Читать книгу: «Seewölfe Paket 28», страница 6
Hasard erreichte ihn mit einem letzten, gewaltigen Satz, packte den Maskierten und riß ihn von der Frau weg. Sie landeten beide auf dem Marmorboden und rutschten bis zur Wand.
Zaira schrie wieder. Dann hatte sie sich wieder so weit in der Gewalt, daß sie aufzuspringen vermochte. Stöhnend stolperte sie zur Tür.
Der Maskierte wollte Hasard den Dolch in die Seite rammen. Hasard knallte ihm die linke Faust gegen das Brustbein. Der Kerl keuchte. Noch einmal schlug der Seewolf zu. Diesmal traf er die Kinnlade des Mörders.
Aber der Kerl wurde nicht bewußtlos. Er war wirklich zäh wie eine Ratte, wie Philip junior es ausgedrückt hatte. Er setzte sich zur Wehr. Beide Männer rollten über den glatten Fußboden.
Wieder stach der Unheimliche zu. Scharf und brennend rasierte die Klinge über Hasards linke Schulter.
„Giaur!“ keuchte der Maskierte. „Giaur!“
Hasard packte das rechte Handgelenk des Kerls und drehte es mit einem Ruck um. Der Gegner schrie auf.
Er versuchte, sein Knie in Hasards Unterleib zu rammen, doch Hasard war auf der Hut und schleuderte den Kerl ein Stück von sich fort. Dabei ließ er sein Handgelenk nicht los. Der Dolch fiel auf den Boden.
Hasard trat mit dem Fuß dagegen – der Dolch schlitterte quer über die Marmorplatten zur Tür, wo eben die ersten Eunuchen erschienen. Zaira klammerte sich wimmernd an einem von ihnen fest.
Der Seewolf ließ das Handgelenk des Gegners los. Gedankenschnell sprang er auf. Auch der Mörder richtete sich auf. Er wollte fliehen – zu einem der Fenster. Hasard stoppte ihn. Diesmal verpaßte er ihm einen Jagdhieb in den Nacken. Der Kerl brach zusammen und streckte sich schlaff auf dem Boden aus.
„Achtung“, sagte Mac von der Tür her. Er war mit Mustafa und den Zwillingen eingetroffen. „Es könnte ein Trick sein.“
Hasard nickte und beugte sich über den Mörder. Aber dieses Mal bediente sich der Mann keiner Finte. Er war wirklich ohnmächtig. Hasard drehte ihn auf den Rücken und zog ihm die Kapuze vom Kopf.
9.
Mac Pellew trat langsam näher. Mit verkniffenem Gesicht blickte er auf den Mörder, der fünf Menschenleben auf dem Gewissen hatte.
„Da haut’s mich doch gleich um“, sagte er plötzlich. „Den kenne ich doch!“
Hasard sah den zweiten Koch und Feldscher der „Santa Barbara“ überrascht an. „Ist das dein Ernst?“
„Klar.“
„Wo bist du ihm begegnet?“ fragte der Seewolf.
Mac schnippte mit den Fingern. „Jetzt fällt’s mir wieder ein. In der Kasbah. Ja, wir waren doch unterwegs, um Proviant einzukaufen. Da lief uns der Kerl über den Weg, und Ed meinte, ich sollte ihn mal anquatschen. Das hab ich getan. Aber der Kerl verstand ja kein Wort. Sagte nur ‚Yallah, yalla‘ oder so was Ähnliches und war weg. Irgendwie kam er mir nicht ganz echt vor.“
„Das war auch einer seiner Tricks“, sagte Hasard mit einem Blick auf den immer noch besinnungslosen Täter. „Donegal hatte also recht. Der Mörder ist ein Einheimischer.“
Sultan Quabus bin Said erschien und trat auf Hasard, Mac und den Bewußtlosen zu.
„Er ist mein Halbbruder“, sagte er tonlos.
„Was?“ Mac war völlig verdutzt.
„Viele Jahre hat er bei mir im Palast gelebt“, erklärte der Sultan. „Damals, als der alte Brunnen noch existierte. Hassan war beim Bau dabei. Deshalb kennt er sich so gut aus. Eines Tages erwischte ich ihn mit einer meiner Lieblingsfrauen. Ich verstieß die Frau und entsandte Hassan in die Stadt, wo er den Beruf des Muftis, des Gesetzeskundigen, erlernte. Er war froh, daß er am Leben bleiben durfte. Ich hatte Gnade vor Recht ergehen lassen. Es wurde sehr still um Hassan. Er führte ein einfaches, zurückgezogenes Leben. Bald erinnerten sich die wenigsten daran, daß er mein Halbbruder ist. Er soll aber mit den Portugiesen paktiert haben – mit diesem Moravia. Das habe ich heute abend von einem meiner Spitzel erfahren, der sich in Masquat umgehört hat.“
„Aha“, sagte Mac. „Der bestochene Mufti.“
„Auch ein Kadi hat Bakschisch erhalten“, fuhr der Sultan fort. „Er ist bereits seines Amtes enthoben. Nach den Portugiesen lasse ich suchen. Sie sind offenbar nicht aufzufinden.“
„Sie wollten mein Schiff überfallen“, sagte der Seewolf.
