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Erinnerungen eines Policeman

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3

Als ich Bristowe bis zu dem vor der Thür haltenden Wagen, der ihn wieder ins Gefängniß bringen sollte, begleitete, konnte ich mich nicht enthalten, ihm zu zuflüstern:

»Fassen Sie Muth, und glauben Sie mir, wir werden das ganze Räthsel lösen.«

Er warf mir einen flüchtigen fragenden Blick zu, drückte mir herzlich die Hand und stieg ohne eine Wort zu antworten in den Wagen.

Ich schaute ihm nach; als er hinter der Straßenecke verschwunden war, dachte ich an das von Barnes erhaltene Billet und eilte in den Gasthof, wo er mich erwartete.

Er war allein in dem Zimmer, dessen Nummer er mit angegeben hatte. Ich Verschloß sorgfältig die Thür, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß wir nicht belauscht wurden, sagte ich:

»Nun, Barnes, was haben Sie entdeckt?«

»Ich habe entdeckt,« erwiederte er, »daß der Mörder der armen Sara King in dein Wirthshause ist, wo Sie mich gestern verlassen haben.«

»Ich dachte es wohl, nachdem ich Ihr Billet gelesen hatte. Aber welche Beweise können Sie für diese Behauptung beibringen?«

»Hören Sie nur: Die drei Reisenden , auf meinen scheinbaren Rausch vertrauend, sprachen in meiner Gegenwart einige Worte, die mich überzeugten, daß sie nicht nur die Thäter sind, sondern daß sie hierher gekommen sind, um das in einem nahen Walde versteckte Silberzeug zu holen. In dieser Nacht wollen sie es holen.«

Weiter! Haben Sie sonst noch etwas ermittelt?«

»Ja; Sie wissen, daß ich ein ziemlich guter Bauchredner bin und daß ich eine Zeit lang in dieser Eigenschaft und als Komödiant mein Brot verdient habe. Es bot sieh eine gute Gelegenheit von meinem Talente Gebrauch zu machen. Der jüngste der drei Schurken, derselbe, der neben Mr. Bristowe saß und sich am Abend des zweiten Tages auf das Dach des Eilwagens setzte, weil es ihm zu heiß wurde. . . «

Ich fiel Barnes ins Wort:

»Ja, richtig! ich erinnere mich. Wie einfältig war ich doch, daß ich diesen Umstand vergessen hatte! Doch fahren Sie fort.«

»Wir waren allein in der Gaststube. Es sind etwa drei Stunden. Sie können leicht denken, daß mein Rausch noch nicht verraucht war; ich war noch total betrunken. Der Schurke, mit welchem ich ein Experiment machen wollte, hörte auf einmal, obschon er am andern Ende der Stube war, die Stimme der armen Sara King . . . Diese Stimme hatte ich scherzweise oft nachgeahmt; sie rief ihm ins Ohr: »Wer ist da in dem Silberzimmer?« Wenn Sie wüßten, mein lieber Herr, von welchem Entsetzen er ergriffen wurde und wie er zitterte und wie scheu er sich in der Stube umsah! Sie würden dann nicht mehr im mindesten gezweifelt haben, wer die Thäter sind.«

»Dies beweist mir, lieber Barnes, daß Sie ein trefflicher Bauchredner sind; aber es ist nicht genügend, um einen gesetzlichen Beweis zu führen. Indeß können wir aus diesem Umstande vielleicht Nutzen ziehen. Ist der Mensch, an welchem Sie Ihre Kunst probirt haben, nicht schlank und blond und etwa so groß wie Mr. Bristowe?«

»Ja.«

»Nun, es ist vielleicht etwas zu machen. Begeben Sie sich sogleich wieder auf Ihren Posten. Diesen Abend werde ich mit Ihnen wieder zusammentreffen.«

Barnes ging fort.

Um mein Versprechen zu halten, oder vielmehr um meinen Plan auszuführen. begab ich mich frühzeitig in das Wirthshaus an der Landstraße, welches den Namen »Talbot Tavern« führte, und nahm in der Gaststube Platz.

Die drei Gauner waren da, Barnes ebenfalls. Ich ging gerade auf die Gruppe zu.

»Ist dieser Mann immer noch taub?« fragte ich, auf Barnes deutend.

