DER ELEGANTE MR. EVANS

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Der Müller stellte einige separate Nachforschungen an, traf (nach Absprache und in einer dunklen, kleinen Seitenstraße) einen bestimmten Herrn und stattete der Little Stibbington Street Nr. 930 noch um Mitternacht einen Besuch ab. Dies tat der Müller nicht, um sich nach Lee’s Gesundheit zu erkundigen, auch war es kein Freundschaftsbesuch im engsten Sinn des Wortes. Mrs. Lee war bereits im Bett und öffnete die Tür, bekleidet mit einem Hemd, einem Schal, einer Schürze und sie machte dazu ein sehr überraschtes Gesicht. Etwas später hörten sich ihre Beteuerungen und Schwüre wie die Sprache eines Psalmisten an – denn sie war vorgeblich eine echte und wahre Ehefrau.

»Und wenn ich niemals mehr von dieser Türschwelle wegkomme, Mr. Miller, und ich bin eine gottesfürchtige Frau, die schon viele Jahre zur Presbyter Kirche in der Stibbington Street geht, und wenn ich in dieser Minute tot umfalle, mein guter alter Mann hat wegen seines Rheumas dieses Haus seit drei Tagen nicht verlassen. Ohne zu lügen, er kann sich nicht aus dem Bett bewegen, und Sie wissen doch, Mr. Miller, ich habe Sie noch nie belogen, stimmt’s? Antworten Sie mir – ja oder nein?«

»Lassen Sie mich mit Modder reden«, antwortete der Müller geduldig.

»Der ist so krank, der würde Sie gar nicht erkennen, Mr. Miller«, blieb sie hartnäckig und erregt (bei der Nachbarschaft, die sicherlich zuhörte, wäre sie unten durch gewesen, hätte man ihr diese dem Augenblick angepasste Erregung nicht anmerken können). »Ich hab’ es schon tagelang nicht mehr geschafft, ihm seine Schuhe anzuziehen. Er ist im Delirium, so wahr Gott mein Richter ist! Er kennt niemanden und dazu kommt – er hat die Masern oder so was – und Sie mit Frau und Familie!«

»Ich habe die Masern schon gehabt, aber noch keine Frau oder Familie«, erwiderte der Müller gutmütig.

»Er wird Sie nicht erkennen.« Zögernd öffnete die Tür sich ein wenig.

»Vorsicht, wo Sie gehen – da steht ein Kinderwagen im Durchgang, und der junge Mieter von oben hat da immer etwas Wäsche zum Trocknen hängen...«

Nasse und halb getrocknete Hemden flatterten dem Detektiv durchs Gesicht, als er sich in dem schwachen Licht einer kleinen Öllampe seinen Weg zu dem Hinterzimmer bahnte.

Beim Eintreten hörte er ein tiefes Stöhnen. Und da lag Lee in seinem Bett, mit einem geistesabwesenden, wilden Blick.

»Er erkennt Sie nicht«, sagte Mrs. Lee und wischte sich mit ihrer Schürze das Gesicht ab. Wie zur Unterstützung ihrer Behauptung öffnete Modder den Mund und sprach mit schwacher Stimme. »Bist du es, liebe Mutter?«, stammelte er. »Oder sind es schon die Engel?«

»Das macht er schon seit Tagen so«, sagte Mrs. Lee mit großer Befriedigung.

»Ich höre so eine schöne Musik«, sagte der phantasierende Modder. »Es hört sich an wie eine Harfe!«

»Eine walisische Harfe«, sagte der Müller verächtlich. »Jetzt komm aus deiner Trance heraus, Lee, und folge mir auf die Wache – der Inspektor will mit dir reden.«

Mrs. Lee zitterte.

»Wollen Sie wirklich einen Sterbenden aus seinem Bett holen?«, fragte sie bitter. »Wollen Sie nachlesen, wie Sie im ‚John Bull’ bloßgestellt werden?«

»Gott bewahre!«, sagte der Müller und zog mit einer geschickten Handbewegung dem Invaliden die Bettdecke weg. Er war vollständig bekleidet, einschließlich der Stiefel, und zwischen seinen Hosenbeinen lag ein Satz Pferdegeschirr von unschätzbarem Wert.

»Das ist unsere Polizei«, sagte Lee und stand ohne fremde Hilfe auf. »Hier gibt es einen Spitzel in der Nachbarschaft«, sagte er leidenschaftslos. »Wenn ich den je finden sollte, reiße ich ihm die Leber raus. Und die Lunge«, fügte er hinzu, als er sich ganz kurz an solch wichtige Organe erinnerte.

