Auf der anderen Seite der Schwelle

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„Da wird ja auch Gemüse faulen …“, kamen Bedenken in der Zelle auf. „Wer weiß was die uns dann zumuten werden, wenn’s ja jetzt schon neben dieser Wassersuppe nur Bruchnudeln mit brauner Mehlsoße zu fressen gibt.“

„Na klar“, warf der Rundgesichtige mit der Halbglatze ein, „die fegen den ganzen Nudelbruch in der Fabrik hier in Cottbus zusammen und uns wird das dann täglich zum Fraß vorgeworfen.“

„Natürlich trifft’s uns besonders, wenn’s mit der Versorgungslage draußen wieder mieser werden sollte“, sagte der Ingenieur mit besorgter Miene.

„Aber nach dem 17. Juni“, warf Sebastian ein, „da wissen die inzwischen ja selbst, dass mit der Bevölkerung nicht zu spaßen ist. Ohne den Iwan wären die nämlich längst weg vom Fenster.“

Der Ingenieur nickte. „Schließlich sitzen ja genug vom 17. Juni hier oben auf Station. Aber die DDR lebt nun eben mal nur von der Hand in den Mund und für Importe gibt’s kein Geld. Da gilts dem Volk den Gürtel enger zu ziehen.

Das ist ja hier nicht wie in Westdeutschland. Da importieren die in solcher Lage auf Teufel komm raus! Für ihre Westmark kriegen die überall alles mit Handkuß.

Aber hier im Osten sitzt uns der Russe im Nacken, die haben ja auch nie was zu fressen. Und unser Ostgeld? Bloß Dekoration“, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung.

Dann krachten plötzlich auf der Station in Abständen Schloss und Riegel. Alle lauschten. Der Lärm kam näher.

Totila legte das Ohr an den Türspalt.

Die andern guckten halb neugierig, halb verunsichert.

Der Volkswirt, der mit der Halbglatze, saß auf seinem Hocker, starrte seitwärts zur Tür, pustete durch die Lippen und hob die Schultern. „Jetzt um diese Zeit?, fragte er und sah dazu die andern an. Die blickten ratlos zurück. Letztlich wurde ja alles was aus dem alltäglichen Einerlei fiel nicht ohne Grund in weiterem Sinne als bedrohlich betrachtet.

Dann flog auch ihre Türe auf. Der Volkswirt machte Meldung. Der Kalfaktor stellte einen gefüllten Wassereimer in die Zelle und drückte dem Volkswirt zwei Wurzelbürsten in die Hand. Schon fiel die Türe wieder ins Schloss und zugleich klirrte der Riegel ins Mauerwerk.

Sebastian und Totila besahen sich das Ganze mit Erstaunen. „Was ist denn das“, fragte Sebastian und trat zum Wassereimer. „Sollen wir das trinken?“

Günter, der Volkswirt, lachte. „Nee“, sagte er, „damit wird der Zellenboden geschrubbt“, und hielt dazu die beiden Wurzelbürsten mit ausgestreckten Armen von sich.

„Greift zu“, sagte er, an die beiden Jungen gewandt. „Etwas schrubben hilft der Gesundheit.“

Sebastian betrachtete diesen Boden zum ersten Mal wirklich.

„Das ist ein stabiler Dielenboden“, erklärte der Ingenieur „massive Bohlen, das sieht man schon an der Breite der einzelnen Dielen. Dieser Boden hier“, und er stampfte einige Mal mit dem Fuß auf, „ist wahrscheinlich so alt wie der ganze Bau. Und wir sorgen nun dafür, dass diese alten festen Bohlen in relativ kurzer Zeit verfaulen werden.“

„Wieso das?“, fragte Sebastian und besah sich diese Dielen genauer.

„Was siehst du?“, fragte Klaus, der Ingenieur.

„Was soll ich sehen“, sagte Sebastian, „Holzdielen …

„Und“, fragte Klaus weiter.

„Ja, die sind ziemlich sauber, im Gegensatz zu den verschmierten Wänden hier überall.“ Dann sah er den Ingenieur an und lachte. „Ich weiß schon“, sagte er.

