Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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Из серии: maritime gelbe Buchreihe #163
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Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser
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Friedrich Gerstäcker



Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser



Band 163 in der maritimen gelben Buchreihe





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Vorwort des Herausgebers







Der Autor Friedrich Gerstäcker







Skizzen aus dem Seeleben – Aus dem Matrosenleben – Aus der See







Das Auswandererschiff







Jack und Bill







An Cap Horn







Die Dschunke







Die Goldbarren







Die Nacht auf dem Walfisch







Aus dem Matrosenleben – An Bord







Der Markt in Sidney







Die Matrosenkneipe







Die Flucht von Bord







Die Entdeckung







Sidney im Dunkeln







Was das Geld vermag







Die Ausfahrt







Hans







Die unterbrochene Exekution







Der Sturm







Die Riffbank







Das Wrack







Die Mannschaft trennt sich







Die Bootsfahrt







Der Morgenbesuch







Die Landung







Der australische Busch







Das Bivouak







Schluss







Aus der See – Die versunkene Stadt







Der Klabautermann







Der Klabautermann und die Schifferstochter







Die maritime gelbe Buchreihe







Weitere Informationen







Impressum neobooks







Vorwort des Herausgebers






Vorwort des Herausgebers










Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.








Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.



Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „

Seemannsschicksale

“ weitere.



Die in diesem Band enthaltenen maritimen Texte von Friedrich Gerstäcker zeugen vom Leben an Bord der Schiffe Mitte des 19. Jahrhunderts und spiegeln das Leben und die Denkmuster der damaligen Seefahrer.



Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski








Ruhestands-Arbeitsplatz



Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers



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Der Autor Friedrich Gerstäcker





Der Autor Friedrich Gerstäcker










Geboren am 10. Mai 1816 in Hamburg als Sohn eines Bühnentenors. Er ließ sich zum Kaufmannslehrling ausbilden, danach absolvierte er eine Ausbildung in Landwirtschaft. 1837 wanderte er nach Amerika aus, wo er ein abwechslungsreiches und abenteuerliches Leben als Matrose, Heizer, Jäger, Farmer, Koch, Silberschmied, Holzfäller, Fabrikant und Hotelier führte. 1843 kehrte Gerstäcker nach Deutschland zurück. Er lebte ab 1868 in Dresden und Braunschweig. Gerstäcker starb am 31.05.1872 in Braunschweig.



Gerstäcker war ein Erzähler von außerordentlich spannenden und farbenprächtigen Abenteuerromanen, die jedoch stets belehrende Momente in der Landschafts- und Kulturschilderung beinhalten.



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Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser







https://www.projekt-gutenberg.org/gerstaec/blauwass/blauwass.html





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Skizzen aus dem Seeleben – Aus dem Matrosenleben – Aus der See



Skizzen aus dem Seeleben – Aus dem Matrosenleben – Aus der See



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Das Auswandererschiff





Das Auswandererschiff







https://www.projekt-gutenberg.org/gerstaec/blauwass/chap002.html





Von einer günstigen Brise getrieben glitt das wackere Auswanderer-Schiff, die „CAPTAUBE“, die schon acht Tage durch stürmisches Wetter in der Mündung der Schelde und in der Nordsee zurückgehalten worden, über die wieder ziemlich beruhigte Flut in den Kanal hinein und zwischen Calais und Dover hin.



Die „CAPTAUBE“ kam von Antwerpen mit hundert und dreißig Auswanderern nach New-York bestimmt.








Für Passagiere ganz besonders mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten, räumlichen Decks und Kajüten, gutem Proviant und Wasser ausgestattet, fingen die meisten der Leute, wie sie nur einmal den ersten Anfall der Seekrankheit überstanden hatten, schon an, sich wohl und behaglich an Bord zu fühlen. So recht zur Besinnung war aber noch Keiner gekommen.



