Liebeskunst

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Liebeskunst
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Ovid

Liebeskunst

Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht

Reclam

Durchgesehene Ausgabe 2020

1962, 2020 Philipp Reclam jun. jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961125-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019411-9

www.reclam.de

Inhalt

  Erstes Buch

  Zweites Buch

  Drittes Buch

  Anhang

  Anmerkungen

  Verzeichnis der Eigennamen

  Bibliographische Hinweise

  Nachwort

Erstes Buch
Einleitung

Kennt einer in diesem Volk die Liebeskunst nicht, so lese er dieses Gedicht und sei danach ein Meister in der Liebe! Kunst steuert1 Schiffe, die mit Segel und Ruder angetrieben werden, Kunst lenkt leichte Wagen, Kunst muss auch Amor lenken. [5] Automedon ging geschickt mit Wagen und geschmeidigen Zügeln um, Tiphys war auf dem Argonautenschiff Steuermann. Mich hat Venus zum Lehrmeister für den zarten Amor bestellt. So mag ich denn Amors Tiphys und Automedon heißen. Er ist zwar wild, so dass er sich oft gegen mich sträubt, [10] aber er steht noch im Knabenalter, das bildsam ist und sich lenken lässt. Der Sohn der Phillyra2 bildete Achill als Kind im Zitherspiel aus und dämpfte seinen wilden Sinn durch die sanfte Kunst. Er, der so oft die Bundesgenossen, so oft die Feinde erschreckt hat, soll den Greis, so alt er auch war, sehr gefürchtet haben; [15] die Hände, die Hektor zu spüren bekommen sollte, streckte er hin, um Hiebe zu empfangen, wenn der Lehrer es verlangte. Chiron ist der Lehrer für Achill, ich bin es für Amor. Beide Knaben sind wild, beide von Göttinnen geboren. Doch auch des Pflugstiers Nacken bequemt sich unter das schwere Joch, [20] und das stolze Pferd scheuert mit dem Zahn das Gebiß. So wird mir Amor nachgeben, mag er mir mit seinem Bogen die Brust auch noch so tief verwunden, mag er auch seine Fackeln schütteln und schwingen! Je schwerer mich Amor getroffen, je heftiger er mich gebrannt hat, desto besser tauge ich zum Rächer für die mir zugefügte Wunde. [25] Ich will nicht lügen, o Phoebus3, du hättest mir deine Künste verliehen; mich mahnt auch keine Vogelstimme aus der Luft, und Clio und ihre Schwestern4 sind mir nicht erschienen, während ich in deinen Tälern, Ascra, Schafe hütete. Erfahrung ist die Triebfeder dieses Werkes! Gehorcht dem kundigen Seher! [30] Wahres werde ich singen. Mutter Amors, steh mir in meinem Unternehmen bei! Bleibt fern, feine Kopfbinden, Kennzeichen der Sittsamkeit, und du, langer Besatz, der die Füße halb bedeckt! Wir werden sicheren Liebesgenuss und erlaubte Heimlichkeiten besingen, und in meinem Gedicht wird kein Verbrechen gelehrt.

[35] Erstens bemühe dich, einen Gegenstand für deine Liebe zu finden, der du jetzt als Rekrut in der Liebe zum ersten Mal deinen Dienst antrittst. Die nächste Aufgabe ist, das Mädchen deiner Wahl durch Bitten zu erweichen; die dritte, der Liebe lange Dauer zu verleihen. So weit unser Plan. Auf diesem Feld wird unser Wagen seine Spur ziehen, [40] an dieser Wendemarke unser eilendes Rad scharf vorbeistreifen.

Wo sind Mädchen zu finden?