Der Ingenieur nickte. „Sauber“, sagte er, „das ist richtig. Alle drei Wochen gibt’s so’n Eimer Wasser und anschließend kommen die um nachzusehen, ob der Boden auch wirklich sauber ist. Das Problem aber bleibt, dass der größte Teil des Wassers in den Dielen versickert. Am Ende ist nur noch ein Viertel Eimer Restwasser übrig, um von Schmutz nicht zu reden.“

„Na uns soll’s Recht sein“, sagte Totila, „, wenn dieser Knast von unten her allmählich verfault.“

Sebastian winkte ab. „Nicht unsere Sache“, sagte er, „, aber ich mach’ das, ich werde schrubben.“ „Erst ausfegen“, bemerkte Totila und griff sich den Handfeger, der mit einer Schaufel stets in der Zelle blieb.

„Ich fange am Fenster an“, erklärte Sebastian.

Totila nickte und begann dort zu fegen.

Sebastian griff sich indessen eine der Bürsten, trug den Wassereimer Richtung Fenster und begann auf dem Boden kniend die Dielen mit der harten Wurzelbürste zu bearbeiten.

Die beiden Älteren saßen auf ihren Hockern und grinsten.

„So ist’s richtig“, sagte Klaus, der Ingenieur, „Jugend voran!“

„Lästert ruhig“, reagierte Sebastian ohne aufzublicken, „mir macht das nichts.

Ich kann mich hier ein bisschen bewegen.“

„Die hintere Hälfte schrubbe ich“, meldete Totila sich, der die Zelle inzwischen ausgefegt hatte. „Zwei Bürsten sind zwar da, aber nur ein Eimer.“

„Da musst du die Waschschüssel nehmen. Das meinen die vielleicht auch und anschließend auswaschen“, sagte Sebastian.

„Alles mit kaltem Wasser?“

„Na ja, dann lass es halt. Kannst dann ja gleich die andere Hälfte schrubben.“

Nachdem alles fertig war, stand Sebastian mitten in der Zelle und schüttelte den Kopf. „Ich hatte gedacht man würde zum Wasser aufnehmen noch einen Scheuerlappen brauchen, also um nach zu wischen. „Das ist aber wirklich so wie ihr gesagt habt“, wandte er sich an die beiden Älteren. „Im Eimer der winzige Rest und das andere ist einfach verschwunden. Der Boden sieht richtig trocken aus.

„Und sauber“, ulkte Günter der Volkswirt.

„Hat auch was“, antwortete Sebastian. „Man sieht nachts die großen Kakerlaken besser.“

Der Ingenieur lachte. „Wir tun ja auch alles, damit’s denen unter den Dielenböden hier richtig anheimelnd geht.

„Die haben die Ausmaße eines kleinen Fingers“, warf Totila ein.

Ja, ja“, bestätigte der Volkswirt. „Die haben hier mal über Nacht ’ne halbe Scheibe Brot aufgefressen.“

„Donnerwetter!“ Sebastian lachte. „ Sind die nicht schon richtig gefährlich?“

Kapitel 5

Aus Tagen waren für Sebastian und Totila Wochen geworden und aus Wochen Monate. Der Revisionsantrag Günters, des Volkswirts, war inzwischen vom Gericht verworfen worden. Damit waren sie kurzfristig eine Dreimannzelle geworden.

„Unser Anwalt hat uns gleich von einem Revisionsantrag abgeraten und gewarnt, das könnte auch nach hinten los gehen“, erklärte Sebastian auf eine Nachfrage des Ingenieurs. „Also haben wir uns danach gerichtet. Zumal mit einer Strafminderung bei unseren Urteilen sowieso nicht zu rechnen gewesen wäre. Doch dass wir mit ’ner Revision geschwindelt haben“, wandte er sich an den Ingenieur, „das weißt du ja. Wir wurden vom Schließer nach der Revision gefragt und da haben wir ja gesagt. Unser Anwalt hätte sie eingelegt. Seitdem sind wir hier in dieser Zelle“, dazu drehte er sich einmal um sich selbst. „Wir hielten das erstmal für besser“, fügte er hinzu, „und meinten uns damit auch die Glatze wenigstens eine Zeit lang ersparen zu können. Und sollte das mit der Revision raus kommen“, sagte Sebastian achselzuckend, „dann hatten wir uns eben geirrt …“

„Das kommt sowieso raus“, wandte Totila ein, „oder glaubst du denn, dass wir nach Jahren noch immer hier in Revision sitzen?“

„Quatsch! Irgendwann verlegen die uns in eine Normalzelle und das war’s dann.“

Schon zwei Tage später krachte überraschend das Schloss, die Tür flog auf und darin stand einer mit seinem Deckenbündel vor der Brust. Er betrat die Zelle und gleich hinter ihm schmetterte die schwere Türe wieder ins Schloss.