„Sie werden das schwer bereuen“, erwiderte Quabus bin Said. „Ihre Waren sind beschlagnahmt. Sie werden an die rechtmäßigen Eigentümer zurückerstattet. Viele Bestohlene hielten ihren Mund, weil sie Angst vor Repressalien durch die Bande hatten. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben.“
„Du tust gut daran, deine Augen offenzuhalten.“
„Du hast sie mir geöffnet, Kapitän Killigrew.“
„Ich habe nur das getan, was ich für meine Pflicht gehalten habe“, entgegnete Hasard.
„Und du hast Zaira gerettet“, sagte Quabus bin Said.
„Auch eine Pflichtsache“, sagte Mac.
„Ich werde dir ewig dankbar sein, Kapitän Killigrew“, sagte der Sultan ergriffen. „Ich werde deinen Mut und deinen Einsatz nicht vergessen.“
Hassan, der Mörder, war zu sich gekommen. Er spuckte verächtlich vor den Männern aus.
„Verräter deiner Rasse!“ beschimpfte er seinen Halbbruder. „Nur ein Schakal wie du kann gut Freund mit einem Giaur werden!“
Wächter traten heran, um den Mann zu packen.
„Und was hast du getan? Gelder hast du von den Portugiesen angenommen“, erwiderte Quabus bin Said.
„Nur zum Schein! Ich hätte sie alle umgebracht, diese Bastarde, diese Giaurs – wenn ich deinen Thron übernommen hätte!“
„Das war also dein Ziel.“
„Das! Denn nur ein richtiger Mann, der wie ein Araber und Sohn Allahs denkt und handelt, kann in Masquat herrschen!“
„Die Hitze der Sommertage hat dich um den Verstand gebracht, du erbärmlicher, hinterhältiger Wurm“, sagte der Sultan so ruhig wie möglich. „Du bist ein Satan in Menschengestalt. Warum hast du nicht mich angegriffen, wenn du meinen Platz wolltest?“
„Das hätte ich noch getan!“ schrie Hassan.
„Nur eine Memme wie du vergreift sich an wehrlosen Frauen!“ stieß der Sultan wutentbrannt aus. „Du bist ein Aasfresser!“
„Ich wollte dich langsam zermürben!“ heulte Hassan.
„Dafür wirst du furchtbar sterben“, sagte Quabus bin Said. Er klatschte in die Hände und nickte den Wächtern zu. „Führt ihn ab.“
Hassan vollführte eine Drehung. Die Wächter wollten ihn packen, aber der magere Kerl entriß einem von ihnen den Säbel. Hasard wollte eingreifen, doch dann sah er, welche Absicht der Attentäter hatte. Hassan rammte sich die Klinge selbst in den Leib.
„So stirbt ein gläubiger Muselman“, stöhnte er noch. Dann brach er zusammen.
Der Kutscher, der mittlerweile auch eingetroffen war, untersuchte den Mann.
„Tot“, sagte er.
„So hat ein räudiger Hund sein Leben ausgehaucht“, sagte Quabus bin Said. „Ich hätte ihn schon, früher töten sollen.“
„Ein Fanatiker“, sagte der Seewolf. „Er hätte immer wieder gewissenlos gemordet, bis er sein Ziel erreicht hätte.“
„Schafft ihn fort“, sagte der Sultan zu seinen Wächtern. „Ich will ihn hier nicht mehr sehen.“
Der Tote wurde fortgetragen. Hasard, der Sultan, Mac, Mustafa, die Zwillinge und alle anderen verließen den Harem. Am Ausgang stand Zaira, nunmehr vollständig angekleidet. Stumm drückte sie dem Seewolf die Hand. Tränen standen in ihren Augen.
„Ich wäre tot, wie Lamia“, sagte sie. „Wenn du nicht gewesen wärest, Efendi.“
Hasard nickte ihr aufmunternd zu. Dann stand er im Park und blickte zum Himmel auf. Es war eine klare, wolkenlose Nacht. Eine Last war von seinem Herzen genommen worden. In Masquat würden die Dinge wieder ihren geregelten Lauf nehmen.