Es war sein neunter Gesetzesverstoß und Lee wusste, dass er für einen Platz in jenem Landhaus in Devon nahe des Dart-Flusses und den Golfplätzen von Tavistock vorgemerkt war.

Nachdem sie ihre Position als wahre und treue Ehegefährtin verteidigt hatte, kehrte Mrs. Modder Lee zu dem ehrbaren Status der anständigen Frau zurück. Der Müller sah sie mit dem rothaarigen Untermieter aus einem Kino kommen und sie trippelte schüchtern auf ihn zu, mit einem Lächeln auf ihrem zweifellos attraktiven Gesicht. Der Müller sagte immer, wenn sie das Gespür hätte, im richtigen Moment den Mund zu halten, hätte man sie für eine Französin halten können. Er präzisierte seine Anschauung von einer Französin, aber die Beschreibung kann nicht in einem Buch gedruckt werden, das auch von Jugendlichen gelesen wird.

»Oh, Mr. Challoner, ich schulde Ihnen in der Tat noch eine Entschuldigung für all die unfreundlichen Dinge, die ich gesagt habe«, meinte sie mit ihrer affektierten Stimme; »aber eine Ehefrau muss zu ihrem Mann halten, wo kämen wir denn sonst hin, wenn ich so sagen darf?«

»Ist schon gut, Mrs. Lee«, lächelte der Müller und schaute zu ihrer Begleitung. »Wie ich sehe, kümmert sich Vennett um Sie.«

Mrs. Lee begann mit einer Lobeshymne. »Er ist ja immer schon so gut zu mir und den Kindern gewesen«, sagte sie. »Er hat ein bisschen Geld und hat auch nichts dagegen es auszugeben – Sie glauben ja gar nicht, wie gut er zu mir gewesen ist, Mr. Challoner!«

»Ich kann es mir vorstellen«, sagte der Müller.

Der Müller war ein Philosoph. Im Rahmen seiner beruflichen Möglichkeiten konnte er durchaus eine Situation verstehen, die ihn wahrhaftig krank machte, wenn er darüber nachdachte. Eines Morgens traf er Educated Evans an der Ecke Bayham Street und dieser gebildete Mann trug einen Ausdruck des Friedens und der Zufriedenheit zur Schau, der so gar nicht zu seinem Ruf als der Welt erster Turfratgeber passen wollte. Denn Educated Evans hatte seinen Kunden Tipps für drei Pferde geschickt, von denen zwei als Vierter und Fünfter und das dritte sogar als absolut letzter eingekommen waren; soweit des Müllers Informationsstand.

»Es hat keinen Zweck, mit mir zu reden, Mr. Challoner«, sagte Educated Evans bestimmt. »Meine Information besagte, dass ‚Rhineland’ auch im Rückwärtslaufen gewinnen konnte. Er wurde schlecht geritten, den Sportberichten nach, und meine eigene Meinung dazu ist, dass der Jockey überhaupt nichts versucht hat.«

»Wenn ‚Statesman’ nicht gewinnt...« begann der Müller drohend und Evans’ Gesicht verfärbte sich.

»Sie wetten doch nicht auf ‚Statesman’, oder?«

»Ich habe schon«, sagte der Müller und Evans stöhnte auf.

»Dann haben Sie Ihr Geld verloren«, erwiderte er resigniert.

Der Müller runzelte die Stirn.

»Ich traf Ginger Vennett und er sagte mir, du habest ihm den Tipp gegeben als den besten dieses Jahrhunderts; weiter hast du ihm gesagt, dass du den Tipp von seinem Besitzer habest und er, Ginger, solle jeden Farthing (¼-Penny; d.Ü.),den er auftreiben könnte, auf dieses Pferd setzen. Was steckt dahinter, Evans?«

»Dahinter steckt«, antwortete Evans betont und mit sehr bewegter Stimme, »dass ich diesen Spitzel dahin kriegen will, wo er hingehört – in die Gosse!«

Der Müller schnappte nach Luft.

»Du willst mir also sagen, dass du ihn eingewickelt hast.«

»Jawohl«, antwortete Evans wild. »Er hat seine gesamten Ersparnisse auf ‚Statesman’ gesetzt, der seit einem Monat keinen Galopp mehr hingekriegt hat. Wenn Sie nun mit ihm zusammen in der Falle sitzen, tut mir das sehr leid, Mr. Challoner; aber ich habe für Sie einen Tipp für Samstag, der nicht verlieren kann, es sei denn, man zieht ein Seil quer über die Strecke, um ihn zu Fall zu bringen.«

Der Müller rannte zum nächsten Telefon und rief Mr. Isaacheim an.

