Eric Clapton. Ein Leben für den Blues

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Robert Johnsons Sterbeurkunde

Wie so viele amerikanische Ikonen – von Marilyn Monroe über James Dean bis John F. Kennedy – starb Johnson früh. Er gilt deshalb als Gründungsvater des Club 27, dem später noch Musikerinnen und Musiker von Brian Jones, Jimi Hendrix und Jim Morrison über Janis Joplin und Kurt Cobain bis Amy Winehouse beitreten sollten. In drei Punkten sind sich alle Interpreten einig: Robert Johnson liebte Whiskey und Frauen, und er starb am 16. August 1938. Letztgenannte Information kann man seiner Sterbeurkunde entnehmen, die auch von Leuten, die ihn kannten, bestätigt wurde. Was die Todesursache betrifft, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander.

Honeyboy Edwards, Augenzeuge der Geschehnisse, berichtete, dass Johnson am Samstag, den 13. August 1938 in einem Juke Joint in Three Forks, nahe Greenwood, aufgetreten sei. Robert war mit seiner Gitarre schon ein paar Wochen in der Gegend umhergezogen und hatte in dieser Zeit eine Affäre mit der schönen jungen Frau des Clubbesitzers in Three Forks begonnen. Als Edwards an jenem Samstag den Tanzschuppen betrat, war Johnson schon so krank, dass er nicht mehr spielen konnte. Er hatte bereits den ganzen Abend auf der Bühne gestanden und zwischendurch immer wieder ›free drinks‹ zu sich genommen. Man brachte ihn daraufhin gegen zwei Uhr nachts zurück in sein Zimmer im Baptist-Town-Bezirk von Greenwood, wo er nach mehreren Tagen qualvoller Symptome schließlich verstarb. Blutungen aus dem Mund und Erbrechen hatten ihn immer weiter geschwächt. Laut Edwards sei er in seinen letzten Stunden »wie ein Hund auf allen Vieren herumgekrochen und habe gebellt«. Nach dieser Version war Johnson das Opfer eines eifersüchtigen Ehemannes, der ihn mit vergiftetem Whiskey getötet hat.

Eine andere Erklärung der Todesursache bezieht sich auf Johnsons Sterbeurkunde: Auf der Vorderseite des erst 1968 entdeckten Dokuments wird Roberts Alter mit »26« und auch der Name seines leiblichen Vaters fälschlicherweise mit »Norah« angegeben. Daneben steht im Feld »Todesursache« nur lapidar »No Doctor«. Auf der Rückseite findet sich dann eine Mitteilung der damals zuständigen Beurkundungsbeamtin aus dem Leflore County, Cornelia J. Jordan, die Gayle Dean Wardlow in seiner Studie Chasin’ That Devil Music von 1998 zitiert:

Ich sprach mit dem weißen Mann, auf dessen Land dieser Schwarze verstarb, und ich unterhielt mich dort auch mit einer schwarzen Frau. […] Der weiße Mann hat diesem Schwarzen keinen Arzt gerufen, weil er ja nicht für ihn gearbeitet hatte. Er wurde in einem selbstgezimmerten, vom County bezahlten Sarg begraben. Der Plantagenbesitzer erzählte, dass seiner Meinung nach dieser Schwarze an Syphilis gestorben sei.

Dieser Bericht auf der Sterbeurkunde provozierte Widerspruch: Ein Arzt namens Dr. Walter Holladay vertrat die Meinung, Johnson hätte mit angeborener Syphilis durchaus im Alter von 27 Jahren sterben können. Die dreitägige Frist von seiner plötzlichen Erkrankung bis zu seinem Tod sei aber Ergebnis der »Kombination aus Gift, Moonshine-Whiskey und Leberschaden«, die eine Lungenentzündung bei ihm ausgelöst haben könnte, die 1938 wegen fehlender Antibiotika noch unheilbar war.

