Hüben und Drüben

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Der Zustand des blinden Schusters verschlimmerte sich /16/ ebenfalls mit jedem Tage, ohne daß die geringste Veränderung mit ihm getroffen und er an einen sichern Platz geschafft worden wäre. Sein bis dahin stiller Wahnsinn ging oft in laute Tobsucht über, daß sich das arme Kind oft in Angst und Schrecken aus dem Haus flüchtete und draußen im offenen Feld Schutz suchte.

Der Schulze hatte eine Eingabe gemacht, und es kam ein Arzt aus der Stadt heraus, um den Schuster zu untersuchen; da er sich aber gerade in der Zeit vollkommen ruhig verhielt, erklärte der Arzt, es hätte noch nichts zu sagen, und man solle wieder zu ihm schicken, wenn er auf's Neue in einen Wuthanfall geriethe.

Die Zeit rückte jetzt auch heran, wo Valerie zur Confirmation vorbereitet werden sollte, und es verstand sich von selbst, daß das im protestantischen Glauben geschah; der ganze Religionsunterricht war ja auch in der Richtung gewesen, und Valerie selber hatte dabei keinen Willen, wagte auch nicht den geringsten Widerspruch. Jetzt aber mußte sie viel lernen; ganze Seiten voll Bibelsprüche und Katechismusverse, und wenn ihr das auch ziemlich leicht wurde, so ließ ihr der Lärm im Hause doch selten dazu Ruhe. Der blinde Schuster sang seine Psalmen dazwischen, der alte Bänkelsänger brüllte seine frechen Lieder, und dazu hatten sie jetzt noch eine arme Frau mit zwei kleinen Kindern, Zwillingen, einbekommen, die beide den ganzen Tag und die halbe Nacht schrieen.

Da brach der wilde Geist eines Abends wieder bei dem Tollen los - Valerie saß gerade in ihrem Eckchen, mit dem Buch auf dem Schooß, hinter dem Ofen, als er in das Zimmer stürmte und mit solcher Gewalt gegen den Ofen anrannte, daß dieser zusammenbrach und die niederstürzenden Stücke das Kind schwer am Kopf beschädigten.

Glücklicher Weise kamen gerade ein paar Knechte von der Arbeit aus dem Feld an dem Haus vorüber, die den jetzt vollständig Wüthenden fassen und mit ihren Geschirrleinen binden konnten.

Valerie hatte eine nicht unbedeutende Verletzung erhalten und lag Stunden lang ohne Bewußtsein; der Bader wurde gerufen, ließ ihr natürlich zur Ader und verband sie, und sie /17/ kam wieder zum Leben, mußte aber lange das Bett hüten und durfte in der ganzen Zeit nicht lernen. Pflege hatte sie auch weiter keine als die alte mürrische Frau, und sie verbrachte auf ihrem harten Strohsack eine lange, trostlose Zeit.

Aber auch das ging vorüber; ihre jugendliche Natur half ihr über die sonst vielleicht gefährlichen Folgen der Verwundung hinweg, und sie konnte sogar in einiger Zeit wieder die nöthigen Arbeiten für ihr Examen vornehmen.

Der Aufenthalt im Hause wurde indessen immer trostloser, denn der Bänkelsänger schien durch das Fortschaffen seines bisherigen Cumpans, des blinden Schusters, fast außer sich gerathen. Allerdings hatte er mit diesem bisher in ewigem Zank und Streit gelebt, aber gerade dieser Zank war ihm zuletzt Bedürfniß geworden, und als er ihn entbehren mußte, wurde er vollständig unleidlich - und trotzdem schien er eine Art von wunderlicher Zuneigung zu dem Kind gefaßt zu haben, die er sich aber doch nicht wollte merken lassen, weil sie ihm vielleicht selber absurd vorkam. So lange sie aber krank lag, war seine erste Frage an jedem Morgen, wie es der ,,Falleri" ginge, und Nachts saß er manchmal Stunden lang an ihrem Lager und half mit, ihr nasse Tücher um den Kopf zu legen, oder reichte ihr auch wohl den Becher mit Wasser, wenn sie danach verlangte. Der alten Schulmeisters-Wittwe erzählte er dabei einmal, daß er früher ein Kind gehabt, ein kleines Mädchen, so zart und hübsch wie die „Falleri", aber sie war ihm gestorben, die Mutter ebenfalls, und wie sie auf dem Todtenbett gelegen, hätte sie gerade so ausgesehen wie die „Falleri".