»Challoner spricht, Isaacheim«, sagte er. »Diese Wette, die Sie für ‚Statesman’ angenommen haben – ich denke, die wird annulliert.«

»In Ordnung, Mr. Challoner«, sagte Isaacheim verbindlich. »Ich selbst halte auch nicht viel von ihm: das Pferd ist einen Monat lang nicht mehr galoppiert und Educated Evans sagte mir...«

»Ich weiß, was der Ihnen erzählt hat«, sagte der Müller; »aber wir verstehen uns dahin, dass diese Wette vom Tisch ist.«

Am späten Nachmittag kaufte der Müller eine Abendzeitung und suchte dort die letzten Meldungen. Und das erste, was er sah: »Statesman« hatte gewonnen!

Als er später am Abend den Preis von 25 : 1 erfuhr, suchte er Educated Evans auf und fand einen traurigen Mann vor, der dem Weinen nahe war.

»Ich habe mein Bestes versucht. Es hat keinen Zweck, mit mir einen Streit anzufangen, Mr. Challoner«, sagte er.

»Ginger war soeben hier und gratulierte mir, erzählte aber nicht, dass er etwa vergessen hatte zu wetten, und das ist so ziemlich das Letzte, was ich ertragen kann. Das einzige, was ich Ihnen jetzt sagen kann, setzen Sie nicht auf ‚Blazing Heavens, in dem Rennen morgen um 14.30 Uhr. Weil ich den Tipp an Ginger gebe, und ich bat ihn, als Mann und Sportsmann, niemand davon zu erzählen und das letzte Hemd auf das Pferd zu setzen. Rache«, so fuhr er fort, »widerstrebt eigentlich meiner Natur. Aber ein Spitzel bleibt nun mal ein Spitzel, und wenn ich Ginger nicht fertigmache, dann bin ich ein ungebildeter Mensch – der ich selbstverständlich nicht bin«, fügte er bescheiden hinzu.

Seinen Instruktionen folgend, nahm der Müller davon Abstand, auf ‚Blazing Heavens’ zu wetten und unter keinen Umständen einen roten Heller in ein Pferd zu investieren, das um 21 Pfund schlechter dran war als »Lazy Loo«. Und »Blazing Heavens« gewann das Rennen. Sein Preis belief sich auf 100 zu 6. Ginger schickte einen Botenjungen mit einem Zehn-Shilling-Schein zu Educated Evans und bat gleichzeitig um dessen Fünf-Pfund-Special für den nächsten Tag.

Educated Evans saß bis tief in die Nacht, analysierte und prüfte das Programm des folgenden Tages und entdeckte endlich ein Rennpferd, das nicht nur 14 Pfund mehr zu tragen hatte. Vielmehr freute ihn, dass Sportreporter, die für gewöhnlich immer etwas Positives über jedes Pferd sagten, es mit der Zeile abtaten: »Er hat im Tilbury Verkaufsrennen keine Chance.«

 

Dazu sah er noch einen Absatz in der folgenden Morgenzeitung, wonach »Star of Sachem« – so lautete der hochtrabende Name für diesen pferdeähnlich behaarten Körper – zu Fuß zum Meeting geführt wurde, weil sein Besitzer meinte, er sei den Transport per Bahn nicht wert.

Ginger kam auf einen Besuch bei Evans vorbei; er trug eine neue Goldkette und zwei erstklassige, diamantenähnliche Ringe, einen neuen Hut und eine neue Krawatte in schreienden Farben.

»Morgen, Evans«, sagte er munter beim Eintreten. »Ich dachte, ich komme Sie mal besuchen. Ich und mein Schatz fahren an die See wie jedes Jahr.« »Ha-ha«, machte Evans.

«Sie haben mir einen richtigen Gefallen getan, alter Junge.« Der Spitzel legte seine große Hand sanft auf Evans’ Schulter. »Aber ich hätte es gerne noch etwas besser. Geben Sie mir einen hundertprozentigen Tipp, ich setze dann jedes Pfund, das ich habe, und Sie sind mit einem Fünfer dabei. Ist das fair?«

»Das ist fair«, sagte Evans, innerlich etwas Hoffnung schöpfend.

