Dante. 100 Seiten

Текст
Автор:
Из серии: Reclam 100 Seiten
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Dante. 100 Seiten
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Stefana Sabin

Dante. 100 Seiten

Reclam

2015, 2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

überarbeitete und erweiterte Ausgabe 2020

Covergestaltung nach einem Konzept von zero-media.net

Infografik: annodare GmbH, Agentur für Marketing

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961756-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020573-0

www.reclam.de

Inhalt

  Dante lesen oder: Eine Ermutigung

  Unruhige Zeiten oder: Machtkampf in Florenz

  Dante Alighieri oder: Der politische Flüchtling als verbannter Dichter

  Das Werk oder: Die Pilgerreise des Lebens

  Die Volkssprache oder: Die Erfindung des Italienischen

  Beatrice oder: Die Frau als engelhaftes Wesen

  Die neue Weltordnung oder: Die Trennung von Staat und Kirche

  Die Zwei-Euro-Münze oder: Dante Superstar

  Lektüretipps

  Bildnachweis

  Zur Autorin

  Über dieses Buch

  Leseprobe aus Ovid. 100 Seiten


Dante lesen oder: Eine Ermutigung

»Eines Tages stand eine wunderschöne Frau in meiner Türe und schenkte mir Dantes Göttliche Komödie. Dass sie mich außerdem in die Liebe gelockt hat, scheint mir die einzig mögliche Entschuldigung dafür, dieses weltbedeutende Buch bis heute nicht gelesen zu haben.«

Philipp Mosetter: Tragische Vorfälle, 2020

Als entscheidendes Element des bürgerlichen Selbstverständnisses hat der Bildungskanon über Epochen hinweg zum soziokulturellen Konsens beigetragen. Weltgeist und Weltliteratur, die Goethe so gerne beschwor, können ohne einen Kanon nicht bestehen. Der Kanon der Literatur, der die wichtigsten Werke und Schriftsteller zu kennen glaubt, gilt als richtiges Maß aller Bildungsdinge in einer Kulturgemeinschaft.

Zwar wurde der Kanon immer wieder in Frage gestellt, schien er in den Wogen kulturpolitischer Auseinandersetzungen in Vergessenheit zu geraten, aber er setzte sich dann doch durch und sicherte den Zusammenhalt einer immer heterogener werdenden Gesellschaft. Dabei impliziert der Kanon der Literatur weniger die genaue Kenntnis der kanonischen Werke als vielmehr eine Ahnung von ihrer zeitlosen Bedeutung. So gesehen bedeutet literarische Bildung die Fähigkeit, die kanonischen Werke einzuordnen und einzuschätzen: der Kanon als kulturelles Navigationsinstrument.

Vielleicht greift Lessings Diktum, dass Dichter »weniger erhoben und fleißiger gelesen« werden wollen, in der heutigen Welt nicht mehr. Um am allgemeinen kulturellen Diskurs teilzunehmen, muss man nicht Details über Form und Inhalt eines Werks kennen, sondern muss über seine essentiellen Merkmale informiert sein, sodass man geistesgeschichtliche Zusammenhänge herstellen und Deutungslinien ziehen kann.

So will dieses Buch den Klassiker Dante Alighieri, sein Werk und seine Zeit vorstellen, damit auch diejenigen, die nicht die ganze Komödie, die Gedichte oder die Traktate lesen wollen und dennoch neugierig darauf sind, verstehen, warum er als einer der bedeutendsten Dichter des Abendlandes gilt.

Einerseits steht Dantes Komödie – wie andere kanonische Werke, etwa die Bibel, das Nibelungenlied oder Grimms Märchen – jenseits der Aktualität, weil sie Teil unseres kulturellen Gedächtnisses ist. Andererseits ist Dante geradezu modern: als Sprachphilosoph, der im Bewusstsein lokaler Besonderheiten für eine einheitliche nationale Volkssprache plädierte; als Politiker, der regional agierte und national dachte; als Staatsdenker, der sich um eine Trennung von weltlicher und geistlicher Macht bemühte; als christlicher Philosoph, der den Glauben als solchen transzendierte und eine generelle menschliche Haltung artikulierte; schließlich als Dichter, der die abendländische Literatur säkularisiert und ihr damit neue Wege eröffnet hat.