Es ist auch ein wunderliches Gefühl, auf einem solchen Fahrzeug sein Alles eingeschifft zu haben, für eine andere Welt. – Wenn wir nur eine Reise unternehmen, und sei sie noch so weit, wären selbst Jahre für ihre Dauer bestimmt, der Schwerpunkt unseres Lebens bleibt doch im Vaterlande zurück; der Platz, der unsere Heimat geworden, bleibt derselbe. Hunderte uns liebe Wesen und Dinge lassen wir mit dem Bewusstsein hinter uns, sie wieder zu finden, wenn wir zurückkehren, und die Freude des Wiedersehens wirft Ihre Strahlen schon jetzt auf jenes Bild. Mit gepacktem Koffer machen wir nur eben einmal einen Sprung ins Leben hinein, um zu sehen, wie sie's draußen treiben, halten unsern Rücken dabei gedeckt, und sind wir's müde, treten wir den Heimweg an. Wir haben einen Platz, wohin wir gehören; geht es uns draußen schlecht, was tut's? ist die Reise vorüber, können wir uns daheim wieder erholen.



Die fremden Länder, die wir betreten, behalten dabei eine ganz bestimmte Färbung; wir interessieren uns wohl für sie, aber mehr auch nicht; wir freuen uns ihrer Szenerie, ihres Klimas, der Sitten und Gebräuche ihrer Völker, wie man etwa ein schönes Gemälde betrachtet oder ein gutes Buch liest, aber unser Herz hängt nicht weiter daran, und eine neue Landschaft lässt uns die früher gesehene bald vergessen. – Wir sind nicht gezwungen, uns dort heimisch zu fühlen.



Wie anders ist das, wenn der scharfe Kiel, der unser Alles trägt, die Flut dem fernen Weltteil zu durchfurcht; wenn die Brücke zum Vaterland hinter uns abgebrochen liegt und wir die Heimat gemieden haben auf Nimmerwiederkehr. Wir wissen, was wir hier verlassen, aber nicht, was wir dort wiederfinden, und der dunkle Schleier, der über der Zukunft liegt, füllt da nicht selten selbst das Herz des Mutigsten mit banger Sorge.

 



Ein herrliches Mittel dagegen ist die Seekrankheit. In dem müßigen, monotonen Leben der Seefahrt würden sich Tausende von denen, die ihr Vaterland für immer verlassen haben, nur dumpfem Brüten und Trübsinn hingeben und den Schmerz der Trennung viel schwerer, viel furchtbarer empfinden; aber ehe sie an Bord nur recht zur Besinnung kommen können und kaum im Stand sind, ihre Sachen zu ordnen zu der langen Fahrt, und sich nur ein klein wenig bequem in dem neuen, ungewohnten und eigentlich höchst unbequemen Leben einzurichten, naht mit dem ersten Schaukeln des Schiffes der unerbittliche, erbarmungslose Feind und ertränkt in Vergessen das Vergangene.



Von dem Augenblick an, wo der Mensch seekrank ist, existiert keine weitere Welt mehr für ihn, weder in Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. – Was er daheim verlassen, was dort drüben aus ihm wird, was hier mit ihm geschieht – bah – was kümmert's ihn; er hört und sieht und riecht und schmeckt nicht mehr. Der einzige Sinn, der ihm geblieben, ist das Gefühl – das Gefühl grenzenlosen, unbegriffenen Elends und einer Gleichgültigkeit wieder, sogar hiergegen, die ihn selber in Erstaunen setzen würde, wenn es noch irgendetwas auf der Welt gäbe, das dies bewirken könnte.



Dieser Zustand hat eine solche Konsistenz, dass die Vergangenheit, selbst wenn er endlich gewichen, doch nur wie mit einem dichten Schleier bedeckt hinter uns liegt und dem scharfen Schmerz des Abschieds keine Gewalt mehr über das Herz gestattet. Mit ihm beginnt gewissermaßen ein ganz neuer Abschnitt unseres Lebens, und eigentümlich zu beobachten ist die Veränderung, die in dem ganzen Wesen und Betragen der Passagiere nach dem ersten eintretenden stillen Wetter vor sich geht. Die Leute sind gar nicht mehr dieselben; die heimatliche Küste ist außer Sicht, dieser furchtbare Zustand zwischen Leben und Sterben, vor dem sie sich nicht retten konnten, gewichen, und das weite, offene Meer um sie her, mit seinen leichten plätschernden Wogen, der Anblick der geblähten Segel, des vorn am Bug aufträufelnden Schaumes und Gischts, wie das wackere Schiff so rasch die Flut durchschneidet, füllt ihre Seelen mit neuer Lebenslust, mit frischer, fröhlicher Hoffnung bis zum Rand.



