Elektra

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Elektra
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Sophokles

Elektra

Übersetzung und Anmerkungen von Kurt Steinmann

Nachwort von Markus Janka

Reclam

2013, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961905-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014230-1

www.reclam.de

Inhalt

  Die Personen des Dramas

  Prolog (1–120; 1. Teil 1–85, ...

  Parodos (121–250). Einzug des Chores.

  1. Epeisodion (251–471)

  1. Stasimon (472–515)

  2. Epeisodion (516–822). Klytaimestra erscheint auf der Schwelle des Palastes mit einer Dienerin, die Opfergaben trägt.

  Kommos (823–870)

  3. Epeisodion (871–1057)

  2. Stasimon (1058–1097)

  4. Epeisodion (1098–1383). 1. Szene (1098–1231). Orestes und Pylades treten auf, gefolgt von Dienern; einer von ihnen trägt eine Urne.

  Kommos (1232–1287). Wiedererkennungs-Duett.

  4. Epeisodion. 2. Szene (1288–1383)

  3. Stasimon (1384–1397)

  Amoibaion (1398–1441). Elektra kommt wieder aus dem Haus.

  Zu dieser Ausgabe

  Anmerkungen

 LiteraturhinweiseTextausgabenKommentare zum GesamtwerkKommentare zur ElektraÜbersetzungenInterpretationenZur ironischen Interpretation des DramasWeitere LiteraturZu den Träumen der KlytaimestraZur NachwirkungIkonographie

  »Muttermord und gute Laune« oder Die unheile Welt der Vergeltungsspirale I »Ewige« Forschungstradition und keine Klarheit über »die Elektren« II Konzentrik und Leitmotive: Die klassische Struktur von Sophokles’ Elektra III Elektra und ihr Hass: Antigones unheimliche Schwester? IV Sophokles’ Elektra und die Elektren: Seitenblicke auf die Motivgeschichte V Sophokles’ Elektra, die Polis und die Historie: Zum geschichtlichen Ort von Sophokles’ Tragödie

[5]Die Personen des Dramas

DER ALTE ERZIEHER (ERZ.)

ORESTES (OR.)

ELEKTRA (EL.)

CHOR EINHEIMISCHER (mykenischer) JUNGFRAUEN (CH.)

CHRYSOTHEMIS (CHR.)

KLYTAIMESTRA (KL.)

AIGISTHOS (AI.)

(Stumme Person: PYLADES)

[7]Prolog (1–120; 1. Teil 1–85, 2. Teil 86–120). Vor dem Königspalast in Mykene. Vorn Götterbilder, darunter ein Altar Apollons. Der Tag bricht an. Der alte Erzieher, Orestes und sein Freund Pylades treten auf. Sie sind bewaffnet und tragen Wanderstäbe und breitkrempige Reisehüte.

ERZ.

Sohn Agamemnons, der das Heer vor Troja einst

befehligte, nun bist du hier und darfst

all das erblicken, was du innig immer schon dir wünschtest.

Denn das alte Argos, deines Sehnens Ziel, ist dies:

der geweihte Grund der von der Bremse Fortgehetzten, die Tochter war des Inachos,5

und, Orestes, das dort ist des Wölfe tötenden, des Gottes

Markt: Lykeios, und zur Linken dort der Hera

berühmter Tempel. Hier aber, wo wir hingekommen sind,

sag dir, dass du Mykene vor dir siehst, das reich an Gold,

und dort, reich an Vernichtung, das Haus der Pelopiden,10

von wo ich einst aus deines Vaters Schlachtung,

von deiner Schwester gleichen Blutes dich empfangend,

hinweg dich trug, hinaus dich rettete und groß

dich zog so weit ins Mannesalter, dass du rächst des Vaters Mord.

So gilt es jetzt, Orestes, und du der Freunde liebster,15

Pylades, eiligst, was zu tun ist, zu bedenken.

Denn es erweckt uns schon der Strahlenglanz der Sonne

zu hellem Lied der Vögel morgendliche Stimmen,

und hingeschwunden ist die schwarze Sternennacht.

