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Arme Leute

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Leid und Freude! Wie gut Sie doch sind, Makar Alexejewitsch! Gestern blickten Sie mir so in die Augen, als wollten Sie in ihnen lesen, was ich empfand, und Sie waren glücklich über meine Freude. War es ein Strauch, eine Allee oder ein Wasserstreifen – immer standen Sie da vor mir und fühlten sich ganz stolz und schauten mir immer wieder in die Augen, als wäre alles, was Sie mir da zeigten, Ihr Eigentum gewesen. Das beweist, daß Sie ein gutes Herz haben, Makar Alexejewitsch. Deshalb liebe ich Sie ja auch.

Nun leben Sie wohl. Ich bin heute wieder krank: gestern bekam ich nasse Füße und habe mich infolgedessen erkältet. Fedora ist noch nicht ganz gesund – ich weiß nicht, was ihr fehlt. So sind wir jetzt beide krank. Vergessen Sie mich nicht, kommen Sie öfter zu uns.

Ihre
W. D.
12. Juni.
Mein Täubchen Warwara Alexejewna!

Ich dachte, mein Kind, Sie würden mir den gestrigen Ausflug in lauter Gedichten beschreiben, und da erhalte ich nun von Ihnen so ein einziges kleines Blättchen! Doch will ich damit nicht tadeln, daß Sie mir nur wenig geschrieben haben: dafür haben Sie alles ungewöhnlich gut und schön beschrieben. Die Natur, die verschiedenen Landschaftsstimmungen, was Sie selber empfanden – das haben Sie mit einem Worte kurz, aber ganz wunderbar geschildert. Ich habe dagegen ganz und gar kein Talent, irgend etwas zu beschreiben: wenn ich auch zehn Seiten vollkritzele, es kommt dabei doch nichts heraus und nichts ist wirklich beschrieben. Das weiß ich selbst nur zu genau.

Sie schreiben mir, meine Liebe, daß ich ein guter Mensch sei, sanftmütig, voll Wohlwollen für alle, unfähig, dem Nächsten etwas Böses zuzufügen, und daß ich die Güte des himmlischen Schöpfers, wie sie in der Natur zum Ausdruck kommt, wohl verstehe, und Sie beehren mich noch mit verschiedenen anderen Lobsprüchen. – Das ist gewiß alles wahr, mein Kind, nichts als die reine Wahrheit, denn ich bin wirklich so, wie Sie sagen, ich weiß das selbst: und es freut einen auch, wenn man von anderen so etwas geschrieben sieht, wie das, was Sie mir da geschrieben haben: es wird einem unwillkürlich froh und leicht zumut – aber schließlich kommen einem doch wieder allerlei schwere Gedanken. Nun hören Sie mich mal an, mein Kind, ich will Ihnen jetzt mal etwas erzählen.

Ich beginne damit, daß ich auf die Zeit zurückgreife, als ich erst siebzehn Lenze zählte und in den Staatsdienst trat: nun werden es bald runde dreißig Jahre sein, daß ich als Beamter tätig bin! Ich habe in der Zeit, was soll ich sagen, genug Uniformröcke abgetragen, bin darüber Mann geworden, auch vernünftiger und klüger, habe Menschen gesehen und kennen gelernt, habe auch gelebt, ja, warum nicht – ich kann schon sagen, daß ich gelebt habe –, und einmal wollte man mich sogar zur Auszeichnung vorschlagen: man wollte mir nämlich für meine Dienste ein Kreuz verleihen. Sie werden mir das letztere vielleicht nicht glauben, aber es war wirklich so, ich lüge Ihnen nichts vor. Nun, was kam dabei heraus, mein Kind? Ja, sehen Sie, es finden sich immer und überall schlechte Menschen. Aber wissen Sie, was ich Ihnen sagen werde, meine Liebe: ich bin zwar ein ungebildeter Mensch, meinetwegen sogar ein dummer Mensch, aber das Herz, das in mir schlägt, ist genau so, wie das Herz anderer Menschen. Also wissen Sie, Warinka, was ein böser Mensch mir antat? Man schämt sich ordentlich, es zu sagen. Sie fragen, warum er es tat? Einfach darum, weil ich so ein Stiller bin, weil ich bescheiden bin, weil ich ein guter Kerl bin. Ich war ihnen nicht nach ihrem Geschmack, und so wurde denn alles mir, und immer mir, in die Schuhe geschoben. Anfangs hieß es, wenn jemand etwas schlecht gemacht hatte:

»Eh, Sie da, Makar Alexejewitsch, dies und das!« – Daraus wurde mit der Zeit:

»Ach, natürlich Makar Alexejewitsch, wer denn sonst!«

Jetzt aber heißt es ganz einfach:

»Na, selbstverständlich doch Makar Alexejewitsch, was fragen Sie noch!«

Sehen Sie, Kind, so kam die ganze Geschichte. An allem war Makar Alexejewitsch schuld. Sie verstanden weiter nichts, als »Makar Alexejewitsch« sozusagen zum Schlagwort im ganzen Departement zu machen. Und noch nicht genug damit, daß sie in dieser Weise aus mir ein geflügeltes Wort, fast sogar einen geflügelten Tadel, wenn nicht gar ein Schmähwort machten – nein, sie hatten auch noch an meinen Stiefeln, meinem Rock, meinen Haaren und Ohren, kurz, an allem, was an mir war, etwas auszusetzen: alles war ihnen nicht recht, alles mußte anders gemacht werden! Und das wiederholt sich nun schon seit undenklichen Zeiten jeden Tag! Ich habe mich daran gewöhnt, weil ich mich an alles gewöhne, weil ich ein stiller Mensch bin, weil ich ein kleiner Mensch bin. Aber, fragt man sich schließlich, womit habe ich denn das alles verdient? Wem habe ich je etwas Schlechtes getan? Habe ich etwa jemandem den Rang abgelaufen? Oder jemanden bei den Vorgesetzten angeschwärzt, um dafür belohnt zu werden? Oder habe ich sonst eine Kabale gegen jemanden angestiftet? Sie würden sündigen, Kind, wenn Sie so etwas auch nur denken wollten! Bin ich denn einer, der so etwas überhaupt fertig brächte? So betrachten Sie mich doch nur genauer, meine Liebe, und dann sagen Sie selbst, ob ich auch nur die Fähigkeit zu Intrigen und zum Strebertum habe? Also wofür treffen mich dann diese Heimsuchungen? Doch vergib, Herr! Sie, Warinka, halten mich für einen ehrenwerten Menschen, Sie aber sind auch unvergleichlich besser, als alle die anderen, jawohl Warinka!

Was ist die größte bürgerliche Tugend? Ueber diese Frage äußerte sich noch vor ein paar Tagen Jewstafij Iwanowitsch in einem Privatgespräch. Er sagte: Die größte bürgerliche Tugend sei – Geld zu schaffen. Er sagte es natürlich im Scherz (ich weiß, daß er es nur im Scherz sagte), was aber in dem Worte für eine Moral lag (die er eigentlich im Sinne hatte), das war, daß man mit seiner Person niemandem zur Last fallen solle. Ich aber falle niemandem zur Last! Ich habe mein eigenes Stück Brot. Es ist ja wohl nur ein einfaches Stück Brot, mitunter sogar altes, trockenes Brot, aber ich habe es doch, es ist mein Brot, durch meine Arbeit rechtlich und redlich erworben!

Nun ja, was ist da zu machen! Ich weiß es ja selbst, daß ich nichts sonderlich Großes vollbringe, wenn ich in meinem Bureau sitze und Schriftstücke abschreibe. Trotzdem bin ich stolz darauf: ich arbeite doch, leiste doch etwas, tue es durch meiner Hände Arbeit. Nun, und was ist denn dabei, daß ich nur abschreibe? Ist denn das etwa eine Sünde? »Na ja, doch eben immer nur ein Schreiber!« – Aber was ist denn dabei Unehrenhaftes? Meine Handschrift ist so eingeschrieben, so leserlich, jeder Buchstabe wie gestochen, daß es eine Freude ist, so einen ganzen Bogen zu sehen, und – Se. Exzellenz sind zufrieden mit mir. Ich muß die wichtigsten Papiere für Se. Exzellenz abschreiben. Ja, aber ich habe keinen Stil! Das weiß ich selbst, daß ich ihn nicht habe, den verwünschten Stil! Mir fehlen die Redewendungen! Ich weiß es, und deshalb habe ich es auch im Dienst zu nichts gebracht… Auch an Sie, mein Kind, schreibe ich jetzt, wie es gerade so kommt, ohne alle Kunst und Feinheit, wie es mir aus dem Herzen in den Sinn strömt… Das weiß ich selbst ganz genau: aber schließlich: wenn alle nur Selbstverfaßtes schreiben wollten, wer würde dann – abschreiben?

Das ist die Frage. Sehen Sie, und nun, bitte, beantworten Sie sie mir, meine Liebe.

So sehe ich denn jetzt selbst ein, daß man mich braucht, daß ich notwendig, daß ich unentbehrlich bin, und daß kein Grund vorliegt, sich durch müßiges Geschwätz irre machen zu lassen. Nun schön, meinetwegen bin ich eine Ratte, wenn sie glauben, eine Aehnlichkeit mit ihr herausfinden zu können. Aber diese Ratte ist nützlich, ohne diese Ratte käme man nicht aus, diese Ratte ist sogar ein Faktor, mit dem man rechnet, und dieser Ratte wird man bald sogar eine Gratifikation zusprechen, – da sehen Sie, was das für eine Ratte ist!