Amerika, das ist das Ziel jetzt, dem sie entgegen streben, und wenn sie abends nach dem dünnen Tee oben auf dem Verdeck sitzen und die Sterne über sich funkeln sehen, die Wasser unter sich rauschen hören, dann scharen sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, wie sie sich eben neben einander gefunden an Bord, und bauen sich Schlösser in die blaue, reine Luft, die hoch zu den Wolken reichen und mit diesen gen Westen ziehen – aber traurig ist Keiner mehr.



So mancher schöne Plan wird da ersonnen, wie mancher phantastische Traum ausgebrütet und gehegt. Gar weh freilich würde Vielen von ihnen ums. Herz sein, wenn sie vorher wüssten, wie bei den Meisten es nur eben Pläne, nur eben Träume bleiben sollen. Aber die Zukunft birgt das noch in ihrem dunkeln Schoss, und durch den tausendfarbigen Regenbogen der Hoffnung liegt ihnen das ferne Land schon jetzt in Paradieses Pracht und Schmuck vor Augen.



Wie sie lachen dabei und singen und jubeln – sind das dieselben Menschen, die erst vor wenig Wochen mit rotgeweinten Augen am heimischen Strande standen und denen das Herz brechen wollte von bitterem Weh und Leid? – Fort mit den Sorgen! Amerika, das ist das Zauberwort, dem alle trüben Gedanken weichen mussten, und „wenn wir nur erst einmal dort sind!“ lautet der Tröstungsruf. Indessen haben sie weiter nichts zu tun als zu essen, zu trinken und sich zu amüsieren, bis sie der Kapitän an Ort und Stelle liefert, und sie tun das eben nach besten Kräften.



Hier sitzen ein paar oben an Deck um einen umgestülpten Waschkübel und spielen Karten; dort steht eine kleine Gruppe um einen kurzen, dicken Schuhmacher, den Spaßvogel des Schiffes, herum, den Geschichten zu lauschen, die er ihnen erzählt, und über die sie sich ausschütten wollen vor Lachen. Hier kauern einige vorn auf der Back des Schiffes und singen, und andere liegen lang ausgestreckt auf den warmen Planken in der Sonne und schauen zu den schwankenden, neigenden Masten und den über ihnen hinziehenden Wolken hinauf, die herüber und hinüber zu schießen scheinen am Firmament. Ein Teil hat sich aber nützlicheren Beschäftigungen gewidmet, reinigt sein Geschirr oder seine Kleider, wäscht und bessert aus, und die Frauen besonders sind mit den Kindern in voller Arbeit, an denen sie ebenfalls gerade wie an dem Geschirr, zu putzen und zu scheuern haben, und die sich trotzdem am allerwohlsten an Bord zu fühlen scheinen.



Das Kind richtet sich auch am leichtesten in solch' neue Verhältnisse ein; sein junger Geist ist nur dem Augenblick empfänglich, und neue Eindrücke prägen sich so rasch dem Kinderherzen ein, als es die älteren schnell und leicht verwischt. Was weiß es von Vergangenheit und Zukunft; seine kleine Welt umschließt eben der Augenblick, und in dem engen Kreis hat es an Lust und Sorgen, Schmerz und Freude auch wieder gerade so viel zu tragen, wie's eben tragen kann.



So dauert es denn auch gewöhnlich gar nicht lange, und die Kinder, die überdies am wenigsten von der Seekrankheit ergriffen werden, spielen und haschen sich, selbst bei schwerem Wetter, munter über Deck, lachen und jubeln, wenn sie eine Spritzwelle trifft, und kennen selbst keine Furcht in dem grollenden Sturm, der an den Planken rüttelt und reißt.



