Yogasutra

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Swami Vivekananda

Yogasūtra

Mit Sanskrit-Text, Übersetzung

und Kommentar

Herausgegeben und übersetzt von

Wilfried Huchzermeyer

edition sawitri

Karlsruhe

Verlag W. Huchzermeyer

Lessingstraße 64

D-76135 Karlsruhe

www.edition-sawitri.de

1. E-Book-Auflage 2021

ISBN 978-3-931172-49-7

© 2019 edition sawitri - Verlag W. Huchzermeyer, Karlsruhe

Inhalt

Vorwort

Konzentration – ihr spiritueller Nutzen

Konzentration – die Praxis

Kräfte

Unabhängigkeit

Anhang

Yogasūtra und Sānkhya – eine Einführung

Vorwort

Swami Vivekananda (1863 – 1902) war der bekannteste Schüler von Ramakrishna, dem bedeutendsten Yogi des 19. Jh. Er brachte als erster Yoga in den Westen und lehrte dort Karma-, Bhakti-, Jñāna- und Rāja-Yoga.1 Im Jahr 1893 hatte er als Delegierter am „Parlament der Religionen“ in Chicago teilgenommen und die Herzen der Zuhörer durch eine mitreißende Rede gewonnen. Bald darauf erhielt er zahlreiche Einladungen zu Vorträgen über indische Themen und begann 1894, einen kleinen Kreis von Schülerinnen und Schülern in Lehre und Praxis von Yoga und Vedanta zu unterweisen.

Gleichzeitig schrieb er auch ein Buch über den Rāja-Yoga, das er im Juni 1895 vollendete. Swami Nikhilananda erläutert dessen Inhalt wie folgt: „Das Buch ist eine Übersetzung von Patanjalis Yoga-Aphorismen, wobei der Swami seine eigenen Erklärungen hinzufügte… Patanjali erläuterte in diesen Aphorismen die Philosophie des Yoga, deren Hauptzweck darin besteht, den Weg zu zeigen, wie die Seele Freiheit von der Gebundenheit an die Materie erlangt. Verschiedene Methoden der Konzentration werden erörtert.“2

Swami Nikhilananda führt weiter aus, das Buch habe dem Zweck gedient, aufzuzeigen, dass spirituelle Erfahrung auf derselben Grundlage wie wissenschaftliche Erkenntnis erfolgen könne, d.h. begleitet von Experiment, Beobachtung und Verifizierung. Ferner habe Vivekananda verschiedene Disziplinen der Konzentration erklärt, verbunden mit der Warnung, diese nur mit Hilfe eines qualifizierten Lehrers zu praktizieren.

S. Ellen Waldo, eine Schülerin und Sekretärin Swami Vivekanandas, berichtete später, wie er ihr die Texte für das Buch diktierte:

Wenn er seine Kommentare zu den Aphorismen kommunizierte, ließ er mich warten, während er in tiefe Zustände der Meditation oder Selbstbetrachtung ging, um dann mit einer brillanten Interpretation aus ihnen herauszukommen. Ich musste die Feder stets mit frischer Tinte bereithalten. Es konnte sein, dass er lange Zeit vertieft war, um dann plötzlich sein Schweigen zu brechen und spontan etwas zu sagen oder eine lange, wohlerwogene Lehre zum Ausdruck zu bringen.3

Im vorliegenden Buch wird aus Vivekanandas Titel Raja Yoga nur der Yogasūtra-Abschnitt in unserer eigenen deutschen Übersetzung wiedergegeben. Dieser Auswahl liegt die Beobachtung zugrunde, dass das Yogasūtra von vielen Interessenten in mehreren Ausgaben studiert wird, um angesichts der signifikanten Abweichungen in Übersetzung und Kommentar mehr Einblick in die Essenz der Aussagen des Textes zu bekommen. Tatsächlich sind viele deutsche und englische Übersetzungen stark interpretativ, was schon durch ihre Länge im Vergleich zum Sanskrit-Original deutlich wird. Zwar ist letzteres aufgrund des spezifischen, extrem knappen Sutra-Stils grundsätzlich kürzer, aber nicht um ein Vielfaches.

Auch Vivekananda geht zum Teil bereits bei der Übersetzung in die Interpretation über. In einigen Fällen wurde dies von mir in Fußnoten angemerkt, wobei teils auch weitere Ausführungen zum Verständnis hinzugefügt wurden. Der Text enthält nur sehr wenige Anmerkungen des indischen Herausgebers, die jeweils entsprechend gekennzeichnet sind.

