Skriptorium

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Stephanie Hauschild

Skriptorium

Die mittelalterliche

Buchwerkstatt

Impressum

Abbildungsnachweis

akg-images: S. 55, 90; Bibliothèque nationale de France: S. 89; Bpk Berlin: S. 54; Te Board of the Trinity College Dublin: S. 113; The Bridgeman Art Library: S. 93; British Library, London: S. 110; Foto Marburg: S. 23, 50, 85; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (Fotoarchiv): S. 94; Hessisches Landesmuseum, Darmstadt (Foto: Wolfgang Fuhrmannek): S. 84; Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Darmstadt: S. 91, 106; Historisches Archiv der Stadt Köln: S. 68; Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Kupferstichkabinett: S. 134f.; National Museum of Ireland, Dublin: Abb. S. 109, 125; picture alliance: S. 56 oben, S. 95 unten; Rheinisches Bildarchiv, Museum Schnütgen, Köln: S. 96; Royal Irish Academy, Dublin: S. 120; Staatsbibliothek Bamberg (Foto: Gerald Raab): S. 92; Staats- und Universitätsbibliothek Bremen: S. 53; ullstein bild: S. 95 oben; Universitätsbibliothek Heidelberg: S. 19; WBG-Archiv: S. 8, 21, 25, 33, 38, 49, 51, 52, 56 unten, 64, 65, 77

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Redaktion: Kristine Althöhn, Mainz

Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach

Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

Umschlagbild: Vincent Beauvais, Miroir historial, traduit par Jean de Vignay, Paris, BnF, MS 5080, fol. 1. Foto: Bibliothèque nationale de France. Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-25525-2

Die Buchhandelsausgabe erscheint im Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz

Umschlaggestaltung: Katja Holst, Frankfurt am Main

Umschlagbild: Skriptorium, Schule von Segovia (Öl auf Leinwand), Spanische Schule,

16. Jh./Museo Lazaro Galdiano, Madrid, Spain/The Bridgeman Art Library

ISBN 978-3-8053-4606-1

eBook (PDF): 978-3-534-73281-4 (für Mitglieder der WBG)

eBook (epub): 978-3-534-73282-1 (für Mitglieder der WBG)

eBook (PDF): 978-3-8053-4696-3

eBook (epub): 978-3-8053-4697-9

Menü

Buch lesen

Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Impressum

Inhalt

Eine griechische Handschrift

Viele Fragen

Welches Mittelalter?

Eine sehr kurze Vorgeschichte des Buches

Gebetbuch und Palimpsest

Schriftrollen

Von der Buchrolle zum Kodex

Bilder

In der Werkstatt. Das Skriptorium und seine Mitarbeiter

Skriptorien in der Spätantike

Im Kloster

In der Stadt

Eine Autorin und ein Maler

Die Ausstattung des Skriptoriums

Zubehör für Schreiber und Maler

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

Tafelmaler

Der lange Weg zum Buch

Pergament

Palimpsest

Planung und Layout

Vom Abschreiben und Neuschreiben

Tinte und Schrift

Vorzeichnen

Gold und Silber

Farben

Kopien und Vorbilder

Bindung und Buchdeckel

Büchertaschen und Beutelbücher

Verwendung, Auftraggeber und Verkauf

Heilige und magische Bücher

pocket gospels

cumdach

Evangeliar, Psalter und Gesangbuch in der Kirche

Gebetbücher

Bestseller auf Papier

Apokalypse

Literatur

Ausstellungskataloge

Websites

Personenregister

Eine griechische Handschrift

Am 13. April 1229 schrieb der Mönch Johannes Myronas in einem Kloster in Jerusalem seinen Namen auf die letzte Seite eines Manuskripts und betrachtete sein Werk. Er hatte Gebete für ein euchologion, ein Gebetbuch in griechischer Sprache und Schrift in dunkelbrauner Tinte auf 174 Pergamentblätter geschrieben. Um die einzelnen Gebete leichter aufzufinden, hatte man die Textanfänge mit großen, farbigen Anfangsbuchstaben, den Initialen geschmückt. Die Pergamentseiten waren nicht besonders groß. Das fertig gebundene Buch würde sich bequem in einer Hand halten lassen. Der Mönch hatte für sein Vorhaben kein neues Pergament gewählt, sondern einen Stapel alter, bereits benutzter Blätter. Aus Tierhaut hergestelltes Pergament war teuer und wurde deswegen häufig wieder verwendet. Sehr wahrscheinlich war das euchologion für den Gebrauch der Mönche im Kloster gedacht, für die gemeinschaftlichen Andachten in der Kirche oder für das Gebet in der Zelle. Für eine Auftragsarbeit oder für ein Geschenk an eine Person außerhalb des Klosters hätten die Mönche gewiss besseres Pergament verwendet und vielleicht auch mehr Arbeit in den Schmuck des Buches investiert.