„Freunde“, sagte Hasard zu seinen Mannen. „Es wird Zeit, daß wir nachsehen, wie es unseren Arwenacks ergangen ist.“
„Aye, Sir“, erwiderte Mac mit sauertöpfischer Miene. „Wahrscheinlich gibt’s ein paar Knochen zu flicken.“
„Wo ist eigentlich Plymmie?“ fragte Hasard.
Die Zwillinge deuteten zum Hof. Plymmie war ein Riesennapf mit Leckerbissen vorgesetzt worden. Frischer Hammel und Leber. Anordnung vom Sultan. Es schien ihr ausgezeichnet zu schmecken. Zufrieden wedelte sie mit dem Schwanz.
Masquat bot immer wieder neue Überraschungen. Am Morgen nach der Schreckensnacht führten Soldaten des Quabus bin Said den Portugiesen Silvestro Moravia in den Hafen. Sie hatten ihn gefaßt, als er mit benommenem Kopf versucht hatte, sein Gewölbe zu betreten.
Jetzt erhielt er, was er verdiente: zwanzig Stockhiebe auf die Fußsohlen. Danach konnte er nur noch humpeln. Er mußte Masquat für immer Verlassen und konnte froh sein, daß ihn der Sultan nicht hatte vierteilen lassen.
Die Männer der „Santa Barbara“ wohnten dem etwas makabren Schauspiel von Bord ihres Schiffes bei.
„Wo stecken eigentlich die anderen Kerle?“ fragte Ben Brighton. „Der Glatzkopf zum Beispiel?“
„Sie sind verschwunden“, erwiderte der Seewolf. „Sie haben es vorgezogen, Masquat rechtzeitig den Rücken zu kehren. Moravia hat nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hatte.“
„Pech für ihn“, sagte der Profos. „Ich kann ihn nicht bedauern.“
Das tat keiner. Die Männer des Seewolfes waren sich einig. Moravia hatte seine gerechte Strafe erhalten.
Diener des Sultans beluden die „Santa Barbara“ an diesem Morgen mit Proviant. Es war viel zuviel für die Laderäume der Galeone. Einen Teil mußte Hasard zurückschicken, weil einfach kein Platz dafür war.
Zur Mittagsstunde erschien der Sultan selbst an Bord der „Santa Barbara“. Er ließ sich von seinen Wächtern in einem großen Boot übersetzen. Gemächlich enterte er auf und trat zu Hasard und den Mannen auf das Achterdeck.
„Wir werden immer Freunde bleiben“, sagte er zu Hasard. „Wann immer ihr nach Masquat zurückkehrt – ihr werdet meine Gäste sein. Warum bleibt ihr nicht noch ein paar Tage?“
„Wir müssen weitersegeln“, erwiderte Hasard. „Wir haben noch eine weite Reise vor uns.“
„Kehrt ihr in eure Heimat zurück?“
„Ja, aber vorher wollen wir noch Arabien erkunden.“
„Seid vorsichtig“, entgegnete Quabus bin Said. „Nicht überall werdet ihr auf Freunde stoßen.“
„Die Erfahrung haben wir bereits gemacht“, sagte der Seewolf. „Aber verrate mir jetzt, was ich dir für den Proviant schulde, Hoheit.“
„Nichts. Keine einzige Münze.“
„Das kann ich nicht annehmen.“
„Du mußt es tun“, sagte der Sultan bestimmt. „Du würdest mich tödlich verletzen, wenn du dieses Geschenk nicht als Zeichen meiner Dankbarkeit und Freundschaft anerkennen würdest.“
Hasard blieb nichts anderes übrig – er mußte es akzeptieren. Die Mannen und er verabschiedeten sich herzlich von Quabus bin Said und von Mustafa. Dann gingen die Besucher wieder von Bord.
Am frühen Nachmittag setzten sie auf der „Santa Barbara“ wieder die Segel. Mit Vollzeug glitt sie bei südöstlichen Winden nach Norden. Die Reise wurde fortgesetzt.
Am nächsten Tag erreichten die Arwenacks die Straße von Hormus am Golf von Oman. Hier präsentierte sich ihren Augen ein einzigartiges Schauspiel. Sie sahen den Golf von Iran vor sich.
Was sie dort erwartete, konnten sie höchstens ahnen. Aber sie forschten weiter, mit dem Drang, alles zu erkunden, was auf ihrem rätselhaften Kartenmaterial verzeichnet war …
ENDE
1.
Ende März 1597, Persischer Golf, Westküste bei Abu Dhabi.