Solange es dir freisteht und du am lockeren Zügel überall umherschweifen kannst, erwähle die, zu der du sagen willst: »Du allein gefällst mir.« Sie wird zu dir nicht vom blauen Himmel herabfallen, du musst schon mit eigenen Augen nach einem geeigneten Mädchen Ausschau halten. [45] Der Jäger weiß wohl, wo er für die Hirsche die Netze spannen soll, er weiß wohl, in welchem Tal der zähneknirschende Eber sich aufhält; den Vogelstellern sind die Büsche bekannt; der Mann, der die Angelrute hält, weiß, in welchen Gewässern viele Fische schwimmen; du auch, der du einen Gegenstand für eine dauerhafte Liebe suchst, [50] lerne zuvor, wo Mädchen in großer Zahl zu finden sind! Ich will dir nicht befehlen, auf deiner Suche die Segel dem Wind anzuvertrauen; um fündig zu werden, brauchst du nicht mühsam einen weiten Weg zurückzulegen. Lass doch Perseus seine Andromeda von den schwarzen Indern holen und den Phryger5 die Griechin rauben! [55] Dir wird Rom so viele und so schöne Mädchen geben, dass du sagst: »Diese Stadt hat alles, was es je auf der Welt gegeben hat.« Wie viel Saatfelder Gargara hat, wie viel Reben Methymna, wie viel Fische das Meer, wie viel Vögel das Laub birgt, wie viel Sterne der Himmel, so viele Mädchen hat dein Rom! [60] In der Stadt ihres Aeneas hat seine Mutter ihr Standquartier aufgeschlagen. Lockt dich die früheste, noch heranwachsende Jugend, werden dir wirkliche Mädchen unter die Augen kommen; begehrst du eine junge Frau, werden dir tausend gefallen. Du wirst die Qual der Wahl haben! [65] Und wenn dich vielleicht das reife und weisere Alter erfreut, so wird auch diese Schar, glaube mir nur, mehr als zahlreich sein!

Verschiedene Treffpunkte in Rom

Schlendre du nur lässig im Schatten der Säulenhalle des Pompeius6 dahin, wenn die Sonne in das Zeichen des herculischen Löwen getreten ist7, [69] oder dort, wo zu der Stiftung des Sohnes die Mutter die ihre8 hinzugefügt hat, ein Bauwerk, reich an ausländischem Marmor. Vermeide auch nicht die Säulenhalle, die, mit alten Gemälden geschmückt, nach ihrer Gründerin die livianische9 heißt, und auch diejenige10 nicht, in der die Beliden sich befinden, die es wagten, ihren unseligen Vettern den Tod zu bringen (ihr grausamer Vater steht mit gezücktem Schwerte da). [75] Lass dir auch nicht das Fest des Adonis11 entgehen, um den Venus weint, und den geheiligten siebten Tag12, den der syrische Jude feiert! Meide auch nicht den memphitischen Tempel der Göttin in Kuhgestalt13 mit ihren linnenen Gewändern! Sie macht aus vielen Mädchen das, was sie selbst für Iuppiter war. Auch die Marktplätze sind – wer könnte es glauben? – für die Liebe geeignet, [80] und auf dem wortreichen Forum hat so mancher seine Flamme gefunden. Wo beim marmornen Tempel der Venus14 die appische Nymphe Springbrunnen in die Luft schießen lässt, dort wird oft der Rechtsgelehrte von Amor ergriffen, und wer für andere Vorsichtsmaßregeln traf, trifft für sich selbst keine. [85] Dort fehlen oft dem Beredten die passenden Worte, und ein neuer Fall kommt auf ihn zu: Er muss seine eigene Sache vertreten. Über ihn lächelt Venus vom benachbarten Tempel. Wer eben noch Anwalt war, begehrt jetzt, Klient zu sein.

