Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag

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Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag
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Susanne Brandt

Das letzte Echo des Krieges

Der Versailler Vertrag

Reclam

Für Béla und Kuddel, die über lange Zeit nur meinen Hinterkopf gesehen haben. Ich hoffe, das Ergebnis ist es wert.

2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Umschlagabbildung: akg-images / TT News Agency / SVT

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961416-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011182-6

www.reclam.de

Inhalt

  Das letzte Echo des Krieges

  Der totale Krieg und sein Ende

  Die Friedenskonferenz beginnt

  Die deutsche Friedensstrategie

  Die deutsche Delegation in Paris

  Der Vertrag

  Erfüllung, Ablehnung und Revision

  Kritische Stimmen

  Quellentexte

  Friedensbotschaft des Präsidenten Wilson ...

  Zeittafel

  Literaturhinweise

  Ortsregister

  Personenregister

Das letzte Echo des Krieges

Wie kann man nach einem langen, blutigen, mit allen Mitteln geführten Krieg zum Frieden übergehen? Der Erste Weltkrieg war durch äußerste Brutalität geprägt gewesen. Alle Ressourcen wurden in den Dienst der Kriegführung gestellt, Regierungen verschuldeten sich bei anderen Staaten und ihren Bürgern. Die Politik nahm Einfluss auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Das Militär übte Druck aus auf die Politik. Zivilisten und Soldaten wurden mobilisiert, um weiterzukämpfen, Opfer hinzunehmen, den Krieg zu finanzieren und vor allem: daran zu glauben, dass sie für eine gerechte Sache kämpften. Wenn die eigene Seite im Recht ist, so die einfache Logik, muss die andere Seite im Unrecht und schuldig sein. Die Propagandastäbe in allen Staaten verteufelten den Gegner und hämmerten den Lesern wie den Kinobesuchern, den Schulkindern, Fabrikarbeitern sowie den Kirchgängern ein, dass es in diesem Kampf um zentrale Werte wie Demokratie, Freiheit und Sicherheit, ja um das Fortbestehen der eigenen Nation gehe.

Außerdem hatten die Regierenden ihren Bürgern bzw. Untertanen Versprechungen gemacht für den Fall eines Sieges: Alle Opfer sollten belohnt werden, sei es durch politische Reformen oder eine bessere und geeinte Gesellschaft. Auch materielle Werte wurden in Aussicht gestellt, etwa Zinsen auf Anleihen oder zumindest finanzielle Wiedergutmachung für Witwen, Waisen und Versehrte. Den Bündnispartnern kündigte man ebenfalls Belohnungen an. FrankreichFrankreich, GroßbritannienGroßbritannien und RusslandRussland rangen 1915 beispielsweise um die Unterstützung des neutralen ItaliensItalien, das vor dem Kriegsausbruch Bündnispartner der Mittelmächte gewesen war. Sie versprachen dem italienischen Außenminister SonninoSonnino, Sidney Gebiete, die zu Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn gehörten. Als SonninoSonnino, Sidney nach dem Krieg in ParisParis seine Belohnung einforderte, entbrannte ein heftiger Streit, weil der amerikanische Präsident WilsonWilson, Woodrow solche geheimen Absprachen ablehnte.

Ein brutaler Krieg, hohe Opferzahlen, durch Propaganda geschürter Hass, aber auch große Versprechen, hehre Ideale und unterschiedliche Ziele: Unter diesen komplizierten Ausgangsbedingungen trafen nach mehr als vier Jahren des Kampfes Sieger und Besiegte zusammen, um zunächst im November 1918 Waffenstillstandsvereinbarungen zu unterzeichnen und später, im Jahr 1919 in ParisParis, den Friedensvertrag auszuhandeln. Doch nicht nur das Erbe des rücksichtslos geführten Krieges, auch aktuelle Ereignisse beeinflussten den Friedensprozess. Die kriegsmüden Menschen in der Heimat setzten die von ihnen gewählten Politiker unter Druck, möglichst schnell den Übergang zum Frieden zu vollziehen. Die Erwartungen waren enorm, denn Not, Hunger und Angst sollten schnell der Vergangenheit angehören. Politiker wie der britische First Lord of the Admiralty Eric GeddesGeddes, Eric versprachen im Wahlkampf im Dezember 1918 selbstbewusst, man werde die besiegten Deutschen ausquetschen wie eine Zitrone.1 Steuererhöhungen zur Bewältigung der Kriegskosten sollte es für die eigenen Bürger nach Möglichkeit nicht geben. Damit schränkte der Premierminister David Lloyd GeorgeLloyd George, David jedoch seinen Handlungsspielraum massiv ein: Viele Kompromisse waren für ihn in ParisParis nicht mehr möglich, weil er an sein Wahlversprechen gebunden war und unter dem Druck der Opposition und der Presse stand. Der amerikanische Präsident Woodrow WilsonWilson, Woodrow wiederum, mit dem die Vereinigten StaatenUSA 1917 in den Krieg eingetreten waren, war beseelt von der Idee, einen Völkerbund zu schaffen, dessen Mitglieder in Zukunft Konflikte gemeinsam und möglichst friedlich lösen sollten. Die damit verbundene Unterordnung staatlicher Aufgaben unter eine internationale Organisation war jedoch für viele Politiker und Bürger ein unerträglicher Souveränitätsverlust, so dass sie WilsonsWilson, Woodrow Vision offen kritisierten oder nur halbherzig unterstützten.