Diese Ecke im Südwesten des Golfes sollte später den sinnigen Namen „Piratenküste“ erhalten. Später! Die Arwenacks wußten nichts davon – konnten sie auch nicht, denn bisher hatte noch kein englischer Seefahrer den Persischen Golf durchsegelt. Die Portugiesen und Spanier wußten da schon besser Bescheid, hängten ihr Wissen aber nicht an die große Glocke.
Wenn man nämlich hinauf zum Schatt el Arab wollte, dem Endpunkt des Zweistromlandes, dann blieb man gefälligst auf der Ostseite des Golfes, also auf der persischen Seite. Denn die arabische Westseite hatte seit langer Zeit einen üblen Ruf.
Aber, wie gesagt, die Arwenacks waren ahnungslos.
Um diese Zeit herrschten Nordostwinde vor. Und um nicht in die Abdeckung des persischen Hochlandes auf der Ostseite des Golfes zu geraten, hatte Hasard die Route längs der Westküste vorgezogen. Er verfuhr nach der schlichten navigatorischen Regel, dem Küstenverlauf zu folgen, um ans Ziel zu gelangen. Schließlich war der Golf eine Art Binnenmeer.
Seemännisch und navigatorisch war diese Entscheidung Philip Hasard Killigrews völlig in Ordnung, auch wenn sich diese Route auf der Westseite länger hinzog als die Route an der persischen Küste drüben.
Zur Zeit lief die „Santa Barbara“ beim Verlauf der arabischen Küste nach Südwesten volle Fahrt, nämlich fast platt vorm Laken. Es war das, was Edwin Carberry mit „der Lust des Seefahrers“ bezeichnete. Bei Wind von achtern hatte man nämlich so eine Art Hochgefühl. Da konnte man dem Wind alle Tücher darbieten und „die große Brause“ machen, ohne sich mit viel Segeltrimm abrackern zu müssen – im Gegensatz zum Kreuzkurs.
Der war keine „Lust“, sondern, laut Carberry, „der letzte Scheiß“. Wer sollte da widersprechen? Das war knapp und präzise auf den Punkt gebracht.
Also: feiner Wind von achtern, Sonne, glasklare See von blaugrüner Färbung, mäßig bewegt – da konnte man Däumchen drehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. An Backbord zogen Inseln und Inselchen vorbei. Hinter ihnen lag das dünengewellte Land, dazwischen Watt, von Prielen durchzogen. Auf Korallenbänke war zu achten – und auf Sande.
Fast wie an der Nordseeküste, dachte Hasard, wenn man die Korallenbänke ausklammert. Und wärmer war’s hier auch. Trotzdem – der Golf hatte einen erheblichen Tidenhub, also das, was man den Höhenunterschied von einem Niedrigwasser bis zum nächsten Hochwasser bezeichnet. Hier mochte er etwa sechs Yards betragen. Da hieß es aufpassen.
Zur Zeit herrschte Hochwasser. Und die Zeit von einem Hochwasser bis zum nächsten Niedrigwasser – beziehungsweise umgekehrt – betrug etwa zehn Stunden, vielleicht sogar mehr.
Im Ausguck befand sich Paddy Rogers. Er mußte jene Stellen voraus melden, wo das Wasser eine hellere Färbung annahm. Da war mit Sicherheit eine Sandbank anzutreffen. Um ungehinderte freie Sicht nach voraus zu haben, hatte Paddy Rogers den Ausguck im Vormars bezogen. Vom Hauptmars aus hätten ihm die Vorsegel die Sicht versperrt.
Paddy war fleißig am Sichten und Melden.
Zwei andere Arwenacks waren ebenfalls fleißig, nämlich die beiden jüngsten Gentlemen an Bord – Hasard und Philip junior. Sie hatte das gepackt, was man einen jugendlichen Beschäftigungstrieb nennt. Vom Segeln vorm Wind – „der Lust des Seefahrers“ – hielten sie zwar auch eine ganze Menge, aber das betulich Romantische an dieser Art Segelei überließen sie doch lieber den älteren Gentlemen.
Kurz und gut – sie angelten.
Wer hier meint, das Bild des am Ufer sitzenden und auf den Kork im Wasser stierenden Anglers vor sich zu haben, der irrt. Eine Angelrute war auch nicht im Spiel. Die beiden Junioren hatten ein anderes Verfahren ausgetüftelt, das, wie sie meinten, durchaus vom im Fahrt befindlichen Schiff her zu betreiben sei.