Die schlimmste, schwerste Zeit an Bord haben die Frauen, denn außer der Sorge um die kleine Brut, die lustig tobend über Deck schwärmt und klettert und steigt und ewige Aufsicht erfordert, nicht dennoch zu Schaden zu kommen, nagt ihnen das, was sie verlassen haben, auch am meisten am Herzen. Die Frau ist weit mehr an die Scholle gebunden als der Mann; ihr ganzes Leben und Wirken schon liegt in der Häuslichkeit, in dem engen Kreis ihres eigenen Herdes, und nur mit Mühe und tiefem Schmerz reißt sie sich von diesem los. Hätten die Frauen darüber zu bestimmen, nicht der zehnte Teil der Auswandernden würde das Vaterland verlassen, und lieber ertrügen sie das Schwerste, ehe sie die wohnliche Stätte mieden, die ihre Heimat geworden. Bei ihnen wurzelt die Erinnerung an das, was sie verloren, auch am tiefsten; die Sorge für die Zukunft müssen sie doch dem Manne überlassen, und all' ihr Sinnen und Grübeln gehört der Zeit, die hinter ihnen liegt. Die Frauen sind deshalb gewöhnlich die stillsten Passagiere an Bord, und wenn sie auch nicht klagen und jammern über etwas, das nun doch einmal nicht mehr zu ändern ist, spricht die heimlich zerdrückte und rasch und ängstlich wieder entfernte Träne, die ihnen nur zu oft die Wange feuchtet, desto lebendiger das aus, was ihnen auf der Seele liegt.



Gleichgültig gegen alles Derartige sind natürlich die Matrosen, Steuerleute und Kapitän mit eingerechnet. Die See ist ihre Heimat, sie kennen keine andere, und das Schiff ist der Gegenstand, um den sich ihre ganze Sorge dreht.



Der Seemann gehört auch wirklich mit zu den Amphibien, d. h. zu den Wesen, die auf dem Lande und im Wasser oder wenigstens auf dem Wasser leben können, sonderbarerweise aber sämtlich das Wasser vorziehen und zu ihrem Hauptaufentaltsort wählen.








Am Lande sind sie unbehilflich und linkisch, man kann sie auf den ersten Blick erkennen: der schwankende Gang, die vom Körper abhängenden Arme, die etwas gedrückte Haltung selbst, machen die Burschen überall kenntlich, wo sie sich auf festem Boden sehen lassen. Sie fühlen sich auch dort nicht wohl, sie wissen, wie das ihr Element nicht ist, und halten sich wie Seehund, Frosch, Alligator, Schildkröte etc. etc. immer dicht am Ufer auf, zu neuer Ausfahrt jeden Augenblick bereit. Ein echter Matrose würde sich im inneren Lande gerade so wohl da fühlen wie ein Fisch auf einer Wiese.



Der echte Matrose wechselt auch sein Schiff nicht gern. Wenn er es nur irgend mit Kapitän und Steuermann aushalten kann und diese es ihm eben nicht gar zu bunt machen, bleibt er an Bord des einmal gewählten Fahrzeugs und gewinnt das lieb, wie wir die eigene Heimat lieb gewinnen. Er wird sogar stolz darauf und fühlt sich bitter gekränkt, wenn ein anderes Schiff besser aufgeriggt, reinlicher gehalten wäre, oder gar, das Schlimmste von Allem fast, schneller segelte, als das seine, und mit gleicher Anzahl von Segeln auf offener See an ihm vorbeiliefe. Es ist ein Teil seiner selbst geworden, und was dem Schiff geschieht, geschieht auch ihm.



Einen besonderen Hass hat der Seemann, der echte, richtige Matrose wenigstens, auf Passagiere – oder, wenn er sie auch nicht gerade wirklich hasst, verachtet er sie doch gründlich. Ein Passagier ist ihm das nutzloseste, unbequemste, störendste und fatalste Stück Fracht, das sich auf der weiten Gotteswelt nur denken lässt, und einem ordentlichen Matrosen wird es auch nie einfallen – wenn er das irgend ändern kann – sich ein Schiff auszusuchen, das regelmäßige Passagierfahrten macht – er ginge ebenso gern auf einen Walfischfänger.



