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Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

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Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.
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Capitel 1.
Alte Erinnerungen und neue Schmerzen

Ueber die See strich der Morgenwind leise und feucht, kräuselte die Wogen, die spielend, neckend nach ihm auflangten, und glitt dann rasch zwischen die Palmen am Ufer und in den fruchtschweren Wald, in dem er rauschte und flüsterte und Thau und Blüthen niederschüttelte aus dem blitzenden Laub. Bleigrau lag noch das Meer, und nur dunkle Schatten flogen über seine Fläche, wo der Wind sie faßte, herüber und hinüber drängend und oft im raschen Zug darüber hinstreichend. Nur am Himmel kündete der lichte Streif den nahenden Morgen, und sandte seine zuckenden Strahlen weit aus über den noch sternfunkelnden Himmelsdom, vor denen die Kinder der Nacht erblichen und scheu und furchtsam zurückwichen, dem Sonnengott Raum zu geben.

Und heran kam der, auf schnaubenden Rossen, wie vom Sturm getragen, und nicht langsam und zögernd, wie bei uns im kalten Nord – dem ersten Angriff folgend mit starker mächtiger Hand, scheuchte er die Nacht vor sich her, und seinem ersten dämmernden Nahen folgte auch schon der Siegeszug, mit dem er den flüchtigen Feind zu Paaren trieb.

Dunkel und blau lag das Meer, als der erste zündende Strahl darüber zuckte und die kleinen Wellen neugierig die Köpfe hoben, zuerst dem nahenden Gott in's Auge zu schauen; und ein blinkendes Netz warf er über sie aus, Gold und Purpur strahlend, und wie von einem Zauberstab berührt, glühte plötzlich das weite wogende Meer, jede Welle den blauen schlanken Nacken mit Diamanten überstreut und von Gold- und Silberadern dicht und leuchtend durchzogen. Und die Berge strahlten den Widerglanz zurück, die thaubedeckten Palmenkronen warfen den silbernen Regen nieder in Thal und Schlucht, und wie aufathmend in unendlicher Wonne und Seligkeit, strömte der Duft aus von all den Blüthenhainen, die tief versteckt im dunklen Laube ruhten, den Seewind rückwärts treibend, mit sanfter liebender Gewalt.

Ueber die Berge aber schaute der Sonnengott freundlich in's Thal, und grüßte die friedlichen Dächer alle, die tief versteckt im schattigen Laub lagen und ihn fürchteten den Gewaltigen. Nicht täuschte sie dabei der leise Kuß den er ihnen zuwarf wie er nur den Hain erreicht; – höher steigend und wachsend an Macht und Gewalt wäre der Kuß zum giftigen sengenden Pfeil geworden, der zündet was er erreicht und dorrt und brennt, und die Palmen hatten dann alle Hände voll zu thun, und mit allen Fasern den kühlen Lebenssaft aus dem feuchten Strand heraufziehen, das ihnen anvertraute Gut, die Wohnungen der stillen Menschen vor dem glühenden Strahl zu schützen und zu schirmen.

Und wie freundlich er da unten auf dem gelben Laub spielte, das hie und da den Boden bedeckte, wie er sich durch jede Zweigesspalte durchstahl und den saftigen Blättern schmeichelte und mit ihnen kos'te, ihn nur durchzulassen, ein kleines kleines wenig nur durchzulassen zu den Blüthen und Früchten unten, denen er Zucker bringen wollte und ein goldenes Kleid, und dann wunderliche Figuren mit ihren Schatten formte, und ihnen Zeichen und Bilder in die Haut grub zum Angedenken.

Welch freundliches Leben und Treiben in dem herrlichen Wald, und daß die Axt da kommen sollte mit gierigem Zahn, und die Palmen niederschlagen und Bäume, Felder zu bilden mit langen geraden Reihen, viereckige, eingezäunte Felder, dem Sonnenstrahl preisgegeben, der dann nicht spielend mehr zwischen den Zweigen kost, sondern verlangend sich an den Boden saugt und ihn hart und trocken zieht in gieriger Lust.

Aber fort mit dem traurigen Bild; noch rauschen die Bäume, noch flüstert der Morgenwind, der flatterhafte Geselle, den Blüthen allen seinen tollen Liebesunsinn vor, und unter dem Laub, die schönste Zierde des Hains, der Blumen eine die das Land gebar und die zu ihnen gehörte, zu den schlanken Palmen und duftenden Blüthen saß Sadie, und wie an den wehenden, raschelnden, wispernden Blättern der Banane, die ihre grünen Fächer schützend über sie breitete, der Thau in großen hellen Tropfen blitzte und funkelnd niederfiel in ihren Schoos, so hing an ihren Wimpern ein klares Thränenpaar und schwer und langsam sank es nieder zu dem Thau – anderen, schwereren Perlen Raum zu geben.

