Einheimisches und Fremdes

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Einheimisches und Fremdes
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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Zwölfter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Einheimisches und Fremdes

Gesammelte Erzählungen

von

Friedrich Gerstäcker.

___

Jena, Hermann Costenoble

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig, 2020

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2020

Das Wrack des Piraten

1. La Pulperia

In dem Seitenstübchen einer kleinen, aber deshalb nicht unbedeutenden pulperia, oder Schenkwirthschaft, am westlichen Ende der Stadt Valparaiso, saß am Abend des 5. August des für Chile besonders wichtigen Jahres 1810 eine ziemliche Anzahl Gäste, die Nationen bunt genug durcheinander gemischt, versammelt, und besprach besonders die Hauptinteressen des Tages, die Absetzung des General-Capitains Carrasco, die am 18. Juli in San Jago, der Residenz des Landes, stattgefunden, und den Antrag des berühmten, über die Kordilleren zu ihnen herübergekommenen Alvarez de Jonte, eine Regierungs-Junta zusammen zu berufen und dadurch das spanische Joch, das noch auf ihren Schultern ruhte und ihnen mit jedem Jahre drückender und unerträglicher wurde, abzuwerfen.

Senora Fostero übrigens, die vortrefflichste lebendige Empfehlung, die je hinter einem Wirthstisch gesessen, und hier zugleich ehrbare Besitzerin dieses lebendigen Platzes, würde es uns sicher übelnehmen, wollten wir uns nicht erst einen Augenblick, und sei es nur durch kurzen Gruß, mit ihr beschäftigen, ehe wir uns ihren versammelten Gästen zuwenden.

Senora Fostero, oder kurzweg Senora, wie sie von den Fremden und tia mis oder Tantchen nicht selten von den älteren und mehr vertrauten Stammgästen genannt wurde, wog in der That zwei andere Schenkwirthinnen, nicht allein an Umsicht und Geistesgegenwart in schwierigen Verhältnissen, oder Erfahrung was das praktische Leben betraf, nein auch an wirklichem chilenischen Marktgewicht auf, und konnte in jeder /4/ Hinsicht, selbst in moralischer, was in Valparaiso nicht wenig sagen will, als Muster einer wahrhaft vortrefflichen Wirthin hingestellt werden. Ihre Jugendzeit war ihr aber nicht so ruhig und sorglos verflossen, als es ihr Alter, bei gutem Auskommen und kräftiger Gesundheit, zu werden versprach. Zweimal verheirathet, hatte sie beide Männer verloren. Der erste war ein wilder, unbändiger Gesell gewesen, der sich mit dem ordentlichen und ehrbaren Daheimsttzen, wie es einem verheiratheten Manne zukommt, nicht vertragen konnte, seinen unruhigen Neigungen zu Liebe deshalb mit seiner Frau Gelde einen kleinen Schoner kaufte und damit zwischen den Inseln und der chilenischen Küste Handel trieb. Die Sache ging auch mehrere Jahre vortrefflich, einmal aber verfloß die gewöhnliche Zeit seiner Rückkehr und er kam nicht - die arme Frau wartete ein, zwei, drei Jahre, er kam immer noch nicht, und so war sie endlich wohl genöthigt, dem Führer eines andern Schoners zu glauben, der mit Lorenzo Fajardo von Tahiti ausgelaufen, nicht weit von den Inseln einen der dort gerade nicht seltenen Typhoons erlebt hatte, dem er nur mit unendlicher Gefahr und Verlust beider Masten entging. Dieser wollte zwei Tage später Trümmer eines andern Fahrzeugs gefunden haben, die er, der Malerei nach, für die von Fajardo's Schuner hielt, und da der Unglückliche auch in späteren Jahren verschollen blieb, war kein Zweifel mehr, daß er seinen frühen Tod in den Wellen gefunden.

Seine Frau hatte mit ihm ein einziges Kind, eine Tochter. - Sechs Jahre nach dem Verlust ihres ersten Mannes verheirathete sie sich zum zweiten Mal mit einem geborenen Chilenen, Fostero; diese Ehe blieb aber kinderlos und auch Fostero starb schon im dritten Jahre ihrer Verbindung an den Folgen eines unglücklichen Sturzes von einem wildgewordenen Pferde. Senora Fostero heirathete aber nicht wieder, sondern führte, mehr um eine Beschäftigung zu haben, als wirklichen Broderwerbs wegen, ihre Wirthschaft allein fort, und gab ihre Tochter Manuela, als diese etwas herangewachsen war, nach Santiago zu einer Schwester, um sie dort in der Hauptstadt des Landes erziehen zu lasten. Valparaiso war damals nicht allein nur noch ein kleines, unbedeutendes Hafenstädtchen, /5/ sondern eine pulperia eben auch kein geeigneter Platz, ein junges hübsches Mädchen groß zu ziehen. -- Nur seit einigen Tagen befand sich Manuela zum kurzen Besuch bei ihrer Mutter.