Drum, ehe nun der Männer einer aus dem Hause tritt,20

[8]besprecht euch miteinander, denn wir sind nun an dem Punkt,

wo nicht mehr der Moment zum Zaudern ist, sondern zum Handeln höchste Zeit.

OR.

O liebster du der Männer, meiner Diener, wie du deutlich mir

Beweise zeigst, dass du loyal gesinnt bist gegen mich!

Denn wie ein Rassepferd, und wäre es auch alt,25

in der Gefahr sein Feuer nie verliert,

vielmehr die Ohren spitzt, genauso treibst auch du

mich an und folgst, der ersten einer, selbst.

So will ich denn, was ich beschlossen habe, offenbaren,

du aber leihe meinem Wort ein scharf Gehör,30

und verfehle ich das Richtige, verbessre mich!

Als ich zum Sehersitz von Pytho kam,

um zu erfahren, wie ich für den Vater

von seinen Mördern Sühne mir verschaffen soll,

gab Phoibos mir die Weisung, die du gleich vernehmen wirst:35

allein und unbeschützt von einem schildbewehrten Heer

mit Listen heimlich mit gerechter Hand das Blutbad zu vollziehn.

Da wir nun solchen Götterspruch vernommen,

so gehe du, sobald Gelegenheit dir winkt,

in dieses Haus und forsche alles aus, was dort geschieht,40

damit du mir mit sichrer Kenntnis klar berichten kannst.

Gewiss wird man dich nicht bei deinem Alter und nach langer Zeit

erkennen, wird Verdacht nicht hegen, da dir silbern blüht dein Haar.

Tisch diese Mär auf: Gastfreund seiest du

[9]und von Phanoteus kämst du her, dem Phoker,45

denn dieser ist der nächste ihnen von den Waffenbrüdern.

Und melde ihnen, es bekräftigend durch Eid,

tot sei Orestes durch ein unausweichliches Geschick, da er

bei Pythos Siegeskämpfen aus dem radgetriebenen

Gefährt geschleudert worden sei; darauf beruhe dein Bericht!50

Doch ich, hab ich des Vaters Grab, wie er gebot,

zuerst mit Opferspenden und vom Haupt geschnittner Lockenpracht

geehrt, kehr’ wieder dann zurück hierher,

die Urne mit den Bronzewänden in den Händen tragend,

von der auch du ja weißt, dass im Gesträuch sie ist versteckt,55

damit mit irreführendem Bericht erwünschte Kunde

ich ihnen bring, es sei mein Leib dahin,

bereits vom Feuer aufgezehrt, verkohlt zu Asche.

Denn was bekümmert’s mich, wenn ich, dem Wort nach tot,

in Wirklichkeit gerettet bin und Ruhm daraus gewinne?60

Ich denk, kein Wort, das uns Gewinn einträgt, kann Unheil bringen.

Denn oft schon hört’ ich auch von weisen Männern,

die man irrtümlich totgesagt; doch dann, wenn sie nach Hause

zurückgekehrt, ehrt man sie umso mehr.

So, hoff ich zuversichtlich, werd auch ich infolge dieser Kunde65

den Feinden lebend als ein Stern erstrahlen noch!

Doch, väterliche Erde und ihr Heimatgötter,

verleiht mir Glück auf diesem meinem Gang,

[10]auch du, mein Vaterhaus! Denn als dein Reiniger

komm rechtens ich, von Göttern angestiftet.70

Und schickt mich nicht erfolglos weg aus diesem Land,

nein, lasst mich neuen Reichtum gründen, wiedererwecken dieses Haus!

Gesprochen habe ich nun dies. An dir ist’s, Alter,

zu gehen nun und nachzukommen deiner Pflicht!

Wir gehn hinaus! Der Augenblick ist da, er, der den Männern75

bei jedem Werk der größte Lenker ist.

 

EL.

(aus dem Palast ertönen ihre Klagen). Weh mir, weh, ich Unglückselige!

ERZ.

Wirklich, mir schien, ich hörte von der Türe her

eine der Mägde drinnen leise jammern, Kind.

OR.