Diese Zuneigung schien übrigens nur so lange zu dauern, wie das Kind wirklich krank und halb bewußtlos war. Kaum erholte sie sich wieder, als er sein altes Leben begann und sich gar nicht weiter um sie bekümmerte; ja, als sie nur eben erst ein klein wenig im Haus herumwirthschaften konnte, schimpfte und fluchte er wieder auf sie wie vordem, und sang alle seine alten schauerlichen Lieder, von denen bis dahin keins über seine Lippen gekommen.

/18/

3.

Zur Confirmation.

So nahte die Zeit, wo Valerie confirmirt werden und dann auch das Gemeinde-Armenhaus verlassen sollte, denn der Schulze hatte ihr schon einen Dienst bei einem Bauer ausgemacht, dessen Schwiegermutter an einer bösartigen Krankheit litt, und deren Pflege sie übernehmen konnte. Wozu brauchte auch die Gemeinde länger die Last zu tragen, wenn sich das Mädchen erst einmal selber mit ihrer Hände Arbeit ernähren konnte? Es war eigentlich eine Sache, die sich von selbst verstand.

Valerie war indessen vierzehn Jahr alt geworden - wenn sie sich auch kaum noch auf den Tag ihrer Geburt erinnerte, denn wer hatte sich, seit ihre Mutter gestorben, wohl noch um den gekümmert! Stark gewachsen mußte sie auch in der Zeit sein, denn ihre Kleider wollten ihr nirgends mehr passen und reichten ihr kaum mehr bis über die Kniee, und neue hatte sie ja nicht dazu bekommen. Aber wie bleich und mager sie aussah, und wie verwahrlost, wie schmutzig und abgerissen! Auch der freundliche, kindliche Zug von Anmuth war aus ihrem Antlitz gewichen, der es früher erhellte und die Grübchen in ihre runden Wangen rief. Finster und verdrossen sah sie aus, und wenn sie ja einmal draußen bei der Arbeit und ganz in Gedanken mit ihrer klaren Stimme sang, so waren es nur die wüsten, häßlichen Lieder, die sie von dem alten Bänkelsänger den ganzen Tag hören mußte, und die ihr deshalb in den Ohren klangen - und dazu die Vorbereitung zur Confirmation! Aber das störte sie nicht; welche Andacht konnte sie auch mit in die Kirche zu einem Gott bringen, von dem sie sich verlassen glauben mußte, während sie von den Menschen unter die Füße getreten wurde. Sie beobachtete - wie es Tausende ebenfalls thun - die anbefohlenen Formen und Formeln, und nahm das Ganze als eine eben nicht zu umgehende Ceremonie, die sie ja auch überstehen würde, so gut wie die Anderen. /19/ Eine Schwierigkeit hatte es dabei: ihre dürftige, abgerissene und schmutzige Kleidung. - So konnte sie nicht vor Gottes Altar treten, wie der Geistliche sagte, und der Schulze sollte Rath schaffen. Aber woher nehmen und nicht stehlen; denn neue Kleider aus dem Gemeindesäckel zu bezahlen, war noch nicht dagewesen und konnte auch von keiner Gemeinde verlangt werden.

Vielleicht gab es aber da eine Hülfe, denn der Schulze hatte bemerkt, daß Valerie an einer Schnur einen goldenen Schmuck um den Hals trug, und zwar ein kleines Kreuzchen und einen einfachen Ring. Das Kreuz hatte sie selbst einst von ihrer Mutter, die es bis dahin getragen, zum Weihnachten bekommen - der Ring war der Trauring der Verstorbenen, den sie ihr von der kalten Hand gezogen und als theures, einziges Vermächtniß aufbewahrte. Diese beiden Stücke sollte das Mädchen hergeben, um mit dem Erlös derselben die für sie nöthigen Kleidungsstücke zu beschaffen, und der Ortsschulze hielt das für so in der Ordnung, daß er es nicht einmal nöthig glaubte, selber ein Wort deshalb zu verlieren, sondern eine Magd in das Gemeindehaus sandte, um die „Goldsachen" nur einfach abzuholen. Valerie erfuhr aber kaum, was man von ihr verlange, als das sonst so scheue und schüchterne Mädchen auf das Bestimmteste erklärte, die Kleinodien nicht herzugeben, so lange sie selber lebe, und die Magd mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.

Jetzt aber wurde der Schulze böse. Das dumme, einfältige Ding widersetzte sich, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit helfen konnte, die bis dahin nur von der Gemeinde getragene Last zu erleichtern? Das war zu arg und verdiente strenge Ahndung, und seinen Hut aufsetzend und den Amtsstock nehmend, ging er selber mit großen Schritten nach dem Gemeindehaus hinüber.

