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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band
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Capitel 1
Die Fahrt durch Arkansas

Den Mississippi hinauf brauste das kleine, aber tüchtige Dampfboot Little Rock, nach Fort Smith, dem Grenzort des Indianischen Territoriums bestimmt, aber auch an allen Zwischenorten, wo eben Passagiere aussteigen oder an Bord kommen wollten, oder wohin Fracht von New-Orleans aus eingeladen war, anlegend.

Passagiere hatte es aber nicht sehr viele an Bord, denn der große Menschenstrom der Einwanderung geht vorzugsweise den Mississippi hinauf bis St. Louis und zu den nördlicher gelegenen Staaten, Iowa oder Wisconsin, oder den Ohio hinauf, wohin wir der Jane Wilmington mit unseren Bekannten gefolgt waren. Den Arkansas aufwärts war der Zug der Einwanderung noch nicht so stark, denn die Fremden fürchteten die kalten Fieber, die in den östlichen Theilen des Staates herrschen, und scheuen sich ebenso sehr nach dem Westen zu gehen, den ihre Phantasie nicht selten auf viel zu poetische Weise mit Bären, Panthern und Gott weiß was sonst noch für reißenden Thieren bevölkert.

Nichts destoweniger haben die dort gelegenen Städte zum Theil schon recht wackere Fortschritte gemacht, und blühen und gedeihen in dem jungen Land, das Fruchtboden aufzuweisen hat, wie kaum ein anderer Staat der Union, und in seinen westlichen Bergen dabei so gesunde und trefflich gelegene, überall von schönen Strömen durchzogene Flächen bietet, wie es der Farmer nur wünschen kann. Freilich war es noch wild in dem Squatterstaat, noch entsetzlich wild, und als der Little Rock, der nach der Hauptstadt von Arkansas seinen Namen bekommen, und auch in der That einem Kaufmann dort gehörte, den lebendigeren Mississippi verließ, und bei dem kleinen Städtchen Napoleon links in die Mündung des Arkansas selber einbog, schien Wald, endloser Wald die Ufer zu decken, aus denen nur hie und da kleine urbar gemachte, oder von den Holzhauern gelichtete Waldblößen die Wildniß nicht etwa unterbrachen, sondern nur die Färbung derselben in etwas veränderten. Dicht und unmittelbar dahinter nahm sie wieder ihre dunklen Schatten an, und die mit wehenden Schlingpflanzen in schwingenden Festons behangenen Zweige streckten sich oft weit über das Ufer und den daran hinschäumenden Strom hinaus.

Breite, helle Sandbänke füllten dabei die äußeren Biegungen des in dieser Jahreszeit ziemlich niedrigen Stromes, auf denen Schwärme von Wildenten und Gänsen saßen, beim Nahen des heranbrausenden Bootes die langen dunklen Hälse hoch emporreckten, mit den Flügeln schlugen, und dann aufstrichen in ihren schnurgeraden Reihen, bis sich der Führer hoch oben in blauer Luft seinen Zug keilförmig ordnete, und queer über den Wald weg hielt, einem stilleren Sumpf oder Binnensee zu.

Überall ragten hier häßliche snags und sawyers (in Sand oder Schlamm unten festsitzende Stämme und Äste) aus der Fluth empor, den Lootsen in dem nicht so breiten Fahrwasser zu doppelter Vorsicht mahnend, und auch die Ufer dieses Stromes, wie die des Mississippi, verriethen die Verheerungen, die er hier angerichtet am bewaldeten Ufer. Ganze Strecken der hohen, aus dem herrlichsten Fruchtboden bestehenden Bänke waren unterwühlt, hunderte von mächtigen Stämmen hineingerissen in die um ihre Äste jetzt quirlende Fluth, und wieder und wieder bohrte und wusch die Strömung unter den schon halb blos gelegten Wurzeln der nächsten Bäume, auch sie nachzuholen in ihre gelben Strudel.

