Die Schatzinsel (Illustriert & mit der legendären Schatzkarte)

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TEIL II. Der Schiffskoch
Kapitel 7 – Ich gehe nach Bristol

Bis wir segelfertig waren, dauerte es länger, als der Squire sich’s vorgestellt hatte, und keiner von unseren Plänen konnte so ausgeführt werden, wie wir es uns ursprünglich gedacht hatten – nicht einmal des Doktors Absicht, mich bei sich zu behalten, bis wir nach Bristol gehen konnten. Dr. Livesey musste nach London reisen, um einen Arzt zu finden, der seine Praxis übernehme; der Squire war in Bristol eifrig an der Arbeit; und ich hielt mich im Schloss unter der Obhut des alten Försters Redruth auf; ich war beinahe ein Gefangener, aber voll von Träumen von der Seefahrt und von allerlei entzückenden Vorstellungen von Wunderinseln und Abenteuern.

Stundenlang beschäftigte ich mich in Gedanken mit der Karte der Insel, deren ich mich in allen Einzelheiten erinnerte. Wenn ich im Zimmer des alten Redruth am Kaminfeuer saß, näherte ich mich in meinem Gedanken der Insel aus allen möglichen Himmelsrichtungen. Ich durchforschte ihre ganze Oberfläche; tausendmal stieg ich auf den hohen Berg hinauf, der das Fernrohr genannt wurde, und hatte von dessen Gipfel die wunderbarste und abwechselungsreichste Aussicht. Zuweilen wimmelte die Insel von Wilden, mit denen wir kämpften, zuweilen von gefährlichen Raubtieren, die uns verfolgten; aber in allen meinen Träumen begegnete mir nichts so Seltsames und Tragisches wie später in der abenteuerlichen Wirklichkeit.

So vergingen die Wochen, bis eines schönen Tages ein Brief an Dr. Livesey ankam, dessen Aufschrift den Zusatz trug: »Im Falle seiner Abwesenheit von Tom Redruth oder dem jungen Hawkins zu öffnen.« Diesem Befehl folgend, fanden wir – oder vielmehr fand ich, denn der Förster konnte geschriebene Schrift nicht gut lesen, sondern nur Gedrucktes – folgende wichtige Nachrichten:

»Gasthof zum Anker, Bristol, 1. März 17..

»Lieber Livesey – Da ich nicht weiss, ob Sie auf dem Schloss oder noch in London sind, schicke ich diesen Brief in doppelter Ausfertigung nach beiden Orten.

»Das Schiff ist gekauft und ausgerüstet. Es liegt seefertig vor Anker. Einen famoseren Schoner können Sie sich gar nicht vorstellen; ein Kind könnte ihn steuern. Zweihundert Tonnen; Name: Hispaniola.

»Ich bekam ihn durch meinen alten Freund Blandly, der mir die ganze Zeit in liebenswürdigster Weise zur Hand gegangen ist. Der wundervolle alte Bursche hat für meine Zwecke tatsächlich wie ein Sklave geschuftet, und ich kann wohl sagen, dasselbe taten alle und jeder in Bristol, sobald sie Wind davon kriegten, nach welchem Hafen wir segelten – nämlich auf die Schatzsuche.«

»Redruth,« sagte ich, indem ich meine Vorlesung unterbrach: »Das wird Herrn Dr. Livesey nicht gefallen! Der Squire hat also doch geplaudert.«

»Na, und wer hätte denn dazu ein besseres Recht als er,« brummte der Förster. »Das wäre ja ein schöner Quatsch, wenn mein Squire nicht reden dürfte, weil es dem Dr. Livesey nicht passt!«Infolge dieser Bemerkung unterließ ich jeden weiteren Kommentar und las den Brief ohne Unterbrechung bis zum Ende:

»Blandly selber fand die Hispaniola und bekam sie durch seine außerordentliche Geschicklichkeit für ein Ei und Butterbrot. Gewisse Leute in Bristol haben merkwürdige Vorurteile gegen Blandly. Sie reden überall davon, dieser ehrliche Mensch wäre für Geld zu allem fähig, die Hispaniola hätte ihm selber gehört, und er hätte sie mir zu einem lächerlich hohen Preis verkauft. Das sind ganz offenbare Verleumdungen. Die Güte des Schiffes wagt übrigens keiner von ihnen zu bestreiten.