Der Krieg hatte zu radikalen Veränderungen geführt, Monarchen waren gestürzt worden, Staaten untergegangen und neu entstanden. In PolenPolen, der TschechoslowakeiTschechoslowakei und in JugoslawienJugoslawien waren die Menschen begierig, endlich ihren eigenen Staat gründen zu können. Sie warteten nicht auf die Zustimmung der Friedensmacher in ParisParis, wenn sie Gebiete der Besiegten in den eigenen Staat eingliederten und Grenzen neu zogen. Folglich waren einige wichtige Weichen bereits gestellt, als die Staatsmänner im Januar 1919 zusammenkamen. Außerdem erwachte bei vielen Menschen nicht nur die Hoffnung auf Frieden, sondern auf ein gerechteres und selbstbestimmtes Leben. In ParisParis sahen sich die Politiker unversehens mit vielfältigen Wünschen nach einer besseren Welt konfrontiert.

In ParisParis begegneten sich die Vertreter verschiedener Staaten, die den Krieg unterschiedlich erlebt und abweichende Visionen für die Zukunft ihrer Länder hegten. So blieb es nicht aus, dass sich auch im Kreis der Sieger Interessenkonflikte entzündeten. Für eine offene Aushandlung der Meinungsverschiedenheiten und Kompromisse blieb oft nur wenig Zeit. WilsonWilson, Woodrow widerstrebte es, wie erwähnt, die ItalienItalien versprochenen Gebiete abzutreten. Seinem Ideal des Selbstbestimmungsrechtes der Völker entsprach es nicht, Menschen ungefragt einem anderen Staat zuzuteilen. Doch er fügte sich und konnte im Gegenzug ein Entgegenkommen der anderen erreichen, als er die Monroe-Doktrin in die Völkerbundsatzung aufnehmen wollte.

Am Ende waren es die »Großen Drei«, die die wichtigen Fragen entschieden: Woodrow WilsonWilson, Woodrow, David Lloyd GeorgeLloyd George, David und der französische Ministerpräsident Georges ClemenceauClemenceau, Georges. Drei grundverschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Zielen hatten in ParisParis eine Herkulesaufgabe zu bewältigen, unterstützt von einer großen Zahl von Diplomaten, Juristen, Sachverständigen, Sekretärinnen und Dolmetschern. Dass die drei Männer erfolgreich zusammenarbeiteten, lag nicht zuletzt daran, dass sie sich ohne Dolmetscher verständigen konnten, denn ClemenceauClemenceau, Georges hatte in seiner Jugend einige Jahre in den Vereinigten StaatenUSA verbracht, beherrschte die Sprache und schätzte das Land. Vor allem aber galt sein Streben dem Schutz FrankreichsFrankreich: Nie wieder, so sein unumstößlicher Wille, dürfe Deutschland seinen Nachbarn angreifen. Nur ein dauerhaft geschwächtes Deutschland garantiere die Sicherheit seines Landes. Der britische Premierminister hingegen wollte Deutschland dem politischen Interesse GroßbritanniensGroßbritannien entsprechend als Großmacht erhalten, wenn auch als eine deutlich geschwächte.

