Читать книгу: «Seewölfe Paket 35», страница 6

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7.

Anfangs war die Schebecke der Arwenacks noch unter vollem Preß gelaufen, doch seit sie Cap Comorin gerundet hatten und auf Nordnordost-Kurs gingen, war es mit der Herrlichkeit vorbei.

Der Wind schralte und fiel vorlicher ein. Schließlich spielte er verrückt und wechselte ständig die Richtung. Er schlug Kapriolen und narrte sie ständig.

Sie segelten so dicht unter der Küste, daß alle Einzelheiten gut zu erkennen waren. Lediglich um vorspringende Landzungen schlugen sie vorsichtshalber einen Bogen, weil die dahinterliegenden Buchten oftmals unangenehme Überraschungen bereit hielten, und davon hatten sie wahrhaftig genug. Es hatte auf der Reise von Bombay jede Menge Zwischenfälle aller Art gegeben.

Jetzt war ihr Zielhafen Madras näher gerückt. Sie würden den Golf von Mannar passieren und an der Koromandelküste entlang nach Madras segeln, hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle, wie Philip Hasard Killigrew dachte.

Sie würden die Gold- und Silberladung des Maharadschas Ischwar Sing dem großen Akbar bringen, und der Sultan von Golkondo würde das alles in Empfang nehmen.

Sie würden …

Es dauerte nicht lange und der Wind nahm immer mehr ab. Gar nichts mehr würden sie, wenn er einschlief, wenigstens vorübergehend nicht.

„Sieht nach einer Kalme aus“, meinte Smoky. „Nicht mehr lange, und wir hängen da.“

„Das ist der Monsun“, sagte Dan O’Flynn. „Da spinnt das Wetter mitunter, aber das legt sich bald wieder.“

Eine Bö fegte heran und stieß kraftvoll in die Segel. Der Druck legte die Schebecke leicht auf die Seite.

Das war das letzte Aufbäumen, danach rührte sich nichts mehr, und die Segel hingen schlaff an den Rahruten. Der schäumende Bart der Bugwelle verschwand, dann herrschte Ruhe.

Pete Ballie ließ die Pinne los und reckte sich. Er hatte sechs Stunden an der Pinne verbracht und sich nicht ablösen lassen.

„Feierabend“, verkündete er. „Zumindest vorerst. Jetzt können wir Kakerlaken fangen und dressieren – wie damals.“

In der „Tonne“ stand Sam Roskill als Ausguck. Er stützte die Arme auf und blickte träge an Deck. Dann riß er die Futterluke auf und gähnte kräftig.

„Paß nur auf, daß dir kein Frosch ins Maul fliegt“, sagte der Profos. „Oder hast du vor, die Masten zu vertilgen?“

„Frösche können nicht fliegen“, erwiderte Sam Roskill und gähnte abermals ungeniert. „Ich hab jedenfalls noch keine fliegenden Frösche gesehen, ergo können sie mir auch nicht ins Maul fliegen.“

„Ergo?“ fragte Carberry argwöhnisch. „Was ist das denn wieder für eine Ausdrucksweise? Seit wann kannst du Indisch? Ich dachte, nur Dan und die Zwillinge verstehen was davon.“

„Ergo heißt soviel wie also und ist lateinisch“, erklärte der Kutscher. „Das sagt man eben so.“

„Und warum sagt man nicht also?“

„Fang bloß nicht wieder Stunk an mit deiner Haarspalterei“, knirschte der Kutscher erbittert. „Es gibt eben mehrere Ausdrücke, und man kann sich aussuchen, was man will. Ergo ist das jedem seine eigene Angelegenheit, Mister Carberry.“

„Laß dir dein Ergo doch auf den Achtersteven tätowieren“, knurrte der Profos.

„Da schwimmt was“, unterbrach Sam den geistvollen Dialog. „Könnte ’ne Buddel oder so was sein.“

„Eine volle?“ fragte Carberry.

Er mußte sich etwas hoheitsvoll vom Kutscher belehren lassen, daß volle Buddeln nicht zu schwimmen pflegten, und es „ergo“ logischerweise eine leere Buddel sein müsse.

Damit brachte er den Profos bis nahe an den Siedepunkt.

Aber das Interesse an dem bevorstehenden Streit erlosch ziemlich schnell, als auch die anderen das Ding auf dem Wasser entdeckten.