Viele Fragen

So, oder doch zumindest ganz ähnlich kann man sich vielleicht Herstellung und Verwendung eines Buches im Mittelalter vorstellen. Produziert wurden die Manuskripte im sogenannten Skriptorium. Betrachtet man Bilder und historische Fakten aber etwas genauer, so wird deutlich, dass der Begriff Skriptorium viel mehr umfasst als die bloße Bezeichnung für die Schreibstube eines Klosters. So kann der Begriff verschiedene Orte meinen, wie den Kreuzgang oder ein zum Schreiben und Malen ausgestattetes Zimmer im Konvent, aber auch die nach kommerziellen Gesichtspunkten betriebene Werkstatt in einer Stadt oder das Privathaus einer Autorin, denn an all diesen Orten wurden Bücher geschrieben. Ebenso lassen sich unter Skriptorium alle Arbeitsvorgänge der Buchproduktion zusammenfassen. Zum Begriff Skriptorium gehören zudem die am Arbeitsprozess beteiligten Personen, die nicht notwendigerweise am selben Ort arbeiteten oder gar ein festes Team bilden mussten. So spricht man etwa vom Skriptorium von Echternach oder vom Skriptorium des Klosters Seeon, wenn es darum geht, Handschriften nach ihrer Herkunft und stilistischen Kriterien zu ordnen.

 

Mittelalterliches Gebetbuch und mathematische Abhandlung. Aufgeschlagene Doppelseite des von Johannes Myronas geschriebenen Euchologion, Archimedes Palimpsest, 10. und 13. Jahrhundert, Privatbesitz

Doch wie sah solch ein Skriptorium eigentlich aus? Wo befanden sich die Werkstatträume? Welche Arbeiten wurden überhaupt im Skriptorium verrichtet? Welche Materialien und Werkzeuge brauchte man, um ein Buch im Mittelalter herzustellen? Haben Schreiber wie Myronas alles selbst gemacht, oder waren noch andere Personen beteiligt? Wer malte die Initialen aus? Wer entwarf das Layout? Farben, Pergament, Einbände – wo kamen die Rohmaterialien her und wer verarbeitete sie? Schrieben und malten auch Nonnen Bücher? Wo wurden mittelalterliche Bücher außerhalb des Klosters hergestellt? Dies sind einige der Fragen, die in diesem Buch beantwortet werden sollen. Im Mittelpunkt steht die Herstellung bemalter oder „illuminierter“ Handschriften im mittelalterlichen Europa.

Weil Handschriften zumeist nicht ständig dem Publikum ausgesetzt waren, haben sie die Jahrhunderte im Unterschied zu vielen Altarbildern oder Textilien aus derselben Epoche häufig besser überstanden. Licht, neugierige Hände, Staub und Schmutz setzten ihnen weniger zu. Um diesen Zustand zu erhalten, holt man Handschriften heute meist nur für kurze Zeit für Sonderausstellungen aus der Bibliothek oder aus dem Tresor. In der Ausstellung sind sie dann für einige Wochen bei gedimmtem Licht und hinter Glas zu bestaunen. Hat man Glück, wird im Verlauf der Ausstellung umgeblättert, sodass man mehr als nur zwei aufgeschlagene Seiten betrachten kann. Aber nur in seltenen Fällen hat man die Möglichkeit, das gesamte Buch mit seinem Einband zu studieren. Ist der ursprüngliche Buchdeckel noch erhalten und dazu noch mit Gold, Edelsteinen und Elfenbein verziert, werden Deckel und Handschrift im Museum häufig in verschiedenen Abteilungen gehütet und gezeigt, wenn sie nicht sogar in verschiedenen Museen aufbewahrt werden. Dann findet man das Manuskript im Graphischen Kabinett oder in der Bibliothek und den geschmückten Buchdeckel in der Sammlung mit der mittelalterlichen Schatzkunst. So ist es nicht ganz einfach, sich das ganze Buch mit all seinen Eigenheiten zu vergegenwärtigen. Im Museum werden die Handschriften selbstverständlich auf besonders schönen Seiten aufgeschlagen. Die Bücher werden dort wie Bilder präsentiert, weil man die Seiten so am besten betrachten kann und die Bücher auf diese Weise am wenigsten beschädigt werden. Dass die Handschriften auch ganz praktische Funktionen erfüllten und viel genutzte Gegenstände gewesen sind, kann bei dieser Präsentation, die ganz auf die Schauwerte der Objekte ausgerichtet ist, meist nicht herausgestellt werden.

