Читать книгу: «Seewölfe Paket 33», страница 26

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„Ich verlange absolute Gewißheit“, sagte er.

„Schicken Sie einen Boten zum Hof. Das steht Ihnen selbstverständlich frei. Leider werden wir Irland erreicht haben, bevor Sie eine Antwort erhalten.“ Hasard spürte die sich aufbauende Spannung deutlich. Langsam richtete er sich aus seiner bequemen Sitzhaltung auf.

Auch seine Männer reagierten. Ferris Tucker schob sich unmerklich an de Murcia heran, der Profos wirkte sprungbereit, und Don Juan taxierte seine Landsleute, als wolle er für alle nur erdenkliche Fälle gewappnet sein. Lediglich Higgy war die Ruhe in Person.

Don Ricardo de Mauro y Avila hatte seinen Entschluß gefaßt.

„Wir segeln nicht nach Irland“, verkündete er. „Die Schätze sind in jedem Hafen des Mutterlands so sicher wie auf See, eher sogar noch sicherer.“

„Ich hätte Sie für klüger gehalten“, sagte Hasard. „Was Sie vorhaben, wird Sie den Kopf kosten.“

Dann ging alles sehr schnell. Don Ricardo riß den Degen aus der Scheide und wollte de Vilches festnehmen, aber Hasard parierte trotz seiner noch immer sitzenden Haltung mit unglaublicher Geschmeidigkeit. Erst das harte Aufeinanderklirren beider Klingen schreckte den Spanier aus seiner selbstherrlichen Überheblichkeit auf und ließ ihn erkennen, daß er durchaus mit Widerstand rechnen mußte.

„Sie sind ein Narr“, zischte der Seewolf.

Der Generalkapitän attackierte ihn härter.

Miguel Salcho und Bernardo de Murcia eiferten ihrem Capitán nach. Aber während de Murcia noch von Glück reden konnte, daß er „nur“ an Ferris Tucker geriet, erlebte Miguel Salcho innerhalb von Augenblicken alle Höhen und Tiefen menschlichen Daseins – die Höhen allerdings weit weniger, denn zwischen seinem Kopf und den Deckenbalken lagen kaum drei Handspannen Luft.

Als der Erste Offizier zum Degen griff, war Carberry aufgesprungen. Keinen Lidschlag eher. Er wollte nicht, daß es hinterher hieß, er hätte mit der Prügelei angefangen. Obwohl solches schlichtweg Unsinn war.

Blankwaffen waren gefährlich. Sofern sie geschickt gehandhabt wurden, hinterließen sie unschöne Hieb- und Stichwunden, die nicht selten das plötzliche Ableben des Getroffenen bewirkten. Leider hatte Edwin Carberry keine Ahnung, wie geschickt Salcho mit seiner Klinge umzugehen verstand. Deshalb beeilte er sich mit dem Zuschlagen und holte einfach mit der flachen Hand aus.

Seine Pranke, groß wie eine Bratpfanne und genauso hart, streifte den Ersten, als der den Degen schon fast aus der Scheide hatte. Salcho verlor den Boden unter den Füßen, aber nicht das Bewußtsein. Sein Magen wurde von einer unerfindlichen Kraft nach unten gedrückt, von derselben Kraft, die seinen Kopf gegen einen Deckenbalken schmetterte, und schon ging es wieder abwärts, knickten die Knie unter der unerwarteten Belastung ein und glitt der Degen dummerweise wie von selbst bis zum Handschutz in die Scheide zurück.

Salcho wollte protestieren, doch da sauste die Bratpfanne wieder auf ihn zu. Von der anderen Seite diesmal. Vergeblich versuchte er auszuweichen. Der Aufprall wirbelte ihn einmal um die eigene Achse und ließ ihn unzählige Sterne sehen sowie ganz nahe vor sich einen abgrundtief häßlichen, von Narben übersäten Vollmond – mit Rammkinn.

Bis sein durcheinandergeschütteltes bißchen Verstand begriff, daß der Mond normalerweise nicht aus einem Grinsen bestand, war es erneut zu spät. Den Degen zu ziehen, war ihm wirklich nicht vergönnt, obwohl er sich alle Mühe gab. Aber was half das schon gegen zwei zusammenschlagende Becken, deren Klang seinen Körper bis in die letzte Muskelfaser durchdröhnte?

Das Dröhnen, Klirren und Scheppern zerfetzte seine Trommelfelle. Plötzlich war alles totenstill. Miguel Salcho sah, daß der häßliche Riese die Lippen bewegte, nur hörte er nichts mehr.