Ist die Unglückselige Elektra? Möchtest du,80

dass wir hier bleiben, um zu lauschen, wie sie klagt?

ERZ.

Nein! Auf nichts lasst eher uns bedacht sein, als des Loxias

Gebote zu befolgen und daranzugehn,

die Totenspende deinem Vater auszugießen! Denn es trägt

dies uns den Sieg ein und Erfolg bei allem Tun.85

(Die drei Männer ab; Elektra erscheint auf der Schwelle des Palastes.)

EL.

O heilige Sonne

und Luft, die gleichen Anteil ihr habt am Licht: Wie ihr mir

viele Klagegesänge

habt vernommen und viele auf die blutende

Brust einprasselnde Schläge,90

sooft die finstere Nacht schwand!

[11]Und um das Leid meiner »nächtlichen Feiern«

weiß das verhasste Lager im elenden Haus,

wie viel um den unseligen ich klage,

meinen Vater, den im Land der Barbaren95

der blutgierige Ares gastlich nicht aufnahm,

die Mutter aber, die meine, und ihr Genosse des Bettes

Aigisthos spalten – wie Holzfäller den Eichbaum –

das Haupt ihm mit dem blutigen Beile!

Und keine Klage darüber wird100

von einer andern erhoben als mir, um dich, Vater,

obgleich so schmählich und kläglich du hinstarbst.

Doch nie, ja nie,

lass ich ab von Totenklagen und düsteren Trauerweisen,

solang ich das hell erstrahlende Funkeln105

der Sterne sehe und diesen Tag,

nein, ich will, der Nachtigall gleich, die ihr Kind erschlug,

mit dem Wehruf hier vor des Vaters

Türen vor allen laut es hinausschrein!

O Haus des Hades und Persephones,110

o unterirdischer Hermes und du, mächtige Göttin des Fluchs,

und ehrwürdige ihr, der Götter Töchter, Erinyen,

die ihr blickt auf die, die widerrechtlich man tötet,

und auf die, deren Ehebett man sich heimlich erschleicht,

kommt, helft, rächt den Mord115

an unserem Vater,

und schickt mir her meinen Bruder!

Denn ich habe nicht länger die Kraft, allein

aufzuwiegen die Last des Leids auf der Waage.120

[12]Parodos (121–250). Einzug des Chores.

CH. O Kind! Kind der verworfensten[Str

Mutter, Elektra! Warum ohne Ende

zerfließt du so in unersättlicher Klage

um den vor Zeiten von der tückischen Mutter

aufs gottloseste hinterhältig wehrlos gemachten Agamemnon,125

das Opfer feigen Verrats? Käme, wer solches verübt,

doch um – wenn mir so zu reden erlaubt ist!

EL.

O Edlen Entsprossne,

gekommen seid ihr meinen Qualen zum Trost!130

Ich weiß und seh ein es, und nicht entgeht’s mir,

doch will ich nicht davon lassen,

zu klagen um meinen unglückseligen Vater.

Darum, o die ihr vielfältiger Freundschaft Gunst stets erwidert,

lasst mich so außer mir sein!135

Ai, ai, ich flehe.

CH. Nie jedoch wirst du den Vater[Gegenstr. 1

aus dem allen bestimmten Sumpfland des Hades

wiederauferstehen lassen, mit Klagen nicht noch Gebeten!

Doch vom richtigen Maß abrückend hin zum nicht zu meisternden140

Schmerz, richtest du dich, immer seufzend, gänzlich zugrunde,

worin aber keine Erlösung ist von den Übeln.

Was strebst du mir nach dem schwer zu Ertragenden?

§1.

Ein Narr ist, wer die kläglich145

hingeschwundenen Eltern vergisst!

[13]Doch geht mir nie aus dem Sinn die Wehklagende,

die verängstigte Vogelfrau, die Botin des Zeus,

die um Itys immer, um Itys schluchzt.

Io, allduldende Niobe, als Göttin erachte ich dich,150

die du in dem steinernen Grabmal

ai, ai, noch immer dich ausweinst.