„Na dann sind wir ja voll“, begrüßte Klaus, der Ingenieur den Neuen und stellte sich selbst sowie die beiden Freunde vor.

„Eberhard Meier mein Name“, erwiderte der Neue.

„Was hast du denn Schönes mitgebracht?“, fragte der Ingenieur.

Der Neue warf sein Bündel aufs freie Bett. „Fünfzehn Jahre wegen Mord“, sagte er dann. „Hab meine Frau erschlagen.“

Die drei andern in der Zelle, einschließlich des Ingenieurs, sahen ein wenig verblüfft drein.

„Vorsätzlich?“, fragte schließlich Totila ein bisschen zögerlich.

Eberhard Meier stand neben dem Bett und schüttelte den Kopf. „Das war ich doch gar nicht!“

Wieder schwiegen die drei anderen.

„Also unschuldig …?“, reagierte wiederum Totila.

Der so Gefragte, ein großer, kräftiger aber einfacher Mann, dem man einen Totschlag, geschweige denn einen Mord nicht wirklich zutrauen würde, hob die Schultern und sah die drei an. „Ich weiß ja“, sagte er, „das sagen immer alle, aber ich war’s wirklich nicht …“ Und er begann, als er das Zögern in den Augen der anderen sah, ein wenig stockend zu erzählen. Dazu ließ er sich auf einem Hocker am Tisch nieder. Und so breitete sich vor den inneren Augen der Zuhörer die Geschichte des Eberhard Meier aus, eines Flüchtlings aus Pommern und Maurer von Beruf, der wegen Mordes verurteilt worden war.

„Ich habe meine Schwiegermutter mit geheiratet“, begann er zu erzählen und machte eine Pause „Der gehörte das Haus in Bronkow“, fuhr er fort. „Ich habe beim Kraftwerkbau Sonne in Freienhufen gearbeitet.“

„Sonne?“, fragte Sebastian, „Da ist mein Vater Oberbauleiter.“

„Sebaldt … ja natürlich. Das ist dein Vater?“

„Ja.“

„N’ prima Mann. Der war in Ordnung, hat mit jedem Maurer und Zimmermann sprechen können, was man von diesen Herren meist nicht sagen kann.“ Dabei nickte er Sebastian zu.

„Ja meine Frau“, fuhr er dann fort, „also die hab ich vor sechs Jahren geheiratet.

Ihr Vater war in Stalingrad geblieben. Ich kam verwundet aus russischer Gefangenschaft. Meine Heimat in Pommern war ja polnisch geworden. Auch mein Vater ist im Krieg geblieben und die Mutter auf der Flucht gestorben. Ein älterer Bruder ist noch immer vermisst. Ich denke nicht, dass der noch mal auftaucht.

 

Wo meine Mutter damals verscharrt wurde, weiß ich nicht. Ich war, als ich hier ankam, nur der Flüchtling. Meine Frau habe ich in der Werkskantine kennen gelernt, die hat dort bedient. Ich war da hängen geblieben, weil’s dort Arbeit gab.

Ich hatte zuerst in ’ner kleinen privaten Baufirma eine Maurerstelle. Diese Firmen gab’s damals noch und die hatten auch Arbeit. In Großräschen zum Beispiel war ja durch ’n Bombenangriff viel zerstört worden. In Freienhufen beim Kraftwerk Sonne gab’s bald bessere Löhne, also bin ich dann da hin. Das Schlafzimmer und das Ehebett gehörten nicht nur meiner Frau und mir, als wir geheiratet hatten …“, dann stockte er kurz und starrte zu Boden. „Das ist mir wirklich peinlich“, fuhr er schließlich fort, „aber die Schwiegermutter lag immer mit in unserm Bett.“

„Was, wie denn das? fragte erstaunt der Ingenieur und ließ sich auch auf einen Hocker fallen. „Ich habe ja schon gehört, dass es das gibt, aber noch nie so jemanden getroffen.“

„Das erzählt doch niemand, wenn’s nicht sein muss“, erklärte Eberhard Meier.

„So was denke ich, kommt öfter vor.“

„Was du nicht sagst!“, wunderte der Ingenieur sich.

Und über Sebastians und Totilas Erfahrungsschatz ging das natürlich weit hinaus.

