Der Morgen fand die beiden nur wenig erfrischt, obwohl sie dem Tagesgrauen mit einem Gefühl der Erleichterung entgegensahen.
Sobald sie ihr Frühstück, bestehend aus gesalzenem Schweinefleisch, Kaffee und Schiffszwieback, eingenommen hatten, begann Clayton mit dem Bau des Hauses, denn er sah ein, dass sie auf keine Sicherheit und keine Ruhe in der Nacht rechnen konnten, solange nicht vier starke Wände das Leben des Dschungels von ihnen abschloss.
Die Aufgabe war schwierig und erforderte den größten Teil eines Monats, obschon es sich nur um einen kleinen Raum handelte. Clayton baute die Hütte aus schmalen Baumstämmen von etwa sechs Zoll im Durchmesser. Die Ritzen verschmierte er mit Lehm, den er einige Fuß tief in der Erde fand.
An einem Ende legte er eine Feuerstelle aus kleinen Steinen vom Strande an. Diese wurden ebenfalls mit Lehm verschmiert. Als das Haus fertig war, bewarf er die ganze Außenseite mit einer vier Zoll dicken Lehmschicht.
In die Fensteröffnung brachte er waagerechte und senkrechte Äste von etwa einem Zoll im Durchmesser an, die so verflochten waren, dass sie ein festes Gitter bildeten, das auch einem kräftigen Tier widerstehen konnte.
So erhielten sie die nötige Luft, ohne befürchten zu müssen, die Sicherheit ihrer Hütte zu vermindern.
Das nach zwei Seiten steil abfallende Dach war aus schmalen, dicht aneinandergefügten Ästen gebildet, die mit langem Dschungelgras und Palmwedeln bedeckt waren, über die noch eine Lehmschicht kam.
Die Tür fertigte er aus Brettern der Kisten an; er nagelte ein Brett auf das andere und dann andere quer darüber, bis er eine so solide Tür zusammengenagelt hatte, dass sie beide darüber vergnügt waren, als sie das fertige Werk begutachteten.
Jetzt stand Clayton aber vor der größten Schwierigkeit, denn er hatte nichts, um die massive Tür einzuhängen. Nach zweitägiger Arbeit gelang es ihm aber, zwei Scharniere aus Hartholz anzufertigen, und mit diesen hängte er die Tür ein, sodass sie sich leicht öffnen und schließen ließ.
Das Verputzen und die übrigen letzten Arbeiten nahm er erst vor, als sie schon eingezogen waren. Sobald nämlich das Dach angebracht war, hatten sie schon ihr Heim bezogen. Solange die Tür sich nicht verschließen ließ, stellten sie ihre Koffer dagegen, und so hatten sie eine verhältnismäßig sichere und gemütliche Wohnung.
Die Herstellung des Bettes, der Stühle, eines Tisches und der Regale war verhältnismäßig leicht, sodass sie am Ende des zweiten Monats gut eingerichtet und, abgesehen von der steten Angst vor den wilden Tieren und der immer fühlbarer werdenden Einsamkeit, nicht gerade unglücklich waren. Nachts knurrten und brüllten große Tiere um ihre Hütte herum, aber man gewöhnt sich allmählich an immer wiederkehrende Geräusche, und so beachteten sie sie nur noch wenig und schliefen fast die ganze Nacht hindurch.
Dreimal hatten sie flüchtig eine mannsgroße Gestalt erblickt, aber sie hatten nie unterscheiden können, ob es sich um die eines Menschen oder eines wilden Tieres handelte.
Die prächtigen Vögel und die kleinen Affen hatten sich bald an ihre neuen Bekannten gewöhnt, und da sie offenbar niemals menschliche Wesen gesehen hatten, kamen sie, sobald sie die erste Furcht abgelegt hatten, immer näher, angetrieben durch die eigenartige Neugier, die die wilden Geschöpfe des Waldes und des Dschungels beherrscht. Innerhalb eines Monats hatten mehrere Vögel ihre Scheu soweit abgelegt, dass sie Futterbissen aus den freundlichen Händen der Claytons entgegennahmen.
