Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter

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2.4 Adäquate Rahmenbedingungen

Wie in den bisherigen Ausführungen dargelegt, wird Agilität im Zuge der zunehmenden VUCA-Umwelt immer wichtiger. Aber ein agiles Vorgehen passt natürlich nicht immer und überall. Im Hinblick auf die Frage, wann agiles Denken und Handeln passen, helfen verschiedene Modelle. Als vereinfachte bzw. vereinfachende Abbilder der Realität helfen sie dabei, Situationen besser einzuschätzen und zu entscheiden, welche Handlungsstrategien sich auf Grundlage der jeweiligen Annahmen und Bedingungen für die Lösung bestimmter Vorhaben und Fragestellungen eignen.

Mit der sogenannten Stacey-Matrix34 und dem Cynefin-Framework35 haben sich in den vergangenen Jahren zwei Modelle durchgesetzt, die jeweils eine Einordnung verschiedener situativer Kontexte ermöglichen.

Fasstman die wesentlichen Erkenntnisse dieser beiden Modelle, wie in Abbildung 5 gezeigt, in einem Modell zusammen, so lassen sich vier Gestaltungsbereiche voneinander unterscheiden und entsprechende Handlungsstrategien ableiten.

Abb. 5: Typologie situativer Kontexte und Gestaltungsbereiche36

Die Verortung konkreter Vorhaben und Initiativen in diesem Schema orientiert sich an den Bekanntheitsgraden der relevanten Anforderungen (dem Was) und der Technologien, die zur Umsetzung der Anforderungen notwendig sind (dem Wie). Anforderungen bewegen sich im Spektrum zwischen absolut bekannt und komplett unbekannt. In den meisten Fällen liegt die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Ähnlich verhält es sich mit den Technologien bzw. allgemeinen Lösungsansätzen, die sich für die Umsetzung der Anforderungen eignen. Auch sie liegen zwischen bekannt – erprobte, etablierte Technologien und Verfahren sind verfügbar – und unbekannt bzw. sind im Extremfall noch gar nicht existent.

Auf Basis dieser Matrix lassen sich 4 unterschiedliche Kontexte ableiten, in denen jeweils ein anderes Vorgehen angebracht ist:

Einfache Kontexte: Anforderungen sind bekannt und die Technologie ist vorhanden. Ursache-Wirkungszusammenhänge sind klar, eindeutig und vorhersagbar. Insofern liegt auch die gewünschte Lösung auf der Hand, die durch die Herangehensweise „erkenne, beurteile, reagiere“ erreicht werden kann. Hier empfiehlt sich die Anwendung bewährter Praktiken und Standards (Best Practices).

Beispiel: Mit der Bestätigung der AGB und dem Absenden des Warenkorbs durch den Kunden prüft das Bestellsystem die Plausibilität der Daten und versendet automatisch eine Bestellbestätigung inklusive der Versand- und Rechnungsdaten per E-Mail.

Komplizierte Kontexte: Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hängt von vielen Variablen ab, ist jedoch ermittelbar und nachvollziehbar. Für die Konkretisierung von Anforderungen und die Auswahl sowie den Einsatz der Technologie ist entsprechendes Fachwissen erforderlich. Über die Herangehensweise „erkenne, analysiere, reagiere“ eröffnen sich den Experten häufig mehrere Lösungsvarianten. Deshalb gibt es in diesem Fall auch keine Best Practices, sondern nur Good Practices.

Beispiel: Für den Neubau eines Hauses müssen verschiedene Gewerke Hand in Hand gehen. Neben Architekt und Statiker, müssen sich u. a. Dachdecker, Installateure und Trockenbauer synchronisieren und in Abstimmung mit dem Bauherrn den adäquaten Lösungsweg finden.

Komplexe Kontexte: Ursache-Wirkungszusammenhänge werden meist erst im Nachhinein erkannt. Sie entwickeln sich emergent und befinden sich in einer dynamischen Wechselwirkung. Anforderungen sind unklar und mehrdeutig und auch die Technologien sind nicht standardisiert und müssen ggf. adaptiert oder neu konstruiert werden. Durch die Herangehensweise „probiere, erkenne, reagiere“ werden Annahmen über die Anforderungen gebildet, getestet und auf dem Weg zur Lösung verworfen oder verfeinert.