Ihre Gäste zu bedienen, hatte Senora Fostero zwei junge Mädchen aus Guilotta in ihr Haus genommen, Marequita und Juana, die jetzt wie flüchtige Grazien in dem kleinen, aber nicht besonders erleuchteten Zimmer umherschlüpsten, bald hier bald da verlangte Getränke oder Früchte - Oliven, Orangen und Trauben - herbei zu schaffen. Die behaglichste und Hauptecke des kleinen Gemachs nahmen aber vier Personen ein, mit denen ich den Leser vor allen Dingen näher bekannt machen muß. Nicht gerade der Netteste von ihnen, aber doch jedenfalls der, der durch seine Persönlichkeit, und auch vielleicht einer kleinen Abweichung in der Kleidung wegen, manchem der nach ihm Eintretenden insoweit ausfiel, daß sie sich, wenn auch vergeblich, nach Namen und Stand des fremden Mannes erkundigten, verdient unsere eiste Beachtung. Er führte augenscheinlich das Wort, behandelte dabei Senora Fostero auf das Vertraulichste, ja ich möchte fast sagen protegirend, obgleich er heute zum ersten Mal ihre Schwelle betreten hatte, scherzte mit den beiden Auswärterinnen, ohne dabei jemals das Gesicht auch nur zu einem Lächeln zu verziehen, und betrug sich überhaupt in einer so ungezwungenen und freien, jedoch immer anständigen Weise, als ob er hier seit Jahren aus und ein gegangen fei, und doch erinnerte sich Keiner von ihnen, ihn auch nur je gesehen zu haben. Mit allen Ländern der Welt war er dabei bekannt - von den sich am entferntest liegenden Theilen der Erde sprach er so, daß man stets denken mußte, er rede von seiner Heimath, und sein sonngebräunter Teint, seine harten, wohl in Gefahren und Beschwerden gestählten Züge, wie das ganze Kräftige seines Körpers, straften diese Meinungen denn auch nicht Lügen.

Es war ein nicht gerade sehr großer, aber wohlgewachsener Mann, jedenfalls in einem südlichen Lande geboren, mit krausem schwarzen Haar und noch schwärzerem vollen gelockten und gut gehaltenen Bart, den die linke Hand gewöhnlich theilend von einander strich, wenn die rechte das volle Glas /6/ zu den Lippen führte. Ueber seine hohe Stirn lief aber, von oben aus dem Haar kommend bis nach der Nasenwurzel hinunter, ein schmales schwarzes Pflaster, was ihm ein eigenes und keineswegs freundliches Aussehen gab und von den beiden Mädchen schon seit seinem Eintreten mit heimlichem Grausen betrachtet und besprochen war. Seine dunkeln Augen verriethen, besonders wenn er sprach, Feuer und Geist; nahm er aber manchmal auf kurze Zeit an dem Gespräch keinen Theil und warf dann, wie in Gedanken versunken, lange forschende Blicke über das Zimmer und auch wohl über die darin versammelten Gäste, ja selbst nach der behaglichen Wirthin hinüber - der aber unter diesem Blicke nie wohl war und die sich scheute, ihm zu begegnen - dann glühten seine Augen, man könnte fast sagen, mit einem wilden, unheimlichen Glanz unter den buschigen Brauen und dem schwarzen Pflaster hervor. Selbst das reizende Antlitz Manuela's, die sich vor etwa einer halben Stunde neben ihrer Mutter - aber gewiß nicht seinetwegen - niedergelassen hatte, vermochte dann kaum, wenn der Blick des finstern Mannes auf sie fiel, den starren, harten Ausdruck in seinen Zügen zu mildern.

