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7.
Die Zeit spielte keine sonderlich große Rolle mehr. Hasard kauerte zwischen den Felsen unmittelbar an der Küste und wartete auf den unheimlichen Mörder. Neben ihm lag Plymmie auf dem Untergrund – mucksmäuschenstill.
Unten, im Stollen, unweit des Einganges, hockten die Wächter. Die Zwillinge, Mac und Mustafa leisteten ihnen Gesellschaft. Der Kutscher war beim Sultan Quabus bin Said und dem Leibarzt geblieben, für den Fall, daß Nabila während der Nacht seine Hilfe brauchte.
Natürlich war auch der Palast abgeschirmt. Keine Maus konnte herein oder heraus. Überall lauerten die bewaffneten Wächter.
Langsam verstrichen die Stunden. Der Seewolf war um Geduld bemüht, aber natürlich beschlichen ihn doch einige Zweifel. War der Mörder so verrückt, noch einmal an den Tatort zurückzukehren? Hatte er nicht genug Vernunft, von einem weiteren Anschlag abzusehen? Mußte er nicht direkt wittern, daß man ihm eine Falle stellte?
Aber nein – er konnte nur etwas ahnen, wenn ihm inzwischen bekannt geworden war, daß der englische Kapitän und seine Helfer den geheimen Stollen entdeckt hatten. Dann verging die Nacht, ohne daß sich auch nur der Schatten des Vermummten zeigte. Schöpfte er aber keinen Verdacht, daß sein geheimer Einlaß gefunden worden war, dann pirschte er sich wieder an, um seine nächste Bluttat zu verüben.
Oder hatte er sich möglicherweise doch ganz abgesetzt? Hasard konnte es nicht ausschließen. Aber er glaubte nicht an eine Flucht des Verbrechers.
Welche Motive hatte der Mann, sich wie eine Bestie auf Frauen zu stürzen? Wollte er sie vergewaltigen? Nein, das konnte nicht der Grund sein. Haß steckte dahinter, vielleicht Blutrache, wie sie im Orient üblich war. Der Mörder wollte in Wirklichkeit Quabus bin Said treffen.
Plymmie hob die Ohren.
Hasard wandte vorsichtig den Kopf und sah in die Richtung, in die die Hündin blickte. Er registrierte eine schwache Bewegung zwischen den Felsen. Dann flatterte etwas auf – ein schwarzer Nachtvogel.
Fehlmeldung, dachte der Seewolf.
Er rechnete damit, noch einige Stunden zwischen den Felsen verbringen zu müssen. Vielleicht war alles vergebens. Darauf mußte man vorbereitet sein. Und auch eine zweite und dritte Nacht mußten nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg führen. Der Mörder konnte sie so lange an der Nase herumführen, wie er wollte.
Von Masquat drangen nur schwache Geräusche herüber. Die Lichter der Stadt zitterten in der Dunkelheit. Im Hafen schien alles ruhig zu sein.
Moravia könnte begriffen haben, daß sich ein Angriff auf die „Santa Barbara“ nicht auszahlt, dachte Hasard. Aber die Nacht war noch nicht vorbei. Noch war alles offen. Die Ruhe im Hafen war trügerisch – bald sollte es damit vorbei sein.
Dan O’Flynn war zwar der Mann mit den schärfsten Augen an Bord der „Santa Barbara“, doch dieses Mal war es Bill, der als erster auf die drohende Gefahr aufmerksam wurde. Er stand im Großmars und versah seinen routinemäßigen Dienst als Ausguck. Plötzlich bemerkte er, daß sich kleine Schemen auf die Galeone zuschoben.
Ben hatte mit der Crew genau abgesprochen, wie man sich im Falle eines Angriffes verhalten sollte. Die Kanonen der „Santa Barbara“ waren geladen, aber nicht ausgerannt. Auch die Handfeuerwaffen waren griffbereit.
Ferris Tucker hatte seine Flaschenbomben gestapelt. Shane und Batuti hatten ihre Langbögen aus englischer Eibe in Reichweite. Die Drehbassen waren ebenfalls feuerbereit. Doch wenn es irgend ging, sollte ein Schußwechsel mit Angreifern vermieden werden.
Bill stieß einen Laut aus, der dem Ruf einer Möwe ähnelte. Unter ihm, auf der Kuhl, waren die Männer mit einem Schlag hellwach. Carberry kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und entdeckte die nahenden Boote.
