Tahiti

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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Neunzehnter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

T a h i t i.

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2020

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

1.

Der Walfischfänger.

Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe.

Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Thranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verriethen den Walfischfänger, hätten ihn nicht auch die an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer, und selbst die Walfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit anbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der „rechten Walfische" der der Spermacetis vorzuziehen. Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit, und der Delaware, wie der Walfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt Tahiti anzulaufen. Durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der /6/ starken Aequatorialströmung gegen sich, zu viel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloß jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.

Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens, häufiger Riffe wegen, den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Localitäten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Gruppen nichts zu thun haben, lieber einen ziemlich bedeutenden Umweg, sie zu umgehen, als daß sie sich leichtsinniger Weise hineinwagen. Mit einem Walfischfänger ist das aber ganz etwas Anderes; er versäumt, sobald er sich erst einmal auf seinem Jagdgrund befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit ebenso auf seiner Seite, daß er von den Fischen weg, als ihnen gerade entgegenläuft, und wenn er still liegt, kann er eben so gut eine ganze „school" versäumen, die vielleicht dort vorübergeht, wo er hätte sein können, als die auf ihn zukommenden, gerade wie auf der Lauer, abfangen. Das Ganze ist Glückssache und dem Bürschen auf Rothwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Walfischfänger also an solche Stellen, so suchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgend eine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht herum, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet.

Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der Delaware bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen, und der Capitain wäre gern die Nacht vor Anker gegangen. Die Stellen aber, die er untersuchte, waren überall, bis fast dicht an die schäumenden Riffbänke, so tief, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen mochte, so nahe unter dem bösartigen Ufer von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reefen und kreuzte (eben nicht zum Vergnügen /7/ der Mannschaft, die sechs- bis achtmal in der Nacht mit dem Schiff herum mußte) in Lee der Insel auf und nieder.

Capitain Lewis kümmerte sich übrigens den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen that oder nicht. Er und sie standen, wie man's am Lande nennen würde - „auf Hofton" mit einander - d. h. er sprach, seit einigen auf den Sandwichsinseln stattgehabten Auftritten, nur sehr höflich mit ihnen und nannte sie, wenn er sie zu einer Arbeit im Einzelnen aufforderte, gewöhnlich Mister, und if you please, mit starker Betonunng des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutsch genug sagte: „Wenn Du nicht springst, Canaille, zu thun, was ich Dir sage, so laß ich Dich bei den Beinen aufhängen".

Er, zum Dank dafür, hieß bei den Leuten, statt wie sonst gewöhnlich „der Alte" (the old man), nur „the old devil" (der alte Teufel), und wußte das auch recht gut. Ja es schien ihm ordentlich Spaß zu machen, daß er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, er wolle sich bemühen, seinem Namen keine Schande zu machen; welches Versprechen er auch bis jetzt redlich gehalten.

Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel dran. -Widersetzt sie sich, so ist es Meuterei, und sie wird darnach bestraft, mögen die Leute Recht haben oder nicht, und halten sie auf der andern Seite aus bis zu Letzten und verklagen nachher den Capitain, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß dieser dennoch Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er's aber auch, und es giebt wohl auf keinen Fahrzeugen der Welt, Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen, toller zusammengewürfeltes Volk, als auf diesen Walfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie darauf, es ist meist lauter aufgelesenes Ufervolk, die faul genug sind ihre eigene Arbeit bei Seite zu werfen, und Romantik genug im Kopfe haben, sich von einem „Walfischzug" ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, daß sie sich in der ersten Erwartung jedesmal, und nur zu häufig in der andern ge-/8/täuscht haben, und sie sind dann eben einmal und nicht wieder Walfischfängcr gewesen. Fast jedes neu ausgehende Schiff hat deshalb, die Officiere ausgenommen, auch eine durchaus neue Besatzung.