Dem ersten flüchtigen Eindruck nach schien er in die gewöhnliche chilenische Tracht und zwar der unteren Klassen gekleidet, denn einer jener ganz ordinären blauen Ponchos mit gelb und roth gemustertem Rand, wie sie sonst fast nur die Peons und ärmeren Farmer tragen, hing über seine Schultern und verhüllte dadurch den Oberkörper vollkommen, aber am Hals und aus der im Poncho befindlichen Oeffnung, durch welche der Kopf gesteckt wird, war der Kragen einer seinen tuchenen Jacke und eines schneeweißen Hemdes sichtbar, und unter dem Poncho, von dem niedern Stuhl bis fast zur Erde hinab reichend, hingen die beiden Quasten einer schwerseidenen chinesischen Schärpe nieder, wie sie eigentlich nur die vornehmen oder doch wohlhabenderen Chilenen oder vielleicht Seeleute trugen, die das chinesische Meer befahren haben. Sein breiträndiger schwarzer Filzhut, ebenfalls mit einer dicken rothseidenen Schnur umwunden, hing hinter ihm auf der Stuhllehne.

Der Zweite, der seinen Stuhl an dem Tisch aber nur /7/ eben belegt hielt und die meiste Zeit neben Senora Fostero und Manuela saß, mit diesen zu plaudern, und nur dann und wann, besonders wenn Manuela, der Mutter zu helfen, zuweilen das Zimmer verließ, zu seinem Sitz am Tisch zurückkehrte, war ein junger Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, mit leichtem, fast hellbraunem Schnurrbart und kastanienbraunem lockigen Haar und klarblauen, aber doch lebendigen Augen. Seine vom feinsten Stoff gefertigte Kleidung, mit dem goldenen Streifen um die blaue Tuchmütze, verrieth den englischen Seeofficier. Edward Wilkinson war Lieutenant auf Seiner Majestät Fregatte „Terpsichore", aber vor einiger Zeit bei einem feindlichen Zusammentreffen mit einem französischen Kriegsschiff so schwer verwundet worden, daß ihn sein Capitain, als er später Valparaiso erreichte und der junge Mann immer noch in Lebensgefahr an den Folgen der Wunde schwebte, dort ließ, um seine Heilung leichter und bei besserer Pflege zu bewerkstelligen. Sein Schiff, nach der peruanischen Küste bestimmt, wollte ihn dann bei seiner Rückkehr nach Valparaiso wieder mitnehmen.

 

Von der Schußwunde der Franzosen war er nun allerdings schon seit mehreren Wochen wiederhergestellt, dafür aber von einem andern Geschoß desto gefährlicher und Wohl unheilbar getroffen: von der Liebe zu dem holden Wirthskinde, das er in Santiago in dem Haus ihrer Tante kennen gelernt.

Er selbst war eine Waise; aber in seinen Vermögensverhältnissen unabhängig, folgte er der See mehr aus Neigung, als um seinen Lebenserwerb dadurch zu finden. Doch die Liebe zu dem holden Wesen, die sich mit dem wilden, Herumschweifenden Seeleben nicht vertrug, that dieser ersten Neigung bedeutend Abbruch, und er baute schon allerhand liebe hoffnungsreiche Pläne, sich in dem schönen Chile mit seiner jungen Gattin nieder zu lassen und dem Vaterland wie der wogenden See für immer zu entsagen. Der Erfüllung all' dieser heiß gehegten und mit so freudiger Sorgfalt gepflegten Wünsche stand aber noch ein arges, und wie es fast schien unübersteig liches Hinderniß entgegen. Er war protestantisch erzogen, und Manuela natürlich katholisch. Die spanischen Gesetze verboten auf das Strengste solche gemischte Ehen; hätte er aber auch die /8/ priesterliche Weihe erhalten können, so würde Manuela's Mutter, eine strenge und eifrige Katholikin, nie ihre Einwilligung dazu gegeben haben, ja das schöne fromme Mädchen selbst, das dem jungen Ketzer wohl recht innig zugethan war, suchte, als es all' diese Hindernisse, und oh wie mit wehem Herzen, erkannte, die Neigung, die schon mit ihrem innersten Leben verwachsen war, wieder zu lösen. - Sie wußte selbst nicht, wie lieb sie ihn hatte, und glaubte noch an die Möglichkeit einer Trennung, während ihr Herz doch schon immer, wenn auch heimlich, aber dafür desto stärker, nein, nein und immer wieder nein dazu sagte.

