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ENDE


1.

Die „Isabella IX.“ klüste nordnordwestwärts. Die mauretanische Küste lag bereits weit hinter ihr – ebenso die viermastige spanische Kriegsgaleone „Casco de la Cruz“. Aber die war nicht mehr in einem Stück, sondern vielmehr ein nutzloser Trümmerhaufen, der auf einer Sandbank vor sich hin kokelte. Und Spanien war weit, jedenfalls für jene Dons, die sich an die verlassene Küste gerettet hatten.

Da hatten sich die Mannen Jean Ribaults, die jetzt auf der „Isabella IX.“ fuhren, wieder mal ein bravouröses Stückchen geleistet. Der Profos Edwin Carberry nannte das „Kastanienfresser löschen“. Er war zur Zeit zusammen mit Matt Davies, Jack Finnegan, Paddy Rogers, dem Iren Higgy und Batuti auf die „Isa“ detachiert, um die Ribault-Crew zu verstärken.

Nach der Vernichtung der „Casco“ ging es Jean Ribault darum, möglichst schnell zu Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel zurückzukehren, die mit der Schebecke der Seewölfe und der „Wappen von Kolberg“ unverfroren „Geleitschutz“ für den spanischen Konvoi fuhren und diesen sogar auf Irland-Kurs dirigiert hatten.

Die Vernichtung der „Casco“ lag zwei Tage zurück. An diesem Tag hoffte Jean Ribault, die Freunde und den Geleitzug zu erreichen, der sich mit Nordkurs jetzt etwa zweihundert Meilen nördlich von Madeira befinden mußte.

Sie hatten die „Isa“, dieses schnelle Schiffchen der Seewölfe, mit günstigem Backstagswind aus Südwesten auf Teufel komm raus vorangeprügelt und alles an Tuch gesetzt, was zur Verfügung stand, sogar Leesegel an Fock- und Großsegelrah. Die schlanke Galeone mit den überlangen Masten schäumte nur so durchs Wasser.

Den Ausguck im Vormars hatte in diesen Vormittagsstunden Roger Lutz übernommen, der schlanke, schwarzhaarige Mann aus Calais, der so elegant mit dem Degen fechten konnte, jedoch eine Schwäche hatte: die Frauen. Sein Pech war, daß er nicht vor Anker gehen konnte – oder er hätte sich einen Harem anschaffen müssen. Nur paßten ein Seemann und ein Harem so gut – oder so wenig – zusammen wie ein Salzhering mit Erdbeeren und Schlagsahne.

Roger linste durchs Spektiv, aber an seinem geistigen Auge schwänzelten hüftenwackelnde Schleiertänzerinnen vorbei. Na ja, die Hüften waren nicht das einzige, was wackelte. Eine Frau besteht ja nicht nur aus Hüften, nicht wahr?

Roger pfiff durch die Zähne, denn seine geistigen Bilder waren unerhört plastisch, seine Phantasie auch.

„Oi-oi-oi!“ sagte er entzückt.

Der Profos, der unten auf der Back stand, äugte zu ihm hoch.

„Ist was?“ fragte er. Genau wie die anderen lauerte er darauf, daß endlich der Konvoi gesichtet wurde. „Hast du was entdeckt?“

„Wie?“ Roger plierte zum Profos hinunter.

„Ich fragte, ob du was entdeckt hast. Du sagtest ‚Oi-oi-oi‘.“ In der Stimme Carberrys klang ein leises Grollen mit.

„Nein, nichts in Sicht“, erwiderte Roger Lutz.

„Und was soll dann das dämliche ‚Oi-oi-oi‘?“

„Äh – da war voraus ein Fisch aus dem Wasser gesprungen.“

Der Profos konnte dazu nur den Kopf schütteln. Fische sprangen immer mal aus dem Wasser. Warum dieser Kerl da oben das mit „Oi-oi-oi“ bewunderte, war ihm schleierhaft.

Roger Lutz spähte wieder durchs Spektiv und suchte die Kimm voraus ab, diesen messerscharfen Strich zwischen See und Himmel. Die Sicht war ausgezeichnet, kein Dunst über dem Wasser, Sonnenlicht, das einen glitzernden Teppich über die See legte. Die gesamte Kimm rings um die „Isabella IX.“ war wie leergefegt.

Carberrys Blick fiel auf Pierre Puchan, der ebenfalls auf der Back stand, gerade seine Perücke anlüftete und sich die Glatze kratzte.

„Juckt das Ding?“ erkundigte er sich. Er dachte an den Wikinger, der sich am Helm zu kratzen pflegte.

