Buntes Treiben

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Buntes Treiben
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Sechzehnter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Buntes Treiben

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2020

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2020

Im Mondenschein.

Keine Idylle.

Hoch oben im -Gebirge, und von dessen mächtiger Waldung nach allen Seiten hin umgeben, lag ein kleines, ärmliches Dorf, Holzhäusel genannt, dessen Bewohner eigentlich nur von dem lebten, was sie sich mit der Bearbeitung und Ausnutzung des Forstes verdienten.

Man sagt mit Recht: „Es ist ein armes Land, wo blos Quirle wachsen"; die Quirlmacher spielten auch hier eine bedeutende Rolle; dann gab es noch „Harzer", Kohlenbrenner und Löffelschneider. Auch Schindeln wurden gespalten, und Klafterholz bildete einen Hauptausfuhrartikel, besonders im Winter, mit Schneeschlitten den Berg hinab. Freilich verdienten die armen Leute mit alledem doch immer nur das Notdürftigste, was sie gerade zum Leben brauchten - und Gott weiß es, wie wenig das war; aber sie lebten doch und hatten dabei ihre Heimath so lieb, als ob sie in einem Paradiese und in allem Ueberfluß gelegen hätte.

Uebrigens gehörte das Dorf noch nicht einmal zu den kleinsten im Walde, denn es besaß seine eigene Kirche und sogar ein königliches Gebäude - das Chausseehaus nämlich, das an der vorbeiführenden Straße stand; auch lagen einige Felder darum her, und einzelne der Bewohner, die Honoratioren, trieben ein wenig Ackerbau. Was konnten sie freilich in einem Klima ziehen, wo die Kartoffel eigentlich schon zu den tropischen Früchten zählte und der Hafer oft aus dem /2/ Schnee heraus geschnitten werden mußte - so früh setzte manchmal der Winter ein. Aber der Versuch wurde immer wieder gemacht, und zu Zeiten gelang es ihnen doch, ihre mit sauerm Schweiß erbauten Früchte einzuheimsen.

Trotz aller Armuth gab es aber in Holzhäusel eine wahre Unzahl von kleinen Kindern, wie wir es denn gar häufig finden, daß gerade in den dürftigsten Districten die Zucht des kleinen Volkes am allerbesten zu gedeihen scheint. Im sächsischen Erzgebirge z. B., wo die armen Klöpplerfamilien kaum das Salz zu ihren Kartoffeln verdienen, sieht fast jedes Haus wie eine Schule aus, und Holzhäusel stand darin wenigstens dem Erzgebirge nicht nach. An schönen Sommerabendcn tummelten sich oft ganze Schwärme blondhaariger und barfüßiger Jungen und Mädchen auf ihrem Spielplatz unter der alten Buche umher, die mit wunderlich verschnittenem Wipfel vor der kleinen hölzernen Kirche stand, und das war dann ein Lachen und Jubeln, daß man sein eigen Wort kaum hören konnte. Was wußte das kleine Volk auch von Kummer oder Sorgen, wenn es nur nicht gerade hungern mußte!

Natürlich war es unter solchen Umständen nothwendig geworden, einen Schulmeister zu gewinnen, denn der Herr Pastor behielt mit all' den vielen Taufen kaum Zeit genug, um seine wöchentlichen Predigten auszuarbeiten. Die Holzhäusler konnten ihm freilich nicht viel bieten, aber was braucht auch ein Dorfschulmeister viel, der schon von Jugend auf zu Hunger und Kummer ordentlich trainirt wird und - wenn er nur recht viel zu arbeiten und recht vielen Aerger hat - außerordentlich wenig zu seinem eigentlichen Leben bedarf oder wenigstens bekommt!

Es war deshalb lange nicht so schwer, einen passenden Mann für diese ärmliche Stelle zu bekommen, als man vielleicht hätte glauben sollen, und doch wurde von ihm verlangt, daß er nicht allein Dorfschulmeister - nein sogar Dorfschulmeister in Holzhäusel werden sollte, und dazu außer den nöthigen Kenntnissen auch noch Geduld und Ausdauer wie einen hinlänglich zähen Körper mitbringen mußte, um seiner Stellung zu genügen. Es giebt freilich in unserem gesegneten Vaterlande eine Menge solcher armer Teufel, denen der Brod- /3/korb noch höher hängt, als selbst Holzhäusel über dem Meeresspiegel lag, und Andreas Pech war Einer von diesen Unglücklichen.