CH. Nicht dir allein,[Str. 2

Kind, ist Leid erschienen unter den Sterblichen,

worin du stärker betroffen wärst als die drinnen,155

mit denen du gleichen Ursprungs und Bluts bist,

wie Chrysothemis und Iphianassa

und er, dessen glückliche Jugend vor Leiden geschützt ist,

den das berühmte160

Land der Mykener einst

empfangen wird als Spross edler Väter, wenn er

unter dem wohlgesinnten Geleit des Zeus in dies Land kommt – Orestes!

EL.

Ja, er, auf den ich unentwegt wartend

ohne Kind, ohne Ehe, ich Arme, immer dahinleb,165

von Tränen benetzt, mit diesem Schicksal,

das kein Ende verheißt meiner Übel; doch der vergisst,

was er erlitten und was er erfuhr. Denn welche

Nachricht kommt nicht zu mir, die sich nicht als Täuschung herausstellt?170

Denn immer zwar sehnt er sich,

doch bei all seinem Sehnen hält er’s für unwert zu kommen.

CH. Fasse Mut mir, fasse Mut,[Gegenstr. 2

Kind! Noch ist groß im Himmel

[14]Zeus, der alles überwacht und beherrscht!175

Ihm stell anheim den allzu bitteren Groll

und hass deine Feinde nicht maßlos, noch auch vergiss sie!

Die Zeit ist ein entlastender Gott!

Denn weder er, der in Krisa180

die rinderbeweidete Küste bewohnt,

der Sohn, der Spross Agamemnons, ist darum unbesorgt,

noch der an Acherons Ufern herrscht, der Gott.

§1.

Doch mir ist dahin schon der beste Teil meines Lebens,185

hoffnungslos, und ich kann nicht mehr!

Kinderlos schwinde ich hin,

und kein liebender Mann beschützt mich,

nein, gleich einer Fremden, die keiner beachtet,

halt ich in Ordnung die Kammern des Vaters190

in einem so schäbigen Kleid

und stehe herum an leeren Tischen!

CH. Erschütternd bei der Heimkehr der Schrei,[Str

erschütternd auf dem festlichen Lager des Vaters,

als auf ihn wuchtig auftreffend herabfuhr

des ganz ehernen Beiles Schneide.195

Arglist war es, die den Weg wies, Geilheit, die mordete,

die beide ein entsetzliches Gebilde entsetzlich

erzeugten – ob’s nun ein Gott war, ob der Sterblichen einer,

der dieses wirkte.200

EL.

O jener Tag, der mir als feindlichster,

feindlicher als alle Tage, kam!

O Nacht, o des unsäglichen Mahls

furchtbare Qualen,

bei welchem mein Vater205

[15]schimpflichen Tod sah von den Händen des Paars,

das mein Leben mir nahm,

mich verriet, mich zerstörte!

Mag der große Gott im Olymp

zur Vergeltung mit Leiden sie schlagen,210

und mögen sie niemals sich ihres Glanzes erfreuen,

die solche Werke verrichtet!

CH. Sei darauf bedacht, nicht weiterzureden![Gegenstr. 3

Erkennst du nicht, woraus

die jetzige Lage erwuchs? In eigenes Unheil215

stürzt du so schmählich?

Einen Großteil der Übel zogst du selbstverschuldet dir zu,

da du in deiner mutlosen Seele

immer Kriege gebierst! Dies Leid – mit den Mächtigen

kann man nicht streiten – ertrag es!220

EL.

Furchtbares zwang mich zu Furchtbarem!

Ich weiß es wohl, nicht ist mir verborgen mein hitziges Wesen.

Indes: In dieser furchtbaren Not

werde ich nicht meine Klagen hemmen,

solange ich lebe.225

Denn wer glaubt wohl, geliebte Schwestern,

ich könnte ein dienliches Wort hören,

wer, der sich in mein Elend hineindenkt?

Lasst mich, ihr Tröstenden, lasst mich!

Denn für unauflösbar wird immer dies gelten.230

Und nie werde ich finden das Ende der Qualen,

maßlos in meinen Liedern der Trauer.