Was wollte der Kerl denn noch von ihm?

Santa Maria, flehte der Erste in Gedanken, beschütze mich vor diesem Monstrum. Laß mich meinetwegen taub bleiben, aber hilf mir!

Wie durch einen Schleier hindurch sah er den Profos an der Decke hantieren. Gleich darauf polterte die eiserne Lampe zu Boden.

Bis Salcho sich darüber klar wurde, daß er das Poltern wirklich gehört hatte, hing er bereits an dem nun freien Haken unter der Decke und durfte hilflos mit Armen und Beinen rudern.

„Schön, nicht?“ sagte der Profos. „Da oben tritt dir keiner versehentlich auf die Füße.“

Bernardo de Murcia kriegte von alledem wenigstens vorerst nichts mit. Tucker hatte ihm schlicht und einfach beide Fäuste unters Kinn gesetzt, und nun schlief der Bedauernswerte zusammengekrümmt in der Mulde in Don Ricardos Lotterbett, die Carberrys Achtersteven deutlich sichtbar hinterlassen hatte.

Aber nicht nur, daß die Arwenacks selbst wenig Spaß hatten, weil ihre Gegner so schnell alle viere von sich streckten, sie brachten sogar den Generalkapitän um das Vergnügen, de Vilches in den Bauch zu pieksen. Fechten konnte Don Ricardo, das mußte man neidlos zugestehen. Die Frage war nur, ob Hasard sich zurückhielt oder ob beide wirklich ebenbürtig waren.

„Ich wette auf Don Julio“, sagte Mac O’Higgins unvermittelt.

Carberrys Rammkinn klappte haltlos nach unten. Er starrte den Iren an, als hätte er eben ein neues Weltwunder entdeckt.

„Was ist?“ drängte Higgy. „Hältst du mit? Zehn Achterstücke!“

Der Profos schnappte nach Luft. Dann ließ er ein halb ersticktes Gurgeln vernehmen.

„Du willst, daß ich auf diesen hochnäsigen Schafsbock Ricardo setze?“

„Ungefähr so dachte ich mir“, bestätigte O’Higgins.

Das war letztlich doch zuviel. Sogar für einen Kerl wie Ed Carberry.

„Judas!“ zürnte er. „Verkaufst deinen Kapitän für lausige zehn Achterstücke …“

Higgy wollte schon auf zwanzig erhöhen, immerhin war er sich seiner Sache sicher, aber das Funkeln in Carberrys Augen verriet ihm, daß Schweigen momentan mehr einbrachte. Auf jeden Fall keine ausgeschlagenen Zähne.

Einiges vom Inventar der Kapitänskammer war bereits zu Bruch gegangen, der Rest würde unweigerlich folgen. Ein Degenhieb schlitzte den Baldachin über dem Lotterbett der Länge nach auf und verwandelte den schweren Stoff in einen jämmerlichen Fetzen, der gerade noch zum Ausstopfen von Spundlöchern taugte.

Hasard und der Generalkapitän lieferten sich ein erbittertes Duell. Während Don Ricardos Attacken aber zunehmend heftiger wurden, beschränkte sich der Seewolf mehr auf die Verteidigung. Irgendwann mußte selbst ein verbohrter Affenarsch wie Ricardo de Mauro y Avila das spitzkriegen und entsprechend reagieren. Nur schien er eben noch verbohrter zu sein, als die Arwenacks angenommen hatten.

Don Juan bereitete dem Zweikampf ein Ende, indem er die Pistole hob, die er de Murcia abgenommen hatte, und auf den Generalkapitän zielte.

„Geben Sie auf, Don Ricardo!“ erklärte er. „Auf diese Distanz kann ich nicht danebenschießen.“

Wenigstens wußte der Capitán, wann er verloren hatte. Schwungvoll stieß er die Klinge vor sich in die Planken.

„Und was nun, de Vilches? Glauben Sie nur nicht, daß Sie und Ihre Schnapphähne mit heiler Haut von Bord gelangen.“

„Der ist verrückt“, stieß Ferris Tucker prustend hervor. „Oder besessen von der fixen Idee, es überall mit Halsabschneidern und sonstigem Lumpenpack zu tun zu haben. Wahrscheinlich bezichtigt er auch noch Philipp III. der Mittäterschaft.“

Hasard stieß den Generalkapitän mit der Degenspitze vor die Brust. „Ich nehme Sie hiermit fest, Don Ricardo de Mauro y Avila. Sie werden die weitere Überfahrt nach Irland als Gefangener unter Deck meiner Schebecke verbringen und sofort nach unserer Rückkehr nach Spanien vor ein Kriegsgericht gestellt. Sie unterstehen dem Kriegsrecht in voller Konsequenz. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu erklären.“

„Nein“, sagte Don Ricardo tonlos.