Andreas hatte sogar Theologie studirt, aber in seinem letzten Semester eine doppelte Dummheit begangen: sich nämlich erstens in ein wohl braves, aber blutarmes Mädchen verliebt, und dann auch noch einen rohen Burschen, der sie beleidigte, gefordert. Er zahlte ihn allerdings tüchtig aus, bekam aber selber bei der Sache eine tiefe Schramme über die ganze Backe weg, die ihn für zeitlebens zeichnete und dadurch auch seine spätere Carrière als Geistlicher vollständig unmöglich machte. Wie hätte man einen Geistlichen gebrauchen können, der schon einmal bewiesen, daß er persönlichen Muth besaß - es war nicht denkbar, und das Einzige, was unserem armen Andreas, der nicht Geld genug hatte, um umzusatteln, übrig blieb, war, eine Hauslehrerstelle anzunehmen - aber die Liebe!

Andreas Pech war ein ehrlicher Kerl. Er hatte seinem Mädchen versprochen, sie zu heirathen, und er that es; trug er doch dabei das Ideal von „einer Hütte und ihr Herz" herum, und wußte, eben so wenig wie seine junge Frau, wie nüchtern und prosaisch sich gewöhnlich das Leben mit in diese, ohnehin so kleine Hütte hinein setzt.

Seine Hauslehrerstelle mußte er natürlich aufgeben, denn die verschiedenen Rittergutsbesitzer konnten sich nicht in den Gedanken eines verheiratheten Informators hineinfinden, und nachdem er eine Weile Hunger und Kummer ertragen, blieb ihm nichts Anderes übrig, als um eine Schulmeisterstelle nachzusuchen.

Diese erhielt er auch und verwaltete sie viele Jahre brav und redlich, aber er verfiel dabei in einen sehr großen Fehler. Er wollte nämlich nicht blos die ihm aufgegebenen Stunden abhalten, sondern auch selbstständig denken und urtheilen, und das konnte auf die Länge der Zeit kein gut thun.

Wenn er an die Verbesserung des Schullehrerstandes als einzelnes Individuum dachte, so wäre das weiter kein großes Vergehen gewesen, und es stand ihm dafür der gesetzliche Weg offen, seine eigene Stellung zu verbessern: nämlich eine Eingabe an das Ministerium zu machen. Diese würde ihm aller-/4/dings, wie Niemand leugnete, gar nichts genützt haben, aber er hätte sich denn doch in der Erfüllung seiner Pflicht vollständig beruhigen können. - Das that er jedoch nicht. Er besuchte im Gegentheil Lehrerversammlungen und hielt von dem gerade herrschenden Ministerium verpönte Zeitungen - ja er hatte sogar einmal in einer solchen Versammlung eine Rede gehalten und sich darin ausgesprochen, daß der Stand der Lehrer ein eben so achtbarer sei als der der Theologen - und damit war dem Fasse der Boden ausgetreten.

Zuerst kam eine Verwarnung, dann, als diese nichts half, eine Vorladung vor das hohe Consistorium mit einem tüchtigen Rüffel und der Behauptung, daß er „am Umsturz des Bestehenden" arbeite und ein Wühler sei. Als er aber sogar noch die Kühnheit hatte, dieses Verhör in einem jener Schulblätter zu beschreiben, und sich selber zu vertheidigen, erhielt er plötzlich ein Schreiben, das ihn „mit halbem Gehalt" zur Disposition stellte.

Ein Schulmeister mit halbem Gehalt - es liegt eigentlich Humor in dem Gedanken und klingt etwa gerade so, als wenn Jemand erzählt, er habe einem Infusionsthier ein Bein ausgerissen. Die Sache hatte aber doch auch eine furchtbar ernste Seite, und Andreas Pech fand bald, daß er nichts weiter auf der Welt besaß, als, wonach er sich früher so heiß gesehnt - nämlich: eine Hütte und ihr Herz - und daß er doch bedeutend mehr zum Leben brauche.