»So weit ging also alles gut. Die Arbeitsleute – Zimmerleute und so weiter, die das Schiff ausrüsten sollten – waren allerdings zum Verzweifeln saumselig; aber mit der Zeit wurde das besser. Meine grosse Sorge war die Mannschaft.

»Ich wollte zwanzig Mann haben – nämlich für den Fall, dass wir mit Eingeborenen, Piraten oder den ekligen Franzosen zu tun kriegen – und ich hatte eine Teufelsarbeit, auch bloß ein halbes Dutzend aufzutreiben, bis ein außerordentlicher Glückszufall mir gerade den Mann zuführte, den ich brauchte.

»Ich stand am Dock und kam durch reinen Zufall mit ihm ins Gespräch. Ich bekam von ihm heraus, dass er ein alter Seemann wäre. Jetzt hätte er eine Gastwirtschaft, kennte alle Seeleute in ganz Bristol, hätte in der Landluft seine Gesundheit verloren und suchte eine gute Stelle als Schiffskoch, um wieder auf See zu kommen. Er wäre an dem Morgen, so sagte er, nach dem Dock hinunter gehumpelt, um mal wieder Salzwassergeruch in die Nase zu kriegen.

»Seine Erzählung rührte mich ganz außerordentlich – es wäre Ihnen ebenso gegangen –, und rein aus Mitleid nahm ich ihn auf der Stelle als Schiffskoch an. Long John Silver wird er genannt und hat ein Bein verloren; aber das war in meinen Augen nur eine Empfehlung für ihn, denn er verlor es im Dienste seines Landes, unter dem unsterblichen Hawke. Er hat keine Pension, Livesey! In was für einer abscheulichen Zeit leben wir doch!

»Nun, lieber Doktor, ich dachte, ich hätte nur einen Koch gefunden; aber in Wirklichkeit hatte ich eine ganze Schiffsmannschaft entdeckt. Silver und ich bekamen in ein paar Tagen eine Mannschaft von den wundervollsten alten Teerjacken zusammen, die man sich nur denken kann – nicht gerade schön anzusehen, aber Kerle mit Gesichtern, dass man auf den ersten Blick merkt, sie nehmen es mit dem Teufel auf. Ich versichere Ihnen, wir könnten uns mit einer Fregatte in ein Gefecht einlassen.

»Long John schaffte mir sogar noch zwei von den sechs oder sieben, die ich schon angenommen hatte, wieder vom Halse. Er machte mir sofort klar, dass sie gerade solche Süßwassermatrosen wären, wie wir sie bei einer so bedeutenden Unternehmung nicht gut brauchen könnten.


»Ich erfreue mich der prächtigsten Gesundheit und der besten Laune, esse wie ein Scheunendrescher, schlafe wie ein Stück Holz; trotzdem habe ich keine wahre Freude, bis ich meine alten Teerjacken auf Deck herumtrampeln höre! Auf in See! Hol’ der Teufel den Schatz! Die Herrlichkeit der See hat mir ganz den Kopf verdreht. Also, Livesey, kommen Sie mit Extrapost! Verlieren Sie keine Stunde, wenn Sie mich lieb haben.

»Lassen Sie den jungen Hawkins sofort zu seiner Mutter gehen, um Abschied von ihr zu nehmen; Redruth soll aufpassen, dass er nicht schwatzt; und dann sollen beide so schnell wie möglich nach Bristol kommen.

John Trelawney.«

»Nachschrift: Ich erzählte Ihnen noch nicht, dass Blandly – der übrigens ein zweites Schiff hinter uns herschicken soll, wenn wir Ende August nicht wieder zurück sind – einen ausgezeichneten Menschen als Schiffer für uns gefunden hat – leider ein etwas unbeholfener Mensch im Benehmen, aber sonst in jeder anderen Hinsicht ein Schatz. Long John Silver entdeckte einen ganz ausgezeichneten Steuermann, einen gewissen Arrow. Ich habe einen Bootsmann, der die Pfeifensignale kennt, Livesey; so wird es also an Bord des guten Schiffes Hispaniola wie auf einem Kriegsschiff hergehen.