Der Seewolf achtete nicht darauf.

„Die Anklage bezichtigt Sie der Meuterei, der Anstiftung zur Meuterei sowie der Befehlsverweigerung aus Eigennutz, ferner der Ehrabschneidung, begangen an einem Sonderbeauftragten Seiner Majestät. Selbstverständlich sind Sie ab sofort Ihres Amtes als Kapitän enthoben.“

„Sie verstehen mich falsch“, sagte Don Ricardo.

Hasard griff nach dem Degen des Spaniers und zog ihn ruckartig aus den Planken.

„Was war daran mißzuverstehen?“

„Nichts“, gestand der Generalkapitän. „Aber zu meiner Verteidigung werde ich ausführen, daß ich ausschließlich aus lauteren Motiven so handelte.“

„Sie werden Zeit genug haben, darüber nachzudenken“, sagte Hasard. „Aber vermutlich wird das Urteil auf Todesstrafe lauten. Zu vollziehen durch den Strick oder die Garotte.“

Es war erstaunlich, zu sehen, wie selbst ein aggressiver, rechthaberischer Mann wie Don Ricardo seine Fahne nach dem Wind hängte. Offenbar paßte endlich in seinen Dickschädel hinein, daß Don Julio wirklich derjenige war, als der er sich ausgab.

„Ich war übervorsichtig“, murmelte er.

„Ein Idiot, um es genau zu sagen“, bestätigte der Profos.

„Selbstverständlich führe ich den Konvoi nach Irland, wenn Seine Majestät es von mir verlangt.“

„Das klingt schon weitaus besser“, sagte Hasard. „Wir brauchen jeden, der zuzupacken versteht. Als Gefangener würden Sie mir eher zur Last fallen.“

„Heißt das, Sie verzichten auf eine Anklage?“

„Sagen wir, ich räume Ihnen die Gelegenheit ein, sich für Ihre Meuterei zu rehabilitieren, Don Ricardo. Fassen Sie das ruhig als großherzige Geste auf. Bei aller Meinungsverschiedenheit, mir ist nicht daran gelegen, Sie tot zu sehen, sondern ich will einzig und allein das Gold und Silber aus der Neuen Welt in sicherer Obhut wissen.“ Und das war es in London, in den Händen der königlichen Lissy allemal. Hasard drehte den Degen in der Hand und hielt ihn dem Generalkapitän hin. „Ihre Waffe“, sagte er. „Sie verstehen ausgezeichnet, damit umzugehen.“

„Ich hoffe, wir werden nie gezwungen sein, die Klingen miteinander zu kreuzen.“

Da klang dieses unterschwellige Mißtrauen wieder an. Don Ricardo hatte herzlich wenig dazugelernt, eher hatte er sich mit List aus einer für ihn unangenehmen Lage herausmanövriert.

Aber auch Hasard hatte gewonnen: Zeit, die für ihn so wichtig war. Zwei oder drei Tage, mehr wollte er gar nicht.

3.

Die Wolkendecke riß nur vorübergehend auf. Das Gaukelspiel der Sonnenstrahlen, die verheißungsvoll über die gischtende Wasserfläche huschten, trog.

Bald färbte sich der Himmel im Westen rot, und während das düstere Farbenspiel auf die gesamte westliche Kimm übergriff, kehrte ein frischer Wind zurück. Der Wind trieb die Regenwolken auseinander. Vereinzelt fielen noch kleine, örtlich abgegrenzte Schauer, die ein Schiff mit dampfender Nässe überzogen, das nächste aber schon verschonten.

Die Schäden des Blitzschlags auf der „Santos los Reyes Mayos“ konnten mit Bordmitteln behoben werden. Bis zum Sonnenuntergang waren der nur leicht angeschwärzte Großmast und eine neue Stenge sicher miteinander verbunden. Auch das Eselshaupt, eine schwere hölzerne Spange, die eben dieser Verbindung diente, war erneuert worden.

Der Konvoi segelte in eine Nacht von schier erdrückender Finsternis – eine Nacht, wie es sie selten gab, ohne die vertrauten Lichtpunkte der Sterne oder gar das helle Band der Milchstraße, das sich über den Himmel spannte. Selbst der Mond blieb hinter den Wolken verborgen, und kein noch so blasser Schein ließ seinen Standort erahnen.