„Hol’s der Henker“, murmelte er. „Da kommen unsere Freunde.“
Higgy verschwand wie der Blitz, um die Kameraden zu wecken, die an diesem Abend Freiwache hatten. Sofort sprangen sie aus ihren Kojen. Sie verließen das Logis und schlichen an Oberdeck – Blacky, Stenmark, Piet Straaten, Jan Ranse und vier andere.
Ben Brighton war unterdessen von seinem Bruder Roger benachrichtigt worden. Er erschien auf dem Hauptdeck und warf einen Blick auf eins der Boote.
„Da sitzen ziemlich viele Kerle drin“, flüsterte er.
„Insgesamt scheinen es drei bis vier Dutzend zu sein“, meldete Dan O’Flynn gedämpft.
„Aufpassen“, raunte der alte O’Flynn. „Das kann ins Auge gehen.“ Er schwang aber bereits einen Koffeynagel und schaute drein, als habe er auch noch vor, sein Holzbein abzuschnallen und auf dem Rücken eines Portugiesen tanzen zu lassen.
Die Arwenacks bezogen ihre Posten. Alles lief in völliger Stille ab. Moravia und die Bande Hafenhaie hatten sich inzwischen weiter genähert. Der Anführer stand aufrecht im Heck seines Bootes.
Er triumphierte bereits. Diese Engländerbastarde schliefen ja! Längst hätten sie den nahenden Verdruß bemerken müssen. Aber es blieb still an Bord des Dreimasters. Nichts regte sich. Moravia glaubte, das Schnarchen der Ankerwache zu hören.
Nun war es soweit. Die Boote glitten bei der „Santa Barbara“ längsseits, an Backbord und an Steuerbord. Zwei Boote schoben sich unter das Heck, eines unter den Bug. Und schon schleuderten die Portugiesen ihre Enterhaken. Wie die Katzen enterten sie an den Bordwänden auf.
Furio Ingrao, der Glatzkopf, wollte einer der ersten sein. Er kletterte am Heck hoch und stieg über das Ruderblatt auf die Heckgalerie. Hier richtete er sich vorsichtig auf und warf einen Blick durch die Bleiglasfenster in die Kapitänskammer.
Dunkel – kein noch so kleines Licht brannte. Und das Schott war von innen abgeriegelt. Ingrao fluchte leise, dann grinste er aber wieder und hangelte zur Heckreling hinauf, um auf das Achterdeck zu gelangen.
Silvestro Moravia schwang im selben Augenblick sein rechtes Bein über das Schanzkleid der Backbordseite. Nun stand er auf der Kuhl und sah sich siegessicher um. Wo waren die Engländer? Nichts rührte sich. Moravia hob seinen schweren Schiffshauer. Dem ersten Bastard, der sich zeigte, würde er den Kopf vom Rumpf schlagen.
Ein Schatten wuchs vor Moravia hoch – zwei andere huschten von links und rechts heran. Überall erhoben sich Gestalten von den Planken. Sie hatten sich hinter Masten, Nagelbänken und Kanonen versteckt. Jetzt erschienen sie wie Dämonen. Moravia fluchte gurgelnd, holte aus und drosch auf den ersten Schatten ein.
Aber der knallte ihm von unten die Faust gegen den Arm. Mit geweiteten Augen stellte Moravia fest, daß er wieder seinem Erzfeind in die Hände gelaufen war: Carberry!
Moravia wollte immer noch zuschlagen, aber sein Arm war gelähmt. Die Finger hatten keine Kraft mehr. Der schwere Säbel polterte auf die Planken. Der Bärtige ächzte. Seine linke Faust schoß vor – wurde aber vom Profos gestoppt.
„Bastard!“ keuchte der Portugiese.
„Gleichfalls“, sagte Carberry. Er rammte Silvestro Moravia die eine Faust vor die Brust, die andere gegen die Kinnlade, daß es krachte und knackte. Moravia taumelte rückwärts und ruderte mit den Armen. Er prallte gegen einen seiner nachrückenden Kerle. Der Kerl fluchte. Moravia brach zusammen und blieb regungslos auf der Kuhl liegen.
Ingrao wurde unterdessen von einem graubärtigen Riesen gestoppt – Big Old Shane. Der Glatzkopf ließ seinen Cutlass wie eine Sense durch die Luft schwirren. Aber Shane wich aus. Dann stoppte er die gegnerische Klinge mit seinem Säbel.
Es klirrte, als habe ein Schmied seinen Hammer auf Eisen gedonnert – und der Glatzkopf brüllte auf. Die Wucht des Zusammenpralls verprellte ihm das Handgelenk. Er nahm den Cutlass in die andere Hand, verlor jedoch Zeit.
