Der junge Zauberer

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Der junge Zauberer
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Charles Baudelaire

Der junge Zauberer

Über den Autoren:

Charles-Pierre Baudelaire war ein französischer Schriftsteller und einer der bedeutendsten Lyriker der französischen Sprache. Er ist vor allem durch seine Gedichtsammlung Les Fleurs du Mal bekannt geworden und gilt als wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne in Europa.

Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren:

Der junge Zauberer

Impressum

Der junge Zauberer

Nach einem pompejanischen Palimpsest

Diese Novelle erschien zuerst 1846 im Feuilleton der Zeitung L'Esprit Public.

Bei den in Anwesenheit des Königs von Neapel während der Restauration 1815 vorgenommenen Ausgrabungen fand man in einem der Gemächer des Aktaeonschen Hauses ein grosses Freskogemälde von ganz wunderbarer Schönheit, das eine Gruppe von Nymphen darstellte, deren Augen der Hauptfigur zugewandt waren. Hinter ihr stand ein junger Amor, beugte sich lieblich über ihr Ohr und schien ihr ein Geheimnis zuzuflüstern. Die ausserordentliche Grazie der Formen, der lebendige und gefällige Ausdruck des kleinen Flüsterers, die liebenswürdige Haltung der Nymphen und selbst der besondere Glanz der Farben, der wenigstens siebzehn Jahrhunderten Trotz geboten hatte, zogen die Augen aller Kenner auf sich. Natürlich war die italienische Phantasie bald dahinter, für dieses unvergleichliche Stück eine Erklärung und einen geschichtlichen Hintergrund zu finden. An jedem Tage entstanden neue Auslegungen, aber die Hauptsache: die Wahrscheinlichkeit fehlte allen in gleicher Weise.

Indessen war es nicht die Bestimmung des geheimnisvollen Freskos, ewiges Geheimnis zu bleiben. In den ersten Monaten des Jahres 1836 wurde einer jener Papyros, die nunmehr nach einem vom Chevalier Collini aus Neapel erfundenen vorzüglichen System aufgerollt werden, geöffnet und zeigte den erstaunten Betrachtern über dem ersten Teil des Manuskripts das Freskogemälde in Miniatur. Der vollkommen entrollte Papyros enthielt nachfolgende Geschichte, nach der man zweifelsohne die Zeichnung gemacht hatte, mit der sie illustriert war. Eine Geschichte, die wir mit allen Verstümmelungen wiedergeben, die bei der Mürbheit der halbverbrannten Rolle unvermeidlich blieben. Die grösste dieser Lücken befindet sich gerade am Anfang. Sie spottet noch den Forschungen aller italienischen Akademien und lässt ihrem Entdeckerfleiss freies Spiel.

*

»O Kallias, ich bin der Welt müde.«

»Ihr irrt, Sempronius; Ihr seid aller Dinge müde, nur nicht der Welt.«

»Ich weiss, was ich sage, Kallias, ich spreche ernsthaft. Aber wie Euch überzeugen, wie Euch glauben machen? Ihr Kallias, Skeptiker von Beruf, Ihr athenischer Schöngeist; Ihr sorgloser Seeräuber, bekannt auf allen Meeren des Vergnügens in Griechenland und Asien; Ihr, o Kallias, Falter, der durch alle Gärten der menschlichen Tollheit von Blume zu Blume taumelt, wie könntet Ihr an eine unendliche Müdigkeit glauben, an diesen tiefen Ekel vor allem, was die Erde enthält? Aber Ihr seid ein epikureisches Tier.«

»Nein, melancholischer Philosoph, Ihr irrt noch immer. Ich bin ein wirklicher Epikureer; zart in meinem Geschmack, zurückhaltend in meinem Laster, zärtlich in meinen Freundschaften und in meinen Lieben, bin ich grausam und verächtlich nur für meine armen Landhäuser, und wahrhaftig, die einzige Sorge, die mich quält ist zu wissen, ob ich morgen in meine Villa an die Ufer des Tibers reisen werde, oder ob ich meine müden Tage in der frischen Luft meiner Grotte in Sunium verleben soll, solange die Herrschaft dieses verliebten und verpesteten Gestirns anhält.«