Sycamoren, Baumwollenholzbäume, Eschen und Cypressen, mit stämmigen Weiden am unmittelbaren Ufer, der Unterwald, wie am Mississippi, oft von dichten fast undurchdringlichen Schilfbrüchen gefüllt, bilden die Vegetation des Flußlandes, wenigstens die, die vom Fluß selber aus dem Vorbeifahrenden sichtbar ist, und hier allerdings schleicht der scheue Panther Nachts zum Strome nieder, seinen Durst zu löschen, oder dem schlanken Hirsch aufzulauern, der das Wasser des Arkansas, seines Salzgehaltes wegen, eifrig sucht; in diesen Schilfbrüchen schlägt sich der Amerikanische gelbnasige Bär sein Lager zurecht, mit den Tatzen, der wilde Truthahn bäumt in die hohen Baumwollenholzstämme, und sucht von deren Gipfel aus mit schwerem, leicht ermattetem Flug das andere Ufer zu erreichen, und das Catamount, ein Mittelding zwischen Panther und wilder Katze, duckt sich dicht am Ufer in stiller Nacht, als es das Dampfboot mit den regelmäßig klappenden Radschlägen und dem scharfen Keuchen stromauf arbeiten hört, und flieht mit flüchtigen Sätzen die steile Uferbank hinan, als die gegen das Land geworfenen Wellen nach ihm aufspritzen und züngeln.

Es ist ein wunderbares, nicht zu beschreibendes Gefühl, auf raschem Boot zwischen diesen stillen rauschenden Wäldern dahinzugleiten, und füllt die Brust des Fremden besonders, dessen Blick vergebens in des Waldes Tiefe einzudringen sucht, mit einem halb zagenden Verlangen jene Wildniß zu betreten. Wie die Wipfel so leise flüstern und so geheimnißvoll, und im Winde schwanken, herüber und hinüber, und ihren duftigen Schleier über das zitternde Dunkel des Urwaldes breiten – wie es da drinnen knarrt und stöhnt und seufzt, und hindurch schleicht, durch das gelbe, Jahre und Jahre lang aufgehäufte gelbe Laub mit leisem, scheuem Schritt, und in den Blättern raschelt, und durch die Büsche hin. – Hui – vorbei – was war das? – wie ein Phantom glitts an dem Rand der Waldung hin, und ein paar glühende Augen blitzten einen Moment von dort herüber. Ein Wolf? – vielleicht; die schwarzen tückischen, mordlustigen Burschen haben dort ihren Tummelplatz, und wenn die Nacht kommt, tönt noch der wunderbar klagende, unheimlich hohle Laut der Eule von dort heraus, mit dem neckenden Schrei der Nachtschwalbe,1 die den Gespielen ruft – »whip poor willwhip poor will

Der schöne – wunderschöne Wald – aber er bleibt Dir ein verschlossenes Heiligthum, wenn Du nicht kühn und keck vom Boote springst, mit starken Armen die Büsche theilst und den heiligen Boden betrittst, der Gottes Tempel ist, und seine hohen mächtigen Säulen trägt. – Nur sein Athmen hörst Du, wenn Du an der Pforte stehst, die Dir die Arme trotzdem weit und gastlich entgegen breitet, das stille Rauschen seiner dunklen Wipfel, und sie grüßen Dich wohl und nicken Dir zu, wie man den Fremden grüßt, den man auf der Straße trifft, aber der liebende Ton ist es nicht, mit dem sie den Freund, der ihrem Schutz vertraut, das Schlummerlied flüstern – leise, leise, daß es ihn nicht stört, und ihm die Mondesstrahlen von den Augen halten.

»Oh wie großartig – oh wie herrlich!« seufzte eine entzückte weibliche Stimme von den guards des Dampfers aus, als dieser dicht an dem wilden rauschenden Ufer vorüberbrauste – »wer jetzt hinüber könnte – dahinein, die Wunder dieser düsteren, geheimnißvollen Welt zu erforschen!«

»Ja, Mosquitos und Holzböcke würden Sie genug finden, verehrtes Fräulein,« sagte in diesem Augenblick eine Stimme, als Amalie von Seebald, die ihren Gefühlen ganz unbewußt laute Worte gegeben, die Arme fest an die Brust gepreßt, den Blick sehnsüchtig auf die rauschenden Wipfel geheftet, auf der Gallerie der Damencajüte des Little Rock stand und nach dem dunklen Wald hinüberschaute.

Fräulein von Seebald schaute überrascht empor, und sah eine kleine untersetzte, in einen grauen Überrock geknüpfte und mit einem etwas abgetragenen Strohhut bedeckte Menschengestalt dicht über sich auf dem Radkasten stehen, die ein Tuch in der Hand hielt und im Begriff schien, Jemandem, der noch etwas weiter oben am Ufer in einer kleinen, kaum bemerkbaren Lichtung stand, zuzuwinken.