Tatsächlich aber haben die allermeisten mittelalterlichen Handschriften nur eine oder zwei Zierseiten oder besonders schöne Initialen. Manchmal wechselt die Handschrift des Textes, was darauf hinweisen kann, dass mehrere Schreiber an einem Buch gearbeitet haben oder später noch Kapitel hinzugefügt wurden. Gelegentlich wurden sogar mehrere verschiedene Manuskripte zu einem Buch zusammengebunden. Nicht alle Miniaturen (Buchmalereien) wurden auch fertiggestellt, einige Seiten sind vielleicht sogar ganz leer geblieben. Häufig nimmt gegen Ende die künstlerische und handwerkliche Sorgfalt ab. Ganz am Schluss sind manchmal noch Kritzeleien und handschriftliche Vermerke zu entdecken. Solche Details verraten den Forschern viel über die Hersteller der Bücher, über ihre Verwendung und ihre Leser und sie erzählen einiges über das Alltags- und Handwerkerleben im Mittelalter. Doch für eine Ausstellung sind solche Details meist nicht attraktiv genug. Diese Seiten werden daher in der Regel nicht präsentiert.

In den letzten Jahren wurden in Ausstellungen neben den berühmten Handschriften auch weniger bekannte Stücke einem großen Publikum zugänglich gemacht. Von vielen bekannten Büchern gibt es inzwischen hervorragende Reproduktionen, sogenannte Faksimiles. Auch die fortschreitende Digitalisierung und die Bereitstellung der Abbildungen und Forschungsergebnisse im Internet tragen dazu bei, die verborgenen Schätze der mittelalterlichen Buchkunst vielen Menschen näherzubringen. Die Schönheit der Bücher und die selbst für Betrachter ohne spezielles Fachwissen deutlich zutage tretende Kunstfertigkeit der Maler, Schreiber und Buchbinder ermöglicht einen faszinierenden Einblick in die fremde Kultur des Mittelalters. So ist der Zugang zur mittelalterlichen Buchkunst über Abbildungen und Reproduktionen praktisch und angenehm, um die Handschriften in Ruhe anzuschauen und zu vergleichen, die ja sonst weit verstreut an entlegenen Orten aufbewahrt werden und – im Unterschied zu vielen berühmten Gemälden – nur selten ständig für die breite öffentlichkeit zugänglich sind. Um besonders kostbare Originale in den Bibliotheken zu schonen, werden inzwischen selbst Wissenschaftler zunächst auf die Reproduktionen verwiesen.

Doch eine Reproduktion kann die Betrachtung der Originale nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Wohl lässt sich im Ausstellungsraum immer nur ein kleiner Teil des Buches betrachten. Das Licht ist gedämpft, eine Glasscheibe hält den Betrachter auf Distanz und behindert ein intensives Studium der Details, vor allem wenn es sich um kleine Bücher handelt. Andere Besucher möchten die ausgestellten Handschriften natürlich ebenfalls anschauen, sodass nicht immer ein ausgiebiges und ungestörtes Schwelgen möglich ist. Doch ganz unabhängig davon, wie gut Reproduktionen der Handschriften auch gemacht sind, so können sie doch immer nur einen unvollständigen Eindruck des Originals geben. Das hat weniger mit der vermeintlichen Aura des Kunstwerks zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass sich einige Fragen nur am Kunstwerk selbst beantworten lassen. Die Frage „Wie wurden die Bücher gemacht?“ gehört auf jeden Fall dazu. Da man die Hersteller ja nicht mehr fragen kann, muss das Objekt „sprechen“: Größe, Farben, Form, Gestaltung der Oberfläche, das Zusammenspiel der verwendeten Materialien, Spuren von Herstellern und Benutzern geben Hinweise auf Herstellung und Gebrauch. Die Möglichkeit, die Handschrift von allen Seiten anzuschauen und die Details zu erforschen, bietet nur das Original. Keine Abbildung, keine Beschreibung, kein noch so gut gemachtes Vollfaksimile kann dies alles leisten oder gar das Original ersetzen. Ähnlich einem Kriminalisten, der die Begleitumstände einer rätselhaften Tat erforscht und darauf angewiesen ist, den Tatort und die dort gefundenen Objekte selbst in Augenschein zu nehmen, zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, ist auch für Betrachter der mittelalterlichen Handschriften der Kontakt mit den Originalen wichtig. Möglich ist die Begegnung nur im Museum, in der Bibliothek oder im Ausstellungsraum.

