Das Dekameron

Текст
Из серии: Literatur (Leinen)
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

ERSTE NOVELLE

Herr Ciappelletto führt durch eine falsche Beichte einen frommen Vater an der Nase herum. Und obwohl er in seinem Leben ein Erzhalunke gewesen, so wird er doch nach seinem Tode für einen Heiligen gehalten und Sankt Ciappelletto genannt.

Es scheint mir schicklich, meine liebenswürdigen Damen, alles, was der Mensch beginnt, im erlauchten und heiligen Namen dessen zu beginnen, der der Schöpfer aller Dinge ist. Da ich nun als Erster hier im Kreise mit dem Geschichtenerzählen anfangen soll, so will ich Ihnen von einem Wunder Gottes berichten, damit, wenn wir es staunend vernehmen, unser Vertrauen auf ihn, als auf ein unwandelbares Wesen, gestärkt, und sein Name von uns immerdar gepriesen sei. Es ist eine offenbare Tatsache, dass alle zeitlichen Dinge und Wesen nicht nur vergänglich und sterblich, sondern auch innerlich und äußerlich von Angst, Sorge und Trübsal umgeben, unzähligen Gefahren ausgesetzt sind. Wir, die wir in der Reihe dieser Wesen stehen, ja ein Teil von ihnen sind, könnten der ständigen Bedrohung weder widerstehen noch sie erfolgreich abwehren, wenn die besondere Gnade Gottes uns nicht die Kraft und Weisheit dazu verliehe. Man glaube aber ja nicht, dass diese göttliche Gnade sich zu uns herablasse und in uns versenke unserer Verdienste halber. Sie wird durch die ihr innewohnende immanente Güte dazu bewogen, sowie durch das flehende Gebet derjenigen, die einst, da sie noch sterblich waren, den Willen Gottes mit Freudigkeit erfüllten, jetzt aber in Ewigkeit mit ihm eins und selig geworden sind. Diesen Fürsprechern, die aus eigener Erfahrung unsere Schwachheit kennen, pflegen wir, nicht mutig genug, um persönlich an den Richter aller Richter zu appellieren, unsere Bitten um das, was wir für notwendig und nützlich halten, vorzutragen. Oft bezeugt er uns noch unendlich mehr, vielleicht unverdiente Barmherzigkeit; denn da wir mit der Blindheit unseres sterblichen Auges in die Geheimnisse des göttlichen Geistes nicht einzudringen vermögen, so kommt es bisweilen vor, dass wir, im Irrtum befangen, einen solchen zum Fürsprecher bei Seiner göttlichen Majestät wählen, den Er auf ewig von seinem Angesicht verstoßen hat. Und dennoch erhört Er, dem nichts verborgen ist, das Gebet. Denn er sieht mehr auf die reine Absicht und das reine Herz des Hilfeheischenden als auf seine Torheit und die Verworfenheit des angerufenen Fürsprechers. Er erfüllt die Bitte so, als ob jener heilig wäre in seinen Augen. Deutlich wird man dies aus der Geschichte ersehen, die ich jetzt erzählen will. Deutlich sage ich nach menschlichem Urteil, ohne dem göttlichen vorzugreifen. Man erzählt von einem gewissen Musciatto Francesi, der in Frankreich aus einem reichen und angesehenen Kaufmann ein Edelmann geworden war und mit Karl ohne Land, dem Bruder des Königs von Frankreich (den der Papst Bonifatius zu sich berufen hatte und der sich auch willig finden ließ), nach Toskana ziehen sollte, dass er (wie es den Kaufleuten oft zu gehen pflegt) seine vielfältigen Geschäfte ein wenig durcheinandergebracht hatte und, weil sie sich in der Geschwindigkeit nicht ordnen ließen, den Entschluss fasste, verschiedenen Personen Auftrag zu geben, mit seinen Schuldnern Abrechnung zu halten. Er fand auch zu allem Rat; nur blieb er in Verlegenheit, wem er es auftragen solle, seine Schulden bei gewissen Burgundern einzutreiben.