Das Theater

Du aber geh vor allem im Rund des Theaters auf Jagd: [90] Dieses Gebiet ist ergiebiger, als du es in deinen kühnsten Wünschen erhoffst. Dort findest du etwas zum Lieben, etwas zum Spielen, dort findest du, was du einmal berühren und was du festhalten willst. Wie Ameisen in langem Zuge dicht durcheinanderwimmeln, wenn sie ihre gewohnte Speise im körnertragenden Munde befördern, [95] oder wie Bienen, wenn sie ihre geliebten Waldtäler und duftenden Weideplätze erreicht haben, um Blumen und Thymianspitzen schwärmen, so eilen fein herausgeputzte Frauen zu den gut besuchten Spielen. Oft hat die reiche Auswahl mich mit meinem Urteil zögern lassen. Sie kommen, um zu schauen, sie kommen, um sich selbst anschauen zu lassen. [100] Das ist ein gefährlicher Ort für die Keuschheit! Du, Romulus, hast als erster die Spiele aufregend gestaltet, als die geraubten Sabinerinnen die frauenlosen Männer erfreuten! Damals hing weder über dem marmornen Theater ein Sonnensegel, noch war die Bühne von Krokusessenz gerötet. [105] Dort waren einfach Laubbäume aufgestellt, die das waldreiche Palatium hervorgebracht hatte; so kam eine kunstlose Szene zustande. Auf Stufen aus Rasenstücken saß das Volk, und Kränze aus dem nächstbesten Laub bedeckten das struppige Haar. Die Männer schauen zurück, und jeder fasst das Mädchen ins Auge, [110] das er will, und in verschwiegener Brust bewegen sie so manches. Und während zur rohen Melodie des etruskischen Bläsers der Tänzer dreimal mit dem Fuß auf den geebneten Boden stampfte, gab der König mitten im Beifall (der Beifall war damals noch nicht gesteuert) dem Volk das erwünschte15 Zeichen zum Beutemachen. [115] Alsbald springen sie auf, bekunden ihren Willen durch Geschrei und ergreifen mit gieriger Hand von den Jungfrauen Besitz. Wie Tauben, die verängstigte Schar, vor Adlern fliehen und wie das zarte Lamm vor dem Anblick der Wölfe, so fürchteten sie sich vor den Männern, die sich, als gäbe es kein Gesetz, auf sie stürzten. [120] Allen Mädchen wich die Farbe aus den eben noch roten Wangen; denn die Furcht war ein und dieselbe und hatte doch viele Gesichter: Ein Teil rauft sich das Haar, ein Teil bleibt fassungslos sitzen, die eine schweigt betrübt, die andere ruft vergeblich nach der Mutter; diese klagt, jene ist starr vor Entsetzen, diese bleibt, jene flieht. [125] Hinweggeführt werden die geraubten Mädchen als hochzeitliche Beute, und vielen mochte sogar die Furcht gut zu Gesichte stehen. Hatte eine sich allzu sehr gesträubt und sich nicht zur Begleiterin hergeben wollen, hob der Mann sie an seine begehrliche Brust, trug sie fort und sagte: »Was entstellst du deine zarten Augen durch Tränen? [130] Was deiner Mutter dein Vater ist, das werde ich dir sein.« Romulus, du allein verstandest dich darauf, deinen Soldaten Vergünstigungen zu gewähren. Wenn du mir solche Vergünstigungen verschaffst, werde auch ich Soldat. Natürlich bleibt seitdem, da der Brauch inzwischen geheiligt16 ist, das Theater noch heute eine Gefahrenquelle für die Schönen.

 