Wer daran glaubt, dass Johnson an einer Vergiftung starb, versteht seinen Tod als Mord. Aber von wem wurde der und warum verübt? Honeyboy Edwards insistiert darauf, dass ein eifersüchtiger Juke-Joint-Besitzer ihn vergiftet habe. Der Mundharmonika-Virtuose Sonny Boy Williamson II. , der früh am Abend des 13. August mit Johnson zusammen gespielt hatte, will bei der Ermordung seines Kollegen selbst eine Rolle gespielt haben: Johnson sei in der Pause eine offene Flasche Whiskey gereicht worden. Als erfahrener Bluesman habe er, Williamson, weil er von Johnsons Affäre und der Eifersucht des Besitzers wusste, Johnson die Flasche mit den Worten aus der Hand geschlagen: »Mann, trink niemals aus einer schon geöffneten Flasche.« Diese Warnung habe Johnson so verärgert, dass er Williamson erbost entgegnete: »Mann, schlag mir niemals eine Flasche Whiskey aus der Hand.« Als Robert dann eine zweite, geöffnete Flasche angeboten wurde, musste Williamson mitansehen, wie Robert einen tiefen Schluck daraus nahm. Kurz danach zeigte Johnson die ersten Symptome einer Strychnin-Vergiftung.

Andere Deutungen im Delta gehen davon aus, dass Johnson von einer eifersüchtigen Frau getötet wurde, entweder durch Gift im Kaffee oder Whiskey. In allen Varianten ist jedoch sexuelle Eifersucht im Spiel. Johnsons langjährige Freundin Elizabeth ›Bet‹ Thomas will erfahren haben, dass Johnson auf dem Weg zu einem Konzert von hinten erstochen wurde. Thomas’ Nachbar, Miller Carter, dagegen meinte zu wissen, dass ihr Vater Johnson mit einer Schrotflinte erschossen habe, nachdem er Elizabeth verprügelt hätte.

Kurz: All die zahlreichen Interviews, die mit Zeitzeugen zu Johnsons mysteriösem Tod geführt wurden, zeichnen sich durch Ungenauigkeiten, versteckte Anspielungen, Gerüchte und Klatsch aus. Wahrscheinlich ist es längst zu spät, mehr als 80 Jahre nach seinem Tod hieb- und stichfeste Beweise für Umstände und Ursache zu finden. Es fällt allerdings auf, dass die Erklärungsversuche weißer Blues-Forscher allesamt auf Krankheit und körperliches Leiden wie Lungenentzündung, Syphilis oder eine Leberschädigung abheben. Die schwarzen Bewohner des Mississippi-Deltas dagegen fokussieren sich auf Gewalt: Vergiftung, Erstechen und Erschießen. Sie beziehen die Geschichte von Johnsons Tod auf ihre eigenen Erfahrungen oder ihre Familiengeschichte, die in der Depressionszeit im Jim-Crow-Süden von Gewalttaten und Unterdrückung geprägt waren.


Wallfahrtsstätte für Blues-Jünger: Robert Johnsons Grabstein nahe Greenwood

Wahrscheinlich wurde Johnson auf dem kleinen Friedhof der Little Zion Missionary Baptist Church begraben, knapp zwei Meilen außerhalb von Greenwood, wo heute noch ein Grabstein an ihn erinnert. Später fand sich im Nachlass Johnsons eine handschriftliche Mitteilung, die er in seinen letzten Lebenstagen verfasst haben muss: »Jesus of Nazareth, King of Jerusalem, I know that my Redeemer liveth and that He will call me from the Grave.«


Konzertflyer From Spirituals To Swing

Es passt ins verschwommene Bild eines vor der Zeit gestorbenen Genies, dass im Spätherbst 1938 John Hammond, Produzent und Talentscout bei Columbia Records, in der New Yorker Carnegie Hall ein Konzert unter dem Titel From Spirituals To Swing plante, bei dem Robert Johnson auftreten sollte. Ernie Oertle wurde beauftragt, Johnson zu suchen. Als der herausfand, dass sein Star zwischenzeitlich gestorben war, buchte er als Ersatz Big Bill Broonzy, der später mit seinen Reisen nach Europa und besonders in das Vereinigte Königreich die Lehre des Blues weitertragen sollte. Doch Hammond eröffnete das Konzert, indem er dem New Yorker Publikum zwei Schallplattenaufnahmen von Johnson vorspielte, den »Walkin’ Blues« und den »Preachin’ Blues«. In einer Art Nachruf in der linken Zeitschrift New Masses, die das Konzert gesponsort hatte, schrieb Hammond im Januar 1939:

Für das Publikum in der Carnegie Hall hätte Robert Johnson die große Überraschung werden sollen. Ich kannte ihn nur von seinen Blues-Aufnahmen für Vocalion und aus den unglaublichen Geschichten, die die Aufnahmetechniker und -ingenieure aus den provisorischen Studios in Dallas und San Antonio über ihn erzählten.