Big Old Shane, ehemaliger Schmied auf der Feste Arwenack, hatte ihre Idee zur handwerklichen Ausführung gebracht. Er hatte ihnen aus Kupferblech hübsche Fischchen von der Länge des kleinen Fingers ausgeschnitten, ihre Schwänze mit einem Haken und ihre Köpfe mit einem Ring versehen. An dem Ring wurde eine lange Angelschnur befestigt. Außerdem befanden sich an diesem Schnurende eingeknotete Bleikugeln.
Die Angelschnur selbst war auf einer Handrolle aufgespult. Hasard und Philip junior hatten ihre Überlegungen wie folgt dargelegt: Man müsse davon ausgehen, daß größere Fische die kleineren zu fressen pflegten – im Fluge sozusagen, das heißt, aus der Bewegung heraus. Unstreitig sei die Freßsucht bestimmter Fischarten sowie ihre Neugier. Daraus folgere, daß ein kleiner imitierter Fisch aus Kupfer ihr Interesse erregen werde.
Werfe man nun diesen Kupferfisch an der Angelschnur möglichst weit über Bord – als Gewichte dienten die Bleikugeln –, dann werde die Schnur auf der Rolle abgespult und schwinge mit dem Köderfischlein am anderen Ende wieder zum Schiff zurück. Gleichzeitig müsse man Hand über Hand die Schnur heranziehen oder wieder auf der Rolle aufspulen, womit man den Eindruck erwecke, als schwimme das Fischlein.
Bei der Bewegung im Wasser blinkere das polierte Kupfer, was als günstiger Effekt zu bezeichnen sei, weil es schimmernde Schuppen vortäusche.
Dem Effekt zufolge hatten die Junioren ihr Angelgerät mit dem Namen „Blinker“ getauft. Und als sie jetzt bei der „Sonntagsfahrt“ in der See recht beachtliche Exemplare von Zackenbarschen entdeckten, gab’s kein Halten mehr, die Blinkermethode einmal auszuprobieren.
Im übrigen waren gebratene Fischfilets etwas Leckeres. Und außerdem betonten der Kutscher und Mac Pellew immer wieder, daß „Meeresfrüchte“ gesund seien, nichts kosteten und vor allem den Vorrat an Schiffsproviant nicht belasteten.
Nein, der Kutscher und Mac Pellew hatten überhaupt nichts gegen eine Bereicherung der Bordkost, noch dazu „taufrisch“ aus der See. Das war bei allen Arwenacks so, nur bildete sich da natürlich sofort wieder eine Gilde von Klugscheißern, die alles besser wußte und rundweg erklärte, die Methode mit dem Blinkern sei Käse, weil kein Fisch nach einem Fisch aus Metall schnappen werde.
Der Wortführer dieser Besserwissergilde war Smoky.
Er tönte: „Ihr glaubt doch wohl nicht im Ernst, daß ein Fisch so dusselig ist, auf den Schummel hereinzufallen. Das riecht der doch schon auf ’ne halbe Meile Entfernung, daß da was faul sein muß.“
„Ob Fische einen so feinen Geruchssinn wie Plymmie haben, ist uns nicht bekannt, Mister Smoky“, sagte Hasard junior reserviert. „Das Blinkern ist ein Versuch. Wenn er nicht klappt, haben wir eben Pech gehabt. Aber besser, wir blinkern, als daß wir in der Nase bohren.“
Smoky blinkerte auch, mit den Augen.
„Wie bitte?“ fragte er, weil er nicht kapierte, was die Ersatzhandlung – nämlich das Bohren in der Nase – für einen Sinn haben sollte.
Der Profos feixte.
„Hasard meint das mehr symbolisch, mein lieber Smoky“, sagte er. „Sein Bruderherz und er finden es besser, zu angeln und mit der Beute die Kombüse zu versorgen, als dumm an Deck herumzustehen und sich in der Sonne das verlauste Fell anzuwärmen. Im übrigen stimme ich mit den beiden überein. Sie sind wenigstens tätig, was man von dir nicht gerade behaupten kann. Du siehst nämlich schon so aus wie eingeschlafene Füße. Und deinen Affenarsch habe ich bereits schnarchen hören! Oder waren das Winde? Dann solltest du dich schämen.“
Die beiden Junioren kicherten. Das „Schnarchen“ hatten sie auch gehört. Smoky hatte heute morgen wohl zu viele Zwiebeln gefressen.
„Wetten, daß die Blinkerei nichts wird?“ fragte er wütend.