Zirkus und Arena

[135] Lass dir auch nicht das Wettrennen der edlen Pferde entgehen: Viele Vorteile bietet der Zirkus mit seiner Menschenmenge. Du brauchst weder mit Fingerzeichen geheime Mitteilungen zu machen noch durch Winke ein Signal zu empfangen. Dicht neben deiner Dame sollst du ungehindert sitzen; [140] schmiege deine Seite immerfort, so eng du kannst, an die ihre. Und es ist gut, dass die Schranke dich zwingt, zu ihr zu rücken, selbst wenn du es nicht wolltest; das Gesetz des Ortes verlangt, dass du das Mädchen berührst. Hier suche du ein Gespräch anzuknüpfen, das euch verbindet, und alltägliche Worte mögen zuerst erklingen: [145] Dass du mir nur, mein Eifriger, fragst, wessen Pferde jetzt kommen! Und ergreife unverzüglich die Partei dessen, dem ihre Gunst gilt, wer es auch sein mag. Aber wenn der Festzug mit seinen zahlreichen elfenbeinernen Götterbildern aufmarschiert, klatsche unserer lieben Frau Venus hingebungsvoll Beifall. [149] Und wenn zufällig – wie es zu geschehen pflegt – in den Schoß des Mädchens Staub fällt, wirst du ihn mit den Fingern abschütteln müssen. Auch wenn kein Staub fällt, schüttle das Nichts dennoch fort. Jeder Anlass sei für deine Dienstfertigkeit recht. Wenn das Kleid zu tief herabhängt und auf der Erde liegt, so nimm es und heb es beflissen vom unreinen Boden auf. [155] Und als Lohn für deinen Diensteifer wird deinen Augen sofort der Anblick ihrer Beine zuteil – und sie lässt es zu. Schau außerdem zurück und achte darauf, dass kein Hintermann sein Knie gegen ihren zarten Rücken drücke. Kleinigkeiten erobern leichtsinnige Herzen. Für viele hat es sich schon gelohnt, [160] das Polster mit gefälliger Hand zurechtzurücken. Es ist auch nützlich gewesen, mit einem dünnen Schreibtäfelchen als Fächer Wind zu machen und unter den zarten Fuß ein geschwungenes Schemelchen zu stellen. Dies sind die Annäherungsmöglichkeiten, die einer neuen Liebe der Zirkus und die tränenbringende Arena auf dem unruhigen Forum17 bieten werden. [165] In jenem Sand hat oft der Sohn der Venus gekämpft, und wer bei Verwundungen zuschaute, hat nun selbst eine Wunde. Während er noch sprach und die Hand berührte, das Programm verlangte und unter Einsatz eines Pfandes wettete, wer von beiden den Sieg davontragen werde, seufzte er verwundet auf, fühlte das gefiederte Geschoss [170] und war damit selbst in das Spiel einbezogen, das er anschaute.

