Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski

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Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski
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Ricarda Huch

Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski

Band 181 in der gelben Buchreihe

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Die Autorin Ricarda Huch

Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte

Wismar

Lübeck

Lüneburg

Hildesheim

Soest

Paderborn

Erfurt

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.


Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

Je weiter ich diesen Band neu redigierte, umso mehr faszinierte mich dessen Autorin Ricarda Huch. Sie verließ 1947 das sowjetisch besetzte Ost-Berlin, sehr betroffen durch ständige Kontrolle, Vorschriften und Gewalt der Regierenden und ging nach Frankfurt am Main, wo sie kurz darauf verstarb.

In der beschriebenen Stadt Soest habe ich jahrelang gelebt, andere kurz besucht.

Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski


Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Die Autorin Ricarda Huch

Die Autorin Ricarda Huch

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/huchric.html


Ricarda Octavia Huch wurde am 18. Juli 1864 in Braunschweig geboren und starb am 17. November 1947 in Schönberg im Taunus. Sie war eine deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Philosophin und Historikerin, die als eine der ersten Frauen im deutschsprachigen Raum im Fach Geschichte promoviert wurde. Sie schrieb Romane und historische Werke, die durch einen konservativen und gleichzeitig unkonventionellen Stil geprägt sind.

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Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte

Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte

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https://www.projekt-gutenberg.org/huchric/altreich/altreich.html

Zuerst 1927 bei Grelein & Co. Im Leipzig erschienen

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Wismar

Wismar


Es wird Abend und das Boot nähert sich der Küste. Graue Wolken haben sich gesammelt und die Inseln hinter mir verschlungen, in der Nacht wird es regnen; die Bootsleute halten inne, lassen das Wasser von den Rudern tropfen und blicken gedankenlos auf die Stadt, die aus dem Meer steigt. Seltsames Bild, wie hingemalt von den Fingern eines Träumenden an den Horizont. Die allzuhohen Türme, die aneinandergedrängten Dächer haben nichts Körperliches, und der kühle Hauch, der von der Erscheinung ausgeht, kündet Geisternähe an. Ist das Vineta, von der die Chroniken dunkel berichten? Hat die schaurige Stunde geschlagen, in der, einmal vielleicht in hundert Jahren, das Begrabene und Versunkene auftaucht? Ja, aus dem Meer kommt diese Fabelstadt, eingehüllt in die Feuchte der unerforschten Tiefe, die das Glutrot ihrer Steine dämpft. Kein Lärm dringt aus den Gassen oder vom Hafen her, wo es sonst in Seestädten so ausgelassen zugeht; diese Häuser scheinen von lautlosen Tränen überströmt zu sein. Ein altes Tor mit hochgerecktem Stufengiebel winkt zum Eintritt; darf man ihm trauen? Was geschieht dem Lebendig-Sterblichen, der den Zauberkreis betritt? Es scheint plötzlich, als sei das Tor ein garstiger Kobold mit äffender Fratze. Rieselt und rauscht es nicht dahinter? Vernahm ich nicht ein grelles, klirrendes Geschrei und dazwischen süße Akkorde, wie wenn Meerweiber sich vergnügten? Sie locken die Irdischen in die tote Stadt und um Mitternacht müssen sie mit ihr hinunter, den gefräßigen Fischen zur Beute.

Erklärt sich die Schwermut, die über Wismar liegt, nur aus dem Verfall einer einst blühenden Stadt? Oder verbirgt sich ein Geheimnis ihrer Geschichte dahinter? Und wie kommt es, dass eine Stadt, die sich einmal so reich und mächtig darstellen konnte, so verkümmerte? Die Geschichte zeigt sie uns als von Anfang an im Besitz der mecklenburgischen Herren wendischen Ursprungs, die durch Kaiser Karl IV. in den erblichen Reichsfürstenstand erhoben wurden.


Kaiser Karl IV.

Die deutschen Ansiedler, namentlich Friesen und Westfalen, die den Ort bevölkerten und rasch zur Blüte brachten, suchten sich der Landesherren nach Möglichkeit zu erwehren.