Der Profos überlegte und erwiderte: „In Ordnung, wetten wir! Ich sage, die Blinkerei wird was. Um was wetten wir?“
Smoky war immer noch wütend. Ohne lange nachzudenken, sagte er: „Wenn ich verliere, kannst du mir ’ne Glatze scheren!“ Und geradezu tückisch fügte er hinzu: „Das gilt auch umgekehrt. Wenn du verlierst, hobel ich dir das Gestrüpp ab, das bei dir Haare darstellen soll – wie vor vier Jahren in Wiborg, als du deine Wette gegen Luke Morgan verloren hattest!“
Bei den Arwenacks ging das Grinsen um, als sie an die damalige Geschichte dachten. Richtig, damals hatten sie in Wiborg, der Hafenstadt am Finnischen Meerbusen, Pelze und Felle einkaufen wollen, aber keiner der Arwenacks hatte einen blassen Schimmer von der „Rauchware“, bis sich Luke Morgan – ganz gegen seine sonstige Art – klein und bescheiden gemeldet hatte.
Carberry hatte in seiner üblichen Freundlichkeit herumgemotzt, Luke könne noch nicht mal ein Kuhfell von einer Roßhaarmatratze unterscheiden, und er würde sich eine Glatze von Luke scheren lassen, wenn der was von Pelzen verstände. Das wurde eine Wette, und Luke gewann sie, denn er hatte bei seinem Vater, einem Kürschnermeister, das Kürschnerhandwerk gelernt, bevor er zur See fuhr.
Smoky war damals der große Wettmacher gewesen, hatte auf Carberry gesetzt – und verloren. Jetzt wollte er gewinnen und dem Profos ein zweites Mal zu einer Glatze verhelfen.
Carberry runzelte die Stirn. Das Gelächter von damals, als ihm Luke die Haare absäbelte, klang ihm heute noch in den Ohren.
Da räusperte sich Hasard junior und sagte: „Keine Sorge, Mister Carberry, Sir. Du gewinnst die Wette!“
Bruder Philip bestätigte das und sagte: „Stimmt, Mister Smoky hat schon jetzt keine Haare mehr, so sicher verliert er die Wette.“
Der Profos grinste jetzt. „Hast du gehört, Smoky? Du verlierst die Wette. Stell dir vor, Gunnhild oder Klein-David sehen dich mit deinem nackten Kürbis! Dein Windelpisserchen wird vor Schreck seinen Schnuller verschlucken!“
„Quatsch!“ fauchte Smoky. „Die Wette gilt!“
„Topp!“ rief der grinsende Carberry. „Die Wette gilt! Aber ich habe dich gewarnt!“
„Halt du lieber deine Haare fest, Mister Carberry!“ blaffte Smoky. „Und schau sie dir noch mal im Spiegel an, bevor der Kahlschlag beginnt!“
So nahm das Ereignis seinen Lauf. Alle waren gespannt.
Hasard und Philip traten ans Schanzkleid der Steuerbordseite. Hasard sollte den ersten Blinkerwurf haben. Gelassen sortierte er sein „Geschirr“, das heißt, er spulte mehrere Fadenlängen der Angelschnur ab und schoß sie in sauberen Buchten wie eine Wurfleine auf.
Dann klemmte er die Handrolle unter den linken Fuß, nahm den aufgeschossenen Teil in die rechte Hand, holte weit nach hinten aus und schleuderte das mit Bleikugeln beschwerte Ende samt Blinker und Haken nach querab in die Luft.
Wie bei der Wurfleine liefen die Buchten aus, ohne zu verheddern, der Blinker sauste etwa knapp vierzig Yards querab ins Wasser. Hasard hatte die Handrolle blitzschnell aufgenommen und ließ den Rest Angelschnur abspulen. Die Schnur zeigte straff nach querab, wanderte aber gleich darauf nach achtern. Hasard holte sie jetzt – ab und zu anruckend – mit der Handrolle ein.
Und da erfolgte der Biß. Die Schnur stand auf der Hälfte des Winkels zwischen Querschiffs- und Längsschiffsrichtung.
Hasard gab wieder Lose, aber nur kurz, und spulte die Schnur erneut auf. Sie stand verdammt unter Zug. Hasard verzichtete auf die Handrolle, nahm die Schnur in beide Hände und zog sie Hand über Hand näher heran.
Etwas durchbrach schäumend und wirbelnd die Oberfläche des Wassers – ein Brocken von Zackenbarsch! Ein richtiger Kaventsmann!
Die Brüllerei an Bord!
Am lautesten röhrte der Profos. Der kriegte sich überhaupt nicht mehr ein, klatschte sich auf die Schenkel und dröhnte: „Ich glaub’, mich knutscht ein Meerweib! Seht euch das an, Leute! Seht euch das an! So einen Molly hat noch keiner von euch an Land gezogen! Keiner!“
Smoky stand da wie bestellt und nicht abgeholt – mit dem Gesicht einer Miesmuschel. Und bei jedem Urschrei Carberrys zuckte er zusammen, als würden ihm bereits jetzt die Haare geschoren, aber mit einem stumpfen, schartigen Messer.