Gespielte Seeschlacht und Triumphzug

Wie war es doch, als Caesar kürzlich bei der Vorführung einer Seeschlacht persische und athenische Schiffe kämpfen ließ? Kamen da doch von beiden Meeren18 junge Männer und Mädchen, und in der Stadt war die ganze weite Welt vertreten. [175] Wer fand in jener Menschenmenge keinen Gegenstand für seine Liebe? Wehe, wie viele ließ Liebe zu einer Fremden Folterqualen leiden! Seht, Caesar schickt sich an, die Welteroberung zu vervollständigen. Jetzt, fernster Orient, wirst du unser sein. Parther, du wirst bestraft werden. Freut euch, ihr bestatteten Helden des Crassus [180] und ihr Feldzeichen, denen Barbarenhände Schimpf angetan haben! Der Rächer ist da, lässt trotz seiner Jugend schon den Feldherrn erkennen und übernimmt als Knabe die Führung eines Krieges, der nicht Sache eines Knaben ist. Zählt nicht ängstlich die Geburtstage von Göttern! Caesaren wird Tüchtigkeit vor der Zeit zuteil. [185] Der vom Himmel stammende Geist erhebt sich schneller als das gesetzliche Alter und erträgt schlecht den Verlust, den träges Warten bedeutet. Klein war Hercules und erdrückte doch mit den Händen zwei Schlangen; so machte er schon in der Wiege seinem Vater Iuppiter Ehre. Und du, Bacchus, noch heute ein Knabe, wie klein warst du erst, [190] als das besiegte Indien vor deinen Thyrsusstäben zitterte? Vom Glück gesegnet und jung, wie dein Vater war, wirst du, Knabe, den Krieg beginnen und siegen, jung und vom Glück gesegnet wie er. Solch einen Anfang bist du uns als Träger eines so großen Namens schuldig, jetzt der Erste unter den Jünglingen, später der Erste im Rat der Alten! [195] Da du Brüder hast, räche die Kränkung der Brüder; da du einen Vater hast, schütze die Rechte des Vaters! Des Vaterlandes Vater19, dein Vater hat dir die Waffen angelegt. Der Feind raubt das Königtum gegen den Willen deines Vaters! Du wirst heilige Waffen tragen, er fluchbeladene Pfeile; [200] vor deinen Feldzeichen werden Recht und frommer Sinn stehen. Das Recht entscheidet gegen die Parther, mögen nun auch die Waffen gegen sie entscheiden! Möge mein Feldherr Macht und Reichtum des Orients Latium einverleiben! Vater Mars und Vater Caesar, schenkt ihm bei seinem Aufbruch euren göttlichen Beistand, denn einer von euch ist schon ein Gott, der andere wird es werden. [205] Siehe, ich prophezeie es, du wirst siegen, und ich werde meine Gelübde durch Verse einlösen, und wir werden dich in großem Stil zu besingen haben. Du wirst auftreten und das Heer mit meinen Worten ermahnen (o mögen meine Worte nicht hinter deinem Mut zurückbleiben!). Und ich werde künden, wie die Parther Rücken an Rücken flohen und die Römer Brust an Brust vormarschierten, [210] und von den Pfeilen, die der Feind rückwärts vom fliehenden Ross abschießt. O Parther, der du fliehst, um zu siegen, was bleibt dir, wenn du besiegt wirst? Parther, dein Kriegsglück steht schon jetzt unter einem bösen Vorzeichen. Also wird der Tag kommen, an dem du, Herrlichster auf Erden, ganz in Gold mit vier schneeweißen Rossen einherfahren wirst. [215] Vorausgehen werden Fürsten, den Hals mit Ketten beschwert, damit sie sich nicht wie früher durch die Flucht in Sicherheit bringen können. Froh werden junge Männer zuschauen und junge Mädchen in ihrer Mitte, und allen wird dieser Tag das Herz höher schlagen lassen. Fragt dann eine von ihnen nach den Namen der Könige, [220] nach Landschaften, Bergen, Gewässern, die im Triumphzug mitgeführt werden, so gib auf alles eine Antwort – und nicht nur, wenn eine fragt. Auch was du nicht weißt, berichte, als wäre es dir wohlbekannt: »Das ist der Euphrat, die Stirn mit Schilfrohr gekrönt. Der, dem das Haar bläulich herabhängt, wird der Tigris sein. [225] Diese Leute halte für Armenier! Das ist das von Danaë stammende Persien20; diese Stadt lag in den achaemenischen Tälern21; der oder jener sind Fürsten.« Und dann magst du Namen nennen, die richtigen, wenn du sie weißt, andernfalls wenigstens passende.

Das Gastmahl

Auch Gastmähler mit gedeckten Tischen eröffnen dir einen Zugang; [230] außer dem Wein gibt es noch mehr, was du dort holen kannst. Oft hat der purpurne Amor dort mit seinen zarten Armen die Hörner des bereitstehenden Bacchus an sich gezogen und gepresst; und hat erst der Wein die durstigen Flügel Cupidos durchtränkt, bleibt er schwerfällig an dem Platz stehen, den er sich erobert hat. [235] Er schüttelt zwar schnell das feuchte Gefieder aus, doch ist es gefährlich, die Brust auch nur leicht von Amor besprengen zu lassen. Wein macht das Herz bereit und für die Glut der Leidenschaft empfänglich; durch viel unvermischten Rebensaft entflieht die Sorge und löst sich auf. Dann kommt das Lachen, dann spielt der Arme plötzlich den Stier, [240] dann schwinden Schmerz, Sorgen und Runzeln von der Stirn; dann öffnet die in unserer Zeit so seltene Einfalt die Herzen, da der Gott alle Künstelei verjagt. Dort haben oft Mädchen die Herzen junger Männer geraubt, und Venus im Wein war Feuer im Feuer. [245] Hier traue du nicht allzu sehr der trügerischen Lampe! Der Beurteilung von Schönheit schaden Nacht und Wein. Bei Tageslicht und unter freiem Himmel hat Paris die Göttinnen geprüft, als er zu Venus sagte: »Du, Venus, besiegst beide.« Bei Nacht bleiben die Mängel verborgen, man ist nachsichtig gegenüber jeglichem Fehler, [250] und die Dämmerstunde macht jede beliebige Frau schön. Geht es um Edelsteine, purpurgefärbte Wolle, schöne Gesichter und körperliche Vorzüge, so ziehe das Tageslicht zu Rate!