„Entschuldige die Neugier“, sagte der Ingenieur wieder, aber wie habt ihr so was denn arrangiert?“

„Na rechts meine Frau und links ihre Mutter …“ „Das war doch aber eine alte Frau.“

Nee, nee, sag das nicht. Das war schon noch ein griffiges Weibstück „, widersprach Eberhard Meier. „Und das wusste die auch“, fügte er hinzu.

„Und du hast, entschuldige, also du hast dann mit beiden abwechselnd geschlafen?“

„Nicht nur abwechselnd, manchmal auch hintereinander.“

„Beim Zeus! rief der Ingenieur. Welch eine Potenz! Das muss man sich mal vorstellen.“ Dazu lachte er. „Nimm mir’s nicht übel“, wandte er sich an Eberhard Meier, „aber alle Achtung! Da hätte ich nicht mitgehalten.“

Sebastian und Totila grinsten ein wenig peinlich berührt.

„Ja ihr lacht“, beschwerte der überlastete Ehemann sich, das war nicht so einfach und eine verdammt ernste Angelegenheit. Meine Schwiegermutter hat sich immer vernachlässigt gefühlt. Manchmal klappte das eben nicht so und dann lags nach ihrer Meinung an der Tochter. Ihre Mutter war im Bett und nicht nur dort, oft so gehässig und eifersüchtig, da konnte ich manchmal einfach nicht.

Ständig Zank und Streit und dann war auch wieder meine Frau sauer.“

„Kinder hattet ihr nicht?“

„Nee, dazu ist’s nicht gekommen. Vielleicht auch gut so.

„Warum hast du da immer noch mitgemacht?“

„Der Mutter gehörte ja das Haus. Wo sollten wir hin? Das Schlimmste war die Eifersucht und dann auch der Hass auf die Tochter.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass es das überhaupt gibt“, ließ Sebastian sich hören, „also mit Mutter und Tochter und so … hätte so was eher für einen Spaß oder Witz gehalten.“

Der Ingenieur grinste ironisch als er Sebastian fragte: „Hast denn du schon mal was mit der Tochter einer Mutter gehabt?“

Sebastian lachte. „Das ist ja wohl allein meine Sache“, erklärte er.

Der Ingenieur winkte ab. „Wie alt war denn deine Frau“, wandte er sich wieder an Eberhard Meier.

„Dreiundzwanzig“, sagte der.

„Und du?“

„Siebenunddreißig.“

„Und die Schwiegermutter?“

„Zweiundvierzig.“

„Also Kinder, sagst du, hast du nicht.“

„Nee, zum Glück …“ Ein Ding wär’s ja gewesen, wenn deine Schwiegermutter schwanger geworden wäre. Vom Alter her wär’s ja noch grade so drin gewesen. Aber wieso haben die ausgerechnet dich für den Tod deiner Frau verantwortlich gemacht?“

„Genau das ist es“, antwortete Eberhard Meier plötzlich lebhaft geworden. Das konnte nur die Mutter gewesen sein, beteuerte er. „Das habe ich auch dem Gericht gesagt, aber die glauben mir nicht.“

„Eine Mutter, die ihre Tochter erschlägt?“

„Ja warum nicht? So kann es bloß gewesen sein, aus Eifersucht.“

„Aber dem Gericht hast du nicht alles so erzählt wie uns hier …“

„Konnte ich gar nicht. Die wollten’s nicht wissen.“

„Und dein Anwalt?“

„Der sagte immer, nur die Fakten zählen.“

„Na dann erzähl doch mal, aber nur wenn du’s willst, also die Fakten, was waren denn das für Fakten?“

„Na ja“, begann Eberhard Meier wieder etwas zögerlich mit seiner Geschichte, „an einem Abend …“, und er wischte sich kurz mit der Hand über Stirn und Augen. „Also an diesem Abend“, fuhr er dann fort, „da hat’s wieder mal richtig Krach gegeben.“

„Im Bett?“

„Ja, aber auch vorher schon.“

„Und du? Wie hast du dich verhalten? Hast du …?“

Eberhard Meier schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Um Gottes willen nein!