Mit einem Schwung landete inzwischen Hasard den zappelnden Zackenbarsch auf den Planken der Kuhl. Mac Pellew sprang hinzu und hieb dem Zappler die Handkante ins Genick. Plymmie jachterte hin und her und verbellte den Kaventsmann, beschnüffelte ihn dann und verzog sich beleidigt. Der Fischgeruch war wohl nichts für ihre empfindliche Nase.
Der grämliche Mac Pellew grinste wie ein Honigkuchenpferd. Es sah zum Heulen aus. Er zählte im Geist bereits die Portionen. Und dann deklamierte er, weil sich’s so schön reimte: „Das ist ein Superriesenzackenbarsch – und Smokys Haare sind im Arsch!“
Da ging das Gejohle wieder los.
„Nein!“ brüllte Smoky. „Das gilt nicht! Einmal ist keinmal. Das ist überhaupt kein Beweis! Das war Zufall, daß der Arsch – äh – Barsch angebissen hat. Reiner Zufall, da geh’ ich jede Wette ein!“
Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften und pumpte sich derart auf, daß ihm ein Knopf vom Hemd wegsprang.
„Sag mal, spinnst du?“ donnerte er. „Bist du noch zu retten? Willst du hier bescheißen, was, wie? Da hört sich doch alles auf! Na warte, dir zieh’ ich die Haut in Streifen von deiner Rübe …“
„Mister Carberry, Sir“, sagte Philip junior freundlich, „ich muß Mister Smoky zustimmen. Vielleicht war es wirklich Zufall.“
„Die Wette hat gegolten!“ schnaubte Carberry. „Dieser Windmacher namens Smoky hat nichts davon gesagt, daß zweimal gebunkert werden soll, verdammt noch mal!“
„Nein, das hat er nicht“, sagte Philip junior. „Das stimmt. Aber wenn wir fair sein wollen, müssen wir ihm zugestehen, daß ein gelungener Blinkerfang noch gar nichts beweist. Ich lasse mir auch den Vorwurf nicht gefallen, hier sei Glück mit im Spiel gewesen. Hasard und ich wollen beweisen, daß unsere Blinker was taugen. Also bin ich auch noch dran.“
„Gut, noch ein Versuch“, sagte Carberry, wechselte den Blick zu Smoky und fügte drohend hinzu: „Aber dann gilt die Wette. Ist das klar?“
„Einverstanden“, sagte Smoky.
Philip junior verfuhr genauso wie sein Bruderherz, indem er säuberlich einen Teil der Angelschnur Bucht für Bucht aufschoß. Inzwischen entfernte Hasard mit Macs Hilfe den Blinkerhaken aus dem Barschmaul und spulte die Schnur auf die Rolle.
Philip warf. Auch bei ihm liefen die Buchten ohne Komplikationen aus, der Blinker verschwand in der See – ebenfalls in einem Querabstand zum Schiff von etwa vierzig Yards –, und die Schnur wanderte nach achtern aus.
Aber noch früher als bei Hasard ruckte sie ein, und nun begann die gleiche Prozedur. Auch bei Philip saß Gegenzug dahinter, seine Beute kurvte ab, ein undeutlicher Schatten unter Wasser, etwa von gleicher Große wie Hasards Fang. Philip gab Lose und biß die Zähne zusammen, als die Schnur durch seine Hände raste. Der Bursche, den er da am Haken hatte, schien kämpfen zu wollen.
Philip setzte jetzt Gegenzug ein, stemmte ein Bein gegen das Schanzkleid und holte die Schnur Hand über Hand heran. Der Fang schoß zappelnd aus dem Wasser – ja, auch ein Zackenbarsch mit seinem breiten Maul. Er gebärdete sich wie verrückt und klatschte auf das Wasser zurück.
Und in diesem Moment schnitt eine Dreiecksflosse durchs Wasser. Sie raste auf das Gezappel zu.
„Ein Hai!“ brüllte Hasard junior, sprang hinzu und packte mit an. „Schnell!“
Doch da war’s auch schon geschehen. Alle Arwenacks konnten es genau verfolgen, es spielte sich nahezu an der Oberfläche ab. Der Hai drehte sich etwas, riß das Maul mit den messerscharfen dreieckigen Zähnen auf, schnappte zu und verschluckte den Barsch samt Blinkerhaken.
Die Schnur ging dabei zum Teufel.