»Er hat seit gestern immer auf der Bank gelegen und getrunken und geschnarcht. Diesen Nachmittag taumelte er hinaus, vermuthlich um zu Bett zu gehen; aber er scheint nicht gut geschlafen zu haben.«

Ich zuckte die Achseln und setzte mich in meinen Winkel.

Sobald sich eine Gelegenheit darbot, mit Barnes unter vier Augen zu reden, fragte ich ihn, was die drei Abenteurer gethan.

Einer von ihnen hatte sich entfernt, um nach Kendal zu gehen; er war mit einem einspännigen Wagen zurückgekommen. Alle Drei wollten in einer Stunde fort, unter dem Vorwande, in einer vierzehn Miles entfernten Stadt übernachten zu wollen. .

Ich entwarf sogleich meinen Plan. Ich ging wieder in die Gaststube, aus der ich mich entfernt hatte, um mit Barnes zu sprechen. Der Zufall war uns außerordentlich günstig. Der große blonde junge Mensch, an welchem Barnes seine Bauchrednerkunst versucht hatte, stand allein am Ofen und las eine Zeitung. Er war, wie schon erwähnt, ein alter Bekannter von mir, und wir waren schon in der Sandfort’schen Angelegenheit mit einander in Berührung gekommen.

Ich trat auf ihn zu.

»Dick Staples,« sagte ich zu ihm, »ich habe Ihnen ein Wort im Vertrauen zu sagen. Kommen Sie ins Nebenzimmer.«

Ich sprach mit meiner natürlichen Stimme und hob zugleich meine Perrücke auf , um mich zu erkennen zu geben. Er erkannte mich wirklich. und zwar als einen hochgestellten Agenten der Sicherheitsbehörde. Er war ganz bestürzt, der Schrecken wirkte auf ihn wie ein elektrischer Schlag und er begann heftig zu zittern, denn er sah wohl ein, daß Alles entdeckt war.

Seine beiden Genossen spielten Piqnet, um die Zeit zu vertreiben; sie beobachteten uns nicht.

»Kommen Sie,« flüsterte ich ihm zu, »es ist kein Augenblick zu verlieren, lieber Staples, wenn Sie Ihr Leben retten wollen.«

»Reden Sie,« antwortete er, »was soll ich thun?«

»Mir folgen und die Wahrheit sagen-.

Er gehorchte.

Ich führte ihn in das Nebenzimmer, verschloß die Thür, zog eine Pistole aus der Tasche und hielt sie ihm auf die Brust.

»Sie sehen, lieber Staples,« sagte ich, »daß die Komödie zu Ende ist. Ich stand hinter den Coulissen und habe Alles gesehen. Sie haben Mr. Bristowe im Drurylane-Theater die Brieftasche gestohlen. In dieser Brieftasche haben Sie den Brief seines Oheims gefunden, und nicht zufrieden mit den sechshundert Pfund Sterling, die sich darin befanden, faßten Sie den Entschluß, auch die viertausend Pfund Sterling, von denen in dem Briefe die Rede war, zu stehlen. Sie kleineren sich gerade so wie der junge Gentleman, begaben sich unter seinem Namen nach Five Oaks Hause und zeigten der Sara King den Brief seines Oheims vor. Man hielt Sie natürlich für den Neffen und nahm keinen Anstand Sie zu empfangen. Sie zeigten sich den Lieferanten absichtlich in seinem Anzuge, kehrten denselben aber den Rücken zu, um nur Ihre Gestalt, aber nicht Ihr Gesicht zu zeigen. Bei Einbruch der Nacht haben Sie Sara King ermordet und Ihren Spießgesellen die Thür geöffnet.«

»Nein! Nein!« betheuerte Staples , »ich habe sie nicht ermordet , das schwöre ich Ihnen. William hat es gethan.«

»Ja; aber Sie waren anwesend, als sie niedergestoßen wurde, und Sie wissen, daß dies in den Augen des Criminalgerichts keinen Unterschied machte.

Staples seufzte tief.