»Ungeheuer viel Mosquitos da drin,« sagte der kleine freundlich aussehende Mann, »enorm viel, und Holzböcke? – puh, ich bin einmal da drin gewesen, gleich unter der Post Arkansas; Tschisus Etsch Dobbeljuw Kreist, was für Holzböcke! wenn mich nicht ein Theil festhielt, hätte mich der andere aus dem Bette gezogen, und am nächsten Morgen war meine Haut wie ein Sieb, daß ich mich mit Baumharz ordentlich anstreichen mußte, um nur nicht auszulaufen – ist aber famoses Land da drinnen.«

»Sie sind hier bekannt?« frug Fräulein von Seebald mit mehr Interesse, als sie sonst wohl an dem kleinen unscheinbaren Mann genommen hätte – »kennen das Land vielleicht und die Leute?«

»Kennen?« sagte der kleine sonderbare Fremde mit einem ungemein selbstbewußten Lächeln, indem er als bildliche Darstellung seiner Antwort seine rechte Rocktasche herausdrehte und gegen die Dame hielt – »kenne ich meine Tasche? – ich bin Charley Fischer – haben Sie noch nicht von Charley Fischer in Little Rock gehört? wie? – noch nicht? – bin schon zwölf Jahre hier im Lande und habe Little Rock mit bauen helfen; war damals wirklich ein little Rock,2 ist aber jetzt ein hiep bigger geworden.«

Fräulein von Seebald lächelte über die wunderliche Ausdrucksweise des Mannes, es lag ihr aber daran die genaue Situation der Farm kennen zu lernen, die dem Grafen Olnitzki gehörte und die, da sie gar nicht so sehr weite Strecke von der Hauptstadt Little Rock entfernt sein sollte, auch jedenfalls von dem Mann gekannt sein mußte.

 

»Dürfte ich Sie da vielleicht um eine Auskunft bitten über Jemand, der in Ihrer Nähe wohnt? frug sie ihn, und erschrak fast, als der kleine Fremde ganz zutraulich den kleinen Steg vom Radkasten nieder und zu ihr auf die Gallerie kam. Sie machte dabei eine fast unwillkürliche Bewegung zurück, und sah sich nach ihrer Cajütenthür um, Charley aber, der die Bewegung falsch verstand, sagte freundlich:

»Hat Nichts zu sagen, mein Fräulein; ich darf überall hin, der Capitain kennt mich und ist mein intimer Freund. Habe selber erst eine kleine Reise nach Napoleon gemacht, um dort nach Sachen zu sehen, die für mich von New-Orleans heraufkamen und mit denen das Boot nahe bei Napoleon verunglückte, habe aber ziemlich Alles wieder bekommen und die ganze Geschichte gleich selber mitgenommen. Und nach wem wollten Sie sich erkundigen, wenn ich fragen darf?«

»Kennen Sie einen Graf Olnitzki, der in der Nähe der Oakland grove eine Farm hat und dort ebenfalls schon mehre Jahre ansässig ist?«

»Graf Olnitzki – Graf Olnitzki?« sagte Charley Fischer, wie er sich selbst genannt hatte, sein Kinn dabei mit der rechten Hand streichend, während er die linke tiefer und tiefer in die entsprechende Rocktasche hineinbohrte – »Graf Olnitzki – den Namen habe ich doch oft genug gehört; er muß auch schon einmal bei mir in Little Rock gewesen sein – was hat er denn nur da gewollt – ich glaube irgend etwas zum Verkauf gebracht?«

»Wahrscheinlich seine Produkte – türkischen Weizen oder Baumwolle – « sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, ne – es war etwas anderes,« meinte Charley.

»Oder der Ertrag seiner Jagden – Hirschhäute und Bärenschinken.« —

»Ne, ne,« beharrte der kleine Deutsche, »es war was ganz absonderliches; Jemine noch einmal, daß ich mich jetzt nicht mehr darauf besinnen kann.«

»Aber das hat ja auch gar Nichts zu bedeuten. – Sie kennen jedenfalls die Lage und können mir sagen, wo ich vom Dampfboot abgehen muß den Platz am leichtesten zu erreichen. Der Capitain meinte, ich würde bis Little Rock mitfahren müssen.«

»Jedenfalls, jedenfalls,« sagte Charley schnell, »können dann bei mir logiren, ich halte auch seit einiger Zeit ein Hotel; mein Bruder hält zwar ebenfalls eins, und wir haben dadurch gewissermaßen eine Opposition gegeneinander, aber die Opposition ist ja die Seele der Gesellschaft, der Lebenstrieb, der unsere ganzen Staaten zusammenhält; was wären wir hier alle mit einander ohne Opposition?«

»Aber ich gedenke mich gar nicht in Little Rock aufzuhalten,« sagte Fräulein von Seebald ausweichend.