Im selben Moment war Shane ganz heran und knallte Ingrao das Heft seines Säbels auf den Unterarm. Ingrao stöhnte und trat nach Shanes Unterleib. Shane war wieder schneller. Er wich aus und schlug mit der freien Faust zu.
Ingrao schüttelte den Kopf wie ein Stier, der mit dem Schädel gegen eine Mauer gerannt ist. Shane deckte ihm mit einem Wirbel von Hieben ein. Ingrao rutschte aus. Sein Hinterkopf prallte gegen das Rohr einer Drehbasse. Das gab ihm den Rest. Schlaff landete er auf den Planken.
Doch nun waren die übrigen Angreifer an Bord. Ihre Gestalten schoben sich übers Schanzkleid und überfluteten die Decks. Der Tanz begann – und plötzlich war der Teufel los an Bord der „Santa Barbara“:
Säbel, Degen, Entermesser und Schiffshauer klirrten und rasselten. Die beiden gegnerischen Crews prallten auf der Kuhl zusammen, aber auch auf der Back und auf dem Achterdeck tobte der Kampf. Belegnägel und Spillspaken trommelten im Kreuzfeuer auf die Portugiesen ein – und Old O’Flynn schnallte tatsächlich sein Holzbein ab.
Er donnerte es mit Wucht einem anstürmenden Angreifer vor die Brust. Dem Kerl rutschten die Füße buchstäblich unter dem Leib weg. Ihm war, als habe ihn ein Pferd getreten. Mit einem dumpfen Laut streckte er alle viere von sich und blieb auf dem Hauptdeck liegen.
Silvestro Moravia hatte den Fehler begangen, seinen Feind zu unterschätzen. Im übrigen hatte er seinen Kerlen vorgegaukelt, sie würden leichtes Spiel mit den „englischen Bastarden“ haben. Das stellte sich als fataler Irrtum heraus.
Zahlenmäßig waren die beiden Parteien zwar gleich, aber die Arwenacks hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Die Portugiesen hatten geglaubt, ein paar schläfrige Deckswachen umzuhauen und dann den Rest der Mannschaft in den Kojen zu erledigen.
Statt dessen hatte es die Bande mit einer Crew hellwacher, quicklebendiger Mannen zu tun, die sich sehr wohl ihrer Haut zu wehren wußten.
Im Handumdrehen lagen mehr als ein Dutzend Moraviakerle auf den Planken. Was aber am meisten an der Moral der Angreifertruppe zehrte, das war die Tatsache, daß es den Anführer und den Glatzkopf gleich als erste erwischt hatte. Die stärksten Kämpfer schlummerten, weitere zehn bis zwölf Schnapphähne waren im Reich der Träume versunken, und auch dem Rest der Meute ging es nun an den Kragen. Was blieb da noch zu tun? Es gab nur eine Rettung: die Schußwaffen zücken.
Fluchend holten die Portugiesen ihre Pistolen hervor. Aber Matt Davies hackte dem einen Kerl seinen Eisenhaken in den Arm, und der Kerl ließ die Radschloßpistole fallen, ehe er überhaupt den Hahn spannen konnte. Der Kerl führte einen wahren Veitstanz auf und heulte, als habe er hundert Pfeile im Leib stecken.
Einem anderen Angreifer hieb Old O’Flynn das Holzbein gegen den Kopf. Auch dieser Gegner sackte zusammen. Weitere Kerle, die mit ihren Pistolen hantierten und fuchtelten, wurden von Carberry, Blacky, Batuti, Stenmark, Gary Andrews und Luke Morgan abgeräumt. Die Kerle flogen über das Schanzkleid außenbords – mitsamt ihrer Schießeisen, die im Wasser unbrauchbar wurden.
Ben, Shane, Ferris und Pete Ballie kämpften auf dem Achterdeck. Auch sie konnten die Auseinandersetzung zu ihren Gunsten entscheiden. Gerade kippten die letzten beiden Gegner aus den Stiefeln, wie man so schön zu sagen pflegt.
Und auf der Back befaßten sich Smoky, Al Conroy und Sam Roskill mit den drei Portugiesen, die noch übriggeblieben waren. Diese Kerle versuchten zähnefletschend und fluchend ihre Positionen zu behaupten.
Aber der eine sackte urplötzlich zusammen. Er war Arwenack zu nahe getreten. Der Schimpanse hing wie ein schwarzer Schatten in den Fockwanten der Steuerbordseite und drosch dem Kerl einen Belegnagel auf den Schädel. Der Kerl krachte mit einem dumpfen Laut auf die Planken.