»Und auf der Reise von London nach Kendal,« fuhr ich fort, »haben Sie dem jungen Gentleman ein spanisches Goldstück in die Tasche geschoben; dann setzten Sie sich, angeblich um frische Luft zu schöpfen. oben auf den Eilwagen und steckten das Diamantenkreuz in das Futter seines Reisesackes.«

»Ja, das ist wahr,« sagte Staples, dem der Schrecken fast die Besinnung geraubt hatte.

Er sank auf einen Stuhl.

»Was soll ich jetzt thun,« stammelte er, »um mein Leben zu retten? Reden Sie.«

»Vor Allem stehen Sie auf und hören Sie mich an, wenn Sie nicht der wirkliche Mörder sind . . .«

»Nein, ich bin’s nicht! Bei meiner Seele. ich bin’s nicht!«

»Gut, wenn Sie es nicht sind, so werden Sie wahrscheinlich als Zeuge vor Gericht zugelassen werden.«

»Wirklich! Können Sie mir das versprechen?«

»Nein, Staples, versprechen kann ich’s nicht, ich kann nur sagen: vielleicht.«

»Gut, ich bin mit Allem zufrieden, was Sie thun.«

»Jetzt sagen Sie mir, wo das geraubte Silberzeug versteckt ist und wann es geholt werden soll.«

»Die beiden Andern werden sich sogleich in den von Kendal gehalten Einspänner setzen. Das Silberzeug ist links von der Straße im Gebüsch versteckt. Ich soll hier bleiben, um Wache zu halten ; sobald sich etwas Verdächtiges zeigt, soll ich zwei brennende Kerzen in das Fenster unseres Schlafzimmers stellen. Wenn hingegen Alles gut geht, soll ich auf der Landstraße am nächsten Kreuzwege mit ihnen zusammentreffen.«

»Es ist gut. Gehen Sie wieder in die Gaststube; ich folge Ihnen. Aber merken Sie wohl, Staples, ich lasse Sie nicht ans den Augen, und sobald Sie mich nur durch einen Wink verrathen, schieße ich Sie nieder wie einen Hund.«

Staples ging wieder in die Gaststube; ich folgte ihm auf dem Fuße.

Unsere Abwesenheit war ganz unbeachtet geblieben.

Zehn Minuten nachher fuhren die beiden Raubmörder in dem Einspänner ab. Ich ging ihnen, von Barnes und Staples begleitet, leise und vorsichtig nach. Um völlig sicher zu seyn, hatte ich Staples Handschellen angelegt und ihm den Stallknecht als Hüter gegeben.

Die Nacht war sehr finster; das Rasseln des Wagens auf dem harten Boden war lauter als unsere Fußtritte. Endlich hielt der Einspänner an, die beiden Banditen stiegen ab, holten schnell das Silberzeug aus dem Gebüsch und legten es in den Wagen.

Wir schlichen vorsichtig näher und befanden uns bald auf zwanzig Schritte von der Stelle, wo das Silberzeug vergraben war.

»Lege die Sachen in den Wagen,« sagte der eine Bandit zum andern, »ich will sie Dir reichen.«

Sein Begleiter gehorchte.

»Warte,« sagte der Erste, »ich glaube Dir gesagt zu haben . . .«

»Daß Ihr endlich ertappt seyd!« fiel ich ihm ins Wort und warf ihn rücklings zu Boden.

»Was gibt’s?« fragte der am Wagen stehende Bandit.

»Das will ich Dir sagen,« erwiederte Barnes; »wenn Du eine Bewegung machst, wenn Du Miene machst zu entfliehen, so jage ich Dir eine Kugel durch den Kopf.«

Das Erstaunen, der Schrecken der beiden Banditen war so groß. daß sie weder an Widerstand, noch an Flucht dachten.

 

Wir legten ihnen sogleich Handschellen an und nahmen ihnen alle Waffen ab, die sie bei sich führten. Der Rest des Silberzeugs wurde in den Wagen gelegt und wir begaben uns nach Feudal. Um elf Uhr Abends waren alle Drei im Gefängniß.

Diese Nachricht verbreitete sich mit Blitzesschnelle Robert Bristowe wurde natürlich der Gegenstand allgemeiner Theilnahme und schon am frühen Morgen wurde ich von allen Seiten mit Glückwünschen und Lobsprüchen überschüttet.

