Die Colonie

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„Aber der Müller..."

„Haltet Euer Maul!" fuhr ihn der Director an; „wenn Ihr eine gegründete Klage habt, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch damit wenden sollt, und zu welcher Zeit, und daß Ihr dann Eure Zeugen mitzubringen habt. Einfache Klatschereien will und werd' ich nicht anhören. Was fehlt denn der Frau da, die dort in der Ecke liegt?"

„Schlecht ist ihr's," sagte eine andere Frau, die neben ihr saß und ihr gerade aus einem großen Topfe zu trinken gab ; „sie hat sich den Magen verdorben an den vielen Apfelsinen."

„Ist denn der Dcctor heute noch nicht hier gewesen?"

„Der Doctor? Ja, der kommt schon lange nicht, wenn man ihm nicht erst das Haus einläuft," sagte eine andere Frau; „meine Kathrine, der war's gestern auch so elend zu Muthe - daß er auch nur einmal nach ihr gesehen hätte - und wie ich ihn darum gebeten habe!"

„So?" sagte der Director, „nun, in einer halben Stunde soll er hier sein, das verspreche ich Euch - wie viele von Euch haben denn in der Woche mit an dem Wege gearbeitet ?"

Keine Antwort - die ihm Nächsten schienen die Frage eben nicht gern zu hören.

„Nun? Kann Keiner den Mund aufthun?"

„Na, der Niklas," sagte die eine Frau, „hat zwei halbe Tage, und der Christoph, der hat gestern Nachmittag angefangen, und Schultze's Elias, der muß schon den Donnerstag oder Freitag hinausgegangen sein."

„Da haben Sie's!" sagte der Director zu Könnern; „Monate lang liegen die Menschen hier auf der faulen Haut und leben von den Subsidien oder Unterstützungen, die ihnen der Staat verabreicht, also von Geldern, die sie nach fünf Jahren wieder zurückerstatten müssen. Wo ich ihnen aber /36/ eine Gelegenheit geboten habe, selber für sich etwas zu verdienen, wenn sie nur die faulen Knochen rühren sollen, glauben Sie, daß da Einer gutwillig mit angriffe? Gott bewahre! Wenn ihnen der Polizeidiener nicht auf dem Nacken sitzt, rühren sie kein Glied, und wenn es eine Arbeit wäre, die sie nur zu ihrem eigenen Besten thun sollen und noch außerdem extra bezahlt bekommen, 's ist, weiß es Gott, eine Freude, mit solchen Menschen zu thun zu haben!"

„Herr Director," sagte in diesem Augenblick ein kleiner ältlicher Mann in einem wunderlichen Costüm, das er von allen Ständen der menschlichen Gesellschaft zusammengeborgt zu haben schien, indem er den Director an einem Aermel zupfte, „das Essen ist gleich fertig - Sie möchten nach Hause kommen."

„Ah, Jeremias," sagte Sarno, sich nach ihm umdrehend; „schickt Dich die Kathrine herüber?"

„Ja, Herr Director," sagte der Mann, einen hohen Seidenhut, um den eine Art von Livréeband befestigt war, unter den Arm drückend, „und das Schiff ist auch unten."

„Das Schiff? Was für ein Schiff?"

„Nun, das Schiff mit den neuen Landsleuten."

„Neue Auswanderer?" rief der Director erschreckt.

„Die Gesina," nickte der Mann; „der Herr Director haben ja schon lange davon gesprochen, 's ist gerade vor der Barre gesehen worden und der Capitain wird heut Abend herauskommen."

„Na, das hat gerade noch gefehlt!" seufzte Sarno; „das Haus hier ist schon zum Ueberlaufen voll, und dazu noch eine frische Gesellschaft, eine neue Zufuhr - das wird angenehm !"

„Und die Suppe?"

„Darf nicht kalt werden. Du hast Recht, Jeremias. Sag' nur der Kathrine, daß wir den Augenblick hinaufkommen. Ist der fremde Herr schon da?"

„Eben angekommen. Er sitzt oben in der Stube."