Überall im Wege, wo sie nicht gebraucht werden, alles beschmutzend und verderbend, woran sie die Hände legen können, auf allen Reisen fast Ungeziefer brütend, machen ihm die Passagiere das Schiff zu einer Hölle, und haben selber genug dabei von seinem Unmut und Schabernack zu leiden. Wozu, um Gottes willen, ist solch ein Passagier auch nütz? – Er kann nicht nach oben gehen, denn wenn er das Deck wirklich einmal verlässt, um in die Wanten zu steigen, hat er alle Hände voll zu tun, sich nur selber festzuhalten; er kann kein Segel nähen, kaum einen Reefknoten machen, kann nicht steuern, noch eine der gerade verlangten Brassen (Die Taue zum Anholen der Rahen) finden, und wenn er Monate lang an Bord wäre, und ist zu faul, Schiemanns Garn zu drehen oder Werg zu zupfen. Was also in der weiten Welt ist mit ihm anzufangen? Gar nichts. Dabei sitzt er gewiss immer an den Stellen, wo er gerade nicht sitzen sollte, hängt die gewaschene Wäsche an das laufende Tauwerk, dass die Falle, wenn sie einmal recht rasch angeholt werden sollen, in den Blöcken hängen bleiben und einklemmen, hat natürlich immer nägelbeschlagene Schuhe und zertritt die frisch gestrichenen Decks, und trampelt regelmäßig zur Unzeit über dem „Logis“ herum, in dem der Teil der Mannschaft, der „seine Wache zur Koje hat“, liegt und die paar Stunden schlafen will.



Außerdem kann er nur einen Menschen verachten, der seekrank wird, und zwar so seekrank, wie es eben nur ein Passagier werden kann. Und in der Zeit hat der Matrose auch wirklich seine wahre Last und Not mit dem unglückseligen Volk in Zwischendeck und Kajüte, das, wie er nur kaum einmal das Deck rein gewaschen hat, aus irgend einer Luke vorgestürzt kommt, nur selten im Stande ist, die Reling zu erreichen, und seiner Krankheit den Lauf lässt, wo er eben liegt. Wer dann wieder mit Eimer und Scheuerbesen hinterher kommen muss, ist natürlich der Matrose, und die einzige Erleichterung, die er sich dabei verschaffen kann, ist, seinem Herzen durch eine unbestimmte, ungemessene Anzahl von Flüchen Luft zu machen.



Und wie sieht so ein Auswanderer-Schiff in der Zeit von außen aus! – Was müssen die Fische denken, wenn sie vorüberschwimmen! – denn von der Schiffmannschaft schaut gewiss keiner über Bord. Doch genug von den Leuten; wir wollen an Bord selber zurückkehren.



Es war Abend – eigentlich der erste warme, freundliche und stille Abend, den die Auswanderer gehabt, seit sie in der Schelde ihren Anker gelichtet, und die Passagiere versäumten nicht, ihn zu genießen. Der kleine dicke Schuster besonders war unter ihnen tätig, einen Ball zu arrangieren, holte aus den Tiefen seiner Kiste eine alte Violine – eine „Schwester von Paganini's Instrument“, wie er behauptete –, setzte sich damit auf den Windlass, der hinter dem Hauptmast stand und dessen blank gescheuerter Messingknopf mit einer ledernen Überkappe bedeckt war, und begann eine wahrhaft nichtswürdige Polonaise zu spielen.