Aber mein süßester Lohn war der warme Händedruck, die leidenschaftliche Umarmung des Greises, der in mir den Retter seines Neffen erblickte. Er eilte in aller Frühe zu mir, um sich von der Wahrheit der so schnell verbreiteten Nachricht zu überzeugen und alle Segnungen des Himmels auf mich herabzurufen.

Es gibt Augenblicke des Glücks in jedem Wirkungskreise, sogar in dem Leben eines Policeman.

Robert Bristowe wurde noch an demselben Vormittage auf freien Fuß gesetzt. Staples wurde bei der Gerichtsverhandlung als Zeuge zugelassen. Williams, der wirkliche Mörder, wurde gehängt, der Andere zur Deportation verurtheilt. Ein Theil der gestohlenen Geldsummen wurde aufgefunden und den rechtmäßigen Eigenthümern zurückgegeben. Der Gauner endlich, der um die Ausübung des Verbrechens zu erleichtern, Robert Bristowe nach Bristol gelockt hatte, wurde wegen einer andern Betrügerei verhaftet und als Helfershelfer der Raubmörder zur Deportation nach Neuholland verurtheilt.

III.
Der Wahnsinnige

1

Als ich im Jahre 1831 nach London kam, miethete ich in Mile End Road, unweit der Barriere, bei einem gewissen Benshawe eine Wohnung.

Zur Wahl dieser Wohnung bestimmten mich zwei Gründe: die Reinlichkeit des Hauses und meine Bekanntschaft mit Mr. Arley, dem Oheim meines Wirthes. Oheim und Neffe hatten nemlich in Yorkshire gewohnt, wo ich seit zehn bis zwölf Jahren meinen bleibenden Aufenthalt gehabt hatte. Den Neffen hatte ich zwar nie gesehen, aber oft von ihm gehört, zumal bei Gelegenheit eines tragischen Ereignisses, welches sein früheres Leben mit Trauer erfüllt hatte. Ein unglückliches Liebesverhältniß hatte nemlich seinen Geist dergestalt erschüttert, daß er einige Monate im Irrenhause zugebracht hatte. Er war mit einem ärztlichen Zeugniß entlassen worden ; aber einige seiner Bekannten glaubten, er sey nie wieder in den vollen Besitz seiner Geisteskräfte gekommen.

Aber erst einige Zeit nachdem ich mit meiner Frau die Wohnung in Benshawe’s Hause bezogen hatte, begannen wir diese Ansicht zu theilen, und gleichwohl wäre es uns schwer geworden, diese Meinung durch überzeugende Beweise zu rechtfertigen. Henry Benshawe war ungemein sanft und gutmüthig; Mancher würde seine Herzensgüte für Einfalt oder Blödsinn gehalten haben, und gleichwohl wußte er ein ganz vernünftiges Gespräch zu führen und fein Lebenswandel war tadellos. Nur ein gewisser Trübsinn war an ihm zu bemerken, und wenn ihm auch das Gespräch mit Personen, denen er zugethan war, zuweilen ein Lächeln entlockte, so war doch leicht zu erkennen, daß dieser leichte Anflug von Heiterkeit nicht aus dem Herzen kam. Wer einige Zeit mit ihm umgegangen war, konnte wohl erkennen, daß seine Herzenswunde wohl vernarbt, der giftige Stachel aber unter der Narbe stecken geblieben war.

Niemand kannte freilich den Todespfeil, den die Hand der Zeit nicht herauszuziehen vermochte. Vielleicht war es die Reue, wer konnte es wissen?

Ein hübsches, gut gemaltes Porträt, welches in seinem Salon hing, gab übrigens zu verstehen, wodurch er die Ruhe seines Herzens verloren hatte. Es war das Porträt eines etwa achtzehnjährigen schönen Mädchens mit sanften blauen Augen, aber ernsten, fast traurigen Gesichtszügen, wie gewöhnlich bei zarten, einem frühen Tode geweihten Wesen.