Dantes Haupt- und Meisterwerk, die Komödie, beschreibt eine sozusagen transhistorische Verzweiflung und zugleich eine unverwüstliche Hoffnung auf eine bessere, jedenfalls weniger schlechte Welt. In dieser Mischung aus realer Verzweiflung und ideeller Hoffnung liegt eine emotionale Qualität, die immer aktuell ist, weil sie eminent menschlich ist.

»Mit der Komödie beginnt das Erzählen. Und es ist ein magisches Erzählen. Deshalb würde ich dem Leser raten, den Streit zwischen Guelfen und Ghibellinen, die Scholastik, auch die Zitate und mythischen Anspielungen zu vergessen … alles zu vergessen und sich von der Erzählung tragen zu lassen.«

Jorge Luis Borges, 1981

Die Komödie ist vor allem eine Sammlung von Geschichten, die verschiedenen Gattungen zugeordnet werden können: Es sind Abenteuer-, Reise-, Grusel-, Fantasy- und vor allem Liebesgeschichten. Überhaupt lässt sich die Komödie als eine Liebesgeschichte mit Happy End definieren: Ein Mann sucht nach seiner Geliebten, findet sie nach langem und mühsamem Irren und wird schließlich mit ihr vereinigt. Dass er dabei immer wieder in Gefahr gerät, macht diese Liebesgeschichte zu einer Abenteuerreise.

Zugegeben: Die Komödie ist keine einfache Lektüre. Zwar kann dieses Buch die Lektüre nicht ersetzen, aber es kann helfen, darüber – und über die anderen Werke Dantes – mit Kenntnis zu sprechen, auch wenn man sie nicht ganz gelesen hat.

Dantes Komödie zitiere ich nach der bei Reclam erschienenen zweisprachigen Ausgabe: Dante Alighieri, La Commedia / Die Göttliche Komödie, Italienisch/Deutsch, in Prosa übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler, Bd. 1: Inferno/Hölle, 2010, Bd. 2: Purgatorio/Läuterungsberg, 2011, Bd. 3: Paradiso/Paradies, 2012.


Unruhige Zeiten oder: Machtkampf in Florenz

Der Machtkampf zwischen Papst und Kaiser bestimmte jahrhundertelang die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte des europäischen Abendlands und spitzte sich im 13. Jahrhundert in Florenz zu. Die toskanische Stadt am Arno war, wie andere Stadtrepubliken auf der Halbinsel, selbständig, aber der Antagonismus zwischen kaisertreuen und papsttreuen Fraktionen beeinflusste alle innerstädtischen Vorgänge – und auch die Beziehungen zu anderen Städten.

Dabei ging es nicht etwa um den Gegensatz von religiösen und weltlichen Prinzipien an sich, sondern um die Teilung der Macht zwischen dem religiösen und dem weltlichen Herrscher, also zwischen Papst und Kaiser. Zwar gab es schon damals eine ideelle Trennung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt, die sogenannte Zwei-Schwerter-Theorie, nach der das eine Schwert vom Papst und das andere vom Kaiser geführt wurde. Aber spätestens nach dem Tod Friedrichs II. (1250) und seiner Nachkommen und Thronanwärter und nach der Abdankung des Papstes Coelestin V. (1294) schienen beide Schwerter in den Händen des Papstes Bonifaz VIII. zu liegen und die Einflusssphären kaum noch auseinanderzuhalten. Einerseits empfanden die Kaiser ihre Macht als gottgegeben und sahen sich selbst nicht nur als weltliche Herrscher – andererseits wollten die Päpste sich nicht nur um das Seelenheil der Untertanen kümmern, sondern auch um ihr weltliches, ja wirtschaftliches Wohlbefinden. Und da beider Untertanen dieselben waren, mussten die beiden Herrscher aneinandergeraten, und das umso mehr, als der Kirchenstaat sein geographisches Gebiet stets auszudehnen und damit auch seine finanziellen Einnahmen – und seinen politischen Einfluss! – zu vergrößern suchte.