Auf dem Cover der zweiten Robert-Johnson-Veröffentlichung King Of The Delta Blues Singers II von 1970 ist ein Gemälde zu sehen, auf dem Robert Johnson, im Studio sitzend, dem Betrachter den Rücken zuwendet. Don Law, der Produzent von Johnsons beiden Aufnahmesessions, erzählt, dass es damals üblich gewesen sei, an einem Tag mehrere Künstler/Gruppen ins Studio einzuladen, die dann nacheinander ihre Aufnahmen machten. Während also ein Musiker seine Songs einspielte, warteten die anderen im Control Room nebenan auf ihren Auftritt. Schon bei Johnsons erster Session sei eine Gruppe von mexikanischen Musikern zugegen gewesen, denen er bei seiner Aufnahme laut Law demonstrativ den Rücken zugewandt hätte und »in die Zimmerecke sang«. Law erklärte sich dieses Verhalten durch Johnsons Schüchternheit. Er sei halt ein »Junge vom Lande, der niemals die Plantage verlassen hatte, auf der er geboren wurde«. Johnson habe im Studio einen heftigen Anfall von Lampenfieber erlitten: Dabei verkannte Law, dass Robert ein vielgereister, professioneller Blues-Performer war, der tatsächlich noch nie Probleme gehabt hatte, vor einem Publikum aufzutreten.

Man muss vielmehr davon ausgehen, dass Johnson es vermeiden wollte, anderen Musikern seine Spieltechnik, sein brillantes Picking, all die Patterns und Slide-Linien offen zu zeigen, damit sie ihn nicht kopieren konnten. Wenn er beispielsweise gefragt wurde, wie er denn eine bestimmte Stelle gespielt habe, antwortete er demonstrativ blauäugig: »Genauso, wie du es machst«, anstatt Details zu verraten. Es konnte auch vorkommen, dass er bei zu offenkundigem Interesse an seiner Technik durch einen Zuhörer dem Publikum den Rücken zuwandte, damit seine Finger auf dem Griffbrett nicht mehr zu sehen waren. Johnson schien eine Heidenangst vor geistigem Diebstahl zu haben. Robert Lockwood Jr. – oft als Johnsons ›Stiefsohn‹ bezeichnet, weil Robert eine Zeit lang mit dessen Mutter zusammenlebte – ergänzt, dass Johnson besonders seine speziellen »offenen Stimmungen« der Gitarre geheim halten wollte.

 

Eine dritte Erklärung für Johnsons demonstrative Abwendung von seinen Zuhörern ist viel prosaischer: Durch seine zahlreichen Live-Erfahrungen war Robert durchaus mit akustischen Problemen vertraut: Er singt und spielt nicht nur deshalb »in die Zimmerecke« des Aufnahmestudios, weil er sich so selbst besser hört, sondern weil der Sound von den Wänden reflektiert und verstärkt wird, seine Musik also voller klingt. Der Slide-Spezialist Ry Cooder spricht in diesem Zusammenhang von einem spezifischen ›corner loading‹, das die Höhen und Bässe des Gitarrensounds zugunsten der Mitten beschneidet – ähnlich wie bei einer National-Resonator- oder einer verstärkten E-Gitarre. Durch die strategische Platzierung in einer Zimmerecke kann man so auch mit einer akustischen Gitarre einen schneidenden, metallisch scharfen Ton erzielen, wie er für die Johnson-Stücke charakteristisch ist. Keith Richards beglaubigt dies: »Johnson ging es dabei nur um den Sound.«

48 Jahre lang blieb Johnson ein gesichtsloses Phantom, eine Tabula rasa, auf die jeder seine Fantasien vom Aussehen dieser Blues-Ikone projizieren konnte. Erst 1972 entdeckte der Johnson-Forscher Mack McCormick drei Fotos von ihm. Doch es war der Blues-Produzent Steve LaVere, der zwei Jahre später zwei dieser Bilder von Johnsons Halbschwester Carrie kaufte. Veröffentlicht wurde das berühmte Porträt vom jungen Robert, mit düster-coolem Gesichtsausdruck und leichtem Silberblick, einer im Mundwinkel hängenden Zigarette und mit spinnenartigen, dünnen Fingern auf dem Griffbrett der Gitarre, erst am 13. Februar 1986 im Rolling Stone. Durch sein leicht geschädigtes linkes Auge (›lazy eye‹) und das verführerisch gesenkte Augenlied umgibt Johnson hier eine Aura der Unvollkommenheit. Wer in dieses fast schon aufsässig starrende Gesicht blickt, »meint den Wind über die Baumwollfelder heulen zu hören und die Höllenhunde hinter sich zu spüren«, so der Johnson-Biograf Tom Graves.