Eine am Rahmen befestigte Inschrift erzählte in kurzen Worten die ganze Geschichte des armen Mädchens. Sie lautete folgendermaßen:

»Laura Hargrave, geboren 1804, ertrunken 1821.«

Dieses Porträt sprach übrigens als stumme Erinnerung an vergangene Zeiten vielleicht eine Sprache, die nur seinem Eigenthümer bekannt war ; aber nie entschlüpfte ihm die leiseste Anspielung auf die in der Inschrift angedeutete erschütternde Begebenheit, obschon sich unser tägliches Gespräch immer um Auftritte und Ereignisse drehte, deren Zeugen wir zu verschiedenen Zeiten in Yorkshire gewesen waren. Mitten in diesen Gesprächen bemerkte ich zuweilen kleine Zerstreuungen. die vielleicht von Andern nicht bemerkt worden wären, meiner Beobachtung aber nicht entgingen und für mich ein Beweis waren, daß das verzehrende Feuer des Wahnsinns, welches in seinem Gehirn noch nicht völlig erloschen war, noch unter der Hülle des klaren Verstandes glühte. Zum Unglück traten bald nach meiner Ankunft in der Hauptstadt gewisse Verhältnisse ein, welche diese fast erloschenen Funken wieder anfachten und in eine verzehrende Flamme verwandelten.

Henry Benshawe war ziemlich wohlhabend; seine liegenden Gründe allein trugen ihm etwa vierhundert Pfund Sterling ein, und dieses Einkommen war mehr als hinreichend für ihn, denn seine Lebensweise war sehr einfach, fast kärglich. Er war immer sehr nett, fast elegant gekleidet; aber trotz dieser fashionablen Außenseite hielt er keine Dienerschaft; eine Aufwärterin kam täglich zu gewissen Stunden, um sein Zimmer zu reinigen und andere häusliche Geschäfte zu besorgen. Er pflegte sehr einfach im Gasthause zu speisen. Sein ganzes Haus war vermiethet, er selbst hatte nur einen Salon und ein Schlafzimmer für sich behalten. Unter den Hausbewohnern war eine Familie, welche eine ganz besondere Erwähnung verdient.

Diese Familie bestand aus dem Manne, der Frau und einem vier- bis fünfjährigen Knaben. Der kaum siebenundzwanzigjährige Mann, Namens Irwin, war blaß und kränklich; er welkte an der Lungenschwindsucht langsam dahin. Dieses Siechthum war, wie man sagte, dadurch entstanden, daß er vor einem Jahre nach dem Brande einer Fabrik, wo er sehr thätig gewesen war, die nassen Kleider nicht schnell genug abgelegt hatte. Er verfertigte Gold und Silberstoffe, Tressen, Epauletten und dergleichen und hatte eine bedeutende Kundschaft unter den ersten Handlungshäusern des Westendes. In seiner Fabrik waren etwa zwanzig Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt.

Irwin bewohnte ein kleines abgesondertes Haus im Garten. Seine Frau war sehr schön und liebenswürdig, sie mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt seyn. Sie war die Tochter eines Geistlichen, und es war leicht zu sehen, daß sie eine seht sorgfältige Erziehung erhalten hatte.

Der Knabe war ein wahrer Cherub mit runden, rosigen Wangen, klaren blauen Augen und blonden Locken; dabei hatte er jene ungestüme Lebhaftigkeit, die ein Zeichen von Lebensfrische und rüstiger Gesundheit ist. Er war der Abgott seiner Eltern.

Ellen, so hieß die Frau, war äußerst geschickt in den zum Gewerbe ihres Mannes gehörenden feineren Arbeiten, und sie suchte durch rastlose Thätigkeit ihrem immer schwächer werdenden Gatten zu Hilfe zu kommen. Ihre zärtliche Sorge um den kranken, reizbaren Mann war wirklich rührend. Die Ungeduld, die er oft zu erkennen gab, lag keineswegs in seinem Naturell, sondern war die Folge seiner Kränklichkeit. Abgesehen von diesen zeitweiligen Aufwallungen, war Irwin gegen seine Frau um so zärtlicher, da er wohl einsah, daß die Zeit, die er noch an ihrer Seite zu verleben hatte, mit furchtbarer Schnelligkeit verstrich. Wer nicht ganz unempfänglich für die sanften Regungen des Gemüths war, konnte Ellens engelgleiche Sanftmuth und Geduld nicht ohne tiefe Rührung sehen Meine Frau vergötterte sie. Für mich hatte sie etwas eigenthümlich Anziehendes; ich erinnerte mich, sie früher schon gesehen zu haben, aber ohne zu wissen wo. Zumal ihr wehmüthiger, trüber Blick fesselte mich unwiderstehlich, und je länger ich sie betrachtete, desto fester wurde meine Ueberzeugung, daß sie mir nicht ganz unbekannt sey.