Die einzigen Lichter waren die Schiffslaternen, die in stetem Auf und Ab über den Wogen tanzten, wie ein kleiner Schwarm von Leuchtkäfern sich mal hierhin und dann wieder in die andere Richtung wendend.

Es schien eine ereignislose, ruhige Nacht zu werden. Das lag wahrscheinlich auch daran, daß die Mannschaften der Schatzgaleonen Furcht empfanden – vor englischen und irischen Piraten, vielleicht sogar vor el Lobo del mar, von dem niemand wußte, wo er und seine Korsaren gerade segelten und versuchten, rechtschaffenen Seeleuten nächtens die Kehlen durchzuschneiden. Eine Beute wie die neun Schiffe des Konvois mußte für den Seewolf wahrhaft ein gefundenes Fressen sein.

Keiner der Spanier zerbrach sich den Kopf darüber, auf wieviel Wahrheit diese Vorstellungen tatsächlich beruhten. Wo immer Geschichten über den Seewolf und seine wilde Horde erzählt wurden, gab es mehr Dichtung als Fakten.

Dabei waren Philip Hasard Killigrew und seine verschworene Gemeinschaft der Korsaren keineswegs blutrünstig. Daß sie spanische Schiffe plünderten, hatte Gründe, die vorwiegend im Verhalten der Dons selbst lagen. Wo Hasard dem spanischen Weltreich Nadelstiche zufügen konnte, tat er es.

Seine Männer und er hatten schon viele Sklaven aus schlichtweg unmenschlichen Verhältnissen befreit und ihnen zu einer neuen Heimat verholfen, sie hatten Geknechteten das Joch abgenommen und ihnen beigestanden, wo immer es möglich war. Sie waren rauhe Kerle mit einem guten Kern, denen das Schicksal selbst schon manche Fußangel gestellt hatte.

Hasard ging die Abendwache, zusammen mit Don Juan und Big Old Shane. Er ahnte, daß die Dons sich mehr und mehr mit aberwitzigen Gedanken befaßten, je näher die grüne Insel rückte, aber solange sie keine Taten folgen ließen, berührte ihn das herzlich wenig.

Mehrmals mußten die Segel neu getrimmt werden, weil der Wind innerhalb eines begrenzten Radius drehte. Das Flappen der Segel, das Knarren der Racks und Rahruten waren beinahe die einzigen Geräusche dieser Nacht. Selbst die See gluckste und schmatzte nur hin und wieder unter dem Bug, der leicht und lautlos durchs Wasser schnitt.

„Nicht einmal mehr zwei Tage“, sagte Don Juan unvermittelt. „Dann fällt die endgültige Entscheidung.“

„Ich wollte, es wäre einfacher“, erwiderte Hasard zögernd.

„Du fürchtest einen Kampf mit den Galeonen?“ Wie der Spanier die Frage stellte, klang sie beinahe spöttisch.

Hasard winkte ab.

„Es wird Tote geben. Vor allem auf seiten deiner Landsleute. Männer, auf die zu Hause Frauen und Kinder warten, werden sterben müssen, weil ihre Kapitäne den Widerstand befehlen. Das bedrückt mich.“

„Ich verstehe.“ Don Juan nickte. „Aber wer hat danach gefragt, wieviel Blut und Leiden der Indianer an den Schätzen kleben? Für eben diese Schiffsladungen wurde von meinen Landsleuten gebrandschatzt, gefoltert und gemordet, von all den anderen Verbrechen ganz zu schweigen, die Spanier im Namen der Zivilisation, des Fortschritts und der Christenheit begingen und noch immer begehen.“

Mehr war dazu nicht zu sagen. Sie schwiegen wieder und gingen ihre Wache auf Kuhl und Achterdeck, wobei sie oft an der Verschanzung verharrten und ihre Blicke über den Konvoi schweifen ließen.

Die Lichter der Laternen wirkten wie Perlen, die hintereinander auf einer Schnur aufgereiht waren. Hin und wieder wurde auch die Silhouette eines Achterschiffes erkennbar, oder der Schlagschatten eines Wachgängers huschte über die Segel.

Das Bild strahlte Ruhe und Frieden aus.

Alvaro Chinchilla war ein Hüne, breitschultrig und muskulös. Daß die besten Jahre bereits hinter ihm lagen, tat seiner äußeren Erscheinung bestimmt keinen Abbruch. Sein pechschwarzes, von Natur aus lockiges Haar, hatte er kurz geschnitten, auf die Länge einer Fingerkuppe, ebenso wie den dünnen Bartstreifen, der sich von den Ohren aus in gleichbleibender Dicke über die Kinnspitze hinzog. Der Bart betonte das kantige, volle Gesicht und ließ es länger erscheinen.