Und schließlich waren es grundsätzliche Entscheidungen, die die Arbeit in ParisParis prägten. In der französischen Hauptstadt kamen nur Vertreter der Siegermächte zusammen. Mit den unterlegenen Staaten wurde nicht diskutiert. Den Deutschen, ebenso wie den Vertretern ÖsterreichsÖsterreich, Ungarns und des zerfallenen Osmanischen ReichesOsmanisches Reich, wurden in jeweils getrennten Verfahren die Friedensbedingungen überreicht. Ihnen blieb eine kurze Frist zur Unterzeichnung und Ratifizierung, doch Verhandlungen fanden nicht statt, sehr zum Entsetzen der deutschen Delegation. Die Sieger wollten vermeiden, dass bei einer Verhandlung mit den besiegten Staaten der Eindruck entstand, es bestehe Spielraum für den Ausgang der Gespräche. Für die Alliierten stand jedoch fest, dass mit dem Waffenstillstand bereits über Sieg, Niederlage und Schuld entschieden worden war. Hinter diese Position konnten und wollten sie auf keinen Fall zurückfallen. »Sie haben uns um Frieden gebeten. Wir sind geneigt, ihn Ihnen zu gewähren«, entgegnete der französische Ministerpräsident ClemenceauClemenceau, Georges den deutschen Delegierten bei der Übergabe der Friedensbedingungen am 7. Mai 1919.2 Die Alliierten befürchteten auch, dass ihre Gegner in mündlichen Verhandlungen versuchen würden, die Sieger gegeneinander auszuspielen und deren ohnehin fragile Einheit zu zerschlagen. Die Quellen zeigen, dass die Deutschen genau dieses Ziel verfolgt haben. Mit Sicherheit hätten Verhandlungen mit den Gegnern sehr viel mehr Zeit in Anspruch genommen. Das wollten die alliierten Politiker, die unter dem Druck ihrer Bürger und Wähler standen, nicht auf sich nehmen.

 

Selbst die Siegermächte waren nicht vollzählig anwesend. Nachdem in RusslandRussland die Revolutionäre 1917 den Zaren gestürzt und in Brest-LitowskBrest-Litowsk mit den Deutschen einen Separatfrieden geschlossen hatten, entbrannte ein heftiger und verlustreicher Bürgerkrieg, der erst 1921 beendet wurde. Alliierte Verbände waren weit ins russische Gebiet vorgedrungen, ursprünglich, um russischen Truppen im Kampf gegen deutsche Einheiten zur Hilfe zu kommen. Sie blieben zum Teil bis 1921 dort und unterstützten den Kampf gegen die Bolschewiki. Politiker, Diplomaten und Journalisten konnten schwer einschätzen, was in RusslandRussland geschah; es kursierten Gerüchte über die Grausamkeit der Revolutionäre, doch keiner konnte sagen, was davon den Tatsachen entsprach. Das Ausland hatte seine Diplomaten schon im Sommer 1918 abgezogen und auch die meisten ausländischen Zeitungskorrespondenten waren bis Anfang 1919 abgereist. Die Kommunikation war überaus schwierig, Telegramme konnten Tage oder Wochen unterwegs sein, falls sie überhaupt ihren Adressaten erreichten.3 Da der Vertrag von Brest-LitowskBrest-Litowsk, mit dem das Deutsche Reich RusslandRussland seine Friedensbedingungen diktiert hatte, inzwischen annulliert war, befand sich RusslandRussland unversehens weiterhin mit den Alliierten gegen Deutschland im Krieg. Doch bis zum Ende der PariserParis Friedenskonferenz konnten sich die Politiker in ParisParis nicht darauf verständigen, wen sie anerkennen und einladen wollten. So wurde im Vertragstext lediglich vermerkt, dass RusslandRussland das Recht habe, Reparationen zu fordern.

Obwohl die Friedensmacher ein enormes Arbeitspensum bewältigten, lösten sie nicht alle Aufgaben. Schon während der Verhandlungen zeigte sich, dass es den Delegierten nicht gelingen würde, sich auf eine feste Summe der von Deutschland zu leistenden Reparationen zu einigen. Erst 1921 wurde bekannt gegeben, dass Deutschland als Wiedergutmachung 132 Milliarden Goldmark zu zahlen habe. Zahlungsverzögerungen führten 1923 zur Besetzung des RuhrgebietesRuhrgebiet. Viele Deutschen, die in den Jahren 1914–1918 weitgehend von Kampfhandlungen auf deutschem Boden verschont geblieben waren, nahmen das als Fortsetzung des Krieges wahr.