Sie war allein – nur das Kind spielte zu ihren Füßen, haschte nach den wechselnden Schatten die ein neckischer Strahl über ein hin- und herwehendes Blatt warf, oder suchte sich kleine blitzende Muscheln aus dem Korallenkies, der sich hier mit dem Boden vermengte – René hatte seine Heimath – zum ersten Mal seit sie mit ihm vermählt – schon vor Tag, und zwar durch Bertrand abgeholt, verlassen, in einer Stimmung verlassen, die ihr das Herz mit Sorge füllte – sie wußte selber nicht warum, und jetzt schnürte ihr eine Angst, der sie nicht Worte zu geben wußte, die Brust zusammen und die Thränen, die ihren Wimpern entfielen linderten den Schmerz nicht, der sie erzeugt, sondern brannten nur weiter in zündender, quälender Lohe.

So saß sie da, lange, lange Minuten, in ihrem Gram, die brennenden Augen in der Hand geborgen und die klaren Tropfen preßten sich gewaltsam Bahn, zwischen den zarten, zitternden Fingern durch, hinaus ins Freie. Aber immer ängstlicher wurde ihr dabei ums Herz, ein merkwürdig stechendes Gefühl zog ihr durch Scheitel und Hirn – sie athmete schwer und wie von einer heranprassenden Gefahr bedroht, die sie umgab und wenn auch unsichtbar bedrohte, schaute sie endlich verstört und bleich empor und sprang mit einem jähen Schrei auch auf von ihrem Sitz, denn vor ihr stand, mit auf der Brust gekreuzten Armen, den ernsten aber jetzt nicht strengen Blick fest und forschend auf sie geheftet, der Mann, der einst mit kalter starrer Hand hineingreifen wollte in ihre Liebe, in ihr Leben, und dem sie sich seit jenem Tag nicht mehr gegenüber gesehen – der Missionair Rowe.

Und was führte ihn jetzt zu ihr? – Sorge? Theilnahme? hatte sein starres unduldsames Herz verziehen? oder – wie Fieberfrost zog es ihr durch Mark und Bein wenn sie des fernen Gatten dachte und den stillen wehmüthig ernsten Blick des finstern Mannes so fest, so entsetzlich fest auf sich gerichtet sah.

»Um Gott! – was ist geschehen?« flüsterte sie endlich in kaum hörbaren, angstdurchzitterten Tönen – »wo ist René? – was ist vorgefallen ehrwürdiger Herr?« und das Kind, das auf dem Boden neben ihr gespielt und die schmerzlichen Laute der Mutter hörte, ihre Thränen sah, sprang auf und klammerte sich schreiend an ihr Knie, sich nur wieder beruhigend als es den Schutz fühlte, den ihre Nähe gab. Aber der ehrwürdige Mr. Rowe schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst:

»Wenn Du eine Unglücksbotschaft fürchtest, meine Tochter, so beruhige Dich, denn sie kann nicht von mir ausgehen – ich weiß von keinem fleischlichen Leid, das Dich und die Deinen betroffen haben könnte. Aber nicht dem auch sind Deine Thränen geflossen,« setzte er wehmüthiger hinzu – »nicht die Furcht vor Krankheit oder Tod hat diese Wangen gebleicht, diese Augen geröthet – o Prudentia, sind das die Früchte unserer Lehren, das die freudigen Hoffnungen, die wir, Dein Pflegevater und ich auf Dein Wachsen und Aufblühen setzten? – ist das Versprechen Wahrheit geworden, das uns Dein kindlich frommer Sinn in früher Jugend gab, und pflegst Du so das Wort Gottes, das Dir, ein heiliger tröstender Stern hätte vorleuchten sollen auf der schweren Bahn der Prüfung die Du, nach dem Willen des Höchsten betreten, und der Du, ach, nach so kurzer, so entsetzlich kurzer Zeit schon erliegst?«

Sadie schwieg – das Herz war ihr schon überdies voll und schwer, und die Worte des Geistlichen schnitten nur noch tiefer ein in die Wunden. Auch der wehmüthige, fast liebende Ton den sie an ihm nie gewöhnt, drang ihr mit scharfem Schmerz in die Seele und wie das, was ihr in früher Jugend gelehrt und ihr Herz damals in voller ungetheilter Kraft erfüllt hatte, jetzt wieder, vielleicht stärker noch durch die Gestalt des damaligen strengen Lehrers, durch die Stimme selber zu Tag gerufen worden, deren Klänge in ihrer Erinnerung nie verwischt, nur geschlummert hatten, so stieg auch mit den Worten der mahnende finstere Geist auf und hob warnend die Hand und der Gedanke ich habe gesündigt wuchs, ein Furcht- und Schreckensbild, mit riesenhafter Schnelle vor ihrem inneren Auge empor und gab der Angst und Qual die sie an diesem Morgen schon gefühlt einen entsetzlichen und doch ihr unbewußt so falschen Ausdruck.