Die beiden restlichen Señores empfingen ihr Quantum, ehe sie ihre Schußwaffen zu zücken vermochten. Irgendwie waren sie zu verdutzt. Alles hatten sie sich vorgestellt – nur nicht, daß Smoky sie einfach packte und mit den Köpfen zusammenhieb. Das war nicht geplant gewesen.
„Das war’s“, sagte Ben Brighton. „Ins Wasser mit den Señores, Freunde.“
Es gab eine Serie von Klatschern, als die Portugiesen ins Hafenwasser flogen. Ben und die Arwenacks blickten ihnen spöttisch und schadenfroh nach. Natürlich wirkte das Wasser belebend. Ein Kerl nach dem anderen erlangte wieder das Bewußtsein.
Der Glatzkopf zum Beispiel: Er spuckte einen dicken Strahl Wasser aus und grunzte wie ein Walroß. Dann schwamm er zu einem der dümpelnden Boote.
Silvestro Moravia steckte den Kopf ebenfalls aus dem Wasser. Sein Gesicht war die Fratze des Hasses schlechthin. Sofort wollte er wieder zum Angriff auf die „Santa Barbara“ hetzen. Aber seine Kerle spielten nicht mehr mit. Sie pullten einfach zum Ufer zurück.
„Das werdet ihr mir büßen!“ zischte Moravia.
Furio Ingrao hockte ihm gegenüber auf der Ducht. „Wer? Wir?“
„Ja. Ihr seid Versager. Feiglinge!“
„Sag das nicht noch mal, oder ich quetsch’ deinen Schädel wie ’ne faule Birne zusammen“, erwiderte der Glatzkopf, und er meinte es wirklich genauso. Im übrigen war es die längste Rede, die er seit Zeiten gehalten hatte.
Die Boote wurden für die Männer der „Santa Barbara“ unsichtbar. Ruhe trat wieder ein. Am Kai und vor den Häusern der Kasbah schien sich nichts zu regen – kaum jemand in Masquat hatte von dem Handgemenge etwas bemerkt. Und daß mal ein Kerl so heulte wie der Portugiese, der mit Matts Eisenhakenprothese nähere Bekanntschaft geschlossen hatte, war hierzulande vielleicht gar nicht so selten.
„Na also“, sagte Ben Brighton. „Wir haben nicht viel Aufsehen erregt. Ein schöner Abschluß.“
„Ob es die Kerle noch einmal versuchen?“ fragte Shane.
„Von mir aus“, erwiderte Carberry. „Ich habe nichts dagegen.“
„Wir sind für alle Fälle gerüstet“, sagte Old O’Flynn kichernd. Er schnallte das Holzbein wieder an.
Alles in allem waren die Arwenacks prächtiger Laune. Keiner hatte mehr als ein paar Kratzer oder eine leichte Beule empfangen. Ben ließ den erfolgreichen Ausgang der nächtlichen Aktion mit einer doppelten Extraration Branntwein begießen. Die Laune an Bord wurde immer besser.
Ganz anders in Masquat: Moravia stand am Ufer und versuchte, seine versprengten Kerle wieder zusammenzutrommeln.
„Ihr Kanaillen!“ zischte er. „Wollt ihr kneifen? Was seid ihr bloß für feige Arschlöcher!“
Ingrao hatte die Nase voll. Er trat zu Moravia und knallte ihm die rechte Faust voll unters Kinn. Moravia hob erst ab und ging dann zu Boden. Er wollte sich wieder aufrappeln, doch der Glatzkopf langte noch einmal zu. Das reichte. Der Vollbärtige legte sich erneut schlafen. Im Traum beobachtete er bunte Vögel, die in allen Tonarten zwitscherten.
„Du bist selbst eine Kanaille, Moravia“, sagte der Glatzkopf mit grollender Stimme. „Du hast uns alle reinlegen und verheizen wollen. Wir können froh sein, daß wir noch am Leben sind. Für dich arbeite ich nie wieder.“
Er sprach’s und verschwand. Die anderen Kerle folgten ihm. Sie mußten ihren Ärger erst mal richtig herunterspülen. Später trafen sie sich – naß, wie sie waren – in einem Keller, in dem Ingrao eine Art Kaschemme eingerichtet hatte. Hier einigten sie sich: Silvestro Moravia war für sie erledigt.
