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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.

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7
Die Begegnung

Eine gar eigenthümliche Scenerie bildet das Land, das sich zwischen dem Meeresstrande und den nächsten bewaldeten Hügeln ausdehnt. Zuerst und nächst dem unmittelbaren hartgepeitschten Strande liegen flache, durch einander gewühlte und gewehte Haufen lockern, hellen Sandes. Je weiter man sich aber vom Meere entfernt, desto höher werden diese, da ihnen fortwährend mit der scharfen Seebrise neue Deckung zugetragen wird, bis sie endlich in ihrer dritten Reihe zu wirklichen Hügeln anschwellen, und hier und da einen kleinen, mit hartgrünem Laube bedeckten Busch auf ihrer Kuppe tragen. Dazwischen zeigt sich dann und wann eine kleine, dürftige Lagune mit einem Versuche zu Grasboden rings umher.

Hinter diesen Hügeln beginnt, freilich immer noch dürftig, die Vegetation, denn der Sand ist ein schlechter Dünger, und nur einzelne angewehte Pflanzenfasern schufen mit der Zeit eine Art von Humus, dessen Schößlinge sich noch schüchtern und verkümmert über die nackten Hänge ziehen. – Hier erscheinen die ersten Büsche, die an dem Westhange der Hügel schon entschiedener auftreten und anfangen Schatten zu geben.

Noch weiter hin liegt eine lange Reihe zwar niedriger, aber besonders am Westhange dicht bestandener Hügel, deren Boden zwar noch ausschließlich, wenigstens an der Oberfläche, aus weißem Sande besteht, doch schon an ein tragfähiges, mit der üppigsten Vegetation bedecktes Thal anstößt, in dem ein schmaler Bach lustig dahinfließt, und von da an verändert sich auch der Boden und mischt sich mit einem röthlich gelben Lehm von oft bedeutender Fruchtbarkeit. Wirkliches Gestein, Porphyr und Granit, tritt aber erst in der nächsten Hügelreihe auf, wo oben der erste Gebirgszug beginnt, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß vor Tausenden von Jahren dort die See brandete und erst nach und nach, mehr und mehr Sand herauswerfend, für sich selber einen breiten Damm aufbaute, der ihre Gränzen jetzt lange Strecken weit zurückverlegt.

Erst dort, wo der Lehmboden beginnt, lassen sich natürlich die Colonisten nieder, denn erst auf solchem Boden können sie hoffen, ihrer Arbeit einen Lohn abzuringen. Der reine Sand giebt nur jenen kleinen, trockenen Büschen und sonderbarer Weise auch einer niedern, wilden Dattelpalme (die Putia-Palme) Nahrung, die kaum mehr als acht oder zehn Fuß hoch wird, ja oft so niedrig ist, daß man die nicht unangenehm schmeckenden Früchte mit der Hand erreichen kann.

Doch die dürre, sandige Wüste lag jetzt hinter dem Reiter. Schon berührten die Hufe seines Thieres wieder den festen Grasboden; ein kleines Dickicht von lorbeerartigen Bäumen und Palmen lag noch zwischen ihm und der Ansiedelung, und jetzt lichtete sich dieses; ein freier Weidegrund wurde sichtbar, auf dem sich etwa ein Dutzend tüchtiger Pferde umhertummelten, und gleich darauf konnte er von der kleinen Erhöhung, die er hier erreicht, die kaum noch dreihundert Schritt entfernten Gebäude der Chagra liegen sehen.

Hier schon standen einzelne fruchttragende Orangenbäume, die wahrscheinlich früher einmal eine jetzt abgebrochene Hütte beschattet hatten. Als er hinanritt, um sich ein paar davon nach dem scharfen Ritt zu pflücken, bemerkte er eine menschliche Gestalt, die unter einem der Bäume saß und sich mit dem Rücken an den Stamm desselben lehnte. Günther würde nicht weiter auf den Mann geachtet haben, denn daß sich die Brasilianer Morgens unter einen Baum legen und solcher Art ihre Tagesarbeit beginnen, ist gerade nichts Seltenes; er hielt aber ein bei den Brasilianern sehr außergewöhnliches Instrument, eine Violine, in der Hand, und mußte schon deshalb ein Landsmann sein, obgleich Günther nicht gleich herausbekommen konnte, zu welcher Classe derselben er gehören mochte – wenigstens war er nicht wie ein Bauer gekleidet und hätte als solcher hier auch wahrlich nicht den schönen Morgen müßig verträumt.