Ich wollte doch nicht dazwischen geraten. Und am nächsten Morgen, die Türen flogen schon wieder, da bin ich schleunigst abgehauen auf Arbeit. Die Mittagspause … also Mittag hab ich doch immer zu Hause gegessen. Und mit dem Fahrrad ungefähr zwanzig Minuten. Als ich auf den Hof fuhr und das Rad abstellte, hatte ich auf einmal so’n komisches Gefühl, vor allem als Rex der Schäferhundrüde mir entgegen kam, der sonst immer an der Kette lag. Der stieg an mir hoch und winselte … Als ich zur Haustür ging, lag da meine Frau und alles voller Blut um ihren Kopf. Das erschreckte mich erst mal und wunderte mich auch. Was war denn da passiert? Meine Frau war tot und schon ganz kalt als ich ihr Gesicht anfasste. Ich bin gleich ins Haus und hab nach der Schwiegermutter gerufen, aber niemand rührte sich. Es war ganz still … Vielleicht, dachte ich, vielleicht ist die Frau gestolpert und im Haus die steile Treppe runtergefallen bis vor die offene Haustür. Aber wieso stand die offen? Das war sie doch sonst nicht und Hildegard, also die Mutter meiner Frau, nicht im Haus, nicht da … Ich kettete noch den Hund an und lief dann gleich in die Kneipe um die Ecke und klingelte dort Sturm. Die hatten ja am Tage geschlossen, aber auch ein Telefon und öffneren auf mein Klingeln. Ich rief dann den Notdienst an und sagte denen, dass meine Frau tot ist, vor der Haustür liegt, vielleicht ein Unfall, sagte ich. Aber bei Tod kommt wohl immer gleich die Polizei. Und so war es auch. Ich konnte denen nicht erklären, wo die Hildegard hin ist. Keine Ahnung, sagte ich auf deren Frage.“

Die Zellengenossen saßen regungslos auf ihren Schemeln oder standen an die Bettgestelle gelehnt und hörten zu.

Der Eberhard Meier, der verurteilte Frauen- und Gattenmörder, stand im Gang zwischen den Betten, mit dem Rücken zum Fenster, hinter dem sich das von der Nachmittagssonne beschienene Laub der Kastanienbäume in leichtem Wind bewegte.

„Also die wiederholte Frage nach der Schwiegermutter, die konnte ich einfach nicht beantworten. Was wusste ich, warum die nicht da war. Ich müsste mitkommen, sagten die mir, auf die Dienststelle nach Calau. Ich dachte doch, dass ich am selben Tage wieder zurück sein würde, aber das war nicht so. Die brachten mich ins Gerichtsgefängnis. Und dort wollten die mir einreden, ich sollte öfter Streit mit meiner Frau vom Zaun gebrochen haben. Ich sagte denen dagegen, dass meine Frau dauernd Zoff mit ihrer Mutter hatte …“ „Von der Ehebettgeschichte“, unterbrach Klaus, der Ingenieur, „hast du denen nichts erzählt?“

„Nee“, Meier schüttelte den Kopf, „, das war mir zu peinlich.“

„Mann!“ Der Ingenieur sprang vom Hocker hoch, „Wenn du das nicht erzählt hast, und vom ständigen Krach zwischen Mutter und Tochter, dann hast du dich als Täter ja förmlich angeboten. Es kommt nicht drauf an, dass du’s nicht warst, sondern dass du es beweisen oder wenigstens glaubhaft machen konntest.“

Eberhard Meier stand mit gesenktem Kopf da und zuckte mit den Schultern.

„Ich geb’ dir ja Recht“, sagte er. „Im Gefängnis“, erzählte er dann weiter, „haben die mir meine Sachen weggenommen. Ich musste ’ne alte Uniform anzieh’n.

An meinen Sachen ist Blut von meiner Frau haben die mir gesagt.

Auch ein Beweis meiner Schuld meinten die. Sie wollten dann wissen, mit welchem Gegenstand ich zugeschlagen habe. Meine Frau, sagten die mir, ist von einem harten Gegenstand getroffen worden, bevor sie dann noch zusätzlich die Treppe runtergestoßen wurde. Meine Schwiegermutter hat auch ausgesagt, dass sie mich nicht direkt beim Totschlag gesehen hat, dass ich aber am Abend vorher mächtig Streit mit meiner Frau gehabt hätte, mit der Drohung sie tot zu schlagen. Der größte Quatsch natürlich. So was hatte ich nie gesagt. Streit hatte ich ja, wenn überhaupt, nur wegen der Schwiegermutter.“

„Und das hast du alles so über dich ergehen lassen, hast nicht erzählt was sich wirklich abgespielt hat?“