Schuster und Schneider, besonders die letzteren, sieht man sehr häufig dabei; Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Cigarrenmacher - alles wird Walfischfänger, und der Capitain eines solchen Fahrzeugs hat dann oft, wie sich nicht leugnen läßt, eine entsetzliche Zeit, dies Volk, von dem er vorher weiß, daß es doch nur eine Reise bei ihm aushält - ja schon an den nächsten Plätzen, wo er anlegt, fortläuft, wenn er ihnen nur Gelegenheit dazu gäbe, so weit einzurichten, daß sie wenigstens erst einmal verstehen lernen, was sie nur überhaupt zu thun haben. Dies sie nachher wirklich thun zu machen, hat schon weniger Schwierigkeiten. Kommen nun ordentliche, ruhige Menschen manchmal zwischen diese hinein - d. h. die Mannschaft, denn die Officiere, vom Bootsteurer aufwärts, bilden ein ganz besonderes, abgeschlossenes Corps - so fühlen sich diese gewöhnlich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache bethören ließen - aber leider zu spät, und die viertehalb Jahre, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle.

Doch zurück an Bord unseres Fahrzeugs. Zum Ausschauen auf der Back vorn stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge wie der schlanke, schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorcastle eines Walfischfängers geschienen hätten. Das volle braune Haar quoll ihm in dichten Massen unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze vor, und seine reinliche Kleidung selber unterschied ihn auffällig von der übrigen, besonders in diesem Punkt höchst nachlässigen Schaar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston, mehr einer tollen Laune oder ziellosen Reiselust zu Liebe als aus irgend einer andern Ursache, hatte verleiten lassen, an Bord des Delaware eine Reise nach der Südsee mitzumachen, und der jetzt still und brütend nach dem nahen /9/ Lande hinüberschaute, das mit dem dunkeln Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag.

„Nun, René, so in Gedanken?" sagte plötzlich neben ihm eine freundliche Stimme, und eine Hand berührte leise seine Schulter - „an was denkst Du?"

Der Angeredete fuhr wie erschreckt aus seinem Nachdenken empor und schaute sich um; als er aber den Sprechenden erkannte, sagte er rasch und fast erfreut:

„Es ist mir lieb, Adolphe, daß Du gerade in diesem Augenblick zu mir kommst, ich bin eben mit meinem Entschluß in's Reine gekommen - ich verlasse dies Schiff."

„Thorheit," sagte Adolphe kopfschüttelnd - „Du kennst die Verhältnisse hier nicht, René. Kämst Du wirklich glücklich an Land, so brauchte der Capitain nur eine unbedeutende Belohnung auf Deinen Fang zu setzen und Du würdest rettungslos ausgeliefert. Ich bin schon früher hier gewesen und habe den Fall zweimal ausgeführt gesehen. Die Eingeborenen sind seelensgut, aber wie die Kinder - ein Spielzeug könnte sie zu irgend etwas verführen - sei es nun zum Guten oder zum Bösen."

„Hab' ich erst festen Boden unter den Füßen, so könnten sie mich nur als Leiche wieder zurückschaffen," murmelte René mit düsterem Blick und fester Entschlossenheit zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch.

„Das wäre Thorheit," sagte aber sein älterer Freund, ein Landsmann von ihm und jetzt dritter Harpunier auf dem Delaware, der mit René schon in Algier gefochten und in Kanada gejagt, und damals Alles versucht hatte, ihm einen so tollen Entschluß, wenn auch vergebens, auszureden: als gemeiner Matrose das Leben eines Walfischfängers zu versuchen. „Du bist noch jung, René, und das Leben steht Dir weit und freudig offen, bring Dich deshalb nicht gleich um Alles, blos weil es Dir in den Sinn kommt, die Suppe, die Du Dir selber eingebrockt, nicht ausessen zu wollen. Ein, höchstens zwei Jahre, und Du bist wieder frei wie der Vogel in der Luft, und selbst diese Zeit wird Dir dann, so schmerzvoll und entsetzlich sie Dir jetzt auch scheint, eine freudige, /10/ vielleicht liebere Erinnerung sein, als manch' frohe und glücklich verlebte Stunde."