„Das geht dich einen Scheiß an!“ schnappte Pierre Puchan. Bei Bemerkungen über seine Glatze oder die Perücke reagierte er in der Regel grantig.

„He-he!“ sagte der Profos etwas verdutzt. „Man wird doch wohl mal fragen dürfen.“

„Ich frag dich ja auch nicht, ob’s in deinem Maul zieht“, knurrte der Franzose gereizt.

„In meinem Maul zieht?“ wiederholte der Profos, immer noch verdutzt. „Was soll das denn?“

Pierre Puchan wurde boshaft. „Na! Bei der Zahnlücke! Da pfeift doch der Wind durch und achtern wieder raus!“

Der Profos begriff – und er dachte an den Mann, dem er die Zahnlücke zu verdanken hatte – Philip Hasard Killigrew. Sein Blick wurde fast träumerisch. Oha! War das ein Schlag gewesen, härter als jeder Profoshammer. Seit diesem Schlag hatte der Seewolf beim Profos einen Stein im Brett. Einen? Ein ganzes Gebirge!

Und jetzt spielte diese miese Gurke von Glatzkopf auf die Zahnlücke an, auf die beiden fehlenden Zähne im Untergebiß, deren letzten Reste damals Mac Pellew hatte herauspolken müssen. Auweih!

Carberrys Blick wurde weniger träumerisch, dafür begannen seine grauen Augen zu glitzern.

„Hör mal zu, M’sieur“, sagte er sehr freundlich und sehr leise – und beides deutet beim Profos auf Sturm, was die Mannen des Seewolfs in der Regel zu respektieren pflegten. „Du kannst noch so eine dämliche Bemerkung von dir geben, aber dann verhelfe ich dir zum Totaldurchzug in deinem Maul, nicht zu ’ner Lücke. Und achtern säuseln dann nicht mehr die Lüftchen, sondern da pfeifen die Böen raus. Hast du das verstanden, du unbehaarter Affenarsch?“

Pierre Puchan zuckte zusammen. Seiner Glatze war eine zweite Beleidigung hinzugefügt, worden. Und da ballte sich seine rechte Hand zur Faust.

Der Profos sah es und warnte: „Laß es lieber sein, Glatzkopf!“

Pierre Puchan schlug trotzdem zu – das kleine Wörtchen „Glatzkopf“ hatte es ausgelöst. Dabei hätte ihm das wilde Grinsen des Profosen der Arwenacks signalisieren müssen, daß der es darauf anlegte, ihm eine feuern zu können.

Jedenfalls, Pierre Puchan überschätzte sich – und unterschätzte den rauflustigsten Kämpfer der Arwenacks. Er hätte eben mal eine Weile bei den Seewölfen an Bord fahren müssen, um die diesbezüglichen Qualitäten des Edwin Carberry ausloten zu können. Denn die waren wirklich einzigartig.

Der Profos blockte geradezu gelangweilt und mit dem linken Unterarm den Schlag des Franzosen ab und setzte ihm den Profoshammer aufs Maul.

Pierre Puchan törnte ab. Die Perücke flog ihm dabei eh davon – eine Folge des Überschlags, den der Hammer bewirkt hatte. Er krachte gekrümmt ans Steuerbordschanzkleid, blieb dort versammelt und spuckte Zähne aus. Der Profos zählte sechs und war keineswegs befriedigt. Sein Hammer war schon mal besser gewesen, weiß Gott.

Bevor er zu weiteren Taten schreiten konnte, um den Durchzug zu vervollkommnen – schließlich hatte er das dem Kerl ja versprochen –, stoppte ihn die Stimme Jean Ribaults. Eine sehr freundliche Stimme, ruhig und gelassen, ohne Zorn und Tadel, ja, eher mit einer kleinen Portion Anerkennung gemischt.

„Laß es sein, Ed“, sagte der derzeitige Kapitän der „Isabella“. „Sechs ausgeschlagene Zähne genügen – ich will schließlich nicht mit Mummelgreisen zur See fahren. Klar?“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos gewohnheitsmäßig.

Jean Ribault grinste nur. Im stillen beneidete er Philip Hasard Killigrew um dieses Monster von Profos. Er wußte, was Ed Carberry für ein Kerl war, ein Kerl, der sich für seinen Kapitän in Stücke hauen ließ. In seiner Crew – und das waren alle keine Chorknaben – fehlte so ein Mann, der eben noch besser war als diese Chorknaben.