Eines Nachmittags, als Clayton an seiner Hütte arbeitete, denn er hatte die Absicht, mehrere Räume anzubauen, kam eine Anzahl der drolligen kleinen Freunde schreiend und keifend aus der Richtung des nahen Hügels. Auf ihrer Flucht warfen sie ängstliche Blicke nach rückwärts, um schließlich in Claytons Nähe aufgeregt zu ihm hinzuschnattern, als ob sie ihn vor einer herannahenden Gefahr warnen wollten. Endlich erkannte er, was die kleinen Affen so fürchteten, es war das mannsgroße Tier, das er und seine Frau bereits bei früheren Gelegenheiten flüchtig erblickt hatten.
Es näherte sich aus dem Dschungel in einer halb aufgerichteten Stellung, indem es zuweilen die geschlossenen Fäuste auf den Boden setzte, — es war ein großer Menschenaffe. Beim Vorrücken gab er tiefe Kehllaute und gelegentlich bellende Töne von sich.
Clayton war etwas entfernt von der Hütte, da er dabei war, einen schönen Baum, der sich gerade für seine Bauzwecke besonders eignete, zu fällen. Er war sorglos geworden, da er und seine Frau monatelang in den Tagesstunden kein gefährliches Tier gesehen hatten. So hatte er denn auch seine Büchsen und Revolver in der Hütte gelassen, und als er nun den großen Affen durch das Unterholz direkt auf sich zukommen sah, und zwar in einer Richtung, die ihm praktisch ein Entkommen unmöglich machte, fühlte er doch einen Schauder den Rücken entlang rieseln.
Da er nur mit einer Axt bewaffnet war, wusste er, dass seine Aussichten in einem Kampfe mit dem wilden Tiere sehr gering waren, — und Alice? O Gott, sagte er sich, was wird aus Alice werden?
Es war kaum daran zu denken, die Hütte zu erreichen. Er wandte sich aber dorthin und rannte darauf los, indem er seinem Weibe laut zurief, hineinzueilen und die Tür zu schließen, falls der Affe ihm den Weg abschnitt.
Lady Greystoke saß in einiger Entfernung vor der Hütte und als sie sein Schreien hörte, schaute sie auf und sah, wie der Affe mit einer für ein so schweres und ungelenkes Tier fast unglaublichen Schnelligkeit vorwärts sprang, um Clayton zu überholen.
Mit einem lauten Schrei stürzte sie zur Hütte, und während sie hineineilte, warf sie nach rückwärts einen Blick, der ihre Seele mit Schrecken erfüllte, denn das Tier hatte ihrem Gatten den Rückweg abgeschnitten, und er stand nun vor dem Braunen, die Axt mit beiden Händen fassend, bereit, sie gegen das wütende Tier zu schwingen, sobald es seinen Endangriff machte.
Schließ die Tür und verriegle sie, Alice! rief Clayton. Ich kann den Kerl mit meiner Axt erledigen.
Er wusste aber, dass er von einem schrecklichen Tod bedroht war, und auch sie wusste es.
Der Affe war ein schweres Tier, das Wohl drei Zentner wiegen mochte. Seine düsteren, nahe beieinanderstehenden Augen leuchteten vor Hass unter den buschigen Brauen, und seine großen Fangzähne wurden sichtbar während eines furchtbaren Knurrens, das er ausstieß, indes er einen Augenblick vor seinem Opfer stillhielt.
Clayton sah den Eingang seiner Hütte nicht zwanzig Schritte entfernt, und ein furchtbarer Schrecken erfasste ihn, als er sein Weib darin auftauchen sah, bewaffnet mit einem Gewehr. Sie hatte immer Angst vor einer Feuerwaffe gehabt und hatte nie eine berühren wollen, aber jetzt stürzte sie auf den Affen los mit dem Mut einer Löwin, die ihr Junges verteidigt.
Zurück, Alice! rief Clayton, um Himmelswillen, geh‹ zurück!