Während Herzog Heinrich der Pilger (Fürst Heinrich I., Herr zu Mecklenburg, genannt „der Pilger“ (* um 1230; † 2. Januar 1302) war von 1264 bis 1275 und von 1299 bis 1302 Regent der Herrschaft Mecklenburg.) im Heiligen Land verschollen war, zog der Rat von Wismar nicht nur eine Mauer um die Stadt, sondern auch eine zwischen der Stadt und der Burg, wo die Herren residierten, sie von der Stadt gleichsam ausschließend. Als nun Herzog Heinrich nach mehr als zwanzigjähriger Gefangenschaft aus dem Morgenland heimkehrte, war er darüber sehr ungehalten, und es entspann sich ein Streit, der durch Lübecks Vermittlung in der Weise beigelegt wurde, dass Wismar dem Herzog seine Burg abkaufte, ihm aber eine andere zwischen den Kirchen Marien und Georgen baute. Die Stadt bedang sich aus, dass die Burg nie befestigt werde, und dass Verbrecher kein Asyl dort finden, noch Bürger der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen werden dürften. An Stelle der neuen gotischen Burg errichtete Herzog Johann Albrecht I. zur Feier seiner Hochzeit im Jahr 1555 einen Renaissance-Bau, den Fürstenhof.


Fürstenhof – Foto: Niteshift

Der Herzog war ein Liebhaber der Baukunst und insbesondere der Renaissance; er bekümmerte sich eingehend um das neue Werk und ließ sogar ein Franziskanerkloster in Schwerin abtragen, um die Steine dazu zu benutzen. Den berühmten Leiter der größten Formziegelei in Lübeck, Statius von Düren, bewog er, seine Tätigkeit dem Schlossbau in Wismar zu widmen. Der Längsbau mit stattlichen Portalen, reich dekoriert mit Faunen, Girlanden, Fruchtkränzen, Cäsarenköpfen und einem den Trojanischen Krieg darstellenden Fries verrät mehr den deutschen Charakter der Erbauer als den des italienischen Musters. Durch neuere Wiederherstellung ist die Ursprünglichkeit des alten Baus missverständlich ausgeglättet.

Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts brachte Wismar wesentliche Regierungsrechte an sich, nämlich die Vogtei, das Gericht und die Münze; obwohl es sie nur pfandweise erwarb, hat es sie doch 500 Jahre, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts behalten. Ebenso glückte die Ausschaltung der Geistlichkeit. Der Bischof von Ratzeburg, zu dessen Diözese Wismar gehörte, musste auf das Patronatsrecht der Schulen verzichten, das ein Herzog ihm schenkte, nachdem dessen Mutter es bereits dem Rat von Wismar abgetreten hatte. Ferner erhob der Rat zum Gesetz, dass weder ein Bischof, noch eine geistliche Bruderschaft, noch irgendein Geistlicher eine Wohnung in der Stadt kaufen oder sonst erwerben dürfe, und die Klöster, die damals schon Höfe in Wismar besaßen, mussten sich verpflichten, keinen Herren, Ritter oder Verdächtigen zu beherbergen, und wenn sie verkauften, es nur an Bürger zu tun.

 

Im Jahr 1259 schlossen Lübeck, Rostock und Wismar das denkwürdige, gegen Seeräuber gerichtete Bündnis, das ein Ausgangspunkt der Hanse wurde.


Innerhalb der Hanse gehörte Wismar zu den wendischen Städten, von denen es die schwächste war. Der Wohlstand der Bürger, der eine Zeitlang bedeutend war, beruhte auf der Schifffahrt, auf der Brauerei und der damit verbundenen Böttcherei, auf der Wollenweberei; auch Ackerbau wurde betrieben. Der Handel beschränkte sich hauptsächlich auf die Ausfuhr des Bieres und auf die Einfuhr von Heringen; soviel wie möglich blieben Erzeuger und Verbraucher in unmittelbarer Beziehung.

Der wirtschaftliche Niedergang um 1500 betraf alle Städte, Wismar aber besonders durchgreifend und unaufhaltsam. Die Brauerei, die, was die Häufigkeit des Brauens und den Verbrauch an Malz betraf, von der Obrigkeit abhing, wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts von 182 Bürgern betrieben, gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch von 85, am Ende des 18. Jahrhunderts noch von acht Bürgern; jetzt ist sie ganz eingegangen. Ebenso ging die Wollenweberei zurück. Unter schwedischer Herrschaft litt Wismar sehr unter Kriegen, um endlich durch den Siebenjährigen Krieg völlig ausgesogen zu werden. Allmählich beginnt es wohl, seine Verarmung zu überwinden, aber nicht die Schwermut seiner Erscheinung.