Vivekanandas englische Übersetzung ist eine der ersten vollständigen in einer westlichen Sprache4 und wertvoll auch dadurch, dass er den Zugang zum Text primär als Yogi und nicht als Gelehrter sucht. Immer wieder fließen in seinen Kommentar lebendige und erhellende Betrachtungen ein, die aus der eigenen Erfahrung heraus geschrieben wurden. Sicher wurde im Laufe der Zeit in späteren Übertragungen der eine oder andere Aphorismus besser wiedergegeben, wie es nun einmal der Fall ist, wenn schwierige Texte von Generationen von Forschern immer neu erschlossen werden, aber dieses Element seines originären Zugangs bleibt als besonderes Merkmal für immer bestehen. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass in seltenen Fällen die eine oder andere Aussage aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist.

Wenn über Patanjali als Autor der Sutren gesprochen wird, so ist zu erwähnen, dass seine Existenz und Autorenschaft in einigen neueren Forschungsarbeiten angezweifelt wird, so dass es am besten ist, ihn als „legendären“ Autor des Textes zu bezeichnen. Bei vielen Texten aus alter Zeit bestehen diese Zweifel, auch wenn die indische Tradition hier oft abweichende Aussagen macht. Aber letztlich ist die Herkunft und Autorenschaft nicht entscheidend, sondern im Mittelpunkt einer spirituellen Betrachtung stehen die Erkenntnisse, die in den Aphorismen kundgetan werden.

Wir glauben, dass Swami Vivekanandas Ausführungen mehr Licht auf die oft schwer zu erschließende Bedeutung der Sutras werfen, und haben auch den Sanskrit-Text beigefügt, da viele Yoga-Anhänger über einige Grundkenntnisse der Sprache verfügen. Der Text wurde in lateinischer Umschrift und mit aufgelösten Sandhis (Lautverschmelzungen) wiedergegeben, um einen erleichterten Zugang zu ermöglichen. In einigen Fällen wurden einzelne Sanskrit-Begriffe in Fußnoten erklärt, aber grundsätzlich empfiehlt es sich, bei der Lektüre ein Nachschlagewerk wie unser Yoga-Wörterbuch oder Yoga-Lexikon zu nutzen.5 Aus dem letzteren sind im Anhang als erste Einführung die Artikel „Yogasūtra“ und „Sānkhya“ abgedruckt.

Wilfried Huchzermeyer

1 D.h. den dreifachen Pfad der Bhagavadgītā (Weg der Werke; Anbetung, Liebe; und Erkenntnis) sowie den „königlichen“ Weg, aufgezeichnet im Yogasūtra.

2 Swami Nikhilananda, Vivekananda, A Biography. New York 1989, S. 79

3 Ibid.

4 Eine englische Übersetzung des 1. Kapitels erschien bereits 1852: J.R. Ballentyne, The Aphorisms of the Yoga Philosophy of Patanjali with illustrative extracts from the Commentary by Bhoja Raja. Allahabad: Presbyterian Mission Press, 1852. Die ersten vollständigen Übertragungen wurden durch die Theosophische Gesellschaft herausgegeben (Tukaram Tatya, 1885, und M.N. Dvivedi, 1890).

5 Siehe Anzeigenteil.

1. Kapitel

Konzentration – ihr spiritueller Nutzen

atha yoga-anuśāsanam //1//

1. Jetzt wird Konzentration erklärt.

yogaś citta-vṛtti-nirodhaḥ //2//

2. Yoga bedeutet, die Geistsubstanz davon abzuhalten, verschiedene Formen anzunehmen.

Kommentar:

Hier ist eine ausführliche Erklärung erforderlich. Wir müssen verstehen, was Citta ist und was die Vrittis sind. Ich habe Augen. Augen sehen nicht. Ohne das Gehirn im Kopf wären die Augen immer noch da, ebenso die Retina und auch die Bilder der Gegenstände auf ihr, und doch würden die Augen nicht sehen. Also sind die Augen nur ein sekundäres Instrument, nicht das Seh-Organ. Das Seh-Organ liegt im Nervenzentrum des Gehirns. Die beiden Augen werden nicht genügen. Manchmal schläft jemand mit offenen Augen. Das Licht ist vorhanden und das Bild, aber etwas Drittes ist notwendig – der Geist (mind) muss mit dem Organ verbunden werden. Das Auge ist das äußere Instrument; wir brauchen auch das Gehirn und die Vermittlung des Geistes.

