Das Dekameron

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ZWEITE NOVELLE

Der Jude Abraham reist auf Antrieb des Jeannot de Sevigny nach Rom. Als er das Lasterleben der Geistlichkeit sieht, kehrt er zurück nach Paris und wird – Christ.

Die Erzählung des Pamfilo wurde von den Damen im Einzelnen belacht, im Ganzen fand sie einmütigen Beifall. Nachdem man sie aufmerksam bis zu Ende angehört hatte, befahl die Königin, dass Neifile, die neben ihr saß, durch Erzählung einer neuen Geschichte die Unterhaltung fortsetze. Diese, nicht minder einnehmend durch ihr gefälliges Wesen als durch ihre Schönheit, gab willig zur Antwort: „Sehr gerne“, und begann folgendermaßen:

Pamfilo hat in seiner Erzählung gezeigt, dass die Güte Gottes nicht auf unseren Irrtum sieht, wenn dieser durch Dinge veranlasst wird, die wir nicht wissen können. Und ich will in der meinigen dartun, wie sehr eben dieselbe Güte, dadurch, dass sie geduldig die Fehler derer erträgt, die uns durch ihre Worte und Werke ein kräftiges Zeugnis von ihr geben sollten, und das Gegenteil tun, sich selbst untrüglich offenbart, damit wir uns desto ernstlicher bestreben, unseren Glauben in die Tat umzusetzen.

Wie man mir erzählt hat, meine liebenswürdigen Zuhörerinnen, wohnte einst in Paris ein begüterter, reicher Kaufherr namens Jeannot de Sevigny, ein braver, rechtschaffener Mann, der einen großen Tuchhandel führte und in vertrauter Freundschaft mit einem sehr reichen Juden lebte, der Abraham hieß und auch als rechtlicher und ehrlicher Kaufmann bekannt war. Wenn Jeannot bisweilen die Rechtschaffenheit und Redlichkeit dieses Juden betrachtete, so schmerzte es ihn sehr, dass die Seele eines so wertvollen, guten und weisen Mannes verlorengehen solle, weil er des wahren Glaubens ermangle. Deswegen trat er freundschaftlichst an ihn heran, er möge doch die Irrtümer der jüdischen Lehre verlassen und sich zur christlichen Wahrheit bekehren, die, wie er ja selbst sehen könne, wegen ihrer Heiligkeit und Vortrefflichkeit immer wüchse und zunehme, hingegen seine Religion sichtlich abnähme und sich dem Ende nähere. Der Jude gab ihm aber zur Antwort: Er hielte keinen Glauben außer dem jüdischen weder für heilig noch für gut; in diesem wolle er leben und sterben, und nichts könne ihn von seiner Überzeugung abbringen. Jeannot ließ indessen nicht nach, sondern brachte nach einigen Tagen das gleiche Thema wieder aufs Tapet und bewies ihm mehr schlecht als recht, soweit ein Kaufmann fähig ist, dergleichen zu beweisen, aus welchen Ursachen unsere Religion besser wäre als die jüdische. Und obwohl der Jude in den mosaischen Gesetzen trefflich bewandert war, so geschah es doch, entweder weil ihn seine große Freundschaft für Jeannot bewegte, oder weil ihn vielleicht die Worte überredeten, die der Heilige Geist dem ungelehrten Manne in den Mund legte, dass die Beweise des Jeannot anfingen, dem Juden sehr einzuleuchten, wiewohl er noch immer hartnäckig dabei blieb, sich von seinem Glauben nicht abwenden zu lassen. So eigensinnig der Jude blieb, so beharrlich fuhr Jeannot fort, ihm zuzureden, bis er endlich, von dieser Beharrlichkeit überwunden, zu ihm sagte: „Höre, Jeannot, du willst durchaus, dass ich ein Christ werden soll, und ich bin nicht abgeneigt, dir zu willfahren, doch ich will erst nach Rom reisen und will den sehen, von dem du sagst, er sei der Statthalter Gottes auf Erden. Ich will seinen Wandel und seine Sitten kennenlernen und auch den Lebenswandel seiner Brüder, der Kardinäle, und wenn ich an ihren Werken wie aus deinen Worten merke, dass eure Religion besser ist als die meinige, wie du dich bemühst, mir zu beweisen, so will ich tun, was du verlangst; wenn ich es aber anders finde, so bleibe ich ein Jude, wie ich bin.“