So wurde aus einem Streit um die richtige Gewichtung von religiösen und weltlichen Prinzipien ein politischer Machtkampf, für den der sogenannte Investiturstreit geradezu symbolische Bedeutung annahm. Bei diesem Streit ging es um die Rangordnung von Kaiser und Papst: um die Frage, wer wen einsetzen – und damit auch absetzen – dürfe.

Der Investiturstreit eskalierte Anfang des 13. Jahrhunderts, als Papst Innozenz III. auf seinem Entscheidungsrecht bei der Wahl des deutschen Königs und römischen Kaisers bestand und in den Thronstreit zwischen dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto von Braunschweig eingriff. Aus machtpolitischen Überlegungen nahm Innozenz Partei für den Welfen Otto und krönte ihn 1209 zum Kaiser – und löste damit eine erbitterte Feindschaft zwischen den beiden Familien aus. Ab etwa 1240 wurden die Papstanhänger Welfen und die Anhänger des Kaisers Waiblinger (nach der schwäbischen Heimatstadt der Staufer, Waiblingen) genannt. Diese deutschen Namen wurden als Guelfen bzw. Ghibellinen romanisiert (gu- und gh- sind Schreibungen für das dem mittelalterlichen Italienischen fremde germanische w-).

 

Die Guelfen waren die Papsttreuen und rekrutierten ihre Anhängerschaft vor allem unter den Kaufleuten, die Ghibellinen waren die Kaisertreuen, zu denen vor allem der Adel gehörte. Die Guelfen waren bürgerlich ja, paradoxerweise demokratisch und kämpften für kommunale und städtische Freiheiten und gegen die Reichsherrschaft; die Ghibellinen waren aristokratisch und Anhänger des deutschen Kaisers. Der Streit spaltete die oligarchischen Geschlechter, die Mittelschicht der Handwerker und Händler beteiligte sich nur bedingt daran, die untersten Schichten der Tagelöhner waren politisch unbedeutend.

Die Toskana gehörte zum Hoheitsgebiet des Kaisers, aber die Städte lehnten sich dennoch immer wieder an den Papst an, um die europaweiten Verbindungen des Vatikans für ihren Handel zu nutzen. Auf Kaiser oder Papst setzten sie jeweils auch, um sich gegenseitig in ihrem Expansionsdrang zu bremsen. Von den toskanischen Städten galten Florenz, Lucca und San Gimignano als papstfreundlich, Arezzo, Pisa und Siena dagegen als kaisertreu, weil sie sich vom Kaiser Unterstützung gegen den Expansionsdrang der Republik Florenz erhofften. So unterstützten florentinische Ghibellinen die Sieneser in ihrem Kampf gegen guelfische Sienesen, obwohl Siena zu den Gegnern von Florenz gehörte. Zumindest zeitweise überragten die Interessen die Zugehörigkeit zum kaisertreuen oder papsttreuen Lager.

»Es war«, schrieb der Florentiner Schriftsteller und Dante-Biograph Giovanni Boccaccio (1313–1375), »die Florentiner Bürgerschaft auf verkehrteste Art in zwei Parteien geschieden, und dank der Anstalten eifriger und umsichtiger Führer war davon eine jede recht machtvoll, so dass einmal die eine, ein andermal die andere zum Missvergnügen der unterlegenen regierte.« In wechselnden Formationen kämpften die beiden Lager fast ununterbrochen gegeneinander, wobei die chronische Gewaltbereitschaft in krassem Gegensatz zur Vorstellung vom Gemeinwohl stand. Dieser Gegensatz spiegelte auch, wie der Schweizer Historiker Volker Reinhardt beschrieben hat, einen Konflikt zwischen der christlichen Ethik, die Gnade, Güte und Vergebung verlangte, und einem Ehrenkodex, nach dem jede Art von Schmach mit Blut abzuwaschen sei, wider. Es war eine Welt, in der Geistigkeit gepflegt wurde, aber Intrige und Brutalität herrschten. »Es ist bekannt«, notierte der Stadthistoriker Giovanni Villani (1280–1348) in seiner kanonischen Chronik um 1308, »dass die Florentiner immer im Krieg und untereinander zerstritten sind.«