„Gut - also melde nur, daß wir gleich kommen, und halt - spring hinüber zum Doctor - ich lasse ihm sagen, augenblicklich hierher zu kommen. Verstanden?" /37/

Auf das Wort drehte sich das kleine Männchen um, machte noch eine ganz eigenthümliche Krümmung des Körpers, was als Verbeugung gelten sollte, und verschwand dann blitzschnell durch die Thür. Könnern hatte nur eben noch Zeit, zu bemerken, daß seine Beinkleider jedenfalls für eine andere Person zugeschnitten und gemacht sein mußten - wonach sie die andere Person denn auch so lange getragen haben mochte, wie ihr gut dünkte. Für Jeremias waren sie aber viel zu lang und unten in einem wahren Wulst umgelegt und aufgekrempelt. Er besaß außerdem - wenigstens glaubte es Könnern bei seinem ersten Erscheinen - brennend rothes Haar von einer ganz auffallenden Färbung, und als die kleine Gestalt sich zwischen den verschiedenen Gruppen der Auswanderer, zwischen Kochtöpfen, Kisten und in Betten eingepackten Kindern wie ein Ohrwurm durchwand, leuchtete sein Haar ordentlich irrwischartig, bis er draußen in den Büschen verschwand.

„Da haben wir's!" sagte aber der Director, mit ganz anderen Gedanken wie mit Jeremias beschäftigt; „jetzt geschieht, was ich schon lange befürchtet habe. Das Auswanderungshaus, selbst meine eigene Wohnung gefüllt, - keinen Fuß breit Land vermessen, den neuen Colonisten einen eigenen Fleck Grundeigenthum anweisen zu können, kommt noch eine Schiffsladung frischer Kräfte dazu, und was ich indessen mit denen machen soll, weiß Gott!"

„Und ist denn das nicht Sache des Präsidenten der Provinz," fragte Könnern, „stets Land genug vermessen zu haben, um die Einwanderer unterbringen zu können?"

„Allerdings ist cs das, aber unser Präsident - ein braver, guter Mann, der es wirklich ehrlich meint - ist schon seit längerer Zeit schwer krank, und seine Frau - ein intriguantes, kokettes Frauenzimmer - regiert indessen nach Herzenslust und hat eine Masse nichtsnutziger Protegés, die sie unter jeder Bedingung unterbringen will und unterbringt. So schickte sie mir vor sechs Monaten einen Kerl hierher - ich habe keinen andern Namen dafür - der das Land vermessen sollte, und nicht mehr davon verstand wie der Junge da. Glücklicher Weise faßte ich gleich Verdacht, /38/ paßte ihm auf und jagte ihn, wie ich merkte was an ihm war, wieder zum Teufel; er hätte uns sonst hier eine Heidenverwirrung angerichtet. Die Frau Präsidentin ist aber natürlich jetzt wüthend auf mich."

„Und leidet das die Regierung in Rio?"

„Lieber Gott, einestheils erfährt sie nie den wahren Thatbestand, und dann ist es auch wirklich für sie schwer, gegen einen einmal eingesetzten höhern Beamten ernstlich einzuschreiten, so lange nicht directe Anklagen vorliegen. Jetzt verklagen Sie aber einmal von der Colonie Santa Clara aus den Präsidenten, der in Santa Catharina sitzt, oben in Rio de Janeiro - die Geschichte wäre gleich von vornherein so weitläufig, daß man sie doch in Verzweiflung aufgeben würde, wenn man auch wirklich hoffen dürfte, etwas auszurichten - was man aber außerdem nicht darf. Doch unsere Suppe wird wahrhaftig kalt und die Kathrine nachher böse - also vor allen Dingen zum Essen" - und Könnern's Arm ergreifend, führte er ihn rasch der eigenen Wohnung zu.

Unterwegs hielten sich die Beiden auch nicht auf. Nur ein einziges Mal blieb Könnern stehen, und den Arm gegen einen der kleinen Hügel ausstreckend, sagte er:

„So viel ist sicher, nur der Deutsche und der Engländer - vielleicht auch noch der Holländer - hat den richtigen Sinn für eine nicht allein bequeme, sondern auch freundliche Umgebung seiner Heimath, baut sich sein Nest in Büsche und Blüthen hinein und pflanzt Rosen vor seine Thür, während besonders der Amerikaner höchstens einen Gemüsegarten daneben dulden würde. Sehen Sie nur, was für ein wunderbar romantisches Plätzchen sich jener Ansiedler wieder gewählt hat, dessen kleines Haus nur eben aus dem dunkeln Grün der Büsche auf jenem Hügel da drüben herausblinzt."