Wagen rollen eine Straße entlang, ohne dass du sie hörst. Warum nicht? Weil dein Geist sich nicht mit dem Hörorgan verbunden hat. Als Erstes gibt es das Instrument, dann das Organ, und drittens den Geist, der mit diesen beiden verbunden ist. Der Geist nimmt den Eindruck auf und präsentiert ihn dem Auffassungsvermögen, Buddhi, das reagiert. Parallel dazu flammt die Vorstellung des Ich-Sinns auf. Daraufhin wird diese Mischung aus Aktion und Reaktion dem Purusha präsentiert, der wirklichen Seele, die in dieser Mischung ein Objekt wahrnimmt. Die Organe (Indriyas) bilden zusammen mit dem Geist (Manas), dem Unterscheidungsvermögen (Buddhi) und dem Ich-Sinn (Ahamkāra) jenen Verbund, den wir Antahkarana (das innere Instrument) nennen. Sie sind nur verschiedene Abläufe im Geist, Citta.

Die Gedankenwellen im Citta heißen Vrittis (wörtl. „Strudel“). Was ist das Denken? Denken ist eine Kraft, so wie Gravitation oder Abstoßung. Vom unendlichen Kraftspeicher in der Natur nimmt das Instrument, Citta genannt, etwas davon auf und schickt es als Gedanken hinaus. Kraft erhalten wir durch Nahrung, die uns Bewegung etc. ermöglicht. Andere Kräfte, die feinstofflichen, bringt es in dem heraus, was wir „Denken“ nennen. Daraus ersehen wir: der Geist für sich ist nicht intelligent, und doch erscheint er so. Warum? Weil die intelligente Seele dahinter steht. Du bist das einzige fühlende Wesen; der Geist ist nur das Instrument, durch das du die äußere Welt erreichst. Nehmen wir z.B. dieses Buch: als Buch existiert es nicht außen, was außen existiert ist unbekannt und unerkennbar. Das Unerkennbare liefert die Anregung, die den Geist anstößt, und der Geist reagiert mit der Form eines Buches; das ist genau so, wie wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird, und das Wasser erhebt sich gegen ihn in Form von Wellen.

 

Das wirkliche Universum ist der Anlass für die Reaktion des Geistes. Die Form eines Buches oder eines Elefanten oder Menschen ist nicht außen; alles, was wir kennen, ist unsere mentale Reaktion aufgrund der äußeren Suggestion. „Materie ist die permanente Möglichkeit von Empfindungen“, sagt John Stuart Mill. Nur die Suggestion ist außen. Nehmen wir z.B. eine Auster. Ihr wisst ja, wie Perlen entstehen: Ein Parasit dringt in die Schale ein und verursacht einen Reiz, woraufhin die Auster eine Art Emaille drum herum bildet, wodurch die Perle entsteht. Das Universum der Erfahrung ist sozusagen unsere eigene Emaille, und das wirkliche Universum ist der Parasit, der als Nukleus dient. Der gewöhnliche Mensch wird das nie verstehen, denn wenn er es versucht, bringt er eine „Emaille“ hervor und sieht nur diese seine eigene Emaille.

Jetzt verstehen wir, was mit diesen Vrittis gemeint ist. Der wirkliche Mensch ist hinter dem Geist; der Geist ist das Instrument in seinen Händen; seine Intelligenz ist es, die durch den Geist durchsickert. Erst wenn du hinter dem Geist stehst, wird er intelligent. Wenn der Mensch ihn aufgibt, zerfällt er und ist nichts. So könnt ihr jetzt verstehen, was mit Citta gemeint ist. Es ist der Stoff des Geistes, und die Vrittis sind die Wellen und Kräuselungen, die sich in ihm auftun, wenn äußere Ursachen auf ihn einwirken. Diese Vrittis sind unser Universum.