Es war richtig, daß er Pierre Puchan was aufs Maul gedroschen hatte. Männer, die wegen einer lächerlichen Glatze in Harnisch gerieten, denen mußte beigebügelt werden, daß es ihnen an nichts mangelte. Es gab schlimmere Sachen.

Und bei dieser Überlegung schaute Jean Ribault zu Matt Davies, dem eine Prothese mit Haken den rechten Unterarm ersetzte. Den foppte keiner, daß ihm was fehlte. Und wenn, dann erregte ihn das nicht. Er hatte viel zu oft bewiesen, daß dieser Haken mehr wert war als eine Hand.

Blieb also die Glatze, die Pierre Puchan schamhaft mit einer dämlichen Perücke tarnte. Dabei sagte man, daß Männer mit Glatze bei Frauen keineswegs Abscheu erregten – im Gegenteil!

Pierre Puchan wuchtete sich inzwischen zum Sitz hoch und stierte auf die Planken, wo seine Beißerchen lagen. Den richtigen Durchblick hatte er noch nicht. Seine Augen waren glasig.

„Nichts für ungut, M’sieur“, sagte der Profos freundlich, „aber ohne Perücke siehst du besser aus. Kannst du auf diese Zotteln nicht verzichten?“ Er bückte sich und hob die Perücke auf, eine mit braunhaarigen Locken. Kopfschüttelnd betrachtete er sie und drehte sie hin und her. Schließlich roch er an ihr und verzog mißbilligend das Gesicht. „Müßte auch mal gewaschen werden, das Ding“, murmelte er, blickte zu Pierre Puchan und fügte hinzu: „Soll ich sie über Bord schmeißen?“

„Üsch brüng düsch üm!“ nuschelte der Franzose. Er hatte jetzt Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Seine Lektion hatte er auch noch nicht gelernt. Schwankend rappelte er sich auf die Füße.

„Übernümm düsch nücht“, sagte der Profos erheitert.

„Schluß jetzt“, sagte Jean Ribault scharf. Er war auf der Back erschienen und trat zwischen die beiden Kontrahenten – mit Front zu Pierre Puchan. „Hier wird niemand umgebracht, verstanden? Und dich mit dem Profos der Seewölfe anzulegen, war das Dümmste, was du tun konntest, Pierre Puchan. Daß er dir was aufs Maul schlug, hast du dir selbst zuzuschreiben. Hör endlich auf, über deine Glatze zu jammern und jedem an die Gurgel zu fahren, der sich darüber äußert. Eric Winlow hat ebenfalls keine Haare auf dem Kopf, aber der stellt sich nicht so an wie du. Und dort auf der Kuhl steht Fred Finley, dem das rechte Auge fehlt. Aber ich habe ihn noch nie klagen hören …“

Jean Ribault wurde unterbrochen. Roger Lutz brüllte aus dem Vormars: „Dünne Rauchwolke voraus an der Kimm!“

Jean Ribault klopfte dem glatzköpfigen Puchan auf die Schulter und enterte zum Vormars auf.

Der Glatzkopf grinste schiefmäulig und nickte dem Profos zu. Und in seiner neuen Nuschelsprache empfahl er ihm, „düs Düng“ über Bord zu werfen, er könne drauf verzichten, und außerdem habe er noch drei Ersatzperücken in seiner Backskiste.

So segelte denn die Perücke nach Lee über Bord, klatschte aufs Wasser und entwickelte sich zum Medusenhaupt, indem die braunen Löckchen zu langen Fransen wurden und auf und nieder wogten.

Der Witz war, daß die Perücke ein paar Sekunden später attackiert und aufgespießt wurde – von einem etwa vier Yards langen Schwertfisch. Er durchstieß sie mit Wucht von unten, und sie rutschte ihm fast bis vors Maul. In einem Wasserwirbel und mit wildem Kopfschlenkern tauchte der schlanke Fisch wieder ab und verschwand.

„Fisch mit Bart“, kommentierte der Profos grinsend.

Inzwischen spähte Jean Ribault durchs Spektiv in die Richtung, die ihm Roger Lutz gezeigt hatte. Tatsächlich schwebte an der Kimm eine hauchdünne Rauchfahne, ein faseriges Gebilde, das nur zu erkennen war, weil es sich dunkel vor dem hellen Hintergrund abhob. Mit bloßem Auge war nichts zu sehen. Da hatte Roger Lutz verdammt gut aufgepaßt, denn auch mit dem Kieker mußte man sich anstrengen, um das faserige Gebilde wahrzunehmen. Wenn man die Kimm absuchte, rutschte man leicht darüber weg.