„Ah, Sie meinen unseres Einsiedlers Villa," lächelte der Director; „die Aussicht von seinem Hause aus hat er übrigens ganz zufällig bekommen, denn eine Palmengruppe verdeckte den Platz so vollständig, daß man von unten aus keine Ahnung hatte, dort oben sei eine menschliche Wohnung. Neulich nun warf der Sturm die kleinen Palmen um, und /39/ das Haus bekam dadurch, wahrscheinlich vollkommen gegen den Willen seines Eigenthümers, eine reizende Aussicht."

„Gegen seinen Willen?"

„Ich glaube, ja. Der Mann heißt Meier und lebt mit Frau und Tochter, einem jungen Gärtner und einer alten Dienstmagd, die sie hier angenommen, fast ganz abgeschieden von der Colonie und verkehrt fast mit Niemandem. Jammerschade noch dazu, denn das wäre in der That eine Familie, mit der man einen angenehmen Umgang haben könnte; aber man darf sich doch auch nicht aufdrängen, und da er mich, obgleich ich drei oder viermal oben bei ihm war, noch nicht ein einziges Mal wieder besucht hat, so muß ich wohl annehmen, daß er es lieber sieht, wenn ich meine Besuche nicht wiederhole, und den Gefallen habe ich ihm denn auch gethan. - Aber da sind wir - sehen Sie, da oben steht die Kathrine schon am Treppenfenster - ja, ja, Alte, wir kommen schon. Was so eine alte Person für eine Tyrannei ausübt, wenn man einmal ein paar Minuten zu spät zum Essen kommt!"

3.

Bei der Frau Gräfin.

Die Frau Gräfin Baulen hatte des Directors Haus etwas in Aufregung verlassen, und der Gedanke daran, oder etwas Anderes auch vielleicht, lag ihr schwer auf dem Herzen, als sie ihrer eigenen Wohnung wieder zuschritt. Sie ging wenigstens mit auf den Boden gehefteten Blicken und erwiderte den Gruß etwa Begegnender nur mit einer leisen Beugung des Kopses, ohne zu ihnen aufzusehen.

So erreichte sie endlich das kleine freundliche Gebäude, das, von einem Garten umschlossen, an der äußersten Grenze /40/ der Ansiedelung lag, und wollte eben dasselbe betreten, als die beiden Reiter, ihr Sohn und ihre Tochter, wie sie durch den ganzen Ort geflogen waren, mit donnernden Hufen die Straße herabkamen, und dicht vor dem Hause ihre Thiere so rasch herumwarfen, daß sie die alte Dame fast gefährdet hätten.

„Aber Helene, aber Oskar!" rief sie entsetzt, indem sie rasch das Gartenthor zwischen sich und die Pferde brachte - „Ihr reitet ja wie die Wahnsinnigen, und seht gar nicht wohin Ihr rennt! Daß Ihr die Thiere dabei ruinirt, scheint Euch ebenfalls nicht im Mindesten zu kümmern!"

 

„Nicht böse, Mütterchen, nicht böse," lachte Helene, indem sie den Hals ihres noch immer tanzenden und courbettirenden Schimmels klopfte; „Oskar behauptete aber, daß sein Rappe flüchtiger wäre als meine Sylphide, und da habe ich ihm eben das Gegentheil - aber Sylphide - ruhig, mein Herz, ruhig - wie wild sie nur geworden ist, weil ich sie die beiden letzten Tage nicht geritten habe!"

„Du hattest von Anfang an einen Vorsprung," rief Oskar, „sonst wärest Du mir wahrhaftig nicht vorgekommen; und dann verlor ich gleich beim Abreiten einen von meinen Sporen, was mich auch aufhielt."

„Einen von Deinen silbernen Sporen?" rief die Frau Gräfin.

„Ja - aber er wird sich schon wiederfinden," sagte der junge Bursche gleichgültig. - „Heh, Gotthelf! Gotthelf! Wo der nichtsnutzige Schlingel nun wieder steckt, daß er die Pferde nehmen könnte. - Gotthelf!"

„Ja - komme schon," antwortete eine Stimme, die dem ungeduldigen Rufe des jungen Mannes in keineswegs entsprechender Eile zu sein schien.

Gleich darauf schlenderte auch ein Bauernbursche, dessen reines, grobleinenes Hemd allein an ihm den Sonntag verkündete, beide Hände in den Taschen, um die Hausecke und kam langsam näher.

„Na, Du fauler Strick, kannst die Beine wohl nicht ein bischen in die Hand nehmen?" rief ihm der junge Graf /41/ entgegen — „es wird wahrhaftig immer besser. Soll ich Dich etwa in Trab bringen?"