Diese Verlegenheit entstand daher, dass er die Burgunder als hartnäckige, übelgesinnte und betrügerische Leute kannte, und er wusste sich auf keinen Menschen zu besinnen, den er für verschlagen und listig genug gehalten hätte, um sich auf ihn genugsam verlassen und ihn seinen Schuldnern entgegensetzen zu können. Wie er lange genug darüber nachgedacht hatte, erinnerte er sich endlich eines gewissen Ser Ciapperello da Prato, der oft in sein Haus in Paris zu kommen pflegte, und den die Franzosen Ciappelletto zu nennen gewohnt waren; denn weil er klein von Person und sehr zierlich und geschniegelt war, und weil die Franzosen nicht wussten, was Ciapperello bedeuten solle, sondern glaubten, er hieße vielleicht Capello (Kranz), welches in ihrer Sprache Chapelet heißt, so nannten sie ihn, weil er so klein war, nicht Capello, sondern Ciappelletto, und unter diesem Namen war er allgemein bekannt, da hingegen wenige seinen rechten Namen Ciapperello wussten. Mit der Lebensart dieses Ser Ciappelletto hatte es folgende Bewandtnis: Er war ein Notar, hätte sich aber gewaltig geschämt, wenn unter den wenigen Urkunden, die er ausfertigte, sich eine einzige richtige befunden hätte; aber solche zu fälschen war er jeden Augenblick bei der Hand und machte dergleichen lieber umsonst als eine echte für die beste Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er mit dem größten Vergnügen ab, gebeten oder ungebeten, und da man zu der Zeit in Frankreich einem Eidschwur großen Glauben beimaß, so wurden alle Prozesse gewonnen, in welchen er zum Zeugen auf seinen Eid gerufen ward, weil es ihm nicht die geringste Überwindung kostete, einen Meineid zu schwören. Er gab sich auch viele Mühe und fand ein großes Vergnügen daran, Feindschaft und Verdruss in Familien und zwischen Freunden und andern Personen anzustiften, und je größer das Unglück war, das daraus entstand, desto größer war seine Freude. Ward er eingeladen, an einem Morde oder an einem andern Verbrechen teilzunehmen, so gab er nie eine abschlägige Antwort, sondern war mit dem größten Vergnügen dabei und hatte mit eigenen Händen manchen Menschen verwundet oder erschlagen. Er war der größte Lästerer Gottes und seiner Heiligen und fluchte und lästerte bei dem kleinsten Anlass, weil er ungewöhnlich jähzornig war. In die Kirche ging er nie, und ihre Sakramente verhöhnte er als verächtliche Dinge mit den abscheulichsten Ausdrücken. Dagegen war er nirgends lieber als in den Kneipschenken und an andern liederlichen Orten. Die Weiber liebte er wie der Hund den Knüppel, dem entgegengesetzten Laster aber war er mehr als irgendein anderer Lust- und Schandbube ergeben. Raub und Diebstahl beging er mit eben dem Gewissen, womit ein heiliger Mann seine Gabe auf dem Altar darbringen würde. Er war ein Fresser und Säufer bis zum ekelhaftesten Übermaß, und als falscher Spieler mit Karten und Würfeln war er berüchtigt. Mit einem Worte, er war vielleicht der größte Bösewicht, den jemals die Sonne beschienen hat. Die Macht und der Reichtum des Musciatto dienten ihm lange Zeit zur Stütze, und um seinetwillen fürchteten ihn oft diejenigen Privatpersonen, die er bisweilen beleidigte, und duldete ihn der Hof, dem er schon manchen Possen gespielt hatte. Wie sich demnach Musciatto dieses Ser Ciapperello erinnerte, dessen Lebenswandel ihm durch und durch bekannt war, so hielt er ihn eben für den rechten Mann, ihn der Arglist seiner Burgunder entgegenzusetzen. Er ließ ihn also rufen und sprach: „Ciappelletto, ich bin, wie du weißt, im Begriff, mich gänzlich von hier zu entfernen, und da ich unter anderem mit einigen Burgundern in Geschäften stehe, die ausgefeimte Spitzbuben sind, so weiß ich nicht, wen ich besser schicken kann als dich, um meine Forderungen von ihnen einzutreiben. Weil du nun eben nichts anderes zu tun hast, so will ich dir Geleitsbriefe vom Hofe verschaffen, wenn du dich dieser Sachen annehmen willst, und will dir von allem, was du mir einbringst, einen solchen Teil geben, dass du mit mir und dir zufrieden sein kannst.“