Bis heute wird der Versailler Vertrag unter vielen Gesichtspunkten heftig beanstandet. Nur vereinzelte Stimmen können ihm Gutes abgewinnen, die Kritikpunkte hingegen sind überaus zahlreich. Doch bevor wir uns der Bewertung des Vertrages zuwenden können, muss seine Vorgeschichte dargestellt werden. Die ersten Kapitel des Buches folgen im Wesentlichen der Chronologie des Geschehens, vom sich abzeichnenden Kriegsende im Herbst 1918 bis zur Ratifizierung des Vertrages. In den Kapiteln 2 bis 5 wird erläutert, wie die PariserParis Friedenskonferenz funktionierte, wer die wichtigsten Personen waren und wie Krisen abgewendet und Kompromisse erzielt werden konnten. Erörtert werden die Bedingungen, unter denen die Staatsmänner versucht haben, den Krieg zu liquidieren. Für die Sieger war der Vertrag mit Deutschland der bedeutendste, weshalb er im Zentrum des vorliegenden Bandes steht. Als er am 28. Juni 1919 unterzeichnet worden war, reisten WilsonWilson, Woodrow und Lloyd GeorgeLloyd George, David bald ab.

Bis zum Januar 1920 tagten die Delegierten weiter, dann schloss die Konferenz. Viele der beteiligten Politiker und Sachverständigen haben ihre Erinnerungen an die Verhandlungen niedergeschrieben, zahlreiche Quelleneditionen stehen zur Verfügung, um die Ereignisse und die Akteure verstehen zu können. Die Dokumente spiegeln vor allem wider, dass in ParisParis eine emotional aufgeheizte Stimmung herrschte. Unterschiedliche Erfahrungen, Ziele und Ideale trafen aufeinander, hartnäckige Vorurteile und Feindbilder beeinflussten die Diskussionen. Nicht alle Probleme und Themen, die die Sieger beschäftigten, können in diesem Band behandelt werden. Die Debatte um die Beteiligung RusslandsRussland und die Angst vor dem Bolschewismus etwa wird nur am Rande angesprochen, ebenso wie Ereignisse um die Gründungen der neuen Staaten. Im Mittelpunkt stehen der Vertrag mit Deutschland, die Ziele der Hauptsiegermächte, die Dynamik auf der Friedenskonferenz und die Diskussion im Deutschen Reich.

Kapitel 6 durchbricht die chronologische Darstellung, indem es sich dem Vertrag und der Endfassung ausgewählter Paragraphen widmet. Zwar kann nur ein kleiner Teil der insgesamt 440 Artikel behandelt werden, aber der Leser soll die Gelegenheit haben, nicht nur etwas über den Vertrag und seine Entstehungsgeschichte zu erfahren, sondern auch über die wichtigsten Artikel in der Endfassung, wie etwa die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern oder die Internationalisierung deutscher Flüsse. Punktuell werden in diesem Kapitel auch die Umsetzung der Artikel und die Folgen behandelt. Kapitel 7 widmet sich im Anschluss den wichtigsten Etappen der Vertragserfüllung und Revision.

Wenn man sich mit der PariserParis Friedenskonferenz und dem Versailler Vertrag beschäftigt, verlangt es einiges an Disziplin, die Akteure nicht für ihr Verhalten oder für vermeintliche Fehlentscheidungen zu kritisieren. Das liegt sicher auch daran, dass die folgenden Ereignisse, das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und der verheerende Zweite Weltkrieg auch mit zeitlichem Abstand so schmerzhaft sind, dass es schwerfällt, nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Schuldigen zu suchen. Kritik kann und soll geübt werden, allerdings nicht mit der Haltung einer überlegenen Kommentatorin. In diesem Sinne werden in Kapitel 8 dem Leser noch einmal die wichtigsten Merkmale des Friedensprozesses zur kritischen Beurteilung dargelegt. Die ersten Kapitel sind soweit wie möglich frei von Urteilen, um dem Leser erst einmal die Gelegenheit zu bieten, den Verlauf der Konferenz mit der Vielzahl an konkurrierenden Interessen, Zielen und Einflüssen zu erfassen. Im 8. Kapitel soll es um Alternativen gehen, und zwar auf der Basis der damaligen Rahmenbedingungen. Ein solches Gedankenspiel ermöglicht es, die Faktoren und Motive, die für das Zustandekommen des Vertrages genannt wurden, noch einmal auf ihre Wirkmächtigkeit hin zu befragen. Das Nachdenken über Alternativen dient nicht der Kritik an den Zeitgenossen, sondern führt vor Augen, dass ein totaler Krieg nicht binnen einiger Monate in ein friedliches und respektvolles Miteinander der Staaten überführt werden kann. Vielmehr ist der Weg zu einem zwischenstaatlichen Zusammenleben in Ruhe und Sicherheit lang, mühsam und muss von vielen Akteuren beschritten werden.