Als Günther sein Pferd aber unter den Baum lenkte, unter welchem der Träumer lag, hob dieser den Kopf empor und sah den Fremden lange und starr an.

Es war ein edles, von einem leicht gekräusten schwarzen Barte beschattetes Gesicht, aus dem Günther ein Paar große dunkle Augen wie fragend entgegen leuchteten, und fast unheimlich traf ihn der schwermüthige Schein derselben. Das Gesicht, so weit es der volle Bart erkennen ließ, hatte auch kaum einen deutschen Schnitt; trotzdem grüßte Günther in seiner Muttersprache und sagte freundlich: »Guten Morgen, Landsmann! Ich hoffe, ich habe nicht gestört; wollte mir nur ein paar Orangen pflücken, da ich heute schon eine gute Zeit im Sattel bin.«

Der Fremde wandte noch immer kein Auge von ihm und sein Blick haftete stier und ernst auf Günther's Zügen. Eben so wenig erwiederte er den Gruß, und als Günther schon glaubte, er habe sich in der Abstammung des wunderlichen Menschen doch geirrt, und statt des geglaubten Deutschen irgend einen Portugiesen oder Brasilianer vor sich, sagte der Fremde mit leiser, aber deutlicher Stimme. »Günther von Schwartzau! – Wie das Schicksal doch die Menschen wunderlich umherwirft, auseinander reißt und wieder zusammenführt – Günther von Schwartzau! Ich hätte nie geglaubt, daß ich Dir je in Brasilien begegnen würde!«

Günther schaute den Fremden in sprachlosem Erstaunen an, denn nicht allein kannte er seinen Namen, sondern redete ihn auch mit Du an, und trotzdem waren ihm seine Züge vollkommen fremd – oder deckte nur der Bart vielleicht das Gesicht eines Freundes? Dem Fremden aber konnte das Erstaunen Günther's nicht entgehen, und tief aufseufzend fuhr er mit wehmüthigem Lächeln fort:

»Ja, Du hast Recht – ich bin nicht allein alt, ich bin Dir auch fremd geworden; meine Züge hat die Zeit gefurcht, und der sonst jugendlich frische Felix ist wenigstens innerlich zum Greise zusammengetrocknet. – Felix – überhaupt ein ominöser Name für einen Erdenbewohner, und Eltern sollten es sich vorher wohl überlegen, ehe sie einen Knaben felix nennten.«

»Felix?« rief Günther überrascht vom Pferde springend und zu dem Sprecher tretend – »Felix? Beim ewigen Gott, Felix von Rottack – Mensch – Bruder – wie kommst Du hieher und was treibst Du hier?« Und mit den Worten hatte er den Freund gefaßt, umschlungen und geküßt und warf sich neben ihn in's Gras, seine Hand haltend und in das jetzt freundlich auf ihm haftende Auge schauend.

»Viele Fragen auf einmal, Freund,« sagte dieser, traurig den Kopf schüttelnd, »und ich weiß kaum, ob ich eine einzige zur Genüge beantworten kann. Wie ich hieher komme, ist außerdem eine lange Geschichte und möchte Dich ermüden, wenn Du sie von Anfang an hören solltest – seit wie viel Jahren bist Du von Deutschland fort?«

»Seit sechsen fast, und mit dem Entschlusse, in kurzer Zeit dahin zurückzukehren.«

»Seit sechs Jahren – ja, sie fliegen, und doch zählen wir oft die Stunden – thörichte Menschenkinder die wir sind! Seit sechs Jahren – das ist freilich eine lange Zeit, und was sich indessen mit mir begeben, hast Du nie gehört? – doch um eine lange Sache kurz zu machen, so bist Du vielleicht einmal zufällig in den Zeitungen einem Artikel begegnet, nach dem eine sehr hochstehende Person von einem – Wahnsinnigen angefallen und mißhandelt worden – errinnerst Du Dich nicht?«

»Doch – dunkel,« sagte Günther, »aber wenn ich nicht irre, waren keine Namen genannt.«

»Natürlich,« lachte Felix bitter vor sich hin, »wenn ich ein Handwerker und mein sehr ehrenwerther und hochstehender Onkel ein Gewürzkrämer oder etwas Derartiges gewesen wäre, hättest Du Dich darauf verlassen können, die vollen Namen in den Blättern zu lesen, aber in der haute volée mußte man einen Skandal vermeiden; die Demokraten hatten außerdem Ärgerniß genug durch eine Reihe von Aufzählungen skandalöser Geschichten aus diesen bevorzugten Kreisen gegeben. – Genug, der Schuft, mein sehr hochstehender Herr Onkel, verweigerte mir die von ihm geforderte Satisfaction, und als ich ihm bald darauf einmal auf der Straße begegnete – doch das sind alte, lang überlebte Geschichten. Natürlich mußte ich wahnsinnig sein, um Hand an einen solchen Ehrenmann zu legen, und – Tod und Teufel – sie glaubten, daß eine Cur in einer Privat-Irrenanstalt von den segenreichsten Folgen für mich sein würde.«

»Sie wagten doch nicht?« rief Günther erschreckt.