Beispiel: Smart-Home-Produkte und ein vernetztes Zuhause sind darauf ausgelegt, Nutzern das Leben einfach zu machen. Doch die dahinterstehenden Projekte und Prozesse werden immer komplexer. Produkte werden zu digitalen Systemlösungen. Damit „Over Engineering“ vermieden werden kann, werden die Nutzer von Beginn an in den Entwicklungsprozess eingebunden, um Hypothesen über das Nutzerverhalten früh zu validieren und sich über kurze Feedbackschleifen Schritt für Schritt einer neuen Lösung anzunähern.

Chaotische Kontexte: Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind nicht nachvollziehbar. Da weder Anforderungen noch Technologien bekannt sind, braucht es ungewohnte Praktiken und Experimentierfreude. Die Handlungsstrategie „handle, erkenne, reagiere“ erfordert Entscheidungsstärke. Dabei muss es sich in diesem Bereich nicht immer gleich um eine tiefgreifende Erschütterung oder eine Unternehmenskrise handeln. Der Übergang von komplexen zu chaotischen Situationen bietet häufig den Nährboden für disruptive Innovationen.

Beispiel: Wenn sich ein Unternehmen in einer kritischen Schieflage befindet, eine Liquiditäts- oder Existenzkrise droht, dann heißt es, schnell zu handeln. Entscheider dürfen nicht in Schockstarre verfallen, sondern müssen sich trauen, notfalls mit kurzfristigen Desinvestitions- und Kostensenkungsprogrammen hart gegenzusteuern. Wird gleichzeitig eine strategische Neuausrichtung unternommen, dann liegen Gesundschrumpfen und potenzieller Wiederaufstieg oft nah beieinander.37

Es zeigt sich, dass die Unsicherheit von einfachen, über komplizierte und komplexe bis zu chaotischen Situationen immer mehr zunimmt. Je ungewisser und instabiler die Situation, desto besser eignen sich agile Ansätze zur Lösungsfindung, solange man sich nicht ausschließlich im chaotischen Bereich befindet. Agile Ansätze empfehlen sich folglich vor allem in komplexen Umfeldern, in denen Anforderungen und Technologien unklar oder noch nicht bekannt sind. Auf Basis der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien (vgl. Kapitel 2.3 und 4) besitzen sie eine höhere Komplexitätsverarbeitungsfähigkeit als klassische Ansätze.

So werden bspw. die Mobilitätskonzepte der Zukunft hochgradig beeinflusst durch die ökologischen, technologischen, politischen und gesellschaftlichen Wechselwirkungen. In einer solch komplexen Gemengelage bieten sich Ansätze wie z. B. Design Thinking oder Lean Startup (vgl. Kapitel 6.4 bzw. 6.5) an, um Probleme früh zu erkennen und erste Ideen mithilfe von Experimenten schnell zu testen. Zu diesem Zweck werden bspw. in Modellregionen Prototypen unter realen Bedingungen erprobt, um die Anwendbarkeit und Nutzerakzeptanz vor Ort zu evaluieren und über kurze Lernzyklen immer wieder Innovationen hervorbringen zu können.

In der Realität lassen sich Vorhaben jedoch nicht immer eindeutig einem Bereich der Matrix von Abbildung 5 zuordnen, und auch die Grenzen und Übergänge zwischen den verschiedenen Kontexten (einfach, kompliziert, komplex, chaotisch) lassen sich oft nicht trennscharf ziehen. Dennoch dient die auf der Stacey-Matrix und dem Cynefin-Modell beruhende Typologie als Navigationshilfe und gibt Orientierung, in welchen Kontexten welche Handlungsstrategien und Ansätze sinnvoll sind.38 So nutzten bspw. NAGEL/WILHELM in ihrem Beitrag in diesem Buch die Stacey-Matrix für die Einordnung ihres Projektvorhabens und beschreiben, wie sie auf dieser Grundlage ein hybrides Projektvorgehen abgeleitet haben, das sich als Mischung aus klassischen und agilen Praktiken und Strukturelementen bewährt hat.

Explizit gewarnt werden soll vor dem vorschnellen Übertragen einfacher, bewährter Praktiken und Standards auf komplexe und chaotische Situationen. Aussagen wie z. B. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „Dieses Vorgehen passt nicht zu uns!“ („Not-invented-here-Syndrom“39) machen deutlich, wie wichtig der bewusste Umgang mit Veränderung und Instabilität ist. Denn bleibt dies aus, können unter Umständen sogar existenzbedrohende Krisen entstehen, vor allem wenn der Ernst der Lage bspw. nicht erkannt oder die Situation falsch eingeschätzt wird. Wenn die Marktbedingungen, das Wettbewerbs- und/oder Nutzerverhalten unklar oder aufgrund der hohen Dynamik nicht nachvollziehbar sind, dann funktionieren Best Practices und Good Practices nicht mehr, da es keine linearen Kausalitäten gibt, auf die sie angewendet werden können.