 

„Ich halt' es nicht aus, Adolphe, ich halt' cs bei Gott nicht aus" sagte René kopfschüttelnd - „hier unter dem rohen Volk noch Jahre lang bleiben und an Geist und Körper zu Grunde gehen - ich vermag es nicht. Du weißt dabei, wie nahe ich zweimal schon daran war, mit dem Capitain selber, der fast schlimmer ist als der Schlimmste seiner Leute, zusammen zu gerathen, und wer schützt mich dann vielleicht sogar vor seinen rohen Mißhandlungen? Das Resultat bliebe dasselbe, auch das ertrüge ich nicht. Lieber will ich deshalb mein Leben hier wagen, wo mir noch die Möglichkeit eines Entkommens bleibt, als zuletzt gezwungen werden, dem Capitain ein Messer in den Leib zu rennen und über Bord zu springen. Nein, Adolphe, ich bin fest entschlossen" setzte er leise, aber mit ruhiger und überzeugter Stimme hinzu. - „Die erste Gelegenheit, die sich mir bietet an Land zu kommen, benutz' ich, - ich weiß und fühle, daß mir nichts Schlimmeres begegnen kann, als was ich setzt in Seelenqual und innerer Unruhe zu leiden habe."

„Hol's der Henker," sagte Adolphe nach kurzem Sinnen - „wer weiß, ob ich's nicht an Deiner Stelle und mit Deinem jungen Blut in den Adern am Ende auch thäte. Aber wie willst Du's ausführen? Es ist noch ganz ungewiß, ob der alte Teufel ein Boot abschickt, Erfrischungen einzunehmen oder nicht, - er traut uns Allen miteinander nicht."

„Doch" entgcgnete ihm René - „ich habe vorher zufällig gehört, daß unser Boot mit dem ersten Harpunier morgen mit Tagesanbruch hinüber soll, Brodfrucht und Cocosnüsse abzuholen. Die Gelegenheit will ich jedenfalls benutzen, noch dazu da es einen Vorwand giebt, reichliche Kleider mitzunehmen. - Die Leute haben ja sonst nichts, sich Kleinigkeiten von den Eingeborenen einzutauschen."

„Und sowie Du im Wald drin bist," sagte Adolphe immer noch kopfschüttelnd, „hetzt der alte Seehund von Harpunier Dir die ganze Einwohnerschaft hinterher - wie willst Du ihnen entgehen? - René, René es ist wahr, das Land liegt wohl verlockend genug vor uns da, und selbst mir /11/ zuckt's in den Knochen, einmal frei darauf herum zu spazieren und von diesem - verdammten Marterkasten los zu kommen, aber - ich weiß doch nicht - hast Du einmal das Schiff verlassen und wirst wieder eingefangen, so kommst Du nachher erst in eine Hölle, wenn Du vorher in keiner gewesen bist. Ich glaube nicht, daß es zwei Tage dauert, ehe sie Dich wieder haben - und die zwei Tage verlebst Du wie ein gehetzter Wolf."

„Und es hilft doch nichts," lächelte Rcné trübe; „ich hab's mir einmal in den Kopf gesetzt, und ich führ' es aus, mag daraus entstehen, was da will. Schlimmer kann's nicht werden."

„Doch, doch," sagte Adolphe, „es kann noch viel, viel schlimmer werden. Du hast es noch nicht gesehen, wenn es an Bord eines Schiffes einmal recht schlimm ist," setzte er schaudernd hinzu - „und ich verlang' es ebenfalls nie, nie wieder zu erleben. Außerdem bist Du der Sprache gar nicht mächtig - wie willst Du Dich den Leuten verständlich machen? René, es geht in der Welt Alles nach Eigennutz - bist Du erst einmal älter, wirst Du das auch selber erfahren - und die Eingeborenen hier wissen recht gut, daß sie von einem entlaufenen Matrosen nicht viel Gutes und gar keinen Nutzen zu gewärtigen haben, während ihnen der Capitain eine Masse Sachen geben kann, die für sie und ihr einfaches Leben förmliche Schätze sind."