Er gerieth in die furchtbarste Noth, und hätte er sie allein zu tragen gehabt, er würde vielleicht kein Wort darum verloren haben, aber so schrieen nebenbei noch fünf Kinder nach Brod, und seine arme brave Frau ging bleich und elend herum wie ein Schatten. So konnte es auch nicht lange bleiben - er mußte wieder eine Anstellung bekommen, wo er, außer dem dürftigen Gehalt, auch noch wenigstens ein Stück Feld und etwas Deputat-Holz erhielt, er konnte seine Kinder nicht hungern und frieren sehen, nur weil ihr Vater eine Schramme auf der Backe hatte. Er that auch Schritte deshalb, aber lange glückte es ihm nicht, denn kein anderer Staat wollte einen armen Familienvater mit fünf Kindern aufnehmen und sich damit eine Last auf den Hals laden. /5/ Endlich wurde die Stelle in Holzhäusel ausgeboten, die so wenig Verlockendes zu haben schien, daß nicht einmal unter den Schulmeistern eine Concurrenz deshalb entstand.

Einige Dörfer hatten ihn freilich schon früher nehmen wollen, denn man wußte, daß er ein tüchtiger Lehrer sei, aber er war von der Regierung, seiner Antecedentien wegen, nie bestätigt worden - nach Holzhäusel machte man dagegen keine Schwierigkeiten, das lag an einer Stelle, „wo sich die Füchse Gute Nacht sagen", und dort sollten ihm auch, wie man hoffte, die „republikanischen" Gedanken bald vergehen.

Dort war er denn richtig Schulmeister geworden, und zwar mit dem enormen Gehalt von hundertundzwanzig Thalern, einem Acker Kartoffelland, zwei Klaftern Deputat-Holz und freier Wohnung - einem kleinen Häuschen, das dem Ideal seiner „Hütte“ außerordentlich nahe kam. Aber er lebte doch - seine Kinder brauchten nicht mehr zu hungern, und er durfte hoffen, dort oben ungestört zu bleiben und nicht einmal von einem hohen Consistorium behelligt zu werden - welchen Schaden hätte er dort auch anrichten können!

Ein Gedanke ging ihm freilich manchmal durch den Kopf und drohte selbst ihn, der bis jetzt Alles so kräftig und unerschüttert ertragen hatte, nieder zu drücken: was nämlich aus seiner armen Elise - aus seinen Kindern würde, wenn er einmal plötzlich sterben sollte, denn der Wittwengehalt einer Schulmeisters-Frau, zwölf oder achtzehn Thaler jährlich, hätte ihnen weiter nichts übrig gelassen, als betteln zu gehen. Wenn das Bild vor seiner Seele aufstieg, zog es ihm das Herz wie mit eisernen Klammern zusammen. Aber er durfte nicht daran denken - kein Schulmeister darf das - und außerdem hatte ihn das Denken auch schon früher in Verlegenheit gebracht. Was half's auch; damit änderte er die Sache nicht und hätte sich sein ohnedies nicht freudiges Leben nur noch mehr verbittert. Vielleicht wurde es einmal besser; die damalige Regierung blieb ja nicht ewig am Ruder, und dann durfte er doch jedenfalls hoffen, seine Stellung zu verbessern.

 

Uebrigens war Andreas nicht allein ein ganz kluger, aufgeweckter Kopf, der wohl eine bessere Stellung ehrenhaft ausgefüllt hätte als die eines Schulmeisters in Holzhäusel, sondern /6/ er zeigte sich auch anstellig zu anderen als geistigen Arbeiten und benutzte die wenige freie Zeit, die ihm blieb, jetzt nicht mehr wie früher zu nichts einbringender literarischer Polemik, sondern suchte sich Fertigkeit in den hier üblichen Holzarbeiten anzueignen. Dadurch konnte er sich noch einen kleinen Nebenverdienst schaffen und wenigstens der dringendsten Noth begegnen, denn sein ärmlicher Gehalt reichte nirgends aus.

Besonders geschickt zeigte er sich bald im Schneiden der Löffel, denen er eine besondere leichte und gefällige Form gab, wo sie sich früher durch ihre Plumpheit ausgezeichnet hatten. Bei Einem der Leute, der eine Drehbank hatte, ging er sogar in die Lehre, und ließ dabei seine Kinder ebenfalls wacker arbeiten, so daß er schon anfing, mit mehr Vertrauen in die Zukunft zu sehen - wie bescheiden waren seine Ansprüche auch geworden!