»Ich vergaß Ihnen mitzuteilen, dass Silver ein bemittelter Mann ist; ich weiss aus eigner Kenntnis, dass er ein Bankguthaben hat, das noch niemals überzogen wurde. Er lässt die Gastwirtschaft während seiner Abwesenheit von seiner Frau führen; und da sie eine Mulattin ist, so dürfen ein paar alte Junggesellen wie Sie und ich wohl die Vermutung haben, dass ebenso sehr die Frau wie sein Gesundheitszustand ihn veranlassen, wieder in die Fremde zu gehen.

J. T.«

»Zweite Nachschrift: Hawkins kann eine Nacht bei seiner Mutter bleiben.

J. T.«

Man kann sich vorstellen, in welche Aufregung dieser Brief mich versetzte. Ich war vor Wonne halb außer mir, und wenn ich jemals einen Mann verachtete, so war’s der alte Tom Redruth, der immer nur brummen und wehklagen konnte. Jeder von den Unterförstern wäre gerne an seiner Stelle mitgegangen; aber der Squire hatte es nun einmal bestellt, und des Squires Wunsch galt bei ihnen allen als Gesetz. Außer dem alten Redruth würde niemand auch nur gewagt haben, eine Bemerkung zu machen.

Am nächsten Morgen machten er und ich uns zu Fuß nach dem »Admiral Benbow« auf den Weg, und da fand ich meine Mutter in guter Gesundheit und Laune. Der Käpt’n, der uns so lange zur Last gewesen war, war an einen Ort gegangen, von wo aus die Bösen keinen Menschen mehr ärgern können. Der Squire hatte alles wieder instand setzen lassen, die Schenkstube und das Wirtsschild waren auf seine Kosten frisch gemalt, und er hatte auch einigen neuen Hausrat besorgt – vor allen Dingen einen schönen Lehnstuhl für Mutter im Zapfraum. Außerdem hatte er ihr einen Lehrjungen geschickt, so dass sie während meiner Abwesenheit nicht ohne Hilfe war.

Als ich diesen Jungen sah, begriff ich zum ersten Male meine Lage. Bis dahin hatte ich immer nur an die Abenteuer gedacht, die mir bevorstanden, niemals an die Heimat, die ich verließ. Und als ich jetzt diesen tölpelhaften fremden Jungen sah, der an meiner Statt bei meiner Mutter bleiben sollte, da weinte ich zum ersten Mal heisse Tränen. Ich fürchte, ich habe den Jungen behandelt wie einen Hund; denn da er mit der ihm neuen Arbeit nicht Bescheid wusste, so hatte ich hundert Anlässe, ihn zurechtzuweisen und auszuschelten, und ich ließ mir diese Gelegenheiten nicht entgehen.

Die Nacht verging, und am nächsten Tage nach dem Mittagessen machten Redruth und ich uns wieder auf den Weg. Ich nahm Abschied von Mutter und von der Bucht, an deren Strand ich seit meiner Geburt gelebt hatte, und von dem lieben alten »Admiral Benbow« – der mir allerdings, seitdem er frisch gemalt war, nicht mehr ganz so lieb war. Einer meiner letzten Gedanken galt dem Käpt’n, der so oft mit seinem dreieckigen Hut, dem Säbelschmiss auf der Backe und mit seinem alten Messingfernrohr den Strand entlang gegangen war. Im nächsten Augenblick waren wir um die Ecke gebogen, und mein Elternhaus lag hinter mir.

 

In der Dämmerung nahm die Postkutsche uns beim »Royal George« auf. Ich war zwischen Redruth und einen dicken alten Herrn eingeklemmt, und trotz der schnellen Fahrt und der kalten Nachtluft muss ich gleich von Anfang an öfters eingenickt sein, schließlich aber auf der Fahrt über Berg und Tal wie ein Stück Holz geschlafen haben; denn von dem häufigen Pferdewechsel habe ich nichts gemerkt, und ich wurde schließlich von einem Rippenstoß aufgeweckt. Und als ich die Augen aufschlug, fand ich, dass wir vor einem grossen Gebäude in der Straße einer Stadt hielten, und dass es schon seit langer Zeit heller Tag war.