„Gut gemacht, Roger“, lobte Jean Ribault. „Du hältst es also für eine Rauchwolke?“

„Was sonst? Nebel kann es nicht sein, es geht auf den Mittag zu. Bei dem Wetter unter dieser Sonne haben sich mögliche Nebelfelder schon heute morgen aufgelöst. Außerdem ist Nebel heller.“

„Hm.“ Jean Ribault setzte das Spektiv ab und rieb sich das rechte Auge, mit dem er durch den Kieker gespäht hatte. „Dann brennt da etwas hinter der Kimm, oder es handelt sich um Pulverqualm.“

Sie blickten sich an, und Roger Lutz folgerte: „Wenn letzteres stimmt, dann befinden sich unsere Freunde im Gefecht.“

„Oder sogar beides“, sagte Jean Ribault ohne Freude, „es wird gekämpft, und ein Schiff brennt bereits – oder mehrere. Jetzt müßten wir fliegen können. Behalte die Rauchwolke im Auge, Roger. Wir bleiben auf Kurs.“

„Alles klar, Kapitän.“

Jean Ribault enterte ab.

„Na?“ fragte der Profos. Er hatte sich vergeblich die Augen ausgepliert.

„Roger hat recht“, erwiderte Jean Ribault. „Genau voraus ist an der Kimm eine dünne Rauchwolke zu erkennen.“

„Also dort, wo wir unsere Leute mit dem Konvoi vermuten“, sagte Carberry mit zusammengekniffenen Augen. „Falls deine Navigation stimmt.“

„Daß die mal stimmt, alter Freund“, knurrte Jean Ribault. Er blickte zu Pierre Puchan, der mit einer Pütz Salzwasser hochgehievt hatte und dabei war, mit dem Zeug zu gurgeln.

„Hab’ ich ihm empfohlen“, erläuterte der Profos. „Salzwasser heilt, sagt jedenfalls der Kutscher.“

„Aha. Und wo ist seine Perücke?“

Carberry grinste. „Die durfte ich über Bord werfen. Sie hat auch gleich einen Liebhaber gefunden – ein Schwertfisch hat sie aufgespießt und mit auf Tiefe genommen.“

„Du meine Güte“, murmelte Jean Ribault leicht erschüttert.

Carberry war mit seinen Gedanken bereits wieder bei der gesichteten Rauchwolke.

„Rauch über der See“, sagte er, „bedeutet in der Regel, daß dort ein Schiff brennt.“ Er rieb sich das Genick. „Mein lieber Mann, hoffentlich nicht unsere Schebecke oder die ‚Wappen‘. Was meinst du?“

„Die Rauchwolke kann auch von einem Gefecht stammen“, erwiderte Jean Ribault. Er wirkte gelassen. „Was soll’s! Spekulieren hilft uns nicht weiter, jedenfalls momentan nicht.“

„Du hast die Ruhe weg, wie?“

„Soll ich vor Aufregung von Mast zu Mast springen? In ein paar Stunden wissen wir mehr. Bis dahin heißt es abwarten, geduldig bleiben, Ruhe bewahren. Wer kribbelig wird, hat schon verloren.“

Aus der Kombüse tauchte der glatzköpfige Eric Winlow auf, der Koch der Jean-Ribault-Crew, ein etwas fett wirkender, aber dennoch sehr muskulöser Kerl mit Fäusten wie Bratpfannen.

„Backen und Banken!“ röhrte er über die Kuhl. Und um den üblichen Fragen zuvorzukommen, bölkte er gleich hinterher: „Heute gibt’s gesülzte Quallen mit geschnetzelter Regenwurmeinlage, gehackte Elefantenrüssel und gedünstete Kakerlaken! Wem das nicht paßt, der kann in der Nase bohren!“ Und damit verschwand er wieder von Deck, ohne sich um das Gefluche zu kümmern.

Natürlich stimmte nichts von dem, was er verkündet hatte. Er hegte nur den ständigen, gerechten Zorn aller Schiffsköche über Topfgucker, Meckerbolde und dußlige Frager, die dauernd wissen wollten, was es gäbe.

Paddy Rogers aus der Crew der Arwenacks war jetzt auch sichtlich verwirrt über das, was er heute mittag verspeisen sollte.

„So was hab ich noch nie gegessen“, sagte er unruhig.

„Der kohlt doch mal wieder“, tröstete ihn Jack Finnegan, der durch dick und dünn zu ihm hielt und fuchsteufelswild werden konnte, wenn man seinen Paddy wegen seines langsamen Denkens auf die Schippe nahm.