Hatte er übrigens geglaubt, den fraglichen Gegenstand nur durch seine Erscheinung zu ordnen, so fand er sich da vollständig getäuscht, denn Valerie, wenn sie auch keinen Blutstropfen mehr im Gesicht hatte, erklärte ihm mit fester, entschlossener Stimme, das Kreuz und den. Ring gebe sie nicht her - das sei das Letzte, was sie von ihrer seligen Mutter /20/ habe, und das wolle sie behalten, und Gott würde eben so gnädig auf sie herabblicken, ob sie nun in ihren Fetzen zum Altar trete, oder in einem neuen weißen Kleide, mit dem sie doch nachher nicht wisse, was sie damit anfangen sollte, denn bei ihrer Arbeit könne sie es nicht tragen.

Der Schulze ärgerte sich vielleicht eben so viel über ihre Weigerung und Widersetzlichkeit als darüber, daß er ihr im Herzen Recht geben mußte - das Kleid wäre allerdings nur für den einen Tag gewesen, denn im Staate konnte die „Gemeinde-Waise" natürlich nicht herumgehen; aber was ging das ihn und das Dorf an! Sollten sie sich etwa von der Nachbarschaft nacherzählen lassen, daß sie ihre Kinder in Lumpen und Fetzen zum Abendmahl gehen ließen, und hatte überhaupt so ein Ding, das hier gar nicht hergehörte und nur aus Gnade und Barmherzigkeit erhalten wurde, einen eigenen Willen?

Der Schulze war gerade kein böser Mensch, aber leider voll von jenem Beamtendünkel, der nur zu Vielen in den Köpfen spukt. Wie er sich dabei vor seinen Vorgesetzten oder der obern Behörde in der Stadt bückte und nie gewagt hätte, eine Einrede laut werden zu lassen, ei, so verlangte er es auch von seinen Untergebenen, und wenn er einmal etwas angeordnet hatte, mußte es auch befolgt werden oder - er wäre ja nicht mehr Schulze im Dorf gewesen.

„Hör' einmal, Falleri," rief er deshalb und ging mit großen Schritten auf das scheu zu ihm aufblickende junge Mädchen ein, „ich will Dir etwas sagen - glaubst Du etwa, daß wir unsere Gemeinde-Armen mit goldenem Schmuck herumlaufen lassen, und dann trotzdem Alles aus unserem eigenen Beutel bezahlen? - Wenn Du ein klein wenig Ehrgefühl hättest, wärst Du schon lange von selber gekommen und hättest uns die Sachen für die Gemeindekasse eingeliefert, um wenigstens Alles zu thun, was in Deinen Kräften steht, die für Dich entstandenen Kosten nur einigermaßen wieder gut zu machen. Aber Gott bewahre, die Mamsell denkt gar nicht daran und will sich jetzt auch noch weigern, wo sie vom Gericht dazu aufgefordert wird. Her damit, Du unnützes Ding, oder ich lasse Dich wahrhaftig auf die Straße setzen!"

 

Er streckte dabei die breite Faust nach dem Kinde aus, /21/ das aber, todtenbleich, doch mit funkelnden Augen krampfhaft den letzten Schmuck seiner verstorbenen Mutter in der kleinen Hand faßte und nur bittend rief:

„Ach, lassen Sie mir das Kreuz und den Rmg, Herr Schulze - ich will ja gewiß arbeiten, daß mir das Blut unter die Nägel kommt, nur um Alles wieder abzuverdienen - aber nur das nicht - nur das nicht!"

„Hilft Dir nichts - her damit!" rief aber das Dorf-Oberhaupt, das sich jetzt seiner Würde etwas zu vergeben glaubte, wenn es von dem ausgesprochenen Willen abstand; „ich habe es einmal gesagt, und es muß geschehen - willst Du es hergeben, Du kleine Hexe?"

„Oh Du lieber Gott!" rief Valerie, indem sie die ihr heiligen Erinnerungszeichen mit ihren schwachen Kräften vertheidigte, - „ist denn gar kein Mensch auf der weiten Welt, der einem armen Kinde hilft!"

„Hallo!" rief da eine laute, trotzige Stimme von der Thür aus, „was geht da vor?"