Eines Abends, als ich nach Hause kam, sagte man mir Irwin’s Zustand habe sich verschlimmert und Ellen habe meine Frau rufen lassen. Da ich ihr vielleicht von einigem Nutzen seyn konnte, so eilte ich durch den Garten und begab mich in das Zimmer des Kranken. Der Zufall wollte, daß das Licht der Lampe in dem übrigens halbdunkeln Zimmer auf das Gesicht der Mistreß Irwin fiel. Ich blieb nahe an der Thüre stehen. Was meine Gedanken so lange vergebens beschäftigt hatte, wurde mir nun plötzlich klar.

»Jetzt erinnere ich mich,« sagte ich laut, »wo ich sie gesehen habe; es ist das Original des Bildes in Mr. Benshawe’s Zimmer.«

Ein leises, dumpfes Lachen erregte meine Aufmerksamkeit. Ich sah mich um. Benshawe stand in der Thür. Er glich mehr einer Marmorstatue als einem lebenden Wesen; nur seine wild leuchtenden Augen schienen zu leben. Sein Blick hatte einen Ausdruck, den ich noch nie gesehen, und schien einen Grad der Wuth annehmen zu wollen, die nur den Wasserscheuen und Tobsüchtigen eigen zu seyn scheint.

»Ha! Ha!« sagte er eintretend, »endlich haben Sie es also auch bemerkt! Es ist das Original des Bildes in Mr. Benshawe’s Zimmer. Sie haben’s erst heute bemerkt? Ich habe es schon lange erkannt . . . Ja, Sie haben Recht, es ist so.

In demselben Augenblicke schrie Ellen laut auf; ob sie über Benshawe’s Erscheinen erschrak oder ein bedenkliches Symptom in dem Befinden ihres Mannes beobachtete, weiß ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Ich faßte Benshawe beim Arm und zog ihn mit Gewalt zum Zimmer hinaus. In dem Ausdruck seines Gesichts lag etwas Unheimliches, Verzweifeltes, das ein Kranker sticht sehen durfte.

Ich führte ihn durch den Garten und ging mit ihm in seinen Salon.

»Was meinten Sie denn?« fragte ich, »was haben Sie schon lange bemerkt?«

Er wollte mir antworten, als ein zweiter noch lauterer Schrei aus dem Krankenzimmer zu uns herüberkam. Benshawe riß seine funkensprühenden Augen noch weiter auf als zuvor, und ein wildes. frohlockendes Gelächter kam aus seinem verirrten Munde.

»Ha! Ha!« rief er, »den Schrei kenne ich; es ist der Todesschrei! Sey willkommen, lieber Tod, den ich in meiner Einsamkeit so oft verwünschte, wenn die Leute sagten, ich sey närrisch, und die Aerzte mir kaltes Wasser über den Kopf schütteten!«

Diese Worte konnten ebensowohl von einer augenblicklichen heftigen Aufregung als von einer völligen Rückkehr des Wahnsinns kommen. Ich beschloß daher, ihn mit Sanftmuth zu behandeln und wo möglich durch vernünftige Vorstellungen zu beschwichtigen.

»Was meinen Sie?« fragte ich ganz ruhig und gelassen, »ich verstehe Sie nicht. Segen Sie sich und erklären Sie mir den Sinn der seltsamen Worte, die Sie beim Eintritt in Mrß. Irwin’s Zimmer sprachen.«

»Die Erklärung,« erwiederte er, »brauche ich Ihnen nicht zu geben; Sie wissen schon was ich meine. . . Dort ist die Erklärung,« setzte er hinzu, indem er auf das Bild wies.

»Ich verstehe Sie nicht, lieber Freund. Was meinen Sie mit dem Bilde?«

»Ich meine damit, daß Sie das Original gesehen haben. Das Original ist Ellen, die Frau des Sterbenden . . . Und doch erkennt sie mich nicht. Nein, sie erkennt mich gewiß nicht. Ich bin freilich sehr verändert, sehr traurig verändert; ich bin seit zehn Jahren ein Greis geworden.«

Dabei warf er einen trostlosen Blick in den Spiegel.