»Was?« sagte der Fremde ruhig, »mich einzusperren? – Dabei war nicht viel zu wagen. Der Fürst selber gab den Befehl, denn mein guter Onkel hatte ja in seinem Namen gehandelt, um – eine Scheußlichkeit für ihn auszuführen. Ich wurde allerdings in Sicherheit gebracht, aber Geld, lieber Freund, regiert die Welt. Ich wiederholte einfach ein altes, schon oft versuchtes und gelungenes Spiel, nahm meinen Wärter mit und wanderte aus.«

»Verbannt aus der Heimath?« rief Günther traurig.

»Nicht so ganz,« sagte der Fremde ruhig »der alte Schuft, mein Onkel, starb bald darauf; meine Familie verwandte sich natürlich für mich, und ich wurde aufgefordert nach Hause zurückzukehren – aber weshalb? – Dem widerlichen Treiben dort von Neuem zuzuschauen? Von Neuem eine Faust in der Tasche zu ballen und ewig und ewig Zeuge zu sein, wie elendes Geschmeiß, das kein Verdienst weiter hat, als seinen Rücken zur rechten Zeit krümmen zu können, über den Nacken des Volkes schreitet und den Ehrenmann zu Boden tritt? – Nein, geh' mir mit Deutschland – glaubst Du, daß ich je wieder Freude an den Miniaturkämpfen unserer Kammern haben, je wieder mit ruhigem Gewissen um des Kaisers Bart streiten könnte, während der faule Kaiser selber unten in seinem Berge liegt und träumt? Ich komme mir vor wie ein Thier der Wildniß, das im Käfig aufgezogen wurde und keine Ahnung, keine Erinnerung von der Freiheit hatte, zu der es geboren wurde, bis es der Zufall einst hinaus in die Steppe wirft. Glaubst Du, daß es zurückkehren wird, weil es zu faul ist sich sein Futter selbst zu suchen? – Nein, beim ewigen Gott! Wenn ich je nach Deutschland zurückkehren sollte, müßte ich auch wissen für was, aber mich allein wieder dort in der Öde der Gesellschaft herumtreiben – nie!«

 

»Und was treibst Du hier?«

»Was ich treibe? – weiß ich's doch selber nicht. Will ich aufrichtig sein, so habe ich hier einfach vegetirt und ein Leben geführt, wie es bei uns daheim nur eben Vagabunden oder – Künstler führen. Aber ich will mich bessern – ich habe hier schon den Anfang gemacht – und werde jetzt sehn, ob Graf Felix von Rottack nicht im Stande ist, sein Brod als Bauer eben so gut zu verdienen, wie einer der Bauernlümmel, die daheim zwischen Mistgabeln und Dreschflegeln groß geworden!«

Günther schüttelte mit dem Kopfe. —

»Und Du bist hier – bei dem Brasilianer eingetreten?« fragte er endlich.

»Eingetreten?« lächelte Graf Felix; »suche nicht nach einer Umschreibung für mich, alter Freund; ich diene hier, ist das richtige und passende Wort, und zwar seit einem vollen Monat, für den ich mich Anfangs verpflichtet hatte. Heute nun haben die Katholiken einen Feiertag, und – will ich recht aufrichtig sein – so hatte ich heute Morgen meine Scrupel, ob ich meinen zweiten Monat antreten sollte oder nicht; denn als ich herauskam, um wieder einmal eine halbe Stunde mit meinem alten, treuen Instrumente hier zu plaudern, fand ich, daß mir die Finger steif und ungelenkig geworden waren und es nicht mehr ging – aber was thut's. Es ist der Fluch des Arbeiters, daß er keine einzige Freude haben soll als die, die er sich mit sauerm Schweiße verdient. Mag es darum sein – so brech' ich mit der Vergangenheit, und die Zukunft – hol' sie der Böse, sie mag bringen was sie freut – ich fürchte sie nicht!«

Und mit den Worten, ehe Günther eine Ahnung hatte was er beabsichtigte, nahm er das gute Instrument und schlug es höhnisch lachend gegen den Stamm des Orangenbaumes, daß es mit einem dumpfen Wehelaut der zusammenlaufenden Saiten in Splitter flog.