Ser Ciappelletto, dessen Geschäfte gerade schlecht gingen und der denjenigen abreisen sah, der lange Zeit sein einziger Stecken und Stab gewesen war, entschloss sich, von der Not gedrungen, kurz und gut, und gab seine Einwilligung. Wie sie einig waren, gab ihm Messer Musciatto seine Vollmacht und den Geleitsbrief des Königs, und Ser Ciappelletto ging nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte, und fing an, wider seine Gewohnheit, mit Sanftmut und Geduld die Schulden einzufordern und die Geschäfte zu verrichten, um derentwillen er gekommen war, gleichsam als wolle er seine Bosheit bis zuletzt aufsparen. Wie er sich zu diesem Endzweck bei zwei Brüdern aus Florenz, die auf Wucher liehen und die ihn aus Achtung für Musciatto sehr gut aufnahmen, eingemietet hatte, traf es sich, dass er krank ward, weswegen die beiden Brüder sogleich Ärzte und Krankenwärter anschafften, die ihn bedienen mussten; allein es half nichts, sondern der Ehrenmann, der nicht mehr jung war und ausschweifend gelebt hatte, verfiel nach dem Urteil der Ärzte ersichtlich und eilte dem Tode entgegen, welches den beiden Brüdern sehr ungelegen war. Eines Tages unterredeten sie sich miteinander nahe der Kammer, wo Ciappelletto krank lag. „Was machen wir mit dem Kerl?“ fragte einer den andern. „Wir sind mit ihm schlimm daran, denn es wäre Sünde und Schande, ihn so krank aus dem Hause zu schaffen, nachdem die Leute gesehen haben, dass wir ihn bei gesunden Tagen gut aufgenommen und ihn hernach mit aller Sorgfalt haben pflegen lassen; und nun, da er uns keine Ursache zum Missvergnügen kann gegeben haben, sollten wir ihn plötzlich, und noch dazu todkrank, fortschicken? Andererseits aber ist er ein so gottloser Bursche gewesen, dass er jetzt nicht wird beichten oder irgendein Sakrament gebrauchen wollen, und wenn er ohne Beichte stirbt, so wird man seinen Leichnam in keiner Kirche aufnehmen, sondern ihn wie einen Hund in eine Grube werfen. Ja, wenn er auch beichtete, so sind seine Sünden so groß und abscheulich, dass es ihm nicht besser gehen wird, denn weder Mönch noch Priester werden ihn lossprechen wollen oder können, um zu verhüten, dass er nicht ebenso ohne Absolution auf den Anger geworfen werde. Wenn aber dieses geschähe, so würden die Leute in dieser Stadt (die uns nicht nur wegen unseres Gewerbes, das ihnen verhasst ist, Böses nachreden, sondern auch die größte Lust haben, uns bis aufs Hemd auszuplündern) einen Auflauf erregen, würden über die lombardischen Hunde schreien, welche die Kirche abgewiesen hat, und würden uns nicht länger das Brot gönnen, sondern uns das Haus stürmen und vielleicht nicht nur unsere Güter rauben, sondern auch unser Leben antasten, sodass es auf alle Weise misslich mit uns steht, wenn er sterben sollte.“ Ciappelletto, der wie gesagt nicht weit davon lag, wo jene miteinander flüsterten, hatte ein feines Gehör, wie es die Kranken oft haben, und verstand alles, was sie von ihm sprachen. Er ließ sie zu sich rufen und sagte zu ihnen: „Ich wünschte nicht, euch auf irgendeine Weise um meinetwillen in Verlegenheit zu wissen, oder euch die Besorgnis zu verursachen, dass ihr meinetwegen in Schande und Unglück geraten solltet. Ich habe alles gehört, was ihr von mir gesprochen habt, und ihr habt freilich Recht, dass es so kommen würde, wie ihr fürchtet, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; allein es soll schon anders gehen. Ich habe in meinem Leben an unserem Herrn Gott so vieles gesündigt, dass eine Sünde mehr oder weniger am Rande des Grabes nichts verschlimmern oder verbessern wird. Lasst mir demnach nur den frömmsten und besten Pater herkommen, den ihr finden könnt (wenn ein solcher zu haben ist), und lasst mich nur machen, so sollt ihr sehen, dass ich eure und meine Angelegenheit in Ordnung bringen will, wie sich‘s gebührt. Ihr sollt mit mir zufrieden sein.“ Die beiden Brüder bauten zwar nicht viel auf diese Versicherung, nichtsdestoweniger gingen sie nach einem Kloster und begehrten einen klugen und frommen Mann, um die Beichte eines Lombarden zu hören, der in ihrem Hause krank läge. Man gab ihnen auch einen alten Klosterbruder von sehr erbaulichem, frommem Wandel mit, einen in der Schrift wohlgelehrten und sehr ehrwürdigen Mann, der bei allen Bürgern in der Stadt in besonderem Ansehen und Hochachtung stand, und sie führten ihn nach ihrem Hause. Wie er in die Kammer des Ciappelletto kam und sich neben sein Bett gesetzt hatte, fing er zuerst an, ihn mit Sanftmut zu trösten, und fragte ihn dann, wie lange es wäre, seitdem er zum letzten Mal gebeichtet hätte.