Sie wollte aber nicht darauf hören, und da gerade im selben Augenblick der Affe zum Angriff überging, konnte Clayton weiter nichts mehr sagen.
Mit gewaltiger Kraft schwang Clayton seine Axt, aber das mächtige Tier erfasste sie mit seinen schrecklichen Händen, riss sie ihm aus der Hand und schleuderte sie weit zur Seite. Knurrend kam es näher an sein schutzloses Opfer heran, aber ehe es ihn noch umfassen konnte, hatte Frau Clayton einen Schuss abgefeuert. Die Kugel drang dem Affen zwischen den Schultern in den Rücken.
Wütend warf das Ungetüm Clayton zu Boden und rückte nun gegen seinen neuen Feind los. Vor ihm stand die angsterfüllte Frau. Sie versuchte dem Tier nochmals eine Kugel in den Leib zu jagen, aber sie verstand den Mechanismus der Waffe nicht, und der Schutz versagte.
Schreiend vor Schmerz stürzte der Affe auf die Frau los, und vor Schrecken fiel sie ohnmächtig nieder.
Im selben Augenblick sprang Clayton wieder auf und eilte auf den Affen zu, ohne zu bedenken, dass er mit bloßen Händen nichts gegen ihn ausrichten könne. Aber er wollte das Letzte versuchen, um sein geliebtes Weib zu retten.
Kaum hatte er die Hand an das mächtige Tier gelegt, als es leblos vor ihm auf den Rasen rollte. Der Affe war tot! Die Kugel hatte ihn tödlich getroffen.
Als Clayton sah, dass die Gefahr beseitigt war, wandte er sich sofort seiner Frau zu. Zum Glück war sie nicht verletzt, aber sie war noch immer bewusstlos.
Vorsichtig hob er sie auf und trug sie in ihre Hütte, wo er sie sanft aufs Bett legte.
Es vergingen aber zwei Stunden, bis sie die Besinnung wieder erlangte. Verwundert schaute sie in der Hütte umher, und dann sagte sie seufzend:
O John, es ist doch gut, dass wir wirklich zu Hause sind! Ich hatte einen fürchterlichen Traum. Es war mir, als ob wir nicht mehr in London, sondern an einem schrecklichen Ort wären, wo wir von wilden Tieren angefallen wurden.
Beruhige dich, Alice, sagte er, indem er ihre Stirne streichelte, versuche wieder zu schlafen, und denke nicht mehr an den bösen Traum.
Noch in derselben Nacht wurde in der Hütte am Urwald ein Sohn geboren, während ein Leopard vor der Tür schrie und aus der Ferne das Brüllen eines Löwen erklang. - - - Lady Greystoke erholte sich aber nie wieder von der Nervenerschütterung, die sie bei dem Überfall durch den Affen erlitten hatte. Obschon sie nach der Geburt ihres Sohnes noch ein Jahr lang lebte, verließ sie die Hütte nicht mehr, und es kam ihr nie mehr ganz zum Bewusstsein, dass sie nicht in England war.
Manchmal wollte sie Clayton über die merkwürdigen nächtlichen Geräusche befragen, über die rohe und kunstlose Einrichtung ihres Heimes, in dem sie ihre Bedienten und ihre Freunde vermisste, und obschon er keinen Versuch machte, sie zu täuschen, so konnte sie doch den Zusammenhang des Ganzen nicht erfassen.
Im Übrigen war sie ganz vernünftig. Sie war glücklich, einen kleinen Sohn zu haben, und sie freute sich, dass ihr Gatte ihr beständig so viel Aufmerksamkeit erwies.
So war jenes Jahr trotzdem für sie ein glückliches, ja das glücklichste ihres jungen Lebens.
Dass es nur von Angst und Sorgen erfüllt gewesen wäre, wenn sie noch ihre vollen geistigen Fähigkeiten besessen hätte, wusste Clayton sehr wohl. Obschon er entsetzlich darunter litt, sie in diesem Zustand zu sehen, so war es ihretwegen doch ein Trost für ihn, dass sie ihre Lage nicht mehr erkannte. Schon lange hatte er die Hoffnung auf Hilfe aufgegeben. Er wusste sehr wohl, dass sie ihm nur noch durch einen günstigen Zufall zuteilwerden könnte.