Und überhaupt, vielleicht war es besser, Masquat für einige Zeit den Rücken zu kehren. Wie es schien, hatten die Engländer die Portugiesen sowieso beim Sultan angeschwärzt. Das konnte früher oder später eine Säuberungsaktion bedeuten. Wenn man alles richtig betrachtete, schien der Boden in Masquat sehr heiß zu werden.
8.
Plymmie hob den Kopf. Vom Hafen wehte ein Schrei herüber. Hasard hielt Ausschau, konnte aber nichts erkennen. Wurde an Bord der „Santa Barbara“ jetzt gekämpft? Möglich, dachte er. Insgeheim drückte er seinen Mannen die Daumen, daß alles gutging. Er wäre jetzt gern bei ihnen gewesen. Aber man konnte nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen sein – ausgeschlossen.
Schüsse waren nicht zu vernehmen. Der Seewolf hatte einigen Grund zu der Annahme, daß sich seine Mannen gegen die Portugiesen zu behaupten verstanden. Immerhin hatten sie an Bord der Galeone den „Heimvorteil“. Und wenn es ganz dick wurde, mußten eben doch die Schußwaffen den Kampf entscheiden.
Nichts. Kein Schuß. Keine Höllenflaschenexplosion. Hatten die Portugiesen es gar geschafft, die „Santa Barbara“ zu kapern? Ausgeschlossen, dachte Hasard, mach dich nicht selbst verrückt.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Plymmie. Die Hündin stellte die Ohren steil auf und blickte etwas weiter nach rechts – zwischen die Felsen. Hasard berührte ihren Kopf. Plymmie verstand. Sie durfte sich nicht regen und keinen Laut äußern. Erst, wenn der Seewolf ihr das Zeichen dazu gab, konnte sie aufspringen und losjagen.
Hasard kauerte hinter seiner Deckung, einem abgeflachten, buckligen Felsen, und rührte sich um keinen Deut. Was hatte Plymmie dieses Mal bemerkt? Wieder einen Vogel? Ein anderes Tier? Ihrer angespannten Körperhaltung nach zu urteilen, war es mehr. Der Unheimliche? War er in der Nähe?
Da – etwas bewegte sich auf sie zu. Eine Gestalt! Hasard hielt unwillkürlich den Atem an. Er erkannte den Vermummten wieder. Das schwarze Gewand flatterte ein wenig. Die Kapuze war kaum zu erkennen. Wie ein Schemen huschte der Mörder an ihnen vorbei und strebte auf den Höhleneingang zu.
Hasard hielt Plymmie immer noch zurück. Der Vermummte lief seinen Häschern genau in die Arme. Das Eingreifen der Hündin war vielleicht gar nicht erforderlich.
Doch der Zufall wollte, daß einer der Wächter, die im Eingang des Geheimganges hockten, genau in diesem Moment husten mußte. Er preßte zwar die Hand vor den Mund, doch das erstickte Geräusch war in der Stille deutlich genug zu hören.
Der Mörder blieb stehen und duckte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Plötzlich fuhr er herum und eilte in die Richtung zurück, aus der erschienen war.
Hasard tickte Plymmie mit zwei Fingern an. „Los!“ Sie schoß aus ihrer Deckung und jagte auf den Fremden zu.
Der Mörder hörte das Hecheln des Tieres. Mit einem dumpfen Laut wandte er den Kopf und ließ sich fallen. Wie ein Spuk war er verschwunden.
Hasard hatte seine Doppelläufige gezückt und sprang über den buckligen Felsen.
„Stehenbleiben!“ rief er. „Du sitzt in der Falle!“ Wieder bediente er sich der spanischen Sprache – und wieder gab der Maskierte einen spöttischen Laut von sich, als habe er die Worte verstanden.
Plymmie raste auf den Kerl zu.
„Was ist los?“ rief Philip junior vom Eingang der Höhle – auf Englisch.
„Er hat euch gehört!“ erwiderte der Seewolf. „Er türmt! Los, kommt raus!“
Die Zwillinge, Mac, Mustafa und drei der Wächter ließen sich das nicht ein zweites Mal sagen. Sie stiegen in die Felsen und eilten zu der Stelle, an der sich der Seewolf befand. Zwei Wächter blieben in dem von Büschen verdeckten Loch zurück.
Plymmie hatte den Mörder fast erreicht. Er schleuderte einen Stein nach ihr. Der Stein traf Plymmies Schnauze. Sie wich nach rechts aus, geriet an eine Klippe und strauchelte. Jaulend fiel sie hin. Sie sprang wieder auf, aber der Mörder hatte etwas Vorsprung gewonnen. Er huschte gebückt zum Wasser.