„Ich habe Geld bei mir," sagte René rasch. - „Peste, Ich brauche des alten Schuftes Blutgeld nicht, mir meine Bahn auch im schlimmsten Fall zu erkaufen, wenn cs denn nicht anders sein kann."

„Das ist schon ein sehr großer Vortheil," lächelte Adolphe, „und cs werden wenig Matrosen von Walfischfängern weglaufen, die wirklich einen Franc in der Tasche haben, aber der Capitain bleibt immer im Vortheil. - Aexte, Beile, Kattune und Schmuck, und besonders Spirituosen sind ihnen weit lieber als Geld, und über derlei Sachen hast Du doch nicht zu verfügen."

„Vernünftiger Weise magst Du Recht haben, Adolphe," lächelte der junge Mann auf alle diese Argumente - „und /12/ ich glaube selbst, daß es ein fast verzweifelter Schritt ist, auf einer so kleinen Insel zu entlaufen - die Möglichkeit ist immer eher da, daß man eingefangen wird."

„Sag' lieber die Wahrscheinlichkeit," unterbrach ihn Adolphe.

„Und meinethalben auch die Wahrscheinlichkeit," murmelte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, „ich habe mir aber noch nie etwas so fest vorgenommen, ohne es durchzuführen, und - den Versuch will ich machen, oder zu Grunde gehen.'"

„Gut," lachte Adolphe, „sobald Du einmal so weit gekommen, ist es nicht nöthig, mehr darüber zu sprechen. Meine Wünsche für Dein Wohl hast Du übrigens, und ich wollte nur, daß ich Dir in irgend etwas dabei nützlich sein könnte; ich sehe nur nicht ein wie."

„Wer weiß, wie sich das Alles machen kann," sagte René - „aber auf dem Quarterdeck werfen sie schon wieder die Falle los - in der Mitternachtswache möcht' ich Dir noch etwas sagen."

„Ship about," unterbrach ihn hier der eintönige Ruf; die Leute traten sämmtliche an ihre Posten, und das Schiff wurde über den andern Bug gelegt, jetzt wieder vom Lande abhaltend. Mit der nächsten Morgendämmerung hatten sie die Küste, und zwar eine kleine Art Bai, die von zwei auslaufsenden Korallenriffen gebildet wurde, gerade vor sich, und der Ruf des ersten Harpuniers sammelte die Leute in sein Boot. Mehrere dort schon aufgeschichtete Sachen, Handels- und Tauschartikel für die Eingeborenen, wurden hineingelegt - das Boot schwang frei und auf das Wasser nieder, und die Mannschaft legte sich in die Ruder.

„Was sind das für Pakete da vorn?" sagte der Harpunier, als sie eben von Bord abgestoßen waren, „wer hat die eingeworfen?"

„Ein paar Hemden und andere Kleinigkeiten, Mr. Rowsy," erwiderte Einer der Leute - „wir wollten uns auch 'was von Früchten eintauschen!"

„Und das andere daneben?"

„Dasselbe" erwiderte René, den die Frage anging. Der Harpunier sagte nichts weiter, und René warf noch einen /13/ verstohlenen Blick nach Bord zurück, wo Adolphe stand und ihm zunickte. Er war ihm behülflich gewesen, die Sachen rasch und unbemerkt in's Boot zu schaffen, der Capitain hätte es sonst nicht zugelassen, obgleich dies etwas ziemlich Gewöhnliches an Bord von Walfischfängern ist.

Canoes sahen sie nicht, und nur erst als sie die Korallenbank berührten, erschienen oben zwischen den Büschen eine Anzahl Männer und Frauen mit Körben, aus Cocosblättern geflochten, in denen sie Früchte und Muscheln trugen. Aber sie mochten erst ein Zeichen der Fremden abwarten wollen, ehe sie sich näherten.