»Ach, ehrwürdiger Herr« flüsterte sie leise – »nicht aus eigenem Antrieb – Gott weiß es – betrat ich jenen Ort, und nicht wohl hab' ich mich darin gefühlt, zwischen den fremden Menschen.«

»Aber Du hast mit ihnen getanzt!« sagte traurig der Missionair und sein Auge haftete in ernster Wehmuth auf den bleichen Zügen der armen jungen Frau – »ihrer wilden zügellosen Lust mit der sie sich im Kreise schwingen, fremde Frauen in den Armen fremder Männer, hast Du beigewohnt, hast Theil daran genommen und wenn Du da glaubst, und Dir vorsprichst vielleicht, Dich vor Dir selber zu entschuldigen, Dein Herz sei noch frei von böser Absicht, bösen Wünschen – glaube es nicht! – Der Feind hat die Hand nach Dir ausgestreckt, die Du ihm, statt ihn mit frommem inbrünstigem Gebet und fleißigem Lesen in der heiligen Schrift, abzuwehren, willig – ja Prudentia – willig geboten hast. Der erste Schritt dazu war, als Du einem Manne folgtest, der dem wahren Glauben abhold, nie in das stille Heiligthum Deines Herzens hätte eindringen dürfen, eindringen können, wäre nicht grobe Sinnlichkeit und fleischliche Lust stärker in Dir gewesen als die Liebe zu Gott.«

»Ehrwürdiger Herr« bat Sadie.

»Es schmerzt mich« fuhr der Geistliche mit fast weicher Stimme fort »es schmerzt mich tief Dir weh thun zu müssen, Prudentia, denn ich habe Dich lieb gehabt, schon als kleines Kind, und Dein Wachsen und Gedeihen in so Gott wohlgefälliger Weise mit inniger Freude angesehen. Ich hielt es damals für meine Pflicht Dir entgegenzutreten als Du den ersten Fehltritt thun wolltest – der Herr hat es anders gelenkt, Sein Name sei gepriesen. – Aber nur eine Prüfung wollte er Dir auflegen, ob Du, das Kind dieser Inseln, die Du die Herrlichkeit Seines Namens von Seinen Dienern selber gehört, und sorgfältig aufgezogen warst, Sein Wort weiter zu verbreiten auf diesen Inseln, auch bestehen würdest auf dem rauhen Pfad des Lebens, wenn keine treue und sichere Hand Dich mehr führte und leitete auf Seinen Wegen zu wandeln. Alle, alle diese Hoffnungen sind dahin gestoben, wie Spreu im Winde – der erste Lufthauch der Lust, der Verführung, und Jahrelange Arbeit und Müh schwand dahin, als ob es ein Nichts gewesen wäre, ein todtes Blatt im Herbststurm, das dem Meere der Vernichtung entgegenweht. Und noch – jetzt noch ist es Zeit Dich zurückzuhalten, jetzt noch ist Rettung nicht unmöglich, wenn Du die mahnende Freundesstimme – die Stimme Gottes hören wolltest, die bittend, flehend zu Dir spricht, durch meinen Mund. Noch ist die elfte Stunde nicht vorüber – noch lacht Dir das Licht der Verheißung und es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der reuig zurückkehrt in die Arme des Allliebenden, als über tausend Gerechte die da eingehn zur himmlischen Herrlichkeit.«

 

»Was kann ich thun?« klagte die arme Frau und faltete verzweifelnd die Hände auf dem Schooße »mein Gatte, mein Kind fordern mein Leben – ihnen gehört es, ihnen muß ich bleiben und sagt nicht selbst Gott in seinem Wort: Du sollst Vater und Mutter verlassen, und dem Manne folgen?«

»Dem Manne, aber nicht dem Feind« rief der Missionair zum ersten Mal wieder den alten unversöhnlichen Haß im Blick – »nicht dem Feind, Prudentia, der Dich mit süßen Liedern und rauschenden Klängen lockt. Du sollst dem Mann, der nun doch einmal Dein Mann geworden, in allem Guten folgen, aber nicht in Sünde und Finsterniß – und das nicht allein, Du sollst, Du mußt all Deine Kraft, all Deine Macht über ihn anwenden, ihn selber zurückzuhalten von dem, was ihm Verderben droht.«

»Was würde Vater Osborne sagen« fuhr er wieder mit weicherer leiserer Stimme fort, »wenn er Dich gestern in ihren Reihen, die Fröhlichste unter den Fröhlichen noch hätte sehen können?«

Sadie schüttelte traurig mit dem Kopf und seufzte tief auf.