Aber hinter allen politischen Auseinandersetzungen steckten immer wieder auch Familienfehden und dahinter pragmatische Interessen. In dieses Muster von Gewalt und Gegengewalt passte die Feindschaft zwischen Guelfen und Ghibellinen und bot eine Projektionsfläche für Streit aller Art. Überspitzt formuliert: Für jedwede Auseinandersetzung standen zwei Lager und deren beide Namen zur Verfügung. Die politisch-ideellen Verbindungen zu dem einen oder anderen Lager, stellte der Rechtsgelehrte Bartolo da Sassoferrato um 1350 fest, hatten sich gelöst und waren zu bloßen lokalen Parteinamen herabgesunken.

Wie in Florenz eine Familienfehde zum politischen Streit ausgeartet ist, erzählt Giovanni Villani. Es fing damit an, dass auf einem Bankett im Hause der vornehmen Familie Amidei um 1215 einer der Gäste, der junge Buondelmonte de’ Buondelmonti, einen der Gastgeber am Arm verletzte. Als Entschädigung für die Aufregung und die Entehrung beschlossen die beiden Familienräte, dass Buondelmonte eine Amidei heiraten und den Treueschwur öffentlich vortragen solle, und setzten ein dementsprechendes schriftliches Heiratsversprechen auf. Aber Buondelmonte ignorierte alle Vereinbarungen und bekundete, eine Frau aus der Familie Donati heiraten zu wollen. Die Amidei schworen Rache, und nach langen Debatten beschlossen sie, Buondelmonte umzubringen, lauerten ihm an seinem festgelegten Hochzeitstag auf und ermordeten ihn. Damit waren die Donati, deren Tochter sozusagen schon vor der Hochzeit verwitwet war, in den Konflikt hineingezogen, und der Buondelmonte-Mord begründete die Fehde zwischen den Amidei und den Donati. Die Amidei waren Ghibellinen, die Donati waren Guelfen – ihre private Familienfehde wurde auf den politischen Konflikt projiziert.

Die Zugehörigkeit der einzelnen Geschlechter zu einer der beiden Fraktionen – Guelfen oder Ghibellinen – war langlebig, denn Traditionsbewusstsein und Familienstolz geboten die Treue zur Position der Ahnen. Zwar gab es immer wieder Überläufer und auch Versuche, sich aus der Fehde herauszuhalten, aber die Gegner sorgten stets dafür, dass das familiäre Zugehörigkeitsgefühl sich durchsetzte.

»Aus diesen Parteiungen entstand so viel Mord, so viel Verbannung und so viel Ausrottung von Geschlechtern wie je in einer Stadt«, kommentierte Niccolò Machiavelli, ebenfalls Florentiner, zwei Jahrhunderte später die Lage in der Stadt. Und tatsächlich kam Florenz im 13. Jahrhundert nie zur Ruhe, denn jede Auseinandersetzung zwischen Familien, Nachbarn, Geschäftspartnern wurde mit Gewalt ausgetragen. Auch deshalb richteten sich die Stadtpatrizier in regelrechten kleinen Festungen ein, sogenannten Geschlechtertürmen, die innerhalb der Stadtmauern in Gruppen angeordnet waren. Etwa 150 solcher Geschlechtertürme gab es in Florenz, und einige davon waren 70 Meter hoch – gewissermaßen die ersten Wolkenkratzer der Architekturgeschichte! Die Höhe der Geschlechtertürme war für ihre Eigentümer nicht nur eine Sicherheits-, sondern auch eine Prestigefrage. Aber die Wohnräume darin waren eng und dunkel und ungemütlich. Noch ungemütlicher wohnten allerdings die kleinen Leute, deren Häuser sich in den engen Gassen zwischen den Geschlechtertürmen drängten.