Der Schulze ließ überrascht die Hand des Kindes los und drehte sich nach der Stimme um, erkannte aber nur den alten Bänkelsänger, der freilich mit einem, wahrscheinlich draußen aufgegriffenen Stück Buchen-Stangenholz auf ihn zuschritt und seiner ganzen Erscheinung nach fast so aussah, als ob er über den Schulzen herfallen möchte.

„Na?" rief dieser, ihn halb erschreckt, aber auch erstaunt ansehend, habt Ihr Euch etwa um das zu kümmern, was ich thue? Was wollt Ihr hier?"

„Ah, Sie sind's, Herr Schulze," sagte der Mann, ohne indessen den Knüppel, den er in der Hand trug, fortzulegen, „bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich gestört haben sollte, aber mir war's, als ob ich die Falleri schreien hörte, und wer der 'was thut, dem schlage ich den Schädel zu Brei zusammen."

„So, und was geht Euch die Falleri an, wenn ich fragen darf?"

„Was sie mich angeht?" lachte der Alte ingrimmig vor sich hin - „hat sie vielleicht jemand Andern, den sie 'was angeht, auf der Welt? Aber was giebt's denn, Falleri -/22/ Teufel noch einmal, Kind, wie blaß du aussiehst, bist du unartig gewesen?“

„Den Ring und das Kreuz meiner seligen Mutter will mir der Schulze wegnehmen, um mir ein Kleid davon zu kaufen,“ stöhnte das Kind.

„Ich, sieh ‘mal an,“ sagte der Bänkelsänger lachend, „was du dir für Sachen in den Kopf setzt, Schatz; der Schulze d i r die Goldsachen von deiner Mutter selig mit Gewalt wegnehmen wollen? Du bist wohl nicht recht klug im Kopfe. Das fällt ihm doch gar nicht ein.“

„Mit Gewalt hab‘ ich’s ihr auch nicht wegnehmen wollen,“ sagte der Schulze mürrisch, denn die Sache wurde ihm selbst unangenehm, „aber sie soll’s hergeben, damit sie anständig in der Kirche erscheinen kann.“

„Aha,“ nickte der alte Bänkelsänger vergnügt vor sich hin, „der anderen wegen, damit sich die der armen Fallerie nicht zu schämen brauchen. „Ja wohl, Herr Schulze, verstehen das, auf die Falleri käm’s weniger an. Aber, wie viel Geld hat sie denn wohl zu einer neuen Fahne nötig? – Natürlich mit Spitzen besetzt und Manschetten und wie die Dinger alle heißen, auch eine Schleppe hinten dran, damit sie das Dorf hübsch rein hält, wie die großen Damen in der Stadt.“

„Und was habt Ihr danach zu fragen?“ erwiderte mürrisch der Schulze. – „I h r gebt’s ihr doch nicht.“

„Na, wer weiß,“ lachte der Alte ingrimmig in sich hinein, „ich selber hab’s allerdings nicht, sonst säß‘ ich wo anders als in der – gesegneten Bude hier; aber gute Menschen gibt’s überall – seelensgute Menschen, Herr Schulze, das kann ich Sie versichern, und ich treib’s für das Mädel auf, wenn ich nur erst weiß, wieviel es ist, denn die Gemeinde soll das nicht zu bezahlen haben.“

„I h r wollt das Geld schaffen?“, sagte der Schulze und sah den Alten mißtrauisch an. „Hört einmal, Brenner, Ihr habt überhaupt immer Geld, und ich möchte eigentlich wohl wissen, wo Ihr das herkriegt, denn bettlen dürft Ihr nicht, und – “

„Stehlen ist vollends nicht gestattet,“ lachte der alte Bänkelsänger laut auf; „aber beruhigen Sie sich, Herr Schulze, die paar Groschen, die ich dann und wann auftreibe, kann ich mir auch wohl noch einmal gelegentlich verdienen. Wissen Sie, ich habe einen Herrn in der Stadt, dem gebe ich Gesangunterricht, und wenn ich auch gerade keinen Louisdor für die Stunde krieger, etwas fällt doch immer ab, und vielleicht zahlt mir der auch das Geld für die Falleri als Vorschuß.“

„Und wie heißt der?“ fragte der Schulze, der kein Wort von der ganzen Sache glaubte.