Wir können nicht den Grund eines Sees sehen, weil dessen Wasseroberfläche gekräuselt ist. Nur wenn die Oberfläche glatt und das Wasser ruhig ist, können wir etwas am Boden erkennen. Wenn aber das Wasser schlammig oder ständig in Bewegung ist, wird der Boden nicht sichtbar sein. Der Boden des Sees ist unser eigenes wahres Selbst; der See ist das Citta und die Wellen sind die Vrittis. Und weiter: der Geist kennt drei Zustände, wovon einer Dunkelheit ist, Tamas genannt, und sich in aggressiven und törichten Menschen findet; es handelt nur, um zu verletzen. Dann gibt es noch den aktiven Geisteszustand, Rajas, dessen Hauptmotive Macht und Genuss sind. „Ich werde machtvoll sein und andere beherrschen.“ Und es gibt den Zustand von Sattva, Gelassenheit, Ruhe, worin die Wellen aufhören und das Wasser des Geist-Sees klar wird. Es ist nicht inaktiv, sondern vielmehr intensiv aktiv. Es ist die größte Erscheinungsform von Kraft, ruhig zu sein. Aktiv zu sein ist leicht. Lass die Zügel los, und die Pferde werden mit dir durchgehen. Jeder kann das tun, aber wer die Pferde stoppen kann, ist der starke Mensch. Was erfordert die größere Kraft, laufenzulassen oder zu zügeln? Der ruhige Mensch ist nicht der dumpfe Mensch. Man darf nicht Sattva mit Dumpfheit oder Trägheit verwechseln. Der ruhige Mensch ist jener, der die Kontrolle über die Geistwellen hat. Aktivität ist die Manifestation unterlegener Kraft, Ruhe der höheren.

Das Citta versucht stets, zu seinem natürlichen, reinen Zustand zurückzukehren, aber die Sinnesorgane ziehen es nach außen. Es zu zügeln, um diesen Drang nach außen einzudämmen und es wieder auf die Rückreise zur Essenz von Intelligenz zu bringen, ist der erste Schritt im Yoga, weil das Citta nur auf diesem Weg seinen rechten Lauf nehmen kann.

Obgleich das Citta in jedem Tier ist, vom niedrigsten bis zum höchsten, finden wir es nur beim Menschen als Intellekt. Bis der Geist diese Form des Intellekts annehmen kann, ist es ihm nicht möglich, über all diese Schritte zurückzukehren und die Seele zu befreien. Unmittelbare Erlösung ist für die Kuh oder den Hund unmöglich, obgleich sie den Geist haben, weil ihr Citta noch nicht die Form annehmen kann, die wir Intellekt nennen.

Das Citta manifestiert sich in den folgenden Formen – verstreuend, verdunkelnd, versammelnd, „einspitzig“ und konzentriert. In der verstreuten Form ist es Aktivität. Sie neigt dazu, sich in Form von Freude oder Schmerz zu manifestieren. Die verdunkelnde ist Dumpfheit, die zur Verletzung neigt. Der Kommentator sagt, die dritte Form sei den Devas natürlich, den Engeln, und die erste und zweite den Dämonen. Die versammelnde Form liegt vor, wenn es sich darum bemüht, sich zu zentrieren. Die einspitzige Form liegt vor, wenn es sich zu konzentrieren versucht, und die konzentrierte ist jenes, was uns zum Samadhi führt.

tadā draṣṭuḥ svarūpe’vasthānam //3//

3. Zu jener Zeit (der Zeit der Konzentration) verweilt der Seher (Purusha) in seinem eigenen (unmodifizierten) Zustand.

Sobald die Wellen nicht mehr schlagen und der See ruhig geworden ist, sehen wir seinen Grund. So verhält es sich auch mit dem Geist; wenn er still ist, sehen wir, was unsere eigene Natur ist; wir vermischen uns nicht, sondern bleiben wir selbst.

vṛtti-sārūpyam itaratra //4//

4. Zu anderen Zeiten (als jenen der Konzentration) ist der Seher mit den Modifikationen identifiziert.

Zum Beispiel macht mir jemand einen Vorwurf, was eine Modifikation, Vritti, im Geist erzeugt, und dann identifiziere ich mich damit und leide.

vṛttayaḥ pañcatayyaḥ kliṣṭā akliṣṭāḥ //5//

5. Es gibt fünf Klassen von Modifikationen, (einige) schmerzvoll und (andere) nicht schmerzvoll.

pramāṇa-viparyaya-vikalpa-nidrā-smṛtayaḥ //6//

6. (Dies sind) rechte Erkenntnis, Irrtum, falsche Vorstellung, Schlaf und Erinnerung.

pratyakṣa-anumāna-āgamāḥ pramāṇāni //7//

7. Direkte Wahrnehmung, Schlussfolgerung und kompetente Bezeugung sind die Nachweise.

Wenn zwei unserer Wahrnehmungen einander nicht widersprechen, nennen wir es Beweis. Ich höre etwas, und wenn es etwas widerspricht, das bereits wahrgenommen wurde, beginne ich mich dagegen zu widersetzen und glaube es nicht. Es gibt drei Arten von Beweis: Pratyaksha, direkte Wahrnehmung; alles, was wir sehen und fühlen, ist Beweis, sofern es nicht etwas gab, was die Sinne getäuscht hat. Ich sehe die Welt; das reicht als Beweis, dass sie existiert.