Inzwischen hatte er mit unermüdlichem Eifer an der Verschönerung seines Heims gearbeitet.
Löwen, und Pantherfelle bedeckten den Boden. Schränke und Bücherregale standen an den Wänden. Merkwürdige Vasen, die er mit eigener Hand aus Lehm geformt hatte, waren mit prächtigen tropischen Blumen gefüllt, Vorhänge aus Gras und Bambus bedeckten die Fenster, und — was besonders schwierig gewesen — er hatte mit seinen einfachen Werkzeugen Holzleisten angefertigt, um die Ritzen in den Wänden und der Decke zu verschließen, und er hatte sogar einen glatten Fußboden in der Hütte gelegt.
Er selbst wunderte sich darüber, dass er imstande war, solcher ungewohnter Arbeiten Herr zu werden.
Aber er liebte die Beschäftigung, weil sie dazu beitrug, sein Heim wohnlicher zu machen. Dabei dachte er nicht bloß an seine Frau, sondern auch an ihren kleinen Sohn, über den er sich so sehr freute, obschon die Geburt dieses Weltbürgers seine Verantwortlichkeit und die Schrecken seiner Lage noch hundertfach vermehrt hatte.
Im Laufe des Jahres ward Clayton mehrmals von großen Affen angefallen. Diese schienen jetzt fortgesetzt die Nähe der Hütte aufzusuchen. Da er sich aber nie wieder ohne Gewehr und Revolver hinauswagte, brauchte er sich vor den riesigen Tieren nicht mehr so zu fürchten.
Da er beständig für Nahrung sorgen musste, ging er häufig auf die Jagd und auf die Suche nach Früchten. Damit nun nicht ein Tier in seine Hütte einbrechen könnte, brachte er an der Tür einen Holzverschluss an und verstärkte auch den Schutz an den Fenstern.
Anfangs konnte er viel Wild von seinem Fenster aus schießen, aber allmählich wurden die Tiere scheu und kamen nicht mehr so häufig in die Nähe seiner Hütte.
In seinen Mußestunden las Clayton seiner Frau oft aus den Büchern vor, die er mitgebracht hatte. Es waren darunter auch Bücher für kleine Kinder, Bilderbücher, Abc-Bücher und Lesebücher, denn, da er damit gerechnet hatte, dass er erst nach einer Reihe von Jahren nach England zurückkehren könne, hatte er schon diesbezüglich vorgesorgt.
Zuweilen schrieb Clayton an seinem Tagebuch, das er in französischer Sprache führte und in das er alle Einzelheiten seines seltsamen Lebens eintrug. Dieses Buch bewahrte er sorgfältig in einem Metallkästchen auf.
Ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes starb Lady Alice. Sie schied so friedlich hinüber, dass Stunden vergingen, ehe Clayton es fassen konnte, dass seine Frau tot war.
Seine schreckliche Lage kam ihm erst langsam zum Bewusstsein, und es ist zweifelhaft, ob er die ganze Größe seiner Sorgen und die schreckliche Verantwortung, die ihm jetzt für den kleinen Sohn zufiel, voll erkannte.
Die letzte Eintragung in sein Tagebuch machte er am Morgen nach dem Tode seiner Frau. Er erzählt darin die traurigen Tatsachen in einem so schlichten Tone, dass dadurch deren Wirkung nur noch erhöht wird. Es liegt darüber eine müde Stumpfheit, erzeugt durch lange Sorge und Hoffnungslosigkeit, und selbst der letzte schmerzliche Schlag konnte kaum sein Leid vergrößern.
[Brief]
Mein kleiner Sohn weint vor Hunger. — O Alice, Alice, was soll ich anfangen?
[/Brief]
Als Clayton diese letzten Worte geschrieben hatte, sollte seine Hand nie wieder die Feder ergreifen.