[16]CH. Jedoch in guter Absicht rede ich dir zu,[Epode

gleich einer Mutter, der man trauen kann:

Setz du nicht Unheil über Unheil in die Welt!235

EL.

Und welches Maß kennt ihre Niedertracht? Nun,

wie wär Gleichgültigkeit den Toten gegenüber recht?

In welchem Menschen keimte solch ein Denken auf?

Nicht mag bei diesen Ehre ich genießen,

noch, wenn etwas Anstand in mir ist,240

zusammen mit ihnen behaglich wohnen,

dass ich – zu Vaters Schande – hemmte

die Schwingen meiner schrillen Klagen.

Denn wenn der Tote, Erde bloß, ein Nichts,245

erbärmlich liegen soll,

sie hingegen nicht,

ihrerseits ermordet, büßen,

dann wäre aus es mit dem menschlichen Respekt

und der Ehrfurcht unter allen Sterblichen.250

1. Epeisodion (251–471)

CH.

Ich bin, o Kind, im Eifer um dein Wohl

wie um mein eigenes gekommen; ist jedoch mein Wort

nicht richtig, gelte deines; denn wir folgen dir.

EL.

Wohl schäm ich mich, ihr Frauen, wenn ich euch

mit meinen vielen Klagen gar zu ungestüm erscheine.255

Doch da Gewalt mich nötigt, dies zu tun,

verzeiht! Wie sollt’ denn eine Frau von edler Art,

die Leiden, die ihr Vater litt, vor Augen, anders handeln,

wie ich sie immer Tag und Nacht

weit eher blühen als hinwelken seh.260

Denn erstens ist der Umgang mit der Mutter,

[17]die mich gebar, von schlimmstem Hass geprägt; dann lebe ich

in meinem eignen Haus zusammen mit des Vaters

Mördern, und von ihnen werde ich beherrscht, von ihnen hängt

es ab, ob etwas ich bekomme oder darben muss.265

Und weiter: Was für Tage, meinst du wohl, verbringe ich,

wenn ich Aigisthos sitzen sehe auf dem Thron,

dem väterlichen, sehe ihn die gleichen

Gewänder tragen, die er trug, und an dem Herde

Trankopfer bringen, wo er ihn erschlagen hat,270

und seh – das Äußerste von alledem an Dreistigkeit! –

den Mörder uns im Bett des Vaters

mit der verworfnen Mutter – wenn denn »Mutter«

man die soll nennen, die mit diesem schläft!274

Doch sie, so unverfroren, dass sie mit dem Mordbefleckten

zusammenlebt und keine Rachegöttin scheut,

nein, als ob sie sich lustig machte über das, was sie getan:

Hat sie den Tag ermittelt, an dem damals

sie meinen Vater tückisch hingemordet hat,279

führt sie an diesem Reigentänze auf und schlachtet Schafe

zum Opfer allmonatlich für die Rettergötter.

Doch ich, wenn ich es seh, ich Unglücksel’ge,

wein im Gemach, schwind hin vor Gram, beklag dabei

das Unglücksmahl, das nach dem Vater

den Namen trägt – allein für mich allein! Denn auch zu weinen ist285

mir nicht erlaubt so viel, wie es mein Herz gelüstet.

Sie nämlich, die angeblich edle Frau,

deckt, ihre Stimm’ erhebend, mich mit schlimmer Schmähung ein:

[18]»Du gottverhasste Ausgeburt, ist dir allein der Vater

tot? Gibt es keinen andern Menschen, der in Trauer ist?290

Verrecke elend! Mögen nie vom jetz’gen Wehgeheul

die Götter drunten dich befreien!«

So kränkt sie hemmungslos, allein, wenn sie von jemand hört,

Orestes werde kommen, rasend dann

tritt sie zu mir und schreit: »Bist du nicht mir an diesem schuld?295

Ist dies nicht dein Werk, die aus meinen Armen

Orestes du geraubt und heimlich weggebracht?