»Wenn er Zeuge gewesen wäre, wie Du ihre Tänze tanztest und in ihren Armen den Abend verbrachtest, der in Gebet um Deinen Gatten, um Dein Kind hätte verfließen sollen. Prudentia – kannst Du noch beten?«

»Aus voller inniger Seele zu meinem Gott!« rief aber das arme Weib jetzt, dem bei den Worten eine Last von der Seele wälzte – »der Schein mag wider mich sein, und der Ausspruch der Menschen; aber Gott der mein Herz sieht und kennt, weiß mit wie wehmüthigem Gefühl ich dem Befehl, dem Wunsch meines Gatten gehorchte, Theil zu nehmen an den Lustbarkeiten der Fremden. Mir war nicht freudig dabei zu Muthe und nicht froh; ich passe nicht zwischen sie mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen – mit ihren fremden Gedanken von recht und gut – mir ist nur wohl in meiner Heimath, bei meinem Kind und hätt' ich mein freundliches Atiu nicht verlassen dürfen, wie froh, wie glücklich, wie Gott dankbar hätte ich leben wollen.«

»Ich komme jetzt von Atiu« sagte Mr. Rowe leise.

»Von Atiu?« rief Sadie rasch und bewegt die Hände faltend – »von – von Atiu;« setzte sie langsamer und mit kaum hörbarer Stimme hinzu – »von meinem Atiu – und haben sie meiner freundlich noch gedacht?«

»Bruder Ezra hat mich begleitet« sagte der Missionair ohne direkt auf ihre Frage zu erwiedern – »denn der jetzigen inhaltschweren Verhältnisse wegen ist eine Zusammenkunft von allen solchen Männern wenigstens nöthig geworden, die irgend eine vorragende Stellung auf den verschiedenen Inseln einnehmen, dort etwa auftauchendem Französischem Einfluß zu begegnen. Die Mutterkirche in England scheint theilnahmlos unserem Kampfe zuschauen zu wollen, und wir müssen ihr jetzt zeigen über welche Kräfte wir zu gebieten haben, und ob nur einige wenige, der christlichen Religion gewonnene Häuptlinge ihren Schutz verlangten, oder ein starkes zahlreiches Volk, das ein Recht hat, ihre Hülfe zu beanspruchen.«

»Mi-to-na-re« flüsterte die junge Frau, unter Thränen lächelnd leise vor sich hin – »Mi-to-na-re.«

»Ja Prudentia – dort allerdings war eine schöne Zeit für Dich« sagte der Geistliche, mit ernster Theilnahme den Faden auffassend, der an ihre Erinnerung knüpfte – »und Gottes Hand lag liebend auf Deiner Heimath, seinen Segen spendend zu jeder Stunde die mit Glück und heiliger Ruhe Deine Brust erfüllte. Keine Reue über eine einzige verfehlte Stunde – keine Furcht vor einem einstigen Strafgericht erfüllte da Dein Herz – der aufkeimenden Sünde wehrten die Männer, die ihre Lieben daheim, ihr Vaterland verlassen hatten, Dich und die Deinen einem ewigen Leben einer einstigen Glückseligkeit zu gewinnen, indem sie die heidnischen Gräuel zerstörten, die diese Wälder und die Herzen ihrer Bewohner füllten, und Gottes Vaterhuld spannte seinen blauen Himmelsdom liebend über ein glückliches Land. Da kam der Versucher und Du erlagst.«

»Ehrwürdiger Vater« bat Sadie.

»Fürchte nicht, mein Kind, daß ich in dieser Stunde gekommen bin Dir Vorwürfe zu machen über Vergangenes; es ist geschehen – ich streckte meine Hand aus Dich zu retten, aber Du stießest sie zurück, und wenn ich Dich auch, durch die Verhältnisse gezwungen, eine Zeitlang Deinem Schicksal überlassen mußte, habe ich Dich doch nicht einen Tag nur aus den Augen verloren Prudentia, und keineswegs die Hoffnung aufgegeben, Deine Seele ihrem Erlöser zu retten – ja ich fürchte fast, wieder zu gewinnen.«

»Aber was kann ich – darf ich thun?« frug Sadie in peinlicher Angst – »meinem Gatten gehört mein Leben, mein Glück – selbst unsere Religion gebietet uns ihm zu gehorchen.«

»Willst Du seinen Leib oder seine Seele retten?« frug der Priester mit finsterer, fast tonloser Stimme.