 

Ciappelletto, der nie zur Beichte gegangen war, gab ihm zur Antwort: „Mein Vater, es ist immer meine Gewohnheit gewesen, wöchentlich wenigstens einmal zu beichten, wiewohl ich es auch oft mehrmals getan habe, aber die Wahrheit zu sagen, seit meiner Krankheit, die nun schon über acht Tage dauert, habe ich noch gar nicht gebeichtet; so sehr hat sie mir zugesetzt.“

„Recht getan, mein Sohn“, sprach der Pater, „und nur immer so fortgefahren! Ich merke wohl, da du so oft beichtest, so werde ich wenig Mühe haben, dich zu vernehmen und zu befragen.“

„Sagt das nicht, lieber Vater“, sprach Ciappelletto. „Ich habe nie so oft und so viel gebeichtet, dass ich nicht wünschen sollte, eine allgemeine Beichte meiner Sünden abzulegen, soweit ich mich ihrer von dem Tage meiner Geburt an bis an den Tag meiner Beichte erinnern kann. Darum bitte ich Euch, bester Pater, mich über alle Dinge so streng zu befragen, als ob ich noch nie gebeichtet hätte. Und kehrt Euch nur nicht daran, dass ich so krank bin; denn ich will weit lieber mein Fleisch und Blut kreuzigen, als ihnen zu Gefallen etwas tun, das meiner Seele zum Verderben gereichen könnte, die mein Heiland mit seinem teuren Blute erkauft hat.“

Diese Worte gefielen dem frommen Geistlichen überaus und schienen ihm ein Beweis eines christlich gesammelten Gemüts zu sein, daher er denn, nachdem er ihm darüber sein Wohlgefallen bezeugt hatte, den Anfang damit machte, dass er ihn fragte, ob er sich jemals der Wollust mit dem weiblichen Geschlecht schuldig gemacht hätte.

Ciappelletto antwortete ihm mit einem Seufzer: „Lieber Pater, ich schäme mich, Euch über diesen Punkt die Wahrheit zu sagen, weil ich fürchte, in die Sünde der Ruhmredigkeit zu verfallen.“

„Redet frei heraus“, sprach der Pater, „denn wenn man die Wahrheit sagt, so sündigt man nicht, weder in der Beichte noch anderswo.“

„Nun, weil Ihr mich denn darüber beruhigt“, sprach Ciappelletto, „so will ich‘s Euch sagen: Ich bin noch so rein, wie ich aus dem Mutterleibe gekommen bin.“ „Gott segne dich!“ sprach der Pater. „Ach, wie wohl hast du getan, und wie viel größer war dabei dein Verdienst als das unsrige, da es in deiner Willkür stand, anders zu handeln, da es hingegen mir und meinen andern Ordensbrüdern durch unsere Regeln verboten ist!“

Hierauf fragte der Pater, ob er auch wohl durch die Sünde der Schwelgerei dem Himmel missfällig geworden wäre. „Ach, leider mehr als zu oft!“ versetzte Ciappelletto und seufzte abermals sehr stark dabei. „Denn obgleich ich außer den großen Fasten, welche die gottseligen Leute jährlich beobachten, noch wöchentlich wenigstens drei Tage bei Brot und Wasser zu fasten gewohnt bin, so habe ich doch, besonders nach irgendeiner mühsamen Arbeit, oder während derselben, oder auf einer Wallfahrt das Wasser oft mit eben der Wollust getrunken, womit die Trinker den Wein genießen, und nicht selten war ich nach einem leckeren Krautsalat lüstern, wie ihn die Weiber auf dem Lande machen, auch hat mir bisweilen das Essen nachher weit besser geschmeckt, als es, wie ich glaube, demjenigen schmecken sollte, der aus Bußfertigkeit fastete.“ „Lieber Sohn!“ sprach der Pater, „dergleichen Sünden sind so natürlich und leicht, dass du dein Gewissen damit nicht mehr als nötig beschweren musst. Es begegnet wohl einem jeden Menschen, sei er so heilig wie er wolle, dass ihm nach langem Fasten das Essen und ein Trank nach schwerer Arbeit herzlich wohlschmeckt.“