Konnte dieses Foto Johnsons Image eines gehetzten Außenseiters noch untermauern, so wurde der ›loner look‹ durch ein zweites Foto, das die Complete Recordings von 1990 (soundtechnisch schwächer als die beiden King-Of-The-Delta-Blues-Singers-Ausgaben) ziert, geradezu konterkariert. Aufgenommen 1935 im Hooks Bros. Studio in Memphis präsentiert sich Johnson hier lächelnd im schicken Nadelstreifenanzug, mit Schlips und keckem Fedora-Hut und will so gar nicht zum Klischee des verzweifelten, armen Country-Boys passen, das vor allem britische Blues-Enthusiasten wie Clapton und Robert Plant jahrelang von ihm gepflegt hatten. Da ist keinerlei Schüchternheit mehr in seinem Blick, eher Zuversicht und Selbstvertrauen. Hier wird Johnson seinem, vor allem bei Frauen weit verbreiteten Ruf als ›Blues-Dandy‹ gerecht. Seine Gitarre, eine Gibson L1 Sunburst von 1927, wirkt abgewetzt und steht in aufreizendem Kontrast zur stilbewussten Erscheinung ihres Besitzers. Clapton war äußerst erstaunt, als Andrew Franklin ihm 1991 im Rahmen eines Interviews für die Zeitschrift Musician erstmals dieses ›Dandy‹-Foto vorlegte:

Wow, er ist ein schicker, gutaussehender Kerl. Schau dir nur mal den Anzug und den Hut an. Und diese aufregenden Hände. Er sieht wirklich welterfahrener aus, als ich ihn mir vorgestellt habe. Auf diesem Bild wirkt er viel kultivierter als ich je gedacht hätte. Niemand hätte sich vorstellen können, dass er jemals einen Anzug oder einen Hut getragen hat. Das ist wirklich erstaunlich!

Als Johnson anfing, Gitarre zu spielen und die Juke Joints zu besuchen, in denen seine Vorbilder Son House und Willie Brown auftraten, war er ein lausiger Musiker. Dennoch schnappte er sich während der Konzertpausen gern die Instrumente seiner Heroen, die auf eine Zigarettenpause nach draußen gegangen waren, um selbst die Zuhörer mit seinem dilettantischen Geklimper zu unterhalten. Die reagierten schnell genervt und beschwerten sich bei den auftretenden Musikern über den »Blues-Wanna-Be«. Als Johnson dann in den Süden von Mississippi zog, und nach seinem Sabbatical, das zwischen sechs Monaten und zwei Jahren gedauert haben soll, selbstbewusst zurückkehrte, war die Überraschung groß. Son House musste zugeben, dass Johnsons Fähigkeiten an der Gitarre inzwischen so überragend waren, »dass uns allen der Mund offen stehen blieb«. Sofort schossen Gerüchte ins Kraut, dass übersinnliche Kräfte im Spiel sein mussten: Johnson hatte seine Seele im Tausch für Talent an den Leibhaftigen verkauft. Dabei war Robert auf seinen Wanderungen durch das Delta mit den unterschiedlichsten Gitarrenstilen von Leuten wie Charley Patton oder Howlin’ Wolf in Kontakt gekommen und hatte ihre Akkordfolgen, Zupf- und Schlagtechniken mit seinem eigenen Stil verschmolzen.