Zu Fehleinschätzungen kann es kommen, wenn bereits vorhandene oder sich in der Entwicklung befindende Technologien und Knowhow, z. B. aufgrund dominanter etablierter Prozesse und Strukturen, nicht genutzt werden und dadurch Agilität im Denken und Handeln bei den Organisationsmitgliedern verhindert wird.

Ob die deutsche Autoindustrie (vgl. Kapitel 1) ein ähnliches Schicksal ereilt wie die einst stolzen Kamera- und TV-Gerätehersteller, wird sich wohl in den nächsten Jahren zeigen. Die deutschen Automobilhersteller haben die Konkurrenz um TESLA und den rasanten Wandel von analog auf digital lange Zeit nicht richtig ernst genommen. Sie waren auf die steigende Komplexität nicht vorbereitet und verharrten zu lange in ihren bewährten Strukturen und standardisierten Prozessen. Der Wechsel hin zu agile(re)n Ansätzen ging nur langsam vonstatten. Aktuell wird TESLA noch ein technologischer Vorsprung von vier bis fünf Jahren gegenüber den deutschen Autobauern zugesprochen.40

 

Die Beispiele und die oben beschriebenen Kontexte verdeutlichen, wie wichtig es ist, die jeweiligen Kontexte nicht nur auseinanderzuhalten, sondern auch die passenden Strukturen und Prozesse zu wählen, zu beherrschen und zu kultivieren. Um zu prüfen, ob eine Aufgabe als „komplex“ zu bezeichnen ist und sich somit prinzipiell agile Ansätze eignen, können die folgenden Kriterien geprüft werden. Eine agile Organisation passt zu Aufgaben, bei denen (mehrere, aber nicht zwingend alle) der folgenden Rahmenbedingungen für agiles Arbeiten zutreffen:41

Themenstellung ist unübersichtlich und nicht genau im Voraus planbar.

Schnelle Akquisition von Neugeschäft hat hohe strategische Bedeutung.

Es geht um das Finden und die Entwicklung von Innovationen bzw. Neuerungen.

Geschäftsumfeld bzw. Kundenanforderungen ändern sich häufig bzw. unvorhersehbar.

Kundenerwartungen sind zwar stabil, Zwischenziele und Meilensteine ändern sich aber häufig.

Konzentration auf Kundenbedürfnisse ist wichtiger als repetitive Wiederholung oder die Perfektionierung einer bekannten Lösung (Best Practice).

Kunden erwarten Reaktions- bzw. Bearbeitungsgeschwindigkeit, die die derzeitigen Fähigkeiten übersteigt.

Kunden schätzen häufige, inkrementelle Lieferungen bzw. Updates.

Lösungsweg ist unbekannt und durch häufige Iterationen geprägt, die ggf. Experimente und die Kombination unterschiedlicher Ansätze erfordern.

Menschen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen werden benötigt, um Neues zu kreieren und/oder schnell zu handeln.

Kunde ist bereit, z. B. über Feedback, aktiv an der iterativen, inkrementellen Entwicklung mitzuwirken.

3 Grundlagen von Organisation
3.1 Zentrale Elemente

Weil sich das vorliegende Buch auf den Themenbereich der agilen Organisation fokussiert, sollen im Folgenden zunächst die zentralen Grundlagen und Basiselemente von Organisation im Allgemeinen in einfacher bzw. vereinfachter Form vorgestellt werden.42 Das Ziel ist es, den Begriff bzw. den Themenkomplex gedanklich etwas von dem komplexen, historisch gewachsenen und oft eingefahrenen Ist-Bild aus dem eigenen Unternehmenskontext zu lösen. Denn um die wirklichen Besonderheiten von agiler Organisation zu verstehen, ist es sinnvoll und notwendig, einmal reflektiert auf den Kern von Organisation zu schauen. Eilige Leser, die sich gut mit dem Thema Organisation auskennen, können auch direkt zu Kapitel 3.4 gehen.