„Darf ich nicht sagen,“ erwiderte verschmitzt lächelnd der Alte; „es ist ein vornehmer Herr, der heimlich zum Theater gehen will und es nicht vor der Zeit verraten mag. Aber ich schaffe das Geld, und weiter wollen Sie ja doch nichts. – Muß nur vorher wissen, wieviel es ungefährt ist, damit ich nicht zu wenig bringe.“

„Hm,“ sagte der Schulze, allerdings nicht von der Persönlichkeit erbaut, mit der er hier unterhandeln so9llte, „den möchte ich doch kennen, Brenner, der E u c h Geld borgt, denn der gehört jedenfalls dahin, wohin wir neulich den Schuster geschafft haben. Aber wenn’s wirklich einen solchen Narren gibt, so holt vier Taler von ihm, denn die brauchen wir. Die Falleri muß ganz neu eingekleidet werden, bis auf Strümpfe und Schuhe hinunter, und wenn wir auch alles alt kaufen können, läuft’s doch dahin jedenfalls auf.“

„So?“ lachte der Bänkelsänger, „also mit alten Sachen wollen Sie die Falleri n e u kleiden. Na, meinetwegen, wenn’s der Gemeinde recht ist, ich habe nichts dawider. Und bis wann muß das Geld da sein?“

„Spätestens bis morgen abend, denn heute über acht Tage ist schon Grüner Donnerstag.“

„Alle Wetter,“ lachte der Alte, „das ist kurzer Kredit; aber es kann nichts helfen; die Zeit ist wirklich nicht mehr lang, und die Tage fliegen nur so, wenn man alt wird.“

„Habt Ihr mich aber zum besten gehabt, Brenner“, sagte der Schulze finster, „so nehmt Euch in acht. Ihr steht so auf der Kreide, das kann ich Euch versichern. – Und was wolltet Ihr denn eigentlich mit dem Stocke da, heh?“

„Mit dem Stücke Holz?“ fragte der alte Bänkelsänger mit der unschuldigsten Miene von der Welt. „Du lieber Gott /24/ was kann man mit einem Stück Holz anders wollen, als Feuer machen. Es wird Essenszeit, Herr Schulze, und die paar Kartoffeln kann man doch nicht roh essen."

Der Schulze warf ihm einen mürrischen Blick zu, und es war, als ob er das Mädchen noch einmal anreden wollte; aber er mußte sich anders besonnen haben, denn er drehte sich plötzlich kurz auf seinem Absatze herum und verließ das Haus. Valerie aber, die noch immer gefürchtet, daß der finstere Mann seinen ersten Versuch, ihr die Kleinodien zu entreißen, wiederholen könne, stand regungslos in ihrer alten Stellung, das goldene Kreuzchen und den Ring fest mit ihren kleinen Händen haltend, in der Ecke und verwandte kein Auge von dem Schulzen, bis er die Thür hinter sich in's Schloß geworfen. Der alte Bänkelsänger aber, sich auf den Knüppel stützend, den er noch immer in der Hand hielt, rief mit seinem heisern Lachen:

„Hab' keine Bange mehr, Falleri, der kommt nicht wieder, da kannst Du sicher sein, denn er traut nicht, und so alt diese Knochen auch sein mögen, so viel Kräfte hätten sie doch noch gehabt, um dem Schuft den Schädel breit zu klopfen."

„Oh, wie dank' ich Euch, daß Ihr mir das Andenken meiner armen Mutter bewahrt habt," rief das Kind - „wäret Ihr nicht dazu gekommen, er hätte es mir sicher weggenommen, und ich wäre dann elend mein ganzes Leben lang gewesen."

„Der Lump der," brummte der Alte zwischen den Zähnen durch; „im Stande wär' er's gewesen. Man kann's ihm aber an den Augen ablesen; na, komm Du mir nur!"

„Aber er wird jetzt böse auf Euch sein," sagte schüchtern Valerie.

„Bah, böse! als ob der gut auf einen Menschen wäre, außer auf sich selber. Laß Dir das keine Sorge machen, - denn das kauf' ich billig, wie der auf mich zu sprechen ist. Aber was wir hier nicht kriegen müssen, kriegen wir doch nicht, und da kann er, Gott sei Dank, allein nichts dran thun, denn das ist Gemeindesache."

„Aber wo wollt Ihr nur das viele Geld für mich her-/25/nehmen?" frug jetzt das Mädchen schüchtern, „und wie soll ich's Euch je wieder zahlen?"

„Papperlapapp, das ist meine Sorge,“ lachte der Alte, „der Schulze hätt's freilich gern gewußt, aber dem werd' ich's bei Gott nicht auf die Nase binden. Wenn ich‘s nur schaffe, Kind, wo's nachher herkommt, ist ganz gleichgültig; Du aber kriegst Deine Montirung und damit basta!" - und damit warf er den Buchenknüppel in die Ecke nach dem Ofen und schlenderte in seine eigene Stube hinüber.