Seit er zurückdenken konnte, segelte Chinchilla über die Meere. Er mußte zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein, als sein Vater, ein Kaufmann, ihn an Bord seines Handelsschiffs genommen hatte. Die Neue Welt war damals ein überwältigender Eindruck gewesen, und er hatte sich geschworen, zurückzukehren. Ein Schwur, den er in den über vierzig Jahren, die seitdem vergangen waren, nie vergessen hatte.

Längst hatte er ein eigenes Kommando auf der Dreimast-Galeone „Nuestra Señora de lagrimas“. Seit fünf Jahren, jeweils vor den schweren Winterstürmen, segelte er mit einer Schiffsladung voll Gold und Silber in die Heimat.

Die Hände im Nacken verschränkt, lag er ausgestreckt in seiner Koje und starrte zu den Deckenbalken und Planken hinauf, ohne sie bewußt wahrzunehmen.

Diese Überfahrt war anders als alle vorangegangenen. Zumindest seit der Konvoi Santa Cruz de Tenerife erreicht hatte und dem Befehl des Don Julio de Vilches unterstand.

Es war verrückt, Irland anzulaufen.

Verrückt und möglicherweise tödlich.

Nur die Tatsache, daß de Vilches erwartet worden war, hatte Chinchilla bislang davon abgehalten, den Geleitzug zu verlassen und auf eigene Faust nach Spanien zu segeln, wie dies der Kapitän der „Nobleza“ getan hatte. Doch je länger die Fahrt dauerte und je mehr Unzulänglichkeiten auftraten – wie die mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln, – desto mehr verfiel er ins Grübeln.

De Vilches war mit einem schwer armierten Kriegsschiff erwartet worden. Aber anstelle der „Casco de la Cruz“ waren diese drei sonderbaren Schiffe erschienen, die seit Teneriffa für den Geleitschutz sorgten.

„Ich will verdammt sein, wenn das alles mit rechten Dingen zugeht“, murmelte Alvaro Chinchilla im Selbstgespräch. „Was wissen wir schon von diesem de Vilches? Daß er ein Sonderbeauftragter des Königs ist. Na schön. Doch das schützt ihn nicht vor Eigennutz.“

Er starrte immer noch die Planken an. Der flackernde Widerschein einer kleinen Lampe und die Maserung des Holzes ließen ihn Gesichter sehen, wo keine waren. Sie grinsten, zogen hämische Fratzen, schienen ihn zu verspotten.

Ärgerlich wälzte er sich auf die Seite und zog sich die Decke bis über die Ohren. Aber selbst jetzt fand er keinen Schlaf. Das war so, seit sie Spanien hinter sich gelassen hatten, seit sich seine Hoffnung auf einen überraschenden Kurswechsel nach La Coruña oder Santander zerschlagen hatte.

De Vilches segelte tatsächlich nach Irland und hatte das nicht nur als Schutzbehauptung vorgegeben, um sich vor möglichem Verrat zu sichern. Immerhin wurden solche Schätze wie diesmal sehr selten in einem einzigen Geleitzug transportiert.

Warum Irland?

Die Freundschaft mit Spanien reichte als Erklärung nicht aus. Gold und Silber wurden im Mutterland dringender denn je gebraucht. Chinchilla hatte noch in Havanna allerlei munkeln hören. Die Staatsschulden sollten enorm sein.

Kein vernünftig denkender Mensch verschiffte unter solchen Umständen Gold und Silber in andere Länder. Es sei denn, er wollte den Reichtum vor seinen Gläubigern in Sicherheit wissen.

Mit einer Verwünschung auf den Lippen setzte sich der Kapitän der „Nuestra Señora de lagrimas“ in der Koje auf. Er konnte die Sache drehen und wenden, wie er wollte, zu einem vernünftigen Ergebnis gelangte er nicht.

Erst vor wenigen Stunden hatte der Generalkapitän einen Kurswechsel versucht. Die „Salvador“ wäre daraufhin um ein Haar von der Schebecke gerammt worden.

Die Müdigkeit war endgültig verflogen. Alvaro Chincilla, der nie anders als in voller Kleidung schlief, schlüpfte in die Stiefel und schnallte sich den Waffengurt um. Haare und Bart brauchte er wegen der Kürze ihres Wuchses nicht zu bändigen.