»Es wird aber wohl Abend werden bis wir hinkommen,« meinte Charley – »doch das können Sie sich noch überlegen; hier haben Sie jedenfalls meine Adresse.«

»Und welchen Weg schlage ich von Little Rock ein?« frug die junge Dame, mit einer leicht dankenden Verbeugung die Karte nehmend – »der Platz liegt soviel ich weiß auf der anderen Seite des Stromes – .«

»Oakland grove? – ja wohl, aber an der Straße – prächtige Straße dorthin – ein Bischen naß, wenn's geregnet hat, aber sonst breit und famos durch den Wald ausgeschlagen.«

»Und wann geht die Post dorthin ab?« frug Fräulein von Seebald.

»Die Post?« – sagte Charley, sie rasch und erstaunt dabei ansehend, setzte aber, sich besinnend, hinzu: »die Briefpost meinen Sie? – der Mailrider3 geht die Woche zweimal nach Batesville hinauf und kommt zweimal wieder.«

»Und die Fahrpost?«

»Fahrpost, hahaha« – lachte Charley, »die Bären und Panther würden ungemein erstaunt sein, wenn sie einmal eine Fahrpost zwischen sich durchrasseln hörten. Segne Ihre Seele, mein Fräulein, dahinein geht keine Fahrpost. Nichts wie ein berittener Bote, und wenn Sie nach Oakland Grove wollen, so müssen Sie entweder zu Fuß gehen oder reiten. Ihr Gepäck können Sie indessen zu mir in's Haus stellen.«

»Das wäre ja schrecklich!« rief Fräulein von Seebald.

»Oh es steht dort ganz sicher,« sagte Charley.

»Nein ich meine den Weg zu Fuß oder zu Pferde zu machen; – ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen.«

»Das ist ganz leicht,« sagte Charley, »der linke Fuß kommt in den Steigbügel und das rechte Knie nehmen Sie, sehn Sie, so, – über die Knuppe hinauf, die an dem Damensattel sitzt, dann können Sie gar nicht herunter fallen, und hängen oben wie eine Klette.«

»Und wie weit ist der Platz von Little Rock?«

»Oakland Grove?«

»Nein, wo Graf Olnitzki wohnt?«

»Ja das weiß ich wahrhaftig nicht genau,« sagte Charley achselzuckend, »ich bin nach der Richtung hin noch gar nicht gekommen; aber dahin müssen Sie sich doch einen Führer mit Pferden nehmen, und Ihr Herr Gemahl – Sie sind doch verheirathet, wenn ich fragen darf?«

Die Frage kam so plötzlich, daß Amalie von Seebald unwillkürlich darüber erröthete, aber lächelnd antwortete:

»Nein; ich bin nicht verheirathet.«

»Aber Sie haben doch jedenfalls Begleitung,« sagte Charley.

»Ich bin ganz allein,« erwiederte die Dame.

»Ganz allein? – und wollen ganz allein in den Wald hinein?«

»Und warum nicht?«

»Nu hören Sie, das nehmen Sie mir nicht übel,« sagte Charley, freundlich lächelnd, »das ist denn nun doch wohl blos Ihr Spaß?«

»Aber weshalb um Gottes Willen?« frug Fräulein von Seebald wirklich beunruhigt über das ganze Wesen des Mannes – »was kann mir denn im Wald geschehn? Sind noch Indianer dort?«

»Indianer? – nein; am Fluß lagern vielleicht welche, aber die stehn unter Aufsicht und sind harmlos.«

»Oder wilde Thiere?«

»Nun ja, es giebt wohl Bären und Panther da, aber man hört doch selten davon daß sie Jemanden angefallen haben.«

»Was sollte mich also sonst hindern?«

»Ih nun ja« sagte Herr Fischer – »es ist wahr, es ginge schon, aber – ich weiß doch nicht, ich möchte nicht alleine und ohne Gewehr nach Oakland Grove und von da noch weiter in den Wald hinein gehn, und ich bin doch nun schon zwölf Jahr in Arkansas. Überhaupt, es ist nirgends besser wie in Little Rock; das ist ein capitaler Fleck und sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal die erste Stadt in der Union würde. Nachher ist aber Charley Fischer am Platz, denn ich habe eine ganze Parthie Lots gekauft und die müssen einmal einen heillosen Werth bekommen.«

»Aber es hat doch ungemein viel Romantisches, so allein durch den Wald zu gehn« sagte Fräulein von Seebald.