Er legte sein müdes Haupt auf seine ausgestreckten Arme auf den Tisch, den er für sie angefertigt, die jetzt still und kalt im Bette neben ihm lag.
Im Dschungel herrschte eine Grabesstille, und sie wurde nur durch das Wimmern des kleinen Knaben unterbrochen …
Im Walde des Tafellandes, eine Meile vom Ozean, tobte der alte Affe Kerschak voller Wut unter seinem Volke. Die jüngeren und leichteren Mitglieder seines Stammes kletterten auf die höheren Äste der großen Bäume hinauf, um seinem Grimm zu entfliehen. Sie setzten lieber ihr Leben aufs Spiel, indem sie sich den schwachen Ästen anvertrauten, als dass sie im Bereich des zornigen alten Kerschak geblieben wären.
Die anderen Männchen stoben nach allen Richtungen auseinander, wenn das wutschäumende Tier einem von ihnen das Rückgrat zwischen seinen Zähnen zerbrochen hatte.
Ein unglückliches junges Weibchen glitt von dem unsicheren Halt eines hohen Astes herunter und fiel gerade vor Kerschaks Füße.
Mit einem wilden Schrei stürzte der Alte sich darauf, riss ihm mit seinem gewaltigen Gebiss ein großes Stück aus der Seite und schlug das arme Wesen mit einem zerbrochenen Ast nieder.
Und dann erspähte er Kala, die mit ihrem Säugling von der Futtersuche kam. Sie wusste nicht von der Wut des gewaltigen Männchens, bis sie schließlich durch die schrillen Rufe ihrer Kameraden gewarnt wurde und nun auch ihr Heil in wahnsinniger Flucht suchte.
Aber Kerschak war ihr so nahe auf den Fersen, dass er sie beinahe beim Fuß erwischt hätte, wenn sie nicht von einem Baum auf einen anderen weit davonstehenden gesprungen wäre, — ein Wagnis, das Affen nur in der größten Gefahr, in der es keinen anderen Ausweg mehr gibt, unternehmen. Der Sprung gelang ihr, aber als sie den Ast des Baumes erfasste, lockerte sich durch die plötzliche Erschütterung der Halt des kleinen Säuglings, und sie sah, wie dieser dreißig Fuß tief hinunterfiel.
Mit lautem Brüllen kletterte Kala schleunigst hinunter, der Gefahr, die ihr von Kerschak drohte, jetzt nicht mehr achtend, aber als sie das winzige verstümmelte Ding aufhob, war es schon tot.
Stöhnend legte sie den Leichnam neben sich. Kerschak belästigte sie nicht mehr. Mit dem Tode des Kleinen war der Anfall von teuflischer Wut so schnell verraucht, wie er über ihn gekommen war.
Kerschak war ein riesiger König unter den Affen; er wog wohl an die dreihundertundfünfzig Pfund. Seine Stirn war außerordentlich niedrig und zurücktretend, seine Augen waren blutunterlaufen, schmal und nahe über seiner groben flachen Nase liegend; seine Ohren waren groß und dünn, aber schmäler als die seiner Art.
Sein schrecklicher Zorn und seine gewaltigen Kräfte hatten ihm die Herrschaft über seinen Stamm verschafft, dem er vor etwa zwanzig Jahren entsprossen war.
Da er jetzt im besten Alter stand, hätte keiner seinesgleichen im großen Walde, den er durchstreifte, es gewagt, ihm sein Herrscherrecht streitig zu machen. Er wurde nicht einmal von den anderen größeren Tieren belästigt.
Nur der alte Tantor, der Elefant, fürchtete ihn nicht, und vor ihm allein hatte Kerschak Respekt. Wenn Tantor trompetete, floh der große Affe mit seinen Kameraden auf die höchsten Bäume.
Der Stamm der Menschenaffen, über den Kerschak mit eisernen Händen herrschte, zählte sechs bis acht Familien, von denen jede aus einem erwachsenen Männchen mit seinen Frauen und Jungen bestand. Es waren im Ganzen sechzig bis siebzig Affen.