Mehr als die Daten der Geschichte verraten uns Wismars Bauten über sein Schicksal.


St. Nikolaus – Foto: Alexander Koker


St. Marien – Foto: Niteshift

Gewaltig ragen die drei Hauptkirchen aus der Stadt empor, St. Marien und St. Georg in der Nähe des Marktes, St. Nikolaus am Hafen, dem Patron der Schiffer geweiht. Herausfordernd hingeworfen, wie um sich untereinander und alle Kirchen der Nachbarorte zu übertrumpfen, deutet ihr Übermaß um so mehr auf unbeherrschten Übermut, als Wismars Reichtum und Stellung so stolzen Plänen nicht entsprach. Sie erwecken den Gedanken an sagenhafte Städte, deren Bewohner frevelmütig ihre Straßen mit Gold deckten, bis der Zorn Gottes sie schlug und in Berg oder Meer versenkte. Turm und Chor der Ratskirche St. Marien beherrschen den Markt, obwohl sie etwas abseits davon liegt. Umgeben von der malerischen Gruppe der Pfarrei und anderen alten Bauten, tritt der gotische Backsteinbau dem Näherkommenden überraschend entgegen. Seine Einfachheit bei allem Zierat farbiger Glanzziegel, Bänder und Fialen macht, dass die architektonische Idee packend und interessant, wie das Skelett eines riesigen Urgeschöpfes hervortritt. Vom Markt aus muten die auf den Chor gestützten Strebepfeiler an wie die Beine einer versteinerten Riesenspinne. Wohltuend ist die sanftglühende Farbe des Backsteins im Innern, das dadurch, trotz der großen Verhältnisse, nicht kalt und leer wirkt. Der Umstand, dass, wie in allen Kirchen nordischer Seestädte, der Boden mit Grabplatten bedeckt ist, lässt uns ihre Bedeutung für die damaligen Menschen nachfühlen. Die Namen der Geschlechter, unter denen oft das Bild eines Schiffes eingegraben ist, haben für uns einen fernher rauschenden, seltsamen Klang; damals, so klein wie jene Städte waren, riefen sie Wohlbekannte: Brüder, Freunde, Feinde, Nachbarn ins Gedächtnis. Die Kirche war der Friedhof, die Stätte der ewigen Ruhe und der dereinstigen Auferstehung; an das Mysterium des unentrinnbaren Todes knüpfte sich die frohe Botschaft des unsterblichen Gottes und seiner Himmel voll ewigen Lebens. Sie war das Haus Gottes und das Haus aller, eines jeden Bürgers zweites Haus neben dem vergänglichen, das er nur flüchtig besaß, das, wo er bis zum Jüngsten Tage ruhen würde. Grabsteine und Epitaphien erfüllen die weite Halle, besonders die Zeit des Barock weiß eine Fülle von Symbolen, Engel, Posaunen, Lanzen, Trommeln, Blumen und Früchte, zu prächtigen dekorativen Werken der Kleinkunst zu verschlingen. Zwei bedeutende Grabmäler aus verschiedenen Jahrhunderten bewahrt die Marienkirche: die Bronzefigur der Herzogin Sophie, die an Werke des Vischer erinnert, und die in Holz geschnittenen und bemalten Figuren des schwedischen Generals Wrangel und seiner Frau. Durch ein überreich verziertes, reizendes Barockportal, das die Grabkapelle abschließt, sieht man die auf hohem Unterbau zunächstliegende Gestalt des Mannes und sein Gesicht im Profil, scharfgeschnittene, imponierende Züge. Das Ganze übt die eigenartige Wirkung aus, die die zugleich naturalistische und stilisierte Kunst des Barock hervorbringt.