Der Harpunier, der sich seit seiner Jugend fast in diesen Meeren herumgetrieben, sprach ihre Sprache ziemlich geläufig, und ein paar freundliche Worte in dieser hatten fast eine zauberhafte Wirkung auf die Schaar. Die anfänglich Furchtsamsten riefen sich erstaunt untereinander zu, daß die Fremden Freunde seien und dieselbe Sprache mit ihnen hätten, und aus allen Büschen und Dickichten brachen ste jetzt heraus, und mischten sich so sorglos uud vertrauend wie Kinder zwischen die Leute, befühlten das Zeug ihrer Kleider, lachten über ihre Bärte und Schuhe, und sprangen und sangen, als ob ste schon Jahre lang mit thuen bekannt gewesen wären. Der Tauschhandel ging indessen rüstig vor sich; gegen Messer und Tabak, Kattune und Glasperlen brachten ste Massen der herrlichsten Früchte, besonders vortreffliche Orangen und Brodfrucht. So, während der Harpunier unter einem stattlichen Pandanus saß, die ihm gebrachten Waaren musterte, und bestimmte, was er dafür geben wolle, mischten sich die Leute, von denen nur Einer bei dem Boot blieb, ebenfalls unter die Eingebornen, die wenigen mitgebrachten Kleinigkeiten gegen Früchte und Muscheln zu vertauschen. Diesen Zeitpunkt benutzte Rcné, nahm sein kleines Bündel und verlor sich damit im Dickicht. Von den Eingeborenen sahen ihn vielleicht einige, achteten aber nicht auf ihn, und die Leute vom Schiff waren viel zu sehr mit sich selber und ihrer Umgebung beschäftigt, sich um irgend etwas Anderes zu bekümmern.

Zwei Stunden später etwa, als der Harpunier Alles weggegeben, was er mitgebracht, und sein Boot fast gefüllt war /14/ mit all' den Massen von Sachen, die er dafür eingetauscht, rief sein Befehl die Leute wieder zusammen, und er stieg selber in's Boot, an Bord zurückzukehren.

„Wo ist René!" frug er mit einem Blick über die Mannschaft.

„René!" tönte der Ruf der Matrosen - „oh René!"

Kein René ließ sich blicken, und Niemand wußte, was aus ihm geworden, ja ein paar bezweifelten, daß er überhaupt mit an Land gekommen sei, so hatte sie das Neue der Scene in Anspruch genommen. Jedenfalls fehlte aber ein Mann, und der Officier wußte auch, daß er bei der Herüberfahrt seine volle gewöhnliche Besatzung gehabt.

„Damn it!" rief der Harpunier endlich im Boot, in dem er seinen Sitz schon wieder eingenommen, in die Höhe springend - „er ist fort, die Pest über den Halunken; aber den wollen wir bald wieder haben. - Bleibt Ihr hier im Boot, bis ich zurückkomme!" rief er dann seinen Leuten zu, und über die Sitze wegspringend, eilte er wieder an Land und wandte sich dort an einen der Eingeborenen, der eine Art Oberherrschaft über die anderen auszuüben schien.

„Hallo, Freund!" redete er ihn an, „Einer von meinen Leuten ist mir weggelaufen, könnt Ihr ihn wieder fangen, und was wollt Ihr dafür haben?"

„Hat er Gewehr mit?" frug der Alte ziemlich vorsichtig, denn er schien danach den Preis des Einfangens bestimmen zu wollen.

„Nein, kein Schießgewehr, vielleicht nicht einmal ein Messer," lautete die ermuthigende Antwort.