»Wenn wir gewinnen, kaufe ich mir ein kleines Gasthaus in Kensington«, sagte Ginger. »Mein Schatz lässt sich von ihrem Mann wegen seelischer Grausamkeit und böswilligem Verlassen scheiden; außerdem hat er etwas mit dem Mädchen in dem Süßwarenladen; die beiden Kinder kommen in ein Heim und das war’s dann. Sie sehen also, Evans, Sie tragen ein bisschen Verantwortung mit.«

»So ist es«, sagte Evans tapfer; »als Mann mit großer und langer Erfahrung stimme ich zu und in der Sprache des Lord Wellington bei der Schlacht von Waterloo tue ich nur meine Pflicht – ‚Star of Sachem’«, sagte er langsam, bedächtig und mit angemessener Betonung, »kann heute Nachmittag im Tilbury Handicap nicht geschlagen werden. Wenn man dieses Pferd mit der Axt erschlagen wollte, könnte es immer noch schneller kriechen als andere rennen. Ich habe den Tipp von dem Pfleger, der sich um ihn kümmert. Man hat ihn mit der Stoppuhr getestet und er ist trotz 21 Pfund besser als ‚Ormonde’. Er ist auf die Meile gesehen ein klein wenig schneller und er hält durch. Wenn Sie nichts dagegen haben, nehme ich die fünf Pfund als Vorschuss, weil ich einen verlässlichen Buchmacher kenne und Sie würden vielleicht ihren Gewinn nicht ausgezahlt bekommen.«

Mr. Vennett handelte ihn bis auf drei Pfund zehn Shilling herunter; und so wundersam es schien, ‚Star of Sachem’ riss aus dem Feld aus und gewann mit drei Längen. Gestartet war er mit 20 zu 1.

Im dritten Rennen setzte Educated Evans seinen Fünfer. Er hatte ihn von einem Mann erhalten, der den Eigentümer eines Gasthauses kannte, wo der Besitzer stets sein Mittagessen einnahm, das ihm grundsätzlich in einem Humpen serviert wurde. Es ging auf das Wochenende zu, als Mrs. Lee bei der Polizeiwache vorsprach und das Glück hatte, den Müller beim Verlassen des Gebäudes anzutreffen. Ihre Augen waren rot unterlaufen und sie zitterte in echter Entrüstung.

»Dieser Kerl, Ginger Vennett«, begann sie ohne Einleitung, »ist mit dem Mädchen aus dem Süßwarenladen durchgebrannt und ich will, dass er geschnappt wird, weil er für sie meinen Ehering geklaut hat. Von allen schmutzigen, verlogenen, falschen, meineidigen Hunden ist er der schlimmste! Er ist ein Zinker, ein Spitzel – Müller, Sie wissen das! Hat er mir nicht erzählt, er habe Modder verzinkt? Ich darf nicht daran denken, dass ich sozusagen eine Viper an meinem Busen genährt habe – wenn Sie diesen Ausdruck entschuldigen wollen; aber jetzt ist nicht die Zeit für falsche Bescheidenheit! Dieser Gedanke daran, was ich alles für diesen Mann getan habe, wie ich ihm mein eigenes Zimmer überlassen habe, ihm das beste Essen gegeben habe, wenn er pleite war. Und mein armer, lieber Ehemann im Devon-Moor, dem es wegen seiner lieben armen Frau und der lieben unschuldigen Kinder das Herz zerreißt...«

Die wenigen Worte, die der Müller einflechten konnte, führten lediglich dazu, dass Mrs. Lee jetzt erst recht an den Rand der Hysterie geriet. Educated Evans war in keineswegs besserer Verfassung, als der Müller ihn traf.

»Man sagt, er hat 2.200 Pfund von Isaacheim bekommen«, sagte Educated Evans mit zitternder Stimme. »2.200 – du lieber Himmel! Und ich gab ihm den Tipp! Alles, was ich zurückbekam, waren vier Pfund und zehn Shilling davon waren auch noch falsch! Ich bekam heute Morgen von ihm ein Kabel aus Margate und er will wissen, wer den Brighton Cup gewinnen kann.«

»Und ich wage es nicht, ihm den Tipp zu schicken, Mr. Challoner«, sagte er ernst; »ich wage es einfach nicht aus Angst, das verdammte Biest könnte gewinnen! Es gibt da ein Pferd, das würde einen Herzkollaps kriegen, wann das Rennen zu schnell wird; aber wenn ich den Tipp an Ginger schicke, gewinnt es das Rennen ganz allein!«

»Versuch es trotzdem«, sagte der Müller eindringlich. »Diese Frau sagt, er glaubt dermaßen fest an dich, dass er alles tut, was du ihm sagst.«

Also schrieb Evans ein Kabel mit dem Text:

Little Sambo ist im Brighton Cup absolut unschlagbar. Beachten Sie keine anderen Notizen auf dem Markt. Keine Angst; machen Sie Ihr Glück und vergessen Sie Ihren alten Kumpel nicht, Educated Evans.