Die Georgskirche liegt der Marienkirche überraschend nah. Bei einer Erweiterung der Stadt nach Westen wurde das Hospital für die Aussätzigen, das in Wismar, wie in jeder mittelalterlichen Stadt, vor den Toren lag, in das Gebiet innerhalb der Mauern einbezogen und musste weiter hinaus verlegt werden. Das alte wurde abgebrochen, und da man die geweihte Stelle nicht zu weltlichen Zwecken gebrauchen mochte, errichtete man darauf die Kirche für die neue Stadt. Die Leprosenhäuser waren fast immer dem heiligen Georg geweiht; so wählte man ihn auch zum Patron der neuen Kirche. Die, welche wir jetzt sehen, stammt aus dem 15. Jahrhundert; von der um hundert Jahre früher erbauten ist der Chor stehengeblieben, da die Mittel, das in ungeheuren Maßen angelegte Gebäude zu vollenden, der verarmenden Stadt ausgingen. Anstatt des Turmes, auf den ebenfalls verzichtet werden musste, sitzt auf monumentalem Unterbau ein mit spitzer Kappe gedecktes Geschoss, das sich nur wenig über die Höhe des Daches erhebt. Der verhältnismäßig kleine Chor und das Fehlen des Turmes lassen den Rumpf des Kolosses desto gewaltiger hervortreten. Das Kircheninnere ist besonders schön bewegt und die Ausstattung reich. Die Wände weisen zum Teil Malerei auf: die beiden Titularheiligen St. Georg und St. Martin auf weißen Pferden, der eine den Drachen tötend, der andere seinen Mantel mit dem Bettler teilend. Über einem reichgeschnitzten Altar mit der Krönung Mariens schwebt hoch oben das von goldenen Flammen umzüngelte Triumphkreuz. An den Figuren begegnen einem oft Augen mit wunderlich kaltem, blankem Blick, wie die seelenlosen Meerwesen ihn haben mögen.

Die Nikolaikirche war bestimmt, die Marienkirche zugleich zu wiederholen und zu übertreffen. Ein Sturm im Jahr 1703 riss die hohe kupfergedeckte Spitze des Turmes ab, die im Sturz das Dach des Mittelschiffes zerschlug und Triumphkreuz, Lettner, Orgel und Chorgestühl zertrümmerte. Da keine Mittel vorhanden waren, das Zerstörte gleichwertig zu ersetzen, blieb das Innere seines edlen Schmuckes beraubt.

Sehr stimmungsvoll, mit niedriger bemalter Balkendecke ist der Saalbau der Hospitalkirche an der Lübischen Straße. Zwei Ordenskirchen, die der Franziskaner und die der Dominikaner, sind am Anfang und am Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen. Von den Backsteingiebeln der gotischen Zeit, wie sie auf alten Stadtbildern Wismars sich einer an den andern reihen, sind nur wenige übriggeblieben, breiter, schmuckfroher als die fachlich-kühlen Lübecks. Ein Kleinod, wie es wenige Städte aufweisen können, ist die Alte Schule, ein freistehender Langbau mit Giebeln an den Schmalseiten, der im Zierat bunter glasierter Backsteine prangt.


Alte Schule

Bewundernd sucht man sich vorzustellen, wie eine Stadt ausgesehen haben mag, in der alle Gebäude soviel anmutiger Pracht und solcher Monumentalität entsprachen.

Die beiden Punkte, wo man Wismar am besten in sich aufnimmt, sind der Hafen und der Markt. Wenn der Schleier der Dämmerung darüber fällt und das Grün des Kupferdachs der reizenden Wasserkunst kaum noch durch die silberne Luft schimmert, wenn der feste, kantige Turm der Marienkirche zum flachen Schatten wird, empfindet man die Öde des Platzes mit Grauen und glaubt ein Traumgesicht zu sehen, das in die Nacht zerfließen wird.

* * *

Lübeck

Lübeck


Im winzigen Städtchen Mölln gibt es ein kleines Museum voll allerlei Tandelkram, der dem beschaulichen Reisenden von einem alten treuherzigen Mann erklärt wird. Dieser uralte Löwe, sagte er, indem er ein Gießgefäß aus Messing in Form eines Löwen vorwies, wie sie früher in den Kirchen gebraucht wurden, trage nach der Überlieferung die Züge Heinrichs des Löwen, und er könne sich wohl vorstellen, setzte er hinzu, dass der mächtige Herzog so ausgesehen habe.