Ohne sonderliche Hast verließ er seine Kammer und trat durch den Niedergang aufs Achterdeck hinaus.

Die sternenlose Schwärze der Nacht irritierte ihn. Wenn ihn seine Erfahrung nicht täuschte, und das hatte sie nie getan, mußte während der folgenden Tage mit widrigen Wetterverhältnissen gerechnet werden. Daß zur Zeit ein guter Wind wehte und die See sich wieder von ihrer angenehmen Seite zeigte, war nicht mehr als ein Zwischenspiel, ein Atemholen der Natur, die danach um so schlimmer zuschlagen würde.

Auch deshalb war eine Umkehr nach Spanien zu erwägen. Die Winterstürme im Nordatlantik waren häufig genug von mörderischer Härte.

Der Wachgänger auf dem Achterdeck trat auf den Kapitän zu.

„Alles in Ordnung, Señor Capitán“, meldete Antonio Rojas. „Wir halten unverändert Kurs.“

Die anderen Schiffe ebenfalls, wie sich Chinchilla mit einem schnellen Rundblick überzeugte. Nicht weit voraus tanzte die Hecklaterne der „Honestidad“ auf und ab, und vor ihr das Licht der „Reputacion“. Vorlich an Steuerbord, etwa um zehn Winkelgrade versetzt, das mußte die Schebecke sein.

Der Anblick des Mittelmeerdreimasters weckte in Alvaro Chinchilla stets die Vorstellung von Piraten, weil er vor Jahren von einer Horde algerischer Schnapphähne bedrängt worden war, die ihm mit einer Schebecke schwer zugesetzt hatten. Was nicht hieß, daß er Don de Vilches und seine Männer mit Piraten gleichzusetzen gedachte. Das keinesfalls.

Er verstand nur nicht, warum die Gold- und Silberladungen ausgerechnet nach Irland gehen sollten. Das hatte es noch nie gegeben, und dahinter steckte mit Sicherheit ein abgekartetes, hinterhältiges Spiel. Legten gewisse Adelskreise es darauf an, den König schon nach wenigen Wochen wieder zu stürzen? Oder ging es schlicht um Reichtum, Macht und Einflußnahme?

„Bist du mit dem Kurs nach Irland einverstanden, Rojas?“ murmelte er gedankenverloren.

Der Wachgänger blickte ihn verdutzt an und schluckte ein paarmal, zog es aber vor, zu schweigen.

„Du darfst deine Meinung ehrlich sagen“, betonte der Kapitän. „Sie interessiert mich sogar.“

„Sie werden wenig erbaut davon sein, Capitán.“

„Zerbrich dir nicht meinen Kopf, Rojas. Also heraus mit der Sprache!“

Antonio Rojas führ sich mit der Hand über den Mund. Dann gab er sich einen merklichen Ruck.

„Etliche Männer murren“, sagte er. „Sie wollen nicht nach Irland, fürchten Piraten und vor allem die Engländer. Wir sind zu schlecht armiert, meinen sie, und selbst die Begleitschiffe sind zu schwach, um uns im Ernstfall zu schützen.“

„Ist das alles?“

„Ich habe gesagt, was ich weiß, Capitán. Verlangen Sie nicht, daß ich Namen preisgebe.“

„Ach, Unsinn“, sagte Chinchilla schroff. „Warum sind die Männer unzufrieden? Fürchten sie wirklich nur die Engländer?“

Endlich verstand Rojas, auf was der Kapitän abzielte. Ein flüchtiges, hoffnungsvolles Aufblitzen zeigte sich in seinen Augen.

„Vordergründig, ja“, erwiderte er. „Niemand stirbt gern, ohne zu wissen, für was. Aber da ist auch noch die Frage, ob wir Spanien wirklich den Rücken wenden müssen. Das versteht niemand. Die Schätze wurden immer nur ins Mutterland verschifft.“

„Und du?“ fragte Alvaro Chinchilla. „Liegt dir daran, nach Irland zu segeln?“

Rojas schüttelte den Kopf.

„Ich will deine Antwort hören!“ forderte der Kapitän.

„Wenn es nach mir ginge, würde ich sofort Gegenkurs einschlagen“, sagte Rojas. „Gut die Hälfte der Mannschaft denkt so.“

„Na also.“ Chinchilla fischte sein Spektiv aus dem Gürtel, zog es auseinander und blickte suchend vorlich nach Steuerbord. Sofort fand er die eine Laterne, an der ihm gelegen war.