„Sieht nach ’ner halb abgesoffenen Tonkruke aus“, meinte Mac Pellew. „Wahrscheinlich so’n Öldings mit Oliven oder so.“

Hasard amüsierte sich wieder mal über seine Helden und lauschte belustigt den eigenartigen Vermutungen und seltsamen Vergleichen.

Aber da schwamm tatsächlich etwas, das an einen Krug erinnerte.

Der Seewolf nahm das Spektiv und blickte hindurch.

„Ein Tonkrug, weiter nichts. Wahrscheinlich haben ihn ein paar Fischer verloren, oder er ging im Sturm über Bord.“

Smoky glaubte wieder mal, eine grandiose Idee zu haben.

„Wir ermitteln den besten Schützen“, schlug er sogleich eifrig vor. „Wir können ja doch nichts tun. Wir schießen mit Musketen drauf, und wer ihn trifft, muß ein Fäßchen Rum ausgeben.“

„Du bist ja bescheuert“, sagte Carberry entrüstet. „Für den Treffer muß er auch noch einen ausgeben, was, wie? Da wird doch jeder danebenhalten und sich eins grinsen. Nein, dem besten Schützen wird ein Fäßchen spendiert. Dann ergibt das auch einen Sinn.“

„Vergeßt das“, sagte Hasard. „Wir haben genug gute Schützen an Bord, und wir ballern hier auch nicht grundlos vor der Küste herum, schon aus dem Grund nicht, um keine Neugierigen anzulocken. Musketenschüsse sind mitunter meilenweit zu hören.“

Ein paar waren neugierig und wollten wissen, ob in dem Krug etwas drin sei, aber er war zur Zeit unerreichbar. Etwa eine Kabellänge entfernt trieb er in der nur schwach bewegten See.

„Wie kann man an das Ding nur ran?“ fragte Smoky, den die Neugier am meisten plagte. „Wenn wir die Jolle abfieren …“

„Vergeßt den Krug“, sagte Old O’Flynn mit Grabesstimme. „Ich traue den Indern nicht. Wahrscheinlich steckt ein Dämon in dem Teufelsding, einer aus Rauch und Schwefel, der uns gefangennimmt oder gar Unheil über das Schiff bringt. Ich habe so was schon mal auf der …“

„Sag bloß nicht, daß du auf der ‚Empress of Sea‘ einen Flaschenteufel gefunden hast“, schnaubte der Profos.

„… ‚Empress of Sea‘ erlebt“, sagte Old Donegal ungerührt. „Es war eine furchtbare Geschichte, direkt unheimlich und grauslich. Mir standen die Haare zu Berge, als der Geist aus der Kruke quoll.“

Old Admiral konnte sein Flunkern nicht lassen, und die alte „Empress of Sea“ geisterte durch alle seine Träume. Da hatte er Dinge erlebt, von denen andere nicht mal zu träumen wagten.

Vor ein paar Tagen hatte der alte Kampfhahn sie damit genervt, daß er im Traum gesehen habe, wie der Stützpunkt der Korsaren in der Karibik, Great Abaco, überfallen wurde. Auch da waren grauenhafte und fürchterliche Dinge passiert. Aber das nahm kaum jemand ernst.

Der neue Moses an Bord, Clint Wingfield, der den Arwenacks von der Kriegsgaleone „Respectable“ gefolgt war, schlug vor, einfach hinzuschwimmen und den Krug zu holen, falls der „Sir“ das gestatte.

Der Sir gestattete es mit einem Lächeln, und ein halbes Dutzend Kerle hatten nichts Eiligeres zu tun, als sich über Bord zu stürzen.

Schließlich kehrte Smoky mit dem Ding im Arm triumphierend an Bord zurück, aber da erfolgte Old Donegals zweite Warnung, die er mit erhobenem Zeigefinger vortrug.

„Solche Krüge benutzen die Inder, um ihre giftigen Schlangen darin zu verstecken“, warnte er. „Das habe ich in Bombay gesehen. Entweder ist da ein Dämon oder eine Schlange drin.“

Die eindringlichen Warnungen des alten Zausels wurden wieder mal in den Wind geschlagen, genauer gesagt in die Kalme, die gerade herrschte.

Das Ding wurde Hasard gebracht und von allen bestaunt. Der Tonkrug war sorgfältig mit einem Stopfen verschlossen und mit Bienenwachs versiegelt, damit kein Wasser eindringen konnte.

Als Hasard den Krug leicht schüttelte, war ein leises Knistern und Rascheln zu hören.

„Sie zischt schon“, sagte Old Donegal, womit er die Schlange meinte, die angeblich in dem Krug steckte.