„Brrrrrr!" erwiderte Gotthelf mit unerschütterlicher Ruhe, indem er seine Schritte nicht im Geringsten beschleunigte; „gehen Sie nur nicht durch, junger Herr, und machen Sie die Pferde nicht scheu."

„Willst Du noch unverschämt werden, Halunke!" rief der junge Graf in aufloderndem Zorne, indem er seine Reitpeitsche fester packte und hob. Gotthelf aber, nicht im Geringsten dadurch eingeschüchtert, trat dicht zu dem Pferde heran und sagte:

„Na, so schlagen Sie doch! - Warum langen Sie denn nicht zu? Mein Buckel wäre doch, dächt' ich, breit genug."

Graf Oskar schlug aber nicht; der junge, allerdings sehr breitschulterige Bauernjunge hatte heute etwas in seinem Auge, was ihm nicht gefiel. Deshalb nur mit einer verächtlichen Kopfbewegung aus dem Sattel steigend, sagte er, indem er Gotthelf den Zügel hinreichte:

„Da - ich will mich mit Dir nicht befassen. Führe die Pferde herum und reibe sie nachher trocken ab."

Gotthelf nahm aber nicht einmal seine Hände aus den Taschen, und die beiden Pferde nacheinander betrachtend, sagte er kopfnickend:

„Ja Herumführen werden sie wohl brauchen, denn geritten sind sie wieder, daß es eine Schande ist; aber der Gotthelf wird Ihnen das schwerlich besorgen, denn mit „Halunke"-Schimpfen werden die Leute nicht fett, und wo es außerdem weiter nichts giebt, nicht einmal Lohn, da lohnt's eben nicht, daß man sich die Nägel von den Fingern arbeitet. Suchen Sie sich einen andern Gotthelf, aber ich glaube kaum, daß Sie noch einen so dummen finden, der Ihnen drei Monate nur der Ehre wegen den Schuhputzer macht." - Und sich damit scharf auf dem Absätze herumdrehend, schlenderte er wieder in's Haus zurück, ging auf sein Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ eine halbe Stunde später in der That, ohne ein weiteres Abschiedswort, die gräfliche Familie.

„Das hast Du nun von Deiner Heftigkeit," sagte die /42/ Gräfin, drehte sich ab und schritt würdevoll in das Haus hinein.

Graf Oskar biß wüthend die Zähne zusammen und hätte seinen Zorn gern an irgend Jemandem ausgelassen; aber es war Niemand da, von dem er vermuthen durste, daß er es sich gefallen lassen würde. Sein Sattel allein mußte es entgelten, den er selber abschnallte und dann völlig rücksichtslos über den Gartenzaun, mitten zwischen die Blumen hineinwarf; - dann führte er sein Pferd in die kleine Umzäunung, wo die Thiere gewöhnlich gefüttert wurden, nahm ihm den Zaum dort ab und ließ es laufen. Von Herumführen oder Abreiben war keine Rede mehr.

Comtesse Helene indessen war einigermaßen in Verlegenheit, denn da sich ihr Bruder in seinem Ingrimm gar nicht um sie bekümmerte, wußte sie nicht gleich, wie sie aus dem Sattel kommen sollte. Als sie den Kopf die Straße hinabdrehte, sah sie einen jungen Mann dicht hinter sich, der stehen geblieben war und sie betrachtet hatte. Unter anderen Umständen würde sie auch kaum von ihm Notiz genommen haben, denn trotz seiner anständigen Kleidung sah er etwas verwildert aus, und um das sonnengebräunte, von einem leichten, schwarzgekräusten Barte halb beschattete Gesicht hingen ihm die langen, schwarzen Haare unordentlich und wirr herab. Auch in den dunkeln Augen, mit denen er das wirklich bildschöne Mädchen betrachtete, lag ein eigenes, unheimliches Feuer, und erst als ihr Blick auf dem seinen haftete, milderte sich der Ausdruck in seinen Zügen.

Es konnte ihm aber auch nicht entgangen sein, daß sie Hülfe brauche - die Straße war außerdem, als an einem Sonntag-Nachmittag, fast menschenleer, und sich ordentlich gewaltsam dazu zwingend, trat er endlich näher, sah zu der Jungfrau auf und sagte:

„Erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen meinen Arm zu bieten?"