Treffpunkte außerhalb Roms

Was soll ich dir noch Versammlungsorte von Frauen aufzählen, die für deine Jagd geeignet sind? Die Zahl der Sandkörner wird geringer sein. [255] Was soll ich noch Baiae nennen, den Strand, der Baiae umsäumt, und das Wasser, das vom heißen Schwefel dampft? Einer, der von hier eine Wunde im Herzen nach Hause trug, hat gesagt: »Dieses Wasser war nicht so heilsam, wie man behauptet.« Siehe, da ist der Tempel der Diana im Walde vor der Stadt22 und die Königswürde, die mit frevlerischer Hand durch das Schwert23 erworben wurde! [261] Diese Diana, mag sie auch eine Jungfrau sein und Cupidos Geschosse verabscheuen, hat doch dem Volk viele Liebeswunden geschlagen und wird es weiterhin tun.

Wie erobert man Mädchen?

Bis hierher schreibt dir Thalia24, die auf ungleichen Rädern25 fährt, vor, wo du dir den Gegenstand deiner Liebe aussuchen und wo du die Netze spannen sollst. [265] Jetzt gehe ich daran zu sagen, mit welchen Kunstgriffen das Mädchen, das dir gefallen hat, gefangen werden muss, eine Aufgabe, die besondere Kunstfertigkeit verlangt. Wer ihr auch seid, ihr Männer allerorten, merkt auf mit gelehrigem Sinn und lauscht als andächtiges Volk meinen Verheißungen!

Selbstvertrauen

Zuerst durchdringe dich die Zuversicht, dass alle [270] erobert werden können. Du wirst sie fangen, spanne nur die Netze aus! Eher können im Frühjahr die Vögel schweigen, im Sommer die Zikaden, eher kann der arkadische Jagdhund vor dem Hasen fliehen als eine Frau einem jungen Manne widerstehen, wenn er sie schmeichelnd in Versuchung führt; auch eine, von der man glauben könnte, sie wolle nicht, wird wollen. [275] Und wie dem Mann die heimliche Venus willkommen ist, so ist sie es dem Mädchen; der Mann kann es nur schlecht verbergen, die Begierde der Frau ist besser versteckt. Gesetzt, wir Männer würden uns einig, bei keiner den ersten Schritt zu tun, so ist die Frau schon besiegt und wird die Rolle der Werbenden spielen. Auf den schwellenden Wiesen muht dem Stier sein Weibchen zu, [280] und den behuften Hengst wiehert immer die Stute an. Mäßiger ist in uns die Begierde und nicht so rasend; die Glut des Mannes hat ihre natürliche Grenze. Was soll ich Byblis erwähnen, die in verbotener Liebe zum Bruder entbrannt war und sich für ihren Frevel tapfer mit dem Strang bestrafte? [285] Myrrha liebte den Vater, aber nicht, wie eine Tochter es soll, und ist jetzt unter Rinde verborgen, die sie ringsum beengt. Mit den Tränen, die sie ihrem duftenden Baum entströmen lässt, salben wir uns, und der Tropfen trägt immer noch den Namen der Frau, die ihn geweint hat.