Senora Fostero hatte den jungen Mann wohl auch sonst gern, und wer je mit ihm näher bekannt wurde, mußte ihn lieb gewinnen; aber sie wünschte doch jetzt selber, daß er ihre Tochter nicht kennen gelernt habe, und nur die von ihrem Beichtvater eifrig genährte Hoffnung, sogar die Aufforderung desselben, zur Bekehrung des Ketzers eben durch die Liebe ihrer Tochter beizutragen, hatte sie bis jetzt daran verhindert, ihn förmlich und ernst zurück zu weisen. Der junge Mann war aus einer der ersten englischen Familien, und es lag der katholischen Geistlichkeit sehr viel daran, nicht nur die Be¬kehrung der Einzelnen, nein, das Beispiel für die Uebrigen zu haben.

Die zwei anderen, mit an dem Tisch sitzenden Gäste gehörten ebenfalls der See an - sie waren beide nicht allein die Führer kleiner chilenischer oder vielmehr spanischer Küstenfahrzeuge, sondern auch Stammgäste bei Senora Fostero, sobald sie nur je einmal kurze Zeit von den Strapazen des unruhigen Seelebens in dem freundlichen Valparaiso ausruhen konnten. Das Haus der Senora Fostero war in der That eins der besten Weinhäuser in Valparaiso, wenn nicht das beste; nichtsdestoweniger kamen auch viele der Gäste, wie diese beiden alten Capitaine, fast eben so viel der freundlichen Mädchengesichter wegen, dorthin, von denen sie sich dursten bedienen lassen. Seeleute besonders, die so lange und einsam auf der weiten öden See Herumtreiben, und fortwährend Gefahren und Beschwerden, ja nicht selten sogar dem Tod in das kalte grimme Angesicht schauen müssen, wissen es am besten zu /9/ schätzen, was so ein Paar liebe herzige Augen werth sind, selbst wenn sie uns nicht zu eigen gehören, und wie freundlich die melodischen Klänge von süßen Lippen gegen das dumpfe Brausen der See und das häßliche Pfeifen in Tauwerk und Blöcken abstechen. Alte Seebären selbst, die schon zwei Lebensalter auf den Wellen zugebracht, sitzen dann wohl und lauschen schmunzelnd den lieben, so lang entbehrten Lauten, die wie ferner Glockenklang in ihre starren, dem Schönen sonst nicht gerade so besonders zugänglichen Herzen klingen.

Die drei Letztgenannten hatten zuerst an dem kleinen, etwas von den Uebrigen abgeschiedenen Ecktischchen bei ein paar Flaschen französischen Weines gesessen, als der vorbeschriebene Fremde eintrat, die Anwesenden flüchtig einen Augenblick musterte und sich dann, eine Flasche Bordeaux von einem der ihm nächsten Mädchen fordernd, mit freundlichem, fast vertraulichem Gruß bei den drei Männern niederließ. Von da an schien er auch die Unterhaltung, wenn nicht allein zu führen, doch in Händen zu halten, da des jungen Engländers Aufmerksamkeit viel zu sehr mit einem andern, für ihn weit interessanteren Gegenstand beschäftigt war. Nur mit den neuen politischen Verhältnissen Chiles war er vollkommen unbekannt, und seiner Aussage nach auch erst heute Nachmittag mit einem kleinen, in die Bai eingelaufenen Schoner - „das Albatroß" - von Manila via Tahiti gekommen; auch mußte er sich nicht viel dafür interessiren, denn er gab dem Gespräch, sobald dieses auf sehr natürlichem Wege dorthin einlenkte, immer wieder eine andere Richtung. Der eine Capitain, dem der neue Zustand der Dinge nicht sehr zu behagen schien, oder der wenigstens fürchtete, daß die Handelsverhültnisse des Landes dadurch gestört werden möchten, äußerte seine Besorgniß, Spanien würde eine tüchtige Flotte herübersenden, ihre Häfen blokiren und ihr Land mit Soldaten überschwemmen.

„Bah, Freund!" rief der Fremde und füllte sich aus der schon eine Zeit lang vor ihm stehenden, noch unberührten Flasche sein erstes Glas - „das ist Unsinn - die Spanier haben nicht einmal Schisse genug, ihre Küste hier von Seeräubern frei zu halten, viel weniger - oh Marequita," unterbrach er sich hier plötzlich, „komm her, esrisims, und gieb mir /10/ eine andere Flasche Wein; tis mia, der Bordeaux ist sauer, und Du hast sicher bessern im Keller."