Umfangreiche und aussagekräftige Quellen zur Geschichte der PariserParis Friedenskonferenz liegen als Veröffentlichungen vor oder können in Archiven bzw. online genutzt werden. Dennoch werden in dem Kapitel »Quellentexte« drei Quellen abgedruckt, die insofern von besonderer Bedeutung sind, als dass sich die Protagonisten und die Historiker immer wieder auf sie beziehen. Zum einen betrifft das die Rede von Präsident WilsonWilson, Woodrow, in der er am 8. Januar 1918 die amerikanischen Kriegsziele formulierte. Seine 14 Punkte wurden zur Grundlage des Waffenstillstandes, flossen aber auch in den Versailler Vertrag mit ein und bildeten ein wichtiges Argument für die von WilsonWilson, Woodrow enttäuschten Deutschen.

Ähnliches gilt für die nach dem amerikanischen Außenminister benannte Lansing-NoteLansing, Robert. Mit ihr erklärten die Alliierten am 5. November 1918 ihre Bereitschaft zum Friedensschluss auf der Grundlage von WilsonsWilson, Woodrow 14 Punkten, mit zwei Einschränkungen. Der Wortlaut der Note, ihre Übersetzung sowie die Einschätzung, wie bindend die Vereinbarung gewesen sei, wurden in Zusammenhang mit den Reparationen und der Kriegsschuld intensiv diskutiert.

Eine dritte bedeutende Quelle ist die Rede, die der deutsche Außenminister Ulrich von Brockdorff-RantzauBrockdorff-Rantzau, Ulrich von am 7. Mai 1919 nach der Übergabe des Vertragsentwurfes hielt. Von vielen Zeitgenossen wurde die Rede als überheblich bezeichnet, zahlreiche Historiker machen den Außenminister und seine Ansprache verantwortlich für eine weitere Verschlechterung der Beziehung zwischen den Siegermächten und den Deutschen. Erst im Anschluss an die Rede und einen intensiven Notenwechsel mit den Deutschen formulierten die Sieger eine brutale Mantelnote, in der sie den Schuldspruch gegen das ganze deutsche Volk in aller Schärfe vorbrachten. Darüber hinaus veranschaulicht die Rede auf bemerkenswerte Weise die Strategie, mit der nicht nur der Außenminister auf den Vertrag reagierte.

Eine ausführliche Zeittafel bietet daran anschließend die Möglichkeit, jederzeit Daten nachzuschlagen, ohne im Text suchen zu müssen. Sie spiegelt außerdem, wie arbeitsintensiv einzelne Phasen gewesen sind, zeigt Zusammenhänge auf, wenn etwa in einer akuten Krise Zugeständnisse gemacht worden sind, und verschafft einen Überblick, zum Beispiel über die Etappen der Reparationszahlungen.

Meine Absicht ist es, in diesem Buch darzulegen, mit welch schwerem Gepäck die ehemaligen Gegner von den Schlachtfeldern zu den Friedensverhandlungen kamen. In ParisParis traten die unterschiedlichen Hoffnungen und Visionen ebenso zutage wie die vielfältigen Erfahrungen eines brutalen und verlustreichen Krieges. Die Emotionen und Feindbilder wirkten fort. Das Scheitern der Friedensbemühungen 1919 ist in erster Linie dem Charakter des Krieges anzulasten, der die Konfliktparteien schwer belastet hat. Am 26. Juni 1919 schrieb der südafrikanischeSüdafrika Delegierte Jan Christiaan SmutsSmuts, Jan Christiaan dem Herausgeber des Manchester Guardian, Charles Prestwich ScottScott, Charles Prestwich:

»Dieser Vertrag ist nicht der Frieden, er ist einfach das letzte Echo des Krieges. Er beendet die Phase des Krieges und des Waffenstillstandes. Der richtige Frieden muss erst noch kommen, und er muss von den Völkern gemacht werden.«4