Es gilt zudem als gesichert, dass er ein paar Monate bei dem Gitarristen Ike Zimmerman in Hazlehurst Unterricht genommen hat. Dazu kam, dass er über eine ausgezeichnete Aufnahmefähigkeit und ein entsprechend gutes Gedächtnis verfügte, was ihm erlaubte, Songs nach nur einmaligem Hören fehlerfrei nachzuspielen (manche schreiben ihm sogar ein absolutes Gehör zu). Der Blues-Gitarrist und -Sänger Johnny Shines berichtet, dass Johnson selbst solche Musik, die in einer Kneipe mit großer Geräuschkulisse im Hintergrund aus der Jukebox klang, anschließend perfekt imitieren konnte. Vor allem aber ist verbürgt, dass Johnson geübt hat, geübt und nochmals geübt. Als er begann, eigene Songs zu schreiben, hielt er seine Textideen in einem kleinen Notizbuch fest, das er immer bei sich führte. Und doch können all diese Faktoren für viele Musiker Johnsons rasante Entwicklung von einem wenig talentierten Amateur zum »König des Delta Blues« nicht vollständig erklären. In der religiös aufgeladenen und abergläubischen ›black community‹ entstanden schnell Gerüchte über die neuen, unglaublichen Fähigkeiten Johnsons als Gitarrist: Das konnte nur einen dunklen, mysteriösen Hintergrund haben.

Die Geschichte von Roberts »Pakt mit dem Teufel« hat ihren literarischen Ursprung in einem Interview, das Pete Welding 1966 im Jazz-Magazin Down Beat mit Son House führte. Der meinte damals, dass Robert »seine Seele dem Teufel verkaufte, um im Gegenzug die Fähigkeit zu erhalten, so zu spielen, wie er es dann tat«. Andere Zeitgenossen Johnsons haben sich dieser Deutung angeschlossen und sogar behauptet, sie würden die exakte Lage jener besagten »Straßenkreuzung« kennen. Die ausführlichste Beschreibung der teuflischen Transaktion geht auf den Blues-Musiker Tommy Johnson zurück, der zwar nicht mit Robert verwandt war, aber in Hazlehurst lebte, wo Johnson ja eine Zeit lang Unterricht nahm:

Wenn du lernen willst, Gitarre zu spielen und eigene Songs zu schreiben, dann schnapp dir dein Instrument und geh damit an eine Straßenkreuzung. Sieh zu, dass du kurz vor Mitternacht an Ort und Stelle bist. Dann setz dich und klimpere auf der Gitarre vor dich hin. Ein großer, schwarzer Mann wird vorbeikommen, deine Gitarre nehmen und sie für dich stimmen. Dann spielt er darauf und gibt sie dir zurück. Auf diese Art und Weise habe ich gelernt, alles zu spielen, was mir in den Sinn kommt.

Man darf davon ausgehen, dass Robert während seines Aufenthalts in Hazlehurst bei Ike Zimmerman diese Geschichte gehört und sie bei seiner Rückkehr nach Robinsville genutzt hat, um seine neu erworbenen Fähigkeiten plausibel erscheinen zu lassen. Nicht wenige Kritiker werfen Johnson deshalb heute vor, er habe den »faustischen Pakt« als Marketing-Trick eingesetzt, als »diabolischen Hype«. Honeyboy Edwards, ein Zeitgenosse Johnsons, blieb jedenfalls skeptisch: »Ich habe oft nachts an Straßenkreuzungen gesessen und Gitarre gespielt, aber mir ist nie so ein Mann begegnet. Robert war eben auch ein großer Schwätzer.«

Der Blues-Forscher Julio Finn bietet in seiner Studie The Bluesman eine religionsgeschichtliche Lesart des »teuflischen Kontrakts« an. Danach habe sich aus afrikanischen naturreligiösen Praktiken in den USA, speziell im Mississippi-Delta, eine Tradition des »Hoodoo« entwickelt: Die Verbindung von Blues-Musikern mit Hoodoo sei offensichtlich, wenn man Sprachbilder wie »Hoochie Coochie Man«, »Black Cat Bones« oder »Mojo Hands« in ihren Texten bedenke. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, dass die schwarze Kirche im Delta den Blues als Rückfall in primitive Denkweisen abgelehnt habe. Laut Finn gehen einige Hoodoo-basierte Religionen davon aus, dass sich aus der Erde, die man speziell an Straßenkreuzungen findet, ein Amulett herstellen lässt, das in Verbindung mit einem Lied den göttlichen Trickster »Legba« (in der afrikanischen Mythologie das Synonym für Teufel) um Hilfe bitten könne, »das Tor zu öffnen«. Die Legba-Figur, eine Art »Schwindler-Gottheit« aus der Dahomean-Yoruba-Mythologie, regelt den Verkehr an der Kreuzung und entscheidet, wer den Übergang zwischen physischer und spiritueller Sphäre passieren darf und wer nicht. Finn glaubt darüber hinaus, dass Johnson auf seinen ausgedehnten Reisen auch einen »Root Doctor« aufgesucht habe, der mit Hoodoo-Praktiken vertraut war. Zudem sei Johnsons intime Kenntnis von Hoodoo in seinen Texten offenkundig. Finn ist also der Meinung, dass Johnsons berühmter Pakt mit dem Teufel nichts anderes gewesen sei als eine Hoodoo-Zeremonie, in der Johnson Papa Legba, den »Schwarzen Mann«, um Hilfe gebeten habe, ihm den Weg zu seinen verborgenen musikalischen Kräften zu ebnen.