Mit dem Messer entfernte der Seewolf schließlich den Stöpsel. Grinsend sah er dabei seinen Schwiegervater an.

Der Dämon war vermutlich längst entwichen, und eine giftige Schlange flitzte auch nicht aus der Öffnung, wie Old Donegal befürchtet hatte.

Als Hasard die Öffnung ans Licht hielt und hineinblickte, erkannte er auf dem Boden des Kruges ein Ding, das an ein gefaltetes Stück Papier erinnerte. Es war nur etwas dicker.

Es ließ sich nicht herausholen, so sehr er auch schüttelte.

Old Donegal hatte seine Meinung inzwischen geändert und tippte auf eine Schatzkarte. Er erbot sich auch sogleich, zusammen mit den Zwillingen und Clint Wingfield, den Schatz zu heben.

„Scheint so etwas wie eine Botschaft zu sein“, sagte der Seewolf. „Aber sie ist teilweise aufgerollt und läßt sich nicht entfernen.“

„Darf ich mal, Sir?“ fragte der Profos.

Er löste das Problem auf seine Art, von der der Kutscher behauptete, daß sie nicht logischer Überlegung, sondern brutaler Gewalt entspränge. Er nahm den Krug einfach in seine riesigen Flossen und schlug sie leicht aneinander.

Es gab einen dumpfen Knall und eine Menge Tonscherben, und es gab auch tatsächlich eine Botschaft.

Sie war auf dünne Baumrinde gepinselt und zeigte eine vor der Küste liegende Insel, die offenbar sehr klein war. Ein paar Worte in seltsamer Schrift waren darunter gepinselt.

Jetzt hatten sie wieder etwas, um sich die Köpfe zu zerbrechen.

„Zweifellos ein Hilferuf, der noch nicht sehr alt sein kann“, schloß der Kutscher messerscharf.

„Es steht kein Datum darauf“, sagte Hasard. „Kann also doch schon sehr alt sein.“

„Mit Verlaub, Sir“, sagte der Kutscher förmlich. „Der Tonkrug sah noch ziemlich neu aus. Er hatte weder die üblichen kleinen grünen Algen noch irgendwelche Muscheln angesetzt. Ich habe ihn mir zuvor genau angesehen. Triebe er länger in der See, dann würde man das zweifellos bemerken, wenn mir dieser Hinweis gestattet ist.“

„Schlaues Kerlchen“, murmelte Carberry. „Möchte mal wissen, was du eigentlich nicht weißt.“

„Die Augenfarbe deiner Urgroßmutter“, sagte der Kutscher trocken.

Die Zwillinge und auch Dan O’Flynn, die inzwischen einiges von der indischen Sprache gelernt hatten, versuchten jetzt, die Zeichen zu entziffern.

„Ja, offenbar ein Hilferuf“, sagte Hasard junior. „Es wäre zumindest logisch.“

„Die Küste scheint nördlich oder auch südlich zu verlaufen“, meinte Dan O’Flynn. „Davor ist eine winzige Insel eingezeichnet, die ganz dicht unter der Küste liegen muß, wenn die Zeichnung stimmt. Ich tippe auf einen oder mehrere Leute, die auf dieser Insel gestrandet sind und keine Möglichkeit haben, an das Festland zu gelangen. Aber diese Insel kann natürlich überall und nirgends liegen.“

„Wir könnten mal auf der Karte des Maharadschas nachsehen“, schlug Don Juan de Alcazar vor. „Die Karten sind ziemlich genau. Bisher haben wir uns immer nach ihnen richten können.“

Clint holte die Karte aus Hasards Kammer und breitete sie auf den Planken aus. Die Ecken wurden mit ein paar Tonscherben beschwert, damit sie nicht aufrollten.

Sie hatten den Küstenverlauf jetzt genau vor sich. Ein Meister hatte diese Karte angefertigt. Fast alle Orte waren eingetragen, ebenso die Flüsse und sogar etliche kleine Nester. Die Beschriftungen waren einmal in Portugiesisch und darunter in der Schreibweise der Inder erläutert.

„Trivandrum liegt hinter uns“, sagte der Seewolf. „Nagarcoil und das Kap haben wir ebenfalls passiert. Der nächste Ort, der hier eingetragen ist, heißt Tuticorin, eine größere Ansiedlung, die noch im Golf liegt. Zeigt mir einmal die kleine Schriftrolle.“

Der Kutscher beteiligte sich ebenfalls sehr emsig an der Enträtselung der Karte.