Zweitens, Anumāna, Schlussfolgerung; man sieht ein Zeichen und schließt von daher auf die Sache, die es bezeichnet. Drittens, Āptavākya, die direkte Evidenz der Yogis, d.h. jener, die die Wahrheit gesehen haben. Wir alle ringen noch um Erkenntnis. Aber ihr und ich müssen uns sehr anstrengen und gelangen durch einen langen, mühsamen Denkprozess zur Erkenntnis, während der Yogi, der reine Yogi, darüber hinaus gegangen ist. Vor seinem Geist sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleich, ein Buch vor seinen Augen; er muss sich nicht dem mühsamen Erkenntnisprozess unterziehen wie wir; seine Worte sind Beweis, weil er Erkenntnis in sich selbst wahrnimmt.

Das trifft z.B. für die Autoren der heiligen Schriften zu; deswegen gelten sie als Beweis. Wenn solche Menschen jetzt leben, werden ihre Worte als Beweis gelten. Aber andere Philosophen erläutern den Begriff Aptavakya ausführlich und sagen: „Welches ist der Beweis für ihre Worte?“ Der Beweis ist ihre direkte Wahrnehmung. Denn alles, was ich sehe, ist Beweis, und was immer ihr seht, ist Beweis, wenn es nicht im Widerspruch zur Erkenntnis der Vergangenheit steht. Es gibt eine Erkenntnis jenseits der Sinne, und wann immer sie nicht der Vernunft und vergangenen menschlichen Erfahrung widerspricht, ist sie Beweis.

Jeder Irre könnte diesen Raum betreten und behaupten, er sehe Engel um sich herum; das wäre nicht beweiskräftig. Erstens muss es wahre Erkenntnis sein und zweitens darf es nicht früherer Erkenntnis widersprechen, und drittens hängt es auch vom Charakter des Menschen ab, der sie verkündet. Manche Leute sagen, der Charakter des Menschen sei nicht so wichtig wie das, was er sagt; wir müssten erst einmal hören, was er sagt. Das mag bei anderen Dingen gelten. Ein Mensch mag böse sein und kann doch in der Astronomie eine Entdeckung machen. Aber in der Religion ist es anders, weil kein unreiner Mensch je die Macht haben wird, die Wahrheiten der Religion zu lehren.

Daher müssen wir erst einmal schauen, ob der Mensch, der sich zum Āpta erklärt, vollkommen selbstlos ist und eine heilige Person; zweitens, ob er über die Sinne hinausgegangen ist; und drittens, ob das, was er sagt, nicht der früheren Erkenntnis der Menschheit widerspricht. Jegliche neue Entdeckung der Wahrheit widerspricht nicht der vergangenen, sondern passt mit ihr zusammen. Und viertens muss es für die Wahrheit eine Möglichkeit der Verifizierung geben. Wenn jemand sagt, „ich habe eine Vision gehabt“ und mir erzählt, ich hätte kein Anrecht darauf, so glaube ich ihm nicht. Es muss in jedermanns Macht stehen, es auch für sich selbst zu realisieren. Niemand, der sein Wissen verkauft, ist ein Āpta.

All diese Bedingungen müssen erfüllt werden; du musst erst darauf achten, dass der Mensch rein ist und dass er kein selbstsüchtiges Motiv hat; dass er kein Verlangen nach Gewinn oder Ruhm hat. Zweitens, muss er zeigen, dass er überbewusst ist. Er muss uns etwas geben, was wir nicht durch unsere Sinne erlangen können und was zum Wohle der Welt ist. Drittens müssen wir darauf achten, dass es nicht im Widerspruch zu anderen Wahrheiten steht; wenn es anderen wissenschaftlichen Wahrheiten widerspricht, weise es umgehend zurück. Viertens sollte ein solcher Mensch nie singulär sein; er sollte nur repräsentieren, was alle Menschen erlangen können.

Die drei Arten von Beweis sind dann direkte Sinneswahrnehmung, Schlussfolgerung und die Worte eines Āpta. Ich kann das Wort nicht ins Englische übersetzen. Es ist nicht das Wort „inspiriert“, weil man davon ausgeht, dass Inspiration von außen kommt, während diese Erkenntnis vom Menschen selbst kommt. Die wörtliche Bedeutung ist „erlangt, erreicht“.1

viparyayo mithyā-jñānam atadrūpa-pratiṣṭham //8//

8. Irrtum ist falsche Erkenntnis, die nicht in der wahren Natur begründet ist.

Die nächste Klasse von Vrittis, die sich ergibt, verwechselt das eine mit dem anderen, so wie man ein Stück Perlmutter für ein Stück Silber hält.