Die meisten der 29 Songs, die Johnson uns hinterlassen hat, enthalten keinerlei Bezüge zum »Teufel«, sondern sind voll von sexuellen Anspielungen und Reiseerlebnissen. Robert singt von »gütigen Frauen«, »bösen Frauen«, »süßen Frauen«, »dunkelhäutigen Frauen«, »gemeinen Frauen«, »hübschen Mamas«, von »Ida Belle«, »Beatrice« und »Willie Mae«. Er singt von »Frauen mit Zündkerzen«, »Frauen mit den präzisen Bewegungen eines Uhrwerks«, »mit heißen Tamales« und natürlich vom »Wandern«, »Umherstreifen«, »Trampen« und »Abhauen«. Nur zwei seiner Lieder »Hellhound On My Trail« und »Me And The Devil Blues« beschreiben explizit Höllenbewohner, die auf unsere Welt losgelassen wurden.

Auch Eric Clapton hat 1991 in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Musician Zweifel angemeldet, ob Johnsons Musik wirklich in irgendeiner Weise teuflischen Ursprungs sei:

Für mich ist dieser Teufelspakt Johnsons nichts weiter als eine gute Story. Es ist zwar ein großartiger Mythos, aber mir klingt das viel zu missgünstig. Jemand, der so wunderbare Songs geschrieben hat, kann einfach nichts mit dem Teufel zu tun haben. Die Musik, die er machte, war einfach zu großartig, sie kann nicht aus einer Allianz mit dem Teufel entstanden sein.

Ohnehin sind Johnsons Texte in ihrem Reichtum an Bildern und Metaphern keine Beschreibungen wirklicher Erlebnisse. In dieser Hinsicht kann auch der »Me And The Devil Blues« eher als Bekenntnis zu einem »sündigen Bewusstsein« verstanden werden. Auf keinen Fall darf man den Fehler machen, Johnsons Leben aus seinem Werk zu rekonstruieren. Auch für Clapton besitzen Johnsons Texte deshalb vor allem literarische Qualitäten und sind in hohem Maße interpretationsbedürftig, wie er im Gespräch mit Peter Guralnick für die Februar-Ausgabe der Zeitschrift Musician 1990 ausführt:

Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass Robert über eine Eloquenz verfügte, die weit über seine Herkunftsbedingungen hinausging. Seine Sprache erinnert mich manchmal sogar an alte englische Dichter. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, klang das für mich, als hätte er eine Sammlung englischer Gedichte zu Hause liegen gehabt: »She’s got an Elgin movement from her head down her toes« – Unglaublich! Fast im Stile von Byron – seine Formulierungen sind schon fast klassisch zu nennen. Ich war ja ein Arbeiterkind durch und durch und als die erste Platte vom ihm erschien, kam sie mir vor wie eine Art Radar. Das alles hatte eine Magie, die sich einfach nicht in Worte fassen lässt.

Mit der Wiederentdeckung Johnsons im Jahr 1961 begann sogleich die Romantisierung dieses lange vergessenen Künstlers: Ein Geist aus der Vergangenheit kehrt zurück, um mit seiner herzzerreißenden Musik in unseren Köpfen herumzuspuken. Dabei ist es keine Überraschung, dass dieses verklärende Bild Robert Johnsons von desillusionierten, kunsthungrigen Art-School-Absolventen wie Eric Clapton oder Keith Richards in die Welt gesetzt wurde.

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