Inhaltliche und definitorische Grundlagen

Da es hier um die Organisation von Unternehmen geht, soll daran angesetzt werden. Unternehmen gibt es deswegen, weil ein Mensch oder mehrere Menschen etwas unternehmen, im Sinne von tun, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ohne mindestens ein Ziel und ohne Aktivitäten zur Zielerreichung gibt es kein Unternehmen. Die Aktivitäten beschreiben die Erfüllung einer zentralen (Unternehmens-)Aufgabe – typischerweise die Erstellung und Vermarktung eines Produkts oder einer Leistung. Das erstellte Produkt bzw. die angebotene Leistung müssen einen Marktbedarf decken, d. h. es braucht Kunden, denen das Produkt bzw. die Leistung etwas Wert ist und die dafür bereit sind, mehr (oder mindestens genauso viel) zu zahlen, wie die Erstellung in Summe kostet (deshalb auch Mehrwert genannt). Ansonsten wird das Unternehmen langfristig nicht überleben und das angestrebte Ziel bzw. die angestrebten Ziele auch nicht erfüllen können. Das heißt, ein Unternehmen muss einen (Mehr-)Wert generieren bzw. schöpfen (Wertschöpfung).

Die Festlegung von Unternehmensziel(en) und -aufgabe(n), also warum was gemacht werden soll, ist die Aufgabe der Unternehmensplanung (insb. Ziel-, Strategie-, Aufgaben- und Maßnahmenplanung), die hier aber nicht im Fokus steht und daher nicht weiter betrachtet wird. Die Organisation ist „lediglich“ Mittel zum Zweck. Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument der Umsetzung und dient der Erreichung der definierten Unternehmensziele bzw. Umsetzung der Pläne.

Im Mittelpunkt von Organisation steht die Aufteilung der Unternehmensaufgabe(n) in verschiedene Teilaufgaben bzw. Aktivitäten, die Verteilung auf verschiedene Personen und die Abstimmung der verschiedenen, arbeitsteilig erbrachten Aktivitäten, sodass die Unternehmensaufgabe(n) insgesamt bestmöglich erfüllt wird. In dieser Logik geht es bei Organisation immer um einerseits Arbeitsteilung und andererseits Koordination.

Je größer (z. B. Anzahl Mitarbeiter) und komplizierter (z. B. Diversität von Produkten und Dienstleistungen) Unternehmen sind, umso größer ist der Organisationsbedarf. Bei kleinen Unternehmen ist dieser demnach vergleichsweise gering.

Wenn z. B. ein Professor sein aus Forschung und Lehre vorhandenes Wissen in Form von Vorträgen auch am Markt anbietet, um neueste Erkenntnisse in die Praxis zu vermitteln und etwas zusätzlich zum Hauptjob als Hochschullehrer zu verdienen, ist noch relativ wenig zu organisieren. Es geht dann im Kern nur um die Organisation der eigenen Zeit als zentrale und knappe Ressource.

Will der Professor über solche Vortragstätigkeiten allerdings ein gewisses Renommee aufbauen oder größere Einkünfte erwirtschaften, sind regelmäßig Vorträge zu unterschiedlichen Themen zu erstellen und zu halten. Hier reicht es dann nicht mehr aus, nur die Vortrags- und Reisezeit zu organisieren, sondern es ist zielführend über die Etablierung bzw. Professionalisierung von Vortragsentwicklungs- und Vermarktungsaktivitäten nachzudenken. Es sind dann also verschiedene Teilaufgaben bzw. -prozesse zu gestalten bzw. zu optimieren.

Wenn das Vortragsgeschäft so gut läuft, dass der Professor zur Unterstützung auch Mitarbeiter einstellen kann (und will), die z. B. Termine koordinieren, Recherchetätigkeiten übernehmen, Präsentationen erstellen oder Vorträge halten, dann sind mehrere Menschen und deren Zusammenspiel zu organisieren. Das heißt, die Teilaufgaben sind sinnvoll auf die verschiedenen Personen zu verteilen und die einzelnen Aktivitäten der verschiedenen Beteiligten müssen so koordiniert werden, dass die Unternehmensaufgabe in Summe stimmig und bestmöglich erfüllt wird – damit letztlich die Unternehmensziele erreicht werden können. Das wird am Anfang i. d. R. durch Zuweisung von Teilaufgaben und (An-)Weisung durch den Professor sowie – insbesondere bei neuen Aspekten und Unklarheiten – durch Rückfragen und persönliche Abstimmung erfolgen. Meist entwickeln sich dann im Laufe der Zeit informelle Regeln, bei denen ohne erneute Abstimmung oder Weisung bei ähnlichen Fällen gleichartig gehandelt wird, ohne dass dies jemals so entschieden und festgelegt worden wäre.