Kala war das jüngste Weib eines Männchens namens Tublat, das heißt »gebrochene Nase«, und das Kind, das durch den Absturz zerschmettert worden war, war ihr erstes, denn sie war erst neun oder zehn Jahre alt.
Trotz ihrer Jugend war sie groß und stark, ein prächtiges, wohlgebautes Tier mit einer runden, hohen Stirne, die auf mehr Intelligenz schließen ließ, als sie die meisten ihrer Art besaßen. Sie war denn auch einer größeren Mutterliebe fähig.
Aber sie war immerhin ein Affe, ein riesiges, wildes, schreckliches Tier, das den Gorillas nahe verwandt war, wenn auch klüger als diese.
Als die einzelnen Mitglieder des Stammes sahen, dass Kerschaks Raserei nachgelassen hatte, kamen sie langsam aus ihren Zufluchtsorten in den Bäumen herbei und gingen wieder ihrer Beschäftigung nach.
Die Jungen spielten und scherzten zwischen den Bäumen und Sträuchern umher. Von den Erwachsenen lagen einige auf der weichen Matte abgestorbener Pflanzen hingestreckt, während andere über herabgefallene Äste und über Erdschollen turnten, um nach kleinen Käfern und Reptilien zu suchen, die einen Teil ihrer Nahrung bildeten. Andere wieder suchten in der Umgebung die Bäume nach Obst, Nüssen, kleinen Vögeln und Eiern ab.
Nachdem sie auf diese Weise eine Stunde verbracht hatten, rief Kerschak sie alle zusammen und befahl ihnen, ihm zu folgen.
Jetzt hieß es: Fort zur See hinunter!
Sie gingen zumeist aus der Erde, und folgten dem Weg, den die großen Elefanten durch das Dickicht der Bäume, Sträucher und Schlingpflanzen gebrochen hatten. Ihr Gehen war eine rollende, unbeholfene Bewegung, indem sie die Knöchel ihrer geschlossenen Hände auf den Boden setzten und ihren plumpen Körper vorwärts schwangen. Wenn aber der Weg zwischen niederen Bäumen hindurchführte, bewegten sie sich schneller, indem sie sich von Ast zu Ast mit der Gewandtheit ihrer Vettern, der kleinen Kletteraffen, schwangen.
Auch Kala war bei der Truppe, und sie trug den ganzen Weg ihr kleines, totes Kind fest an ihre Brust gedrückt.
Es war kurz nach Mittag, als sie eine Anhöhe erreichten, von wo sie den Strand übersehen konnten, an dem die Hütte lag.
Dorthin führte sie Kerschak!
Er wollte das Geheimnis ergründen, das diese Wohnung barg. Mehr als einmal hatte er gesehen, dass einer seines Stammes dort getötet wurde. Da drinnen war nämlich ein merkwürdiger weißer Affe; der hatte einen seltsamen schwarzen Stock, und wenn er diesen in die Hand nahm, gab es einen lauten Knall und dann blieb einer tot liegen. Kerschak wollte sich dieses todbringende Werkzeug aneignen und das Innere dieses geheimnisvollen Baues erforschen. Das musste ein wunderliches Tier sein, das da drinnen hauste. Er hasste es und hätte es gern in den Hals gebissen. Aber er fürchtete es auch, und deshalb kam er oft mit seinem Stamme dorthin auf Kundschaft. Er wollte eine Zeit abwarten, wo der Weiße nicht auf seiner Hut wäre.
Aber noch jedes Mal hatte er Pech gehabt. Sobald er sich mit seinen Angehörigen zeigte, erschien auch der Weiße mit seinem Stock und tötete irgendeinen von ihnen.
So hatte Kerschak es allmählich aufgegeben, einen Angriff zu wagen oder auch nur sich zu zeigen.
Nun war er gespannt, wie es heute gehen würde.
Der Weiße war nirgends zu erblicken. Kerschak wanderte mit seinen Angehörigen um die Hütte.