„Das ist die Schebecke. Sie paßt auf uns auf wie eine Glucke auf ihre Küken.“

Verwirrt kaute Rojas auf seiner Unterlippe. Was den Kapitän bewegte, erschien ihm so ungeheuerlich, daß er sich selbst einen Narren schimpfte, Derartiges überhaupt in Erwägung zu ziehen.

„Du segelst also lieber nach Spanien als nach Irland“, sagte Chinchilla in dem Moment. „Geh und wecke die Männer, die mit dir einer Meinung sind. Sie sollen an Deck erscheinen, aber jeden Lärm vermeiden.“

Antonio Rojas hatte plötzlich das Gefühl, als ziehe ihm jemand die Planken unter den Füßen weg. Er begann verwirrt zu stammeln.

„Was ist?“ fragte der Kapitän. „Willst du nicht in die Heimat zurück?“

„Doch – aber …“

Chinchilla lachte verhalten. „Was ist mit der Wache auf der Kuhl? Kann man dem Mann vertrauen?“

„Jesús Cortès? Absolut. Er hat Frau und fünf Kinder zu Hause und wäre lieber heute als morgen in Bañeres.“ Rojas wunderte sich über sich selbst, wie leicht ihm die aufrührerischen Worte über die Lippen gingen.

Aber wenn Alvaro Chinchilla befahl, wer wollte ihn daran hindern? Mit einemmal war er überzeugt davon, daß es keine günstigere Gelegenheit geben konnte als in dieser Nacht.

Der Kapitän rief Jesús Cortès zu sich aufs Achterdeck. Der zur Fülle neigende, kleine Cortès zögerte nicht, als er aus Rojas’ Mund erfuhr, daß sie diese Nacht zur Flucht nutzen würden.

„Ich bin dabei“, sagte er knapp, aber mit deutlicher Erleichterung in der Stimme. „Die Piraten hätten uns getötet.“

„Welche Piraten?“

„Die Iren, die uns auflauern. Sie werden uns in die Riffe treiben und die ‚Nuestra Señora de lagrimas‘ zu den Fischen schicken.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich hatte vorgestern und gestern einen Traum“, sagte Cortès bedeutungsvoll. „Und ich werde wohl auch heute wieder schweißnaß aufwachen.“

Capitán Chinchilla lachte hart.

„Du fürchtest deine eigenen Träume? Dabei sind sie nichts anderes als die Ängste des Tages, die du in den Schlaf mitnimmst. Weißt du, welche Riffe?“

„An der Küste Irlands, wo sonst?“ Cortès zuckte mit den Schultern.

„Du träumst nicht mehr davon“, versprach der Kapitän. „Geh und sorge dafür, daß die Hecklaterne langsam und flackernd erlischt. Für de Vilches und seine Leute soll es so aussehen, als hätten wir Schwierigkeiten mit dem Öl.“

Jesús Cortès beeilte sich, den Befehl auszuführen, während Rojas unter Deck die halbe Mannschaft aus dem Schlaf purrte. Es gab große Augen und ungläubige Gesichter, als er mit knappen Worten erklärte, was Chinchilla plante.

Nur wenige Männer zögerten. Es waren jene, die weder Familie noch Verwandte hatten, denen es letztlich egal sein konnte, welche Häfen ihr Schiff anlief. Sie hatten zwar vorher große Töne gespuckt und von Umkehr geredet, aber zwischen Wollen und Wirklich-Tun lag eben ein gewisser Unterschied.

Bis sie alle an Deck erschienen, war die Hecklaterne nahezu erloschen. Nur ein winziges Flackern des Dochtes sorgte noch für einen fahlen Schimmer, der jedoch gleich darauf erstarb.

Rojas schlug die Schiffsglocke an. Zwei Glasen der Hundewache, das entsprach ein Uhr nachts.

Von der Balustrade des Achterdecks aus redete Alvaro Chincilla zu seinen Leuten. Er sprach davon, daß es gelte, Spanien vor einem möglicherweise schlimmen Verlust zu bewahren, und daß es besser sei, ein gesundes Mißtrauen zu entwickeln, als möglicherweise blindlings in den Tod zu segeln. König Philipp III. werde ihre Sorge um seine Staatsfinanzen verstehen und zu würdigen wissen, um so mehr, wenn sich herausstellen sollte, daß Don Julio de Vilches nichts weiter sei als ein übler Taschenspieler und Lügner, der den Hof zu betrügen versuche.