Helene sah ihn im ersten Augenblicke mißtrauisch an; sie war viel zu selbstständig aufgewachsen, oder hatte sich vielmehr selber so erzogen, um irgend Furcht vor einem fremden Manne zu zeigen; aber ein gewisser Instinct warnte /43/ sie, sich Jemanden zu irgend einem Danke zu verpflichten, der damit vielleicht einmal Mißbrauch treiben könne. Das Benehmen des Fremden war aber so achtungsvoll und ehrerbietig, und das Anerbieten wurde mit so viel natürlichem Anstande gemacht, daß sie nach kaum secundenlangem Zögern lächelnd die Hand ausstreckte, sich auf den vorgehaltenen Arm des Fremden stützte und leicht aus dem Sattel sprang.

Der Fremde hatte dabei zugleich den Zügel des Pferdes in einer Art ergriffen, die deutlich zeigte, daß er mit ihm umzugehen wisse, machte der Comtesse, als sie glücklich unten angelangt war, eine leichte Verbeugung, und führte dann das durchaus erhitzte Thier zu dem nächsten Aste, an dem er den Zügel befestigte und den Sattel nachher durch Aufschnallen des Gurtes etwas lüftete. Das Alles geschah rasch und anscheinend ohne die geringste Anstrengung, und ehe Comtesse Helene nur recht mit sich einig war, ob sie abwarten bis sich der Fremde entfernt habe, oder lieber gleich in das Haus gehen solle, war dieser schon fertig, verbeugte sich wieder leicht gegen sie, und wandte sich dann rasch und ohne sich umzusehen die Straße hinab, so daß sie ihm für seine Dienstleistung nicht einmal danken konnte.

Comtesse Helene war bei ihrem Range und wirklich reizenden Aeußern, noch dazu in der bescheidenen Umgebung einer deutschen Colonie, allerdings daran gewöhnt worden, die Huldigungen und Galanterien der jüngeren wie älteren Leute als eine Art von Tribut fast gleichgültig hinzunehmen. Die Aufmerksamkeit dieses wunderlichen Fremden, der sich außerdem fast ängstlich jedem nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas so Eigenthümliches, daß sie, frappirt davon, auf der Schwelle des Gartens stehen blieb und sich erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem läutete auch in diesem Augenblicke die Glocke oben, welche zum Mittagessen rief, und sie durfte keine Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen und überhaupt ein wenig Toilette machen wollte.

In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen hatten /44/ sich indessen schon vor der Ankunft der Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden.

Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, welcher Könnern und dem Director auf ihrem Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische Ader zu seinem jetzigen sehr großen Bedauern nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht unbedeutende Summe Geldes mit herübergebracht und es in sechs Jahren möglich gemacht, den größten Theil seines Capitals nicht gerade durchzubringen, aber doch auszugeben, was sich im Resultat allerdings vollkommen gleich blieb.

Der Andere war ein junger, erst kürzlich herübergekommener Künstler, Namens Vollrath, der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin eingeführt war. Er spielte mit der Comtesse manchmal Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen Besuch nicht gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, als ihrer Mutter lieb schien, und war außerdem blutarm - aber so lange er sich in seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht zurückweisen. Die Frau Gräfin hatte indessen schon ernsthaft mit ihrer Tochter über ihn gesprochen.

Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon vor dem Ausgange gemacht zu haben; Oskar, obgleich eben von dem scharfen und staubigen Ritte zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des Barons wegen die Wäsche zu wechseln - und der Andere war ja nur ein Clavierspieler.

Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden Ritte war ihr reiches, schweres Haar gelöst und in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer zu Gebote stand, bedurfte sie einer länger als gewöhnlichen Zeit, um sich der Gesellschaft, so klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. Oskar, überhaupt heute nicht in der besten Laune, war entsetzlich ungeduldig geworden und hatte den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch etwas rascher herbeizurufen.

Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief und seinem Aerger durch verschiedene Ungezogenheiten Luft machte, /45/ die Gräfin mit dem Baron Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine freundliche Aussicht über die Stadt gewährte, und ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an das Instrument gesetzt und intonirte leise einige Lieblingsmelodien Helenens, theils im einfachen getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch durchgeführten Variationen.

„Es ist ein trauriges Land," sagte endlich der Baron mit einem tiefen Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt auf dem Fenster trommelte - „ein sehr trauriges Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß auftreten könnte."

„Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron," bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. „Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit herübergebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen."

„Aber, beste Frau Gräfin …"

„Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen," fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten zu lassen, „die nicht allein ihr Fortkommen auf höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron."

„Aber, beste Frau Gräfin," beharrte der Baron, „der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen, und Sie wollen doch nicht voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten könnten?"