Senora Fostero, ja selbst die übrigen Gäste sahen ihn bei dem vertraulichen tis inis groß an - die alte Dame war nicht gewohnt, das von einem Fremden so rasch zu hören, dieser aber fuhr, ohne im Mindesten darauf zu achten, und nur dem zu ihm tretenden Mädchen die angebrochene und nicht für gut gefundene Flasche reichend, fort: „Gar nicht weit von hier wurden wir von einem nichtswürdig aussehenden Schuner verfolgt, und wäre nicht zufällig eine größeres Kauffahrteischiff, das gerade unsern Cours kreuzte und dem Piraten wahrscheinlich eine bessere Beute schien, in Sicht gekommen, so daß er uns verließ und dem nachjagte, ich glaube schwerlich, daß ich heut Abend hier in Ihrer angenehmen Gesellschaft zubringen würde. So viel also für Ihre spanische Seemacht. Oh danke, danke," wandte er sich dann zugleich dem jungen Mädchen zu, das ihm mit etwas schüchternen Blicken - denn sie fürchtete die dunkeln unheimlichen Augen und das schwarze Pflaster des Mannes - eine andere Flasche auf den Tisch stellte - „und wenn es dieselbe Flasche wäre, Marequita, sie müßte unter Deinen süßen Händen ihre Schärfe verloren haben."

„Senor sind der Einzige, der an unserem Weine etwas auszusetzen findet," bemerkte jetzt mit etwas bitterem Tone, und trotz dem schmeichelnden tia mis des Fremden, die alte Dame, die der Tadel der letzten Flasche nicht wenig geärgert hatte, da er noch dazu so laut und bestimmt vor allen ihren gewöhnlichen Gästen ausgesprochen war - „wir beziehen ihn aus bester Quelle und zu höchsten Preisen."

„Kein Zweifel, Tantchen, kein Zweifel," sagte aber der nicht aus der Fassung zu bringende Fremde, indem er die neue Flasche, wie es schien, wohlgefällig kostete - „ein schlechter Kork verdirbt manchmal den besten Wein, wie ein schlechter Wein den besten Mann."

„Sie sind von einem Piraten verfolgt?" mischte sich der junge Engländer, der übrigens vollkommen Spanisch sprach, zum ersten Mal in die Unterhaltung, da es ein Thema berührte, was ihn selber interessirte; „In welcher Gegend ungefähr und wann?“ /11/

„Ja die Gegend kann ich Ihnen nicht so genau beschreiben, Senor," sagte der Fremde - „ich bin kein Seemann, und uns Landleuten sieht eine Stelle im Wasser gerade so aus wie die andere, aber es war etwa acht Tagereisen von hier, und muß wohl noch etwas südlicher gelegen sein, als Valparaiso liegt, denn ich weiß, daß ich auf unserer Herfahrt in den letzten Tagen das südliche Kreuz immer konnte hinter uns stehen sehen."

„Hoffentlich macht doch Ihr Capitain Anzeige davon bei der hiesigen Regierung?" sagte der juirge Mann. „Wir haben gerade jetzt viele Kriegsschiffe, sowohl englische als spanische, hier im Hafen, und es wäre schon der Mühe werth, einen Kreuzer danach auszuschicken."

„Hat also der Böse wieder einen solchen Teufel von Piraten unter Segel?" rief der eine alte Capitain; „ich glaubte, seit sie dem Tenares mit seiner Bande den Garaus gemacht, wäre die Rasse vollkommen ausgerottet, oder doch wenigstens einmal auf ein halb Dutzend Jahre zum Schweigen gebracht."

„Ja der Tenares soll ein wilder Bursche gewesen sein," sagte der Fremde, sein Glas auf einen Zug leerend; „welche Schiffe waren es doch, die ihn damals nahmen?"

„Der ‚San Antonio‘ und der ‚Pendenciero‘," erwiderte der Engländer.

„Wohl die Schiffe, die jetzt hier im Hafen liegen?" frug der Fremde dagegen.

„Nein," sagte der alte Capitain, „der ‚San Antonio‘ ist nach Spanien gesegelt und der ‚Pendenciero‘ kreuzt an der peruanischen Küste."

„Hm," murmelte der Fremde und nickte wie nachdenkend mit dem Kopfe — „doch was ich gleich sagen wollte - ja - wie hieß doch der Kaufmann, der, als der Schoner damals hier eingebracht wurde, ihn von der Regierung, ich glaube auf Auction erstand - war es nicht Don Pablo Manuto - es ist mir wenigstens so." Er hatte die Flasche wieder genommen, sein Glas auf's Neue zu füllen, und hielt, seinen Nachbar, den alten Capitain, dabei ansehend, den Hals derselben noch fest auf dem Glase ruhend.