Das vorliegende Buch soll den an mittelalterlichen Handschriften interessierten Lesern eine kleine Hilfestellung an die Hand geben, solche Bücher in der Ausstellung besser zu verstehen und zu einem eigenen Urteil zu finden. Denn es trägt sehr zum Verständnis jeder Art von Kunst und damit auch von mittelalterlichen Handschriften bei, wenn man sich einmal klar macht, auf welche Weise und aus welchen Materialien die Kunstwerke hergestellt wurden. Denn sie gleichen ja nur auf den ersten Blick unseren heutigen zu Hunderttausenden reproduzierten gleichförmigen Büchern aus Pappe, Papier, Druckerfarbe, Textilien und Kunststoff. Bücher im Mittelalter bestanden aus völlig anderen Ausgangsstoffen, fühlen sich anders an und riechen sogar anders. Zumindest in der ersten Hälfte des Mittelalters wurden sie auch anders aufbewahrt, benutzt und behandelt, als wir das mit unseren heutigen Büchern tun.

Am Beispiel von einigen berühmten und einigen weniger bekannten Handschriften werden im Folgenden mittelalterliche Bücher im Hinblick auf ihre Herstellung und Benutzung untersucht und besprochen. Ausgangspunkt ist die Frage: Was kann man überhaupt sehen, wenn man eine mittelalterliche Handschrift vor sich hat, und was ist wichtig, um eine Handschrift genauer zu verstehen? Denn häufig bleibt der Blick bei der Betrachtung eines Kunstwerks an der Oberfläche, weil man nicht recht weiß, wohin man schauen soll und wie das Gesehene einzuordnen ist. Der Ansatz, der in diesem Buch vermittelt werden soll, beschäftigt sich daher mit denjenigen Merkmalen, die beim Betrachten einer Handschrift sofort ins Auges springen, etwa Format und Größe, das Pergament, Gold und das wunderschöne Blau, das so viele Miniaturen auszeichnet, oder die beinahe unsichtbaren Linien für die Schriftzeilen. Dieses Buch soll dazu beitragen, die viele Hundert Jahre alten Kunstwerke in Ausstellungen und Museen mit neugierigen Augen zu betrachten und den Blick zu schärfen für die Besonderheiten eines typisch mittelalterlichen Gebrauchsgegenstandes, der manchmal auch ein Kunstwerk sein kann.

Doch was verstehen Historiker eigentlich unter dem Begriff Mittelalter?

Welches Mittelalter?

Das Mittelalter ist für Historiker die Zeitspanne, die vom Ende der Antike im 6. Jahrhundert ungefähr bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts andauerte, als Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Zumeist wird „das Mittelalter“ im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Forschung auf die christlich geprägte Kultur und Geschichte Europas bezogen, und so wird der Begriff Mittelalter auch in diesem Buch aufgefasst. Besprochen werden europäische Handschriften, die im weitesten Sinne dem christlichen Kontext zuzuordnen sind. Selbstverständlich entstanden auch im jüdischen und islamischen Kulturkreis in dieser Zeit wunderbare Bücher. Die Beschäftigung mit ihren Besonderheiten würde aber über den Rahmen dieses auf einen Überblick angelegten Buches weit hinausgehen.