„Ich hätte doch keine Zeugen gehabt.“

„Deine Schwiegermutter auch nicht“, erklärte der Ingenieur. „ Also wirklich, du musst doch ’n Knall haben. Und das Blut an deinen Sachen? Da ist doch der Hund an dir hochgesprungen, der frei auf dem Hof herumgelaufen war. So liegt’s doch auf der Hand wie das Blut an die Sachen kam. Hast du dem Gericht das mit dem Hund nicht erzählt? Eigentlich hätte dein Pflichtverteidiger oder auch das Gericht selber darauf kommen müssen.“

Eberhard Meier zuckte wieder mit den Schultern. „Darauf war auch ich damals nicht gekommen.“

„Du meine Güte! Das wichtigste Indiz und du hast es vergessen.“ Der Ingenieur stand in der Zelle Meier gegenüber und schüttelte den Kopf. Wir glauben dir natürlich“, dazu sah er sich in der Zelle um und auch Sebastian und Totila stimmten dieser Einschätzung zu.

Natürlich begriffen alle: Da gab’s die Aussage der Schwiegermutter: Sie sei beim Streit des Schwiegersohns mit ihrer Tochter in Panik davongerannt. Sie habe schreckliche Angst gehabt und das hatte sie wohl glaubhaft bei der Vernehmung und auch vor Gericht rüberbringen können. Ein Kantholz mit Blutspuren des Opfers war schließlich noch im Holzschuppen gefunden worden. Hierzu schien die Meinung vorgeherrscht zu haben: Mit einem Kantholz schlägt ein Mann zu.

Eine Frau würde eher ein Nudelholz oder einen Fleischklopfer verwenden.

Von Ehe-und Beziehungsstreitereien hatte wenigstens Sebastian noch nie wirklich was gehört und dann das dort! Und auch noch in dieser krassen Form.

„Warum hast du denn da hineingeheiratet?“, fragte er, sich seiner Ahnungslosigkeit halb bewusst, vorsichtig an.

„Ja warum … Meine Heimat in Pommern war verloren“, sagte Meier. „Bruder und Vater sind im Krieg geblieben, die Mutter ist auf dem Treck gestorben und ich steckte krank in russischer Gefangenschaft mit Motten in der Lunge. Dann hatte ich Glück im Unglück: Die Russen dachten ich mach’s nicht mehr lange“, erklärte er grinsend, „da haben sie mich rausgeschmissen. Und dann habe ich, wie schon gesagt, in so’ner kleinen Klitsche in Freienhufen als Maurer angefangen. Leute wurden damals ja gesucht, viele waren gefallen und die andern in Gefangenschaft. Aufträge hatten wir erstmal mehr als genug. Dann gab’s auch bald diese VEB, die Volkseigenen Betriebe, die Löhne lagen dort höher und ich hatte beim Aufbau des Kraftwerks Sonne angefangen und dort meine Frau kennen gelernt …“

„Ja, das hast du uns schon erzählt“, unterbrach der Ingenieur die Wiederholungen des Eberhard Meier, der immer mehr ins Reden geraten war.

„Also ich dachte“, fuhr Meier weiter fort, „ich hab’ nun ein Zuhause. Mir selber gehörte ja nur was ich gerade an mir trug. Dabei gab’s nischt zum Anziehen zu kaufen in den leeren Geschäften. Und mit dem Haus war da noch der Hof, der Garten und ein Stück Feld. Verhungern konnte man nicht mehr. Und passende Kleidung vom gefallenen Mann meiner Schwiegermutter gab’s auch noch. Ich war damals mehr als zufrieden.“

„Na klar“, warf Klaus der Ingenieur ein, „so lange, bis die Schwiegermutter mit ins Ehebett kroch.“

„Stimmt“, bestätigte Eberhard Meier, „ab da ging dann der Krach los.“

Der Ingenieur lachte. „Also ich muss schon sagen, ich staune bloß wie du das ausgehalten hast. Das ging doch nicht gleich in der Hochzeitsnacht los oder?“

„Nein, nein, natürlich nicht. Das war viel später und fing auch ganz allmählich an …“

„Erst einmal, dann öfter und dann immer?