„Ja, Don Pablo," erwiderte dieser und füllte sich sein /12/ Glas ebenfalls - „so hieß wenigstens der vorige Käufer des ‚Reconocido‘.“

„Der vorige Käufer!" rief der Fremde, und der Wein schoß ihm wie ein förmlicher Strahl über das Glas hinüber und auf den Tisch, ehe er sich so weit sammeln konnte, die Flasche rasch empor zu heben. Er hielt sie dann gegen das Licht, füllte sein Glas und trank es wieder leer.

„Caramba, Amigo!" rief der junge Officier und sah ihn erstaunt an - „Ihr scheint Interesse an dem Fahrzeug zu nehmen; hattet Ihr Absichten darauf?"

„Hm!" erwiderte der Fremde aber vollkommen ruhig und strich sich mit der linken Hand den Wein aus dem Barte, den Schnurrbart nach rechts und links mit dem dritten Finger von der Oberlippe zurückschiebend - „ich hätte auch wohl Ursache, Interesse an dem Fahrzeug zu nehmen, denn ich bin näher mit ihm zusammen gewesen, als ich je hoffe mit einem seines Gelichters wieder zusammen zu kommen - aber mein Erstaunen galt nicht dem Fahrzeuge, sondern dem Manne, von dem wir sprachen, und es war mir fast, als ob das vorige den Tod des alten Herrn bezeichnen sollte, was ich aber doch nicht hoffen will."

„Allerdings," sagte der Capitain, „Don Pablo Manuto starb zufälliger Weise an demselben Abend, nachdem er den dem Schoner abgeschlossen. Seine Vermögensverhältnisse befanden sich aber nach seinem Tode in solch' mißlichen Umständen, daß er für insolvent erklärt und der Schuner, nachdem er sich eine Zeit lang ohne Aufsicht in der Bai herumgetrieben und arg beschädigt worden war - zum zweiten Mal verkauft und durch mich" - er machte dabei eine leichte Verbeugung gegen den Fremden - „erstanden wurde. Doch das ist eine lange Geschichte, Senor, und da es schon ziemlich spät ist, denk ich, wirds wohl Zeit zum Aufbrechen sein - ich mug morgen -"

„Oh Caballeros," wandte sich aber der Fremde mit einer verbindlichen Verbeugung gegen seine Tischnachbarn - „ich bin heute den ersten Abend wieder nach langer Seereise auf festem Boden, und freue mich viel zu sehr, so liebe Gesellschaft gefunden zu haben, um sie auch so rasch wie/13/der aufgeben zu mögen. Juanita, amiga mia, noch zwei Flaschen von Deinem besten Wein, mein Herz, und frische Gläser!"

„Ich weiß nicht, Senor," sagte der alte Seemann etwas verlegen, als er das Mädchen rasch mit den bleibelegten Flaschenhälsen ankommen sah - „das ist eigentlich -"

„Sie dürfen mir die Freiheit nicht übel nehmen, Caballeros," unterbrach ihn aber bittend der Fremde. „Sie sind Alle, wie es scheint, ‚Wasserratten‘, und nicht an lange Ceremonien gewöhnt; erlauben Sie also auch einmal einer ‚Landratte‘, sich die wenigen Tage, die sie auf ihrem heimischen Element weilen darf, wohl zwischen Ihnen zu fühlen. Um Ihnen übrigens zu erklären, welches Interesse ich an dem ‚Reconocido‘ nehme, und welche Ursache ich dazu habe, brauche ich Ihnen nur zu sagen, daß ich eben durch diesen Seeräuber mein ganzes Vermögen einbüßte, und es läßt sich denken, daß es mir eine Art Genugthuung sein muß, das Nähere über den endlichen Schluß seiner verbrecherischen Laufbahn zu hören. Ah Marequita, chiquita, das sind die rechten Flaschen - alte liebe Bekannte aus schöneren, besseren Zeiten - ja es ist ein herrliches Land, die Champagne, ein wirkliches val paraiso - und nun, Caballeros - auf ein fröhliches Leben und einen raschen Tod!"