Es wird im Laufe der Zeit aber auch notwendig sein, bestimmte organisatorische Regeln formell und im Vorhinein festzulegen (z. B. durch dokumentierte Vorgaben, Pläne, Prozess- und Stellenbeschreibungen oder zu verwendende IT-Systeme), um sicherzustellen, dass nicht in jedem neuartigen Entscheidungsfall eine persönliche Abstimmung oder Weisung notwendig ist, sondern bestimmte Dinge schnell und standardisiert ablaufen können, und klar ist, wer bestimmte Entscheidungen trifft, ohne vorher Rücksprache halten zu müssen. Eine solche Verbindlichkeit – und dadurch bedingte Handlungssicherheit – ist insbesondere dann wichtig, wenn wechselnde, neue oder viele Personen beteiligt sind. Organisieren bedeutet somit das Festlegen von Regeln und „die Organisation“ eines Unternehmens ist letztlich die Summe der definierten Regeln zur Arbeitsteilung und Koordination.

Der Begriff der Organisation kennzeichnet ein – in Prozessen und Strukturen – dokumentiertes System aufeinander abgestimmter Regeln, welches das arbeitsteilige Leistungsverhalten der handelnden Akteure koordiniert und auf die Erreichung definierter Ziele ausrichtet.

Organisatorische Regeln sind präsituativ geplant, auf (eine gewisse) Dauer angelegt und (möglichst) unabhängig von einzelnen Personen. Klassischerweise werden die organisatorischen Regelungen zumeist von einer übergeordneten Instanz oder einer Organisationsabteilung für andere erlassen (Fremdorganisation) und formalisiert festgehalten.43

Optimaler Organisationsgrad

Wenn ein Unternehmen größer und komplizierter wird, bedarf es demnach zunehmend mehr Regeln. Gleichzeitig ist es aber nicht sinnvoll, für jede Eventualität eine Regel zu definieren. Zu viele und zu enge Regeln führen zu Starrheit und Inflexibilität. Es gilt zwischen einer bürokratischen „Überorganisation“ und einer chaotischen „Unterorganisation“ die angemessene Mitte zu finden. Im optimalen Organisationsgrad gibt es gerade so viele Vorgaben (Fremdorganisation), wie die handelnden Akteure zur eigenverantwortlichen Erreichung der mit ihren Teilaufgaben verbundenen Unterziele benötigen (Selbstorganisation). Diesen theoretisch optimalen Organisationsgrad (näherungsweise) zu finden, ist seit jeher eine der zentralen Herausforderungen der Organisation.


Abb. 6: Optimaler Organisationsgrad44

Prozesse und Strukturen

Die organisatorischen Regeln betreffen zum einen die Reihenfolge von bestimmten Aktivitäten, also wie bestimmte Aufgaben ablaufen. Man spricht hier auch von Prozessen bzw. der Prozess- oder Ablauforganisation. Zum anderen wird geregelt, wer welche Aufgaben übernimmt, sowie welche Rechte (organisatorisch auch Kompetenzen genannt) und Verantwortlichkeiten hat. Hier wird von Struktur bzw. der Struktur- oder Aufbauorganisation gesprochen. Prozesse und Strukturen sind die Kernobjekte der Organisation.

Abb. 7: Prozess und Struktur45

Da die Prozesse die Unternehmensleistung generieren und es die Prozessergebnisse sind, die vom Kunden wirklich wahrgenommen werden, sollten organisatorisch die Prozesse die Strukturen dominieren und determinieren (Primat der Prozesse). Das heißt, es sollten – auf einer gegebenen Organisationsebene46 – i. d. R. zuerst die Prozesse und dann erst die Strukturen gestaltet werden. Prozesse benötigen aber Strukturen, in denen sie ablaufen, d. h. für jede Aktivität sind Personen bzw. Organisationseinheiten nötig, die für die Erfüllung verantwortlich sind. Demnach handelt es sich bei Prozess und Struktur um „zwei Seiten einer Medaille“. Ohne Prozesse bedarf es keiner Strukturen, und ohne adäquate Strukturen können Prozesse nicht effizient ablaufen.

Organisationsziele

Die Aufgabe der Organisation ist es, durch eine sinnvolle Gestaltung von Prozessen und Strukturen dafür zu sorgen, dass die Unternehmensziele erreicht werden. Jede Regel, die der Zielerreichung dient, also einen näher an das Ziel bringt, wird als effektiv bezeichnet („Die richtigen Dinge tun“).