Als sie sahen, dass die Tür offen stand, krochen sie langsam, vorsichtig und geräuschlos heran. Da gab es kein Knurren und keine Wutschreie, denn sie durften den schwarzen Stock nicht wecken.
Sie kamen näher und näher, bis Kerschak selbst an der Tür war und heimlich hineinguckte. Hinter ihm waren zwei Männchen und dann Kala, die ihr totes Kleines noch immer fest an ihre Brust drückte.
In der Hütte sahen sie den seltsamen weißen Affen halb über dem Tisch liegen, die Arme um den Kopf gestreckt, und auf dem Bette lag eine mit einem Segeltuch bedeckte Gestalt, während von einer kleinen, einfachen Wiege das Wehklagen eines Säuglings herkam.
Kerschak war geräuschlos eingetreten und hielt sich zum Angriff bereit.
Da erhob sich John Clayton plötzlich und sah ihn an.
Er wurde starr vor Schrecken bei dem Anblick, der sich ihm bot: innerhalb der Tür standen drei große Affen, und hinter ihnen kamen deren noch mehr zum Vorschein, — wie viele, wusste er nicht.
Clayton sah, dass er verloren sei, denn seine Revolver und seine Gewehre hingen weit hinten an der Wand, und Kerschak ging zum Angriff vor.
Der riesige Affe stürzte sich auf den Wehrlosen, umfasste ihn und erdrückte ihn. Es war das Werk einer Minute.
Als er den schlaffen Körper des Leblosen losließ, wandte er seine Aufmerksamkeit der kleinen Wiege zu. Dabei kam Kala ihm aber zuvor. Das Wimmern des Säuglings hatte in ihrer Brust die Gefühle der Mutterschaft geweckt, und da sie diese an ihrem toten Kinde nicht mehr stillen konnte, ließ sie dieses in die Wiege fallen und nahm dafür den lebenden Säugling der Alice Clayton.
Als Kerschak das Kind ergreifen wollte, hatte sie es ihm schon weggeschnappt, und ehe er dazwischen fahren konnte, war sie zur Tür hinausgerannt und auf einen hohen Baum geflüchtet.
Hier liebkoste sie das schreiende Kind an ihrem Busen, und der Instinkt, der in diesem wilden Weibchen ebenso vorherrschte, wie in der Brust der zarten, schönen Mutter, der Instinkt der Mutterliebe, erstreckte sich auch auf das kleine Menschenkind.
Der Hunger hob allen Unterschied auf, und so wurde der Sohn eines englischen Lords und einer englischen Lady an der Brust von Kala, der großen Äffin, genährt.
Inzwischen untersuchten die Affen vorsichtig den Inhalt des Hauses, in das sie eingedrungen waren.
Als Kerschak sich von dem Tod Claytons überzeugt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit der Gestalt zu, die auf dem Bette lag und mit einem Stück Segeltuch bedeckt war. Bedächtig hob er einen Zipfel des Leichentuches auf, aber als er den Körper der Frau darunter sah, riss er das Tuch mit einem Ruck von ihr weg und packte den stillen weißen Hals mit seinen riesigen behaarten Händen an.
Einen Augenblick drückte er seine Finger tief in ihr kaltes Fleisch ein, aber als er erkannte, dass sie schon tot sei, ließ er von ihr ab, um den Inhalt des Zimmers zu mustern.
Das Gewehr an der Wand zog zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich. Das war jener seltsame, todbringende Donnerstock, den er nun schon seit Monaten in der Hand des weißen Affen gesehen hatte und dessen er sich so gern bemächtigt hätte, und nun, da er ihn ergreifen konnte, hatte er nicht den Mut, ihn anzufassen.
Vorsichtig näherte er sich dem Ding, jeden Augenblick bereit, zu fliehen, sobald das Mordwerkzeug losgehen würde. Er erinnerte sich noch sehr wohl, welch lauten Knall es von sich gab, wenn der wunderbare weiße Affe sich seiner bediente, sobald er angegriffen wurde, und wie dann jedes Mal einer seines Stammes tot zurückblieb.