Zwei Stunden nachher verließ er das Dorf und wanderte in der Richtung nach der Stadt zu, kam auch die Nacht nicht zurück und selbst bis zum nächsten Mittag nicht. Erst gegen Abend hörte Valerie seine heisere Stimme, wie er draußen, an dem Haus vorbei, eins seiner alten Lieder sang, und sprang in die Thür. Aber er kam nicht herein, nur triumphirend hob er einen kleinen schmutzigen Lederbeutel in die Höhe und schwenkte dabei seinen Knotenstock um den Kopf. Er hatte jedenfalls das Geld, ging auch damit stracks auf des Schulzen Wohnung zu. Dort aber blieb er nicht lange, sondern kam jetzt, in bester Laune von der Welt, zum Gemeindehaus zurück, wo er vor allen Dingen der „Falleri" auftrug, einen Kessel mit Wasser auf's Feuer zu setzen, denn sie wollten heute hoch leben. Dabei holte er eine Flasche mit Branntwein und ein Packet mit Zucker aus der Tasche, was er aber vorsichtig hinter den Ofen versteckte und ein paar Stücken Holz davor stellte, und brachte sogar dann ein Stück Kuchen zum Vorschein, das er, wie er sagte, für die „Falleri" eingekauft, damit sie auch einmal wieder erführe, wie Kuchen schmecke.

Der Mann war aber schon wieder etwas angetrunken, wie er das Haus betrat, und als er den Grog erst fertig hatte, zu dem die Frauen und Valerie natürlich eingeladen wurden, verbesserte sich sein Zustand nicht. Er wurde immer lauter, fing an zu singen und fiel endlich von seinem Stuhl herunter, wo er regungslos auf der Erde liegen blieb und einschlief.

Valerie hätte ihn gern auf sein Bett geschafft, aber die beiden Frauen wollten nicht mit angreifen, weil er, wie sie meinten, /26/ zu schwer sei. Er könne überdies auch gleich da seinen Rausch ausschlafen, denn ob er auf den Steinen oder in einem Bett läge, sei ihm doch einerlei.

Das kleine Mädchen holte ihm endlich sein Kopfkissen herüber und seine wollene Decke, die sie ihm, so gut es eben gehen wollte, unterschob, und ihn mit dem andern Ende zudeckte. Weiter konnte sie für ihn nichts thun und mußte ihn da die Nacht verbringen lassen.

Es war ein alter, roher, widerlicher Mensch, aber der Einzige auf der weiten Gotteswelt, der ihr, seit sie ihre liebe Mutter verloren, Gutes gethan hatte, und wie dankbar fühlte sie sich ihm dafür!

Wie der alte Bänkelsänger am nächsten Morgen aufwachte, sah er sich erst etwas erstaunt um, denn er schien nicht gleich zu wissen, wo er sich befand. Valerie stand am Herd und kochte ihre Morgensuppe. Er sah sie an und seine Decke und sein Kopfkissen, und sagte endlich:

„Falleri - hast Du mir das hierher geschleppt?"

„Ihr lagt da so schlecht und hart gestern Abend," sagte das Kind.

Der Alte erwiderte nichts; er stand auf, raffte sein Bettzeug zusammen und wandte sich, um die Küche zu verlassen. Ehe er aber ging, sagte er, viel freundlicher als er noch je gesprochen:

„Du bist ein gutes Kind, Falleri; ich dank' Dir auch vielmals," und damit schritt er in seine Stube hinüber. -

Die Tage vor der Konfirmation Valeriens gingen jetzt rasch vorüber; sie bekam auch zur rechten Zeit ihren Anzug, den ihr des Schulzen Frau von dem Gelde des Bänkelsängers geschafft hatte, und sie bestand ihre Prüfung gerade nicht besser, aber auch nicht schlechter als die übrigen Kinder. Sie wußte alle die aufgegebenen Sprüche auswendig und antwortete auf die an sie gerichteten Fragen in der richtigen, vorgeschriebenen Form, ohne sich - wie die meisten übrigen Kinder auch - etwas Besonderes dabei zu denken. Die schöne Lehre des Christenthums war ja in so viele unverständliche oder schwülstige Phrasen eingehüllt, daß ein klarerer Kopf dazu gehörte, als ihn ein vierzehnjähriges Kind besaß, um den edlen Kern aus der wulstigen Schale heraus zu finden. Sie gab sich dazu auch keine Mühe und war nur froh, als sie das Ganze überstanden hatte.