»Romantisches, Du lieber Gott« erwiederte achselzuckend der kleine praktische Mann, »das kauf ich nicht theuer, denn das bringt Nichts ein. Habe schon mehre Leute hier gekannt – auch deutsche junge nette Kerle, die ihre Kräfte hätten an was Vernünftiges wenden können, die thaten auch eben weiter gar Nichts als im Wald mit der Büchse allein herum zu laufen, blos ein paar lumpiger Hirsche und des Bischens Romantik wegen. Was ist nachher aus ihnen geworden? – weiter hatten sie Nichts auf dem Leib als ihr ledernes Jagdhemd und ihre Leggins, dabei Moccasins an den Füßen und keinen Cent in der Tasche, ja nicht einmal eine Tasche an sich, einen Cent hinein zu thun, wie vielleicht ihren Kugelbeutel, und nachher brachten sie mit Mühe und Noth Felle genug zusammen um eben ihre Passage auf einem Dampfboot zu bezahlen, wieder fortzukommen. Der Teufel soll eine solche Romantik holen – ne da lob' ich mir Little Rock.«

»Und Sie kennen den Grafen Olnitzki nicht persönlich? – waren nie dort in der Gegend?«

»Nein Madame – mein Fräulein wollt' ich sagen, aber wissen Sie, mit dem Grafen hat es hier auch nicht viel zu bedeuten.«

»Wie so, geht es ihm schlecht?« frug Amalie rasch und erschreckt.

»Wem? dem Olnitzki? ja ich weiß nicht – nein ich meine nur mit dem Titel überhaupt. Wissen Sie, hier in Amerika sind wir alle gleich – alle freie Bürger, Einer soviel wie der andere, und wenn ich mich zum Spaß Graf Charley Fischer nennen wollte, hätte auch Niemand etwas dawieder, ich wäre eben Graf Charley Fischer, und wenn die Leute zu mir kämen und ein Glas Brandy trinken wollten, würden sie mir wie jetzt auf die Schultern schlagen und sagen: 'nu Graf Fischer, altes Haus, wie gehts, how do you thuts Euch?'«

»Ich glaube auch nicht daß Graf Olnitzki Anspruch auf eine höhere Stellung macht« sagte Fräulein von Seebald.

»Ne, kann ich mir denken« sagte Charley freundlich, »würde ihm auch gar Nichts helfen; besonders hier nicht in Arkansas. Wir haben hier übrigens eine ganze Menge Polen; da ist der Graf Doraski am Red River und der Graf Potelsk – Podelscyk – na wie heißt er denn gleich, verwünschte Namen tragen die Polen manchmal, und die Amerikaner haben ganz recht wenn sie meinen, man könnte sie nur aussprechen wenn man dreimal nießte und dann ski sagte – na es ist einerlei wie er heißt. Sonderbar, von Polen kommen blos lauter Grafen hier her, denn wenn man einen Polen findet, kann man sich auch fest darauf verlassen daß es ein heimlicher Graf ist; es muß ungeheuer viel Grafen dort im Lande geben.«

»Wie sind aber nur die Verhältnisse der Ansiedler hier in der Nähe von Little Rock?« frug Fräulein von Seebald, die es drängte etwas Näheres über die ihr am Herzen liegenden Menschen zu hören, »kommen sie manchmal, an Sonntagen vielleicht, in die Stadt, zu Theatern oder Concerten? – haben die Deutschen untereinander nicht Bälle oder andere Festlichkeiten, bei denen sie sich zusammenfinden und vergnügt sind? das Waldleben denke ich mir wundervoll, herrlich, aber das Schönste bedarf doch manchmal einer Abwechslung.«

»Bälle? – ja, die haben wir manchmal hier unter den Deutschen« lachte Charley Fischer vergnügt vor sich hin, vielleicht in der Erinnerung mancher dabei verlebter Stunden, »und amüsiren thun sie sich dabei im Anfang und prügeln am Schluß, gerade wie bei uns zu Hause; aber wenn die Farmer, besonders die, die so weit wegwohnen, dazu hereinkommen wollten, da hätten sie viel zu thun. Die Männer ja, die reiten manchmal her, stehen4 auch wohl ein paar Tage und verthun was sie herein gebracht haben an Produkten, manchmal auch noch das mit, was sie das nächste Mal bringen wollen, aber die Frauen bleiben zu Hause und hüten das und ihre Kinder, und haben dabei alle Hände voll zu thun.«

»Aber die Nachbarn kommen dann unter einander wahrscheinlich sehr häufig zusammen.«

»Ja, wenn sie Nachbarn haben, die Nachbarschaft in Arkansas soll aber der Henker holen,« sagte Charley – »die nennen sich so und wenn sie zwanzig Meilen von einander sitzen.«

»Das ist ein Beweis für ihre Geselligkeit« lächelte Fräulein von Seebald.