Jetzt wurden Vergleiche mit den Schriften angestellt. Dabei taten sich wieder Hasards Söhne besonders hervor.

Jung Hasard grinste über das ganze Gesicht.

„Da ist ein Punkt eingezeichnet“, sagte er. „Das könnte die Insel sein, wenn’s nicht gerade Fliegendreck war. Liegt fast unter Land. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Kerle nicht einfach drauflosschwimmen.“

„Vermutlich wegen der Haie. An der Küste wimmelt es nur so von den lieben Tierchen.“

„Das ist eine Möglichkeit.“

Die Lösung fiel ihnen dann zu, als sie die Schriften miteinander verglichen. Auf der Karte waren die Schriftzeichen mit denen der anderen Karte absolut identisch.

Jetzt war alles klar, und es gab auch keinen Zweifel mehr.

„Die Insel liegt südlich von Tuticorin“, sagte Hasard. „Wir hätten sie früher oder später ohnehin passiert und wären sicher auf ein paar Schiffbrüchige aufmerksam geworden, wenn das Eiland so klein ist. Sie liegt also auf unserem Weg, und wir könnten sie bequem in ein oder zwei Tagen erreichen.“

„Wenn der Wind nicht wäre, der uns im Stich gelassen hat“, brummte Ferris Tucker. „Aber sehr lange werden wir wohl nicht bekalmt bleiben. Das ändert sich hier schnell.“

Eins der Wörter hieß Tuticorin, das stand jetzt fest.

„Was kann das erste Wort bedeuten?“ fragte der Seewolf.

„Hilfe – möchte ich jedenfalls behaupten, auch weil es logisch ist“, erwiderte der Kutscher.

„Und der Rest?“

Da konnte der Kutscher nur mutmaßen, lag aber damit ebenfalls sehr richtig.

„Der Hinweis, wo die Insel liegt, und da das eine Wort Tuticorin bedeutet, wie wir ja jetzt zweifelsfrei wissen, kann das andere nur der Hinweis darauf sein, daß die Insel südlich von Tuticorin liegt. Das ist eigentlich schon alles.“

„Genau, so muß es sein.“ Hasard nickte. „Und da der Hilferuf noch nicht alt ist, werden sich diese Leute auch vermutlich noch auf der Insel befinden, falls es da zufällig Wasser gibt.“

„Wenn nicht, kann es zufällig Kokospalmen geben“, meinte der Kutscher. „Und mit deren Hilfe kann man wochen- oder gar monatelang ohne Wasser auskommen. Aber es gibt ja noch den Monsun, und der bringt den armen Kerlen schon genügend Wasser.“

Das Rätsel war also gelöst, und jetzt brauchten sie nur noch ein bißchen Wind zum Weitersegeln. Doch der Wettergott ruhte sich aus und Äolus schlief auch weiterhin und dachte nicht daran, seinen Atem zu vergeuden.

Um die Langeweile zu vertreiben, badeten sie im Meer und angelten, und bis zum späten Nachmittag hatten sie ein paar stattliche Exemplare an Bord.

Der Kutscher und Mac Pellew brieten saftige Fischschnitten und würzten sie mit Tomaten, Chili, Knoblauch und Zwiebeln. Dazu gab es eine sehr scharfe Soße.

Als sie schließlich alle satt waren, schlug der Profos vor, den würzigen Knoblauchatem in die Segel zu blasen, damit sie wieder Fahrt aufnähmen.

Aber Mac Pellew meinte etwas verdrießlich, die Segel würden sicherlich Feuer fangen und verbrennen.

8.

Gegen Ende des zweiten Tages fuhr ein Windhauch über das Wasser und kräuselte es. Durch den Golf von Mannar wehte gleich darauf eine laue Brise, die die Segel schwach füllte.

Im Nu war alles auf den Beinen. Der Luftzug war ein wenig kühl und daher sehr angenehm, und er brachte die Arwenacks schnell auf Trab.

Schon nach einer knappen Stunde konnten sie weitersegeln. Es wurde eine sternenklare Nacht mit seidigem Halbmond und glitzerndem Wasser. Der Morgen brachte wieder Hitze und zwischendurch mal einen kräftigen Regenschauer.

Wieder segelten sie dicht unter der Küste und hielten Ausschau nach der Insel, doch sie war noch etwas mehr als eine ganze Tagesreise entfernt.

Natürlich war es wieder mal Dan O’Flynn, der mehr sah als der Ausguck, obwohl der eine wesentliche bessere Position hatte.