Das Einzige freilich, was ihm in dem öden, einsamen Nest fehlte, schien ein passender Umgang, ein paar Menschen nur, mit denen eine vernünftige Unterhaltung möglich gewesen wäre. Aber wen hatte er dazu hier in Holzhäusel und besonders in den langen Wintern, wo hohe Schneewände die Kuppe umgaben, auf welcher das Dorf lag, und selbst die Post manchmal Schwierigkeit hatte, sich hindurch zu schaufeln? Den Herrn Pastor? Auf den Dörfern halten sich eigentlich die Pastoren sehr fern von den Schulmeistern, um ihrer Würde nichts zu vergeben, aber der Pastor in Holzhäusel war ein lieber und einfacher Mann und verkehrte mit allen Leuten freundlich. Leider aber plagte ihn ein rheumatisches Leiden - er konnte das rauhe Klima nicht vertragen, und dazu hatte sich auch noch Schwerhörigkeit gesellt, die eine Unterhaltung unmöglich machte. Der schon ältliche Herr schien auch schon verschiedene Eingaben gemacht zu haben, um von hier auf etwas wärmeren Boden versetzt zu werden, doch umsonst. Er saß eben so gut wie der Schulmeister hier in seiner „Strafcolonie" - und es geschah ihm recht. Weshalb erzählte er auch den frommen Christen offen von der Kanzel, daß cs gar keinen Teufel gäbe und derselbe nur eigentlich bildlich zu verstehen sei! Was wußte er davon?

Da blieb dem armen Schulmeister dann nur noch der /7/ Chaussee-Einnehmer, ein früherer Schreiber, und das war ein doppelter Segen in dieser Wildniß, denn er besaß für Holzhäusel einen ordentlichen Schatz, nämlich eine kleine Bibliothek. Zwar bestand diese nur aus circa vierzig Bänden - noch dazu lauter Räuberromane von Spieß und Cramer, und war von dem jetzigen Eigenthümer einmal auf einer Auction für einen Thaler zehn Neugroschen erstanden worden - aber was liest ein Mensch nicht, wenn er allein in einer Wüste sitzt. Selbst in einem solchen Räuberroman kam doch manchmal ein Gedanke vor, und dem haschte der Schulmeister nach - erst durch alle vierzig Bände durch, und dann wieder den nämlichen Weg zurück.

Der Chaussee-Einnehmer war ein kleines lebendiges Männchen, immer vergnügt, immer gefällig, und wurde besonders im Haus des Schulmeisters, wenn er sich einmal sehen ließ, von den Kindern mit Jubel empfangen. Vermittelte er doch auch, durch Fuhrleute und Boten, mit denen er in unmittelbare Berührung kam, den Verkehr mit der Außenwelt, mit der nächsten Stadt, und wußte besonders dort eine Quelle, wo man die beste Cichorie und den billigsten Zucker bekam, ja verschaffte sogar dem Herrn Pastor und zu Zeiten auch dem Schulmeister am Sonntag Morgen frische Semmeln aus dem nächsten - allerdings eine volle deutsche Meile entlegenen Bäckerladen.

Sein Hauptverdienst in den Augen des Schulmeisters war aber seine liberale Gesinnung. Trotzdem, daß er als königlicher Diener seine Stellung verwaltete (er ist kürzlich gestorben oder ich würde ihn nicht denunciren), blieb er ein Demokrat vom reinsten Wasser. Er liebte allerdings seinen Landesvater und dachte an keine Republik - wo jedenfalls auch die Chaussee-Einnehmerstellen abgeschafft wären - aber er sprach von der gerade bestehenden Regierung oft in Ausdrücken - allerdings nur unter vier Augen mit dem Schulmeister - daß ihm jeder wohlgesinnte Staatsanwalt hätte den schönsten Criminalproceß auf den Hals laden können.

„Wenn ich König wäre," sagte er oft und schlug dabei auf das Fensterbrett, daß die Scheiben klirrten, „ich wollte es den Blutigeln zeigen, was es heißt, meinem armen Volke das Mark aus den Knochen ziehen - viertausend Thaler /8/Gehalt für einen Minister? - nicht vierhundert Thaler kriegten sie; aber die kleinen Beamten, die sich ihr ganzes Leben lang schinden und plagen müssen - und für was? denen wollte ich auf die Beine helfen - und Ihr Schulmeister - Ihr solltet einmal sehen, was ich aus Euch Schulmeistern machte - die Minister selber sollten den Hut vor Euch abziehen, denn Ihr seid die eigentlichen Träger des Volkes, und wo kämen denn überhaupt die Minister her, wenn sie keine Schulmeister gehabt hätten, die ihnen das erste A-B-C und später das X und U beigebracht?"