Die Eingeborenen fingen jetzt eifrig an untereinander zu verhandeln, und zwar in so rascher und oft eigenthümlicher Sprache, daß der Amerikaner selber nicht verstehen konnte, was sie mitsammen hatten. Aus ihren Bewegungen wurde es ihm jedoch bald deutlich, denn zwei davon gingen nach einem besondern Theil im Busch und untersuchten hier die Fährten, und ihren Gesticulationen nach schien cs, als ob der Flüchtige sich dort hinein gewandt habe. Der alte Indianer zeigte sich auch bald erbötig, ihm den Mann wieder zu verschaffen; seine Forderung dafür war aber ziemlich bedeutend; er wollte /15/ Kattun und Messer, etwas Tabak und in der That ein wenig von Allem haben, und als Jener endlich einwilligte, ihm das Alles zu geben, hatte er noch ein Beil und ein Hemd und mehrere andere Kleinigkeiten vergessen. Der Harpunier wußte übrigens, daß sich der Capitain nicht lange hier aufhalten wollte und über die Flucht des Mannes wüthend sein würde; er sagte dem Alten seine sämmtlichen Forderungen zu, vorausgesetzt daß sie mit dem Gefangenen am Ufer wären, sobald sie mit dem Boot und den verlangten Sachen wieder vom Schiff zurück sein könnten.

Dies abgemacht, stieß das Boot augenblicklich vom Lande, die eingetauschten Früchte mit der fatalen Nachricht an Bord zu bringen und den Fanglohn für den Entflohenen herüber zu holen, während die Eingeborenen indessen wie Spürhunde den einmal angenommenen Fährten des Flüchtigen nachliefen..

2.

D ie Flucht, und welchen Dolmetscher René fand.

René war, als er sich nur einmal außer dem Bereich seiner Kameraden sah, einem der nächsten Hügel zugeeilt, und selbst das schien gerade kein kleines Unternehmen, denn an den Provisionen, die er sich für ein Hemd eingetauscht, trug er mehr und schwerer, als er gut durch das Dickicht bringen konnte. Er wußte aber, was ihm bevorstand, wenn er von den Leuten des Delaware wieder eingefangen wurde.

Als er hügeligen Boden erreichte, wurde seine Flucht dadurch sehr erleichtert, daß er cultivirtes und eingefenztes, wenn auch durch Unkraut ziemlich arg überwachsenes Land traf. Dort hatte er sich wenigstens durch keine verwachsenen Büsche mehr Bahn zu brechen und konnte sein Terrain ein /16/ wenig freier übersehen. Blieb er da in der Nähe, so brauchte er auch keinen Mangel an Lebensmitteln zu fürchten, denn die Guiaven standen mit Früchten bedeckt. Nur die Cocospalmen reichten nicht so weit hinauf, doch sah er hier in den Feldern eine Masse Wassermelonen, die ihn reichlich dafür entschädigen konnten. Weiter durfte er sich für jetzt aber nicht beladen, denn er trug schon, was er überhaupt tragen konnte, und die Hitze war groß.

 

Durch die Felder ging das auch ganz gut, oberhalb dieser wurde das Dickicht aber wieder so schlimm wie je, und die Guiavenbüsche schienen hier eine fast undurchdringliche Hecke zu bilden. Nur erst, wo diese endlich aufhörten, und mit ihnen jede Art von Frucht, begannen hohe dunkle Kasuarinen, die einen weit besseren Durchgang gewährt hätten, wären nicht so viele trockene und dürre Aeste von ihnen abgestürzt gewesen.

Aber er mußte hindurch, und das war ein tüchtiges Wort, ihn alle Schwierigkeiten mit leichtem Muth überwinden zu lassen. Hier wurde der Grund auch steinig, und als er den höchsten Punkt endlich erreichte, fand er zu seiner Freude einen kleinen felsigen Platz, den er sich selber nicht hätte schöner und passender zu einem Castell ausbauen können, als es die Natur für ihn gethan. Zehn Fuß war er dort oben von allen Seiten frei, und das bröckelige Gestein, was den steil auflaufenden Gipfel bildete, konnte ihm im Anfang eben so wohl zum Verbergen, als später, sollte er gefunden werden, als Waffe dienen, es auf irgend einen andringenden Feind nieder zu rollen.