Gary Andrews, der in der Tonne stand, wollte gerade voraus deuten und etwas sagen, als Dan ihm schon zuvorkam.

„Rauchsäule Backbord voraus, Sir“, sagte er.

„Rauch an Backbord vor … Verdammt!“ fluchte Gary. „Der Kerl mit seinen Glupschaugen kann wohl hinter die Kimm blicken, was?“

Noch sehr weit voraus kräuselte sich ein winziger Kringel scheinbar über dem Festland. Der Kringel verdickte sich manchmal, wurde dann aber wieder dünn und qualmte erneut auf.

„Das ist die Insel“, behauptete Dan.

„Ist sie nicht“, widersprach Smoky. „Der Rauch stammt vom Festland. Wollen wir wetten?“

Smoky holte schon zwei Goldmünzen hervor und hielt sie Dan O’Flynn unter die Nase.

„Die bist du schon los“, sage Dan.

„Mann, ich hab auch verdammt gute Augen“, protestierte der Decksälteste. „Und wenn ich sage, dieser Rauch steigt vom Festland auf, dann stammt er nicht von einer Insel. Klar, Mister?“

„Gar nicht klar“, sagte Dan grinsend.

„Na, das werden wir ja sehen.“

„Ganz sicher.“

Zehn Minuten später knöpfte Dan O’Flynn dem verstörten Smoky zwei Goldmünzen ab und schenkte sie Clint, der sie verblüfft und mit knallroten Ohren in Empfang nahm und sich vor Aufregung fast verschluckte. Das Bürschchen hatte noch nie zwei Goldmünzen besessen, nicht mal eine.

„Was – was soll ich damit tun, Sir, äh – Mister O’Flynn?“ stammelte Clint fassungslos.

„Dafür kannst du einen ausgeben, wenn wir wieder auf Great Abaco im Stützpunkt sind“, sagte Dan lachend. „Mein Daddy hat da eine feine Kneipe, die sich Rutsche nennt. Rutsche deshalb, weil da immer die Besoffenen durchrutschen und dann im Wasser landen. Na, das wirst du ja alles noch kennenlernen.“

Das Bürschchen mit dem quirligen Haarschopf freute sich sehr und war natürlich auf den Stützpunkt schon mächtig gespannt.

Smoky stand recht belemmert da. Er trauerte seinen Münzen jedoch nicht nach. Aber er konnte einer Wette ja nie widerstehen, obwohl er meist verlor.

„Sie geben Rauchsignale“, sagte Hasard und ließ auf die jetzt deutlich erkennbare Insel zuhalten. Sie lag nicht weit vom Festland entfernt und war dicht mit Palmen bewachsen.

Die Rauchzeichen erloschen. Man mußte sie von der Insel her längst bemerkt haben, aber seltsamerweise ließ sich keiner sehen.

„Eine feine Brandung“, sagte Hasard. „Da werden wir uns höllisch in acht nehmen müssen. Vor der Insel liegt eine Korallenbank. Haltet Ausschau und paßt auf Untiefen scharf auf. Wir gehen nachher vor Anker und setzen die Jolle aus.“

Ein paar Minuten später änderte sich das Bild, als sie dicht bei der Insel waren.

Am Strand erschien ein dürres Individuum, das von Carberry gleich als „seltsamer Heiliger“ bezeichnet wurde.

Der Kerl sah merkwürdig genug aus. Er hatte lange, strähnige schwarze Haare, die ihm bis weit über die Schultern fielen, und trug um den dürren Oberkörper einen Fetzen, der sich früher mal Hemd genannt hatte, jetzt aber überwiegend aus Löchern bestand. Um seine Hüfte war eine Art Lendenschurz geschlungen, und an der Seite trug er einen abgewetzten alten Lederbeutel.

Das merkwürdige Individuum war rein aus dem Häuschen, als es die Schebecke auf die Insel zuhalten sah. Es schrie und keifte, hüpfte von einem Bein auf das andere und benahm sich wie ein Irrer, der einen Veitstanz aufführt.

Das magere Männchen hatte auch einen Bart, wenn man den Pinsel etwas großzügig als solchen bezeichnen wollte. Aber dann mußte man schon wirklich sehr großzügig sein, denn das struppige Ding ähnelte eher einem alten Ziegenbart, in dem die Motten hausten.

Der Kerl hüpfte einbeinig herum, vollführte dann einen Handstand, sprang wieder auf die Füße und kratzte sich mit beiden Händen den Kopf, als wolle er sich die Haare raufen.