Um drei Uhr nachmittags, als die Ergebnisse eintrafen, standen der Müller und Evans Seite an Seite an der Ecke der Tottenham Court Road – mitten in des Müllers Zuständigkeits-bereich. Zwei Zeitungsjungen kamen gleichzeitig, Evans schnappte sich den ersten und öffnete in fieberhafter Eile die Zeitung – ‚Little Sambo’ war nicht platziert!

»Erwischt!«, trompetete Evans triumphierend.

Der Müller schaute in seine Zeitung. Er las die ‚Evening News’, Evans hatte den ‚Star’.

»Was meinst du mit erwischt?«, fauchte der Müller und las:

»Alle Teilnehmer waren am Start, außer ‚Little Sambo!’«

Kapitel 5: Mr. Kirz kauft ein Fünf-Pfund-Special

In der innersten Westentasche, zweifach zugeknöpft, verwahrte Mr. Jan Kirz eine Fünf-Pfund-Note.

Später ging er etwas sorgloser damit um und trug sie zusammengefaltet in der äußeren Tasche derselben Weste. Er wäre gut beraten gewesen, den Schein zu verbrennen, da einige der schottischen Buchmacher das Wettgeld ihrer Kunden zu verbrennen pflegen, wenn die Pferde, auf die sie gesetzt hatten, einen großen Preis gewannen. Aber er war knauserig und der Anblick eines verbrennenden Fünfers hätte ihm das Herz gebrochen.

Mr. Jan Kirz war zu seiner Zeit gleichzeitig Amerikaner, Holländer, Schweizer und Russe. Sein Geburtsort war nicht bekannt; aber es stimmte, dass er während des Krieges viele Monate im Alexandra Palace gewohnt hatte, als die Behörden endlich das Geheimnis seiner Herkunft herausfanden. Am Ende wurde er entdeckt und dazu verdonnert, sich in regelmäßigen Abständen bei der nächsten Polizeiwache zu melden.

Während dieser konfliktreichen Zeit wurde fast jede Woche berichtet, dass man ihn im Tower erschossen habe. Einem Fischhändler in der High Street, der wegen seiner sportlichen Verbindungen mit bestimmten Größen im West End auf du und du stand, hatte man (ein Stellvertreter des Kommandeurs der Militärpolizei) eine Patronenhülse mit eingraviertem »Kirz« gezeigt. Als nun Mr. Kirz nach Camden Town kam und keinerlei Anzeichen einer Exekution vorweisen konnte, machte sich allenthalben große Enttäuschung breit.

Immer schon ein reicher Mann, der Besitzer eines schönen Hauses in Mornington Gardens dazu, häufte er mit den Jahren weiteren Reichtum an und war einer der treuesten, gleichzeitig aber auch unzuverlässigsten Kunden des Educated Evans.

Denn eine eigenartige Fügung des Schicksals wollte es so, dass er immer nur auf die Verlierer setzte, die der gebildete Mann ihm als Tipp schickte.

»Ah, mein armer Effens«, meinte Mr. Kirz sorgenvoll, als er den gebildeten Mann einmal traf – Evans hatte sich an der Ecke von Mornington Gardens so aufgestellt, dass man ihn nicht verpassen konnte – »Sie gaben mir den Tipp mit ‚Colly Eyes’ und ich habe es nicht geschafft! Fünf Minuten vor dem Rennen hatte ich noch daran gedacht und es dann glatt vergessen! Ach! Das ist verdammtes Pech! Und danach setzte ich auf zwei von Ihren Verlierern!«

Evans war natürlich leicht verärgert darüber, denn er hatte mit Mr. Kirz eine Vereinbarung getroffen, wonach er ein Pfund von jeder Wette seines Gönners für sich halten durfte.

»Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass es eigenes Versäumnis Ihrerseits ist, um einen geläufigen Ausdruck zu verwenden, Mr. Kirz«, sagte er, »aber ich muss auch leben. Und meine Informanten kosten Geld. Ich bekam diesen Tipp von dem Jungen, der ihn versorgt, und das kostet mich eine Stange Geld. Ich habe mein Büro zu unterhalten, habe Werbekosten und dies und jenes...«

»Mein armer Effens!«, sprach Mr. Kirz mitfühlend, ein dicker Mann mit kurzem Haarschnitt und einer starken Neigung zu Asthma, »das ist ja schrecklich! Aber beim nächsten Mal, wenn Sie mir einen Tipp geben, können Sie zwei Pfund von der Wette behalten!«

Und Evans hatte sich zu bescheiden.