Als Jeannot dies hörte, ward er in seiner Seele betrübt und dachte bei sich: All meine Mühe ist verloren, die ich glaubte so gut angewandt zu haben, weil ich dachte, ich hätte ihn schon bekehrt. Wenn er aber nach Rom kommt und sieht das Lotter- und Lasterleben der Geistlichen, so wird er nicht nur aus einem Juden kein Christ werden, sondern wenn er schon ein Christ wäre, er würde unfehlbar wieder zum Juden. Darum sprach er zu Abraham: „Lieber Freund, warum willst du dir die vielen Strapazen und Unkosten machen, die mit einer Reise nach Rom verknüpft sind, zumal einen reichen Mann wie dich tausend Gefahren zu Wasser und Land bedrohen? Meinst du, du findest niemanden hier, der dich taufen kann? Und wenn dir ja gegen den Glauben, den ich dir erkläre, noch einige Zweifel aufstoßen, wo gibt es denn größere Meister in ihm und weisere Leute als hier, bei denen du dich über alles befragen und dir Rat holen kannst? Ich bin der Meinung, deine Reise ist überflüssig. Denke dir die Prälaten in Rom als ebensolche Männer, wie du sie hier gesehen hast und noch um so viel frömmer, als sie dem obersten Hirten näher stehen, und erspare dir die Beschwerlichkeit einer Reise, wenn ich dir raten darf. Vielleicht findet sich einmal später Gelegenheit, etwa ein Ablass, nach Rom zu wallfahrten, dann werde ich dir sogar gern Gesellschaft leisten.“

Der Jude antwortete: „Zugegeben, Jeannot, es sei so, wie du sagst, so bin ich, ein Wort statt vieler, dennoch fest entschlossen zu reisen, wofern ich das tun soll, worum du mich so sehr bittest, sonst kann nichts daraus werden.“ Da Jeannot ihn so entschlossen fand, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit säuerlicher Miene zu sagen: „So reise denn glücklich!“ Allein, er dachte bei sich, er würde nimmermehr ein Christ werden, sobald er den römischen Hof gesehen hätte; doch da er selbst nichts dabei verlor, gab er sich zufrieden. Der Jude stieg zu Pferd und zog nach Rom, so eilig er konnte, wo ihn seine Glaubensgenossen bei seiner Ankunft mit vielen Ehrenbezeigungen aufnahmen. Während seines Aufenthaltes daselbst beobachtete er, ohne seine Absicht zu verraten, sehr aufmerksam den Lebenswandel des Papstes und seiner Kardinäle sowie der übrigen Prälaten und aller Herren am Hofe, und nach allem, was er als ein scharfsichtiger Mann selbst bemerkte und was ihm andere berichteten, fand er bald, dass sie vom Größten bis zum Kleinsten durchgängig auf die schändlichste Weise der Wollust frönten und sich nicht nur den natürlichen, sondern auch den widernatürlichsten sodomitischen und anderen Lüsten ohne Scham und Scheu überließen, sodass man durch den Einfluss der Buhlerinnen und unzüchtigen Knaben bei ihnen die wichtigsten Dinge erlangen und durchsetzen konnte. Übrigens fand er sie alle dem Fressen und Saufen, der Schlemmerei und Völlerei ergeben und überzeugte sich, dass sie in ihren Begierden wie unvernünftige Tiere nur der Wollust und dem Bauche dienten; und wie er noch weiter nachforschte, so fand er, dass sie Menschenblut, ja Christenblut und alles Göttliche, ebenso den Ritus betreffende kirchliche oder geistliche Dinge, sie mochten Namen haben, wie sie wollten, und mochten zu Kirchen oder zu Pfründen gehören, für Geld erkauften und feilhielten und einen größeren, einträglicheren Handel damit trieben, und mehr Makler und Zwischenhändler dazu gebrauchten als in Paris der Tuchhandel oder andere Geschäfte, und dass sie die offenbarste Simonie mit dem Namen Prokuration und ihre Völlerei mit dem Namen Refektion bemäntelten, als wenn Gott sich um solche Wortklaubereien bekümmerte, die bösen Absichten verkehrter Gemüter nicht kenne und sich wie die Menschen durch die Namen der Dinge hintergehen ließe! Alles dieses und manches andere, was wir lieber verschweigen, missfiel dem Juden als einem ehrbaren und schlichten Manne, und wie er glaubte, genug gesehen zu haben, entschloss er sich zur Rückreise und kam wieder nach Paris. Jeannot hatte kaum seine Ankunft erfahren, als er auch schon zu ihm ging und sich mit ihm des Wiedersehens herzlich erfreute; doch fiel es ihm nicht im Geringsten ein, dass sein Freund ein Christ werden würde. Nachdem dieser nun einige Tage ausgeruht hatte, fragte ihn Jeannot, wie er den Papst und die anderen Herren am Hofe gefunden hätte.