„Nur einer“, sagte Don Juan erstaunt. „Aber er benimmt sich wie tausend Verrückte.“

Jetzt begann das Individuum auch noch mit Steinen zu werfen. Es feuerte sie wahllos in alle Richtungen und schien vor Freude außer sich zu sein.

Bei den Arwenacks ging das große Grinsen um.

„Na, da haben wir uns ja was eingefangen“, sagte der Profos feixend. „Als ob wir nicht schon genug Bescheuerte an Bord hätten.“

Sein Blick streifte wirklich nur rein zufällig Old Donegal, der sich gerade neben ihn schob. Der Admiral ging auch gleich in die Luft und reckte angriffslustig den Granitschädel vor.

„Wenn du mich damit meinst“, grollte er, „dann wird dein Achtersteven von mir persönlich tätowiert. Aber mit einer großen Wildsau drauf, das verspreche ich dir.“

„Dich doch nicht, Old Daniel“, sagte der Profos friedfertig. „Es gibt Beknackte und Überbeknackte, aber du bist doch keiner von den Beknackten.“

„Das will ich auch meinen“, sagte der Admiral, ebenfalls versöhnlich, bis ihm eine Laterne aufging, und er sich auf den grinsenden Profos stürzen wollte.

„Du miese Profoswanze!“ brüllte er. „Dich abgelaichten Prielwurm wickel ich achtmal ums Bratspill und dann …“

„Dann fiert ihr die Jolle ab“, unterbrach Hasard. „Aber vorher setzt ihr den Anker, nachdem ihr freundlicherweise die Segel eingeholt habt.“

„Aye, aye, Sir.“

Die Schebecke ging vor Anker. Die Brandung mit ihren mörderischen Riesenbrechern tobte sich an Steuerbord wild und schäumend aus.

„Merkwürdig, daß der Bursche nicht an Bord schwimmt“, sagte Ben Brighton verwundert. „Ich an seiner Stelle wäre wie ein Wilder losgepaddelt, damit mir das Schiff nicht durch die Lappen geht.“

„Du schon“, sagte Hasard, „du kannst auch schwimmen. Aber der seltsame Heilige ganz sicher nicht, sonst wäre er schon längst drüben an Land.“

„Stimmt, das ist absolut logisch.“

Der Hautfarbe nach war der Mann ein Singhalese, denn er war viel hellhäutiger als die meisten anderen Inder.

Mit brennenden Augen sah er zu, wie die Jolle abgefiert wurde. Ihn hielt es offenbar keinen einzigen Augenblick mehr auf der Insel, auf der er eine ganze Weile zugebracht haben mußte, wenn man sein äußeres Erscheinungsbild sah. Außerdem war der Kerl unglaublich dürr und ausgemergelt, als hätte ihn die Sonne zu einem braunen Stecken gebrannt und gebacken.

Der Profos und Ferris Tucker pullten hinüber, um den Dürren aus seiner Einsiedelei zu erlösen. Sicher wollte er an die nahe Küste gebracht werden.

Der Empfang war überwältigend, als die Jolle auf den Sand lief. Für die anderen war das wieder ein Anlaß, niederträchtig zu grinsen.

Das dürre Kerlchen raste wie ein Blitz auf den Profos zu und wollte ihn offenbar umarmen. Als er aber die zerhauene und narbige Visage mit dem Amboßkinn sah, schrak er heftig zusammen und nahm sich statt dessen den rothaarigen Zimmermann vor, der völlig verdattert dastand.

Ferris wurde abgeschmatzt, betatscht, in die Seite geknufft und befummelt, als stamme er aus einer anderen Welt.

Dann hatte der merkwürdige Kerl auch seine Scheu vor dem Profos überwunden und sprang ihn an wie ein junger Hund seinen Herrn.

„Na, der scheint aber schon lange hier zu sein“, meinte der Profos verwirrt und zupfte sich ein paar dünne Haare aus dem Gesicht, die der fransige Ziegenbart dort vor Freude hinterlassen hatte.

„Malindi!“ kreischte der Dürre und zeigte auf seine Hühnerbrust. „Malindi Rama, Malindi Rama!“ Das andere, was er noch sagte, blieb für die beiden ein Buch mit sieben Siegeln.

„Na, dann schwing mal die Hufe, Malindi“, sagte der Profos trocken. Als hätte der Kerl ihn genau verstanden, flitzte er in die Jolle und blickte zu dem schmucken Schiff hinüber.