»Seinen Leib?« rief Sadie – der mit Blitzesschnelle der neue Gedanke an Gefahr des Gatten durch die Seele zuckte – »seinen Leib? was droht ihm? – was soll ich retten – o sprecht um des Heilands Willen, was ist geschehen?«

»Thörichtes Kind« sagte aber der fromme Mann kopfschüttelnd und seufzend auf sie nieder schauend – »thörichtes blindes Kind, das hoffend und träumend, in sündhafter Sorglosigkeit in die Welt hineingelebt hat, und die wetterschwangere Wolke, die droben furchtbar am Himmel droht, nicht sieht – oder nicht sehen will. Nicht von dem Einzelnen spreche ich, der leichtsinnig die Rache seines Gottes herausfordert durch verstocktes Anhängen am Götzendienst, mit dem sich die Frevler hier Bahn gebrochen haben durch der Waffen Gewalt – nicht der Einzelne ist es, der den strafenden Schlag des Allmächtigen zu fürchten hat – »Ich will meine Pfeile mit Blut trunken machen,« spricht der Herr – »und mein Schwert soll Fleisch fressen über dem Blut der Erschlagenen, und über dem Gefängniß und über dem entblößten Haupt des Feindes. – Jauchzet Alle, die Ihr sein Volk seid, denn er wird das Blut seiner Knechte rächen und wird sich an seinen Feinden rächen und gnädig sein dem Lande seines Volks – Nun will ich mich aufmachen spricht der Herr – nun will ich mich erheben, nun will ich hoch kommen, denn die Völker werden zu Kalk verbrannt werden, wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt – Und der Herr ist zornig über alle Heiden, und grimmig über Alles ihr Herr – er wird sie verbannen und zum Schlachten überantworten und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden daß der Gestank von ihren Leichnamen aufgehen wird, und die Berge mit ihrem Blut fließen.«

»Allerbarmer!« rief Sadie und barg zusammenschaudernd ihr Antlitz in den Händen, dem furchtbaren Bilde zu entgehen, das der finstere Mann vor ihr heraufbeschworen.

»Allerbarmer ja!« sagte der Priester in langsamem und tiefem Ton – »ja, bis zum letzten Faden seiner Gnade und Barmherzigkeit – dann aber auch der Rächer und furchtbare Richter, mit dem Schwert seines gewaltigen Zornes und dem Eisen seiner Allmächtigkeit. Sein Arm ist furchtbar und die Welt zittert wenn er den Finger hebt.«

»Aber Gott kann nicht den Untergang Aller wollen« bat Sadie – »er sieht die Herzen und weiß die Schuldigen von den Schuldlosen zu trennen – o wäre Vater Osborne hier, daß er seinem armen Kinde Trost spendete und Rath in der entsetzlichen Noth.«

»Nur im Gebet liegt Beides« erwiederte streng und ernst wie je, der Geistliche – »bete Tochter, verlorenes Lamm der Heerde – bete. Bete zu dem Allmächtigen daß er Deiner Stimme Kraft verleiht, zu dem Ohr des Gatten zu dringen, daß er Deinem Herzen die Stärke giebt, auszuhalten in dem schweren Werk und Seinem Pfad zu folgen, trotz allen Irrgängen des Versuchers. Noch ist der Böse mächtig in Dir, aber der Herr wird Dich beugen und niederwerfen in den Staub, wenn Du Dich am sichersten glaubtest vor Seinem Arm – so bete, bete daß Er die Fasern Deines Herzens zum Lichte wende und Seine Hand über Dich halte, Dich zu schirmen und schützen in dem nahen Kampf.«

Und wie von dem Geist berührt von dem er sprach, warf er sich plötzlich neben der Trauernden, die mechanisch seinem Beispiel folgte, auf die Knie nieder, und die Augen schließend und die fast krampfhaft zusammengefalteten Hände zum Himmel aufhebend rief er mit lauter wehdurchschauerter und das Herz des Weibes wie mit scharfer Waffe treffender Stimme in dem Psalm Assaphs:

»Herr es sind Heiden in Dein Erbe gefallen – die haben Deinen heiligen Tempel verunreinigt und aus Jerusalem Steinhaufen gemacht.

»Wir sind unseren Nachbarn eine Schmach geworden, ein Spott und Hohn denen, die um uns sind.

»Herr wie lange willst Du so gar zürnen, und Deinen Eifer wie Feuer brennen lassen?

»Schütte Deinen Grimm aus auf die Heiden, die Dich nicht kennen, und auf die Königreiche, die Deinen Namen nicht anrufen.

