Die Löwenskölds

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Fünftes Kapitel

Nach einem solchen Erlebnis ist es nicht verwunderlich, dass der Propst ein wenig wirr im Kopf war und dass es Abend wurde, bis er den Weg ins Dorf hinunter fand. Ebenso wenig ist es merkwürdig, dass er nicht auf der Olsbystraße, die der beste und kürzeste Weg war, aus dem Walde herauskam, sondern viel zu weit nach Süden abgebogen war und sich nun gerade am Ausgang des Waldes, dem Gutshof Hedeby gegenüber, befand.

Während er drinnen im Waldesdunkel umhergeritten war, hatte er gedacht, das Erste, was er tun müsse, falls er glücklich nach Hause komme, sei, den Vogt herbeizurufen und ihn zu bitten, mit ihm in den Wald zu gehen, um Ingilbert den Ring wieder abzunehmen. Als er nun aber an Hedeby vorbeiritt, überlegte er einen Augenblick, ob er nicht da hineinreiten und dem Rittmeister Löwensköld mitteilen sollte, wer es gewesen war, der sich erdreistet hatte, in das Grab hinunterzusteigen und den Königsring zu stehlen. – Man könnte ja meinen, eine so natürliche Sache verlange keine lange Überlegung; aber der Propst zweifelte doch etwas, weil zwischen seinem Vater und dem Rittmeister einst nicht das beste Einvernehmen geherrscht hatte. Der Rittmeister war in ebenso hohem Grad ein Mann des Friedens, wie sein Vater ein Mann des Krieges gewesen war. Der Rittmeister hatte sich gleich nach dem mit den Russen geschlossenen Frieden aus dem Kriegsdienst abgemeldet und von da an seine Kraft dafür eingesetzt, dem Wohlstand des Landes wieder aufzuhelfen, der während der Kriegsjahre heruntergekommen war. Er war ein Gegner von Alleinherrschaft und Kriegsruhm, ja, er pflegte über Karl XII. selbst sowie auch über manches andere, was der alte Vater hochstellte, tadelnde Reden zu führen. Außerdem war der Sohn ein eifriger Teilnehmer im Reichstagskrieg gewesen, aber eben immer als Anhänger der Friedenspartei. Jawohl, er und der Vater hatten genug Grund zum Streiten gehabt.

Als der Ring des Generals vor sieben Jahren gestohlen worden war, hatten der Propst und viele andere mit ihm gemeint, der Rittmeister lasse es sich nicht besonders angelegen sein, ihn wiederzuerlangen. Und das war der Grund, warum der Propst nun bei sich selbst dachte: »Es hat keinen Wert, wenn ich mir die Mühe mache, hier auf Hedeby vom Pferd zu steigen. Der Rittmeister fragt nicht danach, ob es der Vater Bårdsson oder Ingilbert ist, der den Ring am Finger trägt. Es ist am besten, ich rede gleich mit dem Lehnsmann Carelius über den Diebstahl.«

Gerade aber, als der Propst noch weiter überlegte, sah er, wie das Gittertor, das die Einfahrt nach Hedeby abschloss, ganz sacht aufging und weit offen stehen blieb.

Das sah recht merkwürdig aus; aber es gibt ja viele Gittertüren, die in dieser Weise von selbst aufgehen, wenn sie nicht ordentlich zugemacht worden sind, und der Propst dachte nicht weiter über diese Sache nach. Immerhin aber hielt er es für ein Zeichen, dass er in Hedeby einkehren sollte.

Der Rittmeister nahm ihn freundlich auf, ja fast besser, als es bei ihm der Brauch war.

»Es ist schön, dass du bei mir eingekehrt bist, verehrter Freund«, sagte er. »Ich habe mich danach gesehnt, dich zu sprechen, und habe heute schon mehrere Male in die Propstei hinübergehen wollen, um dir etwas ganz Merkwürdiges mitzuteilen.«

»Da wärest du, Freund Löwensköld, vergeblich gekommen«, entgegnete der Propst. »Schon in aller Frühe wurde ich zu einem Sterbenden auf die Olsbyalm gerufen und komme von da eben erst zurück. Das ist ein abenteuerlicher Tag für mich alten Mann gewesen.«

»Dasselbe kann ich auch sagen, obgleich ich kaum von meinem Sessel aufgestanden bin. Ich kann dir versichern, geschätzter Freund, obgleich ich bald ein Fünfziger bin und in den harten Kriegsfahrten sowie auch später noch allerhand mitgemacht habe, so ist mir doch nie etwas Merkwürdigeres widerfahren als das, was ich heute erlebt habe.«