„Da vorn ist er!“ rief Hasard. „Drauf!“
Die Verfolger – allen voran Mustafa – waren nicht weit von dem Unheimlichen entfernt. Zwei Wächter hoben die Musketen und legten auf den Kerl an. Aber es war keine einfache Aufgabe, einen dunklen Schatten in der Nacht zu treffen.
Der Mörder hatte das Wasser erreicht. Es gab einen klatschenden Laut, und wieder war er verschwunden.
Plymmie humpelte zu den Zwillingen.
„Was ist los mit dir?“ fragte Hasard junior besorgt.
Plymmie winselte ein wenig, aber dann konnte sie schon wieder richtig laufen. Sie trottete zum Wasser. Die Wächter standen mit ihren Musketen da und hielten nach dem Mörder Ausschau. Irgendwo mußte er wieder auftauchen. Aber er erschien nicht.
„Na, großartig“, meinte Mac. „Vielleicht ist er abgesoffen.“
„Der nicht“, entgegnete Philip junior. „Der ist zäh wie eine Ratte.“
Plymmie sprang ins Wasser und tauchte unter. Aber so sehr sie sich auch Mühe gab – sie fand den Maskierten nicht mehr. In diesem Augenblick schien sich zu bestätigen, was der Sultan über den Mörder gesagt hatte. Er konnte hexen.
Wo steckte er?
Einer der beiden Wächter im Eingang der Höhle watete in dem Wasser vorwärts. Er teilte die Zweige der Büsche mit den Händen und beugte sich vor, um etwas von den Vorgängen am Felsenufer verfolgen zu können. Er sah die Gestalten, die am Wasser standen und sich untereinander ratlos anblickten.
Was er nicht sah, war der Schemen, der sich urplötzlich aus dem Wasser schob. Der Wachtposten blickte nach links, und der Mörder tauchte rechts von ihm auf, also praktisch hinter seinem Rücken.
Blitzschnell stach der Unheimliche mit seinem Dolch zu. Der Wächter sank ins Wasser. Er gab keinen Laut mehr von sich, denn der Mörder preßte ihm eine Hand auf den Mund.
Der zweite Wächter sah, wie die Gestalt seines Kameraden unterging.
„Was machst du denn?“ fragte er und lachte leise. „Willst du schwimmen?“
Da der andere nichts erwiderte, watete der Wächter in dem hüfthohen Wasser voran. Er gelangte genau drei Schritte weit, da wuchs die Gestalt des Vermummten vor ihm hoch. Der Wächter griff noch nach seinem Säbel, doch bevor er sich wehren konnte, steckte der krumme Dolch in seinem Hals. Tot fiel er ins Wasser.
Der Mörder verschwand im Dunkel der Höhle. Er raffte die Schöße seines kraftanähnlichen Gewandes zusammen und rannte, so schnell er konnte. Daß er nicht viel Zeit hatte, wußte er.
Keuchend erreichte er die Stelle, an der der Stollen senkrecht nach oben abbog. Er stieg die Eisenstäbe hoch und verharrte unter der Luke. Stand auch oben ein Wächter? Aber die anderen saßen ihm bestimmt schon wieder im Nacken – er durfte nicht länger warten. Er mußte es riskieren und alles auf eine Karte setzen.
Die Luke hob sich vorsichtig unter dem Druck seiner Schulter. Er riskierte einen Blick und sah Stroh sowie die Hufe eines Pferdes, sonst nichts. Der Geruch des Stallmistes drang in seine Nase.
Der Mörder glitt ins Freie und lag nun auf dem Boden der Pferdebox. Das Tier schnaubte ein wenig, wurde aber nicht richtig unruhig. Es hatte sich an den Eindringling gewöhnt, der hin und wieder zwischen seinen Läufen auftauchte.
Vorsichtig richtete sich der Maskierte hinter dem Bauch des Pferdes auf. Die Luft war warm, die Ausdünstungen der Pferde erfüllten den Stall. Sonst hatte er immer Zeit gehabt, sein Gewand ein wenig zu trocknen. Dieses Mal durfte er nicht warten.
Ein dicker Wächter schritt im Stall auf und ab. Noch hatte er nichts bemerkt. Alis er in der einen Box eine Bewegung wahrnahm, die ihn mißtrauisch stimmte, schritt er auf die Box zu. Plötzlich fuhr der Mörder vor ihm hoch und schleuderte seinen Dolch.