»Denn sie haben Jacob aufgefressen und seine Häuser verwüstet.

»Gedenke nicht unserer vorigen Missethat, erbarme Dich unserer bald, denn wir sind fast dünne geworden;

»Hilf uns Gott, unser Helfer, um Deines Namens Ehre willen; errette uns und vergieb uns unsere Sünde um Deines Namens willen.

»Warum lässest Du die Heiden sagen »Wo ist nun ihr Gott?

»Laß unter den Heiden vor unseren Augen kund werden die Rache des Blutes Deiner Knechte, das vergossen ist.

»Laß vor Dich kommen das Seufzen der Gefangenen; nach Deinem großen Arm behalte die Kinder des Todes,

»Und vergilt unsern Nachbarn siebenfältig in ihren Busen ihre Schmach, damit sie Dich, Herr, geschmähet haben.

»Wir aber, Dein Volk und Schaafe Deiner Weide, danken Dir ewiglich und verkündigen Deinen Ruhm für und für!«

Langsam erhob sich der Priester nach dem Gebet der Rache an den Allerbarmer und stand noch viele Minuten lang, mit fest auf der Brust gefaltenen Händen neben der knieenden Frau; aber Sadie regte sich nicht – das Antlitz in den Händen über den Stuhl hingebeugt, lag sie in heißem brünstigen Gebet und nur das heftige Wogen ihrer Gestalt, der heiße rasche Athem der sich ihrer Brust entrang, verrieth das Leben, das Leiden der Armen.

Der ehrwürdige Mr. Rowe schaute mit ernstem fast wehmüthigem Blick auf die Betende nieder und legte dann seine beiden Hände leise und wie segnend auf ihr Haupt. Sadie fühlte die Berührung und zuckte unter ihr zusammen, aber sie blieb regungslos in ihrer Stellung.

»Prudentia« sagte Bruder Rowe leise – »Prudentia!« – aber keine Antwort wurde ihm, und nur fester schien die Weinende das Antlitz in ihren Händen begraben zu wollen. »So sei Gott mit Dir!« sagte der fromme Mann, seinen Hut ergreifend, den er daneben auf den Tisch gestellt – »so sende er Dir sein Licht und seine Gnade – er lasse sein Angesicht leuchten über Dir und gebe Dir seinen Frieden!«

Sich dann wendend, verließ er mit leisen Schritten das Haus, ging langsam durch den Garten, an dessen Thüre ein Insulaner halb auf der Lauer, halb auf ihn wartend, gestanden hatte und folgte der Broomroad, die nach Papetee hinunter führte.

Seine etwas lange und hagere Gestalt war aber noch nicht ganz hinter den, diesen Theil der Hecke bildenden Papayen verschwunden, als aus der ziemlich dichten Orangenlaube die nahe zum Hause stand, eine kleine wohlbeleibte Figur, ganz das Gegentheil des mageren Geistlichen, vortauchte, und dessen Entfernung mit augenfälliger Aufmerksamkeit und fast wie mißtrauisch beobachtete. Der hier jedenfalls versteckt Gewesene schien sich auch gar nicht damit zu beruhigen daß der also Bewachte seinen Weg die Straße entlang bis außer Sicht fortsetzte, sondern er verließ ebenfalls den Garten und folgte dem Andern zuerst eine kurze Strecke auf dem Weg, und dann, als er eine kleine Anhöhe erreichte, von der er einen ziemlichen Ueberblick gewann, noch eine ganze Zeitlang mit den Augen, bis er wirklich in weiter Ferne hinter einer Biegung der Straße verschwunden war. Erst dann schien er sich vollkommen sicher zu fühlen und eilte jetzt mit raschen Schritten und Freude strahlenden Augen zum Haus zurück, dessen Thüre noch, wie sie der Geistliche verlassen, halb geöffnet stand. An der Schwelle aber blieb er wie scheu und unschlüssig stehen – er hob den Arm und ließ ihn wieder sinken – er setzte den Fuß vor, und zog ihn fast ängstlich wieder zurück; endlich aber faßte er sich ein Herz – die Sonne stieg mit jedem Augenblick höher und er durfte die kostbare Zeit nicht länger versäumen, und die Hand der Thüre nähernd klopfte er, mit einem jedenfalls gewaltsam gesammelten Entschluß laut und herzhaft an.