śabda-jñāna-anupātī vastu-śūnyo vikalpaḥ //9//

9. Verbale Täuschung ergibt sich aus Worten, die keine (entsprechende) Realität haben.

Es gibt eine weitere Art von Vrittis, die „Vikalpa“ genannt wird. Ein Wort wird geäußert, und wir nehmen uns nicht die Zeit, um über seine Bedeutung zu reflektieren; sofort ziehen wir eine Schlussfolgerung. Das ist ein Zeichen der Schwäche des Citta. Jetzt können wir die Theorie der Zurückhaltung verstehen. Je schwächer ein Mensch, desto weniger Zurückhaltung besitzt er. Messt euch stets an diesem Prüfstein. Wenn ihr euch ärgert oder unglücklich werdet, denkt darüber nach, wie es kommt, dass eine Nachricht, die euch erreicht hat, Vrittis in eurem Geist erzeugt.

abhāva-pratyaya-ālambanā-vṛttir nidrā //10//

10. Der Schlaf ist eine Vritti, die beruht auf der Empfindung der Leere.

Die nächste Klasse von Vrittis heißt Schlaf und Traum. Wenn wir aufwachen, wissen wir, dass wir geschlafen haben: wir können nur die Erinnerung an Wahrgenommenes haben. Was wir nicht wahrnehmen, davon können wir nie irgendeine Erinnerung haben. Jede Reaktion ist eine Welle im See. Wenn nun der Geist während des Schlafes keine Wellen hätte, hätte er keine Wahrnehmungen, ob positiv oder negativ, und daher würden wir uns nicht an sie erinnern. Wir erinnern uns eben deshalb an den Schlaf, weil während des Schlafs eine bestimmte Klasse von Wellen den Geist durchlief. Erinnerung ist eine weitere Klasse von Vrittis, Smriti genannt.

anubhūta-viṣaya-asaṁpramoṣaḥ smṛtiḥ //11//

11. Erinnerung ist es, wenn die (Vrittis von) wahrgenommenen Dingen nicht entschwinden (und durch Impressionen ins Bewusstsein zurückkehren).

abhyāsa-vairāgyābhyāṁ tan-nirodhaḥ //12//

12. Ihre Kontrolle erfolgt durch Übung und Nicht-Anhaftung.

Der Geist muss, um Nicht-Anhaftung zu erlangen, klar, gut und rational sein. Warum sollten wir üben? Weil jede Handlung wie die Kräuselungen ist, die über die Oberfläche des Sees laufen. Die Schwingung läuft aus, und was bleibt dann? Die Samskāras, Impressionen. Wenn eine große Anzahl von diesen Impressionen dem Geist aufgeprägt bleiben, verschmelzen sie und werden zur Gewohnheit. Man sagt, „Gewohnheit ist die zweite Natur.“ Es ist auch die erste Natur und die ganze Natur des Menschen; alles, was wir sind, ist das Ergebnis von Gewohnheit. Das bedeutet Trost für uns, denn weil es nur eine Gewohnheit ist, können wir es zu jeder Zeit erschaffen und wieder auflösen. Die Samskaras verbleiben von diesen Schwingungen, die aus unserem Geist hervortreten, wobei jede einzelne ihr Resultat hinterlässt.

 

Unser Charakter ist die Gesamtsumme von diesen Spuren, und je nachdem welche spezielle Welle vorherrscht, nimmt man die entsprechende Tönung an. Wenn Gut vorherrscht, wird man gut; wenn Böse vorherrscht, wird man böse; ist es Freudigkeit, wird man glücklich. Das einzige, was bei schlechten Gewohnheiten hilft, sind entgegengesetzte Gewohnheiten; all die schlechten Gewohnheiten, die ihre Impressionen hinterlassen haben, müssen durch gute Gewohnheiten unter Kontrolle gebracht werden. Tue beständig Gutes, denke beständig heilige Gedanken; das ist der einzige Weg, um schlechte Impressionen zu unterdrücken. Sag nie, jemand sei hoffnungslos, denn jeder repräsentiert nur einen Charakter, ein Bündel von Gewohnheiten, die durch neue und bessere abgeblockt werden können. Charakter bedeutet wiederholte Gewohnheiten, und nur solche können den Charakter läutern.