»Wenn es so ist, dann will ich das Wort jetzt dir überlassen, Freund Löwensköld«, sagte der Propst. »Auch ich habe dir eine ganz sonderbare Geschichte zu erzählen. Doch will ich nicht behaupten, es sei das Merkwürdigste, was mir je widerfahren ist.«

»Na ja«, sagte der Rittmeister. »Es ist ja möglich, dass du gar nichts Wunderbares an meiner Geschichte findest. Gerade deshalb wollte ich mich mit dir darüber aussprechen. – Du hast doch wohl schon von Gathenhielm reden hören?«

»Von dem schrecklichen Seeräuber und gewissenlosen Kaperkapitän, der von König Karl zum Admiral ernannt wurde? Wer hätte von dem nicht reden hören?«

»Heute Mittag«, fuhr der Rittmeister fort, »kamen wir auf die alte Zeit zu sprechen. Meine Söhne und der Hauslehrer fragten mich darüber aus, wie es damals war, denn von so etwas will die Jugend immer gern reden hören. Aber nach all den schweren, harten Jahren, die wir nach König Karls Tod hier in Schweden haben durchmachen müssen, wo wir durch den Krieg und den Geldmangel großen Mangel an allem litten, danach, mein lieber Freund, nein, danach fragen sie nie. Bei Gott im Himmel droben, sollte man nicht meinen, sie rechneten für gar nichts, was es heißt, niedergebrannte Städte wieder aufzubauen, Eisenwerke und Fabriken anzulegen, Wälder zu roden und neue fruchtbare Äcker zu schaffen! Ich glaube, meine Söhne schämen sich meiner und meiner Zeitgenossen, weil wir aufhörten, mit Kriegsheeren auszuziehen und fremde Länder zu verwüsten. Sie scheinen zu glauben, wir seien schlechtere Männer als unsere Väter, und die alte schwedische Kraft sei von uns gewichen.«

»Da hast du ganz recht, Freund Löwensköld«, sagte der Propst. »Diese Vorliebe der Jugend für das Kriegshandwerk ist tief bedauerlich.«

»Nun, ich gab also dem Wunsche nach«, fuhr der Rittmeister fort, »und da sie etwas von einem großen Kriegshelden hören wollten, erzählte ich ihnen von Gathenhielm und seinem grausamen Verfahren gegen Kaufleute und friedliche Reisende, weil ich dachte, ich würde dadurch Entsetzen und Abscheu bei ihnen hervorrufen. Und als mir dies auch gelang, bat ich sie, nun auch zu bedenken, dass dieser Gathenhielm ein echter Sohn der Kriegszeit gewesen ist, und fragte sie, ob sie wohl wünschten, die Erde von solchen Teufelsbraten bevölkert zu sehen?

Ehe jedoch meine Söhne mir auf diese Frage Antwort gegeben hatten, ergriff der Hauslehrer das Wort und bat mich, ihm zu erlauben, nun auch eine Geschichte von Gathenhielm zu erzählen. Und da er sagte, diese Geschichte bestätige nur, was ich schon vorher von Gathenhielms Wildheit und Raserei gesagt habe, gab ich die Erlaubnis.

Und dann begann er zu erzählen: Nachdem Gathenhielm in jungen Jahren gestorben und seine Leiche in der Kirche zu Onsala in einem Marmorsarkophag, den er dem König von Dänemark geraubt hatte, beigesetzt worden war, stellte sich in der Kirche ein so fürchterlicher Geisterspuk ein, dass es die Onsalaer Kirchspielbewohner nicht mehr aushalten konnten. Sie wussten sich schließlich keinen andern Rat, als die Leiche aus dem Sarkophag herauszunehmen und sie auf einer öden Schäre draußen im Meer zu beerdigen. In der Kirche hatte man nun allerdings Frieden, die Fischer aber, die auf ihren Fahrten in der Nähe von Gathenhielms neuer Ruhestätte vorbeikamen, erzählten, man höre von dort her immer Lärm und Getöse, und der Schaum der Wogen spritze über die öde Schäre jederzeit hoch empor. Die Fischer meinten, alle die Seeleute und Krämer, die Gathenhielm von den gekaperten Schiffen einst über Bord hatte werfen lassen, würden jetzt aus ihren nassen Gräbern emporsteigen, ihn zu quälen und zu peinigen, und sie hüteten sich sehr davor, in dieser Richtung zu fahren. In einer finsteren Nacht war aber doch einer von ihnen in die Nähe dieser gefährlichen Stelle geraten. Da fühlte er sich von einem Wirbelwind erfasst, der Schaum peitschte ihm ins Gesicht, und eine stöhnende Stimme rief ihm zu: ›Geh nach Gata in Onsala, und sag meiner Frau, sie soll mir sieben Bündel Haselruten und zwei Wacholderknüppel schicken!‹«