Doch sei gewiss: Du wirst noch büßen, wie du es verdienst!«

So bellt sie, und daneben steht und hetzt

in gleicher Art wie sie ihr löblicher »Gemahl«,300

er, dieser Feigling durch und durch, der Schädling sondergleichen,

der nur mit Weiberhilfe Schlachten schlägt.

Ich aber, immer harrend, dass Orestes kommen wird,

um alledem ein End’ zu setzen, geh zugrund in meiner Pein.

 

Denn immer schiebt er’s vor sich her zu handeln und löscht so305

mir jede nahe oder ferne Hoffnung aus.

In solcher Ausweglosigkeit, ihr Lieben, ist nicht Mäßigung,

nicht ehrfurchtsvolle Scheu erlaubt: O nein, in schlimmer Lage

kann man nicht anders, als auch Schlimmes zu verüben!

§1.

Doch sage, ist Aigisthos in der Nähe, während du310

so zu uns redest, oder ist er außer Haus?

[19]EL. Ja klar! Denk ja nicht, wär er in der Näh, ich käme

zur Tür hinaus! Jetzt aber weilt er auf dem Land.

CH.

So kann mit größerem Vertrauen ich mit dir

mich unterhalten, wenn sich’s so damit verhält.315

EL.

Da er jetzt fort ist, frage nur! Was ist’s, das dir beliebt?

CH.

So frage ich dich, was du von dem Bruder meinst:

Kommt oder schiebt er es hinaus? Ich will es wissen.

§1.

Er sagt es, ja, doch sagt er’s auch, tut nichts von dem er, was er sagt.319

CH.

Zu zaudern liebt der Mann, der sich an Großes wagt.

EL.

Doch ich hab ihn gerettet ohne Zaudern.

CH.

Mut! Edel ist er, so, dass er den Seinen hilft.

EL.

Ich bau darauf, denn sonst hätt ich nicht lange Zeit gelebt.

CH.

Sag jetzt nichts mehr! Ich sehe deine Schwester,

Spross vom selben Vater, von derselben Mutter,325

Chrysothemis, aus dem Hause Totengaben

in ihren Händen tragen, wie man sie nach Brauch den Untern weiht.

CHR.

(tritt aus dem Palast). Was denn für Reden kamst du an des Torwegs Ausgang

nun wieder hier zu führen, Schwester,

und willst auch nach so langer Zeit nicht lernen,330

sinnlosem Zorn nicht wirkungslos zu frönen?

Indes, so viel ist mir bewusst, dass mich

der jetz’ge Zustand quält, so dass, bekäme ich

die Macht, ich zeigen wollte, wie ich denke über sie!

Jetzt aber in der Not reff ich die Segel lieber,335

will nicht zu handeln scheinen, wo ich doch nicht schaden kann.

[20]Ich wünschte, dass auch du dich so verhältst.

Das Recht ist freilich nicht bei dem, was ich da sage,

es ist bei deinem Urteil. Aber wenn ich frei soll leben,

muss ich in allem hören auf die Mächtigen.340

EL.

Empörend wirklich ist’s, dass du, die Tochter deines Vaters, ihn

vergisst und nur zu deiner Mutter hältst.

Denn all die Vorhaltungen, welche du mir machst,

hat sie dir beigebracht, und aus dir selber sagst du nichts.

So wähle eins von beiden: Ob du unklug sein,345

ob klug und deiner Lieben nicht gedenken willst.

Zwar sagst du eben: Fändest du die Kraft,

du wolltest deinen Hass auf sie wohl offenbaren;

doch will um jeden Preis ich meinen Vater rächen,

wirkst du nicht mit und hältst mich ab von meiner Tat.350

Gesellt sich so zu allen Übeln nicht noch Feigheit?

Denn lehre du mich oder lern von mir, welch ein

Gewinn mir würde, hörte ich mit meinen Klagen auf!

Leb ich denn nicht? Zwar schlimm, ich weiß, jedoch genügt es mir.

Die aber kränke ich, so dass ich den Verstorbenen355

mit Ehren würdige – falls dort es einen Sinn für Ehren gibt.

Doch du, du meine »Hasserin«, du hassest nur

dem Wort nach, in der Tat jedoch spannst du zusammen mit des Vaters Mördern.