Der totale Krieg und sein Ende

Von Beginn an entwickelte der Erste Weltkrieg, der bereits von Zeitgenossen als Weltenbrand bezeichnet wurde und bis heute in GroßbritannienGroßbritannien »Great War« und FrankreichFrankreich »Grande Guerre« heißt, einen alles verschlingenden Sog. War er zunächst noch lokal begrenzt, zog er immer mehr Staaten ins Schlachtgetümmel. Deren Motive für den Kriegseintritt waren ebenso vielfältig wie die von den Konfliktparteien verfolgten Ziele. Der Waffengang war kostspielig, brutal, weitreichend und offenbar für jede Seite gerechtfertigt. Ein kurzer Blick auf wesentliche Merkmale und Ereignisse des Konfliktes soll vor Augen führen, wie groß die Hypothek war, die auf den Menschen lastete, die 1919 in ParisParis den Krieg beenden wollten.

Der Krieg hatte schätzungsweise aufseiten der Alliierten 5 647 600 und aufseiten der Mittelmächte 4 410 000 Menschleben gefordert; verwundet wurden bei den Alliierten nahezu 12 000 000 Soldaten, bei den Mittelmächten 8 288 000. Annähernd jeweils 600 000 zivile Opfer hatten FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien zu beklagen, ItalienItalien und das Deutsche Reich jeweils 700 000, SerbienSerbien, BulgarienBulgarien und RumänienRumänien jeweils 300 000, BelgienBelgien 50 000, Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn 400 000 und das Osmanische ReichOsmanisches Reich ganze 2 000 000 (ohne die Opfer des Völkermords an den Armeniern gerechnet).5 Nicht nur der Verlust an Menschen, sowohl Soldaten als auch zivilen Arbeitskräften, belastete die Volkswirtschaften, auch für die Unterstützung von Versehrten und Hinterbliebenen musste gesorgt werden. Von den drei Millionen französischen Kriegsverletzten blieben ein Drittel Invaliden.

Schäden richteten die Gefechte zum Beispiel in den zehn französischen Departements an, die unmittelbar in die Kampfhandlung hineingezogen wurden: 4,2 Millionen Hektar Land waren dauerhaft oder zeitweilig besetzt, Ernten wurden vernichtet, der Boden zum Teil durch Giftgas und Munition auf Jahrzehnte verseucht, Wälder vernichtet, Vieh getötet. 480 000 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört, aber auch 2000 Brücken, die Kohlegruben in NordfrankreichFrankreich, 70 Hochofenbetriebe, 300 Eisen- und Stahlgießereien, 3600 Kleinbetriebe fielen dem Krieg zum Opfer. In BelgienBelgien traf es 70 000 Häuser, 2600 Kilometer Eisenbahnschienen, 7000 Kilometer Straßen, 2500 Lokomotiven und über 120 000 Eisenbahnwagons wurden zerstört.6

 

Ebenfalls kostspielig war die Waffenproduktion, denn täglich wurden Flugzeuge, Schiffe, Artillerie, Gewehre vernichtet und mussten ersetzt werden. Die gesamte Wirtschaft wurde umgestellt auf die Anforderungen des Krieges, statt Konsumgütern wurden Waffen hergestellt. Es ist eine Herausforderung, einigermaßen verlässliche Zahlen für den Verlust an Waffen und Kriegsgeräten zu nennen, ein paar Angaben sollen einen Eindruck vermitteln: In Deutschland wurden in den Kriegsjahren über 10 Millionen Gewehre und Pistolen produziert. Nach eigenen Berechnungen ›verbrauchten‹ die Deutschen 26 000 Flugzeuge. Die Entente verlor über 380 Kriegsschiffe, die Mittelmächte 500.7