Der Propst hatte bisher ruhig und geduldig diese Geschichte angehört, als er aber merkte, dass sein Nachbar nur eine gewöhnliche Spukgeschichte zu berichten hatte, konnte er eine Bewegung der Ungeduld kaum unterdrücken.

Der Rittmeister beachtete es indes gar nicht, sondern fuhr ruhig fort: »Du wirst verstehen, dass gar nichts andres infrage kommen konnte, als dem Befehl Folge zu leisten. Und Gathenhielms Frau, nun, sie gehorchte ebenfalls. Die zähesten Haselruten und die derbsten Wacholderknüppel wurden herbeigeschafft, und ein Knecht von Onsala ruderte mit ihnen hinaus nach der Schäre.«

Jetzt aber machte der Propst einen so deutlichen Versuch, den Rittmeister zu unterbrechen, dass dieser es nicht mehr unbeachtet lassen konnte.

»Ja, ich weiß, was du denkst, verehrter Freund. Ich machte mir auch dieselben Gedanken, als ich heute Mittag diese Geschichte hörte, aber, bitte, höre mir bis zum Schluss zu. Ich habe also sagen wollen, das müsse ein beherzter und seinem Hausherrn sehr gehorsamer Mann gewesen sein, sonst hätte er es wohl kaum gewagt, diesen Auftrag auszuführen. Nun, als er in die Nähe des Begräbnisplatzes kam, da schlugen die Wogen hoch darüber weg, wie wenn ein regelrechter Sturm herrschte, und Lärm und Waffengeklirr ertönte weit umher. Der Knecht ruderte aber doch so nah wie möglich heran, und es gelang ihm, die beiden Wacholderknüppel und die Haselrutenbündel auf die Schäre zu werfen. Darauf aber entfernte er sich mit hurtigen Ruderschlägen von dem Ort des Grauens.«

»Mein verehrter Freund …«, begann der Propst.

Der Rittmeister aber ließ sich nicht unterbrechen: »Schon in kurzem Abstand aber ließ er die Ruder ruhen, um zu sehen, ob sich nicht etwas Merkwürdiges begeben würde. Und er brauchte nicht vergebens zu warten. Denn auf einmal stieg der Gischt himmelhoch über der Schäre empor, das Getöse wurde wie das Donnern einer Feldschlacht, und grausige Jammerrufe ertönten über das Meer hin. Eine ganze Weile ging es, jedoch mit abnehmender Heftigkeit, so weiter, und schließlich hörten die Wogen ganz auf, gegen Gathenhielms Grab anzustürmen. Und bald lag die Schäre ruhig und still da, wie alle die andern Schären auch. Der Knecht tauchte die Ruder nun wieder ein, um den Heimweg anzutreten; doch in demselben Augenblick hörte er eine höhnische, triumphierende Stimme, die ihm zurief: »Geh nach Gata in Onsala, und bestelle meiner Frau, dass Lasse Gathenhielm im Tode wie einst im Leben über seine Feinde siegt.«

 

Der Propst hatte jetzt mit gesenktem Kopf zugehört.

»Als der Hauslehrer dies Letzte erzählte«, fuhr der Rittmeister fort, »merkte ich wohl, dass meine Söhne mit dem Schurken Gathenhielm Mitleid empfanden und gern von seinem Übermut erzählen hörten. Deshalb erklärte ich, diese Geschichte schiene mir sehr gut aneinandergehängt zu sein, sei aber kaum etwas andres als Lüge und Dichtung. ›Denn‹, sagte ich, ›wenn ein so wilder Seeräuber wie Gathenhielm die Kraft gehabt hätte, sich auch noch nach seinem Tode zu verteidigen – wie ließe es sich dann erklären, warum mein Vater, der ein ebensolcher Haudegen wie Gathenhielm, aber dabei ein guter und redlicher Mensch war, einen Dieb in sein Grab hinein dringen und sich das Liebste, das er besaß, rauben ließ, ohne die Macht zu haben, die Untat zu verhindern und später den Schuldigen in irgendeiner Weise zu verfolgen oder zu beunruhigen.‹«