 

Die Gläser waren gefüllt - der Mann hatte etwas so Ueberredendes, Lebendiges in seinem ganzen Wesen, daß sich die beiden alten Seeleute schämten, ihm die Bitte abzuschlagen. Nur der junge Engländer entschuldigte sich mit seinem immer noch leidenden Zustande, keinen Wein mehr trinken zu dürfen, und die drei Männer leerten, dem mehr ernsten als fröhlichen Trinkspruch zu, die langen Kelche.

Der junge Mann hatte sich aber nicht allein seines Unwohlseins wegen von der Gesellschaft zurückgezogen, an deren Gespräch er jedoch noch dann und wann Theil nahm, sondern er wünschte hauptsächlich Manuela's Gegenwart mehr zu genießen. Dann gefiel ihm aber auch - er wußte freilich selber kaum weshalb - der Fremde nicht; der Mann hatte Etwas in seinem Wesen, das ihn abstieß, wenn er sich auch die Ursache nicht gleich erklären konnte.

„Gut, wenn Sie denn Interesse an dem Piratenschiff /14/ nehmen, so kann ich Ihnen mit sehr kurzen Worten die ganze Geschichte erzählen," nahm endlich der alte Capitain das Gespräch wieder auf. „Der Schoner lag hier natürlich, während die Nachlassenschaft seines vorigen Eigenthümers in den Händen der Gesetze herumgearbeitet wurde, Jahre lang in der Bai, ohne daß sich Jemand besonders um ihn bekümmert hätte - er gehörte gewissermaßen Niemandem, und so kam es auch, daß er einmal bei einem schweren Norder - unsere Geißel hier überhaupt in der Bai - wie schon erwähnt, auf die Klippen trieb und dermaßen beschädigt wurde, um nur je an eine Ausbesserung denken zu können."

„Das ist schade," sagte der Fremde, „es soll ein ausgezeichnetes Seeboot gewesen sein, und am Golf von Mexiko wußten sie nicht genug von seiner Schnelle und Furchtbarkeit zu erzählen."

„Ja, dazu mag ihn auch wohl Don Pablo gekauft haben, aber wie gesagt, der Norder vereitelte das, und jetzt würde eine vollständige Reparatur wohl eben so viel kosten als ein neues Fahrzeug. Als die Sachen deshalb, nach endlicher Regulirung der Geschäfte, zur Auction kamen, wollte im Anfang gar Niemand auf den Schuner bieten, und ich kaufte das Wrack endlich billig genug, um noch daraus zu benutzen, was sich eben benutzen läßt, und so meinen Preis wieder heraus zu schlagen. Die Masten, die noch vollkommen gut waren, habe ich deshalb schon ausheben lassen und will sie in mein eigenes Fahrzeug nehmen, ebenso werde ich die innere Einrichtung der Kajüte, die auf das Geschmackvollste hergestellt ist, für mich selber benutzen, und mit Takelwerk und Ketten, was schon meist an Land liegt, hoffe ich doch meine Auslagen und Arbeit bei dem Kauf bezahlt zu bekommen."

„Es würde mir ungemeines Vergnügen machen," sagte hier der Fremde, als der Andere geendet hatte, „wenn ich das berüchtigte Fahrzeug, ehe es ganz auseinander genommen wäre, einmal besuchen könnte - ich war so nahe daran, als Gefangener an Bord desselben geschleppt zu werden, daß ich die Planken jetzt gern einmal mit größerer Sicherheit betreten möchte, die mir damals vielleicht zum Schaffott gedient hätten - wäre das wohl möglich?" /15/ „Warum nicht?" erwiderte der Capitain - „wenn Sie Lust haben, können Sie morgen früh mit mir an Bord fahren und - warten Sie einmal, ja dann kann ich Sie, wenn Ihnen das recht ist, hier bei Senora Fostero um zehn Uhr abholen; ich habe doch vorher noch Einiges zu besorgen."

„Bueno!" rief der Fremde mit einer dankenden Verneigung des Kopfes - „und doppelt Dank, daß Sie mir ein so liebenswürdiges Rendezvous gesetzt haben," fügte er mit einem ziemlich gravitätischen Kompliment gegen Senora Fostero bei, während die beiden Mädchen schon unter sich über den wunderlichen Fremden kicherten.