»Ja schöne Geselligkeit, wenn Niemand dazwischen wohnt« meinte Charley – »ne, da lob' ich mir Little Rock; wenn mir da mein eigener Brandy nicht mehr schmeckt, gehe ich um die Ecke herum zum Georg und trinke da anderen, und alle Wochen kommen ein paar Dampfboote den Strom herauf oder herunter, die auch Neues bringen, und wo man doch etwas zu hören und zu sehn bekommt. S'ist ein ganz famoses Leben in Little Rock.«

Fräulein von Seebald fühlte sich, obgleich ihr der fremde Deutsche gar nichts Direktes von den Ihrigen sagen konnte, und diese jedenfalls in ganz andern Verhältnissen lebten wie er sie hier schilderte, doch unangenehm berührt durch diese Beschreibung, sie wußte eigentlich selber nicht recht weshalb. Es war ihr auch erwünscht daß die Unterhaltung in diesem Augenblick durch die in der Cajüte geläutete Klingel, das Zeichen zum Mittagstisch, abgebrochen wurde, und sie zog sich mit einer leichten dankenden Verbeugung gegen Herrn Fischer, die dieser mit einem freundlichen Kopfnicken erwiederte, in die Ladies cabin zurück, dort den Nachmittag hindurch ihren eignen Betrachtungen und Gedanken nachzuhängen.

Das Boot setzte indessen rasch und wacker seinen Weg fort; die Scenerie blieb dieselbe – Wald – endloser Wald an beiden Seiten, der sich selbst bei kleinen einzeln zerstreuten Städten, die sie trafen, bis dicht um diese her zu ziehen schien, als ob er wieder frisch aufgewachsen sei, seit sie entstanden, und das Land zurück verlange, das sie ihm abgedrängt.

Am nächsten Tag, gegen Abend, erreichten sie Little Rock, und die breite, weit ausgehauene Lichtung verrieth schon von weitem eine größere Ansiedlung, wie sie bis jetzt getroffen. Als sie näher kamen erkannten sie große ansehnliche steinerne Gebäude, allerdings oft neben kleinen modernen Holzhütten, und eine Dampffähre spielte über dem Strome nach dem andern Ufer hinüber. Auch der Landungsplatz, gegen den sie jetzt aufliefen, bot, wenn auch nicht mit New-Orleans zu vergleichen, doch das belebte Bild einer größeren, geschäftigen Stadt, die hier im Herzen eines sonst noch ziemlich wilden Staates entstanden; Karrenführer von allen Farben drängten sich herbei Güter und Passagiergut fortzuführen, sobald nur die Taue ausgeworfen und die Planken übergeschoben wären, und eine Menge Ungeduldiger, wie auf allen Landungspunkten am ganzen Strom hinab, warteten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie an Bord springen konnten, Neues und Neuigkeiten in Empfang zu nehmen, oder gegen die mageren Stadt-Berichte einzutauschen.

 

Fräulein von Seebald befand sich aber jetzt wirklich in Verlegenheit, denn in der festen Überzeugung, und gar nichts anderes für möglich haltend, als daß eine Post doch wenigstens die Woche ein paar Mal nach jener Ansiedlung, auf der ihre Schwester wohnte, hinauf laufen müsse, hatte sie ihr ganzes Gepäck, drei Koffer und mehre Hutschachteln mit noch ein paar kleinen Kisten, die Geschenke für Schwester und Schwager enthielten, mit an Bord des Dampfers genommen. Wie sollte sie die jetzt mit fortbringen, in den Wald hinein? und fort mußten sie, denn sie brauchte, wie sie meinte, dort Alles nothwendig was sie enthielten.

