Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares

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Der Wunsch bleibt. Doch dann ... Die Geschichte eines Paares
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Nora Winter

DER WUNSCH BLEIBT. DOCH DANN ...

Die Geschichte eines Paares

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2013

Bibliografische Information durch die Deutsche

Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Lektorat: Hannelore Crostewitz

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Im Hier und Jetzt …

Meine Lebensgeschichte Das „richtige“ Mädchen

Der „richtige“ Partner

Der „richtige“ Ausdruck

Das „richtige“ Verhalten

Das „Richtige“ in Angriff nehmen

Eine „richtige“ Bande. Herr Trauer

„Richtig“ verschworen. Frau Wut

Die „richtige“ Reihenfolge

Das „richtige“ Zusammenspiel I

„Richtig“ schnittig. Herr Abschied

„Richtig“ erfreulich. Frau Hoffnung

Das „richtige“ Zusammenspiel II

„Richtig“ vielversprechend. Frau Zukunft

„Richtig“ durchschaubar. Frau Realität

Das „richtige Zusammenspiel III

Das „richtige“ Erwachen

Medizinischer Ablauf, historischer Umriss und Gedankensplitter

Dann kam das Hormone-Schlucken.

„Richtig“ Geldverdienen

Die „richtige“ Moral

Die „richtige“ Ethik

Das „richtige“ Durchhalten

„Richtig“ überraschend

Das „richtige“ Absichern

„Richtig“ unangenehm. Neid und Selbstmitleid

Die „richtigen“ Freunde

„Richtig“ ärgerlich

„Richtiger“ wäre …

„Richtig“ unpassende Situationen

Das „richtige“ Nebeneinander

„Richtig“ skandalös

Das „richtige“ Sprichwort

„Richtig“ beeindruckend

Was ist „richtig“ fremd?

Kann ein fremdes Kind zum eigenen Kind werden?

Die „richtigen“ Varianten

„Richtig“ nervig. Herr Zweifel

Das „richtige“ Pflegekind

Das „richtige“ Adoptivkind

„Richtig“ gute Eltern

Die „richtigen“ Reaktionen

„Richtig“ abgeschlossen

„Richtig“ verschieden

„Richtig“ in sich gehen

„Richtig“ im Glück

„Richtig“ angeklopft

„Richtig“ verändert

Die „richtige“ Trauer, wenn man sich viele Kinder wünschte

„Richtig“ dankbar

Die „richtige“ Richtung

André Die „richtigen“ Ämter

Der „richtige“ Ton

„Richtig“ aus der Fremde. Herr Vergangenheit

Die „richtige“ Familie

„Richtig“ mühevoll

„Richtig“ schön

Woran ich mich genau und gern erinnere:

Mein Wegweiser

Fußnote

„Wir sind zwar nicht allein, jedoch sind wir auch nicht die Normalität.“

Eine Freundin

„Für dich!“

„Wie schön, dass DU geboren wurdest!“

Im Hier und Jetzt …

… hatte unser Sohn 2012 mitbekommen, dass ich dabei war, ein Buch zu schreiben.

Er erwischte eine Seite mit den Personen, die kommen und gehen.

Worauf er sich alles interessiert durchlas und meinte:

„Aber Mama, du hast eine Person vergessen …“

„Was meinst du? Wen sollte ich vergessen haben?“

„Herrn Vergangenheit!“

„Du hast recht.

Weißt du, bestimmt versteckt er sich in diesen Zeilen.

Herr Vergangenheit kommt nicht mehr so oft.

Er hat jetzt seinen Platz gefunden.“

Meine Lebensgeschichte
Das „richtige“ Mädchen

Als ich 1967 das Licht der Welt erblickte, war ich das zweite Kind meiner Eltern. Außerdem sollte ich, nachdem sechs Jahre später noch ein Sohn folgte, ihr einziges Mädchen bleiben.

Mein Vater hatte bereits einen Sohn aus erster Ehe.

Davon erfahren habe ich erstmals, als ich schon zehn war. Und ihn bald darauf als meinen Bruder kennengelernt. Warum? Nun, der Grund dafür war, dass dessen Mutter ihm bis dahin den Kontakt verwehrt hatte, zu seinem – und damit auch zu meinem – Vater. Somit habe ich drei Brüder.

Meine Eltern waren stets darauf bedacht, uns Kinder recht religiös zu leiten und ich wurde zu einem „richtigen“ Mädchen erzogen. Was nach ihrem Empfinden hieß, dass für mich als spätere junge Frau eine Lehre zwar nützlich, das Abitur jedoch absolut unnötig sei.