Der kleine Chaussee-Einnehmer war sonst ein ganz vernünftiger Mann, aber wenn er auf Politik zu sprechen kam, ging sein Verstand mit ihm durch und zahlte nirgends Chausseegeld mehr. Auch hatte er dabei die üble Gewohnheit, seine Rede nur zu häufig mit dem Ausruf zu bekräftigen: „Hol' mich der Deubel!" und Andreas hatte ihm das auch schon einigemal in seiner freundlichen Art verwiesen. Der Chaussee-Einnehmer lachte daun aber jedesmal und meinte: das sei der harmloseste Schwur von allen miteinander, denn da es gar keinen Teufel gäbe, könne ihn auch keiner holen, und dabei klänge er kräftig und mache dem Herzen Luft.

So einverstanden nun Andreas auch fast immer mit den politischen Ansichten seines Freundes sein mochte, obgleich er doch einer etwas mehr gemäßigten Partei angehörte, so schien er über diese Sache seine Bedenken zu haben, da er im flachen Lande zu lange Jahre bei einem streng orthodoxen Geistlichen Küsterdienste versehen hatte. Bei jenem frommen Mann aber war auf der Kanzel der Teufel immer das dritte Wort gewesen, ja er hielt ganze Predigten über ihn und sprach dabei mit einer solchen Ueberzeugung und Wärme, daß Andreas zuletzt selber zweifelhaft wurde und sich, wenn er nicht seiner Meinung entschieden beitrat, jedenfalls neutral verhielt. Es konnte einen Teufel geben - es konnte keinen geben - wer wußte es, wer hatte ihn schon gesehen, und er würde deshalb nie selber solche leichtfertige Worte gebraucht haben, wie sie so oft aus dem Munde des Chaussee-Einnehmers kamen. Doch sprach er sich nie deutlicher darüber aus, denn er fürchtete den Spott des kleinen Mannes. /9/ So war der Winter mit seinen riesigen Schneemassen und harten Frösten vorübergegangen und das Frühjahr in's Land gekommen, von dem sie hier oben freilich immer erst durch durchpassirende Fuhrleute Kunde bekommen. Hier nämlich lag, wenn unten die Matten schon grünten und blühten, noch hartnäckig der tiefe Schnee, und die ersten Frühlingsboten waren stets die Blumen, welche die Fuhrleute unten im Thale gepflückt und auf die Hüte gesteckt hatten. Dem Chaussee-Einnehmer brachten sie dann auch manchmal einen Strauß von goldgelben Himmelsschlüsseln mit, die er in einem Wasserglas an sein Fenster stellte und sich dann noch Wochen lang auf den nahenden Lenz freute.

Und auch der kam endlich - hier und da fing schon die Sonne an, von den ihren Strahlen am meisten ausgesetzten Rasenflccken den Schnee wegzuthauen. Mit wildem Poltern schurrten große Lawinen vom steilen Schindeldach der Kirche nieder - Finken und Rotschwänzchen ließen sich sehen, und die Buchenknospen quollen dick und glänzend auf. Und Blumen kamen, Schneeglöckchen und Primeln - auch aus dem Wald zog sich die Schneedecke weiter und weiter in Ravinen und Einschnitte zurück, und endlich, endlich brach er aus in grünen Blättern und Blüthen und lag so wundervoll auf dem herrlichen Walde, daß es eine wahre Lust und Freude war.