„Böse habe ich sie gefunden“, gab ihm der Jude hastig zur Antwort, „und Böses vergelte ihnen Gott! Das ist alles, was ich dir sagen kann, denn wo ich recht gesehen habe, so gibt es dort weder Frömmigkeit noch Andacht, noch irgendein gutes Werk oder Beispiel, oder sonst etwas Löbliches bei irgendeinem, der zum geistlichen Stande gehört, sondern eitel Wollust, Geiz, Schwelgerei, Betrug, Neid, Hochmut und mehr dergleichen und noch schlimmere Dinge, wenn man sie noch schlimmer denken kann. Dies alles glaube ich in solchem Maße bei ihnen gefunden zu haben, dass ich Rom eher für eine Werkstatt teuflischen als göttlichen Wirkens halte. Und wie es mir scheint, so arbeitet euer Oberhirt, und folglich alle Übrigen, mit Macht daran, die christliche Religion zuschanden zu machen und sie von der Welt zu vertilgen, da sie doch billig ihr Grund- und Eckstein und ihre Stütze sein sollten. Da ihnen nun dieses nicht gelingt, wonach sie streben, sondern da eure Religion sich täglich mehr und mehr ausbreitet, und immer heller und reiner glänzt, so glaube ich mit Recht zu schließen, dass der Heilige Geist selbst der Grund und Pfeiler dieser Religion sein muss und dass sie alle andern an Wahrheit und Heiligkeit übertrifft. Deswegen, so steif und fest ich mich auch bisher deiner Proselytenmacherei widersetzt habe und kein Christ werden wollte, so will ich dir frei gestehen, dass mich nunmehr nichts in der Welt länger abhalten kann, die christliche Religion anzunehmen. Komm mit mir in die Kirche und lass mich dort nach der Vorschrift eurer heiligen Religion taufen.“

Jeannot, der sich eines ganz entgegengesetzten Entschlusses von ihm versehen hatte, war der vergnügteste Mensch von der Welt, wie er ihn so reden hörte. Er eilte mit ihm in die Kirche Unserer Frauen in Paris und bat die Geistlichen, seinen Freund Abraham zu taufen, was sie auch unverzüglich taten, wie sie hörten, dass er selbst es begehre. Jeannot ward sein Pate und gab ihm den Namen Jean. Er ließ ihn durch große Schriftgelehrte vollkommen in unserer Religion unterrichten, mit welcher er sich auch in kurzer Zeit bekannt machte und hernach als ein trefflicher Mann ein erbauliches Leben führte.

 

DRITTE NOVELLE

Der Jude Melchisedech zieht sich durch eine Geschichte von drei Ringen aus einer gefährlichen Schlinge, die ihm Saladin gelegt hat.

Nachdem Neifilens Erzählung unter allgemeinem Beifall beendigt war, begann Filomena, dem Willen der Königin gemäß, folgendermaßen zu reden:

Neifilens Erzählung bringt mir die gefährliche Lage ins Gedächtnis, in welcher sich einst ein Jude befand; und da wir bisher von Gott und von der Wahrheit unserer Religion viel gute Reden gehört haben, so können wir nun auch wohl zu den Schicksalen und Handlungen der Menschen uns herablassen, und ich will versuchen, euch davon einiges zu erzählen, das euch vielleicht veranlassen wird, bedächtiger als zuvor auf die Fragen zu antworten, die man euch vorlegt. Ihr müsst wissen, meine lieben Gespielinnen, so wie die Torheit oft manchen um sein Glück bringt und ihn in tiefes Elend stürzt, so zieht den Weisen sein Verstand aus den augenscheinlichsten Gefahren und gewährt ihm vollkommene Ruhe und Sicherheit. Wie wahr es sei, dass die Torheit den Menschen aus dem Glück ins Elend stürzt, davon sieht man häufige Beispiele, bei denen wir uns jetzt nicht aufhalten wollen, weil wir sie täglich zu Tausenden vor Augen haben. Dass aber der Verstand uns oft zum großen Heile gereicht, davon will ich euch, wie ich versprach, durch eine Geschichte überführen. Saladin, der so hochgemut und tapfer war, dass er nicht nur aus einem geringen Manne zum Sultan von Babylon ward, sondern auch außerdem noch manche Siege über die sarazenischen und christlichen Fürsten erfocht, hatte teils in verschiedenen Kriegen, teils durch großen Aufwand und Pracht einst seinen ganzen Schatz erschöpft. Es traf sich eben, dass er plötzlich einer ansehnlichen Summe bedurfte, die er nirgends so schnell aufzutreiben wusste, als er sie nötig hatte. In dieser Verlegenheit erinnerte er sich eines reichen Juden namens Melchisedech, der in Alexandrien gegen Wucherzinsen zu leihen pflegte; er vermeinte, dieser könne ihm helfen, wenn er wolle. Der Jude war aber so geizig, dass er es aus freien Stücken nimmer hätte getan, und offenbare Gewalt wollte Saladin nicht brauchen. Weil ihn jedoch die Not drängte, so sann er auf ein Mittel, den Juden unter einem scheinbaren Vorwande zu zwingen, seinen Beutel aufzutun. Er ließ ihn zu sich rufen, ihn freundlich neben sich setzen und sagte: „Trefflicher Mann, ich habe von verschiedenen Leuten gehört, dass du weise bist und in geistlichen Dingen sehr erfahren. Darum möchte ich gern von dir wissen, welche von den drei Lehren du für die wahre und wahrhafteste hältst, die jüdische, die mohammedanische oder die christliche.“

Der Jude, der in der Tat ein kluger Mann war, merkte sehr gut, dass ihn Saladin mit seinen Worten zu fangen suchte, um Händel mit ihm anzufangen. Er glaubte daher, dass er keine von den drei Religionen mehr als die andere loben dürfe, damit Saladin seinen Zweck nicht erreiche. Da es auf eine schnelle Antwort ankam, wodurch er sich keine Blöße gäbe, so kam ihm auf der Stelle sein Scharfsinn zu rechter Zeit zustatten, und er sagte: „Herr, Ihr habt mir da eine wichtige Frage vorgelegt, um Euch aber zu sagen, wie ich darüber denke, so bitte ich Euch, vorher eine kleine Geschichte von mir anzuhören. Wenn ich nicht irre, so hat man mir oft erzählt, dass einst ein reicher, vornehmer Mann war, der unter anderen kostbaren Kleinoden, die sich in seinem Besitze befanden, einen sehr schönen und köstlichen Ring besaß, den er wegen seines Wertes und seiner Schönheit besonders in Ehren gehalten wissen und ihn auf immer seiner Nachkommenschaft erhalten wollte, und darum befahl er, dass derjenige unter seinen Söhnen, dem er diesen Ring hinterlassen würde, als sein Erbe angesehen werden sollte, und alle seine anderen Brüder sollten ihn als das Haupt der Familie ehren und hochachten. Derjenige, der den Ring erbte, beobachtete gegen seine Nachkommen dasselbe Verfahren und folgte dem Beispiele seines Ahnherrn. So ward der Ring vom Vater auf den Sohn durch viele Geschlechter vererbt, bis ihn endlich einer bekam, der drei liebenswürdige und tugendhafte Söhne hatte, welche dem Vater alle gleich gehorsam waren und deswegen alle drei von ihm gleich geliebt wurden. Die Jünglinge wussten, was es mit dem Ringe auf sich hatte. Jeder wünschte, vor den anderen ausgezeichnet zu sein. Sie strebten um die Wette, den Ring zu bekommen, und jeder von ihnen bat den Vater, der schon alt war, ihm nach seinem Tode den Ring zu vermachen. Der gute Vater, der seine Söhne gleich lieb hatte und selbst keine Wahl unter ihnen zu treffen wusste, versprach einem jeden, ihm den Ring zu geben, und ersann ein Mittel, sie alle drei zufriedenzustellen. Er ließ deswegen bei einem geschickten Meister heimlich zwei andere Ringe machen, die dem ersten so völlig glichen, dass er selbst, der sie hatte anfertigen lassen, kaum imstande war, den echten von den unechten zu unterscheiden. Auf seinem Sterbebette gab er jedem seiner Söhne insgeheim einen von den drei Ringen. Nach seinem Tode wollte nun jeder von den Söhnen der Erbe sein und den Vorrang vor seinen Brüdern behaupten. Um diesen den anderen streitig zu machen, zog ein jeder, dem hergebrachten Brauche gemäß, seinen Ring hervor. Da war aber ein Ring dem anderen so ähnlich, dass es nicht möglich war, den echten zu erkennen, und die Frage, wer der rechte Erbe des Vaters wäre, blieb unentschieden, und bleibt unentschieden bis auf diesen Tag und alle Tage. Und eben dieses sage ich Euch, Herr, von den drei Religionen, die Gott der Vater den drei Völkern gegeben hat, wegen welcher Ihr mich befragt. Ein jedes glaubt, sein Erbteil, seine Lehre und seine Gesetze unmittelbar von ihm empfangen zu haben. Von welchem unter ihnen aber sich dieses mit Wahrheit behaupten lasse, das bleibt (wie bei den drei Ringen) noch dahingestellt.“