„Nora, du heiratest eh und kriegst Kinder. Was soll das? Was willst du damit?“, wurde jede breitere Bildungschance auf der Stelle ausgeblendet.

Noch immer vermag ich die Worte meiner Mutter von damals zu hören:

„Du musst versorgt sein. Du brauchst einen Mann.“

 

Meine Eltern kennen es nicht anders; leben selbst seit Jahrzehnten so. In Wohnräumen, die erfüllt sind mit der patriarchalischen Luft jahrhundertelanger Rollenauffassung von Mann und Frau. In denen sich eine Frau einfach eben anzupassen und unterzuordnen hat.

Aber ich bin eine ganz andere geworden!

Geplant war ich nach elterlichen Aussagen nicht und weiß indessen, dass ich damit das Schicksal vieler anderer Kinder auf der Welt teile. Zu bedenken gebe ich außerdem, dass die Zeiten vor und um meinen Geburtsjahrgang herum völlig andere als heute waren. Wonach damals viel häufiger und frühzeitiger Kinder geboren wurden und ich wiederholt mit dem Satz:

„Du warst unser kleines Überraschungspaket“ aufgewachsen bin, der mir schon als Kind missfiel. Das war so ein Satz, den man nicht vergisst. Der mir immer einen Stich gab und den ich unschön fand. Wo er neben vielleicht gut Gemeintem doch auch zweifelhaften Inhalts war und ich ja das Beste aus meinem Leben machen wollte.

Inzwischen vermute ich, dass gar eine noch wesentlich tiefere Sache in diese Problematik mit hineinspielen könnte, nämlich, dass meine Mutter ihrerseits ebenfalls ein ungewolltes Kind gewesen war.

Und die Generation meiner Großmutter erst (1909 –2006)!

Blickt man auf sie genauer, wird das Verstehen fast noch schwieriger. So war die Mutter meiner Mutter eine kleine Frau, die niemals lachte; Scherze gab es nicht. Vielleicht hatten das die zwei Weltkriege, oder eine der anderen schweren Nöte, oder all das zusammen aus meiner Großmutter gemacht: hier kann ich nur mutmaßen und hoffen, dass ich das niemals erleben muss. Sie war eine Frau, die nicht wusste, dass sie endlos traurig ist.

Allein schon die Flucht. Was hat die Generation da über sich ergehen lassen müssen …

„Es gab das Lager. Und es gab uns. Und Angst. Wir Frauen wurden hinaus zitiert, so, wie es ihnen passte. Die Kinder mussten zurückbleiben“, im Erzählen meiner Großmutter konnte ich spüren, dass sie von ihrem Ehemann verlassen worden und wie frustriert sie von den Männern war, wie sich ihr Leben, traumatisiert vom Krieg, fortsetzte, eben einfach weiterzugehen hatte. Ohne zu fragen, was zum Beispiel Massenvergewaltigungen anrichten.

Kein Wunder, dass sie mir am Ende dann wirklich lebensmüde vorkam.

Ganz im Gegensatz zu der Zeit, in der ich auf Partnersuche war. Da kam voller Überzeugung:

„Was willst du mit einem Mann? Die Männer sind alle schlecht!“

Alles Einzelpersonen, Schicksale und hier Frauen.

Wobei meine Großmutter aber nicht in der Lage war, die schlimmen Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Und so hat sie all das, was sie für sich als Los oder Last wahrnahm, ihrer Tochter – und damit meiner Mutter – mit aufgebürdet und es sie ein Leben lang spüren lassen. Wieder und immer wieder. Ich denke, es gibt bessere Mutter-Tochter-Beziehungen als die ihre einst gewesen war, von der ich noch einiges selbst miterlebt hatte. Was mich im Grunde traurig stimmt, weil sich mir das Tragische in der Sache offenlegt: Wie sehr meine Mutter darauf gehofft hatte, ja, wirklich bis hin zum Tod meiner Großmutter, dass sie als deren Kind endlich die ersehnte Anerkennung bekommt. Anerkennung, gleich welcher Art, auch Zuneigung, Zuspruch und Liebe.

Etwas, das sie nie erhalten hatte.

Ein Defizit, das sich oft unbewusst auf die nachfolgenden Generationen überträgt.