Und dann gab es einen furchtbaren Stoß, die „Santa Barbara“ stieg mit dem Bug hoch, die Masten ächzten und knarrten, der Kiel schrammte über Widerstand, ein Knirschen drang von unten hoch, die Segel schlugen vor und zurück – und dann war Stille.
Vorbei war die „große Brause“ – die „Santa Barbara“ stand.
Einige Arwenacks, darunter die Zwillinge, hatte es von den Füßen gerissen. Sie rappelten sich auf und sahen reichlich belemmert aus.
Verdattert sagte Smoky: „Ich – ich glaube, wir sind aufgebrummt.“
Carberrys Blick war mörderisch. Aber bevor er loslegen konnte, erklang Hasards scharfe Stimme vom Achterdeck her.
„Weg mit den Segeln, Freunde! Beeilung, wenn ich darum bitten darf! Mister Rogers, bitte aufs Achterdeck!“
Da geriet Bewegung in die Mannen. Sie enterten auf, um die Segel aufzupacken, Paddy Rogers enterte ab und schlich nach achtern. Sein Gesicht hatte die gleiche Farbe wie seine Haare, nämlich rot.
Aus den Laderäumen tauchte Ferris Tucker auf – er war sofort hinuntergestiegen – und meldete: „Kein Wassereinbruch, Sir!“
„Danke, Ferris.“ Hasard atmete etwas auf und musterte den Unglücksraben Paddy Rogers aus schmalen Augen. „Hast du geschlafen, Mister Rogers?“
„N-nein, Sir“, sagte Paddy hilflos, „bestimmt nicht, Sir. Ich – ich wollte den Hai melden, aber da hatte ihn auch Hasard junior schon gesehen. Ich – ich war abgelenkt …“ Paddy verstummte und senkte den Blick. Als er ihn wieder hob, klang seine Stimme fester: „Ich nehme jede Strafe an, Sir, auch Auspeitschen oder Kielholen.“
„Letzteres dürfte kaum möglich sein“, sagte Hasard trocken. „Unter einem aufgebrummten Schiff kann man keinen Mann durchziehen.“
„Ach so.“ Unwillkürlich kratzte sich Paddy hinter dem rechten Ohr. „Nein, das geht nicht.“ Paddy war völlig zerknirscht. „Aber es geht, wenn wir wieder freigekommen sind, Sir. Das wäre doch eine Möglichkeit.“
Jetzt senkte Hasard den Blick und starrte auf seine Stiefelspitzen. Er legte die Hände auf den Rücken, drehte sich ab und marschierte nach Steuerbord. Dort blickte er über die See, wandte sich dann wieder um und marschierte zurück.
Vor Paddy blieb er stehen und sagte: „Geh in die Kombüse zum Kutscher und laß dir einen doppelten Rum einschenken, Paddy!“
Paddy stand da – mit Augen so groß wie Spiegeleier. Und sein Mund war offen.
„Wenn du noch einmal als Ausguck dahin schaust, wo du nicht hinschauen sollst“, sagte Hasard, „holen wir das Kielholen nach. Ist das klar?“
„Aye, Sir.“
„Dann ab in die Kombüse. Und denke immer daran, wie tödlich es sein könnte, wenn ein Schiff auf eine Untiefe zusegelt, während der Ausguck woanders hinschaut, zum Beispiel dorthin, wo eine Wette ausgetragen wird.“
„Aye, Sir. Ich werde es nicht mehr vergessen.“ Und Paddy trabte ab, um seinen doppelten Rum in Empfang zu nehmen.
Als er in der Kombüse verschwunden war, fragte Don Juan de Alcazar: „Du belohnst ihn auch noch?“
„Ja.“
„Kannst du mir das erklären?“
„Ich belohnte seine Ehrlichkeit“, erwiderte Hasard. „Was dagegen?“
„Nein. Aber ob er das begreift?“
„Das spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, daß er seine Rolle als Ausguck begriffen hat. Und das hat er jetzt, darauf kannst du dich verlassen.“
„Keine Bestrafung“, murmelte Don Juan, als könne er das nicht begreifen.
„Dann hätte ich alle bestrafen müssen“, erklärte Hasard.
„Wieso das denn?“
„Weil nicht ein einziger aufgepaßt hat – keiner von uns“, entgegnete Hasard. „Wir alle haben bei dieser verdammten Wette zugesehen – ich auch. Da wäre es billig, einen Sündenbock zu suchen und zu bestrafen. Im Grunde hat die Schiffsführung versagt, weil sie ihre Kontrollfunktion nicht wahrgenommen hat, Kontrolle zum Beispiel des Ausgucks, ob der auch aufmerksam den Voraussektor beobachtet.“