Der Zeitraum, der in diesem Buch besprochen werden soll, umfasst über 1000 Jahre. Wir beginnen mit dem Wechsel vom Gebrauch der Buchrolle zu dem bis heute benutzten Blätterbuch, dem sogenannten Kodex gegen Ende der Antike. In den folgenden Jahrhunderten wurden Bücher in Konstantinopel, auf den fernen schottischen und irischen Inseln, in Sizilien, in Paris, Rom, Jerusalem, Köln oder in den klösterlichen Einöden von Spanien, Südfrankreich bis Osteuropa produziert und verwendet. Gelesen, gesammelt und bestellt wurden sie von Mönchen und Nonnen, von Studenten der Universität, belesenen Damen, Gelehrten, Kaisern und Königinnen, von Adeligen oder Kaufleuten, Priestern und Bischöfen, Äbtissinen und dem Papst. All diese Benutzer und Benutzerinnen mit ihren unterschiedlichen Ansprüchen an Aussehen und Inhalt der Bücher prägten die Gestalt und Form der mittelalterlichen Handschriften entscheidend mit. In diesem Buch werden daher nicht allein Herkunft, Vorbereitung und Verwendung der Materialien, Werkzeuge und Hilfsmittel, das Schreiben und Malen bis hin zur Bindung des fertigen Buches untersucht. Denn dieser Teil der Buchherstellung ist im gesamten Mittelalter erstaunlicherweise weitgehend gleich geblieben. Stetigem Wandel unterworfen waren hingegen Arbeitsbedingungen, Berufsbild und Rollenverständnis der Buchhersteller und deren Arbeitsorte. Ebenso wandelten sich die Funktion der Bücher, ihr Gebrauch und die Bedürfnisse der Leser im Verlauf der Jahrhunderte. Das hatte wiederum Auswirkung auf die Arbeit im Skriptorium und das Aussehen der Manuskripte. Diese Veränderungen sollen ebenso zur Sprache kommen.

Nach einem Überblick über die Vorgeschichte des Buches von der Buchrolle zum Kodex wird zunächst die Frage beantwortet, wo man Skriptorien eingerichtet hat, wie sie ausgestattet waren und wer neben den Schreibern dort noch gearbeitet hat. Danach geht es um die einzelnen Arbeitsschritte auf dem langen Weg zum fertigen Buch. Besprochen werden die nötigen Ausgangsmaterialien wie Pergament, Farben, Tinten, die Arbeitsaufteilung, die Planung und das Programm der Bücher. Es geht um Schreiben, Schrift, Schreibgeräte und Tinten, Farben, Pinsel, die Kunst der Miniaturenmalerei, die Bindung und die manchmal sehr kostbaren Buchdeckel. Das letzte Kapitel schließlich ist den Lesern, Auftraggebern und dem Verkauf der Bücher gewidmet, die nicht allein Angelegenheit der Klöster gewesen ist. Aber wer konnte im Mittelalter eigentlich lesen? Wer konnte sich die teuren Bücher leisten? Wie kamen die Klosterwerkstätten mit der weltlichen Konkurrenz zurecht? Und schließlich: Was ändert sich für Buchhersteller und Leser mit der Erfindung des Buchdrucks?

 

Doch bevor wir nach Antworten auf all die angesprochenen Fragen suchen, kehren wir noch einmal zurück zu dem Mönch Johannes Myronas, der im 13. Jahrhundert in Jerusalem ein kleines Gebetbuch geschrieben hat.

Eine sehr kurze
Vorgeschichte des Buches
Gebetbuch und Palimpsest

Von der Arbeit des Mönches Johannes Myronas wissen wir heute nur deswegen, weil sein Werk durch besondere Umstände erhalten geblieben ist. Das ist nicht selbstverständlich. Denn Myronas’ euchologion ist keine Prachthandschrift wie etwa das Book of Kells, das seit jeher als besondere Kostbarkeit verehrt und gehütet wird (siehe Farbabb. S. 49). Im Gegenteil: Myronas Gebetbuch ist unscheinbar, klein und wurde auf gebrauchtem, löchrigem Pergament geschrieben. Es ist nur sparsam ausgeschmückt und dazu noch schlecht erhalten. Es handelt sich um eine jener Gebrauchshandschriften, die ihres Alters und ihrer Herkunft wegen kostbar sind und die zu Forschungszwecken gesammelt und geschätzt werden. In der Schausammlung eines Museums oder einer Bibliothek werden solche Handschriften aber nur selten ausgestellt, weil sie nicht besonders ansehnlich sind. Nur wenige Spezialisten dürften beim Anblick eines derartigen Buches wirklich Begeisterung empfinden. Das muss auch den ehemaligen Besitzern des euchologions bewusst gewesen sein, die das Buch mit gefälschten Miniaturen ausstatten ließen, um es für den Verkauf attraktiver zu machen. Auf einer Auktion in New York Ende der 90er-Jahre wurde die Handschrift für 2 Millionen Dollar verkauft. Der unbekannte Käufer behielt das Buch nicht für sich, sondern deponierte es in dem für seine mittelalterliche Handschriftensammlung berühmten Walters Museum of Art in Baltimore. Aber nicht Myronas’ Gebete mit den bescheidenen Verzierungen oder die plumpen Fälschungen waren es, die den Besitzer und die Fachleute des Museums zum Staunen brachten, sondern der abgeschabte, in Griechisch geschriebene Text des alten Pergaments, der zwischen den von Myronas beschriebenen Zeilen durchschimmerte und auf einigen Seiten sogar Diagramme erahnen ließ. Solche abgeschabten Pergamente, auf denen der alte Text noch bruchstückhaft lesbar ist, nennen Fachleute Palimpsest. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und lässt sich am besten mit „wieder abgeschabt“ übersetzen. Neugierig geworden und von bestimmten Vermutungen geleitet, begann man im Museum mit Untersuchungen, um die nahezu unsichtbare Schrift wieder lesbar zu machen. Es stellte sich heraus, dass das Gebetbuch bisher völlig unbekannte Abhandlungen des Mathematikers Archimedes und des Redners Hyperides enthielt und dazu noch weitere Texte aus der Zeit der griechischen Antike. Die Entdeckung solcher vollkommen neuer, unbekannter Texte war eine wissenschaftliche Sensation und eine außerordentlich glückliche Gelegenheit für die Wissenschaft. Tatsächlich schöpfen wir unser heutiges Wissen über die Literatur der Griechen und Römer zu einem nicht geringen Teil aus solchen Palimpsest-Funden. Denn in vielen mittelalterlichen Skriptorien wurden die Pergamentblätter von älteren, nicht mehr gebrauchten Handschriften wieder verwendet.