Unter diesen Umständen – das „Überraschungspaket“ einer Frau zu sein, bei der es selbst schwierig zuging, da sie eben von der eigenen Mutter nie richtig geliebt worden war – stand für mich beizeiten fest, dass ich nur dann ein Kind haben möchte, wenn es hundertprozentig von mir und meinem Partner gewollt, erwünscht, ja, ersehnt ist.

Ein Kind, das mit offenen Armen empfangen wird …, das stellte ich mir als eine der schönsten Visionen der Welt vor!

Gleichermaßen hatte ich immer den Anspruch, für dieses, mein Kind, auch einen Vater zu wollen; niemals wollte ich ein Kind nur um des Kindes Willen.

So war er eben, mein großer Traum.

Ein einfacher und völlig natürlicher: dass ich eines Tages vor meinem Partner stehen und ihm Geheimnis umwoben mitteilen würde, dass ich schwanger bin. Wobei sich sein Gesicht erhellen und ich in seine glänzenden Augen sehen würde.

Der „richtige“ Partner

Die äußeren Umstände und die Prägung aus meinem Elternhaus formten mich und mein Leben. Mit 19 Jahren heiratete ich zum ersten Mal. Nicht ahnend, dass sich erst nach und nach im Laufe unserer Ehe herausstellen würde, dass mein Mann Daniel1 gar keine Kinder wollte. Und weil ich wegen eigener Erfahrungen und Vorsätze es auch nie darauf angelegt hatte, war diese, unsere Ehe, in der Tat kinderlos geblieben. Was den Wunsch beileibe nicht mit ausradiert hatte. Was mir mein Inneres darum als nicht gewollt, als nicht annehmbar zurückgab. Wofür ich kaum etwas konnte, worunter ich aber litt. So sehr litt, dass sich das Faire unserer Beziehung immer häufiger verlor und ich bald keinen anderen Weg mehr sah, als den der endgültigen Trennung voneinander.

Die ich am Ende trotzdem betrauerte.

Nicht nur einmal, nein, zweimal habe ich geschluckt, als ich erfahren musste, dass dieser von mir einst geliebte Mann inzwischen doch Vater geworden ist. Und das seit vielen Jahren schon, in seiner zweiten Ehe.

Einmal wurde ich dazu befragt: „Wie geht es dir damit?“, und ich war froh, offen sagen zu können: „Es ist für mich in Ordnung. Jeder lebt sein Leben. Wie könnte ich ihm sein Kind neiden?“

Meine Beziehung mit Marco entwickelte sich aus einer Urlaubsbekanntschaft heraus. Wir hatten das Glück, in der gleichen Stadt zu wohnen und wurden schnell ein Paar. Er war zwar ein kleiner Chaot, aber ein lebensfroher, bejahender Mensch. Der mich damit ansteckte, den ich dafür bewunderte und ganz sicher benötigte ich diese Beziehung für mich und mein Leben. Also entschlossen wir uns, nach vielen Turbulenzen schließlich zusammenzuziehen und unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.

Weil die deutsch-deutsche Grenze gerade geöffnet worden war, gab es wenig freie Wohnungen. Mit Hund gelang es ohnehin schwer eine Wohnung zu finden, so hatten wir uns für seine entschieden. Die war günstig, wir renovierten, ich bestellte eine neue Küche und kündigte mein bisheriges Wohndomizil auf.

Dem Anschein nach lief alles bestens. Es schien toll, turbulent und ganz nach meinen Wünschen. Andererseits stand doch irgendetwas zwischen uns. Die Aussprache ergab es – auch Marco wollte keine Kinder.

Zwar fiel ich nicht mehr aus allen Wolken, zog die Konsequenz diesmal gleich und also gar nicht erst in die renovierte Wohnung mit ein. Trotzdem aber war es eine vierjährige Beziehung gewesen …

Die mit getrennten Wegen endete. Marco behielt die renovierte Wohnung, vor der meinen stand bereits die Nachmieterin in den Startlöchern. Dass sich dann für mich und meine bestellte Küche, die bis heute existiert, doch noch ein Zuhause fand, schien einem Wunder gleich. Wohnungen waren zu der Zeit eine Rarität und die meine hatte ich am Ende nur der Hilfe eines mir wohlwollenden Menschen zu verdanken.

Was aus Marco geworden ist, weiß ich nicht. Ich hoffe, er hat sich seine Lebensfreude bewahrt und begreife inzwischen für mich, dass die Beziehung schon deswegen in die Brüche gehen musste, weil wir nicht zusammenpassten.