Wo sich aber, bei wirklich guter Musik, mancher nach der so kurzen Trennung von der Heimat gescheut haben würde zu tanzen, überwand das Komische dieser kreischenden, ohrzerreißenden Melodie, die kein anderes Verdienst hatte, als ihre Misstöne wenigstens im richtigen Takt herauszustoßen, bald jede weitere Bedenklichkeit. Selbst die sonst Ernstesten lachten erst über die wirklich entsetzlichen Passagen, die der Schuster mit einer unzerstörbaren Ruhe und endlich, als er mehr in Hitze kam, selbst im Schweiße seines Angesichts herausarbeitete, und traten dann langsam selber mit zu der endlosen Polonaise an, die sich um den Windlass herum am Larbordgangweg (Larbord = Backbord – Statbord = Steuerbord) hin, vorn vor dem Logis vorüber und dann auf dem Starbordgangweg zurück wieder zu dem Platze bewegte, von dem sie ausgegangen war. Selbst einige hannöversche Bauern in Holzschuhen nahmen an dem Tanze teil, und wie der Schuster erst einmal sah, dass er sie alle in Bewegung hatte, sprang er mit seinen Dissonanzen plötzlich in einen munteren Rutscher über, dessen Erfolg über sein Erwarten gut ausfiel.

 



Eine Masse junger Leute, Burschen und Mädchen, waren an Bord, bei denen es eben keiner besonderen Einladung bedurft hätte, sie zum Tanz zu bringen, und die fingen natürlich rasch an, sich lustig im Kreise zu drehen. Die Übrigen folgten, wenn auch etwas langsamer, dem gegebenen Beispiel, und selbst von den Matrosen mischten sich einige zwischen die wie von der Tarantel Gestochenen, griffen sich die hübschesten Mädchen heraus und flogen im Takt herum, den jetzt die Holzschuhe der Hannoveraner, selbst ohne die dazwischen quietschende Violine, auf dem Deck der „CAPTAUBE“ schlugen und stampften.



Der Kapitän hatte nichts gegen das fröhliche Treiben an Bord; bis acht Uhr, wo doch sämtliche Mannschaft an Deck versammelt war, konnten sie toben, die Bewegung war ihnen überdies gesund, dann freilich, mit dem Ton der Glocke, war Feierabend – die Schiffs-Polizeistunde – und die Nacht begann. Die Zeit bis dahin musste also nach besten Kräften benutzt werden.



Rasch und schäumend, über die nur leise wogende See, verfolgte indessen das wackere Schiff seine Bahn; der Wind hatte sich nach Nordosten gedreht, und mit allen Segeln gesetzt, bis in die obersten Stengen hinauf, durchschnitt der scharfe Bug lustig die zischend und spritzend zur Seite schlagende Flut. Vorn im Westen erhob sich zwar eine dunkle Wolkenschicht, hinter der die Sonne jetzt glutrot niedersank, aber die obere Luftströmung ist der untern, über das Wasser streichenden, oft ganz entgegengesetzt, und keinesfalls bekümmerten sich die Passagiere um den grauen Saum, der ihren Horizont umzog.



Hell und klar funkelten die Sterne schon vom sonst wolkenreinen Himmel nieder und zu ihrer Rechten wurde ein rotschimmernder Punkt dicht über dem Wasserspiegel sichtbar – ein Leuchtfeuer der englischen Küste, unter der sie hinsegelten. – Wie das so still und freundlich zu ihnen herüberglühte von dem fernen Strand, der sichere Führer nach dem Hafen dort. Aber ihr Ziel lag weiter; kein gastliches Ufer konnte sie ablocken von der bestimmten Bahn, und weiter und weiter zurück blieb das Wachtlicht dort drüben, bis andere vor ihnen auftauchten, die Bahn bezeichnend, die sie nahmen.



Der Tanz hatte jetzt aufgehört; die Tänzer waren allerdings so wenig müde geworden wie der Geiger, aber die Saiten des Instruments – wenn der violinartig geformte Kasten wirklich einen solchen Namen verdiente – weigerten längeren Dienst, mussten, da sie in der feuchten Abendluft mehr und mehr nachgaben, höher und höher hinaufgeschraubt werden und platzten endlich. Nur die Holzschuhe waren einmal in Gang und Taktgekommen und klapperten fort, bis endlich des Kapitäns lauter Ruf auch ihre Fröhlichkeit unterbrach und den misshandelten Schiffsplanken Ruhe gönnte.