Mit einem Triumphruf nahm er von dieser kleinen Festung Besitz, und als er oben seine Last abgeworfen und sich die nassen Haare aus der Stirn gestrichen hatte, sagte er lächelnd:

„Beim Himmel, mit Adolphe und zwei guten Gewehren wollt' ich mir hier die ganze Besatzung des Delaware vom Leibe und einen ordentlichen Sturm abhalten. - Ha - 1e Delaware!" unterbrach er sich plötzlich, selber überrascht, und fast unwillkürlich trat er hinter einen der Felsblöcke, denn als er den ersten Blick nach außen warf, sah er, daß er frei über das Meer schauen konnte. Dort oben lag sein altes /17/ Schiff so klar und nah vor ihm, die einzelnen Leute an dessen Bord zu erkennen. Mit dem Glas mußten sie im Stande sein, ihn, sobald er sich nur frei zeigte, vollkommen gut zu unterscheiden. Er sah selbst, wie die Leute an Bord kletterten.

Jedenfalls war er also schon vermißt und mußte darauf gefaßt sein, daß ihn die Eingeborenen aufspüren würden, denn mit seiner Ladung hatte er an vielen Stellen eine ziemlich breite und tiefe Fährte zurückgelassen. Die kurze Zeit also, die ihm bis dahin blieb, wollte er benutzen, sich noch so gut als es anging zu befestigen, nachher dem Schicksal und seinem guten Glück das Uebrige zu überlassen. Er war jung und ein Franzose - also weit davon entfernt, sich Sorgen vor der Zeit zu machen.

Schießwaffen trug er, zwei kleine Terzerole ausgenommen, keine; außer diesen aber ein langes zweischneidiges schweres Messer in lederner Scheide, wovon er sich die meiste Hülfe versprach, und ein trotziges, fast muthwilligcs Lächeln überflog seine schönen Züge, als er die beiden kleinen Pistolen aus der Tasche nahm und vor sich auf die Steine legte.

„Es sind zwar keine Zweiunddreißigpfünder," sagte er dabei lachend vor sich hin, „und ich weiß in der That nicht einmal, ob sie überhaupt losgeheu werden, aber sie haben doch Mündungen, und ist den Eingeborenen hier schon überhaupt jemals ein solches Instrument wie eine Pistole zu Gesicht gekommen, so müßte ich mich sehr irren, wenn ich nicht glauben sollte, die ganze Insel damit von mir abzuhalten. Kurze Frist werden sie mir aber doch wohl Ruhe lassen, und die will ich wenigstens benutzen, meinen Körper ein wenig zu restauriren und mit Speise und Trank zu erquicken."

Damit schnürte er wohlgemuth sein Bündel wieder auf, in dem er auch ein paar Schiffszwieback und ein Stück Salzfleisch verborgen hatte, und mit einem Theil von diesen und einigen Bananen, wozu er eine der Cocosnüsse anzapfte und etwas davon trank, seinen allerdings brennenden Durst zu löschen, hielt er eine so vortreffliche und ruhige Mahlzeit, als ob er sich in voller Sicherheit, in irgend einem guten Gasthaus befände, und nicht jeden Augenblick fürchten müßte, umstellt und gefangen zu werden. /18/

Die Feinde waren ihm übrigens weit näher, als er je vermuthet, denn kaum hatte er sein Mahl beendet und eben wieder die Cocosnuß an die Lippen gehoben, noch einen letzten Schluck zu thun, als er gar nicht weit von sich entfernt ein Geräusch zu hören glaubte. Er hielt horchend inne – da krachten wahrhaftig wieder die Büsche. Nichtsdestoweniger trank er erst in aller Ruhe, denn er wußte recht gut, daß er hier oben in seiner festen Stellung nicht so plötzlich über-

rascht werden konnte, stellte dann die Nuß vorsichtig bei Seite, daß sie nicht umfiel und auslief, griff seine beiden Terzerole auf und schaute dann, hinter irgend einen der größten Steine

gedrückt, aufmerksam dorthin, von woher sich jetzt vorsichtig irgend Jemand zu nähern schien. Es dauerte auch nicht lange, so konnte er schon die bunten Kattunüberwürfe mehrerer Eingeborener erkennen, die langsam und aufmerksam den Boden betrachteten, seinen hinterlassenen Spuren zu folgen.