»Wo sind wir?« fragte ich. »Bristol,« sagte Tom, »steig aus.«

Herr Trelawney wohnte in einem Gasthof ganz unten am Dock, um die Arbeiten an seinem Schoner beaufsichtigen zu können. Dorthin hatten wir nun zu gehen, und unser Weg führte zu meinem grossen Entzücken an den Kargen vorbei, wo ich eine grosse Menge Schiffe von allen Größen und Takelungen und Nationen sah. Auf dem einen Schiff sangen Matrosen bei ihrer Arbeit; auf einem anderen hingen Menschen, hoch über meinem Kopf, an Tauen, die mir nicht dicker als Spinnfäden erschienen. Obgleich ich mein ganzes Leben an der Küste verbracht hatte, kam es mir vor, als ob ich noch niemals in der Nähe der See gewesen wäre. Die Mischung von Teer- und Salzwassergeruch war für mich etwas Neues. Ich sah die wunderbarsten Schiffsabzeichen, die alle schon weit über dem Ozean gewesen waren. Außerdem sah ich viele alte Seeleute mit Ohrringen, mit lockigen Backenbärten und teerigen Zöpfen und mit ihrem plumpen, schwankenden Gange; und wenn ich ebenso viele Könige oder Erzbischöfe gesehen hätte, so hätte ich nicht mehr entzückt sein können.

Und nun ging ich selber zur See; zur See in einem Schoner, mit einem Bootsmann, der Pfeifensignale geben konnte, und mit bezopften, singenden Matrosen; zur See nach einer unbekannten Insel, um dort vergrabene Schätze zu suchen!

Während ich mich noch mit diesem köstlichen Traum beschäftigte, standen wir plötzlich vor einem grossen Gasthof und trafen Squire Trelawney, der vollständig wie ein Seeoffizier angezogen war, in einem derben blauen Tuchanzug. Er trat aus der Tür mit einem Lächeln auf seinem Gesicht und mit einer wundervollen Nachahmung des Seemannsganges.

»Da seid ihr ja!« rief er; »und der Doktor kam gestern Abend von London an. Bravo! die Schiffsgesellschaft ist beisammen und vollzählig!«

»O Squire!« rief ich; »wann segeln wir?«

»Segeln?« sagte er. »Morgen segeln wir!«

Kapitel 8 – Die Wirtschaft ›Zum Fernrohr‹

Als ich gefrühstückt hatte, gab der Squire mir einen Zettel für »John Silver, Gastwirtschaft zum Fernrohr« und sagte mir, ich könnte das Haus leicht finden; denn ich brauchte bloß an den Docks entlang zu gehen und mich nach einer kleinen Taverne umzusehen, die als Zeichen ein grosses Messingfernrohr hätte. Überglücklich über diese Gelegenheit, noch mehr Schiffe und Matrosen zu sehen, machte ich mich auf den Weg; ich kam durch ein grosses Gedränge von Menschen und Karren und Warenballen; denn die Tätigkeit an den Docks war um diese Stunde auf ihrem Höhepunkt. Schließlich fand ich denn auch die mir genannte Taverne.

Es war eine recht saubere Wirtschaft. Das Schild war frisch gemalt; vor den Fenstern hingen hübsche rote Gardinen; der Fußboden war mit reinem weissem Sand bestreut. Die Schenke lag zwischen zwei Straßen und hatte einen Eingang von jeder derselben, so dass es in dem grossen, niedrigen Schenkzimmer ziemlich hell war, trotz den dichten Wolken von Tabaksqualm.

Die Gäste waren fast lauter Seeleute, und sie sprachen so laut, dass ich an der Tür stehen blieb und beinahe Angst hatte, einzutreten.

Während ich wartete, kam aus einem Nebenzimmer ein Mann heraus, und ich sah auf den ersten Blick, dass dies Long John sein müsste. Sein linkes Bein war dicht an der Hüfte abgenommen, und unter der linken Achsel hatte er eine Krücke, die er mit wunderbarer Geschicklichkeit handhabte und an der er herumhüpfte wie ein Vogel. Er war sehr gross und stark, mit einem Gesicht, so gross wie ein Schinken. Dieses Gesicht war hässlich und blass, aber von klugem und lächelndem Ausdruck. Er schien wirklich in sehr lustiger Laune zu sein, er pfiff vor sich hin, wie er sich so zwischen den Tischen bewegte und die besonders beliebten Gäste mit einem Scherzwort oder mit einem Schlag auf die Schulter begrüßte.