„Es ist allerdings von einem gewissen, wenn auch etwas schauerlichen Interesse," warf hier der junge Mann ein, „das Fahrzeug einmal zu besuchen, an dessen Deck schon so entsetzlich viel Blut geflossen, und wenn Sie mir erlauben, Capitain, so bin ich mit von der Partie - ich hatte es mir überhaupt schon lange vorgenommen, zu dem Wrack einmal hinüber zu fahren. So ist aber der Mensch, was er haben kann, danach verlangt er nicht, nur was ihm unerreichbar ist, danach strebt er, und wenn er sein Kostbarstes daran setzen sollte. Jetzt hätte ich alle Tage zu dem Schoner kommen können, und bin nicht gegangen, und vor noch gar nicht so langen Jahren sind wir mit der ‚Terpsichore‘ dem Wetterding Tag und Nacht und um die halbe Welt herum nachgesegelt, ohne ihn erwischen zu können, und was hätte ich nicht damals darum gegeben, mit dem Cutlas in der Faust auf sein Deck springen zu können!"

„Das wäre doch vielleicht ein etwas theures Vergnügen gewesen," warf der Fremde hier ein - „wie mir erzählt ist, ließ dieser berüchtigte Freibeuter wohl sehr viele Menschen von seinem Deck hinunter springen, aber ich weiß von keinem, der hinaus gesprungen wäre und nachher davon erzählen konnte - den letzten Fall ausgenommen, wo er durch einen unglücklichen Schuß - das heißt für ihn unglücklich - des ‚San Antonio‘ beide Masten verlor und nun natürlich der Uebermacht nicht mehr widerstehen konnte. Es ist mir nur noch immer ein Räthsel, wie sie ihn damals aufgefunden haben, denn die vortreffliche Stellung der beiden Kriegsschiffe konnte kaum ein Zufall sein." /16/ „Sie scheinen ausgezeichnet von den Einzelheiten unterrichtet," sagte Edward Wilkinson.

„Nur theilweise," erwiderte der Fremde ruhig, „ich hatte das Vergnügen, in Manila einen jungen Arzt vom ‚Pendenciero‘, der von dem Schiffe abgegangen war, um seine Eltern dort zu besuchen, kennen zu lernen, und der hat mir Manches davon erzählt, wußte mir aber nie den Grund jenes Zusammentreffens anzugeben."

„Das ist möglich," sagte der junge Engländer, „denn die Capitaine der Kriegsschiffe hielten, als sie von hier ausliefen, die Sache ziemlich geheim. Sie erfuhren den wirklichen Aufenthaltsort des Piraten aber eigentlich durch einen Zufall, oder vielmehr durch eine seiner eigenen Greuelthaten - vielleicht seiner letzten. Er hatte ein Schiff geentert und geplündert, ließ die Leute an verschiedenen Stellen festbinden und bohrte das Schiff an, die Unglücklichen ihrem Schicksal überlassend. Nur der Kajütenjunge war, wie es scheint, nicht fest genug geknebelt gewesen, denn kurz vor dem Sinken des Schiffs gelang es ihm, sich zu befreien, obgleich er nicht mehr im Stande war, den Uebrigen zu Hülfe zu eilen. Auf einem Stück Holz hielt er sich mehrere Tage in See und wurde endlich von einem spanischen Kreuzer aufgefischt. Der Kajütenjunge hatte aber zufällig gehört, daß das Räuberschiff nach Tahiti bestimmt sei, denn die Leute dachten nicht daran, ihre Worte vor Menschen zu wahren, die doch in sechs bis acht Stunden auf dem Boden der See lagen, und so kam es, daß die rasch nach ihnen ausgesandten Schiffe sie glücklich noch an Ort und Stelle fanden."

„Ja, es ist eine unsichere Sache mit dem Festbinden," sagte der Fremde, indem er sein Glas leerte; „sonderbar," setzte er dann hinzu, „wie solche Dinge doch immer an's Licht kommen! Der Capitain wurde gehangen, nicht wahr? - ich glaube, daß es der Doctor so erzählte."

„Nein, bewahre," sagte der Engländer - „genau weiß man eigentlich gar nicht, was aus ihm geworden, denn seine Leiche ist nirgends gefunden. Die Mannschaft wehrte sich natürlich wie Verzweifelte, und Tenares selber erhielt von dem Capitain des ‚San Antonio‘, der mitten unter seinen /17/ Leuten kämpfte, einen Hieb über den Kopf; nachher war er aber verschwunden, und er muß mit seinen übrigen Kameraden, die über Bord sprangen, um dem Strick zu entgehen, sein Grab in den Wogen gefunden haben. Es soll ein furchtbarer Anblick gewesen sein, wie die Haifische, die sich in Schaaren bei den Schiffen eingefunden hatten, zwischen den Opfern wütheten."

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