„Ja schon, so ähnlich …“

„Was ich auch nicht verstehe, wie hat denn eigentlich deine Frau reagiert?“

„Ja, was soll ich sagen? Das erste Mal hatte ihre Mutter vor einem heftigen Gewitter Angst gehabt. Jedenfalls sagte sie das.“

 

„Hatte sie da schon gleich Ansprüche gestellt?“

„Nein, keinesfalls! Meine Frau hatte auch nichts dagegen, dass ihre Mutter aus Angst vor dem Gewitter mit ins Bett kam. Das war alles harmlos.“

„Entschuldige meine Neugier und du musst auch nicht antworten“, bohrte der Ingenieur weiter, „aber ich habe eine so vertrackte Geschichte noch nie gehört und wie kam’s dann zu den weiteren Übergriffen, also wenn man das mal so nennen will?“

„Ja, wie kam’s dazu?“ Eberhard Meier starrte kurz auf den Dielenboden und hob dann wieder den Kopf. „Wir drei hatten an einem Abend zusammen Wein getrunken, aber nicht übermäßig. Wir lagen gerade im Bett, da kam auf einmal Hildegard schon im Nachthemd aus ihrem Zimmer. Ihr ist so kalt in ihrem einsamen Bett und sie muss sich deshalb bei uns aufwärmen, sagte sie. Ich weiß dann auch nicht mehr was mit uns los war, vor allem mit mir … der Alkohol oder so …“, und er hob dazu unschlüssig die Schultern. „ Jedenfalls forderten mich beide heraus. Im Nachhinein könnte man denken, das war abgesprochen, aber ich weiß es einfach nicht. Und meine Frau war nach all dem auch nicht böse. Dann öfter und dann für immer, bis es in Zank und Krach überging.“

„Warst du denn immer in der Lage? Also ich meine …“ Meier wiegte den Kopf. „Meistens schon“, sagte er, „aber zuletzt immer weniger.

Doch warum sollte ich meine Frau erschlagen? Wir hatten uns wenig gezankt.

Die beiden Weibstücke dafür um so mehr. Die Hildegard hat gelogen. Sie war’s.

Und ich bin nun der Mörder.“

„Na, nicht Mord. Du bist ja wegen Totschlags verurteilt.“

„Ist doch alles gleich“, winkte Meier ab.

„Das stimmt nicht. Aber 15 Jahre dafür, wenn man weiß, dass man unschuldig ist? Ist schon ’n Hammer. Das kann man sich kaum vorstellen.“

„Du hast vorhin gesagt“, wandte Sebastian sich an Eberhard Meier, „du hattest eine Richterin.“

„Ja.“

„Die ich hatte hieß von Ehrenwall“, fuhr Sebastian fort, „ Direktorin des I.

Strafsenats, so in mittleren Jahren.“

„Nee, bei mir nicht, die war auch jünger.“

„Wohl wieder so ’ne berüchtigte Volksrichterin“, mischte der Ingenieur sich ein, „mit so ’nem drei mal sechs Wochen Schnellsiedekurs in sozialistischer Rechtskunde. Übrigens, von Ehrenwall, deine Direktorin des I. Strafsenats hier in Cottbus“, sprach er Sebastian an, „ist auch keine Juristin.“

„Also wenn die eine Neue Justiz haben wie sie behaupten“, sagte Totila, „dann brauchen sie doch auch neue Juristen …“ Der Ingenieur lachte. „Die sie noch nicht haben“, erklärte er.

„Und die ganzen Anwälte heute?“, fragte Totila.

„Sind noch immer die alten.“

„Wie passt das zusammen? Ist denn das derart austauschbar?“

„Ich denke, das kann man drehen und wenden wie man will“, erklärte der Ingenieur. „Jedes Rechtssystem muss ja nicht rechtens sein, besteht aber immer aus Paragraphen und Artikeln, ob nun auf diktatorischer oder demokratischer Grundlage. Deshalb“, fügte er noch hinzu, „und das scheint mir eben auch problematisch, deshalb haben Juristen zu allen Zeiten systemübergreifend ihre Finger im politischen Spiel gehabt und wurden dafür nie oder kaum belangt.“

„Das hört sich aber böse an“, sagte Totila.

„Böse oder nicht, das ist die Realität, was soll’s.“

„Auch in demokratischen Ländern?“, fragte Sebastian.