Dann platzte Josef in mein Leben. Wieder etwa vier Jahre, wieder die reinste Chaosbeziehung, wieder ständige Berg- und Talfahrten. Noch nervenaufreibender als die Partnerschaft mit Marco, nur Josef konnte oder wollte sich nicht fest binden. Mal wollte er Kinder, dann wieder keine. Plötzlich wollte er heiraten und das ganze Familienglück – dann wieder lieber das Gegenteil oder sonst wer weiß was. Somit schafften wir es nicht einmal, zusammenzuziehen.

Ein Kind, das wollte er gerne. Aber nach seinen Bedingungen. Nach denen es so aussah, dass ich als Mutter über ihn versorgt wäre und er wiederum sich je nach seinen Möglichkeiten um das Kind, unser Kind, kümmern und vorbeikommen würde. Ich gebe zu, dass ich über diese Eventualität nachgedacht hatte; mich aber dennoch entschied, unter solch einseitigen Bedingungen kein Kind in die Welt zu setzen. „Ich bin mit Kind, Alltag, Arbeit und Sorgen allein – und er macht einen auf Sonntagspapa?“

Ich lehnte dankend ab.

Monate später folgte ein Heiratsantrag. Josef sprach von Kindern und Zukunft. Ich von einer Paartherapie. Machte sie zur Bedingung. Josef akzeptierte das.

Alles verlief gut. Alles hatte einen Sinn bekommen. Und ich begann gerade, mich gewissermaßen in unsere Beziehung fallen zu lassen.

Bis Josef darauf drängte, das Kind sollte doch jetzt so schnell wie möglich kommen.

Ich erklärte, dass dafür unsere Beziehung erst stabil sein sollte …

Plötzlich machte er einen Rückzieher. Für mich, die Therapeutin und alle anderen völlig unerwartet. Josef beendete die Beziehung. Getrennte Wege. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Es brach eine Welt zusammen.

Etwas später, in einer gesonderten Sitzung versuchte ich zu erkunden, ob die Paar-Therapeutin so etwas ähnliches schon einmal erlebt hätte. Sie verneinte. Eine solche Verwandlung wäre selbst ihr fremd.

Nach diesen Erfahrungen räumte ich mein Leben radikal auf und ergriff die Chance, wieder neu anzufangen. Wozu ich mich anfangs eher um andere Dinge, um möglichst nichts Familienlastiges mehr kümmerte, sondern um mich selbst, um eine separate Gesprächstherapie, um den Kauf einer Eigentumswohnung und üblicherweise so anfallenden Dingen.

Irgendwann später hatte ich den Versuch unternommen, wieder eine Beziehung einzugehen, worauf sich schnell feststellen ließ, auseinanderzugehen war der bessere Weg; oftmals verweilte man beim gemeinsamen Kaffee trinken und zu schön, zu vielversprechend waren die gegenseitigen Blicke – während die Worte dann doch nicht zueinander passten.

Sogar einen, der sich freiwillig hat sterilisieren lassen, lernte ich kennen. Er war freundlich, erklärte, seine Planung diesbezüglich sei abgeschlossen und ich fand seine Entscheidung überaus verantwortungsbewusst. Wir mochten uns sehr. Wie aber sollte ich das mit meinem Wunsch vom Glück, vom Kind, vom Familienleben vereinbaren?

Als ich 2003 jemand Neues kennenlernte, war schnell klar: Wir bleiben zusammen. Werden Mann und Frau. Dazu tolle Eltern. Mama und Papa.

Nach bereits fünf Monaten zogen wir zusammen, mochte sich da die Umgebung wundern wie sie wollte. Drei Monate später planten wir unser erstes gemeinsames Kind. Es war spannend. Monat für Monat. Aber es klappte nicht.

Warum? An mir konnte es kaum liegen, ich hatte weder Vorerkrankungen, noch war ich familiär in irgendeiner Weise belastet.

Konnte, sollte es bei meinem Mann möglicherweise etwas geben?

Es gab. In seiner Jugend war eine sogenannte Hodentorsion, also eine Hodenverdrehung aufgetreten. Daran war er zweimal operiert worden und bekam anschließend noch eine Hodenentzündung. Zwar war er zu dem Zeitpunkt über die Folgen, dass eine Einschränkung der Zeugungsfähigkeit damit einhergehen könnte, informiert worden; hatte sich aber nie recht Gedanken darum gemacht, zu unrealistisch, zu weit weg, zu unwahrscheinlich das alles. Die Samenqualität hatte er nie prüfen lassen.