Saladin sah wohl ein, dass der Jude sich gut aus der Schlinge zog, die er ihm gelegt hatte. Er entschloss sich demnach, ihm sein Anliegen geradezu zu eröffnen und zu versuchen, ob er ihm aus freien Stücken würde helfen wollen. Er tat es und gestand ihm zugleich, was seine Absicht gewesen wäre zu tun, wenn er nicht so vernünftig geantwortet hätte. Der Jude bediente ihn willig mit der ganzen Summe, die er brauchte, und Saladin bezahlte ihm in der Folge nicht nur seine Schuld, sondern machte ihm noch überdies ansehnliche Geschenke und behielt ihn als seinen Freund in großen Ehren und Ansehen beständig an seinem Hof.

VIERTE NOVELLE

Ein Mönch, der sich durch sein Vergehen einer schweren Strafe schuldig gemacht hatte, befreit sich davon, indem er seinen Abt der gleichen Sünde überführt.

Kaum hatte Filomena ihre Geschichte beendigt, als Dioneo, der ihr zunächst saß, ohne den Befehl der Königin abzuwarten, das Wort nahm, das der begonnenen Ordnung gemäß ja nun an ihm war: Verehrte Damen, wenn ich Sie alle recht verstanden habe, so sind wir hier versammelt, um uns mit Geschichtenerzählen zu unterhalten. Deswegen meine ich, es müsse einem jeden von uns erlaubt sein (sofern der Endzweck nicht verfehlt wird), die Geschichte zu erzählen, die seiner Meinung nach am meisten zu ergötzen vermag. Vorhin noch sagte uns die Königin, dass es so sein solle. Da wir nun gehört haben, wie der Jude Abraham durch den guten Rat des Jeannot de Sevigny sein Seelenheil fand, wie Melchisedech durch seine Weisheit seine Reichtümer vor Saladin rettete, so scheltet mich bitte nicht, wenn ich euch mit wenigen Worten erzähle, wie listig ein junger Mönch sich vor schwerer Züchtigung bewahrte.