Es war ein grandiose s, etwas menschlich geratenes Löwengesicht. Ja, so sah er aus, es ist kein Zweifel, nicht so edelschön wie auf seinem Grabmal im Dom zu Braunschweig. Leidenschaftlich, herrschsüchtig, großmütig, wie ein Gewitter befruchtend und verderbend, so ist der Sachsenfürst über die niederdeutschen Lande hingezogen. Die tätigen und wohlwollenden Grafen von Schauenburg, von Herzog Lothar von Sachsen mit der Grafschaft Holstein belehnt, gründeten das alte und nach dessen Zerstörung das neue Lübeck in einer durch die umschließenden Flüsse Trave und Wakenitz gesicherten Lage.


Graf von Schauenburg

Die durch Adolf II. von Schauenburg gerufenen Ansiedler aus Flandern, Holland, Westfalen, Friesland brachten die neue Gründung trotz der gefährlichen Nähe feindlicher Wenden bald zur Blüte; gerade das aber erregte die zornige Eifersucht des damaligen Herzogs von Sachsen, Heinrichs des Löwen. Er fand durch diese schauenburgische Stadt seine ältere Stadt Bardowik, damals ein bedeutender Handelsplatz, beeinträchtigt, und da Graf Adolf sich weigerte, ihm die Hälfte der aus Lübeck erzielten Einkünfte abzugeben, entzog er ihr das Marktrecht. Zu diesem Schlag kam im Jahr 1157 eine vernichtende Feuersbrunst, was die hilflosen Lübecker bewog, an Herzog Heinrich mit der Bitte heranzutreten, er möge ihnen eine Stätte anweisen, wo Marktverkehr stattfinden dürfe. Er fand dies Ersuchen berechtigt und gründete weiter oben für die Bürger eine neue Stadt, die er Löwenstadt nannte, die aber, weil nur durch kleine Schiffe erreichbar, nicht gedieh. Da gab als der Klügere, wenn auch nicht Größere, Graf Adolf von Schauenburg nach und trat dem gewalttätigen Herzog die Stätte des zerstörten Lübeck, Burg und Wohnplätze zwischen Trave und Wakenitz, ab. Eigentümer des Ortes geworden, betätigte Heinrich sich sofort als Förderer und Beschützer.


Er erneuerte sein Leben, indem er ihm das Marktrecht gab, erteilte eine Verfassung, legte Münze und Zoll an, versetzte den Bischofssitz von Oldenburg nach Lübeck und gründete in Gemeinschaft mit dem von ihm ernannten Bischof Heinrich, der vorher Abt des Aegidienklosters in des Herzogs Stadt Braunschweig gewesen war, den Lübecker Dom.


Ferner sorgte er dafür, dass Lübeck als Hafenstadt anerkannt wurde und in den bereits bestehenden Seeverkehr deutscher Kaufleute mit den nordischen Ländern eintrat, dessen Mittelpunkt damals die Stadt Wisby auf der Insel Gotland war. Den Goten von Wisby verlieh er das Recht der heimischen Kaufleute, verpflichtete sie aber zum Besuch seiner Stadt Lübeck.

Die Stadt Lübeck, der es nicht bestimmt war, Löwenstadt zu heißen, trägt keinen Zug des Herzogs, den sie von nun an als ihren Herrn und Gründer verehrte. Sie hat in ihrem Charakter nichts von seiner chaotischen Unberechenbarkeit, seiner Unbezähmbarkeit; es ist, als ob sie, so oft durch Feuer und Not geprüft, sich zur Bewusstheit und besonnenen Mäßigung entwickelt hätte. Es ist nicht zu verwundern, wenn Handeltreibende klug und umsichtig sind und die Grundlage ihres Wohlstandes, eben den Handel, zum Maßstab ihres Verhaltens nehmen; aber sie können durch Leidenschaft und Leichtsinn abgelenkt werden, was den Lübeckern schwerlich begegnete. Andererseits waren sie nicht nur Rechner und der Vorteil nicht ihr einziger Gesichtspunkt, sondern sie hielten stolz auf Recht und Ehre, und eben diese zwiefache Richtung ist für sie charakteristisch. Sie liebten es, ohne Tadel dazustehen und neigten dabei in ihrer Bewusstheit fast zum Korrekten; aber ihre Zurückhaltung und Selbstbeherrschung entsprang auch angeborener vornehmer Gesinnung.

 

Siegel des Hinrich Castorp um 1474–80 Hinrich Castorp (* 1419 in Dortmund; † 14. April 1488 in Lübeck) war ein deutscher Kaufmann und Bürgermeister der Hansestadt Lübeck.