Aber die Jean-Ribault-Crew hatte selbst gleich zwei solche Schneckendenker an Bord: Dave Trooper und Gordon McLinn, den Schotten. Wenn die beiden sich unterhielten, brauchte jeder eine halbe bis eine Stunde Bedenkzeit, um sich zum jeweiligen Thema zu äußern.

Wenn Dave Trooper mit gefurchter Stirn nach einer Stunde „Jaja“ sagte, brauchte Gordon McLinn mindestens eine halbe Stunde, um „Du sagst es“ zu erwidern. Und nach einer weiteren halben Stunde nachdenklichen Schweigens sagte dann wiederum Dave Trooper: „So wird es wohl sein.“ Das wiederum animierte Gordon McLinn zu der Antwort – nach etwa einer dreiviertel Stunde: „Ganz bestimmt.“

Und sie pflegten stets bedeutsam dazu zu nicken, mit ernsten Mienen und sich ihrer Aussagen durchaus bewußt. Die Kerle Jean Ribaults schliefen zwischenzeitlich mal ein, grinsten oder stießen sich an. Oder sie verloren den Faden, der indessen von den beiden immer noch von „Jaja“ bis „Ganz bestimmt“ weitergesponnen wurde, zäh und unerschütterlich.

Dabei waren diese beiden Schwerdenker erstklassige Kämpfer. Das muß man sich mal vorstellen. Da reagierte zum Beispiel Gordon McLinn auf die Degenfinte eines Gegners nicht erst, wenn der zum nächsten, jetzt tödliche Hieb ansetzte, sondern er fegte bereits den Ansatz zur Finte beiseite, und einen Lidschlag später führte er den Hieb – den entscheidenden, den der Gegner nicht mehr parieren konnte.

„Und schon bist du tot“, pflegte Gordon McLinn dann zu sagen, und das war für ihn und seine langsame Denkart eine erstaunlich schnelle Bemerkung.

Also, auch unter Jean Ribault fuhren recht skurrile Kerle mit ihren besonderen Eigenarten – und den gewissen Schwächen, wenn wir uns den liebessüchtigen Roger Lutz vorstellen.

Nun, der bewunderte zur Zeit durchs Spektiv weiterhin die Rauchwolke, aus der er – es konnte gar nicht anders sein – die üppigen Formen eines Busens herauslas. Das faserige Etwas an der Kimm war breiter geworden – und hatte eine Spitze.

Und so äußerte er wieder: „Oi-oi-oi!“

Aber das hörte der Profos nicht mehr, weil er zur Kuhl abgestiegen war, um sich seinen Schlag „gesülzte Quallen“ und so weiter an der Kombüse abzuholen. Mit Paddy Rogers gehörte er bei den Arwenacks zu den Fressern vom Dienst.

Der Glatzkopf Eric Winlow erreichte als Schiffskoch nicht die Qualitäten des Kutschers oder seines Zweitkochs Mac Pellew. Seiner grobschlächtigen Art entsprechend beherrschte er nicht die Finessen jener erlesenen Menüs, die von den beiden Arwenack-Köchen gezaubert wurden. Aber er hatte dennoch eine Bohnensuppe mit Fleischeinlage zubereitet, die kräftig, nahrhaft und mit Pfeffer geschärft war.

Der Profos verputzte fünf Kummen. Paddy Rogers brachte es auf sieben, tätschelte anschließend sein Bäuchlein und verkündete frohgemut, die „geschnetzelten Regenwurmeinlagen“ hätten ihm ganz besonders gemundet.

„Das waren auch eigens gezüchtete Regenwürmer“, sagte Eric Winlow, sich die Glatze streichend.

Paddy hätte es beinahe geglaubt. Aber eben nur beinahe.

2.

Am frühen Morgen des nächsten Tages stieß die „Isabella IX.“ auf den Konvoi zu, das heißt, sie segelte von achtern auf. Und Jean Ribault samt seiner Mannen einschließlich der sechs Arwenacks atmeten auf. Das Rätselraten hatte ein Ende – die Ungewißheit, es könne etwas mit der Schebecke der Seewölfe oder Arne von Manteuffels „Wappen von Kolberg“ passiert sein.

Allerdings qualmte ein Schiff, das am Ende des Konvois herumhing und nicht voll unter Segeln stand. Alle Segel am Fockmast waren aufgetucht. Die Blinde unter dem Bugspriet war auch nicht gesetzt. Das ganze Vorschiff war in Rauch gehüllt, als sei unter der Back ein riesiger Ofen in Betrieb genommen worden. Flammen waren nicht zu sehen, also mußte es sich um einen Schwelbrand handeln, der allerdings jederzeit zu einem offenen Feuer werden konnte.