Nun hatte ich, um die Wahrheit zu sagen, gleich bei der ersten Erwähnung Long John Silvers in Squire Trelawneys Brief innerlich gefürchtet, er könnte jener einbeinige Seemann sein, nach dem ich vom alten »Admiral Benbow« so lange Zeit ausgeguckt hatte. Aber ein einziger Blick auf den Mann vor mir genügte. Ich hatte den Käpt’n gesehen, und den Schwarzen Hund, und den blinden Bettler Pew, und ich glaubte zu wissen, wie ein Pirat aussähe – jedenfalls nach meiner Meinung ganz anders als dieser reinliche, freundliche Schenkwirt.

Ich bekam sofort neuen Mut, trat über die Schwelle und ging stracks auf den Mann los, der auf seine Krücke gelehnt dastand und mit einem Gast sich unterhielt. Ich hielt ihm den Zettel hin und fragte:

»Herr Silver?«

»Jawohl, mein Junge; so heiss ich ganz gewiss. Und wer bist denn du?«

Als er aber den Brief des Squire sah, schien es ihm ordentlich einen Ruck zu geben. Er gab mir die Hand und sagte ganz laut:

»Aha, ich verstehe! Du bist unser neuer Kajütsjunge; freut mich, dich zu sehen!«

Und er gab mir einen festen Händedruck.

Gerade in diesem Augenblick stand einer von den Gästen plötzlich auf und lief aus der Tür. Diese befand sich ganz in seiner Nähe und er war sofort aus der Straße verschwunden. Aber seine Eile war mir aufgefallen, und ich erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war der Mann mit dem käsigen Gesicht, der zuerst in den »Admiral Benbow« gekommen war und dem die beiden Finger fehlten.

»Oho!« rief ich; »haltet ihn! Da ist ja der Schwarze Hund!«

»Wer er ist, darauf gebe ich keinen Pfifferling!« rief Silver; »aber er hat seine Zeche nicht bezahlt. Harry, lauf ihm nach und halte ihn fest!«

Einer von den anderen Gästen, der ebenfalls ganz nahe bei der Tür saß, sprang auf und machte sich zur Verfolgung auf.

»Und wenn er der Admiral Hawke wäre, seine Zeche soll er bezahlen!« rief Silver; dann ließ er meine Hand los und fragte: »Wer, sagtest du, dass er wäre? Der schwarze was?«

»Hund, Herr Silver,« sagte ich. »Hat Herr Trelawney Ihnen nicht von den Piraten erzählt? Er war einer von ihnen.«

»So!« rief Silver. »In meinem Hause! Ben, lauf und hilf Harry! So? War das einer von diesen Kerls? Hört mal, Morgan! Ihr habt ja wohl mit ihm getrunken? Kommt mal her!«

Der Mann, den er Morgan nannte – ein alter grauhaariger Matrose mit einem mahagoni-roten Gesicht –, kam mit einer ziemlich dämlichen Miene heran, indem er seinen Priem im Munde herum rollte.

»Na, Morgan!« sagte Long John sehr ernst; »Ihr habt doch wohl nie in Eurem Leben früher diesen Schwarzen – Schwarzen Hund gesehen? Nicht wahr?«

»Gewiss nicht, Herr!« sagte Morgan, mit einem Kratzfuß.

»Ihr kanntet doch seinen Namen nicht? Oder?«

»Nein, Herr!«

»Beim heiligen Donnerwetter, Tom Morgan, da könnt Ihr Euch freuen!« rief der Wirt. »Hättet Ihr mit einem solchen Kerl was zu tun gehabt, Ihr hättet mein Haus mit keinem Fuß mehr betreten, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Und was sagte er denn zu Euch?«

»Das weiss ich nicht mehr so recht, Herr,« antwortete Morgan.