 

Keine Antwort; – drinn im Zimmer rührte und regte sich Nichts und der Klopfer blieb kopfschüttelnd und unschlüssig in seiner lauschenden Stellung an der Thür. Endlich, und nach augenscheinlicher Ueberwindung klopfte er zum zweiten Mal, und zwar etwas stärker als vorher, und als auch diesmal seine Anmeldung so unbeantwortet blieb als vorher, gewann die Ungeduld bei ihm so weit die Oberhand, daß er, vielleicht auch halb mit der Ueberzeugung es sei Niemand mehr im Haus, den Knöchel seines dritten Fingers laut und heftig an die Thür anpochte, in demselben Augenblick aber auch mit einem kaum unterdrückten Schrei zurücksprang, als das leise aber doch so deutliche und ihm so wohlbekannte »hare mai« einer weiblichen Stimme an sein Ohr schlug. Sein erstes Gefühl schien auch wirklich unbedingte Flucht, aber die Töne hatten zugleich alte und oh so liebe Erinnerungen in ihm geweckt, und fast instinktartig und jedenfalls unbewußt nach seinen Füßen hinunterfühlend, ob er die Schuhe auch, wie es sich gehöre, daran habe, und nicht etwa wieder barfuß als roher Wilder zwischen den cultivirten Menschen herumlaufe in der Welt, schob er die Thüre langsam auf und trat hinein.

Sadie hatte sich eben, als sie das Klopfen gehört, vom Boden erhoben und stand der Thüre zugedreht, kaum aber auch die kleine, so lang befreundete Gestalt des Eintretenden erblickt als sie mit dem Freudenruf »Mitonare – mein guter, lieber Mitonare,« auf ihn zusprang und seine, nach ihr ausgestreckte Hand ergriff.

»Pu-de-ni-a!« stammelte der kleine Mann, und riß die Augen weiter und weiter auf, den mehr und mehr füllenden und vorquillenden Thränen, die er nicht zurückpressen konnte in ihr Bett, einen Blick abzugewinnen auf das Wesen, das ihm das Liebste gewesen war auf der Welt, fast seit dem Tag an, wo er es zuerst auf seinem Arm gewiegt und mit allen Schmeichelnamen genannt hatte die er wußte – »Pu-de-ni-a – es – es freut mich recht – recht sehr – Sie – Sie – Dich – « Er kam nicht weiter – die großen hellen Thränen rollten ihm die Backen hinunter und die nicht widerstrebende Frau an sich ziehend, rieb er – den höchsten Ausdruck innigster, herzlichster Zärtlichkeit den er kannte, seine Nase an der ihrigen, zog sie dann fester an sich, streichelte ihr mit beiden Händen die Schläfe, drehte ihr Köpfchen zu sich hin, ihr in die Augen zu sehen und nannte sie dabei mit allen alten Schmeichelnamen die er kannte und ihr, o wie viel tausend Mal schon, in früheren Jahren liebkosend gegeben hatte; Sadie aber barg ihr Köpfchen an seiner Brust und ihre Thränen strömten ungehindert an dem Herzen des treuen ehrlichen Freundes.

Bruder Ezra war auch wirklich der Erste der sich wieder sammelte, und das geliebte Kind auf Armes Länge leise von sich schiebend, daß er eben die bleichen, thränenfeuchten Züge erkennen und überblicken konnte, sagte er flüsternd und mit recht weicher, wehmüthiger Stimme, doch nicht in seinem gebrochenen Englisch, sondern der ihm geläufigen Muttersprache:

»Aber was ist das? – ist Pudenia – meine kleine, liebe Pu-de-ni-a nicht mehr das fröhliche leichtherzige Kind von A-ti-u? – sind die klaren Augen schon so trüb geworden in der kurzen Zeit, und die Wangen so fahl? und ist der böse böse Wi-Wi etwa gar schlecht gewesen mit meinem Lieb, meinem süßen herztröstenden Lieb?«

Unter ihren Thränen vor lächelte Sadie und seine Hand fassend und streichelnd schüttelte sie leise mit dem Kopf und sagte, mit wieder fast dem vollen Strahl vorigen Glücks in den schönen Zügen:

»Nein Mi-to-na-re – nein er ist gut und lieb wie je und mein Herz ist sein bis zum Tod, und weit, weit darüber hinaus – zanke mir nicht den Wi-Wi – «

»Dann hat Dir der »schwarze Mann« wieder das Herz schwer gemacht mit seinen Worten, die Einem wie Messer einschneiden in die Brust und nur immer brennen und schmerzen« sagte Bruder Ezra, und der scheue aber zürnende Blick den er aus dem Fenster die Straße entlang warf, verrieth nur zu deutlich wen er damit gemeint. »Wenn ich eine Zeitlang mit ihm zusammen bin, und ihn beten und predigen höre, dann komme ich mir immer vor wie der entsetzlichste furchtbarste Sünder, der noch ein besonderes Feuer in der Hölle haben müßte, seine Sünden vollständig abzubüßen – und wenn ich sonst mit Vater Osborne sprach, war mir's dagegen, als ob mir der eine Last von der Brust gewälzt und mir Balsam in die frischen Wunden gegossen hätte. Es ist doch eine ganz erschreckliche Geschichte, wenn man so gar nicht gewiß erfahren kann ob man ein nichtswürdiger Sünder oder ein guter Christ ist, und ich bin bei mir noch nicht im Stande gewesen dahinter zu kommen.«