Natürlich hatte er mir zu Beginn unserer Beziehung von dieser Sache erzählt, auch ich wusste quasi um den Fakt, aber, weil doch nicht sein kann, was nicht sein darf …

Und was würde je aus meiner Vorstellung mit den lachenden Augen werden?

Silvester 2004 hatte ich einen Nervenzusammenbruch.

Wir waren bei Freunden zu Besuch und bis gegen Mitternacht hatten wir einen schönen Abend zugebracht, mit Spaß, Speisen und Spielen. Dann ging es hinaus, das Neue Jahr begrüßen.

Weil ich jemand bin, der nicht wegsieht, hilfsbereit ist und selbst da Zivilcourage zeigt, wo andere ihre Schäflein ins Trockene bringen, geschieht mir auch besonders viel.

An jenem Abend schaute ich zu einem Nachbarn hinüber und sah auf der Straße zwischen den Ein- und Mehrfamilienhäusern, dass ein etwa zehnjähriger Junge die Raketen mit der bloßen Hand anzündete. Und so, höchst unbedacht, eine nach der anderen abfeuerte. Die bloße Vorstellung, was alles passieren könnte!

Die Sorge um das Kind trieb mich zum Nachbarn. Dem ich in meiner Angst höflich erklärte, dass hierfür doch als Schutz eine Flasche das Mindeste sei, am besten eine, die noch stabil in einem Kasten steht.

Aber: Er und die anderen drumherum, sie jagten mich regelrecht vom Hof! Die ganze betrunkene Gesellschaft, samt der Eltern des leichtsinnigen Jungen, meinte, was mich das anginge? Dass mich das überhaupt nichts anginge, und steigerte sich, wütend über meine angebliche Anmaßung, aufs Schärfste da hinein.

 

Der Junge stand daneben.

Er schaute mich mit großen Augen an und fragte, wie er denn sonst die Raketen starten lassen sollte? Er kenne es nicht anders als eben so. Ich versuchte, es ihm zu erklären, kam aber nicht weit, denn jene Gesellschaft wollte auf gar keinen Fall, dass ich mich ihm zuwendete, ihn womöglich beeinflusste.

Wieder blickte ich zu dem Jungen hinüber.

Seine weit aufgerissenen Augen schauten nur mich an und waren ein einziges Bitten, ein Flehen, ich werde es nie vergessen, – ich allerdings konnte nicht, durfte nicht, musste kehrt machen, die Widersacher stuften mich durchweg als hysterisch ein und die Situation drohte bereits zu eskalieren.

Kurz darauf geschah es: Ich brach zusammen.

In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so losgeweint, solche Fluten von Tränen vergossen, wie nach diesem Erlebnis. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr beruhigen, es hörte nicht auf, während wir die fünfzig Kilometer zurückfuhren, ich wollte nur noch heim und mein Mann fuhr und fuhr und ich heulte und heulte …

Wie bloß kann man einerseits ertragen, sein Wunschkind nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht zu bekommen und andererseits mit offenen Augen zusehen, wie Erwachsene völlig verantwortungslos mit solch einem Geschenk – dem eigenen Kind – umgehen?

Als müsse das untermauert werden, und wie in schon vorangegangenen Jahren konnte ich der ersten Lokalzeitung, die ich 2005 aufschlug, erneut einen schaurigen Tatsachenbericht entnehmen. Als mir der Artikel über einen darin erwähnten, 14jährigen Jungen auffiel, dem auf grauenvolle Art und Weise die Hand weggerissen worden war. Wegen des gleichen Verfahrens, gegen das ich noch vor ein paar Stunden bei dem anderen Kind anging und es abzuwehren versuchte. Er hatte den Feuerwerkskörper nicht rechtzeitig weit genug von sich wegwerfen können.

Der „richtige“ Ausdruck

Als ich wiederholt der Presse entnommen hatte, wie sehr der Staat nach Kindern schreit, konnte ich nicht mehr an mich halten, wollte Klartext reden und schrieb einen Leserbrief an unsere Lokalzeitung. Mit dem Ergebnis, dass dieser zwar nicht veröffentlicht wurde, man stattdessen aber bei mir anfragte, ob ich bereit wäre, mich für einen umfangreicheren Artikel gesondert interviewen zu lassen. Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, willigte ich ein. Die Redakteurin kam mich zu Hause besuchen, nahm sich viel Zeit und wir hatten ein angenehmes Gespräch.