»Habt Ihr einen Kopf auf Euren Schultern, oder ist das ein verdammtes Kalbsgekröse?« rief Long John. »Weiss ich nicht mehr recht! – Ach nee! Vielleicht wisst Ihr auch nicht mehr so recht, mit wem Ihr überhaupt gesprochen habt? Na, besinnt Euch mal, wovon hat er denn geplappert – Reisen, Kapitäne, Schiffe? Raus damit! Was war’s denn?«

»Wir sprachen so von Kielholen,« antwortete Morgan.

»Von Kielholen? Ach nee! Das war ja eine recht passende Unterhaltung, Gottverdammich! Setzt Euch man wieder hin, Ihr seid ein Schafskopf.«

Während Morgan wieder auf seinen Stuhl lossteuerte, flüsterte Silver mir in vertraulichem Ton, durch den ich mich sehr geschmeichelt fühlte, ins Ohr:

»Der Tom Morgan ist ein ganz braver Kerl – bloß ein fürchterlicher Döskopf. Aber nun,« fuhr er laut fort, »lasst mich doch mal nachdenken – Schwarzer Hund? Nein – den Namen kenne ich nicht; ganz gewiss nicht. Aber halt – mir ist doch so – ja, ich habe den Kerl mal gesehen! Er kam manchmal mit einem blinden Bettler zu mir – jawoll, das tat er!«

»Dass er das tat, darauf können Sie sich verlassen,« sagte ich. »Ich habe auch den blinden Mann gekannt. Pew war sein Name.«

»Richtig!« rief Silver, jetzt ganz aufgeregt. »Pew! Das war sein Name. Ganz gewiss! Ah – der Kerl sah wie ein Haifisch aus, wahrhaftig! Aber wenn wir diesen Schwarzen Hund zu fassen kriegen, na, da wird aber Kapitän Trelawney Augen machen! Ben ist ein guter Läufer – da sind wenig Seeleute, die besser laufen können als Ben. Der muss ihn einholen, Hand über Hand, Gottverdammich! Von Kielholen sprach er? Ach nee! Na, den will ich kielholen!«

Die ganze Zeit über, während er diese Sätze hervorstieß, humpelte er auf seiner Krücke in der Schenkstube herum, schlug alle Augenblicke mit der flachen Hand auf einen Tisch und war offenbar so aufgeregt, dass er einen Richter in Old Bailey oder einen Polizisten von Bow Street von seiner Unschuld überzeugt haben würde. Mein Verdacht war wieder rege geworden, als ich den Schwarzen Hund im »Fernrohr« wiedergefunden hatte, und ich beobachtete den Schiffskoch sehr scharf. Aber er war für mich ein zu fixer Schauspieler und ein zu abgefeimter Schlaukopf, und als nach einiger Zeit die beiden Matrosen ganz außer Atem zurückkamen und meldeten, sie hätten in einem Gedränge die Spur verloren und wären selber für Spitzbuben ausgescholten worden, da hätte ich mich ohne Bedenken für Long John Silvers Unschuld verbürgt.

»Sieh mal, Hawkins,« sagte er zu mir, »es ist doch ein verdammt hartes Ding für einen Mann wie mich, wenn so was passiert – nicht wahr? Da ist Käpp’n Trelawney – was soll der davon denken? Hier sitzt der verdammte Sohn von einem Holländer in meinem eigenen Haus und trinkt von meinem eigenen Rum! Hier kommst du zu mir rein und sagst mir’s gerade auf den Kopf zu! Und hier lasse ich ihn vor meinen eigenen Augen uns allen durch die Lappen gehen! Na, Hawkins, tu mir den Gefallen und stelle dem Käpp’n die Geschichte ins richtige Licht! Du bist ja man ein Junge, das ist richtig, aber du bist helle wie ‘n Dreierlicht. Das hab ich gleich gesehen, als du in die Tür kamst. Na, die Sache ist doch so: was konnte ich denn tun, mit diesem alten Stück Holz, worauf ich rum humple? Als ich noch ein kriegstüchtiger Sergeant bei den Seesoldaten war, da hätte ich ihn bald beim Wickel gehabt, und da hätte er meine Fäuste kennengelernt; aber jetzt –«

Plötzlich schwieg er und sein Unterkiefer fiel herunter, wie wenn ihm auf einmal etwas eingefallen wäre.