Charley Fischer half ihr da übrigens, als die Landung nur erst überstanden und er alle seine tausend Freunde begrüßt und mit ihnen, wie er's nannte, Hands geschäkt5 hatte, aus der Noth, denn er war erstlich nicht der Mann irgend Jemanden, aus dem er irgend einen Nutzen zu ziehen hoffte, unbeachtet zu lassen, dann aber auch die gutmüthige Gefälligkeit gegen Damen selber, und glaubte hier noch dazu das doppelte Interesse an einer Reisegefährtin nehmen zu müssen. Kaum daher in die Stadt hinauf gekommen, sah er sich auch schon, alles Übrige indeß hintansetzend, auf das Eifrigste nach einer möglichen Gelegenheit nach Oakland grove um, wozu die Landung selber der beste Platz war, da dort fast alle Gastwirthe, oder doch Leute von ihnen, bei der Ankunft eines Dampfers zusammen kamen. Zufällig war in der That ein Geschirr – freilich nur ein gewöhnlicher Leiterwagen von Rosemores (einer Farm, die eine kleine Strecke überhalb der Oakland grove lag) in Little Rock, hatte Butter, Eier, geräucherte Hirschkeulen und andere Produkte hereingebracht, und nahm Mehl, Kaffee, Zucker, Brandy etc. etc., kurz Provisionen die dort nicht zu bekommen waren, wieder mit hinaus. Der Fuhrmann wollte am nächsten Morgen mit der ersten Fähre über den Strom gehen und, da er nur halbe Ladung hatte mit Vergnügen gegen eine mäßige Entschädigung die Sachen der Dame bis zu »Billy Jones clearing« mitnehmen, von wo aus ein Fuß- oder Reitpfad nach Old Nitzkys range, wie der Mann den Namen des Grafen Olnitzki mishandelte, hinüberlief. Wollte die Dame bis Billy Jones mit auf seinem Wagen fahren, so war sie »perfectly welcome«, das heißt: er stand ihr mit Freuden zu Diensten, und durch ein oder zwei Arme voll Maishülsen ließ sich auch schon zur Noth ein ziemlich bequemer Sitz herstellen.

Charley Fischer lief ungesäumt mit dieser »guten Nachricht« an Bord zurück, wo Fräulein von Seebald eben in ziemlicher Ungewißheit war, ob sie die Karte des Herrn Charley Fischer benutzen, oder ihr Gepäck in ein anderes Gasthaus sollte schaffen lassen, dessen riesige Firma sie schon über die Straße herüberleuchten sah. Des kleinen gefälligen Mannes Erscheinen entschied dies zu seinem Gunsten, die Koffer und Kisten wurden aufgeladen, und die junge Dame befand sich bald darauf in einem kleinen kahlen unbehaglichen, nicht überreinlichen Gemach auf Pinestreet, in dem sie jedoch bald von der freundlichen Wirthin selber aufgesucht und unterstützt wurde ihre Toilette zur Abendtafel, die aus einem recht guten compakten Mahl mit Thee bestand, vorzubereiten.

Charley Fischer hätte nun gar zu gern diese Gelegenheit benutzt, aus seinem Gast alles nur Mögliche über ihre Lebensverhältnisse und besonders den Zweck ihrer Reise heraus zu bekommen, denn daß eine junge Dame eine solche Fahrt allein unternommen, hatte jedenfalls auch etwas ganz Absonderliches zu bedeuten. Nun sagte ihm Fräulein von Seebald allerdings ganz einfach, daß sie nur nach Arkansas gekommen wäre ihre, an den Grafen Olnitzki verheiratete Schwester zu besuchen, aber das glaubte er ihr natürlich nicht, und suchte nun erst recht etwas Geheimnißvolles unter dem Besuch. Je bereitwilliger und freigebiger er dabei mit seiner eigenen Lebensgeschichte war, desto mehr verdroß es ihn natürlich, wenn Andere nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollten. Fräulein von Seebald war aber ermüdet von der Reise sowohl, als sie sich auch angegriffen von der Aufregung der letzten Tage, dem erhofften Wiedersehn entgegenharrend, fühlte, und suchte deshalb zeitig ihr Lager. Charley Fischer versprach ihr übrigens sie wecken zu lassen, wo sie das Frühstück bereit finden und immer noch zeitig genug zur ersten Fähre kommen sollte. Der Fuhrmann hatte dabei zugesagt, bei seinem Hause, wo er überdies seinen gewöhnlichen Morgentrunk nahm, vorzufahren, und eine Versäumniß war deshalb gar nicht möglich.

Der Morgen kam; die Sachen wurden vor das Haus geschafft, die beiden kleinen Kisten besonders mit wieder und wieder empfohlener Vorsicht, da sie zerbrechliche Sachen enthielten, Fräulein von Seebald hatte ihre Reisetoilette wie ihr Frühstück beendet, ihre nicht übermäßige Rechnung bezahlt, ein Glas Brandy und Zucker, das ihr ihr freundlicher Wirth auf das hartnäckigste gegen die rauhe Morgenluft aufzudringen suchte, wieder und wieder verweigert, der Wagen kam, die Sachen wurden aufgeladen, und Charley Fischer ließ es sich nicht nehmen Fräulein von Seebald seinen Arm zu reichen und sie zur Fähre hinunter zu begleiten.