Dem Bürgermeister Heinrich Kastorp, der im Jahre 1488 starb, wird der gelegentliche Ausspruch zugeschrieben: „Lasset uns tagen!

Die Kriegsfahne ist leicht ausgesteckt, aber schwer wieder einzuziehen!“ Wenn sie aber den Krieg zu vermeiden suchten, und etwa auch zu diesem Zweck auf einen Vorteil verzichteten, sogar einen augenblicklichen Nachteil auf sich nahmen, so führten sie doch den Krieg, wenn sie ihn als notwendig erkannt hatten, entschlossen, kühn, großartig und siegreich. Als es sich um den Sundzoll handelte, den Dänemark verlangte und die Lübecker nicht anerkannten, erklärte der Bürgermeister Bruskow: „Leven Herren, vii hebben upsoken laten alle unse breve, vii konen kein bewiisz finden, dat wii tollfrii siin im Sunde, sunder alleine, dat wii den nii hebben gegeven.“

Das Verhalten der Stadt gegen den durch Barbarossa geächteten Herzog Heinrich zeigt mehr als Korrektheit und auch mehr als Bewusstsein von Ehre und Pflicht aufrichtige Anhänglichkeit, daneben wohl auch den Wunsch, sich nach allen Seiten sicherzustellen. Sie verweigerte dem mächtigen Kaiser den Eintritt und bat, als er beharrte und drohte, um Erlaubnis, den Herzog, als ihren Herrn, der in Stade war, um seine Einwilligung fragen zu dürfen. Der Kaiser dachte groß genug, sie zu geben. Heinrich der Löwe, zur Strecke gebracht und sich verloren gebend, erkannte die Treue seiner Stadt an und gab sie frei, worauf Friedrich I. der nun königlichen Stadt das erste, hochgehaltene Privileg verlieh. Vergleicht man das Benehmen der Bewohner Lübecks mit dem derer von Bardowik, die den gefallenen Beschützer nicht nur nicht einließen, sondern verhöhnten, sieht man, wieviel Kultur, Geschmack, diplomatischer Verstand und Rechtssinn den Lübeckern eigen war. Charakteristisch ist es auch, dass sie die Gebietserweiterung, die das Privileg von 1188, ihre Grenze umschreibend, ihnen zugestand, nicht in Anspruch nahmen, vermutlich abwägend, ob gut nachbarliche Beziehungen oder Vermehrung des Besitzes größeren Vorteil gewähre. Noch verfolgte Lübeck eine schmiegsame, auf kühnes Handeln verzichtende Politik; zu wagen auf ungewissen Erfolg hin lag ihnen nicht. Sie ließen Heinrich den Löwen ein, der zurückkehrte, als der Kaiser ins Heilige Land gezogen war, fügten sich, als Heinrich den Grafen von Schauenburg, den der König zum Teilhaber bestimmt hatte, ausschloss, fügten sich aber auch, als der vom nahenden Tod endlich überwältigte alte Löwe nachgab und sich nach Braunschweig zurückzog, um zu sterben. Sie unterwarfen sich sogar der dänischen Herrschaft, die ein kriegerischer Fürst, Waldemar II., über das ans Meer grenzende nördliche Deutschland ausbreitete. Kaiser Friedrich II. trat förmlich das von Waldemar eroberte Gebiet ab unter Bestätigung des Papstes; Lübeck fand um so weniger Ursache, sich um des Deutschtums willen aufzuopfern, als der dänische König seine Lebensquelle, den Handel, begünstigte. Die Befreiung kam ganz unvorhergesehen von anderer Seite; Graf Heinrich von Schwerin nämlich, der, vom Heiligen Land zurückkehrend, den größten Teil seines Landes in den Händen der Dänen fand, überfiel Waldemar auf einer Insel, wo er mit seinem Sohn jagte, und führte beide in Gefangenschaft. Darüber kam es zum Krieg und zu einem Treffen, in dem der Graf von Schwerin siegte; nun erhoben sich auch die Lübecker und leisteten sogleich bei der Belagerung von Ratzeburg Hilfe, vergaßen aber trotz freudiger Begeisterung nicht, sich urkundlich bestätigen zu lassen, dass die Hilfeleistung nicht etwa auf einer rechtlichen Verpflichtung beruhe, sondern freiwillig sei. Auch in der Entscheidungsschlacht bei Bornhövede kämpften die Lübecker mit, der Überlieferung nach unter ihrem Bürgermeister Alexander von Soltwedel, den die Sage sich auserwählte, um den Ruhm einer bedeutungsvollen, aber dunklen Zeit an seinen Namen wie an einen Stern zu knüpfen. Vor der Schlacht aber, im Jahr 1226, hatte die kaum befreite Stadt Gesandte zu Kaiser Friedrich II. nach Italien geschickt, um sich die wiedergewonnene Freiheit durch ihn bestätigen und befestigen zu lassen.