Bei diesen Worten stand der Propst mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit auf und sagte: »Das ist auch ganz meine Meinung.«

»Ja, aber hör nun, was weiter geschah!«, fuhr der Rittmeister fort. »Kaum hatte ich ausgesprochen, als ich hinter meinem Stuhl ein lautes Stöhnen hörte. Und dieses Stöhnen klang genauso wie der müde Seufzer, den mein seliger Vater auszustoßen pflegte, wenn er von den Gedanken des Alters geplagt wurde; mir war wirklich, als befinde er sich hinter mir, und ich sprang von meinem Stuhl auf. Da sah ich allerdings nichts, aber ich war mir so sicher, dies Stöhnen gehört zu haben, dass ich mich nicht zu Tisch setzen wollte, sondern bis jetzt hier ganz allein über diese Sache nachgegrübelt habe. Und ich habe inständig gewünscht, auch die Ansicht meines hochgeschätzten Freundes über diese Frage zu hören. War es mein Vater, den ich einen klagenden Seufzer über den verschwundenen Schatz habe ausstoßen hören? Wenn ich glauben könnte, er fühle noch immer Sehnsucht nach dem verlorenen Kleinod, dann wollte ich wahrlich lieber von Hof zu Hof ziehen und überall nachforschen, als meinen Vater noch einen einzigen Augenblick den grausamen Schmerz fühlen lassen, von dem dieses Stöhnen mir Kunde gab.«

»Dies ist am heutigen Tag das zweite Mal, dass ich auf die Frage zu antworten habe, ob der tote General wohl noch immer um seinen verlorenen Ring trauert und ihn wiedergewinnen möchte«, sagte der Propst. »Nun will ich mit deiner Erlaubnis, verehrter Freund, zuerst meine Geschichte berichten, und dann wollen wir uns miteinander darüber beraten.«

Danach rückte nun der Propst mit seiner Erzählung heraus, und er merkte jetzt sehr wohl, wie wenig er zu befürchten gehabt hätte, der Rittmeister werde sich der Sache seines Vaters nicht ernsthaft annehmen. Der Propst hatte nicht gedacht, dass sich selbst in dem friedlichst gesinnten Menschen noch etwas von der Natur der Lodbroksöhne finden würde. Nein, es ist wohl doch wahr, wie die Sage berichtet: Die meisten Schweine grunzen, wenn sie erfahren, was der alte Eber hat leiden müssen. Jetzt sah er, wie die Adern auf der Stirn des Rittmeisters anschwollen, und wie seine Fäuste sich ballten, bis die Knöchel weiß schimmerten. Ein furchtbarer Zorn hatte sich des Rittmeisters bemächtigt.

Natürlich berichtete der Propst die Sache entsprechend seiner Ansicht. Er erzählte, wie der Zorn Gottes die Missetäter getroffen habe, und er wollte durchaus nicht ein Eingreifen des Toten anerkennen.

Der Rittmeister aber erklärte alles, was er hörte, auf ganz andere Weise. Nein, sein Vater hatte in seinem Grab keine Ruhe gehabt, weil der Ring ihm von seinem Zeigefinger gezogen worden war. Jetzt fühlte der Sohn Angst und Gewissensqual, weil er bisher diese Sache allzu leicht genommen hatte. Er fühlte jetzt alles wie eine stechende, schmerzende Wunde in seinem Herzen.

Der Propst, der wohl merkte, wie aufgeregt der Rittmeister war, fürchtete sich fast, den Verlust des Ringes zu bekennen; doch als er es tat, wurde es mit einer Art grimmiger Befriedigung aufgenommen.

»Also einer von dem Diebsgesindel ist noch vorhanden, und er ist ebenso erbärmlich wie die anderen«, sagte Löwensköld. »Das ist gut. Der General hat die Eltern gestraft und fest dreingeschlagen, jetzt bin ich an der Reihe.«

Der Propst fühlte eine unbarmherzige Härte in der Stimme des Rittmeisters, und ihm wurde vor Angst immer beklommener. Er fürchtete, der Rittmeister könnte Ingilbert mit seinen eigenen Händen erwürgen oder ihn zu Tode peitschen.