„Ach, bester Pater!“ antwortete Ciappelletto, „sprecht doch nicht so, um mich zu trösten, bedenkt nur, dass ich wohl wissen muss, eine jede Sache, die man tut, um Gott wohlgefällig zu sein, müsse aus reinem Herzen und ohne Widerwillen geschehen, und dass ein jeder, der anders handelt, sündigt.“

Entzückt gab ihm der Pater zur Antwort: „Es freut mich, mein Sohn, dass du es so betrachtest, und ich erkenne mit großem Wohlgefallen daraus die Zartheit deines Gewissens. Sage mir noch, hast du dich des Geizes schuldig gemacht und gewünscht, mehr zu besitzen als dir beschieden war, oder dir etwas zugeeignet, das dir nicht gebührte?“

Ciappelletto versetzte: „Ehrwürdiger Pater! Es wäre mir leid, wenn Ihr übel von mir dächtet, weil ich hier bei diesen Wucherern wohne. Ich habe nichts mit ihnen zu schaffen, sondern ich halte mich vielmehr bloß deswegen bei ihnen auf, damit ich sie warne und ermahne, von dieser abscheulichen Gewinnsucht zu lassen. Ich glaube auch wirklich, es wäre mir gelungen, wenn mich Gott nicht auf diese Weise heimgesucht hätte. Allein ich muss Euch sagen, dass mein Vater mir einst ansehnliche Reichtümer hinterließ, wovon ich nach seinem Tode den größten Teil den Armen gab und hernach, um mein eignes Leben zu fristen und um den Armen in Christo beizustehen, einen kleinen Handel trieb, bei dem ich freilich nach Gewinn trachtete, aber immer mit der lieben Armut teilte, sodass ich die eine Hälfte für meine Bedürfnisse verwandte, die andere Hälfte den Armen gab; dabei hat mich der Beistand meines Schöpfers dergestalt gesegnet, dass meine äußeren Umstände sich von Tag zu Tag verbessert haben.“

„Du hast wohl getan“, sprach der Pater. „Aber hast du dich wohl oft vom Zorn hinreißen lassen?“

„Leider ja“, sprach Ciappelletto, „ich kann Euch versichern, dass mir dies oft genug begegnet ist. Aber wer könnte sich dessen auch enthalten, wenn man sieht, wie die Leute täglich Werke der Finsternis ausüben, die Gebote Gottes nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wie manchen lieben Tag hätte ich mir nicht lieber den Tod gewünscht als das Leben, wenn ich sehen musste, wie die Jünglinge dem eitlen Tand und Wesen nacheifern, wie sie fluchen und schwören, wie sie in den Weinkneipen umherschwärmen und die Kirche nicht besuchen und viel eher auf den Pfaden der Welt als auf den Wegen Gottes wandeln.“

„Das ist ein frommer, löblicher Eifer, mein Sohn“, sprach der Pater, „und ich kann dir deswegen, meiner Meinung nach, keine Buße auflegen. Aber hat dich nicht etwa dein Zorn verführt, einen Totschlag zu begehen oder jemand durch Scheltworte oder sonst auf irgendeine Weise zu beleidigen?“ „Herr, wie kann ein Mann Gottes solche Sprache führen?“ sprach Ciappelletto. „Glaubt Ihr denn, wenn mir irgendein Gedanke an dergleichen Handlungen ins Herz gekommen wäre, dass ich mir einbilden könnte, Gott hätte mich so lange leben lassen? Das sind Übeltaten, deren nur Straßenräuber, Strauchdiebe und andere sittenlose Menschen fähig sind. Wenn mir dergleichen Leute in den Weg kamen, pflegte ich immer zu sagen: Geh mit Gott, der dich bekehren und bessern möge!“