Mr. Kirz war Drucker und Schreibwarenhändler von Beruf. Sein Laden war bekannt als »Die preiswerte Old England Druckerei«, womit er in Sachen Sport ein beachtliches Geschäft betrieb, obwohl man seinen Geschäftsstempel nur sehr selten auf seinen Druckerzeugnissen finden konnte. Hamburger und andere Philanthropen aus dem Ausland, welche eifrig bestrebt waren, die britische Öffentlichkeit in einem unglaublichen Ausmaß zu fördern, fanden in ihm einen willfährigen Helfer. Er spezialisierte sich auf Lotterie-Anzeigen und betrügerische Pferdelotterien nebst anderen Dokumenten illegaler Natur und Herkunft.

Jedermann in Camden Town wusste dies ebenso wie auch die Polizei, die in seiner »Old England Druckerei« überraschende Razzien durchführte. Aber zwischen zwei Maschinen, die er zum Drucken benötigte, gab es eine quadratische Öffnung in der Wand, die jeder als einen kleinen Service-Aufzug ansah. Und beim ersten Anzeichen von Ärger, der auf ihn zukam, wurde jedes bedruckte Stück Papier samt seiner Mater in diese Öffnung geworfen und fiel bis zum Keller durch. Dort wartete ein großer Ofen, der Sommer wie Winter zur Warmwasserbereitung unter Dampf gehalten wurde.

Und darüber war die Polizei nicht informiert –tatsächlich wusste es wirklich niemand bis auf drei Schriftsetzer, deren Namen alle auf«ski« endeten (Mr. Kirz produzierte eine russische Zeitung) und drei weitere Buchdrucker, deren Namen seltsamerweise auf »heim« endeten. Und so wurde Mr. Kirz ein reicher Mann, denn zusätzlich hatte er noch einen einträglichen Nebenerwerb:

Eines Morgens meldete sich der Müller bei Mr. Kirz in dessen hübscher und palastähnlicher Residenz, und da er kein Freund vieler Worte war, kam er auch sofort zur Sache.

»Mir Kirz, Sie haben doch des Öfteren Kontakt zu all diesen hinterlistigen Barbaren in London; wer macht eigentlich all dieses Falschgeld?«

Er benutzte den amerikanischen Ausdruck für »Falschmünzerei«, weil Mr. Kirz ursprünglich aus den Vereinigten Staaten kam.

»Falschmünzerei ist ganz schlecht.« Mr. Kirz schüttelte in ernster Besorgnis den Kopf. »Das ist eines der schrecklichsten Dinge, die ein Mensch tun kann. Es nagt an den Wurzeln des gegenseitigen kommerziellen Vertrauens«.

»Wir wollen hier nicht die hohe Finanzpolitik diskutieren«, beschwor der Müller. »Wo kommt das Ganze her? Sie sollten es eigentlich wissen; Sie fabrizieren mehr Fälschungen als jeder andere und haben jede Menge Dreck am Stecken. Der dänische Lotterieprospekt war Ihre letzte Unternehmung. Nun kommen Sie schon raus damit, Kirz! Wer ist der nette Herr, der überall Fünfer Noten mit der Nummer B/70 92533 verteilt?«

»Das weiß der liebe Gott«, sagte Mr. Kirz. »Ich hatte schon öfter den Gedanken, dass Educated Evans so was macht – er hat doch so einen ruhigen Platz in Bayham Mews, nicht? Er geht zum Rennplatz, wo man leicht Geld wechseln...«

»Educated Evans ist nicht der Typ für solche Dinge«, sagte der Müller ruhig; »es muss einer aus dem West End sein. Ist es Podulski?« Er nannte nacheinander verschiedene aus Mr. Kirz’ Bekanntenkreis und jedes Mal schüttelte sein stämmiger Gesprächspartner den Kopf.

»Wenn ich etwas weiß, sage ich Ihnen Bescheid«, meinte er. »Ich würde meine Hände nie mit solchen Schlechtigkeiten besudeln. Und was die Kopenhagen-Lotterie betrifft, damit habe ich nichts zu tun. Sie können mich tags oder auch nachts besuchen kommen. Es ist geradezu skandalös, wie man mich verleumdet.«

Der Müller hatte sich in dieser Gegend keinen großen Erfolg versprochen, obwohl er sicher war, dass Kirz ihm einen Hinweis hätte geben können, da er die gesamte, nicht englisch sprechende Unterwelt kannte.