»Ich habe es für meine Pflicht gehalten, dir, meinem hochgeschätzten Freund, die Botschaft des Toten zu überbringen«, sagte der Propst, »ich hoffe aber, dass du kein rasches, unüberlegtes Verfahren einschlägst. Ich habe im Sinn, jetzt gleich dem Lehnsmann von dem an mir begangenen Diebstahl Mitteilung zu machen.«

»Damit kannst du es halten, wie du willst«, erwiderte der Rittmeister. »Es ist aber eine ganz unnötige Mühe, die du dir machst, denn jetzt werde ich diese Sache selbst in die Hand nehmen.«

Da wurde dem Propst vollkommen klar, dass er hier auf Hedeby nichts mehr ausrichten konnte. Er ritt also so rasch wie möglich von dannen, um dem Lehnsmann noch vor dem Abend Nachricht zukommen lassen zu können.

Der Rittmeister Löwensköld aber rief alle seine Leute zusammen und erzählte ihnen, was sich begeben hatte. Dann fragte er sie, ob sie am nächsten Morgen mit ihm ausziehen wollten, den Dieb zu fangen. Da war keiner, der sich weigerte, ihm und dem toten General diesen Dienst zu leisten. Und der Rest des Abends wurde dazu verwendet, alle möglichen Waffen hervorzusuchen: alte Donnerbüchsen, kurze Bärenspieße, lange Degen, Knüppel und Sensen.

Sechstes Kapitel

Nicht weniger als fünfzehn Mann leisteten dem Rittmeister Gefolgschaft, als er am nächsten Morgen früh um vier Uhr auf die Jagd nach dem Dieb auszog. Und alle waren von höchster Kampflust beseelt. Es handelte sich ja um eine gerechte Sache, und überdies stand der General hinter ihnen. Da der Tote die Sache nun so weit geführt hatte, würde er sie auch zu einem glücklichen Ausgang bringen.

Die richtige Wildnis fing jedoch erst eine Weile jenseits von Hedeby an. Am Anfang ging die Wanderung durch ein weites Tal, das teilweise unbebaut und nur von kleinen Schuppen wie übersät war. Da und dort auf den Hügeln aber zogen sich ziemlich große Dörfer hin, und eines davon war Olsby, wo Bård Bårdsson seinen Hof gehabt hatte, ehe dieser von dem General eingeäschert worden war.

Dahinter lag der große, tiefe Wald wie ein dichtes Fell über die Erde gebreitet, Baum an Baum ohne Unterbrechung. Und doch war es hier noch nicht mit aller menschlichen Macht zu Ende. Es gab schmale Pfade durch den Wald, die zu Sennhütten und Kohlenmeilern hinaufführten.

Der Rittmeister und seine Leute nahmen gleichsam eine andere Haltung und ein anderes Aussehen an, als sie in den großen dunklen Wald kamen. Sie hatten ja früher schon hier Jagd auf Großwild gemacht, und jetzt bekam die Jagdlust in ihnen wieder die Oberhand. Sie begannen, scharfe Blicke in das Gestrüpp zu werfen, und sie schritten jetzt auch in ganz anderer Weise dahin, leichter und gleichsam schleichend.

»Hört jetzt, ihr Leute«, sagte der Rittmeister, »über eine Sache sind wir alle einig. Keiner von euch darf sich dieses Diebes wegen ins Unglück stürzen, sondern ihr müsst ihn mir überlassen. Gebt nur acht, dass ihr ihn nicht entwischen lasst!«

Diesem Befehl wäre indes kaum Folge geleistet worden. Alle diese Leute, die noch tags vorher ganz friedlich ihrer Arbeit nachgegangen waren und Heu auf den Schober geworfen hatten, brannten jetzt vor Begierde, diesem Dieb Ingilbert einen tüchtigen Denkzettel zu geben.

Sie waren aber gerade bis dahin gekommen, wo die großen Fichten, die seit Urzeiten hier aufragten, so dicht beieinanderstanden, dass sie ein ununterbrochenes grünes Dach über die Erde breiteten, unter dem das ganze Unterholz eingegangen und der Boden nur noch mit Moos bedeckt war, als sie drei Männer auf sich zukommen sahen, die eine aus Zweigen verfertigte Bahre trugen, auf der ein vierter Mann lag.

Der Rittmeister und seine Schar liefen rasch auf sie zu, und die Träger machten halt, als sie eine solche Menge Menschen daherkommen sahen. Sie hatten einige große Farnkrautzweige über das Gesicht des auf der Bahre Liegenden gebreitet; es konnte niemand sehen, wer es war, die Leute von Hedeby aber glaubten es doch zu wissen, und ihnen allen lief ein kalter Schauder über den Rücken.