 

Daß sie dabei als Letzte der Konfirmandinnen stand und, als es vorbei war, auch von Niemandem - wie doch alle die übrigen Kinder - eingeladen wurde, verstand sich von selbst und that ihr nicht besonders weh. Sie war ja die Gemeinde-Waise und daran gewöhnt, zurückgesetzt zu werden. Eins nur gab ihr einen Stich in ihr junges Herz, und auch weniger der Worte und Bedeutung als der Art wegen, mit der es zu ihr gesagt wurde. Gerade nämlich, als sie aus der Kirche trat, wo die übrigen Kinder von ihren auf sie stolzen Eltern empfangen wurden, trat der Schulze auf sie zu und sagte, einen Glückwunsch weiter nicht für nöthig haltend:

„Na, Falleri, heute hast Du noch frei, morgen früh aber nimmst Du Deine Sachen und ziehst zu Baumstetters hinüber, die Dich vorläufig in Dienst nehmen wollen. Bist Du erst einmal ein Vierteljahr dort, dann kannst Du Deinen Miethcontract mit ihnen selber machen, denn Du wirst jetzt alt genug dazu," und ehe die Konfirmandin ihm etwas darauf erwidern konnte, drehte er sich ab, um seine eigene Tochter aufzusuchen und zu begrüßen.

4.

Im Dienst.

Am nächsten Morgen zog Valerie an, wie man es dort in der Gegend nannte, d. h. sie nahm ihr dürftiges Bündel unter den Arm und meldete sich bei ihrer neuen Dienstherrschaft.

Vorher verabschiedete sie sich von den Bewohnern des Gemeindehauses, mit denen sie so lange Leid und Armuth getheilt, und viel Freundlichkeit ließ sie da nicht zurück. Die /28/ neu hinzugekommene Frau mit den beiden Kindern, obgleich sie die Kleinen oft und oft gepflegt, hatte sich nie um sie bekümmert, und eigentlich nur mit ihr gesprochen, wenn sie etwas von ihr verlangte; sie reichte ihr auch jetzt nur die Hand und sagte gleichgültig „Adjes". Die Alte aber kauerte in ihrer Ecke und schien viel mehr beleidigt als betrübt über den Abschied des jungen Mädchens, das sie halb und halb sogar der Undankbarkeit beschuldigte.

„Na ja," knurrte sie, „jetzt hat man sich die Jahre über mit der Krabbe gequält und sie ein bischen vorwärts gebracht, und nun sie Einem 'was nützen könnte und größer und stärker geworden ist, läuft sie Einem davon - aber wo findet man jetzt noch Dankbarkeit!"

„Aber Frau Kunzen," sagte Valerie betrübt, „kann ich denn etwas dazu? ist es mein freier Wille? Der Schulze hat mich ja vermiethet, und ich darf gar nicht mehr in dem Haus bleiben - wenn ich selbst wollte."

„So mach', daß Du fortkommst," brummte die alte Schullehrers-Wittwe, „wir können auch ohne Dich fertig werden."

Das war der Abschied, den sie von der Frau erhielt, für die sie Jahre lang gearbeitet hatte und der sie gefällig gewesen war, wo sie ihr etwas an den Augen absehen konnte.

Traurig schlich sich Valerie nach der Kammer des alten Bänkelsängers; sie fürchtete fast, daß er sie ebenfalls ohne ein freundliches Wort entlassen würde. Darin hatte sie sich aber gewaltig geirrt. Der alte Bursche war roh und wüst genug, aber doch nicht ohne Gemüth, und sonderbarer Weise hatte er einmal zu dem Kind eine besondere Vorliebe gefaßt, die vielleicht auch nur darin wurzelte, daß sie das einzige lebende Wesen war, das er protegiren konnte.

Der Alte war mit einer wunderlichen Arbeit beschäftigt. Er hatte sich ein Stück weißes Wachstuch mit aus der Stadt gebracht sowie ein paar Pinsel und ordinäre Farben, saß jetzt vor dem aufgehangenen und in Felder abgetheilten Tuch und malte eine seiner alten Mordgeschichten aus. Die rothe Farbe spielte dabei eine große Rolle - die Männer trugen sämmtlich rothe Hosen und die Frauen rothe Tücher und blaue Kleider, und Blut floß schon auf der dritten Ab¬/29/theilung, auf der eine ganze Familie abgeschlachtet wurde, in Strömen.

Valerie öffnete schüchtern die Thür, der alte Bänkelsänger sah sie aber kaum, als er auf die Füße sprang und, seinen Pinsel fortwerfend, ihr die Hand entgegenstreckte.