Kaiser Friedrich II.

„Se sochten wisen rat“, heißt es in der Chronik, „wo se weder quemen an den Kaiser, eren rechten heren.“ Die Boten kamen zurück mit zwei Urkunden, von denen jede doppelt ausgefertigt war, und zwar so, dass jede einmal mit einem Wachssiegel, einmal mir einer goldenen Siegelkapsel, einer bulla aurea, versehen war; die erste Urkunde bestätigt das von Friedrich I. verliehene Privileg, die zweite erteilte das unschätzbar hohe Gut der Reichsfreiheit.


Friedrich I.

Die maßgebende Stelle lautet: Concedimus firmiter statuentes at predicta civitas Lubicensis libera semper sit, videlicet specialis civitas et locus Imperii et ad dominium Imperiale specialiter pertinens, nullo unquam tempore ab ipso speciali dominio separanda.

Der Freiheitsbrief des Hohenstaufenhauses wurde als Grundlage der städtischen Selbständigkeit im Tresor der Marienkirche verwahrt. Wie mächtig oder wie schwach das Reich gerade sein mochte, die Reichsfreiheit erwies sich immer als schirmender Wall. Fortan nannte sich Lübeck die kaiserlich freie und des römischen Reichs Stadt oder die freie und Hansestadt Lübeck und trug diesen Titel weniger wie einen Orden als wie einen Zauberring, der die guten Geister in den Dienst des Trägers zwingt. Kaiserbilder und Kaiseradler prägten die Münzen. Ergreifend offenbart sich den Menschen unserer Zeit die mittelalterliche Idee des Kaisertums in jener ehernen Kaiserfigur, welche an der einen Wange des Beischlags vor dem Rathaus dargestellt ist. Schwermütig, gütig, das große Haupt erfüllt von undurchdringlichen, die Welt umkreisenden Gedanken, sitzt der Alte da, man weiß nicht, ob Kaiser oder Gottvater, wie ja auch nach der Meinung des Mittelalters, die göttliche Gerechtigkeit und Gnade durch den Kaiser der Christenheit sich mitteilen sollte. Der wilde Mann auf der gegenüberliegenden Wange verdeutlicht die rohe Kraft des Elements gegenüber der göttlich geordneten Welt.

Wenn die Stadt sich gern mit ihrer Würde schmückte und das ihr damit verliehene Recht wahrte, nahm sie es ebenso ernst mit den Leistungen, zu denen sie sie verpflichtete. Solange das Reich bestand, stellte Lübeck als Reichsstand entweder die jeweils vorgeschriebene Zahl von Kämpfern oder die entsprechende Geldlieferung; es bezahlte die jährliche Reichssteuer durch alle Jahrhunderte entweder in die kaiserliche Kasse oder an diejenigen Fürsten, denen geldbedürftige Kaiser sie verpfändet hatten, bis zum Jahr 1806, wo das Reich unterging. Die Tatsache, dass es dem Reich angehörte, nutzte Lübeck nicht nur aus, sondern es diente ihr auch durch repräsentatives, zuweilen Opfer erforderndes Handeln.

Seit den Tagen Barbarossas gingen zweihundert Jahre vorüber, bis wieder ein Kaiser in Lübeck einzog: es war Karl IV., der sich in Brandenburg eine Hausmacht gründen wollte und deshalb für die nordischen Länder Interessen hatte, zu denen er auch durch seine Gemahlin Elisabeth von Pommern in Beziehung stand.


Karl IV.