Sie sahen zwar nicht den alten General neben der Bahre. O nein! Nicht einmal seinen Schatten! Trotzdem aber wussten sie: Er war gegenwärtig. Er war mit dem Toten aus dem Wald heruntergekommen. Er stand da und deutete mit dem Finger auf ihn.

Die drei Männer, die die Bahre trugen, waren wohlbekannte, angesehene Leute. Es war Erik Ivarsson, der einen großen Hof in Olsby hatte, mit seinem Bruder Ivar Ivarsson, der unverheiratet geblieben war und noch immer bei seinem Bruder auf dem väterlichen Hof wohnte. Diese beiden waren schon bejahrte Leute; der dritte aber von ihnen war ein noch junger Mann. Auch er war dem Rittmeister und seiner Schar wohlbekannt. Er hieß Paul Eliasson und war ein Pflegesohn der Ivarssöhne.

Der Rittmeister trat zu den Ivarssöhnen, und sie setzten ihre Bahre nieder, um ihn zu begrüßen und ihm die Hand zu geben. Aber es war, als sähe der Rittmeister die ausgestreckten Hände nicht. Er konnte kein Auge von den Farnkräutern abwenden, die das Gesicht des auf der Bahre Liegenden bedeckten.

»Ist es Ingilbert Bårdsson, der hier liegt?«, fragte der Rittmeister mit sonderbar harter Stimme. Es klang fast, als spräche er gegen seinen Willen.

»Ja, er ist es«, antwortete Erik Ivarsson. »Aber wie kann der Herr Rittmeister das wissen? Hat der Herr Rittmeister ihn an den Kleidern erkannt?«

»Nein«, antwortete der Rittmeister, »ich habe ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen.«

Sowohl seine eigene Gefolgschaft, als auch die drei anderen Männer warfen nun verwunderte Blicke auf den Rittmeister. Alle meinten, er habe an diesem Morgen etwas Sonderbares und Unheimliches an sich; er war gar nicht so leutselig und freundlich, wie er sonst zu sein pflegte.

Und nun fing er an, die Ivarssöhne einer Art von Verhör zu unterwerfen. Was sie denn zu dieser frühen Morgenstunde im Wald zu schaffen gehabt hätten, und wo sie mit Ingilbert zusammengetroffen seien? Die Ivarssöhne aber waren Großbauern, und es passte ihnen nicht, sich in dieser Weise ausfragen zu lassen; das Hauptsächlichste aber bekam der Rittmeister doch aus ihnen heraus.

Sie waren am vorhergehenden Tag mit Mehl und anderen Nahrungsmitteln zu ihren Leuten auf die mehrere Meilen tiefer im Wald liegende Alm hinaufgestiegen und hatten dort übernachtet. In aller Frühe hatten sie sich wieder auf den Heimweg gemacht, und da war Ivar Ivarsson den beiden anderen etwas vorausgegangen. Ivar war nämlich Soldat gewesen, und so verstand er die Kunst, tüchtig auszuschreiten; es fiel niemand leicht, mit ihm Schritt zu halten.

Als Ivar Ivarsson den anderen nun ein gutes Stück voraus war, hatte er auf dem Pfad einen Mann auf sich zukommen sehen. Der Wald war da ziemlich gelichtet gewesen, ohne Unterholz, mit nur großen Stämmen, und so hatte Ivar Ivarsson den Mann schon von Weitem erblickt, ihn aber nicht sofort erkannt. Es zogen Nebelschwaden zwischen den Baumstämmen hin, und wenn die Sonne darauf schien, wurden sie zu einem gelblichen Rauch. Man konnte wohl durch sie hindurchsehen, aber nichts ganz deutlich erkennen.

Ivar Ivarsson hatte aber gemerkt, dass der Daherkommende, als er ihn durch den Nebel hindurch sah, stehen blieb und wie im größten Schreck abwehrend die Hände ausstreckte. Ja, als Ivar noch ein paar Schritte gemacht hatte, war er auf die Knie gesunken und hatte ihm zugerufen, er solle ihm ja nicht näher kommen. Es hatte ja den Anschein gehabt, als sei er nicht ganz richtig im Kopf, und Ivar Ivarsson hatte eben auf ihn zueilen wollen, um ihn zu beruhigen; doch der andere war schon aufgesprungen und eiligst in den Wald hineingeflohen. Er hatte aber erst ein paar Schritte gemacht, als er fast jählings umsank und regungslos liegen blieb. Als Ivarsson ihn erreichte, war er schon tot.