„Hallo, Falleri," rief er dabei, „schon reisefertig! Na, Abschied brauchen wir nicht von einander zu nehmen, und Du gehst nicht aus der Welt - wir werden uns oft genug zu sehen kriegen - vielleicht öfter als Dir lieb ist."

„Nein, Herr Brenner," sagte das junge Mädchen leise; „Sie sind immer gut gegen mich gewesen, und ich bin gewiß nicht undankbar, wie die alte Frau Kunzen meint."

„Der alte Drachen soll zum Teufel gehen!" brummte Brenner. „Die hat von Undankbarkeit zu reden - daß Du ersticktest - wenn ich nur so 'was nicht hören müßte. Aber laß sie schwatzen - Du ziehst jetzt zu Baumstetters hinüber?"

„Ja, Herr Brenner."

„Na, da brauchst Du auch nicht zu sagen: Gott straf' mich, denn da bist Du gestraft genug."

„Sind die Leute so bös?"

„Nein, bös nicht, Kind," sagte der Alte, „sie könnten schlimmer sein und sollen ihre Leute nicht schlecht behandeln, aber die Alte ist so krank, daß es Niemand lange bei ihr aushält. In den letzten sechs Monaten haben sie sieben verschiedene Wärterinnen gehabt - sie mochten Lohn über Lohn bieten, es half nichts. Apropos, wie viel kriegst Du denn?"

„Im ersten Vierteljahre noch nichts. Ich soll auf Probe dienen."

„Daß der Teufel den verdammten Schulzen hole!" rief der Bänkelsänger, seine rechte Faust in die linke Hand schlagend, „umsonst sind die nicht verschwägert zusammen, und in solch' einen Hundedienst ohne Lohn schicken sie das Kind!"

„Aber kann ich's ändern?" sagte Valerie traurig.

„Nein, Herz," knurrte der Alte, „wir Beide nicht, oder, Gott straf' mich, ich - na ja, das Fluchen hilft auch /30/ nichts, und die Menschen thun deshalb doch, was sie wollen. Na, geh hin; ich würde Dir, wie sie es auf dem Theater machen, meinen Segen geben, aber ich fürchte beinah', er möchte Dir nicht besonders viel helfen. Uebrigens werd' ich von Zeit zu Zeit einmal hinüberkommen und nachsehen, und vielleicht - holt ja der Teufel auch die Alte bald, daß Du von Deiner Plackerei frei kommst."

„Aber, Herr Brenner -"

„Du hast Recht, Schatz," sagte der Alte mürrisch, „sie hat mir noch nie 'was zu Leide gethan - na geh, Kind - ich möchte mein „Gemälde" noch heute fertig bringen, und da muß ich mich dazu halten, sonst werden mir die Klexe trocken." Damit schüttelte er Valerie die Hand, drehte sich um und fiel plötzlich mit so lauter Stimme in eins seiner alten Lieder ein, daß das Kind ordentlich zusammenschrak. Sie wäre auch gleich gegangen, aber sie mußte dem Manne doch noch etwas über ihre Schuld gegen ihn sagen, damit er nicht etwa glaube, daß sie die, mit dem Weggange aus dem Gemeindehause, ebenfalls abschütteln wolle.

„Lieber Herr Brenner," sagte sie schüchtern - aber der Mann hörte nicht; er sang ruhig weiter.

„Lieber Herr Brenner," wiederholte sie noch einmal und berührte seinen Arm.

„Ja Kind? - so, Du bist noch da? Willst Du 'was?"

„Ich wollte Ihnen nur sagen," flüsterte Valerie schüchtern, „daß ich, wenn ich auch das erste Vierteljahr keinen Lohn bekomme, doch ganz gewiß gleich nachher jeden Pfennig sparen werde, um Ihnen -"

„Und der Mörder mit der Leiche

Auf der Schulter ward gesehn,

Wie er über eine Bleiche

That beim Mondenscheine gehn"

sang Brenner plötzlich mit so lauter Stimme und ließ sich nun auch in seinem schauerlichen Lied nicht wieder unterbrechen, daß Valerie jeden Versuch dazu aufgeben mußte. Er drehte sich auch gar nicht mehr nach ihr um, und das Kind schlich jetzt, mit seinem Bündelchen in der Hand, in das Dorf hinein und zu dem Bauern Baumstetter hinüber, wo /31/ sie die Frau desselben, da er selber auf dem Feld draußen war, gleich in Empfang nahm.

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