»Felix,« rief Günther erschreckt – »was hast Du gethan?«

»Die letzte Brücke hinter mir abgebrochen, die mich zum Träumer machte,« sagte der junge Graf finster – »ich will wieder ein Mensch werden!«

»Und was hat das arme Instrument gethan?«

»Es hat mich verrückt gemacht!« rief der junge Mann in düsterm Brüten. – »Günther Günther,« fuhr er plötzlich auf und ergriff des Freundes Arm – »weißt Du wohl daß es eine Classe von Menschen giebt, die an der Gränze des Wahnsinns, inmitten unserer geregelten bürgerlichen Verhältnisse, unbelästigt durch dieses Leben gehen, weil der Dämon, der in ihnen lauert, noch nie Gelegenheit bekam auszubrechen? Die Welt verkehrt mit ihnen und ahnt nicht, wie der geringste Zufall wie ein Funke den Brennstoff zünden könnte, der in der Brust noch eingeschlossen ruht – Arm in Arm gehen sie mit ihnen, und geht Alles gut – sterben sie im regelmäßigen Lauf der Zeit in ihrem Bette, so sagen die Bekannten vielleicht: Schade um den Menschen, er war eine gute Haut, nur ein Bißchen excentrisch manchmal, ein wenig launisch und wunderlich. – Fällt aber der Funke an den rechten Platz, dann…«

Felix war aufgesprungen und hatte Günther's Arm dabei so fest gehalten, daß er diesen schmerzte, und sein Auge stierte wild in das seine. Günther begegnete dem Blicke freundlich, aber ruhig, und sagte endlich: »Und weshalb quälst Du Dich mit solchen Träumen?«

Felix sah ihn noch einen Augenblick stier an; dann drehte er den Kopf ab, ließ Günther's Arm los und strich sich mit der Hand das wirre Haar aus der Stirn.

»Du hast Recht,« sagte er – »Träume sind es, weiter Nichts; aber sie quälen mich manchmal, wie uns die furchtbarste Wirklichkeit nicht ärger quälen könnte. O, daß ich ein Mittel wüßte sie zu bannen!«

»Schließe Dich nicht in Dich selber ab,« bat Günther freundlich, »mische Dich unter die Menschen, die doch nicht so schlecht sind, wie Du zu glauben scheinst – und all' diese trüben Gedanken werden von selbst schwinden.«

»Nicht so schlecht, wie ich zu glauben scheine?« lachte statt aller Antwort Felix bitter vor sich hin – »mein lieber Freund, Du bist wie ein Mann, der mit einer Fackel in den Wald geht und überall, wohin er sich dreht, nur die Lichtseite der Bäume sieht. Die drehen sie Dir zu, alles Andere ist dunkel und Nacht.«

»Ich schlage Dich mit Deinem eigenen Beispiel,« lächelte Günther. »Alle Menschen sind von Herzen wirklich gut, nur, Gott sei Dank, sehr selten findest Du eine Ausnahme, die wirklich absichtlich Freude am Bösen hat – leuchte sie nur mit Deiner Fackel ordentlich an, rund herum, wenn Du willst, und sie werden Dir überall die lichte Seite zeigen. Mag auch Haß und Unfriede zwischen Einzelnen bestehen, nicht gegen Alle zeigen sie sich so, und gerade Diejenigen oft, welche Dir falsch und treulos scheinen, sind die besten Familienväter oder Mütter, und sorgen für die Ihrigen mit Aufopferung ihrer letzten Kräfte.«

»Bah, so viel für Deine Lobpreisungen des Menschengeschlechts,« sagte Felix finster – »sie sind falsch und treulos, glaube mir, und wo Du ihnen wirklich ein Herz entgegenbringst, triffst Du nur auf Spott und kalten Hohn!«

»Und wo hast Du alle diese bitteren Erfahrungen gemacht, armer Freund?« fragte Günther herzlich.

»Wo nicht?« lautete die düstere Antwort – »jetzt erst wieder in Santa Clara, wo ich endlich glaubte mein Ideal gefunden zu haben, wo ich – aber Du lachst mich aus, wollte ich Dir alle den Unsinn erzählen, den ich getrieben, und bei Gott, ich verdiente es auch nicht besser. – Ein Mädchen lebt dort – schön wie ein Engel – mit Allem ausgestattet, was die Natur nur verschwenderisch über eines ihrer Lieblingskinder schütten kann, mit einer Seele für Musik, eine kecke, ja, wilde Reiterin, ein Wesen, wie ich es kaum versuchen könnte Dir zu schildern!«

»Die junge Comtesse Baulen?« sagte Günther fragend.