Doch jetzt habe ich genug davon geredet. Ich wollte ja eigentlich gar nicht davon sprechen, aber nun – es kam mal so zur Sprache, und da hat's mich denn hingerissen. Es ist doch immer ganz gut, von Zeit zu Zeit sich selbst etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Leben Sie wohl, mein Täubchen, meine gute kleine Trösterin! Ich werde schon kommen, gewiß werde ich kommen und Sie besuchen, mein Sternchen, um zu sehen, wie es Ihnen geht und was Sie machen. Grämen Sie sich bis dahin nicht gar zu sehr. Ich werde Ihnen ein Buch mitbringen. Also leben Sie wohl bis dahin, Warinka.

Wünsche Ihnen von Herzen alles Gute!

Ihr
Makar Djewuschkin.
20. Juni.
Sehr geehrter Makar Alexejewitsch!

Schreibe Ihnen in aller Eile, denn ich habe sehr wenig Zeit, – muß eine Arbeit zu einem bestimmten Termin beenden.

Hören Sie, um was es sich handelt: es bietet sich ein guter Gelegenheitskauf. Fedora sagt, ein Bekannter von ihr habe einen fast neuen Uniformrock, sowie Beinkleider, Weste und Mütze zu verkaufen, und alles, wie sie sagt, sehr billig. Wenn Sie sich das nun kaufen wollten! Sie haben doch jetzt Geld und sind nicht mehr in Verlegenheit, – Sie sagten mir ja selbst, daß Sie Geld haben. Also seien Sie vernünftig und schaffen Sie sich die Sachen an. Sie haben sie doch so nötig. Sehen Sie sich doch nur selbst an, in was für alten Kleidern Sie umhergehen. Eine wahre Schande! Alles ist geflickt. Und neue Kleider haben Sie nicht, das weiß ich, obschon Sie versichern, Sie hätten sie. Gott weiß, was Sie mit Ihrem neuen Anzug angefangen haben. So hören Sie doch diesmal auf mich und kaufen Sie die Kleider, bitte, tun Sie's! Tun Sie es für mich, wenn Sie mich lieb haben!

 

Sie haben mir Wäsche geschenkt. Hören Sie, Makar Alexejewitsch, das geht wirklich nicht so weiter! Sie richten sich zugrunde, denn das ist doch kein Spaß, was Sie schon für mich ausgegeben haben, – entsetzlich, wieviel Geld! Wie Sie verschwenden können! Ich habe ja nichts nötig, das war ja alles ganz, ganz überflüssig! Ich weiß, glauben Sie mir, ich weiß, daß Sie mich lieben, deshalb ist es ganz überflüssig von Ihnen, mich noch durch Geschenke immer wieder dieser Liebe vergewissern zu wollen. Wenn Sie wüßten, wie schwer es mir fällt, sie anzunehmen! Ich weiß doch, was sie Sie kosten. Deshalb ein für allemal: Lassen Sie es gut sein, schicken Sie mir nichts mehr! Hören Sie? Ich bitte Sie, ich flehe Sie an!

Sie bitten mich, Ihnen die Fortsetzung meiner Aufzeichnungen zuzusenden, Sie wollen, daß ich sie beende. Gott, ich weiß selbst nicht, wie ich das fertig gebracht habe, soviel zu schreiben, wie dort geschrieben ist! Nein, ich habe nicht die Kraft, jetzt von meiner Vergangenheit zu sprechen. Ich will an sie nicht einmal zurückdenken. Ich fürchte mich vor diesen Erinnerungen. Und gar von meiner armen Mutter zu sprechen, deren einziges Kind nach ihrem Tode diesen Ungeheuern preisgegeben war: das wäre mir ganz unmöglich! Mein Herz blutet, wenn meine Gedanken auch nur von ferne diese Erinnerungen streifen. Die Wunden sind noch zu frisch! Ich habe noch keine Ruhe, um zu denken, habe mich selbst noch lange nicht beruhigen können, obschon bereits ein ganzes Jahr vergangen ist. Doch Sie wissen das ja alles!