Jetzt durften die Holzhäusler Bewohner auch wieder ihre Arbeiten draußen vornehmen, und besonders hatte Andreas schon lange auf die Zeit gewartet, wo er einen im vorigen Herbst gekauften und geschlagenen Baum, der aber den Winter durch tief im Schnee gelegen, in Angriff nehmen und die einzelnen Stücke in sein Haus führen konnte. Freilich mußte er sich die Zeit dazu förmlich abstehlen, denn unter der Hand hatten sie Nachricht bekommen, daß in ganz kurzer Zeit eine Schulvisitation zu Holzhäusel stattfinden solle. Der Kinderschaar mußte bis dahin noch eine unverhältnißmäßige Quantität von Wissen eingeprügelt werden, damit sie nicht mit Schimpf und Schande beständen und Andreas den gestrengen Herren einen schlechten Begriff von seiner Zucht beibrachte. Aber die Arbeit im Wald war ihm, nach dem langen Aufenthalt in der dunstigen Schulstube, fast mehr eine Erholung als eine Beschwerde, und er /10/ kam oft erst bei eingesetzter Nacht nach Hause zurück. Ja einmal, Sonnabends, als der Vollmond hell am Himmel stand, ging er sogar nach dem Abendbrod nochmals hinaus, um einen der Blöcke, den er zu einer besondern Arbeit brauchte, fertig zu behauen und so aufzuspalten, daß er die einzelnen Stücke auf seiner Schulter zum Hause tragen konnte.

Es war eine wunderbar schöne Nacht; kein Lüftchen regte sich; drinnen im Busch klagte die Nachtschwalbe, und in einem kleinen Forellenteich in der Nähe quakten die Frösche; sonst unterbrach kein Laut die fast todtenähnliche Stille. Aber hell und klar stand der Vollmond an dem mit mattfunkelnden Sternen besäeten Himmel und warf die riesigen Schatten der Waldbäume auf eine kleine Lichtung, in welcher der von Andreas gefällte Baum lag.

Thau war gefallen, und wie das im Mondenlicht spielte und glitzerte, wenn sich die Strahlen in den Milliarden Tropfen brachen, und wie das duftete von Harz und Waldmoos! Dem armen Schulmeisterlein ging das Herz ordentlich auf, denn hier genoß er etwas, was jetzt der reichste Städter, ja kein König mit ihm theilen konnte, das vollste, reinste Entzücken an dem Zauber dieser herrlichen Natur - und stille Einsamkeit und Ruhe in dieser Waldeseinsamkeit.

Er legte sich erst eine ganze Weile auf das weiche, schwellende Moos, um den würzigen Duft mit vollen Zügen einzuathmen, und schaute dabei zu, wie der Mond so majestätisch dort am Himmel schwebte und einzelne kleine durchsichtige Wolkenschleier wie Schatten daran vorüberflogen. Aber lange durfte er sich diesem Genuß doch nicht hingeben, denn er kam sonst zu spät nach Hause, und seine Elise ängstigte sich nachher vielleicht über sein Ausbleiben. Rüstig ging er deshalb an die Arbeit, und so warm war es dabei hier oben schon geworden, daß er sogar seinen Rock ausziehen mußte, um sich nicht zu heiß zu machen.

„Eigentlich ist es doch ein ganz sonderbares Gefühl," murmelte er, als er sich, um einen Moment zu ruhen, auf seine Axt stützte und den Blick dabei über die mondglänzende Lichtung warf, „so bei Mondschein im Wald zu arbeiten. Wie dumpf hallen die Schläge, und wie das dabei zischelt und flüstert im Wald - wenn Einer furchtsam wäre, könnt's ihn /11/ wahrhaftig ordentlich gruseln. Am Tag ist das freilich 'was Anderes. Da sieht man doch da und dort einen Vogel und hört sie in den Büschen drin zwitschern; auch vom Dorf dringt manchmal das Krähen eines Hahnes oder das Jubeln einer Kinderstimme herüber. Jetzt ist Alles wie ausgestorben, und man kommt sich fast so vor, als ob man allein auf der Welt übrig geblieben wäre und nun an seinem eigenen Sarge hämmerte. Aber jetzt bin ich ja auch gleich fertig und spare dafür morgen den Weg in der Sonnenhitze, statt dessen ich meine doch nur so kurze Mittagsruhe halten kann - den Klotz nehme ich heut Abend mit, und das Andere können mir die Jungen den Montag nach der Schule in dem kleinen Wägelchen in's Dorf fahren, das schadet ihnen nichts, und die Bewegung ist nur gesund."

Wieder arbeitete er eine Zeit lang und fing dabei schon an müde zu werden, denn seine Arme waren den scharfen Dienst nicht gewohnt, aber er hatte sich einmal vorgenommen, den alten Klotz zum Gebrauch fertig zu behauen, und ließ deshalb auch nicht nach. Nur wenn er einmal ruhen mußte, warf er sich einen Augenblick auf das Moos nieder.