»Comtesse?« – wiederholte verächtlich der junge Mann – »eine Betrügerin, die unter falschem Namen ihr Netz nach einem jungen Laffen, der den Baronstitel trägt, ausgeworfen und den Gimpel darin gefangen hat.«

»Also Eifersucht,« sagte Günther lächelnd, »und weil Dich ein Mädchen getäuscht, darum zürnst Du der ganzen Welt?«

»Weil sie eben die ganze Welt für mich war und ich jetzt wieder – aber zum Teufel mit den Gedanken, die mir wieder und wieder das Herz vergiften! Ich will nicht mehr an sie denken!«

»Und die Frau Gräfin Baulen wäre also wirklich gar keine Gräfin?« fragte Günther, der sich für diese Neuigkeit besonders interessirte, da gerade sie die Beschwerdeschrift gegen Sarno zuerst unterzeichnet hatte – »weißt Du das gewiß und könntest Du Beweise dafür bringen?«

»Gewiß?« lachte Felix höhnisch – »sie war die Kammerjungfer meiner Mutter, der Gräfin Rottack, Mademoiselle Baulen – ihren Namen hat sie wenigstens nicht geändert, und ich erinnere mich noch recht gut der Zeit, wo sie ihren Dienst quittiren mußte, weil meine Mutter erfuhr, daß sie einen Sohn hatte – von einer Tochter wußten wir nie ein Wort.«

»Und wie viele Jahre können das etwa sein?«

»Wie viele Jahre? – Ich weiß es nicht – die Zeit ist wie ein Rad über mich hingegangen und hat mir das Gedächtniß zermalmt, daß ich kaum noch denken kann.«

»Und ist Dir diese Frau Gräfin einmal begegnet?«

»Ja, aber ohne daß sie mich gesehen; ich sah nur sie, und bis jetzt hat sie noch keine Ahnung, daß ein Mensch in Brasilien ihr Geheimniß kennt.«

»Und daß die Mutter ein falsches Spiel gespielt, hat, wie es scheint, auch die Neigung zur Tochter in Dir ertödtet? – Siehst Du, daß Du doch selber auch noch an den alten Vorurtheilen hängst!«

»Vorurtheilen?« rief Felix rasch; »glaubst Du, daß ich das Mädchen weniger liebte, und wenn sie die Tochter eines Tagelöhners wäre? – O, mit welcher Seligkeit wollte ich für sie schaffen und arbeiten, im Schweiße meines Angesichts mein Brod verdienen und glücklich sein, wenn mich ein Lächeln ihrer lieben Augen lohnte. – Aber die Betrügerin, die mit der Mutter gemeinschaftlich einen Rang gestohlen, den Beide jetzt nicht die Mittel haben zu behaupten, nur um nicht ehrlich zu arbeiten – nein, Günther, so toll ist meine Liebe nicht, oder war sie nicht, wenn ich sonst auch nicht in Allem für mich einstehen möchte. Aber Du ahnst gar nicht, mit welcher Leidenschaft ich das Mädchen geliebt, wie ich mein Leben mit Wonne hätte wegschleudern können, nur um ein Lächeln aus diesen seelenvollen Augen zu gewinnen! Selbst das Gerücht, welches mir zu Ohren kam, sie wolle sich dem faden Burschen verbinden, der in ihr Haus gezogen, konnte mich nicht beirren – ich glaubte es eben nicht, denn eine Helene konnte den nicht lieben! Wie ein böser Zauber zog es mich dabei immer zu ihrem Hause zurück, und halbe Nächte lang habe ich gelegen, ihr Fenster beobachtet, bis das Licht erlosch, und dann geträumt – geträumt…«

»Da – eines Tages begegnete ich zufällig auf der Straße ihr und ihrer Mutter – Helene erkannte mich – ich sah es an ihrem leichten Erröthen; wenn sie auch noch nie ein Wort zu mir gesagt, meine alte Violine da – armes Ding, wie sie jetzt aussieht! – hatte oft zu ihr gesprochen, wie ich die Antwort verstanden, die mir zurück durch ihre Lieder kam – aber ich sah sie kaum – mein Auge hing an der aufgeputzten Närrin, die an ihrer Seite ganz im aufgeblasenen Gefühl ihrer Würde schritt und den armen Colonisten, für den sie mich hielt, keines Blicks würdigte.«