Ich habe Ihnen auch Anna Fedorownas jetzige Ansichten mitgeteilt. Sie wirft mir Undankbarkeit vor und leugnet es, mit Herrn Bükoff im Einverständnis gewesen zu sein! Sie fordert mich auf, zu ihr zurückzukehren. Sie sagt, ich lebe von Almosen und sei auf einen schlechten Weg geraten. Wenn ich zu ihr zurückkehren würde, so wolle sie es übernehmen, die ganze Geschichte mit Herrn Bükoff beizulegen und ihn zu veranlassen, seine Schuld mir gegenüber wieder gutzumachen. Sie hat sogar gesagt, daß Herr Bükoff mir eine Aussteuer geben wolle. Gott mit ihnen! Ich habe es auch hier gut, unter Ihrem Schutz und bei meiner guten Fedora, die mich mit ihrer Anhänglichkeit an meine alte selige Kinderfrau erinnert. Sie aber sind zwar nur ein entfernter Verwandter von mir, trotzdem beschützen Sie mich und treten mit Ihrem Namen und Ruf für mich ein. Ich kenne jene anderen nicht, ich werde sie vergessen! – wenn ich es nur vermag?! Was wollen sie denn noch von mir? Fedora sagt, das sei alles nur Klatsch und sie würden mich zu guter Letzt doch in Ruhe lassen. Gott gebe es!

W. D.
21. Juni.
Mein Täubchen, mein Liebling!

Ich will Ihnen schreiben, weiß aber nicht – womit beginnen?

Ist das nicht sonderbar, wie wir beide jetzt hier so miteinander leben! Ich sage das nur deshalb, müssen Sie wissen, weil ich meine Tage noch nie so froh verbracht habe. Ganz als hätte mich Gott der Herr mit einem Häuschen und einer Familie gesegnet! Mein Kindchen sind Sie, mein kleines reizendes!

Was reden Sie da von den vier Hemdchen, die ich Ihnen geschickt habe! Sie hatten sie doch nötig – Fedora sagte es mir. Und mich, liebes Kind, mich macht es doch glücklich, für Sie sorgen zu können: das ist nun einmal mein größtes Vergnügen – also lassen Sie mich nur gewähren, Kind, und widersprechen Sie mir nicht! Noch niemals habe ich so etwas erlebt, Herzchen. Jetzt lebe ich doch ein ganz anderes Leben. Erstens gewissermaßen zu zweien, wenn man so sagen darf, denn Sie leben doch jetzt in meiner nächsten Nähe, was mir ein großer Trost und eine große Freude ist. Und zweitens hat mich heute mein Zimmernachbar, Ratasäjeff – jener Beamte, wissen Sie, bei dem literarische Abende stattfinden –, also der hat mich heute zum Tee eingeladen. Heute findet bei ihm nämlich wieder so eine Versammlung statt: es soll etwas Literarisches vorgelesen werden. Da sehen Sie, wie wir jetzt leben, Kindchen – was?!

Nun, leben Sie wohl. Ich habe das alles ja nur so geschrieben, ohne besonderen Zweck, nur um Sie von meinem Wohlbefinden zu unterrichten. Sie haben mir durch Theresa sagen lassen, daß Sie farbige Nähseide zur Stickerei benötigen: ich werde sie kaufen, Kindchen, ich werde sie Ihnen besorgen, gleich morgen werde ich sie Ihnen besorgen. Ich weiß auch schon, wo ich sie am besten kaufen kann. Inzwischen verbleibe ich

Ihr aufrichtiger Freund
Makar Djewuschkin.
22. Juni.
Liebe Warwara Alexejewna!

Ich will Ihnen nur mitteilen, meine Gute, daß bei uns im Hause etwas sehr Trauriges geschehen ist, etwas, das jedes Menschen Mitleid erwecken muß. Heute um fünf Uhr morgens starb Gorschkoffs kleiner Sohn. Ich weiß nicht recht, woran, – an den Masern oder, Gott weiß, vielleicht war es auch Scharlach. Da besuchte ich sie denn heute, diese Gorschkoffs. Ach, Liebe, was das für eine Armut bei ihnen ist! Und was für eine Unordnung! Aber das ist ja schließlich kein Wunder: die ganze Familie lebt doch nur in diesem einen Zimmer, das sie nur anstandshalber durch einen Bettschirm so ein wenig abgeteilt haben.

Jetzt steht bei ihnen schon der kleine Sarg, – ein ganz einfacher, billiger, aber er sieht doch ganz nett aus, sie haben ihn gleich fertig gekauft. Der Knabe war neun Jahre alt und soll, wie man hört, zu schönen Hoffnungen berechtigt haben. Es tut weh, weh vor Mitleid, sie anzusehen, Warinka. Die Mutter weint nicht, aber sie ist so traurig, die Arme. Es ist für sie ja vielleicht eine Erleichterung, daß ihnen ein Kindchen abgenommen ist: es bleiben ihnen noch zwei, die sie zu ernähren haben: ein Brustkind und ein kleines Töchterchen so von etwa sechs Jahren, viel älter kann das zarte Ding noch nicht sein.