Das zustimmende Gemurmel war eindeutig. Der Capitán wußte, wie er den Ehrgeiz seiner Leute anspornen konnte. Schon jetzt sah sich jeder als Held, dem in wenigen Tagen vom Hofe eine besondere Ehrung widerfahren würde. Dabei segelte die „Nuestra Señora de lagrimas“ nach wie vor auf Nordkurs.

Chinchilla, selbst voll angespannter Erregung, wartete ab. Entweder hatten die Kerle auf der Schebecke das Erlöschen der Laterne nicht beobachtet – das war die beste Voraussetzung, weil das Verschwinden der Galeone vor dem frühen Morgen kaum auffallen würde –, oder sie maßen dem keine Bedeutung bei. Dann galt es allerdings, den Schutz der Nacht zu nutzen, bevor de Vilches’ Männer sich doch zur Annäherung entschlossen.

Trotz der Kühle begann der Kapitän zu schwitzen. Das Spektiv vors Auge gepreßt, beobachtete er die Schebecke. Das schlanke, schnelle Schiff hielt unverändert Kurs. Vielleicht wurden die Wachen an Deck durch das eigene Licht geblendet. Es war eine altbekannte Weisheit, daß man besser aus der Dunkelheit heraus sah als vom Licht in die Dunkelheit.

Mit Unterstützung durch den Generalkapitän durfte Chinchilla keinesfalls rechnen. Don Ricardo de Mauro y Avila hatte sein Glück versucht und war gescheitert. Allem Anschein nach hatte ihm de Vilches das Kommando abgenommen. Wie anders war zu erklären, daß die „Salvador“ wieder Richtung Irland segelte?

Die Überlegung, daß der angebliche Sonderbeauftragte Seiner Majestät den Generalkapitän endlich von seiner Identität und der Richtigkeit des Kurses überzeugt hatte, schob Alvaro Chinchilla weit von sich fort. Denn diese Möglichkeit behagte ihm nicht im geringsten. Es hatte nie zu seinen Prinzipien gehört, eine einmal gefaßte Meinung umzustoßen.

„Klar zum Halsen!“ befahl er. „Aber so wenig Lärm wie möglich. Der Wind trägt die Geräusche sonst bis zur Schebecke.“

Momentan segelte die Galeone mit Backbordhalsen und Steuerbordschoten. Unter den augenblicklichen Bedingungen – sie konnten gerade noch die Hand vor Augen erkennen – hatten die Männer es verdammt schwer, den Kurswechsel zu vollziehen. Chinchilla ließ ihnen genug Zeit, sich zurechtzufinden.

Vage Schemen enterten die Wanten auf. Die Gewichtsveränderung auf den Rahen ließ das Knarren anders klingen, der Kapitän hörte das heraus. Mit der ihm eigenen Ausdauer und Zähigkeit hatte er sich dieses Können angeeignet. Natürlich gehörte auch ein scharfes Ohr dazu.

Die Brassen wurden zum Laufen klargelegt.

Alvaro Chinchilla war zufrieden. Die Schebecke hielt unverändert ihre Position.

„Hängt das Großsegel ins Gei!“

Ohne Zwischenfall holten die Männer das Tuch an die Rah heran. Nahezu gleichzeitig wurde der Besan geborgen.

„Ruder Steuerbord!“

Der Mann am Kolderstock, dem vertikal angebrachten Hebel, der über eine Achse seitlich schwenkbar mit der eigentlichen Ruderpinne verbunden war, legte alle seine Kraft hinein, um das Ruder nach Steuerbord zu bewegen. Währenddessen wurden von den Decksleuten die Großrahen vierkant gebraßt, das heißt, die Rahen standen querschiffs. Die beiden Großmarssegel begannen zu killen.

„Verdammt!“ zischte Chinchilla. „Geht das nicht leiser?“

Ohne das Besansegel, mit flappendem Tuch am Großmast und nur mit weiterhin steifer Fock und Vormarssegel, fiel die „Nuestra Señora de lagrimas“ rasch ab und drehte mit dem Heck in den Wind.

Das Flattern des Tuchs im Großtopp verstummte, da der Anstellwinkel beider Segel jetzt stimmte und der achterliche Wind sie blähte. Die Galeone lief genau vor dem Wind.

Alvaro Chinchilla ließ seiner Crew Zeit, Leinen zu belegen und wieder sicheren Halt zu finden. Was die Männer leisteten, war weit mehr, als man normalerweise von ihnen erwarten durfte. Die Aussicht, bald spanischen Boden unter den Füßen zu haben und Weihnachten im Kreis der Familie oder unter Freunden zu verbringen, spornte sie an.

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