»Aber war denn das auch gewiß ihre Mutter? – Kann sie nicht eben so gut mit einer Fremden gegangen sein?«

»Das glaubte ich auch und fragte Leute auf der Straße, die sie kannten: das ist die Gräfin Baulen mit ihrer Tochter, die bald den Herrn von Pulteleben heirathen wird – so lautete die Antwort, die ich erhielt, und als ich ihr Haus von da an wie ihr eigenes böses Gewissen umschlich, sah ich sie wieder und wieder am Fenster und in ihrem Garten. Nein, Freund, der Sache bin ich gewiß, und – laß sie jetzt todt und begraben sein – ich will nicht weiter an sie denken!«

Günther schüttelte mit dem Kopfe. – »Und daß sich irgend ein dünkelhaftes Frauenzimmer, von Stolz und Hochmuth oder aus sonst einem Beweggrunde getrieben, einen höheren Rang anmaßt, als ihr gebührt – was außerdem Tausende von Männern jeden Tag ungestraft thun – , dadurch läßt Du Dich aus Deinem Leben reißen? Dem magst Du nicht begegnen und flüchtest vor Dir selbst in eine Stellung, die Dir eben so wenig gebührt, als ihr der Grafentitel? – Felix, Felix, Du warst im Begriff in den nämlichen Fehler zu fallen, den sie begangen hat, denn ich kann mir kaum denken, daß Du unter Deinem eigenen Namen Knecht bei einem Bauer geworden.«

»Du wirst mir doch nicht einreden wollen,« rief Felix, aber doch leicht erröthend, »daß es nicht etwas ganz Anderes ist, wenn ich incognito…«

»Bah,« unterbrach ihn Günther, »treibe keine Sophisterei! Große Herren reisen incognito, um lästigen Empfangsfeierlichkeiten zu entgehen; wenn Du Dich aber Deines Namens unter solchen Verhältnissen begiebst, so geschieht es, weil Du Dich Deiner neuen Thätigkeit schämst, und deshalb allein nicht gekannt sein willst!«

»Günther!«

»Sei mir nicht böse, daß ich das Kind beim rechten Namen rufe; Du weißt ja doch, daß ich es ehrlich mit Dir meine, und der Arzt muß mit der schmerzenden Sonde in die Wunde fahren, wenn er im Stande sein soll sie zu heilen. – Hast Du nie nach Hause geschrieben?«

»Ich? – ja,« sagte der junge Mann zögernd; »ich – muß gestehen, daß ich schwach genug war, mich nicht von allen Banden losreißen zu können, die mich noch daheim fesseln – an meine Schwester.«

»Merkwürdiger Mensch,« sagte Günther seufzend, »er schämt sich alles Dessen, was gut und edel in ihm ist!«

»Und machst Du mir einen Vorwurf daraus, daß ich mir ehrlich, mit meiner Hände Arbeit mein Brod verdienen will?«

»Ich? Bei Gott nicht! Aber Du sollst Dir dafür eine Sphäre suchen, die Deiner mehr würdig ist. Selbst der Handwerker setzt einen Stolz darein, nicht als Tagelöhner zu dienen, weil er etwas Besseres versteht. Willst Du Dich weniger als er dünken?«

»Und was anders könnte ich ergreifen?« sagte der junge Graf finster; »denn ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich, sobald ich meine Sphäre verließ, zu der Überzeugung kam, daß ich weit weniger wisse als ein Handwerker. Den Platz aber, welchen ich hier einnehme, fülle ich aus, und mit dem festen Willen führ' ich's durch.«

»Und bist Du gezwungen solche Arbeit zu thun? – Fehlt es Dir hier an Geld? – Ich kann mit Leichtigkeit…«

»Bah,« lachte der junge Mann verächtlich, »ich habe Geld genug bei mir, um drei solcher Bauern auszukaufen, wie der ist, bei dem ich jetzt um Monatslohn arbeite. Nein, was mich hieher trieb, war der Ekel an dem ganzen geselligen Treiben der Menschen, und vielleicht auch das Bewußtsein, daß ich selber eigentlich zu Nichts nütze sei auf der Welt. – Ich wollte versuchen, ob ich nicht im Stande sei mich selber am Leben zu erhalten und – selbst wenn ich einmal nach Deutschland zurückkehren sollte, doch wenigstens das Gefühl mitzunehmen, daß ich im Stande war mich zu erhalten. Kannst Du mich deshalb tadeln?«

 