So wie der Kaiser das Haupt der Hanse auszuzeichnen dachte, beschloss auch die Stadt, ihren Herrn mit allem Gepränge zu empfangen, das sie, wenn es darauf ankam, zu entfalten wusste. Zwei wichtige Privilegien, die Karl in Berlin ausstellte, bereiteten ihm den Weg: sie verliehen dem Rat die volle Gerichtsbarkeit des Landfriedens, so dass er als Stellvertreter der Reichsgewalt etwaige Friedensbrecher zu Land und zur See auch auf fürstliches Gebiet verfolgen konnte. Am 20. Oktober des Jahres 1375 fand der Einzug statt. Nachdem Kaiser und Kaiserin in der Gertrudkapelle vor dem Burgtor ihre kaiserlichen Gewänder angelegt hatten, bewegte sich die Prozession durch die Stadt zum Dom. Dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg, der das Reichsschwert vorantrug, folgte unter einem Baldachin der Kaiser auf einem Pferd, das von zwei Bürgermeistern geführt wurde. Das Pferd der Kaiserin, die neben dem Erzbischof von Köln ebenfalls unter einem Baldachin ritt, führten zwei Ratsherren. Der Rat unterstützte zwar die Politik des Kaisers nicht, weil sie ihm nicht passte, ließ aber von dem denkwürdigen Einzug ein Gemälde herstellen und auf das Rathaus bringen, das im 17. Jahrhundert noch vorhanden war. In dem Haus des Gerhard Darsow, wo der Kaiser abstieg, befand sich in neuerer Zeit ein Gasthaus Zum deutschen Kaiser.

Die Reichsunmittelbarkeit, die Lübeck über die anderen Seestädte erhob, trug dazu bei, ihm eine führende Stellung in der Hanse zu ermöglichen; mehr noch begründete diese der Charakter, der es auszeichnete.


Lübeck zur Hansezeit

Es ist erstaunlich, wie eine bestimmte Art von Diplomatie und Politik sich in Lübeck ausbildete und bei allem Unterschied der Personen bis ins 16. Jahrhundert dieselbe blieb. Was die handeltreibenden Städte der nordwestlichen und nordöstlichen Küste bewog, die Leitung ihrer auswärtigen Angelegenheiten Lübeck zu übertragen, vielmehr sie anzunehmen, war vor allem die Einsicht, dass keine andere so dazu befähigt war. Den Willen zu herrschen hätten wohl auch andere gehabt, nicht aber die Fähigkeit, anzuführen, die Geschäfte besonnen zu erledigen, die Verantwortung für eine große Interessengruppe auf sich zu nehmen. Die Menschen beugen sich in der Regel einer überlegenen Arbeitskraft und Verantwortungskraft, die entlastet, umso lieber, wenn sie nicht mit gebieterischer Gebärde auftritt.


Handelsrouten der Hanse

Die Lübecker hatten zuviel kluge Selbstbeherrschung und legten zuviel Wert auf das Wesen der Dinge, um den Schein der Herrschaft zu beanspruchen. Einmal in ihren Anfängen fand ein merkwürdiges, alleinstehendes Ereignis statt, als Lübeck Stralsund überfiel und verheerte, angeblich weil es die Dänen unterstützte, wahrscheinlich aus Eifersucht auf die aufblühende Nebenbuhlerin. Ein derartig ungeregelter Ausbruch kam nicht wieder vor; die Lübecker begriffen den Vorteil der Vereinigung gleichartiger Kräfte und Interessen zu gemeinsamem Handeln. Sie verschmähten es, vom Ausland nur sie begünstigende Privilegien zu erhalten, setzten vielmehr durch, dass alle berücksichtigt wurden. Weil sich alle gut bei Lübecks tatkräftiger und kluger Leitung standen, darum ließen sie sie zu, stillschweigende Huldigung überlegener Tauglichkeit. Wenn die Hanse auch nur durch die Mitwirkung vieler sich bilden und erhalten konnte, so hat doch Lübeck, das anerkannte Haupt, ihr das Antlitz gegeben. Wenn wir an die Hanse denken, sehen wir wesentlich Lübecks Gesicht. Das hatte auch seinen greifbaren Grund darin, dass viele Hansestädte lübisches Recht hatten, das Recht also, das sich in Lübeck entwickelt hatte und dort aufgezeichnet worden war. Lübeck selbst übernahm das Recht der westfälischen Stadt Soest. Von jeher stand Lübeck im Ruf, streng zu sein und das Recht für hoch und nieder gleichzumessen.

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