»Aber wie siehst Du aus, Mitonare« – rief Sadie, indem sie lächelnd einen Schritt zurücktrat, seine Gestalt und Kleidung, die sich allerdings seit sie ihn nicht gesehen um ein Wesentliches verändert hatte, besser überschauen zu können – »segne mich, wie Du Dich gekleidet hast, und wie stattlich Du einher gehst jetzt, und wie ehrwürdig.«

Bruder Ezra schüttelte mit dem Kopf, und sich selber, mit einem keineswegs sehr selbstgefälligen Blick von oben bis unten betrachtend, sagte er leise und traurig:

»Es ist Nichts, Pudenia – gar Nichts; die Hosen machen einen Menschen höchstens unbequem aber noch nicht zum Christen, und die steifen Dinger hier unter den Ohren – der Weiße hatte gestern recht der mir sagte wenn ich mich einmal rasch und plötzlich bückte, schnitt ich mir die Ohren ab, wie mit dem Rasirmesser.«

»Die Kleider machen allerdings den Christen nicht, Mi-to-na-re« lächelte Sadie, »aber das treue Herz in der Brust hat Dich dem reinen schönen Glauben gewonnen und Dein Herz erfüllt mit Seinem Ehr und Preis.«

Der kleine Mitonare seufzte recht aus schwerem Herzen tief auf, und es war augenscheinlich daß ihn dort etwas drückte, mit dem er sich scheute an Tageslicht zu kommen. Sadie fühlte das mehr als sie es sah, denn des Mitonare veränderte Kleidung hatte ihre Aufmerksamkeit bis jetzt in der That zu sehr in Anspruch genommen. Erst jetzt bemerkte sie auch eigentlich, ihm voll in's Angesicht schauend, daß nicht Alles so mit dem kleinen, sonst so freundlichen Manne stehe als es wohl solle, und irgend etwas vorgefallen sein müsse, das ihn drücke und quäle, und nicht zu Ruhe kommen lasse. Mit seinen Schwächen und Eigenschaften aber auch wieder bekannt, lächelte sie, denn nicht unwahrscheinlich kam ihr der Gedanke, die neue außergewöhnliche und unbequeme Kleidung die ihm der Missionair jedenfalls wenn nicht aufgenöthigt doch angerathen (bei Mr. Rowe so gut wie ein Befehl) drücke ihn und nehme ihm das Freie, das Zutrauliche seiner Bewegungen.

Mi-to-na-re sah aber auch wirklich verzweifelt aus, denn nicht allein daß er die Weste fest und eng zugeknöpft trug über dem seit einiger Zeit wieder gediehenen Bauch, und die Knöpfe derselben in wirklich gefährlicher Spannung hielt, nicht allein daß ihm das weiße dicke Tuch dreimal in dichten Falten um den Hals lag und dem Kopf das Ansehen gab, als ob er mit dem steif und starr gestärkten Hemdkragen oben eben nur hinausgeschnürt sei; nicht allein daß seine Füße wie früher in den breiten unbequemen Schuhen standen, und er bei jedem Schritt auftrat, als ob er den Fuß irgendwo eingeklemmt hätte, und ihn wieder herauszuziehen wünsche, so war ihm auch jetzt das, sonst doch wenigstens bequeme und luftige Lendentuch genommen, und die kleinen dicken Beine staken in so engen, strammen Hosen, daß es ein Wunder schien wie er überhaupt hineingekommen und den kleinen schüchternen Mann veranlaßt hatte einen kurzen Pareu, trotz den Einreden des Geistlichen, noch über diesem neuen und jedenfalls unpassenden Kleidungsstück zu tragen, das nun einmal durchaus nöthig sein sollte auch den letzten heidnischen Anstrich von ihm zu entfernen. Und selbst das war nicht genug gewesen, denn sogar der hohe trostlose Europäische Hut durfte nicht fehlen ihn elend zu machen, und so oft war er schon damit in jedem Guiavenbusch, jeder Banane, in der Thür jeder Hütte, in den Zweigen jedes Baumes hängen geblieben, daß er jetzt unter keiner Palme mehr hinging ohne den schmalen Rand seines Peinigers zu fassen und sich zu bücken.

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