»Ich wahrhaftig nicht,« sagte Günther; »aber so weit wirst Du doch der Vernunft Gehör geben, daß Du Dich nicht gerade darauf capricirst Tagelöhner zu bleiben, wenn Du in einer andern, Dir mehr zusagenden Laufbahn das nämliche Ziel mit den nämlichen Mitteln erreichen kannst?«

»Und welche wären das?«

»Höre mir zu, und in wenigen Worten mache ich Dir unsere beiderseitige Stellung klar. Nach dem schleswig-holsteinischen Kriege wie viele meiner Kameraden aus meiner Stellung geworfen, außerdem durch den Bankerott des Hauses, in dem ich mein ganzes Vermögen liegen hatte, um Alles gebracht was ich mein nannte, verließ ich Deutschland – aber nicht mehr als freier Mann – ich liebte. – Daheim lebt mir ein Wesen, dem mein Herz gehört und das treu zu mir gehalten hat die lange, lange Zeit, während ich hier für uns Beide arbeitete, unsere Zukunft zu sichern. Jetzt habe ich mein Ziel erreicht – vierzehn Tage höchstens noch, und meine Arbeit ist hier vollendet; dann kehre ich nach Deutschland zurück, zu meiner Braut, um das an ihrer Seite zu genießen, was ich mir hier, Gott weiß es, mit Mühe, Arbeit und Entbehrungen genug zusammengespart und was unser Beider Zukunft mit bescheidenen Ansprüchen sichert. Das Geschäft eines Landvermessers ist aber in Brasilien ein lohnendes, wenn man es eben ordentlich und geschickt angreift. Du hast, wie ich recht gut weiß, alle die nöthigen Vorkenntnisse dazu, und willigst Du ein, so lehre ich Dich in den wenigen Wochen auch den praktischen Betrieb so weit, daß Du recht gut in meine Stelle treten kannst. Dieselbe Dir zu verschaffen, laß meine Sorge sein, und Du hast dabei nicht etwa eine todte Anstellung, die ihren Mann nährt, sondern mußt Dir, was Du bekommst, Vara bei Vara durch schwere Arbeit verdienen. Nur die Plätze bekommst Du von der Regierung angewiesen, wo Du vermessen sollst, in jeder andern Weise bist Du Dein eigener Herr – willigst Du ein?«

»Laß mir Zeit zur Überlegung, Günther,« sagte Felix überrascht, »Dein Antrag kommt so plötzlich – so unerwartet…«

»Hast Du hier noch Verbindlichkeiten?«

»Keine – gestern war mein Monat abgelaufen, und wie ich Dir schon vorher gesagt, überlegte ich mir eben, ob ich den neuen an dieser Stelle antreten solle oder nicht.«

»Und Du gehst mit?«

»Du bist ein wunderlicher Dränger, Freund,« lächelte Felix, »daß Du Dich so eifrig bemühst, Dir eine vielleicht fatale Last aufzubürden.«

»Wenn ich Dir aber nun versichere, daß ich vielleicht weit mehr Egoist als irgend etwas Anderes bin, und Dir möglicher Weise den Vorschlag nur gemacht habe, um mir selber aus einer Verlegenheit zu helfen?«

»So würde ich Dir nicht glauben.«

»Und doch ist dem so. Eigentlich bin ich der Regierung gegenüber noch einige Verbindlichkeiten eingegangen, die Vermessungen in einer andern Colonie zu beenden, und wenn ich mich auch davon losmachen könnte, würde das doch immer mit Schwierigkeiten verbunden sein. Alles regulirt sich aber mit der größten Leichtigkeit, wenn ich Dich als meinen Stellvertreter zurücklassen kann, und während Du selber in eine vortheilhafte Beschäftigung eintrittst, ist uns zu gleicher Zeit Beiden geholfen. – Komm mit!«

»Und hast Du die feste Überzeugung, Günther, daß ich im Stande bin, die Stellung mit Ehren auszufüllen?«

»Ja – ich würde Dir sonst nicht dazu rathen.«

»Topp dann,« rief Felix und schlug in die ihm dargebotene Hand des Freundes – »ich bin der Deine!«

»Und wann kannst Du fertig sein, mich zu begleiten?« fragte Günther.

