerlich und unglaublich, daß er tatsächlich zu lachen anfing und meinte:

 

„Ist es Dir nicht schwer vorgekommen Politik zu treiben?“

„Weshalb?“

„Also red’, wie hast Du das angestellt?“

„Politisch.“

Dukač drohte dem Agap mit dem Finger; doch dieser blieb bei seiner Behauptung die Mütze politisch erworben zu haben.

„Welcher Teufel hat Dir eingeredet, politisch zu sein?“ frug Dukač weiter, „wie kann es möglich sein, daß ein so dummer Junge, wie Du es bist, in Nižnij Politik treiben kann?“

Doch Agap blieb fest bei seiner Behauptung stehen.

Dukač befahl schließlich dem Agap sich zu setzen und ihm haarklein zu erzählen, in welcher Art und Weise er Politik getrieben habe. Dukač selbst goß sich einen kleinen Topf Pflaumenbranntwein ein, brannte seine Pfeife an und richtete sich gemächlich zu längerem Zuhören ein.

Doch die Erzählung war kurz.

Agap las nochmals die sämtlichen Posten der Rechnung vor, und meinte dann:

„Gibt es hier eine Mütze?“

„Nein, nicht,“ gab Dukač zur Antwort.

„Und sie ist doch drin!“

Und nun beichtete er, wo und in welchen Posten und wie viel bei jedem zugerechnet worden ist, und dieses alles erzählte er mit einer solchen Offenheit und Freude, als er sicher war, daß ein Überfall seines Onkels ihm keine großen Schmerzen bereiten könne, denn sein Hals und Nacken waren ja mit vielen Lagen von Handtüchern dicht umwickelt; aber es ereignete sich etwas anderes, ganz unerwartetes, unerwünschtes, worauf Agap ganz unvorbereitet war.

Anstatt seinen Verwandten zu prügeln, meinte Dukač:

„Sieh’! sieh’! wirklich, Du bist sehr politisch vorgegangen und hast die Ausgabe für die Mütze so gut verheimlicht, daß es mir nicht wehe tuet, ich aber werde Dich eine andere Politik lehren,“ und aufspringend riß er dem Agap nicht nur eine Handvoll Haare vom Kopfe, sondern auch gleichzeitig das Stück Haut mit, so daß an dieser Stelle seit dieser Zeit auch keine Haare mehr gewachsen sind.

In dieser Weise endete das politische Spiel des Neffen mit dem Onkel, und als dieser Vorfall im Dorfe bekannt wurde, da wuchs das Ansehen des Dukač noch mehr, als man zu der Überzeugung kam, daß man dem Dukač weder durch List noch Gradheit beikommen oder ihn betrügen könne.

1Nik. Semenovič Lěskov wurde am 4. Feber 1831 im Dorfe Gorochov (Gouvernement Orlov) als der Sprosse einer adeligen Familie geboren, von deren Mitgliedern mehrere Geistliche waren. Nach dem jähen Abbruch seiner Universitätsstudien trat er zunächst in den Justizdienst ein, um später einen Posten bei der Finanzdirektion in Kiev anzunehmen. Dann war er eine Zeitlang als Verwalter der Scottschen Güter tätig, widmete sich jedoch frühzeitig einzig und allein der Literatur. Er übersiedelte im Jahre 1861 nach Skt. Petersburg, wo er am 21. Feber 1895 verschied.
2Trepak, eine Art Fußblatteltanz.
3Nižnij Novgorod.
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