Als Jean Ribault und seine Männer näher aufgesegelt waren, sahen sie, daß Kerle auf dem Vorschiff des Qualmers damit beschäftigt waren, immer wieder Pützen voller Seewasser über der Back auszugießen – eine durchaus richtige Maßnahme, denn in Nässe und Feuchtigkeit kann sich kein Feuer ausbreiten. Die stärkere Rauchentwicklung war bei dieser gefährlichen Situation das kleinere Übel – auch wenn der Rauch meilenweit zu sehen war.

Den Dons konnte das gleichgültig sein, nicht aber den Mannen auf der Schebecke und der „Wappen von Kolberg“. Denn bei dem herrschenden Südwestwind zog der Rauch nordostwärts, und dort hinter der Kimm lag die Iberische Halbinsel. Angenommen, spanische Wachschiffe patrouillierten weit vor der Küste, dann konnte es sein, daß sie den Rauch entdeckten.

Das heißt, dieser verdammte Rauch mußte die Dons anziehen wie Honig die Bienen.

Das alles ging Jean Ribault durch den Kopf, als er zur Schebecke der Seewölfe aufschloß, um Bericht zu erstatten und die sechs Arwenacks wieder übersetzen zu lassen.

Auch Hasard und seine Mannen waren erleichtert gewesen, als der scharfäugige Dan O’Flynn bei einem Rundblick nach achtern die „Isabella IX.“ gesichtet und gemeldet hatte.

Hasard war mehr als ein Stein von der Seele gepoltert. Mit zwei Schiffen des Bundes der Korsaren eine Hammelherde von widerspenstigen Dons zusammenzuhalten war die eine Sache, die schon eine gehörige Portion von Geduld und Zähigkeit verlangte. Eine andere Sache war es, sich jetzt auch noch mit der qualmenden „Respeto“ herumärgern zu müssen.

Philip Hasard Killigrew kochte wie ein unter Dampf stehender Kessel.

Denn auch ihm war klar, was diese qualmende Galeone bewirkte. Fast war er versucht, an Sabotage zu glauben. Wenn er sich selbst in die Situation eines der Kapitäne des Konvois versetzte, würde er möglicherweise ähnlich handeln – in der Hoffnung, die Fahrt nach Irland abbrechen zu können. Er würde diesen muffigen Querkopf Miguel Pigatto, den Kapitän der „Respeto“, wohl mal ganz gehörig ins Gebet nehmen müssen.

Zunächst ließ er die Schebecke in den Wind schießen, damit Jean Ribault mit der „Isabella“ längsseits gehen konnte. Der Franzose folgte dem Manöver und glitt mit auslaufender Fahrt an die Backbordseite der Schebecke. Leinen flogen herüber und wurden vertäut.

Die sechs Arwenacks – Carberry voran – schwangen sich auf die Schebecke hinüber.

„Melde mich wieder an Bord, Sir!“ dröhnte der Profos grinsend und zirkelte einen Gruß, indem er die ausgestreckte Rechte an die rechte Kopfseite führte. „Alle Affenärsche wohlauf und gesund. Keine besonderen Vorkommnisse – bis auf die Kleinigkeit, daß wir dem viermastigen ‚Feuerkacker‘ mit ’ner begallten Pulverladung das Heck weggeblasen haben.“

Da polterte dem Seewolf noch ein Stein von der Seele. Das war doch schon was. Zumindest die „Casco de la Cruz“, dieses monströs bestückte Kriegsschiff der Dons, würde ihnen keinen Ärger mehr bereiten.

„Danke, Ed“, sagte Hasard lächelnd. „Fein, daß ihr wieder bei uns seid. Daß wir euch ein bißchen vermißt haben, brauche ich wohl nicht extra zu betonen.“

Das ging dem Profos runter wie Öl. Außerdem kannte er seinen Kapitän, der eher untertrieb. Wenn er „ein bißchen“ sagte, meinte er eine ganze Menge mehr. Da strahlte der Profos über das wilde vernarbte Gesicht mit dem Rammklotz von Kinn.