 

So hatte er eben auch wieder eine Pause gemacht und schaute nach dem Mond hinauf, um danach die Zeit zu wissen. Alle Wetter, es war in der That spät geworden und mußte schon lange elf Uhr vorüber sein. Wie leicht sich das aber auch in der frischen Nacht arbeitete, viel besser als an einem warmen Tage, und viel schneller auch. Aber jetzt mußte er wirklich nach Hause - nur noch die letzte Seite wollte er zuhauen - er hatte ihn sich schon zurecht gestellt, und unwillkürlich warf er den Blick nach der Stelle, wo er lag, fuhr aber auch in demselben Moment erschreckt in die Höhe, denn - er war nicht mehr allein.

Wo, um Gottes willen, kam denn der Mensch auf einmal her? Er hatte doch keine Seele kommen sehen, und auf dem mondbeschienenen Plan wäre das ja nicht anders möglich gewesen. Jetzt aber saß auf seinem eigenen Holz ein anständig gekleideter Herr, der fast selber wie ein Schulmeister aussah, mit einer solchen Ruhe, als ob er da schon eine Stunde verbracht und ihm zugesehen hätte. /12/ Im ersten Moment glaubte er, das Licht des Mondes täusche ihn nur, und was er da vor sich sähe, sei weiter nichts als der wunderlich gestaltete Schatten eines Baumwipfels, der gerade auf die Stelle fiele. Aber ein Blick nach dem Mond selber überzeugte ihn, daß das nicht möglich sein könne, denn dieser stand jetzt hoch am Himmel, und die Schatten der Bäume reichten gar nicht bis dorthin. Ueber die Wirklichkeit der Gestalt sollte er aber auch außerdem nicht lange in Zweifel bleiben, denn ehe er sich nur noch recht gesammelt hatte, sagte diese freundlich:

„Guten Abend, Andreas. Noch so fleißig?"

Der Schulmeister wußte wirklich nicht, wie ihm geschah. Jetzt, da er scharf hinblickte, konnte er selbst die Züge des Fremden deutlich erkennen, aber er erinnerte sich nicht, ihm je begegnet zu sein, und trotzdem redete ihn dieser mit seinem Namen an und hatte außerdem ein Antlitz, das man, wenn einmal gesehen, wohl schwerlich wieder vergessen konnte.

Es war eine schlanke, edle Gestalt, schwarz, aber sehr sauber gekleidet, besonders mit schneeweißer Wäsche - etwas sehr Ungewöhnliches in Holzhäusel an einem Sonnabend Abend. Sein Gesicht schien allerdings bleich - wozu vielleicht auch das Mondlicht beitragen mochte, aber er hatte große, sprechende Augen und feingeschnittene Lippen, und ein weicher, pechschwarzer Bart kräuste sich leicht um sein Kinn.

„Guten Abend, mein Herr," sagte der Schulmeister ganz verdutzt, indem er den Fremden so starr ansah, daß dieser ein leichtes Lächeln kaum unterdrücken konnte - „aber wo kommen Sie denn auf einmal her, woher kennen Sie mich?"

„Ach, mein lieber Herr Pech," sagte dieser aber freundlich, „ich kenne Sie schon seit lange, und habe Ihnen oft mit Vergnügen zugehört, wenn sie sich Abends mit Bellermeier, dem Chaussee-Einnehmer, unterhielten."

„Da haben Sie zugehört?" rief Andreas, die Augen weit aufreißend - „wie ist denn das möglich?"

„Ja ja," lachte der junge fremde Herr herzlich vor sich hin. „Bellermeier ist ein komischer Kauz, und wie oft schon hat er mich eingeladen, ihn zu holen."

„Sie hat er eingeladen, ihn zu holen?" rief Andreas, /13/ wirklich erschreckt, indem er in die Höhe sprang. „Ja, um Gottes willen, wer sind Sie denn eigentlich?"

„Bitte, lieber Herr Pech," sagte der fremde Herr aber ganz ruhig, indem er ihm mit der Hand winkte, - „behalten Sie Platz und erschrecken Sie nicht. Sie haben nicht den geringsten Grund dafür. Ich bin blos der Teufel."

„Der Teufel?" sagte Andreas und sank wirklich auf seinen Sitz zurück, fühlte aber auch, wie ihm das Herz ängstlich an zu klopfen fing - er mußte todtenblaß geworden sein.