»Mein Bündel ist in zwei Minuten geschnürt,« lächelte der junge Mann, »und wenn ich von meinem bisherigen »Brodherrn« Abschied genommen habe, bin ich fertig.«

»Desto besser; und nun zum Hause, daß wir das rasch besorgen, denn ich möchte so bald als möglich in Santa Clara sein.«

»In Santa Clara?« rief Felix und sah rasch zu ihm auf; »willst Du dorthin zurück?«

»Fürchtest Du Dich vor dem Platz?« lachte Günther; »die Frau Gräfin hat Dir doch am Ende imponirt.«

»Du hast Recht,« sagte Felix finster – »wen hätte ich zu scheuen? Also vorwärts zu einem neuen Leben – was es auch bringen mag, es soll mich vorbereitet finden!« – Und seinen Hut vom Boden greifend und das lockige Haar aus der Stirn werfend, schritt er dem Freunde voran dem Wohngebäude zu, wo dasjenige, was sie zu thun hatten, allerdings rasch abgemacht war. Nur darauf, daß sie noch bei ihm frühstücken sollten, bestand der Brasilianer, und auf zwei frischen Pferden – da Günther das an der Mündung des Santa Clara geborgte von hier aus wieder zurückschickte – trabten sie bald darauf der Colonie zu.

Der Weg war ziemlich rauh, da sie einen der kleinen Höhenzüge zu passiren hatten, und der Reitpfad steil den Hang hinanlief. Wo sich aber ein kleines Thal oder eine Ebene bildete, lagen auch überall freundliche Wohnungen mit blühenden Orangenhecken und breitblätterigen Bananen, von Palmenwipfeln malerisch überragt, und mitten dazwischen, im Schatten der Fruchtbäume und Palmen, kleine, freundliche, weißangestrichene Häuser mit rothen Ziegeldächern und blanken Fenstern, durch die Sauberkeit der ganzen Umgebung, den kleinen Garten, die Reben am Hause und die schattige Laube deutlich die Wohnung deutscher Colonisten verkündend.

Jetzt näherten sie sich der Colonie. Im Wege, der hier oben auf dem Hügelrücken hin von anderen Colonien herüberführte, überholten sie deutsche Fuhrwerke, die sich, von kräftigen Pferden gezogen, mühsam auf der noch immer nicht ganz abgetrockneten Straße durcharbeiteten; auch ein paar Maulthiere mit einem Sacke querüber und einem unverkennbar deutschen Jungen oben drauf.

Hier am Wege trafen sie aber auch die Schneußen, die Günther bei seiner Vermessung durch den Wald gehauen, und einer von diesen folgten sie jetzt, indem sie dadurch nicht allein dem etwas zerfahrenen Wege auswichen, sondern auch ein tüchtiges Stück nach der Colonie zu abschnitten.

In der Schneuße selber mußten sie allerdings hinter einander reiten; bald aber erreichten sie wieder einen betretenen Weg, und hier hielt Felix sein Pferd an und schaute zurück.

»Alle Wetter,« sagte er, »ich glaube wahrhaftig wir haben uns verirrt, denn das hier kann doch nicht der Weg zur Colonie sein!«

»Ein Landmesser und verirren,« lachte Günther, »das wäre nicht übel! – Kennst Du den Platz hier nicht? – Gleich dort drüben liegt die Chagra jenes wunderlichen Menschen, jenes Meier, der sich wie ein Einsiedler in seinem Hause vergraben hat, und das wahre Muster eines Maulwurfs sein muß.«

»Ach richtig, jetzt erinnere ich mich wo wir sind – aber warst Du nie bei ihm?«

»Bei Meier? – ich nie, obgleich ich sein Land sogar vermessen habe; aber er ist nicht ein einziges Mal herausgekommen, um sich die Gränzen anzusehen, und ich selber hatte weder Zeit noch Lust dazu, mich ihm aufzudrängen…«

Günther schwieg und sah die Straße hinauf, die nach dem erwähnten Hause führte; auch Felix wandte den Kopf dorthin, ja selbst die Thiere spitzten die Ohren und schauten nach jener Richtung, denn wildklappernde Hufschläge wurden laut, und im nächsten Moment flog ein reiterloses Pferd, von einem andern, auf dem sich der bügellose Reiter noch krampfhaft festhielt, dicht gefolgt, wie ein Sturmwind an ihnen vorüber, daß sie kaum Zeit behielten, auszuweichen.

»Ein paar durchgegangene Pferde,« rief Günther, der Mühe hatte, das eigene Thier vom Folgen abzuhalten – »ruhig, Alter, mußt Du denn auch alle Dummheiten mitmachen?«

»Das war der junge Baulen,« sagte Felix, ohne auf den Freund weiter zu achten – »und da kommt noch ein Thier – bei Gott, und mit seiner Reiterin!« Und noch während er sprach, sprang er aus dem Sattel, sein Pferd vollkommen rücksichtslos sich selber überlassend.

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