Der Dolch bohrte sich in die Brust des Wächters. Der Mann wollte schreien und Alarm schlagen. Er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Grotesk hob er die Arme und verdrehte die Augen. Dann fiel er hin. Seinen eigenen Aufprall spürte er schon nicht mehr. Er war tot.
Der Maskierte schlich zur Stalltür und pirschte in die Abstellkammer hinüber. Dann verharrte er an der Außentür und spähte durch einen Spalt nach draußen.
Im schwach erleuchteten Park schritten zwei Wächter auf und ab. Er mußte sie meiden. Es hatte keinen Sinn, auch sie zu töten. Den einen überwältigte er vielleicht. Der andere würde laut brüllen und alles alarmieren.
Der Vermummte ließ sich auf den Boden nieder und drückte vorsichtig gegen die Tür. Ganz langsam schwang sie auf. Noch registrierten die Wachtposten nichts.
Der Mörder kroch zum nächsten Zierstrauch. Er blieb liegen. Sein Atem ging flach. Er zwang sich, seine Erregung zu beherrschen. Wenn sie ihn jetzt entdeckten, hatte er verspielt.
Aber auch dieses Mal hatte er wieder Glück. Er robbte weiter, zu den Bäumen, dann an einer Hecke entlang. Die Wächter sagten etwas, das er nicht verstand. Es galt nicht ihm.
Der Harem war jetzt nicht mehr weit entfernt. Zum Greifen nah hatte der Eindringling ihn vor sich. Er grinste unter seiner Kapuze. Es würde wieder ein Opfer geben. Trotz der Tatsache, daß die Wächter den Brunnenschacht besetzt hatten. Trotz der Hilfe, die diese Engländer, diese Giaurs, dem Sultan leisteten.
Quabus bin Said würde nicht mehr lange herrschen. Sein Reich zerbröckelte. Er glaubte, daß ein Fluch auf ihm und seinem Palast lastete. Bald war er völlig erledigt, und es würde dem Mörder ein leichtes sein, auch ihm den Todesstoß zu versetzen.
Zoll für Zoll schob sich der Mörder auf die weiße Wand zu. Hinter verzierten, vergitterten Fenstern schimmerte Licht. Hin und wieder war die Stimme einer Frau zu vernehmen, ernst und besorgt. Im Harem des Sultans wurde nicht mehr gelacht, seit Lamia getötet worden war. Der Schrecken ging um und beherrschte die Szene.
Vor dem Haupteingang des Frauenhauses stand ein breitschultriger Wächter. Der Vermummte wußte, daß er ihn nicht töten konnte wie die anderen. Dieser Mann war höllisch auf der Hut. Er würde auch einem blitzartig geschleuderten Messer noch auszuweichen verstehen. Er gehörte zu den besten Männern des Quabus bin Said. Eben darum war er gerade hier postiert worden.
Weiter – an der Seitenmauer entlang zu einem Nebeneingang. Der Eingang war verriegelt, doch der Mörder wußte den Riegel zu öffnen. Lautlos. Die Tür knarrte nicht, sie bewegte sich in gut geölten Scharnieren.
Der Mörder schlüpfte ins Innere des Harems. Jetzt umgaben ihn die süßen und aromatischen Düfte, die von der Anwesenheit von Frauen kündeten. Blumen des Orients, dachte er sarkastisch, jetzt töte ich wieder eine von euch.
Daß Nabila noch am Leben war, ahnte er nicht. Er war überzeugt, daß er zwei der Lieblingsfrauen des Sultans erdolcht hätte: Lamia und Nabila. Jetzt war die dritte an der Reihe, auch eine der Bevorzugten des hohen Herrn. Der Mörder schlich auf ihr Gemach zu. Sie mußte sterben, damit Quabus bin. Said Höllenqualen litt. Ihr Name: Zaira.
Hasard begriff es als erster.
„Dieser Teufel hat uns geleimt“, murmelte er. „Verdammt, was für ein Narr bin ich doch gewesen!“ Er wandte sich von der Gruppe Männer ab und eilte zu dem Höhlenloch. Plymmie schwamm noch in der Nähe des Ufers, konnte den Unheimlichen aber nicht finden. Und aufgetaucht war der Mörder noch nicht.
Philip junior sah seinem Vater nach. Dann setzte auch er sich in Bewegung.
„Ein Trick“, sagte er. „Ein verdammter Trick.“
Die anderen blickten ihn für einen Moment verblüfft an, dann schien es auch ihnen aufzugehen.