„Ich denke gar nicht daran," sagte die Gräfin mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; „wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da eben muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir finden es überall bestätigt, daß die erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur für die /46/ Speculation arbeitet, und diese eigentlich den Nutzen von jener erntet."

„Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung," seufzte der Baron, der seine Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen müssen - „und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen."

„Bah," sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, „der Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen selber dienstbar macht."

„Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch Capital dazu gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als zu einer einfachen Speculation in Kaufmannsgütern, und wenn man das Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl - was dann? - Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, ohne die Mittel zu leben - denken Sie sich die Möglichkeit, daß man bei diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!"

 

Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte „Furchtbarkeit" sie außerdem schon erprobt hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort: „Dafür ist aber auch dem Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es im Stande wäre?"

„Der rohe und ungebildete Bauer," erwiderte der Baron achselzuckend, „hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten Dinge möglich." /47/

„Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron," sagte die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte.

„Und habe alle Ursache dazu," seufzte der Baron.

„Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten," fuhr die Gräfin fort, „das hat Sie kopfscheu gemacht - Oskar, ich bitte Dich um Gottes willen, laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös - verlieren Sie jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen."

„Das ist's eben, was ich bezweifle," versicherte der Baron; „aber, verehrte Frau, haben Sie vielleicht einen Plan? denn Ihr ganzes Benehmen scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben - und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher Weise mit weiter nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals vertritt."

„Ich habe allerdings einen Plan," erwiderte die Gräfin, „der aber schon so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. Wenn ihn deshalb noch etwas fördern kann, so ist es einzig und allein Capital. Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen."

Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über „Oskar's Ungeduld" einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei Schritte bis zu dem einfachen Tannentische. Ueber diesen war aber ein kostbares Damasttuch gebreitet, auf dem neben den weißen Steinguttellern schwere englische Löffel und Gabeln /48/

lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut für ächtes Silber angesehen werden konnten.

Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen.

Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haar, und dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn, und Hand und Arm vollkommen makellos. Das fest anschließende, lichtgraue Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.

„Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig geworden," empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für die Uebrigen, zuerst niederließ.

Das Diner war so einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem Obste, und zum Dessert die vortrefflichen Orangen und Granatäpfel des Landes.

Niemand machte hier auch größere Ansprüche oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die neu erwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja mit Allen. /49/

Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig und schien sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt nur über Pferde.

Das Diner ging so vorüber - Oskar plauderte in einem fort, ob ihm Jemand zuhörte oder nicht - der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten sich lebendig, und nur Vollrath schwieg hartnäckig still. Ein paar Mal schien er freilich den Mund öffnen zu wollen - aber es blieb eben immer nur bei dem Versuch, und Helenen war es nicht entgangen, daß er irgend etwas aus dem Herzen trage, was ihn beenge - wußte sie, was es war? Aber so unbefangen sie sich stets gegen ihn gezeigt, so unbefangen blieb sie auch heute, und als das Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den Garten gegangen war, legte sie ruhig und lächelnd ihren Arm in den seinen und sagte: „Kommen Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein wenig auf- und abgehen. - Oskar ist heute unausstehlich, weil ich ihm in unserem Wettrennen vorgekommen bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem alten, steifen Baron eine so hochwichtige Besprechung, daß sie alles Andere, was um sie her vorgeht, zu vergessen scheinen."

Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, aber er verbeugte sich leicht, nahm den Arm und schritt mit der jungen Schönen den Garten entlang. Helenen aber genügte der beschränkte Raum heute nicht; war es die Aufregung des scharfen Rittes, war es der Aerger über den Bruder, kurz, sie stieß die Gartenpforte auf, die an dieser Seite gerade nach den zu einer Art von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, und wanderte langsam mit ihrem Begleiter den schmalen Weg entlang, der, immer in Sicht der Häuser, sich fast um die Ansiedelung schlängelte.

Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank gelegt und rauchte, ein Bein über das andere gelegt, seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem Baron wieder in eifrigem Gespräche im Garten auf und ab.

„Aber, verehrte Frau," sagte der Baron jetzt, „Sie rücken noch immer nicht mit Ihrem Projecte heraus. Sie reden /50/ nur fortwährend von glänzenden, sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die Heimath, von - ich weiß selber kaum was, und den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich einen Mißbrauch damit treiben und als Ihr Concurrent in irgend einer glücklichen Speculation auftreten könnte?"

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