„Aber, bester Herr Pech," sagte der Teufel, „was schneiden Sie denn für ein trostloses Gesicht. Sie fürchten sich doch nicht vor mir? Das wäre ja rein kindisch und ist gegenwärtig ein vollkommen überwundener Standpunkt. Ich thue Ihnen nichts, und einzig und allein Ihre späte Beschäftigung hat mich angezogen."

„Meine Beschäftigung?" sagte Andreas, der sich wirklich schon in etwas von dem ersten Schreck erholt hatte, wenn er auch ein leises Grausen über diese Begegnung nicht unterdrücken konnte.

„Ja," nickte der Teufel leise vor sich hin - „Ihre Arbeit im Mondenschein. In früheren Jahrhunderten hatte ich über alle Die Gewalt, die im Mondenschein arbeiteten, denn das Mondenlicht ist mein specielles Eigenthum. Mit den vielen Neuerungen der jetzigen Aera ist aber auch das nun abgelöst, und ich habe nur noch mein Vergnügen daran, den Leuten zuzuschauen, die meinen Mondenschein benutzen."

„Aber ich habe gar nicht gewußt, daß das Sünde wäre.'" sagte der arme Schulmeister ganz bestürzt.

„Sünde?" sagte der Teufel, die Achseln zuckend; „lieber Gott, was ist eigentlich Sünde! Wir haben es da mit einem sehr weiten Begriff zu thun. Todtschlag ist Sünde, nicht wahr? Aber ich kenne eine Menge von Beispielen, wo die frommen Geistlichen selbst auf den Kanzeln dem lieben Gott danken, wenn recht viele Menschen todtgeschlagen sind und die zuckenden Leichen noch draußen auf dem Schlachtfeld liegen. Sünde! Diebstahl ist Sünde, und wer stiehlt in unserer Zeit nicht - und wenn es nur den guten Ruf seines Mitmenschen wäre. Wir könnten auf die Art die ganzen zehn Gebote durchnehmen." /14/ Andreas schüttelte mit dem Kopf; er war jetzt, während der Fremde sprach, ruhiger geworden und fing an, sich die Sache zu überlegen. Das sollte der Teufel sein? Ein Herr in einem schwarzen Frack und mit einem Cylinderhut auf? Unsinn! Wenn er auch noch nicht recht begriff, wie er hierher gekommen sein konnte, ohne daß er ihn bemerkt hätte, so ließ sich doch nichts Anderes denken, als daß es irgend ein Fremder wäre, der sich hier im Wald verirrt haben mußte. Natürlich war er dann durch die weitschallenden Schläge seiner Art dieser Richtung zugezogen worden, und da er unbemerkt herankam, wollte er sich jetzt einen Spaß mit ihm machen und sich für den „Gottseibeiuns" selber ausgeben.

Erstlich war Andreas, wie schon früher erwähnt, noch lange nicht mit sich einig, ob es wirklich nur überhaupt einen Teufel gäbe, und wenn in der That, so sah der doch jedenfalls anders aus als ein vornehmer Stadtherr, der mit Glanzstiefeln im Wald herumläuft und Glacehandschuhe trägt. Mit dem Verdacht wuchs aber auch wieder sein Muth - wie man ihn überhaupt nicht furchtsam nennen konnte - und er fing an, sich die Sache von der humoristischen Seite zu betrachten.

Der Fremde hatte in der Zeit sehr ruhig seine Cigarrentasche herausgeholt und sich eine Cigarre genommen.

„Rauchen Sie, Herr Pech?" frug er freundlich - wo in aller Welt hatte er nur seinen Namen wegbekommen – indem er ihm die Tasche hinhielt.

„Bitte," sagte dieser, „wenn Sie erlauben - eine gute Cigarre bekommt man hier in der Gegend selten."

„Diese sind ächt," sagte der Fremde, „ich habe sie selber von Havanna mitgebracht."

„Waren Sie in Amerika?" rief Andreas, der eigentlich keine weitere Sehnsucht kannte als Amerika, es aber etwa ebenso betrachtete, wie den Mond oder einen andern Planeten, nach dem man sich wohl hinwünschen, den man aber auch nie erreichen könne.

„Allerdings," lächelte der Fremde, „ich habe dort viel zu thun."

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»