Doch wie kamen die mathematischen Abhandlungen und Reden aus dem vorchristlichen Griechenland überhaupt in Myronas’ Gebetbuch? Die Schriftenanalyse der abgeschabten Texte zeigte, dass die Palimpseste in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in der Hauptstadt des byzantinischen Reiches, in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) kopiert worden waren. Im Unterschied zu Rom und den anderen Städten des Altertums hatte Konstantinopel ohne Kriege und Zerstörungen das Mittelalter erreicht. Noch im 9. und 10. Jahrhundert wurden dort die kulturellen Errungenschaften der vorchristlichen Vergangenheit gepflegt und die alten Texte weiterhin abgeschrieben und gesammelt. Dem besonderen geistigen Klima um den Kaiserpalast als kulturellem Zentrum ist es zu verdanken, dass auch Archimedes’ und Hyperides’ Schriften weiterhin geschätzt wurden.

Die Zeit kultureller Entfaltung in Konstantinopel endete im Jahr 1204, als Kreuzfahrer die reichste Stadt Europas plünderten und zerstörten und damit auch viele Bibliotheken mit dem darin angesammelten Wissen. In den auf den Überfall folgenden unruhigen Jahrzehnten wurden die meisten Bibliotheken nicht wieder aufgebaut. Stattdessen verwertete man die übrig gebliebenen Bücher mit antiken Texten, indem man die herausgetrennten Pergamentseiten zu neuen Büchern recycelte. Doch nicht allein in Konstantinopel ging man aus heutiger Sicht so unglaublich respektlos mit den alten Schriften um. Im westlichen Europa ist die Abtei von Bobbio in Oberitalien für ihre Palimpsest-Handschriften berühmt geworden. Auch dort schrieb man neue Bücher auf alte Pergamente. Wie im Falle von Myronas’ Gebetbuch sind auch in der Bibliothek von Bobbio die manchmal nur noch in Spuren feststellbaren Texte für uns heute wichtiger und interessanter als die darübergelegte jüngere Schrift.

Myronas schrieb sein Gebetbuch jedoch nicht in Konstantinopel, sondern in Jerusalem. Das wissen wir, weil seine Gebetstexte der Liturgie der Kirche von Jerusalem folgen. Vom Zeitpunkt seiner Fertigstellung im April 1229 haben die Schriften von Hyperides und Archimedes eingeschlossen in ein klösterliches Gebetbuch die Zeiten überdauert. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Handschrift in einem orthodoxen Kloster in Palästina gehütet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörte sie zum Bibliotheksbestand des griechischen Patriarchen. Irgendwann kam das Buch zurück nach Konstantinopel und wurde dort in einer dem Patriarchat zugehörigen Klosterbibliothek aufbewahrt. Von der Klosterbibliothek wanderte es schließlich auf ungeklärten Wegen in eine französische Privatsammlung und später in die Auktion zu seinem heutigen Besitzer und dem Baltimore Museum of Art. Dort wurde die Handschrift 2011 erstmals in einer Ausstellung einem großen Publikum vorgestellt.

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