 

Absolut diskret, wie er war, verriet der Müller nichts an Evans, dass dessen guter Name auch unter Verdacht gestanden hatte.

Der Müller war mit seinen Problemen nicht allein. Der stellvertretende Polizeichef, etliche Abteilungsleiter teilten sein Unglück mit ihm und die allgemeine Unruhe verbreitete sich auch bis in die Polizeireviere von Whitehall. Es waren noch nie bessere Fälschungen als dieser Schwung von Fünf-Pfund-Noten in Umlauf gekommen und lediglich der Umstand, dass sie alle dieselbe Nummer trugen, ermöglichte ihre Entdeckung.

Das Papier war perfekt, das Wasserzeichen mit seinen versteckten Abtönungen, alles war exakt kopiert worden. Die Blüten fühlten sich gut an, sahen gut aus und waren nicht nur auf dem Kontinent, sondern auch in London selbst verbreitet worden. Es gab keinen Buchmacher, der nicht pro Woche zwei oder drei von diesen Scheinen annahm. Sie wurden an den Banken gewechselt, auf Bahnhöfen, in Theatern, sogar an Postämtern, wo sich der Anbieter einer Fünf-Pfund-Note stets einem gewissen Verdacht ausgesetzt sah.

In solchen kritischen Augenblicken schickt der Innenminister nach dem Polizeichef und sagt: »Das ist eine ernste Angelegenheit«, und deutet an, dass die ganze Verantwortung nun beim Polizeichef liege. Und diese Persönlichkeit reicht den Schwarzen Peter weiter, bis er schließlich bei ziemlich unwichtigen Kriminalbeamten landet.

So kam er auch recht schnell zu Sergeant Challoner, denn die Blüten waren in Camden Town häufiger aufgetaucht als anderswo.

An jenem Abend war er auf der Suche nach dem »In der Welt führenden Turfratgeber und Propheten«.

Der Himmel im Westen war getaucht in Nilgrün und weichem Rosa und Educated Evans lehnte entspannt mit verschränkten Armen über einem steinernen Brückengeländer, das Kinn auf den Ellbogen gelegt, und genoss den herrlichen Sonnenuntergang. Die Themse oder auch das Albert Embankment zogen ihn an wie ein Magnet die Feilspäne.

Das unbestimmte Gefühl von Unbehaglichkeit, das die zarte Seele eines Genius durchaus zu stören imstande ist, wurde abgemildert bis hin zu einer träumerischen Sehnsucht, die dunklen Gedanken, die Männer mit Schöpfergeist befallen können, wurden von der heiteren Gelassenheit des Augenblicks in alle Winde zerstreut.

Tag für Tag, wenn die Geschäfte nicht so gut liefen oder das Glück all seinen Anstrengungen nur den Rücken zeigte und seine unerklärlichen Fehltipps sein Gemüt am allermeisten verletzt hatten, dann lenkte dieser gebildete Mann instinktiv seine Schritte hin zu dem Trost spendenden, stahlgrauen Fluss, wo er die braun-graue Silhouette Londons sehen konnte. Und hier stand er dann und träumte und beobachtete mit Augen, die nur den Trost sahen, nicht aber den ewig-ruhelosen Verkehr auf dem Fluss.

Wenn es seine beruflichen Verpflichtungen erlaubten, kapselte Sergeant Challoner sich von seinem eigentlichen Metier ab und erfreute sich an einem zweifachen Vergnügen. Denn hier konnte er seinen ästhetischen Sehnsüchten frönen und die Gesellschaft eines Mannes genießen, der auf Grund seiner Gelehrsamkeit und intimen Bekanntschaft mit Vollblütern von der Holloway Road bis hinüber zur Albany Street hohes Ansehen genoss. Es war manchmal von unschätzbarem Wert für ihn zu wissen, dass er Evans zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Ort finden konnte.

Educated Evans sah aus den Augenwinkeln die breitschultrige Gestalt näher kommen, rührte sich jedoch nicht.

»Verfasst du gerade ein Gedicht, Evans?«, sagte der Müller und lehnte sich neben ihn an das Geländer.

»Nein, Mr. Challoner; die Dichtkunst war nie mein Metier – glauben Sie an göttliche Fügung, wenn Sie den Ausdruck gestatten?«

Der Müller war überrascht.