Ich freilich würde nie, und böte einer mir359

die dir bescherten Gaben an, mit denen du jetzt prunkst,

mich denen unterwerfen. Aber dir sei reich

der Tisch bestellt, dein Leben ström’ im Überfluss dahin!

Dass ich mich selber nicht betrübe, dieses Wissen sei

[21]allein mir Nahrung. Deine Vorzugsstellung reizt mich nicht.

Noch wärest du erpicht darauf, wärst du besonnen. Aber jetzt, da dir365

es freigestellt, des allerbesten Vaters Kind zu heißen,

sei du geheißen nach der Mutter! So erweist du dann den meisten dich als schlecht,

hast du den toten Vater doch verraten und die Deinen!

CH.

Ja nichts im Zorne, bei den Göttern! Denn es liegt in eurer beider Reden

Gewinn, wenn du nur lernen wolltest,370

dich ihrer zu bedienen und der deinen sie.

CHR.

Ich für mein Teil, ihr Frauen, bin ganz gut vertraut

mit ihren Reden und hätt nichts davon erwähnt,

wenn ich nicht wüsste, dass sehr großes Unheil sie

bedroht, das ihre langen Klagen enden soll.375

EL.

So sprich’s denn aus, das Schreckliche! Denn wenn du größre Not

mir nennen kannst als diese hier, verzicht ich fortan auf das Widerwort.

CHR.

So will ich dir denn alles sagen, was ich weiß.

Sie haben vor, stellst du nicht ein dein Wehgeschrei,

dorthin dich zu verschicken, wo du niemals mehr380

der Sonne Licht erblicken sollst, nein, lebend in gewölbter Gruft,

entrückt der Heimat, Klagearien singen magst.

Bedenke dies und laste später nie das Leid mir an,

das du erlitten! Denn Vernunft tut nunmehr not!

§1.

Mir dieses anzutun ist also ihr Beschluss?385

CHR.

Gewiss, sobald Aigisthos heimgekommen ist.

EL.

Ist’s weiter nichts, so komme er in Eile her!

[22]CHR. Was wünschtest du, Unselge, da auf dich herab?

EL.

Dass er nur komme, wenn dergleichen er zu tun gedenkt.

§1.

Damit dir was geschieht? Wo steht dir nur der Kopf?390

EL.

Damit von euch ich möglichst weit entfliehen kann.

CHR.

Und ist dein Leben hier dir nicht der Rede wert?

EL.

Schön ist wahrhaft mein Leben, zum Erstaunen schön!

CHR.

Nein, wäre es, wenn du verstündest, klug zu sein.

§1.

Das lehr mich nicht, zu meinen Lieben schlecht zu sein!395

CHR.

Ich lehr dich’s nicht, nur, dich den Mächtigen zu beugen.

EL.

Kriech du nur so! Was du da vorschlägst, ist nicht meine Art.

CHR.

Doch trefflich ist es, nicht durch Unverstand zu fallen.

EL.

Wenn es denn sein muss, falle ich, den Vater rächend.

§1.

Doch wird, ich weiß, der Vater dies verzeihn.400

EL.

Das sind die Reden, die nur Feige loben!

CHR.

So hörst du nicht auf mich und pflichtest mir nicht bei?

EL.

Nein! Möge nie ich so vernunftlos sein!

CHR.

So geh ich weiter den mir anbefohlnen Weg.

§1.

Wo ziehst du hin? Wem bringst du diese Totenopfer?405

CHR.

Die Mutter schickt mich, auf dem Grab des Vaters Totenopfer auszugießen.

EL.

Wie sagst du? Auf dem Grabe ihres allerschlimmsten Feinds?

[23]CHR. Den selber sie erschlug! Das ist’s doch, was du sagen willst.

EL.

Von welchem Freund dazu beredet? Wem gefiel dies so?

§1.

Von einem Nachtmahr, denke ich.410

EL.

Ihr Götter meiner Väter, steht jetzt endlich bei!

CHR.

Du schöpfst ein bisschen Mut aus diesem Schreckgebilde?