tatra sthitau yatno’bhyāsaḥ //13//

13. Beständige Bemühung, sie (die Vrittis) vollkommen unter Kontrolle zu halten, ist Übung.

Was ist Übung? Der Versuch, den Geist in Citta-Form zu halten, ihn daran zu hindern, sich in Wellen zu veräußern.

sa tu dīrgha-kāla-nairantarya-satkāra-āsevito dṛḍha-bhūmiḥ //14//

14. Sie wird fest gegründet durch lange beständige Bemühungen mit großer Liebe (zum Ziel, das zu erreichen ist).

Kontrolle kommt nicht in einem Tag, sondern ergibt sich aus langer, beständiger Übung.

dṛṣṭa-anuśravika-viṣaya-vitṛṣṇasya vaśīkāra-saṁjñā vairāgyam //15//

15. Nicht-Anhaftung ist die Wirkung, die sich bei jenen einstellt, die ihr Verlangen nach gesehenen oder gehörten Objekten aufgegeben haben, und welche die Objekte unter Kontrolle halten will.

Die beiden Antriebskräfte für unsere Handlungen sind (1) das, was wir selbst sehen, und (2) die Erfahrung anderer. Diese beiden Kräfte verursachen die Wellen im Geist, dem See. Entsagung ist die Fähigkeit, gegen die Kräfte anzukämpfen und den Geist unter Kontrolle zu halten. Deren Entsagung ist unser Ziel. Ich gehe durch eine Straße und dann kommt jemand und nimmt mir meine Uhr weg. Das ist meine eigene Erfahrung. Ich sehe es selbst, und es verursacht sofort eine Welle in meinem Citta in der Form von Ärger. Lass dies nicht zu. Wenn du das nicht verhindern kannst, bist du gar nichts: kannst du es aber, hast du Vairagya. Die Erfahrung der weltlich Gesinnten lehrt uns, dass Sinnesfreuden das höchste Ideal seien. Dies sind gewaltige Versuchungen. Sich ihnen zu verweigern und nicht dem Geist zu erlauben, diesbezüglich Wellen zu schlagen, ist Entsagung. Die zweifache Antriebskraft zu kontrollieren, die aufgrund meiner eigenen Erfahrung und jener anderer entsteht, und so das Citta davon abzuhalten, von ihnen beherrscht zu werden, ist Vairagya. Ich sollte sie kontrollieren und nicht sie mich. Diese Art mentaler Kraft heißt Entsagung. Vairagya ist der einzige Weg zur Freiheit.

tat-paraṁ puruṣa-khyāter guṇa-vaitṛṣṇyam //16//

16. Die höchste Nicht-Anhaftung ist jene, welche selbst den Eigenschaften [Gunas] entsagt und sich aus der Erkenntnis der (wahren Natur) des Purusha ergibt.

Die Kraft von Vairagya manifestiert sich im höchsten Grad, wenn sie selbst unsere Anziehung zu den Eigenschaften auflöst. Wir müssen zunächst verstehen, was der Purusha, das Selbst, ist, und was die Eigenschaften sind. Gemäß der Yoga-Philosophie besteht die gesamte Natur aus drei Eigenschaften oder Kräften: die eine heißt Tamas, eine andere Rajas und die dritte Sattva. Diese drei Eigenschaften manifestieren sich in der physischen Welt als Dunkelheit oder Inaktivität, Anziehung oder Abstoßung, und Ausgeglichenheit der beiden. Alles in der Natur, alle Manifestationen, sind Kombinationen und Neuverbindungen dieser drei Kräfte.

Die Natur wurde von den Anhängern des Sankhya in verschiedene Kategorien unterteilt: das Selbst des Menschen ist jenseits von ihnen, jenseits der Natur. Es ist lichtreich, rein und vollkommen. Welche Intelligenz auch immer wir in der Natur bemerken, ist nur die Reflektion des Selbstes auf die Natur. Die Natur selbst ist fühllos. Man muss daran denken, dass das Wort „Natur“ auch den Geist einschließt; der Geist ist in der der Natur; das Denken ist in ihr; vom Denken bis hinab zur gröbsten Form der Materie ist alles in der Natur, der Manifestation der Natur. Diese Natur hat das Selbst des Menschen umhüllt, und wenn die Natur die Hülle entfernt, erscheint das Selbst in Seiner eigenen Herrlichkeit. Die Nicht-Anhaftung, so wie sie im Aphorismus 15 beschrieben wird (als Kontrolle der Gegenstände oder der Natur) ist die größte Hilfe, um das Selbst zu manifestieren. Der nächste Aphorismus definiert Samadhi, vollkommene Konzentration, welche das Ziel des Yogi ist.

vitarka-vicāra-ānanda-asmitā-anugamāt saṁprajñātaḥ //17//

17. Die Konzentration, die rechte Erkenntnis genannt wird,2 ist jene, welche einher geht mit Erwägen, Erforschen, Seligkeit, uneingeschränktem Ich-Sinn.