Der Sirius ging auf, und der Glanz, den dieser König der Sternbilder ausstrahlte, färbte den ganzen Golf von Neapel in helles Licht. Die Augen des jungen und schönen Römers warfen auf die Natur einen eindringlichsten Blick, und er seufzte mehr, als dass er sprach:

»Ach, dass der Wunsch nicht die Last meines Lebens abschütteln und mich zu jenen heldischen Reisenden des Feuerhimmels aufschwingen kann, die von unseren Sorgen so weit entfernt sind, wie sie sich selbst über die unreinen Wolken erheben!« Bei diesen Worten zog er in einer unbewussten Bewegung einen kleinen Dolch aus seiner Toga und hielt ihn hoch in die Helle der untergehenden Sonne, die die Schneide erglänzen liess.

Kallias stand schnell auf, brach in Lachen aus, und rief den jungen Enthusiasten in die Gegenwart zurück.

»Man kann das auf zweierlei Weise nur erklären«, rief der grausame Spötter. »Ein Mann blickt auf ein Messer so nur aus Rachsucht; eine Geliebte erobern oder eine Gattin beseitigen. Dann stimmt es! Aber Sempronius, wer könnte Euch so in Verzweiflung stürzen? – Ihr, der Ihr notorisch und öffentlich der bewundertste und begeistertste aller Männer seid, die den Luxus, die Grazien und die schönsten Beine des Palatins ehrlich anbeten. Ihr, der Tribun der kaiserlichen Legion, Ihr, für den die Wohlgerüche geradwegs aus Persien, die Kleider aus dem Zauberlande, wo die Würmer zu Webern werden, und die Geschmeide von den unbekannten Küsten Indiens kommen, Ihr, der Bevorzugte der Modeanbeter! Welche Schönheit könnte Euren unzähligen Verführungskünsten widerstehen?«

Solchermassen war des Sempronius schmachtende Antwort.

»Kallias, ich bin unfähig, auf Euer Gespött zu antworten. Aber seht dort hinten den Sklaven, der in Arbeit und noch unter den letzten Strahlen dieses brennenden Tages sich abmüht. Mit Freuden würde ich heute mein Los mit dem dieses Elenden tauschen. Ihr seht mich mit grossen Augen an. Hört mich an, und Ihr werdet verstehen. In gegenwärtiger Stunde kann es unter dem Himmel kein unglücklicheres Geschöpf gehen als Euren Freund Sempronius. Obschon die ganze Welt, wie Ihr sagt, ihn mit ihrem Lächeln umgibt.«

In diesem Augenblick kam der Diener mit der Meldung, dass das Abendbrot gerichtet sei, und hinderte ihn, seinen Bericht zu beginnen. Kallias war ausserordentlich reich und hatte den ausgezeichneten Geschmack eines Griechen; er führte den Freund in ein Triclinium, in dem er eine Auswahl der schönsten, mühsam in Korinth und auf den Inseln gesammelten Bilder vereinigt hatte. Dieser köstlich verzierte und geschmückte Raum lag gegen Westen und die untergehende Sonne warf ihre dunkelroten Strahlen durch das Kristall der Fenster.

»Ihr seht,« sagte Kallias, nicht ohne in seinem Lächeln den befriedigten Ehrgeiz des Sammlers zu verraten, »Ihr seht, dass ich hier einen Euch Römern, die Ihr in Dingen der Eleganz massgebend seid, fremden Plan verwirklicht habe. Sie hängen ihre Bilder in das breiteste Licht, in den hellsten und öffentlichsten Raum ihrer Wohnung. Während ich sie wie Freunde behandele und, um mit ihnen zu plaudern, sie so weit wie möglich vom grossen Lärm entferne. Und um unsere Unterhaltung noch angenehmer zu gestalten, nehme ich mein Abendbrot in ihrer reizenden Gesellschaft ein.«