Wie viele es waren, ließ sich noch nicht erkennen, das blieb sich aber auch gleich; war er erst einmal aufgefunden, so konnten sie bei feindlichen Absichten leicht Verstärkung holen, und er mußte vor allen Dingen sehen, sich auf friedliche Art mit ihnen zu verständigen. Die Indianer ließen ihn indessen nicht lange mehr über ihre Absicht im Zweifel. Der erste, der voranging, mochte eine gewisse Obergewalt über die anderen haben, denn dicht unter den Steinen, auf denen sie den Flüchtling gar nicht zu vermuthen schienen, sandte er zwei rechts und zwei links ab, zu sehen, wohin sich die Spuren etwa den Berg wieder hinunterzögen, während er selber gerade auf den Felsen zukam. Renö wußte recht gut, daß er von diesen wenigen Leuten noch weiter keine Gefahr zu fürchten hatte. Seinen Aufenthalt konnte er aber auch nicht länger verheimlichen, und sich also aufrichtend und mit beiden Ellbogen auf einen der vor ihm liegenden Blöcke gestützt, sah er dem Mann unten erst eine kurze Weile lächelnd zu, und sagte dann plötzlich mit lauter Stimme den schon mehrfach gehörten und behaltenen Gruß:

„Joranna boy"!

Wäre dem Eingeborenen, der, gebückt und die Augen fest auf den Boden geheftet, fast gerade unter ihm stand, ein /19/ grimmer Tausendfuß über den Nacken gelaufen, er hätte nicht rascher und mehr erschreckt in die Höhe und zur Seite springen können, und erst das laute Lachen René‘s, der auf ihn herunterschaute, als ob Jemand aus dem Fenster einer höheren Etage sieht, brachte ihn wieder ein wenig zu sich. Der erste Schrei, den er aber in voller Ueberraschung ausgestoßen, war hinreichend gewesen, seine Gefährten um ihn zu sammeln, und die fünf rothe Burschen, die hier mit so feindseligen Absichten heraufgekommen waren, wußten eigentlich nicht recht, wie ihnen geschah, als sie Den gerade, von dem sie die grimmigste Gegenwehr erwartet, in der größten Gemüthlichkeit vor sich und so friedlich gesinnt fanden, wie sie es nimmer hätten erwarten dürfen.

Erst sahen sie eine ganze Zeit lang schweigend zu ihm empor - es war augenscheinlich, sie mißtrauten noch dem äußern Ansehen der Dinge; denn obgleich ihnen der Weiße unten die Versicherung gegeben hatte, daß der Flüchtling unbewaffnet sei, wußten sie doch nicht, welche außerordentlichen Mittel ihm sonst vielleicht zu Gebote stehen möchten, ihnen zu schaden. Sie waren allerdings willens, die ausgesetzte Belohnung zu verdienen, dachten aber dabei gar nicht daran, ihren Leib oder gar ihr Leben irgend einer unnöthigen und zu vermeidenden Gefahr auszusehen. René blieb übrigens in seiner nichts weniger als feindlichen Stellung, und ihre Furcht verlor sich denn auch endlich. Der Führer sah seine Begleiter erst ganz ernsthaft an, und dann verzog ein breites Grinsen seine sonst gutmüthigen Züge, während sich diese noch eine kleine Weile zu geniren schienen, - endlich mochte ihnen das Komische ihrer Lage aber auch wohl einleuchtend werden. Der eine schnitt auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, und war dann urplötzlich wieder so ernst und finster als vorher; als er aber den Häuptling ansah und dessen ausbrechende Fröhlichkeit bemerkte, glaubte auch er wahrscheinlich dem Anstand volle Genüge geleistet zu haben, und platzte nun auf einmal so rasch und laut heraus, daß sich die anderen ordentlich erschreckt nach ihm umsahen.

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