Wie muß einem doch zumute sein, wenn man sieht, wie ein Kindchen leidet, und noch dazu das eigene, leibliche Kindchen, und man hat nichts, womit man ihm helfen könnte! Der Vater sitzt dort in einem alten, schmutzigen und fadenscheinigen Rock auf einem halb zerbrochenen Stuhl. Die Tränen laufen ihm über die Wangen, aber vielleicht gar nicht vor Leid, sondern nur so, aus Gewohnheit – die Augen tränen eben. Er ist so ein Sonderling! Immer wird er rot, wenn man mit ihm spricht, und niemals weiß er, was er antworten soll. Das kleine Mädchen stand dort an den Sarg gelehnt, stand ganz still und ernst und ganz nachdenklich. Ich liebe es nicht, Warinka, wenn ein Kindchen nachdenklich ist: es beunruhigt einen. Eine Puppe aus alten Zeugstücken lag auf dem Fußboden, – sie spielte aber nicht mit ihr. Das Fingerchen im Mund: so stand sie, – stand und rührte sich nicht. Die Wirtin gab ihr ein Bonbonchen: sie nahm es, aß es aber nicht. Traurig das alles – nicht wahr, Warinka?

Ihr
Makar Djewuschkin.
25. Juni.
Bester Makar Alexejewitsch!

Ich sende Ihnen Ihr Buch zurück. Das ist ja ein ganz elendes Ding! – man kann es überhaupt nicht in die Hand nehmen. Wo haben Sie denn diese Kostbarkeit aufgetrieben? Scherz beiseite – gefallen Ihnen denn wirklich solche Bücher, Makar Alexejewitsch? Sie versprachen mir doch vor ein paar Tagen, mir etwas zum Lesen zu verschaffen. Ich kann ja auch mit Ihnen teilen, wenn Sie wollen. Doch jetzt Schluß und auf Wiedersehen! Ich habe wirklich keine Zeit, weiter zu schreiben.

W. D.
26. Juni.
Liebe Warinka!

Die Sache ist nämlich die, Kind, daß ich das Büchlein selbst gar nicht gelesen habe. Es ist wahr, ich las ein wenig, sah, daß es irgendein Unsinn war, nur so zum Lachen geschrieben, und um die Leute zu unterhalten. Da dachte ich, nun, dann wird es was Lustiges sein und vielleicht auch Warinka gefallen. Und so nahm ich es und schickte es Ihnen.

Aber nun hat mir Ratasäjeff versprochen, mir etwas wirklich Literarisches zum Lesen zu verschaffen. Da werden Sie also wieder gute Bücher erhalten, mein Kind. Ratasäjeff – der versteht sich darauf! Er schreibt doch selbst, und wie er schreibt! Gewandt schreibt er, und einen Stil hat er, ich sage Ihnen: einfach großartig! In jedem Wort ist ein Etwas – sogar im allergewöhnlichsten, alltäglichsten Wort, in jedem einfachen Satz, in der Art, wie ich zum Beispiel manchmal Faldoni oder Theresa etwas sage, – selbst da versteht er noch, sich stilvoll auszudrücken. Ich wohne jetzt seinen literarischen Abenden regelmäßig bei. Wir rauchen Tabak und er liest uns vor, liest bis fünf Stunden in einem durch, wir aber hören zu, die ganze Zeit. Das sind nun einfach Perlen, nicht Literatur! Einfach Blumen, duftende Blumen – auf jeder Seite so viel Blumen, daß man einen Strauß draus winden kann! Und im Umgang ist er so freundlich, so liebenswürdig. Was bin ich im Vergleich mit ihm, nun was? – Nichts! Er ist ein angesehener Mann, ein Mann von Ruf – was aber bin ich? – Nichts! So gut wie nichts, bin neben ihm überhaupt nichts! Er aber beehrt auch mich mit seinem Wohlwollen. Ich habe für ihn mal das eine oder andere abgeschrieben. Nur denken Sie deshalb nicht, Warinka, daß das irgend etwas auf sich habe, ich meine, daß er mir deshalb wohlgesinnt sei, weil ich für ihn abschreibe! Hören Sie nicht auf solche Klatschgeschichten, Kind, glauben Sie ihnen nicht, beachten Sie sie gar nicht weiter! Nein, ich tue es ganz aus freien Stücken, um ihm damit etwas Angenehmes zu erweisen. Und daß er mir sein Wohlwollen schenkt, das tut er auch nur aus freien Stücken, tut's, um mir eine Freude zu bereiten. Ich bin gar nicht so dumm, um das nicht zu verstehen: man muß nur wissen, welch ein Zartgefühl sich dahinter birgt. Er ist ein guter, ein sehr guter Mensch und außerdem ein ganz unvergleichlicher Schriftsteller.