EL.

Erzählst du mir ihr Traumgesicht, dann sag ich’s dir!

CHR.

Doch ist’s nur wenig, was ich dir zu sagen weiß.

§1.

So sage dies! Oft haben Worte über kleine Dinge schon415

zu Fall gebracht und aufgerichtet Sterbliche.

CHR.

Es wird erzählt, dass sie gesehen, wie der Vater,

der deine wie der meine, an das Licht gekommen,

erneut an ihrer Seite war; dann habe er den Herrscherstab ergriffen,

den einst er selber trug, jetzt aber Aigisthos,420

und ihn dem Herde eingepflanzt. Und aus dem Szepter sei emporgesprossen

ein üppig knospendes Gezweig, durch das

Mykenes ganzes Land sei überschattet worden.

So hört’ ich einen, der zugegen war, als sie

den Traum dem Sonnengott eröffnete, erzählen.425

Mehr aber als das weiß ich nicht, es sei denn dies,

dass sie mich wegen ihres Schrecks zum Grab hinschickt.

[So fleh ich bei den Göttern unsres Stamms dich an,

auf mich zu hören, dass nicht Unverstand dich stürzt!429

Stößt du mich weg – im Leid suchst du mich wieder auf.]

EL.

Nein, meine Liebe, von den Dingen, die du hältst in Händen,

[24]leg nichts aufs Grab! Nicht ist es richtig vor den Menschen

wie vor den Göttern, dass im Namen des verhassten Weibs

du Totengaben hinstellst und dem Vater Sühneopfer bringst.

Nein, wirf sie in die Winde oder scharr sie tief435

im Sande ein, wo nie zu Vaters Ruhestätte

etwas davon gelangen kann! Doch wenn sie stirbt,

sei es als Schatz für sie da unten aufbewahrt!

Und überhaupt: Wär sie von allen Frauen nicht

die allerfrechste, diese hasserfüllten Totenspenden brächte sie440

nie dem dar, den sie selbst ermordet hat.

Denn überlege: Glaubst du wohl, es nehme

ihr wohlgesinnt im Grab der Tote diese Gaben an

von ihr, durch die er ehrlos starb, die ihn wie einen Feind

verstümmelte und dann an seinem Haupt zur Reinigung445

das Blut abwischte? Glaubst du gar,

was du da bringst, entsühne sie von Mord?

Unmöglich! Drum hinweg damit! Du aber schneide

vom Haupte dir die Spitzen deiner Locken ab,

und von mir Armer – es ist wenig nur,450

doch was ich habe – gib ihm dieses kümmerliche Haar

und meinen Gürtel, den kein Prunk verziert!

Und wirf dich hin und bitte, dass er selber aus der Erde

uns gnädig als ein Helfer gegen seine Feinde komme,

und dass sein Sohn Orestes bald die Oberhand gewinne455

und lebend seine Feinde trete mit dem Fuß,

damit wir künftig ihn mit üppigeren Händen

bekränzen, als wir’s jetzt mit unsern Gaben tun.

[25]Ich glaube, ja, ich glaube, irgendwie war es auch sein Anliegen, ihr

zu senden diese wüsten Traumgesichte.460

Doch gleichwohl, Schwester, leiste diesen Dienst,

der dir und mir hilft, wie auch ihm, dem liebsten aller Sterblichen,

der da im Hades liegt, dem Vater von uns beiden!

CH.

Voll Ehrfurcht sprach die Jungfrau, aber du,

denkst du besonnen, Liebe, wirst dies tun.465

CHR.

Ich will es tun! Denn geht es um gerechtes Handeln, ist es nicht vernünftig,

wenn zwei darüber streiten, sondern ratsam, rasch es auszuführen.

Doch lasse ich mich auf dies Abenteuer ein, so sei, ihr Lieben,

mir euer Schweigen sicher, bei den Göttern!469

Denn wenn die Mutter dies erfährt, dann wird, denk ich,

noch bitter leid mir dieses Wagnis tun.

(Chrysothemis geht, Elektra bleibt auf der Bühne.)

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