 

Ivar Ivarsson hatte nun in dem Mann Ingilbert Bårdsson erkannt, den Sohn jenes Bård Bårdsson, der früher in Olsby gewohnt hatte, dann aber auf eine Sommeralm gezogen war, nachdem sein Gehöft von einer Feuersbrunst eingeäschert worden war und seine Frau sich ertränkt hatte. Es war ihm ganz unbegreiflich, wie sich alles so rasch zugetragen hatte. Ingilbert war einfach tot niedergefallen, ohne dass ihn eine Hand berührt hätte; Ivar selbst hatte versucht, ihn durch Schütteln wieder ins Leben zurückzurufen, aber es war ganz ohne Erfolg geblieben. Als die anderen herangekommen waren, hatten sie sofort gesehen, dass der Mann tot war. Da aber die Bårdssöhne früher in Olsby ihre Nachbarn gewesen waren, hatten sie Ingilbert nicht im Wald liegen lassen wollen, sondern eine Bahre zurechtgemacht und ihn mitgenommen.

Der Rittmeister hatte das alles mit finsterer Miene angehört.

Er fand alles durchaus glaubwürdig. Ingilbert lag da vor ihm wie für eine längere Wanderschaft ausgerüstet mit einem Ränzel auf dem Rücken und Schuhen an den Füßen. Der Bärenspieß, der auf der Bahre lag, gehörte wohl auch ihm. Sicherlich hatte er in ein fremdes Land reisen wollen, um dort den Ring zu verkaufen; als er aber in der Dämmerung des Waldes Ivar Ivarsson herankommen sah, hatte er gemeint, den Geist des Generals zu erblicken. Ja, gewiss, so war es zugegangen. Ivar Ivarsson trug einen alten Soldatenrock, und seine Hutkrempe war nach der Art der Karlskrieger aufgebogen. Die Entfernung, der Nebel und das schlechte Gewissen erklärten den Irrtum.

Der Missmut des Rittmeisters aber beherrschte diesen noch immer; er hatte sich in Zorn und Blutdurst hineingesteigert. Am liebsten hätte er jetzt Ingilbert Bårdsson zwischen seinen starken Armen zerdrücken wollen. Er brauchte einen Ableiter für seine Rachsucht, fand aber keinen.

Er sah jedoch selbst ein, wie unbillig das war, und er bezwang sich so weit, dass er den Ivarssöhnen erzählte, warum er an diesem Morgen mit seinen Leuten in den Wald gezogen war. Und er fügte hinzu, er wolle jetzt gleich untersuchen, ob der Tote den Ring noch bei sich habe.

Es war ihm wahrhaftig so zumut, dass er wünschte, die Olsbymänner würden sich dem widersetzen, sodass er dann um sein Recht kämpfen müsste. Sie aber fanden sein Verlangen recht und billig und traten auch etwas zur Seite, während zwei von des Rittmeisters eigenen Leuten die Taschen des Toten sowie seine Schuhe, sein Ränzel und jede Falte seiner Kleider genau untersuchten.

Am Anfang folgte der Rittmeister der Untersuchung mit der größten Aufmerksamkeit; einmal aber wanderte sein Blick zufällig zu den Bauern hinüber, er meinte zu sehen, wie sie höhnische Blicke miteinander wechselten, als ob sie sicher wären, dass nichts gefunden würde.

Und so war es auch. Man musste schließlich das Suchen aufgeben, ohne den Ring gefunden zu haben. Da aber wendete sich der Verdacht des Rittmeisters ganz natürlich gegen die Bauern. Und ebenso war es bei seinen Leuten. Wo war der Ring hingekommen? Ingilbert hatte ihn doch sicher bei sich gehabt, als er sich auf und davon machte. Wo mochte das Kleinod nun sein?

Auch jetzt sah niemand den General; aber man spürte ihn. Er stand mitten in dem Kreis und deutete auf die drei Olsbymänner; sie hatten ihn. Jawohl, das war ja mehr als denkbar; sie hatten vorher die Taschen des Toten untersucht und da den Ring gefunden.