Es ist eine schöne Sache um die Literatur, Warinka, eine sehr schöne, das habe ich vorgestern bei ihnen erfahren. Und zugleich eine tiefe Sache! Sie stärkt und festigt und belehrt die Menschen – und noch verschiedenes andere tut sie, was alles in ihrem Buch aufgezeichnet steht. Es ist wirklich gut geschrieben! Die Literatur – das ist ein Bild, das heißt in gewissem Sinne, versteht sich; ein Bild und ein Spiegel; ein Spiegel der Leidenschaften und aller inneren Dinge; sie ist Belehrung und Erbauung zugleich, ist Kritik und ein großes menschliches Dokument. Das habe ich mir alles von ihnen sagen lassen und aus ihren Reden gemerkt. Ich will aufrichtig gestehen, mein Liebling, wenn man so unter ihnen sitzt und zuhört – und man raucht dabei sein Pfeifchen, ganz wie sie – und wenn sie dann anfangen, sich gegenseitig zu messen und über die verschiedensten Dinge zu disputieren, da muß ich denn einfach wie im Kartenspiel sagen: – ich passe. Denn wenn die erst mal loslegen, Kind, dann bleibt unsereinem nichts anderes übrig, dann müssen wir beide passen, Warinka. Ich sitze dann wie ein alter Erzschafskopf und schäme mich vor mir selber. Und wenn man sich auch den ganzen Abend die größte Mühe gibt, irgendwo ein halbes Wörtchen in das allgemeine Gespräch mit einzuflechten, so ist man doch nicht einmal dazu fähig. Man kann und kann dieses halbe Wörtchen nicht finden! Man verfällt aber auch auf rein gar nichts – man mag's anstellen wie man will! Das ist wie verhext, Warinka, und man tut sich schließlich selber leid, daß man so ist, wie man nun einmal ist, und daß man das Sprichwort auf sich anwenden kann: dumm geboren und im Leben nichts dazugelernt.

Was tue ich denn jetzt in meiner freien Zeit? – Schlafe, schlafe wie ein alter Esel. An Stelle dieses unnützen Schlafens aber könnte man sich doch auch mit etwas Angenehmem oder Nützlichem beschäftigen, so zum Beispiel sich hinsetzen und dies und jenes schreiben, so ganz frei von sich aus, – was? Sich selbst zu Nutz und Frommen und anderen zum Vergnügen. Und hören Sie nur, Kind, wieviel sie für ihre Sachen bekommen, Gott verzeihe ihnen! Da zum Beispiel gleich dieser Ratasäjeff, was der Mann einnimmt! Was ist es für ihn, einen Bogen vollzuschreiben? An manchen Tagen hat er sogar ganze fünf geschrieben, und dabei erhält er, wie er sagt, volle dreihundert Rubel für jeden Bogen! Da hat er irgend so eine kleine Geschichte oder Humoreske, oder auch nur irgendein Anekdotchen oder sonst etwas für die Leute – fünfhundert, gib oder gib nicht, aber darunter kriegst du es für keinen Preis. Häng dich auf, wenn du willst. Willst du nicht – nun gut, dann gibt ein anderer tausend! Was sagen Sie dazu, Warwara Alexejewna?

 

Aber was, das ist noch gar nichts! Da hat er zum Beispiel ein Heftchen Gedichte, alles solche kleinen Dingerchen – paar Zeilen nur, ganz kurz, – siebentausend, Kind, siebentausend will er dafür haben, denken Sie sich! Das ist doch ein Vermögen, groß wie ein ganzes Besitztum, das sind ja die Prozente eines Hauses von fünf Stockwerken! Fünftausend, sagt er, biete man ihm: er geht aber darauf nicht ein. Ich habe ihm zugeredet und vernünftig auf ihn eingesprochen, – nehmen Sie doch, Bester, die fünftausend, nehmen Sie sie nur, und dann können Sie ihnen ja den Rücken kehren und ausspeien, wenn Sie wollen, denn fünftausend – das ist doch Geld! Aber nein, er sagt, sie werden auch sieben geben, die Schufte. Solch ein Schlaukopf ist er, wirklich!