„Gott segne dich, mein Sohn!“ sprach der Pater. „Aber sage mir nun, hast du jemals falsches Zeugnis wider jemand abgelegt, böse Nachrede geführt oder dir fremdes Eigentum angemaßt, wider Willen dessen, dem es gehörte?“ „Freilich, Herr“, sagte Ciappelletto, „habe ich Böses von jemandem gesprochen; ich hatte einmal einen Nachbarn, der wider alles Recht und Billigkeit nie aufhörte, sein Weib zu prügeln, daher ich einst mit Unglimpf gegen die Verwandten seiner Frau von ihm sprach, weil mir das arme Weib so leid tat. Sooft er betrunken war, prügelte er sie dermaßen zusammen, dass es Gott erbarme.“

„So sage mir denn“, sprach der Geistliche, „da du ein Kaufmann bist, hast du nie jemanden übervorteilt, wie die Kaufleute wohl zu tun pflegen?“

„Ach freilich ja, lieber Herr“, sprach Ciappelletto, „allein ich erinnere mich nicht mehr, wer es war, der mir einmal Geld brachte, das er mir für verkauftes Tuch schuldig war, und ich legte es ungezählt in meinen Geldkasten, und wie etwa ein Monat vergangen war, fand ich darin vier Groschen zu viel, die ich wohl ein Jahr lang aufhob, um sie ihm wiederzugeben; weil ich ihn aber nicht wiederzusehen bekam, schenkte ich sie einem Bettler.“

„Es war eine Kleinigkeit“, sprach der Pater, „und du hast sie gut angelegt.“ Darauf fragte ihn der fromme Pater noch mancherlei, worauf er ihm in gleichem Tone antwortete. Wie nun der Pater schon zur Absolution schreiten wollte, sprach Ciappelletto: „Lieber Herr, ich habe noch eine Sünde begangen, die ich Euch nicht gebeichtet habe.“

„Und was für eine?“ frug der Pater.

„Ich erinnere mich“, gab Ciappelletto zur Antwort, „dass ich einst meine Diener am Sonnabend abends das Haus fegen ließ und also den Vorsabbat nicht so heilig hielt, wie ich sollte.“

„Mein Sohn, das hat wenig zu bedeuten“, sprach der Pater.

„Oh, sagt das nicht, dass es wenig bedeutet“, sprach Ciappelletto, „der Sonntag ist immerdar geheiligt, weil an diesem Tage unser Erlöser vom Tode zum Leben erstand.“

„Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?“ fragte der Mönch.

„Ja, Herr“, sprach Ciappelletto, „einmal habe ich, ohne daran zu denken, in der Kirche ausgespien.“

Der Pater lächelte: „Lieber Sohn, daraus musst du dir nichts machen. Wir Geistlichen selbst tun dies alle Tage.“

„Daran tut ihr sehr übel“, sprach Ciappelletto, „denn nichts sollte sauberer gehalten werden als die heilige Stätte, wo man Gott sein Opfer bringt.“ Kurz, Ciappelletto brachte noch eine Menge solcher Sachen vor und am Ende fing er an zu seufzen und bitterlich zu weinen, welches er meisterhaft konnte, so oft er wollte.

„Was hast du denn noch?“ fragte ihn der biedere Mönch.

„O weh, Herr!“ sprach Ciappelletto, „es ist mir noch eine Sünde übrig geblieben, die ich noch nie gebeichtet habe, weil ich mich so sehr schämen muss, sie zu gestehen. So oft ich mich daran erinnere, muss ich bitterlich weinen, wie Ihr jetzt seht, und ich fürchte wahrlich, dass Gott wegen dieser Sünde nimmermehr Erbarmen mit mir haben werde.“

„Was redest du für ungereimtes Zeug, mein Sohn?“ sprach der fromme Mann. „Wenn alle Sünden, die jemals in der Welt begangen wurden oder noch künftig begangen werden, von einem einzigen Menschen begangen wären, und dieser wäre so reuig, zerknirscht und bußfertig, wie ich dich finde, so ist die Gnade und Barmherzigkeit Gottes so groß, dass er sie ihm auf sein Bekenntnis freudig vergeben würde. Sprich dich nur rückhaltlos aus!“