»Ja, ich glaube an göttliche Fügung. Warum fragst du?«

»Schon drei Abende in Folge«, sagte Evans verträumt, »gibt es da einen Tipp am Himmel. Schauen Sie mal! Rosa und grüne Streifen – ‚Solly Joel’ hat zwei im Jubilee-Rennen, und die Frage ist jetzt, welcher? Letzten Monat, als ich an genau dieser Stelle hier stand, sah ich eine schwarze Wolke und eine weiße genau darüber. Und Lord Derby gewann den Liverpool Cup. Ein anderes Mal war es nur gelb und rosa und Lord Rosebery’s Pferd gewann in Warwick. Wenn das keine Winke des Schicksals sind...!«

Der Müller zeigte sich mehr als überrascht – er war sprachlos.

»Ich kann mir einfach nichts Unwahrscheinlicheres vorstellen«, protestierte er, »als dass die Vorsehung ausgerechnet den Sonnenuntergang zugunsten eurer schmutzigen Wettgeschäfte gestaltet.«

Evans schüttelte den Kopf.

»Das weiß man nie«, sagte er. »Es gibt noch viele ungeahnte Dinge in Ihrer Theosophy, wie schon Horatio Bottomley sagte – ich frage mich, wie es dem alten Knaben gehen mag?

Was für ein Kerl! Beschleicht Sie nicht ein feierliches Gefühl, Müller, wenn Sie den Flusslauf beobachten, auf seinem Weg zur See? Stets weiter fließend bis Russland und Arabien und andere fremde Orte, bis er den Golfstrom bildet, der für Sommer und Winter verantwortlich ist. Wie er die Schiffe trägt, die hierhin und dorthin fahren...«

»Hast du getrunken?«, fragte der Müller argwöhnisch.

»Ich könnte ein Glas Bier gar nicht mehr erkennen«, sagte Educated Evans, »es ist schon lange her, seit ich eines gesehen habe. Nein, ich befasse mich mit Hypothesen und Vermutungen. Wer gewann das 15.30 Uhr-Rennen, Mr. Challoner?«

»’Coleborn’«, erwiderte der Müller und Evans seufzte tief und erleichtert auf.

»Das ist schon das zweite Pferd, das ich diese Woche empfohlen habe«, sagte er beinahe fröhlich. »Ich habe einfach nicht gewagt, in die Zeitung zu sehen. Irgendein Preisgeld?«

»Fünf zu zwei«, sagte der Müller. »Ich habe drauf gesetzt.«

Auf Educated Evans’ Gesicht machte sich ein Ausdruck von Frieden und Ruhe breit.

»Was für ein Prachtexemplar!«, murmelte er.

»Da wird es morgen aber traurige Gesichter in der Synagoge geben. Fünf zu zwei. Und ich habe den Tipp über meine Fünf-Pfund-Specials an 143 Kunden geschickt!«

»Wie viele?«

»43 – und alles zahlende Kunden! Bei zehn bin ich mir jedenfalls sicher. Neun, wenn ich Kirz nicht mitzähle; wenn er mich noch einmal unter Druck setzt, fliegt er endgültig aus meiner Liste!«

»Weißt du irgendetwas über Kirz?«, fragte der Müller beiläufig, während er einen Schlepper so scharf fixierte, dass niemand irgendein Interesse an der Antwort vermuten konnte. »Was ist das für ein Mann?«

Evans rümpfte die Nase.

»Es kommt darauf an, ob er etwas Ehrenwertes tut«, sagte er vorsichtig, »ob er also ein gebildeter amerikanischer Gentleman ist oder ein schmutziger Barbar, wenn Sie mir das vulgäre Wort gestatten.«

»Er amüsiert sich ein bisschen im Stillen mit seltsamem Drucken, stimmt’s?«, fragte der Müller und beobachtete immer noch den Schleppdampfer.

»Ich weiß nicht mehr über anderer Leute Geschäfte als über mein eigenes«, sagte Educated Evans mit Betonung. »Wie Looy der 15.* zum Schwarzen Prinzen gesagt haben soll, der übrigens so genannt wurde, weil er als Lord gesagt hat, er schwöre, sich erst dann wieder den Hals zu waschen, wenn Gibraltar endgültig eingenommen sei: ‚Honny swar, sagte er, ‚key mally pence’* (Honi soit qui mal y pense; d. Ü.) – was bedeutet, dass du deine Nase nicht ungefragt irgendwo reinsteckst, damit sie nicht eingeschlagen wird. Wonach, gemäß Pressebehauptungen, er niemals mehr lächelte. Das ist Geschichte.«

»Für mich hört es sich mehr nach ‚Comic Cuts’ an«, sagte der Müller. (Comic Cuts: beliebtes Comic-Buch ab 1893; d.Ü.).

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