Der Ingenieur lachte wieder. „Die Frage musste ja kommen“, sagte er. „Ja, auch dort“, betonte er dann. „Aber Demokratie ist nicht nur ein Wort“, fuhr er fort, „also da muss man verdammt aufpassen. Das ist nie ein für allemal und von selbst gegeben. Merkt euch das ruhig“, sagte er, „sollte es euch mal in demokratische Länder verschlagen. Lasst euch auch dort nichts von Sozialistischer Demokratie vorgaukeln, von wem auch immer, die gibt es nicht.“

Wenige Tage später wurde dem Strafgefangenen Eberhard Meier der Revisionsverhandlungstermin schriftlich mitgeteilt. Dazu wurde ihm sein Urteil mit Begründung in die Zelle gereicht.

„Übermorgen ist schon Termin“, verkündete Meier leicht verschreckt, nachdem er die Ladung gelesen hatte.

„Nanu? Die sind ja wirklich mal schnell“, wunderte Sebastian sich.

„Ist das da dein Urteil?“, fragte der Ingenieur und wies auf ein Bündel DIN A4-Blätter auf dem Tisch.

Meier blickte verwirrt hin. „Ja, ja, sicher“, sagte er, „klar, mein Urteil“, und nahm es vom Tisch. Der Ingenieur nickte zustimmend. „Wir werden’s uns genau ansehen, wenn du nichts dagegen hast und raus finden, worauf die sich berufen haben. Und dann können wir dir sagen worauf du dich in der Verhandlung festlegen musst. Ich nehme an, dein Pflichtverteidiger könnte auch dabei sein. Wenn nicht, dann ist das auch kein Schaden. Du musst nur das vorbringen, was du uns erzählt und dem Gericht damals vorenthalten hast.“

Schließlich las Totila den Text des Urteils laut vor, alle saßen dabei um den Tisch auf ihren Schemeln und hörten zu.

Die einhellige Meinung danach: Das Urteil sei total einseitig.

Der Ingenieur sah sich im Kreise um. „Das ist schon so wie wir’s uns dachten“, erklärte er dann und wandte sich an Eberhard Meier: „Das hast du ja nun auch gemerkt. Es ist prizipiell ganz einfach. Du musst die Bettgeschichten erzählen mit der Bemerkung, dass du das vor Gericht damals nicht vorgebracht hattest, weil es dir zu peinlich gewesen sei. Vergiß das nicht. Und dann das Wichtigste: Das Blut an den Sachen und der losgemachte Hund auf dem Hof. Aber schlimm ist es schon“, fügte er noch hinzu, „dass du das damals nicht gleich vorgebracht hast. Schließlich gibt es für all das keine Zeugen …“ „Aber für die Aussagen der Schwiegermutter als Zeugin doch auch nicht“, warf Sebastian ein.

„Das ist richtig, aber der Angeklagte hätte das alles damals gleich vorbringen müssen. Das Ganze ist nun mal ein Indizienprozess.“

„Ich denke Blutgruppen feststellen kann man doch“, gab Totila zu bedenken.

Klaus, der Ingenieur, zuckte mit den Schultern. „Das ist zu hoffen, ich weiß es aber nicht.“

Eberhard Meier wurde am übernächsten Tag gleich früh aus der Zelle geholt und kam schon gegen Mittag wieder zurück. Er habe sich auf der Kammer seine Zivilsachen anziehen müssen, erzählte er. Und dann vor Gericht: Das sei dort alles sehr schnell gegangen. Er habe das mit dem Bett und der Schwiegermutter und dem zunehmenden Zank der Frauen untereinander vorgebracht und dazu auch gesagt, dass er das vor Gericht damals nicht erwähnt hätte, weil es ihm zu peinlich gewesen sei. Das mit dem Hund und dem Blut an den Sachen habe er in der Verhandlung ebenfalls geschildert. Die hätten sich auch alles angehört. „Ich habe aber schon bald gespürt, dass die sich für meine Schilderungen gar nicht interessierten. Die wurden dann bei der Urteilsverkündung auch als bloße Schutzbehauptungen bezeichnet. Nachträglich zusammengebastelt, wie sie sagten. Jedenfalls wurde das erste Urteil bestätigt und damit der Revisionsantrag verworfen. Ich bin und bleibe also ein Frauenmörder.“ Daraufhin ging er ans aufgeklappte Zellenfenster, starrte hinaus und klammerte sich dabei mit beiden Händen an den Gitterstäben fest.

Schon einen Tag später wurde Eberhard Meier als nun endgültig bestätigter Totschläger aus der Revisionszelle verlegt.

„Du bleibst ja hier auf Station“, wurde er tröstend verabschiedet, als er mit seinem Sachenbündel in den Armen die Zelle verließ.

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