Ein dunkles Bewusstsein sagte ihm allerdings, dass der Donnerstock nicht von selbst losgehe und dass er nur gefährlich wurde, wenn einer ihn in die Hand nahm.
Dennoch wagte er nicht, ihn zu berühren. Er ging vielmehr auf und ab, drehte dabei den Kopf, aber so, dass er den Gegenstand seiner Wünsche nicht aus dem Auge verlor. Der große König der Affen gebrauchte seine langen Arme, wie ein Mensch sich der Krücken bedient; bei jedem Schritt rollte er seinen schweren Rumpf weiter, knurrte oder stieß auch einen jener ohrenbetäubenden Schreie aus, die das Schreckenerregendste im ganzen Dschungel waren.
So ging er auf und ab.
Auf einmal machte er Halt vor dem Gewehr. Langsam streckte er die Hand danach aus, bis er den glänzenden Lauf beinahe berührte, zog sie abermals zurück und setzte seine eiligen Schritte im Zimmer fort.
Und doch schien es, als ob das große Tier zeigen wollte, dass es keine Furcht kenne und durch sein wildes Brüllen seine Wut bis zu dem Punkte steigern wolle, dass es das Gewehr in die Hand zu nehmen wagte.
Abermals blieb Kerschak stehen, und diesmal gelang es ihm, seine widerstrebende Hand an den kalten Stahl zu führen, um sie aber augenblicklich wieder zurückzuziehen.
Von Zeit zu Zeit wiederholte er diesen seltsamen Griff, aber jedes Mal mit wachsendem Vertrauen, bis er schließlich das Gewehr vom Nagel herunterriss.
Da er sah, dass ihm kein Leid geschah, untersuchte er es genauer und befühlte es von einem Ende zum anderen, schaute in die schwarze Mündung hinein, betastete das Visier, den unteren Teil, den Schaft und schließlich den Hahn.
Während er so mit der Waffe hantierte, saßen die anderen Affen, die mit ihm hereingekommen waren, in der Nähe der Tür zusammengedrängt und beobachteten ihren Herrn, während die da draußen sich drückten und drängten, um wenigstens etwas von dem zu erblicken, was da drinnen vorging. Plötzlich bewegte Kerschak den Hahn. Da gab es einen fürchterlichen Knall in dem kleinen Raum, und die Affen, die innerhalb und außerhalb der Tür waren, stolperten einer über den anderen in wilder Angst davon.
Kerschak war ebenfalls erschrocken und zwar so sehr, dass er ganz vergaß, dieses merkwürdige Ding, das den schrecklichen Knall von sich gegeben hatte, beiseite zu werfen, und dass er, es fest in der Hand haltend, zur Tür hinauspolterte.
Beim Hinausstürmen stieß er mit dem Gewehr an die offene Tür, sodass sie hinter ihm zuflog.
Als Kerschak in kurzer Entfernung von der Hütte Halt machte, ließ er das Gewehr fallen, als ob es ein Stück heißen Eisens wäre. Er versuchte auch nicht mehr, es aufzuheben. Der Knall war für die Nerven des wilden Tieres zu fürchterlich gewesen. Aber er war nun überzeugt, dass der schreckliche Stock ganz harmlos sei, wenn man ihn in Ruhe ließ.
Es verging eine Stunde, bis die Affen es wagten, sich wieder der Hütte zu nähern, um ihre Nachforschungen fortzusetzen, aber zu ihrem Leidwesen fanden sie, dass die Tür geschlossen war und dass sie nicht imstande waren, sie zu öffnen.
Die geschickt gearbeitete Klinke, die Clayton an der Tür angebracht hatte, war nämlich zugeklappt, als Kerschak hinausstürzte. Die Affen wussten auch nicht, wie sie sich durch die stark vergitterten Fenster Zutritt verschaffen könnten. Nachdem sie eine Weile um die Hütte herumgestreift waren, zogen sie sich in das Dickicht zurück, um wieder zum höher gelegenen Land zu wandern, von wo sie hergekommen waren.
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