Fast gerührt murmelte er: „Das hört man gern.“

Jean Ribault setzte über und landete auf der Kuhl, wo ihn Hasard begrüßte und ihm zu dem Unternehmen gratulierte. Der schlanke Franzose berichtete im einzelnen – auch über die gelungene Ausschiffung der Schwarzen, die Sklaven hatten werden sollen – und fügte zum Schluß hinzu: „Daß wir so schnell wieder zu euch stoßen konnten, verdanken wir dem Qualmer dort drüben!“ Er deutete mit dem Kopf zur „Respeto“. „Die Rauchwolke war bereits hinter der Kimm zu sehen. Eine feine Sichtmarke für neugierige Dons.“

„Weiß ich“, knurrte Hasard, „und den Burschen werde ich auch gleich den Marsch blasen. Mir sieht’s nämlich ganz so aus, als legten es die Kerle darauf an, schön schwarz zu qualmen, und das möglichst lange.“

Jean Ribault kniff die Augen zusammen. „Du meinst, sie qualmen absichtlich?“

Hasard stellte die Gegenfrage: „Was würdest du denn als spanischer Kapitän tun, wenn du nicht nach Irland segeln willst?“

Jean Ribault wiegte den Kopf. „Na, lieber in der Nacht heimlich abhauen wie die ‚Nobleza‘, als mir möglicherweise den Hintern zu verbrennen. Mir wäre das zu riskant. Noch ist das da drüben ein Schwelbrand im Vorschiff. Aber daraus kann sehr schnell ein Fegefeuer werden. Du weißt doch, jeder Seemann hat vor nichts einen größeren Bammel als vor Feuer im Schiff. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß die Kerle so dreist sind, selbst Feuer zu legen. Das grenzt ja schon an Selbstverstümmelung.“

„Einen Verrückten kümmert das nicht“, erwiderte Hasard. „Außerdem verkennst du etwas die Situation. Die ‚Respeto‘ segelt im Verband, ist also kein Einzelfahrer. Wäre sie Einzelfahrer, würde ich dir recht geben, daß sie sich hüten, Feuer zu legen. Aber im Verband haben die Kerle die Möglichkeit, jederzeit auf ein anderes Schiff überzusteigen, wenn sie des Feuers nicht mehr Herr werden. Sie riskieren also gar nichts – nur den Verlust von Schiff und Ladung.“

„Das stimmt“, gab Jean Ribault zu und blickte nachdenklich zur „Respeto“, wo immer noch eifrig Seewasser gepützt und über die gesamte Back geschüttet wurde. Gleichzeitig wurde offenbar gepumpt, denn aus bestimmten Speigatten lief stoßweise Wasser – dies vornehmlich im Bereich der Kuhl.

Spielten die da drüben nun Theater, oder war das ein echter Notfall?

Jean Ribault zog das Spektiv aus dem Gürtel und spähte hinüber. Die Kerle wirkten müde und ziemlich geschafft. Nein, das war nicht gespielt, das war echt. Helle Gesichter gab es kaum, fast alle waren rußig verschmiert. Ihre Kleidung sah entsprechend aus, das heißt, ein großer Teil trug nur die Hose, die bis zu den Knien hochgekrempelt war. Ihrer Hemden hatten sie sich entledigt, vermutlich, weil sie sich wie auf dem Bratrost fühlten.

„Seit wann kokelt die ‚Respeto‘?“ fragte Jean Ribault und setzte den Kieker ab.

„Seit anderthalb Tagen“, erwiderte Hasard grimmig. „Ich bot dem verdammten Pigatto meine Hilfe an, aber er meinte reichlich pampig, darauf verzichten zu können. Jetzt qualmt der Kasten immer noch, nur werde ich mich nicht mehr abspeisen lassen. Notfalls wird geentert. Ich will wissen, was da drüben gespielt wird.“ Ein hartes Grinsen huschte über Hasards Gesicht. „Schließlich bin ich Capitán Julio de Vilches und habe die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, mich um den Konvoi zu kümmern.“

Jean Ribault grinste ebenfalls. Er dachte dabei an den echten Don Julio de Vilches, den Kommandanten der „Casco de la Cruz“, von dem sich Philip Hasard Killigrew so deutlich unterschied wie ein Edelfalke von einem zerrupften, abgetakelten Geier, dem die Milben das Federkleid zerfressen haben.

Und er dachte daran, wie Don Julio im hohen Bogen vom Achterdeck des Viermasters abgehoben hatte, als die Pulverladung unter dem Heck explodiert war.

„Warum grinst du?“ fragte Hasard.

„Ach, mir ging nur eben durch den Kopf, wie Don Julio bei der Heckexplosion ins Wasser katapultiert wurde“, erwiderte Jean Ribault. „Sein ohnehin klappriges Knochengestell hat da einiges aushalten müssen. Alles hat bei ihm geflattert.“

„Ich gönne es ihm“, sagte Hasard belustigt. „Aber ob auch seine Bösartigkeit davongeflattert ist, bezweifle ich. So, dann werde ich mich mal mit der ‚Respeto‘ beschäftigen.“

„Kann ich behilflich sein?“ fragte Jean Ribault.