Ich werde Ihnen, mein Kind, da nun einmal davon die Rede ist, eine Stelle aus den »Italienischen Leidenschaften« abschreiben. So heißt nämlich eines seiner Werke. Nun lesen Sie, Warinka, und dann urteilen Sie selbst:

– … Wladimir fuhr zusammen: die Leidenschaften brausten wild in ihm auf und sein Blut geriet in Wallung…

»Gräfin,« rief er, »Gräfin! Wissen Sie, wie schrecklich diese Leidenschaft, wie grenzenlos dieser Wahnsinn ist? Nein, meine Sinne täuschen mich nicht! Ich liebe, ich liebe mit aller Begeisterung, liebe rasend, wahnsinnig! Das ganze Blut deines Mannes würde nicht ausreichen, die wallende Leidenschaft meiner Seele zu ersticken! Diese kleinen Hindernisse sind unfähig, das allesvernichtende, höllische Feuer, das in meiner erschöpften Brust loht, in seinem Flammenstrom aufzuhalten. O Sinaida, Sinaida!.. «

»Wladimir!« … flüsterte die Gräfin fassungslos und schmiegte ihr Haupt an seine Schulter.

»Sinaida!« rief Ssmelskij berauscht.

Seiner Brust entrang sich ein Seufzer. Auf dem Altar der Liebe schlug die Lohe hellflammend auf und umfing mit ihrer Glut die Seelen der Liebenden.

»Wladimir!« flüsterte die Gräfin trunken. Ihr Busen wogte, ihre Wangen röteten sich, ihre Augen glühten…

Der neue, schreckliche Bund ward geschlossen!

Nach einer halben Stunde trat der alte Graf in das Boudoir seiner Frau.

»Wie wäre es, mein Herzchen, soll man nicht für unseren teuren Gast den Samowar aufstellen lassen?« fragte er, seiner Frau die Wange tätschelnd. –

Nun sehen Sie, Kind, wie finden Sie das? Es ist ja wahr, – es ist ein wenig frei, das läßt sich nicht leugnen, aber dafür doch schwungvoll und gut geschrieben. Was gut ist, ist gut! Aber nein, ich muß Ihnen doch noch ein Stückchen aus der Novelle »Jermak und Suleika« abschreiben.

Stellen Sie sich vor, Kind, daß der Kosak Jermak, der tollkühne Eroberer Sibiriens, in Suleika, die Tochter des sibirischen Herrschers Kutschum, die er gefangen genommen, verliebt ist. Die Sache spielt also gerade in der Zeit, da Iwan der Schreckliche herrschte – wie Sie sehen. Hier schreibe ich Ihnen nun ein Gespräch zwischen Jermak und Suleika ab:

– »Du liebst mich, Suleika? O, wiederhole, wiederhole es!.. «

»Ich liebe dich, Jermak!« flüsterte Suleika.

»Himmel und Erde, habt Dank! Ich bin glücklich! Ihr habt mir alles gegeben, alles, wonach mein wilder Geist seit meinen Jünglingsjahren strebte! Also hierher hast du mich geführt, mein Leitstern, über den steinernen Gürtel des Ural! Der ganzen Welt werde ich meine Suleika zeigen, und die Menschen, diese wilden Ungeheuer, werden es nicht wagen, mich zu beschuldigen! O, wenn sie doch diese geheimen Leiden ihrer zärtlichen Seele verständen, wenn sie, wie ich, in einer Träne meiner Suleika eine ganze Welt von Poesie zu erblicken wüßten! O, laß mich mit Küssen diese Träne trinken, diesen himmlischen Tautropfen… du himmlisches Wesen!«

»Jermak,« sagte Suleika, »die Welt ist böse, die Menschen sind ungerecht! Sie werden uns verfolgen und verurteilen, mein Liebster! Was soll das arme Mädchen, das auf den heimatlichen Schneefeldern Sibiriens in der Jurte des Vaters aufgewachsen ist, dort in eurer kalten, eisigen, seelenlosen, eigennützigen Welt anfangen? Die Menschen werden mich nicht verstehen, mein Geliebter, mein Ersehnter!«

»Dann sollen sie Kosakensäbel kennen lernen!« rief Jermak, wild die Augen rollend. –

Und nun, Warinka, denken Sie sich diesen Jermak, wie er erfährt, daß seine Suleika ermordet ist. Der verblendete Greis Kutschum hat sich im Schutz der nächtlichen Dunkelheit während der Abwesenheit Jermaks in dessen Zelt geschlichen und seine Tochter Suleika ermordet, um sich an Jermak, der ihn um Zepter und Krone gebracht hat, zu rächen.

»Welch eine Lust, die Klinge zu schleifen!« rief Jermak in wilder Rachgier, und er wetzte den Stahl am Schamanenstein. »Ich muß Blut sehen, Blut! Rächen, rächen, rächen muß ich sie!!!«

Aber nach alledem kann Jermak seine Suleika doch nicht überleben, er wirft sich in den Irtysch und ertrinkt, und damit ist dann alles zu Ende.