„Zum Donner“, sagte Mac Pellew. „Sind wir denn total blind?“
Der Seewolf traf als erster am Eingang des geheimen Stollens ein. Er gab sich den Wächtern durch eine Parole zu erkennen, die sie vorher abgesprochen hatten, doch die Wächter antworteten nicht. Hasard spürte, wie es ihn eiskalt überlief.
Dann sah er die Männer. Ihre Leichen schwammen im Wasser. Hasard arbeitete sich mit einem Fluch an ihnen vorbei. Eine Lampe stand auf dem Boden. Um ein Haar hätte er sie umgestoßen. Er nahm sie auf, entfachte sie und rannte weiter. Hinter ihm trafen nach und nach die Zwillinge, Mac, Mustafa und die übrigen Palastwächter ein, aber Hasard wollte nicht auf sie warten. Auch auf Plymmie nicht. Bis die Hündin bei ihm war, hatte er den Auslaß des Brunnenschachtes erreicht.
Wieder hatte sich der Mörder mit geradezu unglaublicher Schnelligkeit bewegt. Im Handumdrehen war er in die Höhle eingedrungen, hatte zwei Wachen umgebracht und einen Vorsprung gewonnen – obwohl er nicht über eine Lampe verfügte. Auch das war wieder eine Bestätigung dafür, wie gut sich der Maskierte auskannte. Er durchlief den Schacht in völliger Finsternis, ohne zu straucheln oder irgendwo anzuecken.
Hasard wußte, wie wahnsinnig er sich beeilen mußte, wenn er den Mörder noch stoppen wollte. Was sein Ziel war, wußte er – der Harem. Daran bestand kaum ein Zweifel. Es war jetzt eine Frage von Augenblicken, ob der nächste Mord verhindert werden konnte. Und es ging ums Prestige.
Niemals hätte Hasard damit gerechnet, daß der Vermummte imstande war, einen ganzen Trupp von Häschern zum Narren zu halten. Daß er es fertigbrachte, trotz der gestellten Falle in den Stollen einzudringen, war von vornherein ausgeschlossen gewesen. Wieder einmal zeigten die Ereignisse, welche überraschende und völlig unlogische Wende gewisse Situationen nehmen konnten.
Hasard kletterte an den Eisenstäben hoch. Die Luke flog unter der Heftigkeit seiner Handbewegung auf. Das Pferd zuckte zusammen und stieg mit den Vorderläufen auf. Hasard kroch aus der Lukenöffnung, flüsterte dem Tier ein paar beschwichtigende Worte zu und verließ die Box.
Dann sah er den Wächter – ebenfalls tot. Jemand hatte ihm einen Dolch in die Brust gerammt. Hasard jagte durch den Stall und stürmte in die Abstellkammer. Jetzt gab es nur noch eine Chance, den Lauf der Dinge zu bremsen.
Hasard stürzte aus dem Gebäude und hetzte durch den Park. Er raste auf den Harem zu. Der breitschultrige Wächter – ein Koloß von Mann – versperrte ihm den Weg. Natürlich erkannte er Hasard wieder, und er hatte auch von Quabus bin Said entsprechende Anweisungen, daß der englische Kapitän völlige Handlungsfreiheit hatte. Andererseits durfte kein Fremder – und schon gar nicht ein Ungläubiger aus der Alten Welt – die Gemächer der Frauen betreten.
Hasard rief dem Wächter die Parole zu. Der Mann blieb unbeirrt stehen. Der Seewolf sprang auf ihn zu und rammte mit der Schulter seine Brust. Der Araber geriet ins Wanken. Seine Augen weiteten sich, sein Gesicht war verzerrt.
„Zurück!“ brüllte er.
Hasard stieß ihn zur Seite und drang in den Harem ein. Hinter seinem Rücken schlug der Wächter Alarm, und es entstand ein tumultartiger Zustand im Hof und im Park des Palastes. Hasard achtete nicht darauf, er raste weiter.
Ein Schrei gellte durch den Harem. Er wies Hasard den Weg – um die nächste Ecke des Korridors auf eine der Türen zu, die mit Perlschnüren verhängt war. Mit einem Satz war der Seewolf im Inneren – und hatte den Mörder vor sich.
Zaira kniete vor dem Vermummten. Sie war nur dürftig bekleidet. Als der Maskierte in ihr Gemach gesprungen war, war sie vor Schreck auf die Knie gesunken. Jetzt schrie sie wieder gellend und zitterte am ganzen Leib. Der Mörder hatte den Krummdolch erhoben und wollte zustoßen.