Es wurden Leute nach oben geschickt, die leichteren Segel einzunehmen und ein paar gegen Abend ausgesetzte Leesegel wieder einzuholen; die Wolkenwand im Westen hob sich höher und drohender, und der vorsichtige Seemann wollte sein Segelwerk bei doch etwa eintretendem andern Wind besser in der Gewalt haben.



Die Oberbramsegel flatterten und schlugen im nächsten Augenblick an ihren Rahen, die „leichten Matrosen“ sprangen nach oben, um sie an ihren Hölzern festzuschnüren; die Leesegel kamen ebenfalls blähend an Deck und wurden dort geborgen, und die nächste Wache, die von acht bis zwölf zu stehen hatte, lag, ihre Antrittszeit erwartend, vorn auf der Back, den Erzählungen des Segelmachers lauschend, der einst an Bord eines englischen Kriegsschiffes gedient hatte und die nötige Gabe besaß, ein „Garn zu spinnen“, d. h. eine Erzählung mit der fabelhaftesten Phantasie auszuschmücken und zu würzen.



Die Auswanderer hatten sich indessen ebenfalls in kleinen Gruppen gesammelt. In Lee (Die der Richtung, von welcher der Wind herkommt, entgegengesetzte Seite des Schiffes) stand eine Anzahl von ihnen zusammen und sang ihre heimischen Weisen; andere lehnten über Bord und schauten still und schweigend zu den einzelnen Leuchtfeuern hinüber, die jetzt auch von der französischen Küste sichtbar wurden und untergehenden Sternen glichen, und wieder andere lagen über die an Deck festgeschnürten Wasserfässer zerstreut, oder im großen, zwischen dem Haupt- und Fockmast befestigten Boot, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen oder Zigarren in die stille Nachtluft hinein und schauten zu den Sternen und den schwankenden Masten hinauf.



Ein eigentümlich schriller Laut pfiff da über die See, und das Schiff neigte sich plötzlich und scharf nach Lee hinüber, dass, wer nicht fest stand, zur Seite rutschte und rollte und alles an Deck stehende lockere Geschirr und Gerät polternd nach Larbord über kollerte.



„Steht bei den Fallen! Los mit den Bramfallen, um euer Leben, los mit den Marsen!“ schrie in diesem Augenblick die Stimme des Kapitäns gellend über Deck. Die Matrosen sprangen erschreckt herbei, aber sie selber hatten Not, sich im ersten Augenblick der Überraschung festzuklammern und nicht ebenfalls nach Lee zugeworfen zu werden, und ehe sie nur die Falle, an denen die oberen Rahen befestigt waren, erreichen und, wie der Befehl lautete, abwerfen konnten, brach es und knatterte es oben in den Stengen und kam, unter dem Heulen der plötzlich aufgesprungenen Bö, rasselnd an Deck nieder, zwischen die ängstlich aufschreienden Passagiere hinein.



Noch standen die unteren Masten, und durch die niedergeschmetterten Stengen hatte der so plötzlich herangebrauste Sturm wenigstens seine größte Macht auf das Schiff verloren, das sich langsam wieder aufrichtete. Aber die „CAPTAUBE“ trieb auch, ein halbes Wrack, auf den Wellen, und unter dem Flattern der Segel, da der Mann am Steuer in plötzlichem Schreck das Schiff gerade in den Wind hineingedreht hatte, dass es nicht den mindesten Fortgang mehr durch's Wasser machte, sprangen die Matrosen jetzt an ihre Plätze, lösten die Schoten des großen Segels und den Fock, ließen den Clüver nieder – der Clüverbaum war ebenfalls abgebrochen – und warfen das Besansegel los.



In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herging, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Übrige über Bord zu schneiden, kam ein flutender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt überdies noch mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.



Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, dass sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinktartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein musste mit dem eigenen Körper zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder und schrien und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.



Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, dass sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Flut selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoss und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, nieder zu klettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.



Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtenteils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den unteren, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten so viel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Kapitän den Kurs. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Flut

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