Allerdings hätten die beiden Figuren nach unseren deutschen Begriffen vielleicht ein wenig wunderlich zusammen ausgesehen, und Fräulein von Seebald selber fühlte sich auch so unbehaglich als möglich in der Begleitung, die sie nicht gut verweigern konnte. Die Dame nämlich war ganz modern, ja sogar modisch angezogen, mit einem hellen Kleid von roher Seide, und feinem Strohhut, und einer dunkelrothen seidenen Schärpe um, während Charley dagegen in einem etwas sehr kurzen und auch nicht übermäßig reinen leinenen Röckchen prangte, unter dem ein paar ebenfalls etwas kurze gestreifte wollene Hosen hervorsahen. Er trug dabei Schuh und gelbwollene Strümpfe oder vielmehr Socken, die nicht oben blieben wie er erklärte, er mochte dagegen thun was er wollte, und der alte Strohhut deckte noch immer seinen Scheitel, wie auf dem Schiff; nur ein reines gelb und roth gestreiftes Hemd hatte er heute Morgen angezogen, und ein saftblaues seidenes Tuch darum geknüpft. In Amerika fällt etwas derartiges aber nicht auf; man sieht sogar, selbst in den größten Städten, die Damen sehr häufig an dem Arm eines Herrn, der in kurzer weißleinener Jacke geht, in Sammet und Seide nebenher rauschen; das Kleid macht dort nicht den Mann, sondern der Mann das Kleid.

Nichts destoweniger und trotz der frühen Morgenstunde war Fräulein von Seebald fest davon überzeugt, daß die Augen sämmtlicher Einwohner von Little Rock, an deren Fenstern sie vorüber gingen, in Spott und Neugierde auf sie geheftet wären, und dankte ihrem Gott, als sie das Fähr- oder Ferryboot endlich erreichten, wo sich Herr Charley Fischer auf das Angelegentlichste von ihr verabschiedete, wie sie auch ersuchte, ihn ihrer Frau Schwester, wenn auch unbekannter Weise, freundlichst zu empfehlen.

Die kleine Fähre dampfte über den ziemlich breiten Strom, auf dem noch der leichte Morgennebel in dünnen, hie und da von einem blitzenden Sonnenstrahl getheilten Schwaden lag, und auch den gegenüberliegenden Uferrand bedeckte. Nur eine Reihe niederer, hellangestrichener, viereckiger Holzhäuser wurden da sichtbar, die mit riesigen Schilden bedeckt, und wenn das möglich gewesen wäre, verunstaltet, den oberen Rand der steilen Uferbank krönten, und wieder ihrerseits von den hohen majestätischen Wipfeln riesiger Baumwollenholzbäume überragt wurden. Diese kleine Stadt hier, die dem wachsenden Little Rock ihren Ursprung verdankte, bestand fast einzig und allein aus Schenkständen – sogenannten »groceries und provision stores,« in denen, neben allen möglichen Lebensbedürfnissen, die spirituösen Getränke den Hauptbestandtheil bildeten; aber sie sah neu und häßlich aus, wie eine Schachtel frisch ausgepackter Nürnberger Spielwaaren in eine Reihe gestellt, über die der darüber wohnende Urwald den Kopf schüttelte, und seufzend dabei den Krebsschaden erkannte, der sich weiter und weiter in seine Seite fraß.

Fräulein von Seebald, von den Leuten an Bord neugierig betrachtet, die eine einzelne und dabei so elegant gekleidete fremde Dame nicht so oft und früh zwischen sich sahen, hüllte sich übrigens, ohne mit irgend Jemand zu verkehren, fester in ihren Shawl – die Morgenluft wehte frisch und kühl über den Strom – und schaute unverwandt nach dem andern Ufer hinüber, dem sie rasch entgegenstrebten.

1Die Amerikanische Nachtschwalbe, ihres leise klagenden Rufs wegen, der ganz diesen Worten ähnlich klingt, Whippoorwill genannt.
2Little Rock – kleiner Fels – die Ansiedlung bekam ihren Namen zuerst von einzelnen kleinen Felsblöcken, die hier am Ufer liegen.
3Postreiter.
4stehen, der deutsch-amerikanische Ausdruck von bleiben von dem Englischen to stay.
5To shake hands die Hand schütteln.
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