Ciappelletto antwortete unter Tränen: „Ach, Vater! Meine Sünde ist zu groß, und ich kann kaum glauben, dass mir sie Gott jemals vergeben wird, wenn Ihr mir nicht mit Eurem Gebete beisteht.“

„Beichte ohne Scheu“, sprach der Pater, „ich verspreche dir, bei Gott für dich zu bitten.“

Ciappelletto fuhr immer fort zu weinen und wollte nicht mit der Sprache heraus. Der Pater sprach ihm indessen beständig Trost zu, und wie nun Ciappelletto mit seinen Tränen den Geistlichen lange Zeit hingehalten hatte, stieß er endlich einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Mein Vater, weil Ihr mir versprecht, bei Gott für mich zu bitten, so will ich‘s Euch bekennen. Wisset, dass ich einst, wie ich noch ein kleines Kind war, meine Mutter gescholten habe.“ Wie er dies gesagt hatte, hub er an, von Neuem zu jammern.

 

„Und scheint dir denn das eine so schreckliche Sünde zu sein, mein Sohn?“ sagte der Geistliche. „Die Menschen lästern ja Gott selbst jeden Tag, und doch verzeiht er es gern denen, die es herzlich bereuen, und du wolltest nicht glauben, dass er dir dieses verzeihe? Weine nicht, sei getrost, denn wahrlich, wenn du auch einer von denen gewesen wärst, die ihn ans Kreuz schlugen, und du bewiesest dich so zerknirscht, wie ich dich sehe, so würde er‘s dir verzeihen.“ Ciappelletto versetzte: „Wehe, mein Vater, was sagt Ihr! Meine liebe Mutter, die mich neun Monate Tag und Nacht unter ihrem Herzen getragen und mich tausendmal an ihren Busen gedrückt hat – wie übel tat ich, sie zu schelten! Die Sünde ist gar zu groß, und wenn Ihr nicht Gott für mich bittet, so wird sie nimmer vergeben.“

Wie der Geistliche fand, dass Ciappelletto nichts weiter zu sagen hatte, erteilte er ihm die Absolution und gab ihm seinen Segen, indem er ihn für den heiligsten Menschen hielt, weil er zuversichtlich glaubte, alles wäre wahr, was ihm Ciappelletto gesagt hatte. Und wer hätte das nicht auch geglaubt, wenn er einen Menschen auf dem Sterbebette so reden hörte? Zuletzt sprach er zu ihm: „Ser Ciappelletto, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund werden. Sollte es aber dennoch geschehen, dass Gott Eure gnadenerfüllte Seele zu sich riefe, so habt Ihr doch hoffentlich nichts dawider, dass man Euren Leichnam in unserer Kirche zur Erde bestatte.“