Die deutschen Kriegskosten betrugen 1918 täglich 180 Millionen, die britischen sieben Millionen Pfund Sterling.8 Schon bald waren FrankreichFrankreich, BelgienBelgien, GroßbritannienGroßbritannien bis an die Grenzen des finanziell Machbaren gegangen, oder darüber hinaus: Sie hatten sich bei den USAUSA verschuldet, schon bevor diese offiziell im April 1917 aufseiten der Entente in den Krieg eintraten. Die enormen Kosten der Kriegführung wurden auch durch Anleihen im eigenen Land aufgebracht. Die Bürger leisteten jedoch noch weitere Beiträge: Sie spendeten Gold und erhielten im Tausch Schmuck oder Münzen aus Eisen. Bei als »Nagelungen« bezeichneten Propagandaveranstaltungen, die der Wehrhaftmachung der Nation dienen sollten, erwarben die Bürger (unter ihnen auch zahlreiche Schüler) Nägel aus Gold, Silber oder Eisen, die sie in eine hölzerne Figur schlugen und so einen metallenen Schutzpanzer schufen. Die Einnahmen flossen in die Kriegskasse, und einige der vor mehr als 100 Jahren genagelten Ritter, U-Boote, Löwen oder Schilde sind bis heute erhalten. Frauenhaar wurde ebenso gesammelt wie Eicheln oder sogar Kartoffelschalen. Als der Mangel immer weiter um sich griff, gab es kaum ein Gut, das nicht als Ersatz für einen wertvollen Rohstoff eingesetzt werden konnte. Gleichwohl schossen die Schulden in die Höhe, und nur ein Sieg versprach die Möglichkeit, die Kredite zu tilgen und die Anleihen verzinst zurückzuzahlen. Wenn die Besiegten zur Kasse gebeten würden, hofften alle Kriegführenden, könnten die Bürger im eigenen Land für die vielfältig erbrachten Opfer entlohnt werden. An Steuererhöhungen, um die Bürger nach dem Friedensschluss an den Kosten für die Bewältigung der Kriegsfolgen zu beteiligen, dachte kein Politiker, der an der Macht bleiben wollte.

Als sich die Sieger im Januar 1919 in ParisParis trafen, erwies sich rasch, wie schwer es war, die Schäden zu beziffern. Die Delegierten diskutierten zunächst, was überhaupt als Schaden anzuerkennen sei: Galten auch die Pensionen für Versehrte und Hinterbliebene als Kriegsverlust? Zählten dazu auch die Gewinne, die ohne Krieg hätten erzielt werden können? Dass es sich um eine exorbitante Summe handeln müsse, war den meisten Delegierten in ParisParis bewusst. Daher wurde im Friedensvertrag, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde, auch kein exakter Betrag genannt. Die Aufgabe, ihn zu ermitteln, übernahm die Interalliierte Reparationskommission, deren Schadensbericht die Reparationssumme bestimmte, die Deutschland im April 1921 genannt wurde.

Der Krieg war brutal, denn im Verlauf von 52 Monaten wurden die Waffen fortwährend weiterentwickelt: Flugzeuge, Panzer, Maschinengewehre, Gas, U-Boote und weitreichende Artillerie brachten Verluste bislang ungekannten Ausmaßes. Die Soldaten mussten ertragen, jeden Augenblick in Todesgefahr zu sein, oft sahen sie ihren Gegner dabei nicht einmal. Die Artillerie feuerte aus weit entfernten Kanonen, aus Flugzeugen fielen Bomben oder Fliegerpfeile, und es wurden Fotos gemacht, die dem Gegner wertvolle Informationen für den kommenden Angriff lieferten. Die Entwicklung von Giftgas spiegelt wider, wie sehr die Kriegführenden darauf aus waren, den Stellungskrieg aufzubrechen und die Gegner zu überwinden. Ohne nennenswerte Bedenken verätzte man mit Gas Soldaten wie Tieren die Atemwege und schädigte die Haut. Diejenigen, die einen Giftgasangriff überlebten, starben möglicherweise nach dem Krieg an den Spätfolgen, aber wie konnte nach Jahren eine Todesursache eindeutig ermittelt werden?

Besonders der U-Boot-Krieg macht deutlich, in welchem Maße neue Waffen entwickelt und nicht nur gegen Kombattanten eingesetzt wurden. Im Februar 1917 begann der uneingeschränkte U-Boot-Krieg. Der deutsche Admiralstab ließ nun auch zivile Passagier- und Handelsschiffe angreifen und argumentierte, dass mit jedem Schiff Soldaten und kriegswichtige Güter transportiert werden könnten. Davon versprach sich der Admiralstab Ende 1916, nach den katastrophalen Schlachten vor VerdunVerdun und an der SommeSomme, die Wende: Innerhalb von fünf Monaten könne GroßbritannienGroßbritannien vor den deutschen U-Booten kapitulieren. Auch in dieser Hinsicht gingen die Militärs ein hohes Risiko ein, denn es bestand die Möglichkeit, dass die Vereinigten StaatenUSA aufgrund dieser Völkerrechtsverletzung in den Krieg gegen Deutschland eintreten würden.