Hasard schüttelte den Kopf. „Mir wär’s lieber, wenn du dich mit Arne um den Konvoi kümmerst, Jean. Bleibt auf Nordkurs und segelt nur langsam weiter, damit wir wieder aufschließen können, sobald wir die Qualmerei im Griff haben.“

„Geht klar, Capitán de Vilches!“ Jean Ribault salutierte, wie sich das für einen „spanischen Seeoffizier“ gehörte, und Hasard mimte den gleichen militärischen Firlefanz – womöglich noch gespreizter als der Franzose. Da sollte noch jemand sagen, sie spielten ihre spanische Rolle nicht überzeugend. Nein, nein, die war bühnenreif.

Während Jean Ribault mit der „Isabella“ zum Geleitzug und zur „Wappen von Kolberg“ aufschloß, segelte Hasard mit der Schebecke zur „Respeto“. Er hielt von Backbord achtern auf sie zu, um in Luv zu bleiben – in Lee wäre die Schebecke von dem Qualm eingenebelt worden.

Mit aufgefierten Schoten – am Ruder stand Stenmark – glitt die Schebecke in einem Abstand von etwa fünfzehn Yards neben der Galeone her, und Hasard preite vom Achterdeck aus die „Respeto“ an.

Die Kerle kümmerten sich den Teufel um den Anruf. Niemand erschien am achteren Backbordschanzkleid. Man tat, als sei man mit sich selbst beschäftigt. Die Schebecke wurde übersehen.

In Hasard stieg die Galle hoch.

„Pigatto!“ brüllte er hinüber und sah mit Genugtuung, wie einige Kerle dort drüben zusammenzuckten, als sie die Donnerstimme hörten. „Wenn Sie mir nicht augenblicklich Meldung erstatten, was bei Ihnen los ist und wie Sie den Schwelbrand zu löschen gedenken, lasse ich Ihren verdammten Kahn versenken, und Sie können mit Ihrer Mannschaft bleiben, wo der Pfeffer wächst! Haben Sie mich verstanden?“

Miguel Pigatto, schwarzbärtig, knubbelnäsig und stämmig, tauchte mit mürrischem Gesicht am Schanzkleid seines Achterdecks auf.

„Was gibt’s da zu melden?“ nölte er. „Wir haben einen Schwelbrand, wie Sie selbst sagten, und meine Männer haben die ganze Nacht lang versucht, den Brand einzudämmen.“

„Haben versucht, ist gut“, höhnte Hasard. „Den Erfolg sieht man ja! Offenbar sind Sie und Ihre Leute überfordert. Sie sollten besser Rüben über Land karren, statt ein Schiff zu führen, das mit wertvollem Gut für Seine Majestät beladen ist!“

Der stämmige Kapitän lief im Gesicht rot an, insbesondere seine knubbelige Nase. Die begann wie ein Karfunkel zu leuchten.

„Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen!“ brüllte er.

„Oh, ich kann Ihnen noch mehr bieten, Señor!“ donnerte Hasard zurück. „Zum Beispiel, daß ich den Verdacht habe, Sie tun absichtlich nichts, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Vielleicht hoffen Sie, daß der Konvoi weitersegelt – und wenn er außer Sicht ist, löschen Sie schnell und verschwinden, um sich die wertvolle Ladung selbst unter den Nagel zu reißen. Wie war denn das?“

Der Kapitän schnappte nach Luft, und dann brüllte er: „Sie sind ja wahnsinnig!“

Hasard gab’s ihm: „Sie verzögern den Weitermarsch des Konvois, Pigatto! Wissen Sie, wie ich das nenne? Das ist Sabotage! Sie sabotieren die königliche Order, daß der Konvoi seinen Bestimmungshafen erreicht. Dafür kann ich Sie vor ein Bordgericht stellen. Wie ein königliches Gericht über einen Mann entscheidet, der für Seine Majestät bestimmtes Schatzgut verschleudert und den ganzen Konvoi an der Weiterfahrt hindert, können Sie sich wohl selbst ausmalen. Vermutlich wird man Ihnen den Tod mit der Garotte angedeihen lassen. Und das Urteil des Bordgerichts würde lauten: Hängetod an der Rah!“

Unwillkürlich faßte sich der Kapitän an den Hals, als spüre er bereits die Garotte oder die Henkersschlinge.

Schon etwas kleinlauter rief er: „Ich bin kein Saboteur, Señor Capitán! Wir haben die ganze Nacht geschuftet …“

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