Und da die Zerstörung der gegnerischen Häuser zum Kampf gehörte, prägten ständige Baustellen das Stadtbild von Florenz. Als 1260 die florentinischen Guelfen gegen die sienesischen Ghibellinen zogen, zerstörten die Guelfen schon vor der Schlacht die Türme der Ghibellinen; und als die Ghibellinen die Schlacht gewannen und die Macht in Florenz übernahmen, schafften sie nicht nur die bürgerlichen Freiheiten ab, sondern zerstörten ihrerseits die Häuser und Türme der Guelfen in der Stadt und auf dem Land.

Aber es dauerte nicht lange, da wurden die Ghibellinen wieder aus Florenz vertrieben, und ab etwa 1267 setzten die Guelfen sich durch. Ghibellinisches Eigentum wurde größtenteils konfisziert und eine Kommission zu seiner Verwaltung eingesetzt; zwei verschieden große Verwaltungsgremien wurden geschaffen und dem Vertreter des Kaisers beigesellt. Und in der Hoffnung, neuen Auseinandersetzungen vorzubeugen, wurde die frühere Praxis wieder eingeführt, sowohl den obersten Statthalter als auch den Befehlshaber der Bürgermiliz von außerhalb der Stadt zu holen. Diese getrennten Ämter stellten eine frühe Form der Gewaltenteilung dar, die auf die innerstädtischen Auseinandersetzungen deeskalierend wirken sollte. Um 1282 wurde darüber hinaus eine Art Stadtrat geschaffen, das Priorat, in dem die Zünfte, also das wohlhabende Bürgertum, vertreten waren und dessen Mitgliederzahl in den folgenden Jahren von zuerst zwei auf zuletzt zwölf erhöht wurde, um der wachsenden Bedeutung von Handel und Handwerk Rechnung zu tragen.

Diese Zünfte waren Handelsorganisationen mit eigenen Statuten und Räten und mit einer Miliz. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass sich Florenz trotz der bürgerkriegsähnlichen Instabilität zu einem Zentrum der Textil- und Finanzwirtschaft entwickeln konnte. Woll- und Tuchverarbeitung, aber auch Metall- und Goldschmiedekunst erfuhren einen enormen Aufschwung, und der Handel trieb seinerseits die Geldwirtschaft an. 1252 setzte sich die Stadt über das kaiserliche Privileg der Münzprägung hinweg und gab den Florin, eine Goldmünze mit der Florentiner Lilie auf der einen und dem Bild des Stadtpatrons Johannes des Täufers auf der anderen Seite, heraus, der bald zur gefragtesten Währung in ganz Europa wurde – und der die Grundlage für die Monetarisierung der europäischen Gesellschaft schuf. Die Florentiner Banken waren in ganz Europa vernetzt und hatten Kapitalreserven, mit denen sie andere Städte und ihre Oberhäupter unterstützen konnten. Dank eines regen Zuzugs vom Lande wuchs die Bevölkerung auf 100 000 Einwohner und machte Florenz zur fünftgrößten Stadt Europas (nach Paris, Venedig, Mailand und Neapel).

So musste die Stadt expandieren. Waren schon im 12. Jahrhundert Vorstädte entstanden, die durch eine Mauer in das geschützte Stadtgebiet einbezogen worden waren, so dehnte sich im 13. Jahrhundert das Stadtgebiet weiter aus – und zunächst schützte keine Mauer die neuen Ansiedlungen. Erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde mit dem Bau einer Schutzmauer begonnen, deren Verlauf auf dem rechten Arno-Ufer an den baumgesäumten Alleen bis heute zu erkennen und auf dem linken Arno-Ufer teilweise sogar noch erhalten ist. Florenz war, schrieb Boccaccio, »edler unter den anderen Städten Italiens«.