Es war einmal in den schattigen Tälern am Fuße des waldigen Ida [290] ein schneeweißer Stier, der Stolz der Herde. Mitten zwischen den Hörnern war er mit einem feinen schwarzen Mal gezeichnet. Er hatte nur diesen einzigen Flecken, alles übrige war weiß wie Milch. Ihn wünschten die Kühe von Cnossus und von Cydonea auf ihrem Rücken zu tragen. [295] Pasiphaë freute sich, die ehebrecherische Geliebte eines Stiers zu werden; eifersüchtig hasste sie die schönen Rinder. Ich singe von bekannten Dingen; dies kann nicht einmal Kreta mit seinen hundert Städten leugnen, mag es auch noch so lügnerisch sein. Selbst soll sie dem Stier frisches Laub und besonders zartes Gras [300] mit ungeübter Hand geschnitten haben. Sie begleitet die Zugtiere auf die Weide, und die Rücksicht auf ihren Ehemann hält sie nicht vom Aufbruch zurück. So war Minos von einem Rind aus dem Felde geschlagen. Was nützt es dir, Pasiphaë, wertvolle Kleider anzulegen? Dein Ehebrecher hat keinen Sinn für Kostbarkeiten. [305] Was nützt dir der Spiegel, wenn du zum Vieh auf die Bergweide strebst? Wozu ordnest du (höchst überflüssig!) so oft dein Haar? Glaube doch deinem Spiegel, wenn er dir sagt, dass du keine Kuh bist! Ach, wie gerne wolltest du, dass an deiner Stirne Hörner gewachsen wären! Gefällt dir Minos, so suche keinen Ehebrecher; [310] willst du aber lieber deinen Mann betrügen, so betrüge ihn mit einem Mann! Die Königin verlässt ihr Ehegemach und stürzt in Wald und Berge wie eine Bacchantin, die vom aonischen Gott26 besessen ist. Ach, wie oft sah sie eine Kuh mit scheelem Blick an und sprach: »Warum gefällt diese Hergelaufene meinem Geliebten? [315] Sieh nur, wie sie vor ihm im zarten Grase herumhüpft! Ich zweifle nicht, die Törin meint, das stehe ihr gut.« Sprach’s und ließ sie stracks aus der riesigen Herde hinwegführen, unverdient unters krumme Joch zerren oder vor dem Altar bei einer eigens ausgedachten Opferhandlung niederstrecken [320] und hielt die Eingeweide ihrer Nebenbuhlerin in schadenfroher Hand. Wie oft versöhnte sie Gottheiten durch Schlachtung von Rivalinnen, packte die Eingeweide und sprach: »Jetzt geht und gefallt meinem Liebsten.« Und bald wünscht sie, Europa27 zu werden, bald Io28, denn die eine war eine Kuh, und die andre ritt auf einem Stier. [325] Schließlich schwängerte sie der Herr der Herde, getäuscht durch eine Kuh aus Ahornholz29. Und bald war durch die Geburt der Erzeuger offenbar geworden.

 

Hätte die Kreterin30 sich der Liebe zu Thyestes enthalten (und was macht es schon aus, auf einen einzigen Mann zu verzichten!), so hätte Phoebus seinen Weg nicht in der Mitte unterbrochen, seinen Wagen nicht umkehren lassen und wäre nicht mit den Rossen zurück zur Morgenröte gefahren. [331] Dem Nisus stahl seine Tochter31 die purpurnen Haare, dafür umgeben ihren Unterleib rasende Hunde. Der Atride32, der zu Lande dem Mars und zu Wasser dem Neptun entrann, fiel – o Grauen! – seiner Gattin zum Opfer. [335] Wer hat nicht über die Verbrennung der ephyraeischen Crëusa33 geweint und über die Mutter, blutig vom Mord an den Söhnen? Amyntors Sohn Phoenix34 hat mit leeren Augenhöhlen geweint, den Hippolytus35 habt ihr, rasende Rosse, zerrissen. Was stichst du, Phineus36, deinen schuldlosen Söhnen die Augen aus? [340] Diese Strafe wird sich gegen dein eigenes Haupt kehren.

All dies hat weibliche Leidenschaft bewirkt. Sie ist heftiger als die unsrige und steht dem Wahnsinn näher. Also wohlan, trage keine Bedenken, dir Hoffnung auf alle Frauen zu machen; von vielen wird kaum eine dir einen Korb geben. [345] Die sich verschenken und die sich verweigern, freuen sich immerhin, dass man um sie warb. Magst du auch enttäuscht werden, so ist eine Zurückweisung doch gefahrlos; aber warum solltest du enttäuscht werden, wo doch ein neues Vergnügen willkommen ist und Fremdes das Herz mehr einnimmt als Eigenes! Fruchtbarer ist die Saat stets auf fremden Äckern, [350] und des Nachbarn Vieh hat ein pralleres Euter.

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