Die Zeitung „Neue Westfälische“ schrieb am 11.03.2005:

Wenn Petra Emm (Name von der Redaktion geändert) in der Zeitung von den Klagen der Politiker liest, dass die Deutschen zu wenig Kinder bekommen, möchte sie am liebsten den Artikel zerreißen. „Wer denkt eigentlich an die, die ungewollt kinderlos sind?“, fragt sie.

Die 38-jährige Bielefelderin und ihr Mann wünschen sich ein Kind. „Die Jugend hat meinem Mann einen Streich gespielt“, erzählt sie. Aufgrund einer Hodenentzündung in jungen Jahren reicht seine Samenqualität nicht dafür aus, dass Petra Emm auf natürlichem Wege schwanger wird. Daher hat sich das Paar zu einer ICSI – einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion – entschlossen. Dabei wird das Spermium im Labor direkt in die Eizelle injiziert. Nach einer Hormonbehandlung werden der Frau mehrere Eizellen entnommen, zwei oder drei davon nach der künstlichen Befruchtung wieder eingepflanzt.

In diesem Monat will Petra Emm diese Strapaze zum ersten Mal auf sich nehmen. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft liegt bei 27 Prozent.

„Die Nerven, Tränen und Traurigkeit kann wohl niemand ermessen“, sagt sie. Ganz zu schweigen von den Kosten: Die Krankenkasse übernimmt knapp Hälfte der Behandlung. „Das sind 2.500 bis 3.000 Euro von einer Gesamtsumme von etwa 6.800 Euro bei maximal drei Versuchen“, so Petra Emm. Hinzu kommen etwa 400 Euro für das Einfrieren der Samen und weitere 400 Euro für die mögliche Aufbewahrung von bereits befruchteten Eizellen. Alles eine große finanzielle Belastung. „Wir werden in diesem Jahr nicht in Urlaub fahren“, sagt die 38-Jährige. Bis zum 1. Januar 2004 hatten die Krankenkassen noch vier Versuche von Reagenzglas-Befruchtungen komplett übernommen.

Seit Einführung der Gesundheitsreform müssen Paare die Hälfte der Kosten selbst tragen. Wie das Apothekenmagazin „Baby und die ersten Lebensjahre“ berichtet, hat es seitdem einen dramatischen Rückgang künstlicher Befruchtungen gegeben. Laut Michael Thaele, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren, hat sich die Zahl auf 15.000 halbiert. 270.000 Paare sind in Deutschland in Behandlung. Für dieses Jahr rechnet Thaele mit einem Rückgang der Geburten um etwa 10.000. „Bundesweit sind etwa 270.000 Paare wegen Kinderlosigkeit in Behandlung“, sagt Pfarrer Klaus Lange. Er leitet an der Bielefelder Klinik Rosenhöhe die Selbsthilfegruppe „Ungewollt kinderlos“. Derzeit hat die Gruppe fünf Mitglieder, die sich ein Mal im Monat treffen. „Die Zahl der betroffenen Paare, die ungewollt kinderlos sind, steigt“, so Lange. Das Dramatische sei, dass es für die Paare nur noch dieses eine Ziel gebe. Lange weiß, wovon er spricht. Er und seine Frau versuchten ebenfalls lange vergeblich, schwanger zu werden. In der Gruppe wird beispielsweise auch über die Möglichkeit einer Adoption oder über die Annahme eines Pflegekindes gesprochen. So manches Paar spielt laut Lange nach der Gesundheitsreform mit dem Gedanken, eine künstliche Befruchtung im Ausland vornehmen zu lassen – dort ist es günstiger.“

Gegen Ende desselben Jahres las ich, dass diese Journalistin Mutter eines gesunden Jungen geworden war. Und wieder hat eine Frau ein Kind bekommen können, wie sie und ihr Partner es geplant hatten, ging mir automatisch durch den Kopf. Man kann sein Denken nicht ausschalten. Viele gemischte Gefühle kamen plötzlich in mir auf. Aber natürlich habe ich mich auch für sie gefreut.

Wo aber standen wir?

Wo wir schon einige medizinische Behandlungen durchlaufen hatten, womit immer große Freuden und Aufregungen verbunden waren.

Es war noch vor 2012. Seitdem muss in der BRD jedes Paar ein Viertel der Behandlungskosten selbst tragen.

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