 

Da Ressourcen (z. B. Zeit, Geld, Mitarbeiterkompetenzen) in der Regel knapp sind und es verschiedene Wege der Zielerreichung gibt, sollte sinnvollerweise die Organisationsalternative gewählt werden, die mit dem geringsten Ressourceneinsatz zum Ziel führt oder mit den gegebenen Ressourcen am nächsten ans Ziel heranführt. Diese Abwägung bzw. das Verhältnis von Output zu Input oder auch Nutzen zu Aufwand wird als Effizienz bezeichnet („Die Dinge richtig tun“). Organisation sollte demnach nicht nur effektiv, sondern auch effizient sein.

Diese beiden Oberziele der Organisation kann und sollte man allerdings noch weiter herunterbrechen – z. B. in die in Abbildung 8 aufgeführten sechs Teilzeile der Organisationsgestaltung.

Diese sechs Gestaltungsziele sind generelle Anforderungen, die an jede Organisationslösung zu stellen sind – und zwar früher wie heute. Da die Ziele aber z. T. konfliktär zueinander sind und nie alle in optimaler Weise erfüllt werden können, ist jeweils situationsspezifisch zu entscheiden, welche Ziele im Vordergrund stehen bzw. wie die verschiedenen Ziele gewichtet werden sollen. In eher weniger dynamischen Umfeldern mit relativ stabilen Kundenanforderungen und standardisierbaren Prozessen stehen meist eher die auf Effizienz ausgerichteten Ziele im Vordergrund. In dynamischen VUCA-Umfeldern mit instabilen bzw. unklaren Kundenanforderungen, sollten dagegen die Ziele auf der linken Seite von Abbildung 8 höher gewichtet werden. Hier ist es wichtig, anpassungsfähig zu sein und überhaupt die richtigen Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu adressieren. Auch die gewählte strategische Ausrichtung des Unternehmens (z. B. Kosten- vs. Innovationsfokus) hat natürlich einen Einfluss auf die relative Bedeutung der sechs Gestaltungsziele.


Fokus auf Effizienz
Markt- und Kundenorientierung = Grad der Ausrichtung an Marktsituation und Kundenbedürfnissen Ressourceneffizienz = Grad der Wirtschaftlichkeit der Ressourcennutzung
Anpassungs- & Entwicklungsfähigkeit = Grad der Fähigkeit zur (schnellen) Anpassung an und proaktiven Gestaltung von Veränderungen/Innovationen Prozesseffizienz = Grad der Standardisierung, Automatisierung und Störungs-/Fehlerfreiheit von Prozessen
Unterstützend
Humanressourcen-Orientierung = Grad der Berücksichtigung der Qualifikation und Motivation der betroffenen Menschen
Führungsfähigkeit = Grad der Fähigkeit zur Koordination der arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung und Ausrichtung an übergeordneten Zielen

Abb. 8: Ziele der Organisationsgestaltung47

Agilität i.e.S., d. h. im Sinne von (schneller und flexibler) Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit ist seit jeher ein grundlegendes Ziel von Organisation – eines von mehreren. Die Bedeutung dieses Ziels war in der Vergangenheit aber häufig geringer als heute. Bei der Abwägung von effektivitäts- und effizienzorientierten Zielen standen in der Vergangenheit häufig die eher effizienzorientierten Ziele im Vordergrund.

Agilität i.w.S. (so wie hier im Buch verstanden) steht für eine Ausrichtung primär an der linken Seite von Abbildung 8. Denn in einem weiten Verständnis ist neben der Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit auch eine ausgeprägte Markt- und Kundenorientierung ein Teilaspekt von Agilität (vgl. Kapitel 4). Und auch der Umgang mit Humanressourcen und der Ansatz der Führung ist bei agilen Ansätzen anders als bei klassisch-hierarchischen Ansätzen. Die stärkere Ausrichtung auf die Effektivität bedeutet auch nicht zwangsweise eine geringere Effizienz oder gar Ineffizienz. Gerade in komplexen Umfeldern (vgl. Kapitel 2.4) kann ein agiles gegenüber einem klassischen Vorgehen auch Effizienzvorteile bringen, weil basierend auf frühzeitigem und kontinuierlichem Kundenfeedback nur ein Minimum an Zeit in nicht-wertschöpfende Dinge fließt. Hohe Aufwände für Dinge, die der Kunde nicht braucht – in der Lean-Literatur (Kapitel 2.3) wird von „Waste“ bzw. Verschwendung gesprochen – entfallen.48

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