In Lunigiana, nicht weit von hier gelegen, war ein Kloster, welches einst reicher an Mönchen und an Heiligkeit war als heutigen Tages, und woselbst sich unter anderen ein junger Klosterbruder befand, dessen strotzende Jugendkraft weder Fasten noch Nachtwachen schwächen konnten. Wie dieser einst nach Mittag, indes die übrigen Mönche schliefen, außer den Mauern des Klosters bei einer Kapelle lustwandelte, die an einem ziemlich einsamen Orte lag, ward er ein sehr hübsches, junges Mädchen gewahr, vielleicht die Tochter eines Bauern aus der Gegend, die im Felde ging, um Kräuter zu sammeln. Er hatte sie kaum erblickt, als ihn auch schon die Fleischeslust mit aller Gewalt bestürmte. Er näherte sich also dem Mädchen und knüpfte ein Gespräch mit ihr an, wobei er seine Worte so verschmitzt zu setzen wusste, dass er mit ihr einig ward, und sie in seine Zelle führte, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Indem er hier, von gar zu großer Begierde getrieben, ein wenig zu laut mit ihr das Liebesspiel spielte, traf sich‘s, dass der Abt, der nach beendigtem Mittagsschläfchen aufgestanden war, das Gebalz der beiden Liebenden hörte, als er mit leisen Tritten vor der Zelle vorbeiging. Um die Stimmen besser zu erkennen, schlich er sich an die Tür der Zelle und horchte, wo er denn deutlich vernahm, dass ein Frauenzimmer sich in der Zelle befand. Schon war er willens, sich die Tür öffnen zu lassen, doch bedachte er sich wieder und ging in seine Zelle, um zu warten, bis der Mönch aus der seinen käme. Diesen hatte jedoch, so sehr ihn auch das Vergnügen mit dem jungen Weibe beschäftigte, bereits eine kleine Furcht angewandelt, und weil es ihm geschienen, als hätte er jemand im Schlafhause mit schlürfenden Schritten gehen gehört, so hatte er durch eine kleine Spalte geguckt und den Abt deutlich wahrgenommen. Er konnte wohl denken, dass dieser das Mädchen in seiner Zelle bemerkt haben müsste, und da er wusste, dass ihm dafür eine schwere Strafe bevorstand, so ward er darüber sehr niedergeschlagen, doch ließ er das Mädchen nichts von seiner Verlegenheit merken, sondern dachte nur geschwinde hin und her, wie er sich heraushelfen könne. Und da fiel ihm eine Bosheit ein, die ihn, wie er meinte, zum Ziele werde gelangen lassen. Er stellte sich gegen das Mädchen, dass es Zeit wäre, sie wieder zu entfernen, und sagte: „Ich will gehen und Mittel und Wege suchen, dass du wieder ungesehen hinaus kommst; halte dich unterdessen hier ganz still, bis ich zurückkehre.“ Darauf ging er hinaus, verschloss seine Zelle und ging geradewegs zu dem Abt in seine Kammer, übergab ihm den Schlüssel, wie es bei den Mönchen Sitte war, wenn sie ausgingen, und sagte mit unbefangener Miene: „Hochwürdiger Herr, ich konnte heute früh nicht alles Holz heimfahren lassen, das ich schlagen ließ. Ich gehe jetzt mit Eurer Erlaubnis in den Wald, um das übrige herzuschaffen.“ Der Abt, der nicht glaubte, dass ihn der Klosterbruder bemerkt hätte, und der wünschte, sich genauer von seinem Vergehen zu unterrichten, war froh über diese Gelegenheit und empfing mit Vergnügen den Schlüssel; er gab ihm Urlaub, und wie er weggegangen war, überlegte er, was am besten getan wäre, ob er in Gegenwart des ganzen Klosters die Zelle des Mönchs öffnen und sein Verbrechen jedermann offenbaren solle, damit man über ihn nicht murren möchte, wenn er den Mönch bestrafte, oder ob er erstlich von dem Mädchen erforschen sollte, wie alles zugegangen wäre. Da er nun zugleich erwog, dass es vielleicht die Tochter oder Verwandte irgendeines solchen Mannes sein könne, dem er ungern die Schande zufügen möchte, dass er sie allen Mönchen zeigte, so entschloss er sich, erst zu sehen, wer sie wäre, und dann seine Maßregeln zu treffen. Er schlich demnach leise nach der Zelle, öffnete die Tür, ging hinein und