Es war die Stadt »eines neuen Reichtums und eines ungezügelten Luxus«, schrieb der Florentiner Historiker Franco Cardini in seiner Kurzen Geschichte von Florenz 2007; es war der Ort, an dem »die überwältigende Macht des Geldes entdeckt wurde«. Der Wohlstand wurde in gewaltigen Bauvorhaben sichtbar, die bis heute das Bild der Stadt prägen. Zwischen 1255 und 1261 wurden der festungsähnliche Palazzo del Bargello als Sitz des kaiserlichen Statthalters und ab 1299 der Palazzo Vecchio als Sitz der Stadtregierung gebaut, und in derselben Zeit wurden die Grundsteine für den Dom und die großen Ordenskirchen Santa Maria Novella und Santa Croce gelegt; 1252 wurde der Ponte Santa Trinita, die neuartige und elegante Bogenkonstruktion (von der deutschen Wehrmacht auf dem Rückzug 1944 völlig zerstört und Ende der fünfziger Jahre stilecht wiederaufgebaut), errichtet; und ab 1289 führten imposante Stadtresidenzen wie der Palazzo Spini oder die Torre dei Peruzzi die neue Macht und den neuen Wohlstand der florentinischen Oberschicht vor. Zugleich sollte eine Baubehörde für die Einrichtung und Verbreiterung von Durchgangsstraßen sorgen und die Verschönerung der Kirchenvorplätze und die Einrichtung von Parks veranlassen.

Die Florentiner galten, so der Literaturwissenschaftler Fritz R. Glunk, als tüchtig und gebildet, und tatsächlich erlebte die Stadt auch kulturell eine Blütezeit. Das Battistero San Giovanni, die Taufkirche, wurde durch aufwendige Mosaiken verschönert, die die Zunft der Mercatanti ab 1271 in Auftrag gab und beaufsichtigte. Cimabue (1240–1302) schuf die Mosaiken, die in ganz Europa berühmt wurden; zugleich brach er mit der bis dahin üblichen christlichen Symbolik in der Malerei und schuf dreidimensionale, realitätsnahe Abbildungen des menschlichen Körpers. Cimabue und nach ihm Giotto di Bondone (1266–1337) trugen dazu bei, dass das Mosaik durch das Fresko verdrängt und zur bevorzugten monumentalen Gattung der Renaissance in der bildenden Kunst wurde.

Und in der Literatur wurde Florenz zum Mittelpunkt einer lyrischen Bewegung, die die Liebesthematik der höfischen Lyrik, die formalen Neuerungen der Sizilianischen Schule am Hof Friedrichs II. und Einflüsse der normannischen und der griechischen Dichtung miteinander verwob und deren Mitglieder sich »fedeli d’amore«, Vertraute Amors, nannten. Florentiner Dichter wie Guido Cavalcanti (um 1255–1300), Dino Frescobaldi (um 1271 – um 1316) und Cino da Pistoia (1270–1336) besangen die Liebe als göttliche Kraft und nutzten – und erfanden – einen Komplex von Metaphern, um die Schönheit der geliebten Frau und ihre Wirkung auf den Liebenden zu beschreiben. Dabei ging es nicht um psychologisch-realistische Einfühlung, sondern um Stilisierung der Liebes- und Verliebtheitsgefühle und um eine Überhöhung der Geliebten zum engelhaften, überirdischen Wesen. Die Geliebte musste keineswegs adligen Geschlechts sein – die Liebe adelte sie!

Indem dieser »dolce stil nuovo«, der »süße neue Stil« edle Gesinnung als eine Art Herzensadel feierte, ebnete er den Weg für den beginnenden Humanismus der Renaissance und förderte implizit die Emanzipation des aufstrebenden Bürgertums der Stadtrepublik. Der Ausdruck selbst, »dolce stil nuovo«, stammte von Dante Alighieri, der ihr berühmtester Vertreter wurde.

 
Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»