Ich wollte ihn wieder zur Vernunft bringen, und in meinem Irrthum nahm ich meine Zuflucht zu Vorstellungen, die ihn vollends um seinen Verstand bringen mußten.

»Sie irren sich,« sagte ich, »Mistreß Irwin kann nicht das Original dieses Bildes seyn, wenn die junge Dame, die es vorstellt, vor zehn oder zwölf Jahren ertrunken ist.«

»Ja, ja,« erwiederte Henry Benshawe, »man glaubte, Laura sey ertrunken; alle Leute glaubten es. Auch ich glaubte es, und dieser Wahn brachte mich um meinen Verstand. Aber jetzt entsinne ich mich: wenn ich ruhige Augenblicke hatte, wenn Lauras lachendes Antlitz mir vorschwebte, wie es wirklich war, und nicht wie ich es in meinem Wahnwitz sah, mit starren, gläsernen Augen, mit triefendem, schlammigem Haar, – wenn sie mich mit ihren sanften, klaren Augen ansah und mit ihrer lieblichen Stimme zu mir sprach, dann wußte ich wohl, daß sie lebte und daß alle Gerüchte von ihrem Tode Lügen waren . . . Sehen Sie sie nur an,« setzte er, auf das Bild deutend, hinzu, »sehen Sie sie nur an, und sagen Sie, ob sie es nicht ist.«

»Wer denn?«

»Mistreß Irwin, Sie haben sie ja so eben selbst erkannt.«

»Es ist wahr,« erwiederte ich, »auf den ersten Anblick schien mir Mistreß Irwin einige Aehnlichkeit mit diesem Bilde zu haben; aber jetzt, da ich das Bild wieder betrachte finde ich nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit.«

»Es handelt sich hier nicht um wirkliche oder eingebildete Aehnlichkeit, ich sage Ihnen, daß das Bild und Mistreß Irwin eine und dieselbe Person sind.«

 

Ich sah wohl, daß es nicht möglich war, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.

»Wir wollen ein andermal davon sprechen,« sagte ich, »heute sind Sie krank, überreizt; Sie müssen zu Bett gehen. Ich höre unten die Stimme des Doctors Garland, der Mr. Irwin besucht. Wenn er von unserm Nachbar kommt, wird er Ihnen einen Besuch machen.«

»Nein, nein!« erwiederte er aufgebracht, »ich will keinen Arzt! Schicken Sie mir keinen zu; ich hasse die Aerzte. Ich betheuerte ihnen vergebens, daß ich nicht wahnsinnig sey, sie schütteten mir Eiswasser über den Kopf, bis daß ich nichts mehr fühlte, nichts mehr sah, bis daß jeder Lebensfunke in mir erloschen war . . . Nur keinen Arzt! Ich will zu Bett gehen, weil Sie es wollen; aber um Alles in der Welt nur keinen Arzt!«

Während er dies sagte, wich er zitternd, fast kriechend zurück und ließ mich keine Secunde aus den Augen, bis er die Thür seines Schlafzimmers erreicht hatte.

Ich hörte nun wie er den Schlüssel drehte und den Riegel verschob. – Ich war allein. Es schien mir klar, daß der nur beschwichtigte, aber nicht völlig geheilte Wahnsinn in einigen Augenblicken wieder ausbrechen werde. Armer Benshawe!

Ich stand vor dem Bilde. Um die fixe Idee, die sich seiner bemächtigt hatte, zu ergründen, nahm ich ein Licht und betrachtete Laura’s Porträt.

Es war nicht zu leugnen, das Bild hatte eine ausfallende Aehnlichkeit mit Mistreß Irwin: ich sah hier dieselben blonden Locken, denselben wehmütig ernsten Ausdruck der Augen, dieselben feinen, blassen Züge. Laura schien nur etwas jünger als Ellen. Das Gegentheil würde stattgefunden haben, wenn das Original des Bildes gelebt hätte; denn Laura wäre mehr als dreißig Jahre alt gewesen, während Ellen nicht mehr als zwei- bis dreiundzwanzig Jahre zählte.

Ich ging leise die Treppe hinunter, durch den Garten. Georges Irwin war todt.

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