schloss hinter sich zu. Wie das arme Mädchen den Abt hereintreten sah, ward ihr angst und bange, und zitternd vor Scham fing sie an, bitterlich zu weinen. Der Abt, der sie indessen aufmerksam betrachtete und fand, dass sie ein schönes, frisches Geschöpf sei, fühlte plötzlich, so alt er auch war, den Stachel des Fleisches nicht minder rege werden als zuvor der junge Mönch. Er dachte bei sich: „Ei nun, warum soll ich nicht das Vergnügen genießen, wenn es sich mir darbietet. Verdruss und Unannehmlichkeiten finde ich ja ohnehin immer genug bei der Hand. Hier ist ein hübsches Mädchen, kein Mensch in der Welt weiß etwas davon; wenn ich sie dahin bringen kann, mir zu Willen zu sein, so weiß ich nicht, warum ich es nicht versuchen sollte, wer wird‘s erfahren? Kein Mensch! Und heimliche Sünde ist halb vergeben. Es wird mir vielleicht nie wieder so geboten, und ich denke, es ist vernünftig getan, das Gute zu genießen, wenn es der Himmel einem ins Haus schickt.“ Wie der Abt dieses bei sich überlegte, änderte er völlig seinen Vorsatz, womit er gekommen, und indem er näher zu dem Mädchen trat, fing er an sie zu beruhigen und bat sie, nicht zu weinen, und wie nun ein Wort das andere gab, gelangte er endlich dahin, ihr sein Begehren zu eröffnen. Das Mädchen, das nicht von Stein und Eisen war, ließ sich auch leicht genug bewegen, sich gefällig gegen den Abt zu erweisen. Nachdem er sie mehrmals umarmt und geküsst hatte, sank er auf das Lager des Mönches nieder. Vielleicht in Hinsicht des schweren Gewichtes sowohl seiner Würde wie seiner Persönlichkeit, vielleicht in Anschauung der zarten Figur der Jungfrau, bestieg er sie nicht, sondern legte sich auf den Rücken und zog sie auf sich und vergnügte sich auf diese unterhaltsame Art lange mit ihr. Der Mönch, der sich nur gestellt hatte, als ob er in den Wald wolle, hatte sich im Schlafsaal verborgen, und wie er sah, dass der Abt in seine Zelle ging, schöpfte er gute Hoffnung, dass ihm sein Anschlag gelingen würde, und wie der Abt vollends hinter sich zuschloss, blieb ihm kein Zweifel mehr übrig. Er verließ seinen Schlupfwinkel und schlich sich an ein kleines Loch, wo er alles sehen und hören konnte, was der Abt sagte und tat. Als dieser glaubte, sich lange genug mit dem Mädchen unterhalten zu haben, schloss er sie in der Zelle wieder ein und begab sich zurück in sein Zimmer. Wie er darauf nach einiger Zeit den Klosterbruder hörte und meinte, dass er aus dem Walde zurückgekommen sei, nahm er sich vor, ihm eine derbe Strafpredigt zu halten und ihn einkerkern zu lassen, um die eroberte Beute für sich allein zu behalten. Er ließ ihn rufen, schalt ihn mit finsterem Angesicht und befahl, ihn ins Gefängnis zu werfen. Der Mönch parierte augenblicklich den Hieb: „Hochwürdiger Herr, ich bin noch nicht so lange im Orden des heiligen Benedikt gewesen, dass ich alle Gebräuche vollkommen inne habe, und Ihr hattet mich bisher noch nicht unterwiesen, dass wir Mönche uns der Bürde der Weiber ebensowohl unterwerfen müssten als der Last der Fasten und Nachtwachen. Jetzt aber, da Ihr mir selbst das Beispiel gegeben habt, verspreche ich Euch, wenn Ihr mir diesmal verzeiht, künftighin in diesem Stücke nicht mehr zu fehlen, sondern immer nach Eurem erhabenen Vorbild zu handeln.“

 

Der Abt, der ein gescheiter Mann war, merkte wohl, dass jener ihm hinter seine Schliche gekommen war und alles beobachtet hatte. Er schämte sich also, da er sich desselben Vergehens schuldig wusste, den Klosterbruder mit der Strafe zu belegen, die er selbst verdient hatte. Er verzieh und befahl ihm, zu verschweigen, was er gesehen hätte, worauf beide gemeinsam das Mädchen heimlich aus dem Zimmer schafften; doch lässt sich vermuten, dass sie sie bisweilen wieder kommen ließen.

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