Carberrys Blick streifte die Habseligkeiten des Inders. Es war nicht viel, nur ein Lederbeutel, den er ängstlich festhielt, obwohl der wie Kleister an ihm klebte, und ein langes, scharfes Messer, das er sich in den Lendenschurz gesteckt hatte.

Die beiden Männer pullten los.

„Malindi – du von da drüben?“ fragte Carberry und deutete mit dem Kopf zum Festland.

„Malindi, Tuticorin.“

Die klapperdürre Gestalt zeigte nach Norden, und schon fuhren seine Finger an den Kopf und kratzten ihn heftig.

„Da werden wir dich hinbringen“, sagte Ferris und lächelte freundlich.

„Das Bürschchen sieht irgendwie hinterhältig und verschlagen aus“, knurrte der Profos. „Daß er verwahrlost ist, liegt in der Natur der Sache, aber er hat verdammt miese Augen. Hast du schon mal gesehen, wie fest er den Lederbeutel an sich preßt?“

„Vielleicht hat er ein paar Perlen gefunden“, meinte Ferris. „Aber verschlagen wirkt er, da hast du recht. Um es ganz genau zu sagen, hat er eine Rattenvisage, die mir auch nicht besonders gefällt. Smoky würde jetzt jede Wette halten, daß der Kerl heimtückisch ist.“

Keiner hatte auch nur die geringste Ahnung, was sie sich da mit Malindi auf den Hals geladen hatten. Hätte der Profos das gewußt, dann wäre Malindi mit einem Tritt in den Achtersteven gleich wieder bis zur Insel zurückgeflogen.

Kaum an Bord, benahm sich der Kerl ebenfalls mehr als seltsam und merkwürdig.

Sobald jemand auf seinen Lederbeutel blickte, trat er rasch ein paar Schritte zurück und preßte ihn eng an seinen Körper.

Die Zwillinge und Dan O’Flynn versuchten schließlich, mit ihm in Kontakt zu gelangen, aber Malindi redete in einer Sprache, bei der sie nur hilflos mit den Schultern zuckten.

Die drei hatten in Bombay und anderen Orten einiges von der Sprache gelernt und konnten sie einigermaßen verstehen, wenn langsam gesprochen wurde.

Malindi hörte eine Weile zu, schließlich nickte er, und dann klappte es auch mit der Verständigung. Der Singhalese beherrschte mehrere Dialekte, und jetzt konnten sie endlich mit ihm reden, wenn auch noch vieles im Unklaren blieb.

„Bist du von Tuticorin?“ fragte Jung Hasard. Er sagte die paar Worte sehr langsam und gab sich dabei Mühe, auch deutlich zu sprechen.

„Malindi von Tuticorin“, bestätigte der Inder. Sein linker Zeigefinger zuckte hoch und kratzte ausgiebig den Kopf.

Sie gaben ihm Trinkwasser und etwas zu essen. Auf das Wasser stürzte er sich, als sei er schon halbverdurstet. Das Essen kostete er sehr vorsichtig und blickte sie dabei verschlagen an.

„Nach Tuticorin will er also“, sagte Hasard. Er musterte die dürre Gestalt und mußte sich gefallen lassen, daß ihn Malindi ziemlich frech und neugierig anstarrte.

„Ja, dort scheint er zu Hause zu sein“, sagte Philip.

„Wie ist er denn auf die Insel gelangt?“ wollte der Seewolf wissen. „Aber das könnt ihr später klären. Bringt den Burschen mal ein bißchen auf Trab, und zwar mit Schmierseife und Wasser. Der ist ja völlig verdreckt. Offenbar gab es auf der Insel kaum Regenwasser, denn mit Salzwasser allein wird man bekanntlich nicht so sauber.“

Der Profos goß etwas Trinkwasser in eine Pütz und ließ durch Clint Seife und eine Bürste besorgen. Dan O’Flynn verklarte ihm, daß das Wasser zum Waschen bestimmt sei.

Malindi starrte erst begriffsstutzig auf die Pütz, sah sich dann das Wasser an und nickte heftig.

Der Profos kriegte sich nicht mehr ein, als er sah, wie Malindi die Pütz hochhob und das Wasser gierig trank.

„Du sollst dich nicht von innen waschen, sondern von außen, du Rübenschwein!“ polterte der Profos. „Zieh mal deine Plünnen aus!“

Unabsichtlich blickte er dabei auf den Lederbeutel und ging einen Schritt auf den Inder zu.