„Ach nein!“ antwortete Ciappelletto, „vielmehr möchte ich nirgends lieber ruhen, da Ihr mir versprochen habt, Gott für mich zu bitten, zumal da ich immer eine besondere Hochachtung für Euren Orden gehabt habe. Ich bitte Euch deswegen, wenn Ihr wieder in Euer Kloster kommt, dass Ihr alsobald Anstalt macht, dass der wahre Leib Christi zu mir komme, den Ihr des Morgens auf dem Altar eingesegnet habt, weil ich ihn, wiewohl unwürdig, zu genießen und alsdann die heilige Ölung zu empfangen wünsche, damit ich, wenn ich gleich als ein Sünder gelebt habe, zum wenigsten wie ein Christ sterbe.“ Der gute Geistliche sagte, er sei es zufrieden, es sei wohl gesprochen, er wolle gleich gehen und Anstalt treffen, dass ihm alles gebracht werde, welches auch geschah. Die beiden Brüder, denen immer bange gewesen war, Ciappelletto möchte ihnen nicht Wort halten, hatten an einer Bretterwand gehorcht, welche die Kammer des Ciappelletto von einer andern trennte, wo sie in der Stille zuhörten und alles vernahmen, was Ciappelletto mit dem Pater sprach, und oft hatten sie große Mühe gehabt, sich des Lachens zu erwehren über die Dinge, die er beichtete, dass sie fast bersten wollten und bisweilen dachten: Welch ein Mensch ist das, den weder sein Alter, noch die Furcht vor dem nahen Tode und vor Gott selbst, vor dessen Richterstuhle er in wenigen Stunden zu erscheinen gewärtigen muss, von seiner Bosheit abwendig machen und ihn abhalten können, ebenso dahinzusterben, wie er gelebt hat! Doch wie sie fanden, dass er ihnen Wort gehalten hatte und dass er in der Kirche sollte begraben werden, bekümmerten sie sich nicht um das Übrige. Ciappelletto empfing gleich darauf das Abendmahl, und wie es sich immer mehr mit ihm verschlimmerte, auch die letzte Ölung und starb kurz nach der Vesperzeit an demselben Tage, an welchem er seine treffliche Beichte abgelegt hatte. Nachdem die beiden Brüder aus seinem nachgelassenen Hab und Gut ihm ein ehrbares Begräbnis bestellt hatten, sandten sie Nachricht zu den Mönchen ins Kloster, damit sie noch des Abends kämen, um die gewöhnlichen Vigilien bei der Leiche zu halten und sie des andern Morgens abzuholen, wozu sie selbst auch die nötigen Anstalten machten. Wie der fromme Pater, der die Beichte des Ciappelletto gehört hatte, vernahm, dass er gestorben wäre, begab er sich zum Prior, ließ zum Kapitel läuten und alle Mönche im Kloster versammeln und zeigte ihnen an, dass Ciappelletto ein heiliger Mann gewesen sei, wie er aus seiner Beichte schließen müsse. Da er nun hoffe, dass unser Herr Gott durch ihn viele Wunder tun würde, so ermahnte er sie, seinen Leichnam mit der größten Verehrung und Devotion aufzunehmen. Der Prior und die übrigen Mönche glaubten alles, stimmten ihm bei und begaben sich sämtlich des Abends nach dem Hause, wo die Leiche des Ciappelletto aufgebahrt lag. Sie hielten bei ihm eine große und feierliche Vigilie. Des Morgens kamen sie alle, in ihren Chorhemden und Messgewändern feierlich gekleidet, mit ihren Büchern in der Hand und mit vorgetragenen Kreuzen, um den Leichnam abzuholen, und brachten ihn mit vielem Gepränge und Feierlichkeit nach ihrem Kloster, wobei viele Leute der Stadt, Männer und Weiber, nachfolgten. Als man die Leiche im Kloster niedersetzte, bestieg der Pater, dem Ciappelletto gebeichtet hatte, die Kanzel und hielt eine lange Rede, in welcher er von seinem Lebenswandel, von seinem Fasten, von seiner Keuschheit, von seiner Unschuld und Einfalt Wunder erzählte. Wie er unter anderem dasjenige anführte, was ihm Ciappelletto als seine größte Sünde gebeichtet hätte, und er ihm kaum habe begreiflich machen können, dass Gott ihm dieses vergeben würde, sagte er mit strafender Miene und Rede zu seinen Zuhörern: „Und ihr, von Gott Verworfenen, lästert Gott und seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese um eines jeden Strohhalms willen, der euch unter die Füße gerät!“ So sprach er noch vieles von seiner Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit und von der Reinheit seiner Sitten; kurz, seine Worte, denen alle Menschen in der Gegend völligen Glauben beimaßen, erfüllten die Köpfe der ganzen Gemeinde mit so vieler Ehrfurcht für den Verstorbenen, dass nach dem Gottesdienst alles haufenweise hinzulief, um ihm Hände und Füße zu küssen; alles Gewand ward ihm vom Leibe gerissen, und ein jeder schätzte sich glücklich, der einen Fetzen davon erwischen konnte. Man musste den Sarg den ganzen Tag offen lassen, damit jeder ihn besuchen und sehen konnte, und wie der Abend kam, ward er in einer marmornen Lade sehr pompös in einer Kapelle beigesetzt. Am andern Tage kamen schon Leute, um zu ihm zu wallfahrten und ihn anzubeten, ihm Gelübde darzubringen und wächserne Bilder zu opfern. Ja, so sehr verbreitete sich der Geruch seiner Heiligkeit und die Andacht seiner Verehrer, dass fast niemand, der sich in irgendeiner Widerwärtigkeit befand, sich einem andern Heiligen empfahl als ihm, und man nannte ihn (und nennt ihn noch diese Stunde) Sankt Ciappelletto und versichert, dass Gott durch ihn manches Wunderwerk verrichtet habe und noch jeden Tag an denen wirke, die gläubig sich ihm empfehlen!

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»