Sein Freund konnte, trotz der Last, die sein Herz bedrückte, nicht umhin, einige Freude an der hervorragenden Eleganz zu finden, die jeder Gegenstand, auf den sein Auge fiel, ausstrahlte und die besonders in der Verteilung der Bilder sich zeigte. Anstatt sie alle dem gleichen Tageslicht auszusetzen, hatte sie Kallias so aufgehängt, dass jedes so viel Licht bekam, wie es brauchte, um alle seine Vorzüge im vollkommensten Ausdruck leuchten zu lassen. – Ein abendlicher Tanz junger Lakedaimonierinnen am Ufer des Eurotas hing an einer Stelle, auf die die untergehende Sonne ihren ganzen Glanz warf, die Bergspitzen glühten in kurzem aber natürlichen und sozusagen lebendigen Feuer; die auf ihren Seiten ansteigenden Wälder warfen Schatten von natürlichem Gold; die Helme selbst und die leichten Schilde, die die jungen Mädchen in ihrem reizenden Kriegsspiel trugen, leuchteten wie wirklicher Stahl in der Allmacht der Strahlen. In einer sehr verborgenen Ecke, die nur einen armseligen Lichtstrahl auffangen konnte, hing eine feierliche, strenge und schreckliche thessalische Beschwörung! Die Teile der Wälder, durch die majestätische Schatten von Phantomen sich bewegten, schienen noch dunkler durch den schwachen Schimmer, der wie ein leichter Pinsel nur dazu diente, die dunkle Malerei mit einigen helleren Flecken zu bereichern.

Darüber hing in einem kostbar gearbeiteten Alabasterrahmen ein Meisterwerk des Ioniers Alkamenes. Es stellte den Olymp und die von Homer beschriebene Szene dar, in der Venus in der Versammlung der Unsterblichen Jupiter anflehen kommt, um ihn den Trojanern günstig zu stimmen. In der Verschwendungssucht der Millionäre, die Berge von Reichtümern und Schatzkammern von Geist opfern für die Freude eines Augenblicks allerhöchster Freude, Freude, die an die letzten Grenzen der Möglichkeit einer zartesten Phantasie reicht – konnte man dieses fabelhafte Werk nur in dem Augenblick sehen und verstehen, in dem die Sonne den Horizont berührte. Die beiden Freunde konnten sich auf diesen flüchtigen und äussersten Genuss vorbereiten, während eine Flammenpyramide langsam über die Oberfläche des Bildes emporstieg. Der ganze Oberteil lag also im Dunklen, als das Licht den Fuss des mächtigen Berges einzufärben begann. Ihr Strahl stieg, wie ein unbeweglicher Pfeil geschleudert, nach und nach aus den wein- und olivenbepflanzten Tälern bis in die wolkenumzogene Region, die noch kein Menschenfuss betrat. Einen Augenblick später erreichte der Strahl die Wohnung der Unsterblichen und hüllte sie in eine Goldatmosphäre; alles, was bisher unsichtbar geblieben war oder nur wie durch vage Nebel geahnt werden konnte, leuchtete jetzt in äusserstem Glanz auf. Die Thronsessel der verschiedenen Götter, die im Kreise aufgestellt waren, blitzten in den Farben aller den sterblichen Juwelieren bekannten Edelsteine und der nur den Göttern bekannten Diamanten auf. Der Weg, der zum grossen Thron führte, war mit Sternen bepflastert. Ein von Diamanten brennender Wolkenhimmel war der Schleier, der vage die hehre Gegenwart des Herrn der himmlischen Welten verhüllte. Der plötzliche Einfall des Lichtes, das den Kreis voll Grösse und Schönheit durchfuhr, schien ihn mit Leben und jäher Bewegung zu erfüllen. Im Mittelpunkt verblieb eine anscheinend in eine Wolke gehüllte Form, die aber, als der Strahl sie plötzlich berührte, sichtbar wurde, als wäre ein wirklicher Nebel unter diesem brennenden Kuss verdampft und geschmolzen. Diese Form war die vor den Göttervater hingebeugte und flehende Venus. Ihre ganze Schönheit war entzückend lebendig; man meinte, dass sie soeben ihre schöne Stirn erhoben habe; ihr Auge blitzte von neuem Glanz und ihre Wangen waren von einem Rot durchblutet, das die Lebendigkeit ihrer Gefühle und die Innigkeit ihres Gemüts ihr ins Gesicht trieben, und ihre Haltung war eine merkwürdige Mischung von Adel und Demut; aber ihr Gesicht, ihr unbeschreibliches Gesicht war Liebe, und nichts als Liebe! Kallias warf auf diese wunderbare Arbeit den stolzen Blick des Amateurs; aber der junge Italiener stiess einen Schrei aus, verbarg sein Haupt in den Falten seines Kleides und warf sich dem Bilde zu Füssen wie in einem Taumel der Anbetung.

 
Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»