Die Deutschen pokerten hoch und verloren: Die USAUSA traten tatsächlich im April 1917 in den Krieg ein, und die Briten ergaben sich nicht. Vielmehr führten neue Ortungsgeräte, dichte Minensperren unter Wasser, ein Geleitsystem zum Schutz von Passagier- und Frachtschiffen sowie die Fähigkeit, die deutschen Funksignale zu entziffern, dazu, dass sich die durch die U-Boote verursachte Zerstörung nach anfänglichen Erfolgen verringerte. Nicht zuletzt, weil Briten und Amerikaner durch die Massenproduktion von Handelsschiffen den Tonnageverlust ausgleichen konnten, wandte sich der Unterseekrieg letztendlich gegen die Deutschen. Am Ende hatten deutsche U-Boote zwar 5554 alliierte und neutrale Handelsschiffe versenkt, der Sieg über GroßbritannienGroßbritannien blieb aber aus.9 Vereinbarungen über Gesetze und Gebräuche der Landkriegführung, wie sie 1899 und 1907 in Den HaagDen Haag unterzeichnet worden waren, dämmten die Entwicklung der Waffen nicht ein. Im Gegenteil, das Völkerrecht hinkte hinter den Entwicklungen hinterher. Zugleich wurde in der Berichterstattung bzw. Propaganda immer wieder beteuert, dass man sich beim Einsatz dieser Waffe auf dem Boden des Völkerrechts befinde.

Der Krieg war weitreichend: Bomben auf LondonLondon, ParisParis oder SaarbrückenSaarbrücken verwickelten die Zivilisten unmittelbar in die Kampfhandlungen. Um die Stadt vor Fliegerangriffen zu schützen, wurden in ParisParis die Straßenlaternen mit blauen Glühbirnen ausgestattet. Schaufenster wurden mit Klebeband verstärkt, damit sie dem Geschützdonner standhielten, und für die Bewohner galt ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Auch in den besetzten Gebieten waren die Menschen vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Viele flohen oder wurden evakuiert, verletzt oder getötet, verloren Hab und Gut. Und die Menschen hungerten: in Deutschland aufgrund der Seeblockade seit Kriegsbeginn, in FrankreichFrankreich und BelgienBelgien wegen der Besatzer, die sich von Erzeugnissen des Landes ernährten, ohne sich für die Versorgung der dortigen Zivilbevölkerung verantwortlich zu fühlen. In Deutschland stand jeder Person 1918 im Durchschnitt eine Tagesration von knapp 1000 Kalorien zur Verfügung.10 Die Qualität der Lebensmittel wurde immer schlechter, nicht selten wurde Brot mit Holzspänen gestreckt. Zur Kriegserfahrung der Menschen in den von Deutschland besetzten Gebieten gehörte auch, dass Zwangsarbeiter aus PolenPolen und BelgienBelgien in deutschen Industriebetrieben oder der Landwirtschaft eingesetzt wurden.11

Die Welt wurde zum Spielfeld der Europäer, und sie zogen die Menschen anderer Kontinente in diesen globalen Prozess hinein. Das im Vergleich zu Deutschland bevölkerungsärmere FrankreichFrankreich rekrutierte in den Kriegsjahren 485 000 Soldaten aus seinen überseeischen Kolonien. Deutschland wurde zwar durch die Seeblockade daran gehindert, aus den Kolonien Kämpfer einzuziehen und nach Europa zu holen. Doch in den Kämpfen in Afrika setzten sie gnadenlos Zehntausende indigener Arbeiter, Träger und Soldaten ein. AustralienAustralien entsandte, um das britische Mutterland zu unterstützen, 331 000 Freiwillige an die Kriegsschauplätze des Nahen OstensNaher Osten und Westeuropas – 60 000 von ihnen kamen um, 166 000 wurden verwundet. Das ist eine Verlustrate von 68 Prozent. 18 000 der etwas mehr als 100 000 Soldaten, die NeuseelandNeuseeland für das Mutterland in den Kampf schickte, starben ebenfalls, unter ihnen viele Maori, die trotz ihrer Leistungen vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt waren. Von den 600 000 kanadischen Soldaten fielen 60 000. Indien unterstützte GroßbritannienGroßbritannien nicht nur mit 1,5 Millionen Soldaten (von denen mehr als 60 000 umkamen), die Kolonialbehörden erzwangen auch Geldsummen in Millionenhöhe, mit denen sich die Kronkolonie an der Kriegführung beteiligen musste.12

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