Es gibt zwei Arten von Samadhi. Die eine heißt Samprajāta, die andere Asamprajnāta. Bei der ersteren stellen sich alle Kräfte zum Kontrollieren der Natur ein. Es gibt vier Arten davon. Die erste heißt Savitarka, wenn der Geist immer wieder über einen Gegenstand meditiert, indem er ihn von anderen Gegenständen abstrahiert. In den 25 Kategorien3 der Sankhya-Anhänger gibt es zwei Arten von Gegenständen für die Meditation: erstens, die 24 empfindungslosen Kategorien der Natur, und zweitens der eine empfindende Purusha.

Dieser Teil des Yoga beruht voll und ganz auf der Sankhya-Philosophie, die ich bereits abgehandelt habe. Wie ihr euch erinnern werdet, haben Ich-Sinn, Wille und Geist eine gemeinsame Grundlage, das Citta oder die Geistsubstanz, aus der sie alle herangebildet werden. Das Citta nimmt die Kräfte der Natur auf und bringt sie als Gedanken heraus. Und weiter, es muss etwas geben, wo Kraft und Materie eins sind. Dies heißt Avyakta, der unmanifestierte Zustand der Natur vor der Schöpfung, wohin nach dem Ende eines Zyklus die ganze Natur zurückkehrt, um nach einem weiteren Zeitabschnitt wieder zurückzukehren. Jenseits davon ist der Purusha, das Wesen der Intelligenz. Erkenntnis ist Macht, und sobald wir eine Sache zu erkennen beginnen, erlangen wir Macht über sie; ebenso auch, wenn der Geist über die verschiedenen Elemente zu meditieren beginnt: dann erlangt er Macht über sie.

Diese Art Meditation, wo die äußeren grobstofflichen Elemente die Gegenstände sind, heißt Savitarka. Vitarka bedeutet Frage; Sa-vitarka, mit Frage, d.h. gleichsam die Elemente befragen, auf dass sie ihre Wahrheiten und Kräfte jenem preisgeben, der über sie meditiert. Das Erlangen von Kräften bringt keine Befreiung mit sich. Es ist ein weltliches Suchen nach Genuss, und es gibt keinen Genuss in diesem Leben; alles Suchen nach Genuss ist vergeblich; dies ist die alte, alte Lektion, die zu lernen der Mensch so schwer findet. Wenn er sie doch lernt, verlässt er das Universum und wird frei. Der Besitz dessen, was wir „okkulte Kräfte“ nennen, intensiviert nur die Welt und am Ende das Leid. Obgleich Patanjali als Wissenschaftler die Möglichkeiten dieser Wissenschaft erörtern muss, lässt er keine Gelegenheit aus, vor diesen Kräften zu warnen.

Und weiter: wenn man sich bei derselben Meditation bemüht, die Elemente aus Zeit und Raum herauszunehmen und sie sich so vorzustellen, wie sie sind, so nennt man dies Nirvitarka, ohne Frage. Wenn die Meditation eine Stufe höher geht und die Tanmatras4 zum Gegenstand macht und sie sich vorstellt als in Zeit und Raum, so nennt man dies Savichāra, mit Unterscheidung5; und wenn man in derselben Meditation Zeit und Raum ausblendet und sich die feinstofflichen Elemente so vorstellt, wie sie sind, so heißt dies Nirvichāra, ohne Unterscheidung.

Der nächste Schritt ist es, wenn man die Elemente aufgibt, sowohl die grob- wie auch die feinstofflichen, und der Gegenstand der Meditation das Innenorgan, das Denkorgan ist. Wenn man sich das Denkorgan vorstellt als ohne die Eigenschaften von Tätigkeit und Dumpfheit, so sprechen wir von Sānanda6, dem glückseligen Samadhi. Wenn der Geist selbst der Gegenstand der Meditation ist und wenn diese sehr ausgereift und konzentriert wird, wenn alle Vorstellungen der grob- und feinstofflichen Materialien aufgegeben werden und nur der Sattva-Zustand des Ichs verbleibt, aber abgesetzt von allen anderen Gegenständen, so heißt dies Sāsmita7 Samadhi.

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