Jetzt noch ein kleiner Auszug, eine Probe: es ist humoristisch, was nun kommt, und nur so zum Lachen geschrieben:

– »Kennen Sie denn nicht Iwan Prokofjewitsch Sheltopus? Na, das ist doch derselbe, der den Prokofij Iwanowitsch ins Bein gebissen hat! Iwan Prokofjewitsch ist ein schroffer Charakter, dafür aber ein selten tugendhafter Mensch. Prokofij Iwanowitsch dagegen liebt außerordentlich Rettich mit Honig. Als er aber noch mit Pelageja Antonowna bekannt war… Sie kennen doch Pelageja Antonowna? Na, das ist doch dieselbe, die ihren Rock immer mit dem Futter nach außen anzieht, um das Oberzeug zu schonen.« –

Ist das nicht Humor, Warinka, einfach Humor! Wir wälzten uns vor Lachen, als er uns dies vorlas. Solch ein Mensch, wahrhaftig, Gott verzeihe ihm! Uebrigens, Kind, ist das zwar recht originell und komisch, aber im Grunde doch ganz unschuldig, ganz ohne die geringste Freidenkerei und ohne alle liberalen Verirrungen. Ich muß Ihnen auch noch sagen, daß Ratasäjeff vortreffliche Umgangsformen besitzt, und vielleicht liegt hier mit ein Grund, warum er ein so ausgezeichneter Schriftsteller ist, und mehr als das, was die anderen sind.

Aber wie wär's – in der Tat, es kommt einem mitunter der Gedanke in den Kopf – wie wär's, wenn auch ich einmal etwas schriebe: was würde dann wohl geschehen? Nun, sagen wir zum Beispiel, und nehmen wir an, daß plötzlich mir nichts dir nichts ein Buch in der Welt erschiene und auf dem Deckel stände: »Gedichte von Makar Djewuschkin.« Was?! Ja, was würden Sie dann wohl sagen, mein Engelchen? Wie würde Ihnen das vorkommen, was würden Sie dabei denken? Von mir aus kann ich Ihnen freilich sagen, mein Kind, daß ich mich, sobald mein Buch erschienen wäre, entschieden nicht mehr auf dem Newskij zu zeigen wagte. Wie wäre denn das, wenn ein jeder sagen könnte: »Sieh, dort geht der Dichter Djewuschkin!« und ich selbst dieser Djewuschkin wäre!?

Was würde ich dann zum Beispiel bloß mit meinen Stiefeln machen? Die sind ja doch bei mir, nebenbei bemerkt, Kind, fast immer geflickt, und auch die Sohlen sind, wenn man die Wahrheit sagen soll, oft recht weit vom wünschenswerten Zustande entfernt. Nun, wie wäre denn das, wenn alle wüßten, daß der Schriftsteller Djewuschkin geflickte Stiefel hat! Wenn das nun gar irgendeine Komtesse oder Duchesse erführe, was würde sie dazu sagen, mein Seelchen? Selbst würde sie es ja vielleicht nicht bemerken, denn Komtessen und Duchessen beschäftigen sich nicht mit Stiefeln, und nun gar mit Beamtenstiefeln (aber schließlich bleiben ja Stiefel immer Stiefel), – nur würde man ihr alles erzählen, meine eigenen Freunde würden es womöglich tun! Ratasäjeff zum Beispiel wäre der erste, der es fertig brächte! Er ist oft bei der Gräfin B., besucht sie, wie er sagt, sogar ohne besondere Einladung, wann es ihm gerade paßt. Eine gute Seele, sagt er, soll sie sein, so eine literarisch gebildete Dame. Ja, dieser Ratasäjeff ist ein Schlaukopf!

Doch übrigens – genug davon! Ich schreibe das ja alles nur so, mein Engelchen, um Sie zu zerstreuen, also nur zum Scherz. Leben Sie wohl, mein Täubchen. Viel habe ich Ihnen hier zusammengeschrieben, aber das eigentlich nur deshalb, weil ich heute ganz besonders froh gestimmt bin. Wir speisten nämlich heute alle bei Ratasäjeff, und da (es sind ja doch Schlingel, mein Kind!) holten sie schließlich solch einen besonderen Likör hervor… na – was soll man Ihnen noch viel davon schreiben! Nur sehen Sie zu, daß Sie jetzt nicht gleich etwas Schlechtes von mir denken, Warinka. Es war nicht so schlimm! Büchelchen werde ich Ihnen schicken. Hier geht ein Roman von Paul de Kock von Hand zu Hand, nur werden Sie diesen Paul de Kock nicht in die Fingerchen bekommen, mein Kind… Nein, nein, Gott behüte! Solch ein Paul de Kock ist nichts für Sie, Warinka. Man sagt von ihm, daß er bei allen anständigen Petersburger Kritikern ehrliche Entrüstung hervorgerufen habe.

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