Malindi stieß einen Schrei aus, preßte sein Heiligtum noch enger an sich und wich bis zum Großmast zurück. Seine schwarzen Knopfaugen funkelten den Profos böse und fast haßvoll an.

„Ist der Kerl verrückt geworden?“ schnaubte Carberry. „Dem scheint das Inselleben nicht bekommen zu sein.“

„In dem Beutel scheint sich das wichtigste Ding von der ganzen Welt zu befinden“, sagte Matt Davies. „Sobald du den Beutel auch nur schief ansiehst, rastet bei dem Burschen was aus.“

„Kann nur ’ne lausige Perle sein, die er irgendwo gefunden hat“, erwiderte der Profos. „Jetzt hat er Angst, daß wir sie ihm klauen. Ausgerechnet wir, daß ich nicht lache!“

Als Malindi sah, daß keiner was Böses von ihm wollte, kehrte er langsam wieder zu der Pütz zurück. Seinen Lederbeutel umklammerte er dabei fest mit einer Hand. Um Matt Davies schlug er einen ziemlich großen Bogen. Der Mann mit der Hakenhand war ihm nicht geheuer.

Malindi hatte auch noch nie in seinem Leben etwas Ähnliches wie diesen Mann gesehen, dem aus dem Arm ein spitzer Haken wuchs, wo andere eine Hand hatten.

Noch verwirrter wurde er allerdings, als er auch bei Jeff Bowie diesen Haken entdeckte. Der eine hatte ihn rechts, der andere links.

Der Profos tat es ihm jetzt vor, indem er sich etwas Seife auf die Arme rieb und mit Wasser nachwusch.

Jung Hasard unterstützte ihn dabei tatkräftig mit Worten.

„Du kannst ihm ruhig sagen, daß er wie ein verlauster Ziegenbock stinkt“, empfahl der Profos. „Aber das nehmen wir ihm nicht mal übel, wenn er keine Seife und nur Seewasser hatte.“

„Ich weiß nicht, was verlauster Ziegenbock in seiner Sprache heißt“, sagte Jung Hasard grinsend.

„Dann eben Rübenschwein oder so was. Irgend etwas wird dir schon einfallen.“

Es dauerte lange, bis Malindi begriff. Er war anscheinend auch sehr wasserscheu, denn er zögerte und zauderte sehr lange.

Aber schließlich rieb er doch etwas Seife auf seinen mageren Körper und wusch mit Wasser nach.

Die ganze Prozedur endete schließlich damit, daß Carberry ihm noch zur Nachspülung eine Pütz voll Seewasser über den Kopf goß.

Die Zwillinge versuchten ihn radebrechend auszuhorchen und vernahmen eine erstaunliche Geschichte. Manches blieb ihnen unklar, weil ihnen etliche Begriffe fehlten.

„Ich bin Fischer von Tuticorin“, sagte Malindi. „Ein anderer Mann und ich haben immer vor der Insel gefischt.“ Er sagte auch einen ziemlich unaussprechlichen Namen der Insel. „Vor vielen, vielen Tagen sind wir wieder hinausgefahren, aber da gab es einen Sturm.“

Er zeigte mit den Händen vage an, wie gewaltig dieser Sturm gewesen war, indem er bis zum Horizont deutete.

„Das Boot geriet in die Brandung und wurde auf das Riff geworfen. Es löste sich auf, und der andere Fischer ertrank. Ich habe ihn auch nie wiedergesehen.“

„Und dann bist du auf der Insel allein geblieben?“ fragte Philip.

„Ganz allein, viele, viele Tage, bis der Mond wieder aufging. Kein Wasser auf der Insel, nur Kokosnüsse.“

„Glaubst du die Geschichte?“ fragte Jung Hasard seinen Bruder.

„Klingt einigermaßen vernünftig. Wie sollte er sonst auf die Insel gelangt sein?“

„Na hör mal! Die Fischer vor der Küste ahnen einen Sturm doch voraus. Außerdem ist es nur ein Katzensprung bis zu der Insel. Die Kerle fahren doch nicht hinaus, die riechen das doch.“

„Vielleicht waren sie leichtsinnig, oder sie haben sich ganz einfach überschätzt.“

„Deine Freunde, die anderen Fischer“, sagte Hasard, „haben die denn nicht nach euch gesucht?“

Malindi lauschte der Frage nach, gab dann aber vor, sie nicht zu verstehen.

Hasard bohrte ein bißchen nach und wiederholte sie geduldig. Für ihn war es ziemlich unwahrscheinlich, daß sich keiner der anderen Fischer um die beiden gekümmert hatte.

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