»Die Zeche!« rief er: »Drei Lagen Rum! Herrjemine, Gottverdammich – hab’ ich richtig die Zeche vergessen!«

Und er fiel auf eine Bank und lachte, dass ihm die Tränen über die Backen liefen. Unwillkürlich musste ich mitlachen, und so lachten wir beide, immer von frischem, dass die ganze Schenkstube dröhnte.

»Herrgott nochmal, was für ein grossartiges Seekalb ich bin!« sagte er und wischte sich die Backen ab. »Du und ich, wir zwei beiden müssen uns gut vertragen, Hawkins – denn, meiner Seel, ich habe mich benommen wie ein Schiffsjunge! Aber hör’ mal, wir wollen uns fertig machen; ich gehe mit dir. So geht das nicht. Pflicht ist Pflicht, Kameraden! Ich will meinen alten Dreispitz aufsetzen und mit dir zu Käpp’n Trelawney gehen und diese Geschichte von dem Schwarzen Hund melden. Denn sieh mal, jung Hawkins, die Geschichte ist ernst, und wir beiden haben da nicht gerade gut abgeschnitten, wie ich wohl sagen darf. Der Meinung bist du auch, sagst du? Nein, helle waren wir nicht – helle waren wir alle beide nicht. Aber hol’ der Teufel meine Knöpfe! Der Streich mit meiner Zeche, der war nicht schlecht!«

Und er begann wieder zu lachen, und zwar so von ganzem Herzen, dass ich wieder in seine Heiterkeit einstimmen musste, damit er nur nicht glauben möchte, ich hätte den Witz nicht ebenso gut verstanden wie er.

 

Auf unserem kleinen Spaziergang die Kais entlang zeigte er sich als ein sehr unterhaltsamer Gesellschafter; er erzählte mir allerlei über die verschiedenen Schiffe, an denen wir vorüber kamen: über ihre Takelungen, ihre Nationalität, ihren Tonnengehalt; wie das eine Schiff abgeladen werde, jenes andere Ladung einnehme, ein drittes sich seefertig mache. Und dabei erzählte er ab und zu eine kleine Geschichte von Schiffen oder Schiffern, oder wiederholte einen Seemannsausdruck so lange, bis ich ihn vollkommen richtig sagen konnte. Ich begann zu sehen, dass dieser Mann einer von den besten Schiffsmaaten war, die einer finden konnte.

Als wir in den Gasthof kamen, saßen der Squire und Dr. Livesey beisammen und tranken einen Topf Bitterbier mit einer gerösteten Brotscheibe drin, um sich etwas zu stärken, bevor sie an Bord des Schoners gingen, den sie besichtigen wollten.

Long John erzählte die Geschichte vom Schwarzen Hund von Anfang bis zu Ende – sehr lebhaft und vollkommen der Wahrheit gemäß.

»Ja, so war es; nicht wahr, so war es, Hawkins?« sagte er alle Augenblicke, und ich konnte ihm jedes Mal bestätigen, dass es wirklich so gewesen war.

Die beiden Herren bedauerten, dass der Schwarze Hund entwischt war; aber wir waren alle derselben Meinung: nämlich, dass dabei dann eben nichts mehr zu machen sei; und nachdem die Herren ihm ihre Zufriedenheit ausgesprochen hatten, nahm Long John wieder seine Krücke unter die Achsel und empfahl sich.

»Und heute nachmittag um vier alle Mann an Bord!« rief der Squire ihm nach.

»Jawoll, Herr!« rief der Koch vom Gang zurück.

»Na, Squire,« sagte Dr. Livesey, »ich habe im allgemeinen nicht viel Vertrauen zu Ihren Entdeckungen; aber das will ich Ihnen sagen, dieser John Silver gefällt mir.«

»Der Mann ist einfach grossartig!« erklärte der Squire eifrig.

»Und nun,« fuhr der Doktor fort, »darf Jim wohl mit uns an Bord kommen – nicht wahr?«

»Natürlich darf er das,« sagte der Squire. »Nimm deinen Hut – wir wollen uns das Schiff besehen.«

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