Und noch etwas war auch denkbar: Die Geschichte, die sie eben vorgebracht hatten, war gar nicht wahr, sondern es war alles ganz anders verlaufen. Diese Männer, die aus demselben Dorf wie die Bårdssons waren, hatten vielleicht etwas davon gewusst, dass diese den Ring besaßen. Sie hatten möglicherweise erfahren, dass der alte Bård gestorben war, und als sie nun im Wald mit seinem Sohn zusammentrafen, hatten sie sich gleich gedacht, er werde mit dem Ring fliehen wollen. Da hatten sie ihn überfallen und umgebracht, um sich des Schatzes zu bemächtigen.

Es war keine andere Verletzung an dem Toten zu sehen als eine kleine Quetschwunde an der Stirn. Die Ivarssöhne hatten gesagt, Ingilbert sei beim Fallen auf einen Stein geschlagen. Konnte diese Quetschwunde aber nicht auch von dem groben Knüppel herrühren, den Paul Eliasson in der Hand trug?

Der Rittmeister stand düster da und schaute zu Boden. Ein Kampf hatte sich in seinem Innern erhoben. Er hatte von den drei Männern immer nur Gutes gehört, und es widerstrebte ihm, ihnen Totschlag und Diebstahl zuzutrauen.

Alle seine Leute hatten sich um ihn versammelt. Ein paar von ihnen schwangen sogar schon ihre Waffen. Niemand von allen dachte, es werde jetzt ohne Kampf und Streit abgehen.

Da trat Erik Ivarsson zu dem Rittmeister und sagte: »Wir Brüder und auch Paul Eliasson, der unser Pflegesohn ist und bald mein Schwiegersohn werden wird, verstehen wohl, was der Herr Rittmeister und seine Leute von uns denken. Deshalb meinen wir, wir sollten jetzt nicht auseinandergehen, ohne dass der Herr Rittmeister auch unsere Taschen und Kleider hat untersuchen lassen.«

Bei diesem Anerbieten hellte sich das Dunkel in der Seele des Rittmeisters etwas auf. Er machte Einwendungen und sagte, die Ivarssöhne und ihr Pflegesohn seien Männer, auf die kein Verdacht fallen könnte. Aber die Bauern wollten die Sache zu Ende bringen. Sie fingen selbst an, ihre Taschen umzudrehen und ihre Schuhe auszuziehen, und da gab der Rittmeister seinen Leuten einen Wink, ihnen den Willen zu tun.

Doch kein Ring wurde entdeckt, nur in einer Rindenbütte, die Ivar Ivarsson auf dem Rücken trug, wurde ein kleiner Beutel aus Ziegenleder entdeckt.

»Gehört dieser Beutel euch?«, fragte der Rittmeister, als er den Beutel untersucht und leer gefunden hatte.

Wenn nun Ivar Ivarsson mit Ja geantwortet hätte, wäre die Sache damit abgeschlossen gewesen; er aber erklärte mit der größten Ruhe von der Welt: »Nein, er lag auf dem Pfad nicht weit von der Stelle, wo Ingilbert zu Boden fiel. Ich hob ihn auf und warf ihn in die Bütte, weil er noch neu und unbeschädigt aussah.«

»Aber gerade in so einem Beutel lag der Ring, als der Propst ihn Ingilbert zuwarf«, sagte der Rittmeister, und jetzt lag der düstere Ausdruck wieder in seiner Stimme und auf seinem Gesicht. »Es scheint also wohl nichts anderes übrig zu bleiben, als dass ihr Ivarssöhne mit mir zum Lehnsmann kommt, falls ihr den Ring nicht gutwillig herausgeben wollt.«

Doch jetzt war es aus mit der Geduld der Olsbymänner. »Der Herr Rittmeister hat nicht das Recht, uns zu verhaften«, erwiderte Erik Ivarsson. Zugleich ergriff er seinen Spieß, der neben Ingilbert lag, um sich einen Weg zu bahnen, und sein Bruder und sein Schwiegersohn schlossen sich ihm an. In der ersten Verblüffung wichen die Leute von Hedeby mit Ausnahme des Rittmeisters rasch zurück. Der Rittmeister aber, der vor Behagen lächelte, weil er seinem Zorn nun die Tat folgen lassen konnte, zog seinen Säbel und hieb den Spieß mitten durch.

Das war aber auch die einzige Waffentat, die in diesem Kriege vollbracht wurde. Die eigenen Leute des Rittmeisters zogen diesen zurück und entrissen ihm seine Waffe. Es war nämlich so, dass auch der Lehnsmann Carelius es für angezeigt gefunden hatte, sich an diesem Morgen in den Wald zu begeben. Und er war eben jetzt, von einem Gerichtsdiener begleitet, auf dem Pfad zum Vorschein gekommen.

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